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ID0806914200

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    Plenarprotokoll 8/69 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 69. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1978 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 5395 A Pairing-Vereinbarungen . . . 5395 B, 5493 B Amtliche Mitteilung ohne Verlesung . . 5395 A Erweiterung der Tagesordnung 5452 C Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksachen 8/950, 8/1285 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/1371 — Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein CDU/CSU . . . . . . . 5395 D Grobecker SPD 5399 C Katzer CDU/CSU 5403 A Rappe (Hildesheim) SPD . . . . . . 5410 A Schmidt (Kempten) FDP . . . . . . 5415 C Kraus CDU/CSU . . . . . . . . . 5420 A Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 5423 A Franke CDU/CSU 5427 C Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 8/1375 — Glos CDU/CSU 5429 B Frau Simonis SPD 5433 A Eimer (Fürth) FDP 5435 C Frau Dr. Wex CDU/CSU 5437 B Hauck SPD 5441 A Frau Funcke FDP 5443 C Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein CDU/CSU 5445 C Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 5447 A Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksache 8/1374 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 5458 B Blank SPD 5461 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1978 Weiskirch (Olpe) CDU/CSU 5463 D Möllemann FDP . . . . . . . . 5467 A Leber, Bundesminister BMVg 5471 C Dr. Kohl CDU/CSU 5481 D Wehner SPD 5485 C Mischnick FDP 5488 A Schmidt, Bundeskanzler 5489 D Dr. Zimmermann CDU/CSU 5493 C Vizepräsident Frau Funcke 5489 D Namentliche Abstimmung . . . 5495 A, 5501 D Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 8/1379 — Dr. Schneider CDU/CSU 5497 B Stöckl SPD 5498 C Gattermann FDP 5499 C Ravens, Bundesminister BMBau 5500 B Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksache 8/1381 — Dr. Stavenhagen CDU/CSU 5501 D Dr. Dübber SPD 5503 A Dr.-Ing. Laermann FDP 5504 A Matthöfer, Bundesminister BMFT . . . 5505 A Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksache 8/1382 — Westphal SPD 5507 A Dr. Stavenhagen CDU/CSU 5508 C Rohde, Bundesminister BMBW . . . . 5509 D Haushaltsgesetz 1978 — Drucksachen 8/1388, 8/1426 — Gerster .(Mainz) CDU/CSU . . . . . . 5511 B Löffler SPD 5512 B Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 8/1470 — Röhner CDU/CSU . . . . . . . . . . 5452 D Becker (Nienberge) SPD . . . . . . 5455 A Engelhard FDP 5456 D Nächste Sitzung 5512 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5513* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1978 5395 69. Sitzung Bonn, den 26. Januar 1978 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens *' 26. 1. Dr. Fuchs * 26. 1. Dr. Geßner ** 26. 1. Dr. Gruhl 26. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 26. 1. Hoppe 26. 1. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Klinker * 26. 1. Dr. Kraske 27. 1. Frau Krone-Appuhn 27. 1. Lampersbach 26. 1. Lücker * 26. 1. Dr. Mende ** 26. 1. Dr. Müller ** 26. 1. Offergeld 27. 1. Reddemann ** 26. 1. Seefeld ' 26. 1. Dr. Starke (Franken)*' 26. 1. Dr. Todenhöfer 24.2. Dr. Vohrer ** 26. 1. Baron von Wrangel 27. 1.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Willi Weiskirch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind in einer Zeitungsanzeige aufgerufen worden — ich zitiere —, „gegen jede weitere Erhöhung des Rüstungshaushaltes einzuschreiten". Das „Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit", das für diesen Appell verantwortlich zeichnet, hat allerdings, wie ich meine, den falschen Adressaten gewählt. Nicht die Bundesrepublik Deutschland, nicht der Westen, nicht die atlantischen Bündnispartner haben zum Wettrüsten geblasen und die Ausgaben für immer neue Waffensysteme eskaliert; Adressat dieses Appells hätte der Warschauer Pakt, hätte die Sowjetunion sein müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Die UdSSR ist dabei, ihre langjährige nuklearstrategische Unterlegenheit gegenüber den USA wettzumachen und auszugleichen. Wenn die Vereinigten Staaten jetzt den Versuch unternehmen, in den SALT-Verhandlungen die sich abzeichnende nuklearstrategische Parität festzuzurren und damit den Rüstungswettlauf in der strategischen Dimension zu stoppen, dann findet sie uns voll an ihrer Seite. Das darf uns aber den Blick für die Realitä-



    Weiskirch (Olpe)

    ten nicht trüben. Diese werden zur Zeit gekennzeichnet durch eine massive, in der Form rüpelhafte und überaus harte Kampagne der UdSSR gegen die Neutronenwaffe mit dem Ziel, die Verteidigungsfähigkeit des Westens zu unterminieren, und parallel dazu die unbeirrte Rüstung der Warschauer-Pakt-Mächte im konventionellen Bereich fortzusetzen, die allem Hohn spricht, was an Abrüstungsforderungen erhoben und an frommen Absichten beteuert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Während der MBFR-Verhandlungen in Wien haben die Sowjets, in einem Zeitraum von vier Jahren also, annähernd 14 000 Kampfpanzer gebaut und hauptsächlich in Zentraleuropa stationiert.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Die Amerikaner haben in der gleichen Zeit 2 500 Panzer, also ein Sechstel, produziert. Die NATO hat es in Mitteleuropa zur Zeit mit 35 000 Panzerfahrzeugen des Warschauer Paktes zu tun. Uns selbst stehen 10 000 entsprechende Abwehrsysteme zur Verfügung, nämlich 6 000 Panzer, 3 000 Panzerabwehrraketen und 1 000 Abwehrkanonen.
    Die Kampagne der UdSSR gegen die Neutronenwaffe, meine Damen und Herren, und der Brief des sowjetischen Parteichefs an die Regierungen des NATO-Bündnisses sind in diesem Zusammenhang um so perfider, als alle Welt weiß, daß die Sowjetunion über Waffen zuhauf verfügt, die der Neutronenwaffe an nuklearrer Brisanz um nichts nachstehen. Solange das so ist, haben wir, schon um der Glaubwürdigkeit unserer Verteidigungsentschlossenheit willen, erstens die konventionelle Abwehrkraft der -NATO, d. h. auch die konventionelle Abwehrkraft der Bundeswehr, zu verbessern und zu verstärken,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    zweitens unsere Abwehrbereitschaft zu erhöhen und drittens die Reaktionsfähigkeit der Bundeswehr und des Bündnisses zu verbessern.
    Der Haushalt 1978 präsentiert sich als eine Größe, die diesen Erfordernissen scheinbar Rechnung trägt. Es hat ja auch an Lobsprüchen aus dem Koalitionslager nicht gefehlt, daß die im Londoner Appell geforderten realen 3 °/o Steigerung im Verteidigungsetat 1978 erbracht worden seien.

    (Zuruf von der SPD: Sind sie auch!)

    In den gedruckten Erläuterungen und Vergleichen zum Einzelplan 14 steht jedoch zu lesen, daß der Anteil des Verteidigungshaushalts an den Bundesausgaben gegenüber dem Vbrjahr um 1 °/o, nämlich von 19,2 °/o auf 18,2 °/o, gesunken ist; um am Bruttosozialprodukt beträgt der Anteil des Verteidigungshaushaltes 2,6 °/o gegenüber 2,7 °/o im letzten Jahr.
    Ich glaube, meine Damen und Herren, es war der Kollege Brandt, der am Dienstag hier gerügt hat, daß in den Reihen der Opposition in der letzten Zeit hie und da auch schon einmal ein Fragezeichen hinter die Bundeswehr gesetzt worden sei,

    (Dr. Wörner [CDU/CSU] : Da muß er sich wohl getäuscht haben!)

    hinter die Bundeswehr, die sich doch in aller Welt und vor allem bei ihren Verbündeten eines so ausgezeichneten Rufs erfreue.

    (Horn [SPD] : Das stimmt doch auch!)

    Die Bundeswehr — das ist kein Zweifel — ist technisch gut ausgerüstet, verfügt über moderne Waffensysteme und über neues Gerät.

    (Horn [SPD] : Und ist gut ausgebildet!)

    Wir haben die Beschaffungsprogramme im Verteidigungsausschuß mit getragen. Aber ist damit schon alles in Ordnung?
    Ich will hier nur den gewaltigen Fehlbedarf und die großen Schwierigkeiten in der Munitionsbevorratung ansprechen. Gerade bei den neuen Waffen gibt es keinen ausreichenden und keinen abgestimmten Munitionszulauf; der muß erst noch sichergestellt werden. Mein Kollege Hauser hat ja da zu Einzelheiten Stellung genommen.
    In diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung zum Stand der deutsch-amerikanischen Panzervergleiche. Wenn es zutrifft — man konnte das ja gestern in der Zeitung lesen —, daß von der Bundesregierung rund 50 Millionen DM aufgewendet worden sind, ohne daß auch nur irgend etwas vertraglich eingehandelt worden wäre, dann ist das eine Fehlleistung auf der einen und ein ungewöhnlich leichtfertiger Umgang mit Steuergeldern auf der anderen Seite.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich hier aber auf zwei andere Schwachpunkte zu sprechen kommen, den Beförderungs- und Verwendungsstau bei den Hauptleuten und Oberfeldwebeln der Bundeswehr, den eben der Kollege Blank so ein bißchen abgefertigt hat, und die zu spät und nur befristet wieder eingeführte Besoldung der Zeitsoldaten. Die CDU/CSU hält drei Maßnahmen für dringend erforderlich: Erstens die Zurücknahme der Verlängerung der besonderen Dienstaltersgrenze um ein Jahr — denn gerade diese Verlängerung hat zur Verschärfung des Beförderungsstaus ganz erheblich beigetragen —

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und zweitens eine umfassende Information der Truppe über die Maßnahmen im Bereich der Personalstruktur und der Personalführung. Nur so kann der tiefen Verunsicherung der Soldaten entgegengewirkt werden — mit einer solchen Verunsicherung haben wir es ja zu tun. Drittens die Pflege des Personalgesprächs mit den Betroffenen; es gehört zu den besten Fürsorgemöglichkeiten und Fürsorgepflichten.
    Was die Wiedereinführung der Besoldung bei den Z-2-Soldaten angeht, so muß hier noch einmal daran erinnert werden, daß der katastrophale Mangel von annähernd 40 000 Zeitsoldaten eindeutig auf das Konto der Bundesregierung geht. Es ist wirklich nicht zu begreifen, daß sich die Koalitionsparteien am Ende der von meiner Fraktion vorgeschlagenen Wiedereinführung der Besoldung nur halbherzig angeschlossen und sie auf vorerst zwei Jah-



    Weiskirch (Olpe)

    re befristet haben. Damit schafft man das Problem nicht vom Tisch.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe bereits im November 1977 vor dem Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages angekündigt, daß meine Fraktion den Einzelplan 14 ablehnen wird, und zwar nicht, weil CDU und CSU den militärischen Beitrag unseres Landes zur Verteidigung unserer Freiheit gering einschätzen oder gar verwerfen möchten. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe dargelegt, welchen Rang wir gerade angesichts der anhaltenden Bedrohung unserer Freiheit dem deutschen Verteidigungsbeitrag im NATO-Bündnis beimessen.
    Wenn wir dennoch nein sagen, dann ist dafür die Politik dieser Bundesregierung und dann sind dafür die gravierenden und folgenschweren Fehlleistungen des Bundesministers der Verteidigung maßgebend. Mein Kollege Hauser hat beispielsweise seine Haltung in der sogenannten Generalsaffäre, im Falle Wagemann und vor allem bei der Novellierung des Wehrdienst- und Zivildienstgesetzes erwähnt. Ich will es mir versagen, diese Fälle noch einmal in extenso vor Ihnen aufzurollen, zumal nach der einstweiligen Anordnung in wenigen Wochen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Wehr- und Zivildienstfrage ansteht. Mein Kollege von Weizsäcker hat am Dienstag gerade zu dieser Frage und zu der völligen Verkennung der Sachlage durch die Bundesregierung das Nötige gesagt.
    Aber das, meine Damen und Herren, sollten wir nicht in Vergessenheit geraten lassen: Minister Georg Leber war 1977 drauf und dran, die allgemeine Wehrpflicht für die Bundesrepublik Deutschland abzuschaffen oder abschaffen zu lassen und damit den nötigen Beitrag unseres Landes zur Verteidigung unserer Freiheit in Frage zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die höhere Leistungsfähigkeit längerdienender Berufssoldaten berechtigt nicht zu der Annahme, daß Freiwilligenstreitkräfte mit einer wesentlich geringeren Zahl von Soldaten und Verbänden auskämen als Wehrpflichtstreitkräfte bei gleicher Kampfkraft. Eine Berufsarmee, die den deutschen NATO-Beitrag voll erfüllte, wäre mithin eine Belastung für den Bundeshaushalt, über die wir hier gar nicht zu diskutieren brauchten. Es gäbe dafür sicherlich keine Mehrheiten.
    Wenn wir unseren Beitrag für die Sicherheit unseres eigenen Landes und für die Sicherheit der freien Welt leisten wollen — und die Mehrheit des Volkes will das —, dann kommen wir um das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht nicht herum. Freiwilligenstreitkräfte können erst in dem Augenblick ernsthaft ins Kalkül gezogen werden, wo eine wesentlich verbesserte Sicherheitslage eine beträchtliche Verringerung der präsenten Verbände erlaubte. Diese Lage ist nicht gegeben. Allein die einstweilige Anordnung aus Karlsruhe hat verhindert, daß schon heute die Bundeswehr nicht mehr in der Lage wäre, die der erforderlichen Zahl, mehr aber noch der erforderlichen Qualität nach nötigen Wehrpflichtigen aufzubringen.
    Was ist das, meine Damen und Herren, für ein Minister, der die Stimmungen, die Motivationen und — für diesen Fall besonders wichtig — die Anfechtungen der jungen Generation so total falsch einschätzt wie er?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer vor der alternativen Wahl steht — und die hat das von Georg Leber so aktiv mitbetriebene Gesetz ja bewirkt —, Wehrdienst leisten zu müssen, oder sich aber mit größter Wahrscheinlichkeit von jedem Dienst, von jeder Dienstleistung überhaupt abmelden zu können, muß schon Idealismus und Heroismus ,im Übermaß mitbringen, wenn er sich für den Wehrdienst ausspricht; denn die Alternative verkürzt sich ja in der Praxis auf die knappe Formel „dienen oder verdienen".

    (Damm [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ich konnte freilich im Oktober 1977 bei der Generaldebatte im Verteidigungsausschuß nicht ahnen, daß der Bundesminister der Verteidigung weitere Anstrengungen unternehmen würde, um meiner Fraktion die Zustimmung zu seinem Etat, die ja auch die Zustimmung zu seiner Politik wäre, unmöglich zu machen. Natürlich trägt der Minister nicht die Verantwortung dafür, daß in seinem Haus Spione am Werk gewesen sind. Das hat unser Fraktionsvorsitzender am Dienstag auch eindeutig klargestellt. Aber, meine Damen und Herren, er trägt die Verantwortung dafür, daß ein Spionagefall wie dieser, den alle in dieser Sache Kundigen für einen der schwersten in der Geschichte der Bundeswehr halten,

    (Dr. Wörner [CDU/CSU] : Den schwersten!)

    beinahe anderthalb Jahre lang unter der Decke gehalten wurde und, wie der Minister am vergangenen Freitag vor dem Untersuchungsausschuß ausdrücklich bestätigt hat, nicht ein einziges Mal zum Gegenstand eines Gesprächs zwischen ihm und dem für die Geschicke unseres Landes verantwortlichen Bundeskanzler gemacht worden ist.

    (Damm [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

    Ich kann hier die Einzelheiten auslassen, die der Untersuchungsausschuß bisher bereits enthüllt oder doch als sehr gewichtige Fragen entdeckt hat.
    Hier wurden verantwortliche Militärs ausgeschaltet. Hier wurden ministerielle Verantwortungen lax oder gar nicht wahrgenommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Nicht „lax", sondern „Laabs" !)

    Hier blieben Gutachten vom Minister auch dann noch ungelesen, als ihm sein Staatssekretär Fingerhut über ihren dramatischen, ja hochbrisanten Inhalt eigentlich längst Mitteilung hätte machen müssen, und wahrscheinlich hat er es ja wohl auch getan.

    (Frau Pack [CDU/CSU] : Er hatte anderes zu tun!)

    Wenn nur annähernd zutrifft, was dieses Gutachten an Verratsmöglichkeiten feststellt, dann müssen wir davon ausgehen, daß über das Agententrio Lutze/Wiegel Geheimnisse verraten worden sind, de-



    Weiskirch (Olpe)

    ren Kenntnis einen potentiellen Gegner auf lange Sicht — ich sage: auf lange Sicht — in die Lage versetzt, im Ernstfall für sehr viele Möglichkeiten die passenden militärischen Vorsorgen und Antworten parat zu haben.

    (Dr. Jahn [Braunschweig] [CDU/CSU] : Deswegen halten wir das geheim!)

    Der Minister wollte noch im Dezember 1977 der Öffentlichkeit und dem Parlament klarmachen, er sei über die Bedeutung und Schwere des Falles erst 14 Tage vor Weihnachten durch die Lektüre der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", wie er sich ausgedrückt hat, „erleuchtet worden" . Am letzten Freitag gab der Minister vor dem Untersuchungsausschuß als Zeuge bekannt, daß er über den Spionagefall schon seit dem 4. Juni 1976 voll im Bilde war. Damit diese neue Weisheit auch schnell unter das Volk komme, ließ Georg Leber — das ist ein einzigartiger Fall von Gottesgnadentum, finde ich — seine Zeugenaussage in seinem Hausblatt „Bundeswehr aktuell" Nr. 14/16 vom 23. Januar 1978 im Wortlaut veröffentlichen.

    (Biechele [CDU/CSU] : Das wurde vor der Vernehmung schon an die Presse verteilt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Man fragt sich, was geschmackloser ist: der Mißbrauch dieser Bundeswehrzeitschrift für eine öffentliche Reinwäsche des Bundesverteidigungsministers

    (Zuruf von der SPD: Oder Ihre Angriffe in der Öffentlichkeit!)

    oder der Mißbrauch von Steuergeldern für einen parteilichen Zweck.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Vestigia terrent — die Spuren aus dem Bundestagswahlkampf 1976 hätten auch den Minister Leber schrecken müssen. Aber was schreckt ihn schon?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jahn [Braunschweig] [CDU/CSU] Nichts! — Zurufe von der CDU/CSU: Fingerhut! — Das kann man sagen!)

    Vielleicht ist es die seit zwei Tagen bekannte illegale Lauschaktion, deren Veranlasser der ihm persönlich unterstellte MAD und deren Opfer seine eigene Sekretärin war? Oder hat er auch davon nichts gewußt? Es ist wohl so: Er hat auch davon nichts gewußt. Erst im vergangenen Frühjahr, so hören wir, hat ihm der MAD gestanden, daß man vor drei Jahren diese Lauschaktion durchgeführt habe. Das war genau fünf Tage, bevor der Bundesminister des Innern vor dem Deutschen Bundestag erklärt hat, in seinem Bereich habe es außer der Sache Traube keine Abhöraktion mit Wanzen gegeben. Der MAD, offenbar durch die Traube-Meldungen verschreckt, verunsichert, hielt es damals wohl für seine allerdings spät erkannte Pflicht, den Minister für alle möglichen Fälle über diese eigenmächtige Lauschaktion von 1974 zu informieren.

    (Biechele [CDU/CSU] : Das war verfassungswidrig!)

    An Georg Leber war all das so vorbeigelaufen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie immer!) wie seit 1976 auch der Spionagefall Lutze/Wiegel.


    (Horn [SPD] : Nein, das stimmt sachlich wirklich nicht!)

    — Herr Kollege Horn, wir haben dem Bundesverteidigungsminister diesen Sachverhalt vorzuwerfen: Er hat sein Haus nicht mehr in der Hand, er ist nicht mehr Herr der Lage.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Er hat bis heute, was seine Pflicht gewesen wäre, kein truppendienstgerichtliches Verfahren gegen den verantwortlichen ehemaligen MAD-Chef eingeleitet, er übersieht die Konsequenzen nicht mehr.

    (Biechele [CDU/CSU] : Genossenwirtschaft!)

    Wie hätte er sonst so reagieren können, wie er reagiert hat, nachdem er im vergangenen Frühjahr über die MAD-Eskapaden informiert worden ist? Wie hat er reagiert? Er hat überhaupt nicht reagiert.

    (Dr. Jahn [Braunschweig] [CDU/CSU] : Das ist sehr viel! — Haase [Kassel] [CDU/ CSU] : So ist es!)

    Als er auf dem Siedepunkt der Traube-Affäre erfuhr, daß auch in seinem Hause durch seinen MAD vor ein paar Jahren etwas ganz ähnliches durchgeführt worden war, informierte er nicht seinen Ministerkollegen Maihofer. Er informierte auch nicht das Parlament, den Verteidigungsausschuß oder gar die Öffentlichkeit. Nein, er hüllte sich in Schweigen. Der Bundesminister des Innern hat gestern abend hier im Plenum erklärt, daß er von alledem erst zum gleichen Zeitpunkt wie wir alle erfahren habe, nämlich vorgestern.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : In diesem System weiß die Linke nicht, was die Rechte tut!)

    Ich weiß, daß es in Brüssel Leute gibt, die auf geheimen bestellten Papieren den Untergang des Abendlandes für den Fall ankündigen und beschwören,

    (Horn [SPD] : Leber führt sein Ministerium doch selbst!)

    daß dem Minister Georg Leber hier in Bonn etwas passieren könnte, daß er vielleicht sogar zurücktreten müßte.

    (Zurufe von der SPD)

    — Lassen Sie sich das Papier einmal zeigen! Der Untergang des Abendlandes wird mit Sicherheit nicht stattfinden,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    die NATO wird mit Sicherheit nicht kaputtgehen, und die Bundeswehr wird mit Sicherheit nicht an Schlagkraft und Zuverlässgkeit verlieren, wenn Georg Leber nach alle dem, was er — ich sage: leider — bewirkt hat, seinen Hut nimmt und geht. Darum sollte er gehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Weiskirch- (Olpe)

    Darum sollte er gehen — möglichst heute noch!

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Es ist kein Geheimnis, meine Damen und Herren, daß die Unionsparteien lange Zeit über ihren Schatten gesprungen sind und dem Verteidigungsetat zugestimmt haben, schon um zu dokumentieren, daß sie die Lasten, die der militärische Beitrag zur Sicherung unserer Freiheit unserem Lande abverlangt, mitverantworten und mittragen wollen. An dieser Einstellung hat sich nichts geändert. Ich sage das deshalb, weil ich hier jeder Legendenbildung vorbeugen möchte.
    Zur Politik der Bundesregierung, vor allem auch zur Politik Ihres Verteidigungsministers, sagt die Union jedoch nein. Deshalb wird sie den Einzelplan 14 des Bundeshaushaltes 1978 ablehnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jürgen W. Möllemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kohl, ich merke schon: Sie überlegen gerade,

    (Weiskirch [Olpe] [CDU/CSU] : Ob wir Sie zum Verteidigungsminister machen sollen!)

    ob Sie Ihrem Rang oder Ihrem Namen Ehre machen sollen bei den Zwischenrufen. Ich würde mich für das erste entscheiden.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich denke, Sie reden über den Verteidigungshaushalt!)

    Wir reden hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, über den Bundeshaushalt 1978, und es kann ja wohl nicht schaden, wenn man zunächst in einigen knappen Zahlen darlegt, wie dieser aussieht.
    Bei 188,6 Milliarden DM Gesamtvolumen geben wir 35 Milliarden DM für die Verteidigung aus; nach NATO-Kriterien sind es 54,2 Milliarden DM. Dies sind im Jahre 1978 18,2 % ohne die Ausgaben nach NATO-Kriterien, zirka 30 °/o mit den Ausgaben nach NATO-Kriterien. 54,2 Milliarden DM von 188,6 Milliarden DM! Ich denke, diese Zahlen muß man sich am Beginn einer Auseinandersetzung einfach vor Augen führen.
    Ich darf eine zweite Zahl anschließen. Die Leistungen, die wir für die Verteidigung aufbringen, sind zwischen 1970 und 1978 um rund 110% gewachsen, also im Jahresdurchschnitt um zirka 14%, während in der Zeit, in der Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt in der Opposition sind und hoffentlich lange dort bleiben mögen, in der Regierung waren, die Steigerungsrate 19,6 % betrug; ein Jahresdurchschnitt also von 3,3 %.

    (Dr. Jahn [Braunschweig] [CDU/CSU] : Da waren Sie doch dabei!)

    Sie haben, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Ihre Ablehnung des Haushaltes hier zu begründen versucht. Der Versuch ist nicht sonderlich überzeugend ausgefallen, was kein Wunder ist, wenn man weiß, daß Sie während der Beratungen im Verteidigungsausschuß nicht bei einem einzigen Titel Änderungswünsche nennenswerter Art geltend gemacht haben.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Sie haben als Gründe — und damit will ich mich hier auch auseinandersetzen - zum einen die Spionageaffäre Lutze und zum anderen die Angelegenheit der Abhörung einer Sekretärin angeführt, die in diesen Tagen die Diskussionen bestimmt.

    (Biehle [CDU/CSU]: Und die Genossenwirtschaft!)

    Wir verlangen nach wie vor, daß der eingesetzte Untersuchungsausschuß den Sachverhalt vollständig aufklärt. Darauf haben unsere Bürger im einen wie im anderen Fall einen Anspruch.
    Wir gehen davon aus, daß dabei selbstverständlich jeder seine politische Verantwortung wahrnimmt, die ihm nach seinem Amt zukommt. Wir wissen, daß es eine unzutreffende Behauptung von interessierter Seite ist, es könnte möglicherweise der Versuch unternommen werden, diese Verantwortung auf Soldaten oder Beamte abzuschieben.
    Notwendig, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es, daß wir auf Grund der Erfahrungen dieser Tage — ohne daß wir dem Ergebnis vorgreifen — endlich das Gesetz über die Kontrolle der Dienste verabschieden. Hier könnten Sie sich behilflich zeigen.

    (Zustimmung bei der FDP und der SPD)

    Notwendig ist es gleichzeitig aber auch — dies sage ich ganz bewußt —, daß wir uns angesichts der Aufgaben der Dienste über ihre notwendigen, aber auch möglichen Arbeitsweisen ohne Illusionen unterhalten. Vorschnelle Erklärungen zum Gesamtkomplex nutzen in dieser Frage überhaupt niemandem, sie können nur Schaden anrichten; zu späte Erklärungen allerdings auch.
    Wir erwarten, daß der zuständige Minister hier heute zu dem in den vergangenen Tagen in Rede stehenden Sachverhalt eine Erklärung abgibt — wir wissen, daß er dies vorhat —, weil wir meinen, daß die Bürger einen Anspruch darauf haben, die ernsten, man könnte auch sagen: bohrenden Fragen, die sich damit verbinden, beantwortet zu bekommen.
    Sie haben, meine sehr verehrten Kollegen — Sie, Herr Kollege Weiskirch, wie auch Herr Hauser —, auch die KDV-Novelle, die Novelle zum Wehrpflicht- und zum Zivildienstgesetz, als Grund angeführt. Ich finde, es ist nicht weiter problematisch, wenn ich hier darauf hinweise, daß dies ein Gesetz ist, das durch die Koalitionsfraktionen eingebracht worden ist. Sie alle wissen doch, daß es auch innerhalb der Koalition, zwischen den Fraktionen und dem Minister Diskussionen darüber gegeben hat. Er war da anderer Meinung. Aber keiner von Ihnen kann doch sagen, daß er nicht einmal auch innerhalb einer Koalition oder Fraktion bei einer Mehrheitsentscheidung unterliegt. Auch bei Ihnen wird es doch dann aus einer gewissen Solidarität gegenüber denen, die sich durchgesetzt haben, so praktiziert, daß man sich der Mehrheitsentscheidung an-



    Möllemann
    I schließt. Wir wollen doch hier nicht an der Realität vorbeidiskutieren.
    Wir wollen in der Sache, meine sehr verehrten Damen und Herren, die endgültige Entscheidung des Karlsruher Gerichts abwarten. Wir respektieren selbstverständlich die einstweilige Anordnung, aber wir betonen gleichzeitig

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig!)

    — natürlich, es bleibt uns nichts anderes übrig, aber wir respektieren sie eben —, daß wir die Begründung, die gegeben worden ist, nicht verstehen. Uns ist nicht einsichtig

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — ja, ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre liebenswürdigen Zwischenrufe —, weshalb die einstweilige Anordnung erst fünf Monate, nachdem sie beantragt wurde, erging, wenn doch angeblich diese Dringlichkeit gegeben war, drei Monate, bevor die endgültige Entscheidung ergehen soll.
    Uns ist auch nicht einsichtig, weshalb das Gericht in seiner Begründung ausgerechnet auf den Bereich abgehoben hat, den wir als regelungsfähig genau ins Gesetz hineingeschrieben haben, nämlich die Situation, in der der Verteidigungsminister den Bestand der Bundeswehr per Verordnung gewährleisten kann, wenn er bedroht ist. Nur kann davon keine Rede sein. Bis zum Urteil, meine ich allerdings, ist es notwendig — —

    (Dr. Wörner [CDU/CSU] : Das •setzt eine Regierung voraus, die ihre Pflicht ernst nimmt, die die Sache nicht treiben läßt, Herr Möllemann, und nicht zuschaut, wie sich Zigtausende von Wehrdienstverweigerern per Postkarte abmelden! Wenn die Regierung ihre Pflicht wahrgenommen hätte, dann wäre sie nicht in diese Lage gekommen!)