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    Plenarprotokoll 8/68 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 68. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1978 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung . . . . . 5263 A Pairing-Vereinbarungen 5263 C Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksachen 8/950, 8/1285 — Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksache 8/1368 — in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 8/1377 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksache 8/1383 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 8/1387 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1977 bis 1981 — Drucksachen 8/951, 8/1286, 8/1421 — Haase (Kassel) CDU/CSU 5264 A Grobecker SPD 5267 B Gärtner FDP 5269 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 5273 D Westphal SPD 5278 A Frau Matthäus-Maier FDP 5282 A Dr. Apel, Bundesminister BMF . . . . 5284 C Augstein SPD 5289 C Wohlrabe CDU/CSU . . . . . 5291 B, 5293 C Dr. Dübber SPD 5293 A Hoppe FDP 5294 C Frau Pieser CDU/CSU . . . . . . 5295 B Augstein SPD 5298 B Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1978 Präsident Carstens 5274 C Vizepräsident Stücklen 5293 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 8/1370 — Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 5300 A Simpfendörfer SPD 5303 D Paintner FDP 5306 D Ertl, Bundesminister BML . . . . . . 5308 D Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksache 8/1369 — Dr. Waigel CDU/CSU . . . . . . . . 5311 D Dr. Sperling SPD 5315 C Dr. Biedenkopf CDU/CSU . . . . . . 5318 B Dr. Ehmke SPD 5326 A Dr. Haussmann FDP 5333 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 5335 B Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — Drucksachen 8/1372, 8/1424 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 5344 B Müller (Nordenham) SPD 5346 C Ollesch FDP 5348 C Gscheidle, Bundesminister BMV/BMP . 5350 B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/1373 — . . . . . . 5351 D Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 8/1366 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 8/1384 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 8/1386 — Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . . 5352 A Liedtke SPD 5356 A Dr. Wendig FDP 5359 D Spranger CDU/CSU 5362 C Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 5366 A Walther SPD 5371 B Metz CDU/CSU 5371 D Namentliche Abstimmung . . . 5371 D, 5373 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 8/1367 — Dr. Friedmann CDU/CSU 5374 D Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . . 5377 B Kleinert FDP 5379 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . 5383 B Dürr SPD 5385 B Dr. Vogel, Bundesminister BMJ 5386 C Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/1385 — 5392 C Nächste Sitzung 5392 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5393* A Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1978 5263 68. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1978 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Bayerl * 25. 1. Dr. Dollinger 25. 1. Dr. Fuchs * 25. 1. Jung * 25. 1. Dr. Kraske 27. 1. Dr. Kreile 27. 1. Frau Krone-Appuhn 27. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Lampersbach 26. 1. Luster * 25. 1. Dr. Mende ** 25. 1. Dr. Müller ** 25. 1. Dr. Müller-Hermann * 25. 1. Offergeld 27. 1. Reddemann ** 25. 1. Scheffler ** 25. 1. Schmidt (München) * 25. 1. Dr. Schwencke (Nienburg) *' 25. 1. Seefeld * 25. 1. Dr. Starke (Franken) * 25. 1. Dr. Todenhöfer 24. 2. Dr. Vohrer ** 25. 1. Baron von Wrangel 27. 1.
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    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Er sagte, daß Berufspolitiker einen großen Fehler machen, indem sei nämlich einerseits die Information des Bürgers überschätzen und andererseits seinen gesunden Menschenverstand unterschätzen.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Davon leben Sie!)

    Ich glaube, daß die Störung im Verhältnis zwischen Bürgern, Parteien und Parlament mit daran liegt, daß wir oft alle zusammen — ich rede nicht nur von einer Seite des Hauses — diesen Fehler machen.
    Der Bürger weiß vielleicht nicht, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft heute über 5 Millionen und im OECD-Bereich über 15 Millionen Arbeitslose haben. Aber eines weiß er ganz genau: daß wir uns in schwerer See bewegen.
    Der Bundeskanzler hat den Bürgern mit einem Wort der Seefahrt zugerufen, der Bürger solle eine Hand für das Staatsschiff und eine für sich selbst anlegen. Ich darf einmal in diesem Bild bleiben. Wie sieht denn der Bürger, der unseren Debatten draußen zuhört, seine Lage? Ich glaube, er sieht sie etwa so: Er hält das Staatsschiff Bundesrepublik für ein solides, respektables Schiff mittlerer Größe, dessen technische Einrichtung, Ausstattung und Service gut bis sehr gut sind., Es gibt zwar immer noch drei Passagierklassen, aber die Unterschiede zwischen den Klassen sind nicht mehr so groß wie auf früheren Staatsschiffern,

    (Zuruf des Abg. Pfeffermann [CDU/CSU])

    so daß ,er im allgemeinen ein außerordentlich positives Verhältnis zu diesem Staatsschiff hat. — Ich weiß nicht, was es da zwischenzurufen gibt.
    Aber, Kollegen von der Opposition, der Bürger draußen, der -uns zuschaut und zuhört, hat auch genügend gesunden Menschenverstand, um zu wissen, daß dieses Staatsschiff heute wegen der Unruhe auf den Weltmeeren in schwerer See ist, daß es stampft und mühsamer vorankommt als in Gut-Wetter-Perioden. Er sieht daher auch, daß der Kapitän seine Prinz-Heinrich-Mütze noch fester aufsetzt,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der ist gar nicht da!)

    hat aber das zutreffende Gefühl, daß das Schiff Kurs hält.
    Im Salon des Schiffes vertreten einige Passagiere erster Klasse währenddessen die Meinung, das Schiff stampfe nicht, weil schwere See sei, sondern weil der Kapitän unfähig sei. Darum schlagen Sie vor, es solle doch einmal einer aus der ersten Klasse ans Steuer gelassen werden. Sie können sich aber nicht einigen, wer von ihnen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Kommen Sie mal zur Sache! Kommen Sie zur Wirtschaftspolitik! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Das ist zur Sache, und das wird draußen sehr gut verstanden.
    Der Bürger, der diese Behauptung hört, die Schwierigkeiten kämen vom Kapitän und nicht von der See,

    (Zuruf des Abg. Pfeffermann [CDU/CSU])

    schließt daraus, daß die Opposition dauernd über den Kapitän und die Mannschaft, nie über die Schwierigkeiten der See spricht, zu Recht,

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    daß Sie ein gebrochenes Verhältnis zur Schiffahrt haben, ja, vielleicht gar kein Verhältnis zur See.

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU)

    Darum tut der Kapitän gut daran, sich von diesen Tönen aus der ersten Klasse nicht irritieren zu lassen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Biedenkopf [CDU/ CSU] sowie weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Es wäre doch nett, Herr Biedenkopf, wenn Sie so zuhören würden, wie ich Ihnen zugehört habe.

    (Beifall bei der SPD)

    Es wäre nun gut, Herr Biedenkopf, wenn man sagen könnte, laßt doch dieses ganze Geschrei der Opposition, dieses An-der-Sache-Vorbeireden,

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    es schadet doch gar nichts, das Schiff fährt weiter.
    Ich glaube aber, es liegen zwei große Gefahren in der Art, wie wir idiskutieren — ich sage: wir hier diskutieren.
    Erstens. Die Konzentration auf diese Fragen bringt die Gefahr mit sich, daß man nicht mehr darüber redet, was einen an Wind, Wetter und See alles noch erwarten mag, d. h., es wird das Gefühl heruntergesetzt für das, was an Gefahren noch vor uns liegen mag.
    Das Zweite: Auch der Kapitän und die Offiziere, die antworten, kommen in die gleiche Gefahr; denn der Hinweis darauf, daß sich andere Schiffe noch viel schwerer tun und daß es auf anderen Schiffen nicht so gut aussieht wie auf unserem Schiff,

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    beantwortet ja nicht die Frage, was vor uns liegt. Ich bin der Meinung, wenn das so ist, dann sollten wir das auch zu Ihnen, Herr Biedenkopf, der Sie das rethorisch sehr elegant machen — doch einmal diese sinnlose Polemik in der Wirtschaftspolitik lassen

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    und gemeinsam fragen, was an Problemen vor uns liegt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Kollegen Strauß und Biedenkopf haben sich einiges an Problemen herausgesucht, aber in einer sehr ideologischen Auswahl.
    Nehmen Sie z. B. die Prognosen. Die Prognosen der Institute waren falsch, die Prognosen der Re-



    Dr. Ehmke
    gierung waren falsch, die Prognosen der Opposition waren falsch.

    (Dr. Möller [CDU/CSU]: In der Rentenversicherung lagen sie falsch, wir richtig!)

    Wollen wir noch zehn Jahre lang ZettelkastenSchlachten darüber schlagen, oder wollen wir uns einmal klarmachen, daß wir alle gemeinsam vor der Schwierigkeit stehen, die Wirtschaft auch, die wirtschaftliche Entwicklung einigermaßen zuverlässig beurteilen zu können. Es gibt doch keinen von uns, weder auf der Regierungsbank noch hier noch da, der sagen kann: In den nächsten fünf Jahren wird das so aussehen. Diese Schwierigkeit muß man doch anerkennen, statt hier Ideologie zu verbreiten, wie das Herr Biedenkopf eben getan hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Hier kam der Zwischenruf „Renten", und darauf gehe ich ein. Wann hatten wir denn die erste Debatte über Rentensanierung? Die hatten wir 1966/67, als die Große Koalition u. a. gebildet wurde, um auch die Renten in Ordnung zu bringen. Dann haben wir Beitragserhöhungen beschlossen, die Beiträge um 4 % gesteigert, und dann stellte sich heraus, daß wir falsch gerechnet hatten. Es kam nämlich viel mehr in die Kassen, weil wir ganz andere Lohnzuwächse hatten, als zugrundegelegt worden war. Diese Probleme sind also nichts Neues. Als dann die Kassen voll waren, haben Sie Walter Arendt vorgeworfen, er säße auf 200 Milliarden, er enthielte sie den Rentnern vor. Dann haben wir hier zusammen beschlossen, was man mit dem zusätzlichen Geld macht, also nicht gegen Ihre Stimmen. Zum Teil gab es doch Ihrerseits Anträge, die weit über die unseren hinausgingen. Jetzt aber tun Sie so, als stünden wir vor einem Problem, das nicht den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf ein dynamisches Rentensystem entspringe, das ja praktisch ein Umlageverfahren ist — die Aktiven bringen das auf, was die Rentner bekommen —, sondern darin, daß die Mannschaft gewissermaßen Fehler beim Navigieren mache. Das ist doch eine unsinnige Diskussion!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich bin bereit, eine Kritik zu diskutieren.

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Wie großzügig!)

    — Ach, Herr Biedenkopf, wenn Sie einmal Kritik akzeptieren würden, wäre das noch sehr viel schöner. Ich bin dazu immer bereit, und hier akzeptiere ich die folgende Kritik: Man kann sagen: Gut, was du sagst, ist im Grundsatz richtig, aber hättet ihr dann nicht gleich Nägel mit Köpfen machen sollen, statt erst einmal abzuspecken, dann umzufinanzieren und jetzt schließlich doch — schon wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts — vor der Frage zu stehen, wie das System grundsätzlich aussehen wird? Diese Frage kann man stellen; sie ist berechtigt. Ich sage nur, es ist nicht nur menschlich verständlich, sondern auch ganz vernünftig, wenn man an eine solche Sache nicht voreilig herangeht.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Weil 1980 Wahlen sind!)

    — Aber nein, Herr Vogel! Im Wahlkampf war es doch so: Wir hatten Prognosen einer Wirtschaftsentwicklung, die nicht eingetreten sind.

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    — Ja, Sie reden heute davon, was Helmut Schmidt im Wahlkampf zu den Renten gesagt hat, ohne zu erwähnen, daß Herr Kohl damals im Fernsehen genau das gleiche gesagt hat, von einer „Rentengarantie" hat er gesprochen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Ich richte an Sie die herzliche Bitte — denn ich sehe nicht, daß die Zeiten sehr viel einfacher werden, daß die See schnell ruhiger werden wird —: Lassen Sie uns doch die sachlichen Schwierigkeiten, vor denen wir gemeinsam stehen, erörtern, statt all diese Schwierigkeiten, die es nicht nur in der Bundesrepublik gibt, sondern die weit über die Bundesrepublik hinaus in einer Weltwirtschaftskrise begründet sind, in dieser parteipolitischen, kleinkarierten Weise, in der leider auch Sie, Herr Biedenkopf, es gemacht haben, der Regierung anzulasten.

    (Beifall bei der SPD)

    Dann zu einem konkreten Punkt: Herr Biedenkopf, was Sie über die Sparquote gesagt haben, fand ich interessant. Das, was wir sonst den Sparern gesagt haben — insbesondere am Weltspartag —, lautet ganz anders. Es lautete, daß für Zukunftssicherung gespart werden soll. Und es ist doch auch ein Witz, zu behaupten, die Sparquote in* Deutschland sei erst jetzt hoch. Wenn sie noch höher ist als früher, dann u. a. deswegen, weil unsere Politik den Rentnern überhaupt erst Geld gegeben hat, das sie sparen können.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung!)

    — Darauf kann ich nur antworten, daß Sie keine Ahnung haben; denn jeder von uns hat unendlich viel mit Rentnern zu tun, die Ihnen das bestätigen werden.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die Rentner sind ja auch gar nicht unvernünftig. Die Rentner wissen, daß in einer Weltwirtschaftskrise die Renten nicht so weitersteigen können wie bisher. Das wissen die!

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber es ist unverantwortlich, hier so zu tun, als wäre ihre Alterssicherung gefährdet und als würde der Generationenvertrag gebrochen. Wem soll denn das etwas nützen?

    (Beifall bei der SPD — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Sehen Sie, Herr Biedenkopf, ich lese da ja auch die Aufgabenstellung Ihres neuen' Instituts, von dem ich nicht weiß, wie es mit der CDU verbunden ist,

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Und wer es finanziert!)




    Dr. Ehmke
    und ich sage Ihnen, wir müssen dann bei allen diesen liberal-konservativen Redensarten einmal klären, was gemeint ist. Wenn Sie mit uns der Meinung sind, daß in einer Industriegesellschaft die soziale Sicherheit, die Absicherung von Lebensrisiken, auf Solidarität beruht, diese Solidarität aber nicht immer etatistisch organisiert sein muß, können wir, glaube ich, ein ganzes Stück Weges gemeinsam gehen. Sie wissen, daß etwa der „Orientierungsrahmen 1985", den Sie ja auch apostrophiert haben, gerade in dieser Richtung antietatistische Vorschläge macht. Nur ist uns bis jetzt nicht klar, ob es hier um Antietatismus oder um Entsolidarisierung geht; denn das, was Sie etwa zur Privatisierung der Dienstleistungen vorgeschlagen haben, war das Gegenteil von dem, was wir Solidarität nennen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Herr Biedenkopf, lassen Sie mich dann kurz auf die Art Ihrer ordnungspolitischen Argumentation eingehen. Die wirtschaftspolitische Diskussion ist für meine Begriffe auch deshalb so vergiftet, weil Modellvorstellungen der Nationalökonomie, genauer gesagt, der Freiburger Schule, wirtschaftspolitisch mißbraucht werden. Bei Ihnen nehmen wir das allerdings nicht so ernst, denn Sie treten hier als neoliberaler Ordnungspolitiker auf, gegenüber den Sozialausschüssen bekennen Sie sich zum Ahlener Programm, und vor den Wirtschaftsausschüssen fordern Sie eine Antigewerkschaftsgesetzgebung oder eine Antiverbandsgesetzgebung. Das alles ist nicht sehr glaubwürdig und paßt nicht zueinander.

    (Abg. Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Biedenkopf, jetzt nicht! Jetzt möchte ich weitersprechen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Herr Biedenkopf, Sie dürfen Ihre Frage gleich stellen, wenn ich mit der Argumentation zur Ordnungspolitik fertig bin.

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU]: Das ist ja der beste Beweis!)

    Ich möchte diesen Gedanken erst zu Ende vortragen.

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Ich lege keinen Wert mehr darauf!)

    Ich sage zunächst einmal: Diese Modelle reinen Wettbewerbs können wissenschaftlich einen hermeneutischen Wert haben, aber wirtschaftspolitisch gewendet verzerren sie die wirtschaftspolitische Diskussion. Unsere Wirklichkeit ist eine gemischte Wirtschaftsordnung, die aus vielen Elementen besteht, während Sie einige Elemente herausziehen und sie zum Maßstab des Ganzen machen. Sie erheben etwas zur Norm, was Sie sich wünschen, was aber wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Daraus resultiert dann ein Moralisieren gegen alles, was in der Wirklichkeit — wir haben z. B. eben über den Agrarsektor diskutiert — mit diesem schönen Modell nicht übereinstimmt. Das geht dann bis zur Denunziation: „Freiheit oder Sozialismus". Was soll eine solche ordnungspolitische Debatte?

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Das ist die Realität, keine Denunziation!)

    — Doch, es ist eine Denunziation. Es wird als Mittel der Denunziation eingesetzt. Herr Biedenkopf, das, was ich bis jetzt von Ihnen vernommen habe, ist im wesentlichen eine pseudowissenschaftlich verbrämte Rechtfertigungstheorie des Status quo der „vested interests", mehr nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie wie Herr Kollege Strauß reden über die wirtschaftspolitische Situation: Sie reden über die Löhne, die Überbelastung des Systems der Sozialen Sicherheit und über die anderen beiden Punkte, die Sie genannt haben. Aber über Märkte und Unternehmen, darüber, daß der Weltmarkt in Unordnung ist und daß die Unternehmer, obgleich Geld da ist, nicht produzieren, weil sie nicht wissen, was ihre Märkte sein werden, darüber reden Sie und Herr Strauß kein Wort.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn das, was Sie sagen, wahr wäre, könnten Sie nicht erklären, warum wir branchenmäßig eine so völlig unterschiedliche Entwicklung haben. Sie geben immer Allgemeinheiten von sich, so als ob diese Allgemeinheiten die sehr differenzierte Problematik packen könnten. Strukturpolitik kommt bei Ihnen gar nicht vor, obwohl die Regierungen aller Länder — nicht nur die Regierung der Bundesrepublik — die Strukturpolitik heute als ihre größte Aufgabe ansehen. Soweit man Arbeitslosigkeit mit Wachstum beseitigen kann — es wird übrigens nicht nur mit Wachstum gehen, schon gar nicht nur mit Wachstum auf Produktionsebene; darin stimme ich Ihnen zu —, müssen wir hier doch, statt Marktmodelle und ordnungspolitische Modelle ideologisch groß in den Raum zu stellen, fragen, was wir konkret tun können. Von der theoretischen Tugend ordnungspolitischer Modelle wird kein Hungriger satt und bekommt kein Arbeitsloser Arbeit.

    (Beifall bei der SPD — Abg. Dr. Köhler [Duisburg] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Im Augenblick nicht.


Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
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    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen. Herr Biedenkopf hat eine Frage frei; ansonsten möchte ich jetzt in meiner Rede fortfahren, wie Herr Biedenkopf es auch getan hat.
    Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenbündel vorgeschlagen und teilweise bereits verwirklicht. Herr Strauß und Sie haben nicht einen konkreten Vorschlag gemacht. Sie haben sich in Allgemeinheiten ergangen, zum Teil in solchen ideologischer Art. Sie haben nicht einen Vorschlag im Hinblick auf das, was gemacht werden soll, unterbreitet.

    (Nordlohne [CDU/CSU] : Ehmke hat gar nicht hingehört!)

    Herr Biedenkopf, meine Fraktion und ich sind der Meinung, wir sollten die Bundesregierung auf drei Punkte besonders hinweisen.



    Dr. Ehmke
    Erstens. Wir sind der Meinung, daß im Nord-SüdVerhältnis, dessen Bedeutung für die Weltwirtschaft und die Ankurbelung ja außer Streit steht, noch nicht genügend getan worden ist. Die Bundesregierung sollte ermutigt werden, über Paris hinaus, das noch nicht zu vernüftigen Ergebnissen geführt hat, weiter voranzugehen. Hier liegt eines der zentralen Probleme der Weltmarktpolitik, das übrigens auch nicht mit Ordnungspolitik à la Biedenkopf zu lösen ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Wir stehen in Europa vor der Gefahr — ich wundere mich, daß Europa. die Krise bisher so gut überstanden hat —, daß, wenn die Krise weitergeht, die Disproportionalitäten zwischen den Ländern wachsen, übrigens weitgehend als Ergebnis von Marktkräften — das ist eine der Kehrseiten unserer guten Stellung, die man auch sehen muß — und daß von daher der Hang zum Protektionismus größer wird. Da wir gegen diesen Protektionismus sind, Herr Biedenkopf, muß man überlegen: Was kann man gerade auch angesichts des Beitritts der drei südeuropäischen Länder tun, um neue Impulse in die europäische Einigung zu bringen? Ich darf die Regierung noch einmal bitten, den Gedanken eines europäischen Investitionsprogramms positiv aufzugreifen, das das Kapital dort hinbringt, wo Investitionen am meisten gebraucht werden, das Kapital zu den Leuten bringt, statt noch mehr Leute von außen in die Ballungszentren zu ziehen

    (Zuruf des Abg. Dr. Biedenkopf [CDU/CSU])

    — ich komme gleich dazu —; ich bitte die Bundesregierung, sich der Frage eines solchen Europäischen Solidaritätsprogramms positiv anzunehmen, für das wir in diesen Haushalt einen Leertitel eingestellt haben. Wir sind der Meinung, alle Fraktionen des Hauses, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und alle Länder, die daran teilnehmen könnten, sollten von uns dazu bewegt werden, etwas zu tun, was den Beitrittsländern nicht nur sagt, sondern auch zeigt, daß wir sie wirklich wollen. Damit würden wir auch den schwierigen Prozeß bis zum vollzogenen Beitritt erleichtern.
    Ich mache mir Sorgen, ob die EG mit dem Beitritt so lange warten kann — ich spreche den Wirtschaftsminister wie den Außenminister an —, wenn ich sehe, in welchen Schwierigkeiten, wirtschaftlich bedingt, sowohl die portugiesische Regierung als auch die griechische Regierung und auch die spanische Regierung sind. Hier kann Europa zeigen, daß es Sinn für Solidarität und daß es schöpferische Kraft hat. Hier können wir etwas unternehmen, was bei uns zu Hause Arbeitsplätze schafft, was die Notwendigkeit des Strukturwandels nicht aufheben, ihn aber erleichtern und uns für ihn mehr Zeit geben würde.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn ich nun noch einmal kurz auf einiges eingehen darf, was Sie und Herr Strauß zur wirtschaftspolitischen Lage in der Bundesrepublik gesagt haben: Herr Biedenkopf, es ist doch ganz unbestritten, daß wir im Augenblick große Schwierigkeiten auf dem Exportsektor haben, u. a. durch die Dollar-Krise. Ich war sehr erstaunt zu hören, daß uns Herr
    Strauß, der große Befürworter des Exports — er war ja seinerzeit sogar gegen die D-Mark-Aufwertung und damit für das Bestehenlassen der Unterbewertung der D-Mark, um unsere Exportchancen zu nutzen —, nun den Rat gibt, nicht auf Export zu setzen. Das ist ein bißchen spät am Abend. Wir haben eine Struktur, bei der man sowohl im Weltmaßstab wie im europäischen Maßstab die Frage der Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten eben nicht einfach hinten dranschieben kann mit dem Bemerken, Export sei nicht so wichtig, bei der man nicht so tun kann, als ob alle Schwierigkeiten nur aus dem Binnenmarkt kommen.
    Aber wenn man nun schon so einseitig auf die Bedeutung des Binnenmarktes setzt, wie das sowohl Herr Strauß als auch Herr Biedenkopf getan haben, wie kann man dann im gleichen Atemzug sagen, man solle aber keine Kaufkraft über höhere Löhne schaffen — über die Höhe kann man ja immer reden — und vor allen Dingen auch keine Verschuldung machen, mit der wir die Investitionsprogramme finanzieren? Das Ergebnis ist: Die Außenwirtschaft ist angeblich unwichtig — obwohl dort die Krise herkommt —, und innen machen wir gar nichts, sondern klopfen fromme konservativ-liberale Sprüche, wie Herr Biedenkopf das tut. Was soll denn daraus an Anregungen für die Wirtschaft kommen?

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Schmöle [CDU/CSU] : Ihre Flaute!)

    Ein Punkt, den ich in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, in der die Mitbestimmungsklage von Unternehmern die sozialen Spannungen leider in verantwortungsloser Weise erhöht hat, für besonders gefährlich halte, ist nun der Versuch, das Ganze durch ein Mittel zu lösen, durch einen Lohnverzicht der Gewerkschaften. Das wird in verschiedenem Grade angesprochen; Herr Strauß war vorsichtiger als Sie. Dazu sage ich Ihnen: Keiner übersieht den Lohn als Kostenfaktor, keiner übersieht die Frage des Eigenkapitals und der Vermögensbildung, wobei Sie allerdings zwei Dinge, glaube ich, vergessen haben: erstens, daß Sie mit dem Aktienumtausch nach dem Krieg die ersten waren, die die Großwirtschaft gegenüber dem Mittelstand begünstigt haben,

    (Beifall bei der SPD)

    und zweitens, daß die — wie Sie sagen — Aktienferne der Arbeitnehmer nicht in unserer Politik liegt, sondern seit langem in der Arbeiterschaft verwurzelt ist. Auch Sie haben es ja mit Ihren Reprivatisierungsmaßnahmen und den „Volksaktien" nicht geschafft, die Arbeitnehmer in größerem Maße an die Aktie heranzuführen. Es ist unredlich, nun auch noch diesen Tatbestand der Regierung in die Schuhe schieben zu wollen. Das ist eine Argumentation, die wirklich sinnlos ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Sehen Sie, Sie selbst haben im Januar hier gesagt, daß Sie den Gewerkschaften eine vernünftige, realistische Lohnpolitik bescheinigen müssen. Warum dann dauernd der Druck auf die eine Seite?
    Der Bundeskanzler hat schon zweierlei gesagt. Erstens. In einem Land mit hohem Lebensstandard ha-



    Dr. Ehmke
    ben wir auch hohe Löhne. Ich hielte es für völlig falsch, in der Strukturkrise, von der Sie nie reden, eine defensive Politik des Lohnverzichts zu fahren, d. h. den Versuch zu machen, international nicht mehr wettbewerbsfähige Betriebe und Branchen zu halten und durch ein Heruntergehen unter das Lohnniveau, das an sich unsere Gesellschaft hergeben könnte.

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Das habe ich nie vorgeschlagen!)

    Das würde das Gegenteil bewirken; es würde die Umstrukturierung erschweren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Richtig!)

    Zweitens hat der Bundeskanzler auf folgendes hingewiesen: Wir haben im internationalen Vergleich im Augenblick nicht ein sprunghaftes Steigen der Lohnstückkosten, sondern unsere eigentlichen Schwierigkeiten liegen in den Wechselkursrelationen. Das zeigt auch die Statistik.

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Im Jahreswirtschaftsbericht steht es anders!)

    — Dann lesen Sie die Statistik der Bundesbank. Da zeigt sich, daß wir zwar eine weitere Entwicklung der Lohnstückkosten haben, daß aber die wirklich ,gefährliche Relation zu anderen Ländern erst über die Wechselkursrelation entsteht, d. h. über die ständige Aufwertung der D-Mark und die jetzt eingetretene Unterbewertung des Dollars. Solange das nicht gestoppt ist, wäre ein Lohnverzicht übrigens auch unwirksam.
    Herr Kollege Junghans hat schon darauf hingewiesen, daß zwischen Lohnverzicht und Inflationsschub durch Lohnpolitik ein breiter Spielraum besteht, den die Gewerkschaften nutzen können. Ich sage noch einmal: Wir wenden uns dagegen, so zu tun — das tut übrigens der Jahreswirtschaftsbericht auch nicht; an diesem Punkt unterscheidet er sich deutlich vom Sachverständigengutachten —, als ob dies d e r Angelpunkt unserer ganzen Wirtschaftspolitik sei.
    Zur Nachfrage: Wir können doch nicht in einem „halben Kreislauf" argumentieren. Wir behaupten ja nicht, daß der Lohn in bezug auf die Nachfrage der ewige Anstoßfaktor sei. Aber Sie können doch die Nachfrage nicht vergessen, dann müßten Sie auch alles vergessen, was Sie z. B. bei der Steuerentlastung hinsichtlich der Anregung der Konsumnachfrage vorgetragen haben. Was für die Steuerentlastung gilt, gilt auch für die Löhne. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat gerade gemahnt, die Bedeutung der Lohnpolitik für die Nachfrage und von der Nachfrage her für die Konjunktur nicht zu übersehen.
    Schließlich möchte ich noch auf folgenden Punkt zu sprechen kommen, den Herr Strauß angesprochen hat, ohne Namen zu nennen. Ich nenne den Namen: Unser Kollege Wolfgang Roth hat darauf aufmerksam gemacht, daß wir eine „Ordnungspolitik" für sehr gefährlich halten, die zwar die Lohnpolitik der Gewerkschaften in gesamtwirtschaftliche Verantwortung nehmen will, die Arbeitgeber aber in bezug auf
    Investitionen und Arbeitsplätze der Freiheit des Marktes überläßt. Wir machen ja noch nicht einmal bei Subventionen arbeitsplatzsichernde Auflagen.
    Ich frage Sie, Herr Biedenkopf, und zwar auch ordnungspolitisch: Hält man so das soziale Gleichgewicht aufrecht? Eine solch einseitige Politik, wie Herr Strauß und Sie sie vertreten, kann nicht gutgehen. Es wäre kurzsichtig von der einen Seite, den Vorteil, den sie in dieser schweren Arbeitsmarktlage gegenüber den Gewerkschaften hat, in diesem Sinne auszunutzen. Davor können wir nur dringend warnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir müssen helfen, daß man auf beiden Seiten zu einer Gesamtverantwortung kommt und nicht nur der einen Seite die Lasten der Krise auferlegt.