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ID0806811000

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    Plenarprotokoll 8/68 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 68. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1978 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung . . . . . 5263 A Pairing-Vereinbarungen 5263 C Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksachen 8/950, 8/1285 — Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksache 8/1368 — in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 8/1377 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksache 8/1383 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 8/1387 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1977 bis 1981 — Drucksachen 8/951, 8/1286, 8/1421 — Haase (Kassel) CDU/CSU 5264 A Grobecker SPD 5267 B Gärtner FDP 5269 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 5273 D Westphal SPD 5278 A Frau Matthäus-Maier FDP 5282 A Dr. Apel, Bundesminister BMF . . . . 5284 C Augstein SPD 5289 C Wohlrabe CDU/CSU . . . . . 5291 B, 5293 C Dr. Dübber SPD 5293 A Hoppe FDP 5294 C Frau Pieser CDU/CSU . . . . . . 5295 B Augstein SPD 5298 B Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1978 Präsident Carstens 5274 C Vizepräsident Stücklen 5293 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 8/1370 — Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 5300 A Simpfendörfer SPD 5303 D Paintner FDP 5306 D Ertl, Bundesminister BML . . . . . . 5308 D Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksache 8/1369 — Dr. Waigel CDU/CSU . . . . . . . . 5311 D Dr. Sperling SPD 5315 C Dr. Biedenkopf CDU/CSU . . . . . . 5318 B Dr. Ehmke SPD 5326 A Dr. Haussmann FDP 5333 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 5335 B Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — Drucksachen 8/1372, 8/1424 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 5344 B Müller (Nordenham) SPD 5346 C Ollesch FDP 5348 C Gscheidle, Bundesminister BMV/BMP . 5350 B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/1373 — . . . . . . 5351 D Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 8/1366 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 8/1384 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 8/1386 — Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . . 5352 A Liedtke SPD 5356 A Dr. Wendig FDP 5359 D Spranger CDU/CSU 5362 C Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 5366 A Walther SPD 5371 B Metz CDU/CSU 5371 D Namentliche Abstimmung . . . 5371 D, 5373 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 8/1367 — Dr. Friedmann CDU/CSU 5374 D Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . . 5377 B Kleinert FDP 5379 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . 5383 B Dürr SPD 5385 B Dr. Vogel, Bundesminister BMJ 5386 C Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/1385 — 5392 C Nächste Sitzung 5392 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5393* A Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1978 5263 68. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1978 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Bayerl * 25. 1. Dr. Dollinger 25. 1. Dr. Fuchs * 25. 1. Jung * 25. 1. Dr. Kraske 27. 1. Dr. Kreile 27. 1. Frau Krone-Appuhn 27. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Lampersbach 26. 1. Luster * 25. 1. Dr. Mende ** 25. 1. Dr. Müller ** 25. 1. Dr. Müller-Hermann * 25. 1. Offergeld 27. 1. Reddemann ** 25. 1. Scheffler ** 25. 1. Schmidt (München) * 25. 1. Dr. Schwencke (Nienburg) *' 25. 1. Seefeld * 25. 1. Dr. Starke (Franken) * 25. 1. Dr. Todenhöfer 24. 2. Dr. Vohrer ** 25. 1. Baron von Wrangel 27. 1.
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    Rede von Dr. Kurt H. Biedenkopf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Erörterung des Einzelplans 09 können wir — und das scheint mir notwendig zu sein — eine Analyse der allgemeinen Zusammenhänge und der ordnungspolitischen Grundlagen verbinden, auf denen die Wirtschaftspolitik in unserem Lande aufbaut. Mein Herr Vorredner hat diese Frage. angesprochen. Er hat, wie ich glaube, dem Hohen Hause einen eindrucksvollen Beweis für den Umstand geliefert, daß eine marktwirtschaftliche Ordnungspolitik in dieser Regierung kaum eine Chance hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Denn bereits sein Verständnis von marktwirtschaftlicher Ordnung und die Ausführungen zur sogenannten reinen Marktwirtschaft gehen nicht nur an der Realität einer 20jährigen erfolgreichen Politik von CDU und CSU auf Bundesebene vorbei, sondern auch an dem, was der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister wiederholt sich selbst zu eigen gemacht haben, daß es nämlich eine untrennbare Verbindung zwischen der marktwirtschaftlichen Steuerung der Märkte und der sozialen Verpflichtung aller Einrichtungen, die wir dafür geschaffen haben, gibt.
    Blickt man auf die zurückliegenden Jahre, so kann man feststellen, daß es der Bundesregierung trotz dauernder Ankündigungen nicht gelungen ist, die wichtigsten und schwierigsten Probleme der Wirtschaftspolitik zu bewältigen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wir haben jetzt seit vier Jahren ununterbrochen 1 Million Arbeitslose. Wir haben im Jahre 1977 die Inflationsrate von 1972 wieder erreicht. Der Weg von 1972 bis heute hat Milliarden von Spargeldern, Milliardenvermögen gerade der Männer und Frauen, der Mitbürgerinnen und Mitbürger zerstört, für die Politik zu machen die Sozialdemokraten ständig vorgeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Inflationsrate von heute ist noch immer zu hoch.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Sagen Sie doch einmal, wie Sie das verhinderm wollen!)

    Die Projektionen im Jahreswirtschaftsbericht für das Jahr 1978 streben an, diese Rate weiter zu verringern. Aber diese Projektionen sind nicht sehr zuverlässig. Vergleicht man die Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts 1977 mit den Realitäten, so zeigt sich, daß das Wachstum nicht 5, sondern 2,5 % betragen hat, daß die Arbeitslosigkeit nach wie vor bei 4,5 statt unter 4 % liegt, daß die Unternehmenseinkommen nicht um 9 bis 10 %, sondern nur um 2,5 % gestiegen sind und daß die Anlageinvestitionen nicht um 9 bis 10 %, sondern nur um 6,5 % zugenommen haben.
    Allein in diesen wenigen Zahlen kommen die wichtigsten Gründe für die fortdauernde Stagnation zum Ausdruck. Die Investitionen in unserem Lande — das hat Franz Josef Strauß gestern morgen betont — überaltern zunehmend. Die Finanzen des Staates sind durch eine wachsende Überschuldung gekennzeichnet. Es ist doch, meine Damen und Herren, eine dramatische Sache, daß die Steuereinnahmen des Bundes für dieses Haushaltsjahr, dessen Haushalt wir jetzt diskutieren, nicht ausreichen, um auch nur eine Mark für Investitionen auszugeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die gesamten Investitionen im Jahre 1978 werden auf dem Kreditwege finanziert! Es gibt keine investive Verwendung der Steuermittel mehr, die die Bürgerinnen und Bürger im Jahre 1978 verdienen. Das heißt, daß der Staat, daß die Bundesrepublik Deutschland, daß die Bundesregierung die heute notwendigen Investitionen mit Mitteln bezahlt, die sie den nachwachsenden Generationen als Schulden hinterläßt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies entspricht durchaus der Entwicklung des Eigenkapitals in den Betrieben. Es gehört zu den traurigen Rekorden der Wirtschaftspolitik der Koalition während der letzten zehn Jahre, daß in die-



    Dr. Biedenkopf
    sen zehn Jahren nach Auskunft der Deutschen Bundesbank der Anteil des Eigenkapitals an den Bilanzsummen der deutschen Unternehmen von über 30 % auf 22 °/o gesunken ist. Das heißt, in diesen zehn Jahren ist ein Drittel des Eigenkapitals der deutschen Wirtschaft verbraucht worden.
    An 'die Stelle dieses Eigenkapitals sind Fremdmittel getreten. Aber die Fremdmittelfinanzierung der Industrie bedeutet, daß die Flexibilität, die Innovationsfähigkeit und .die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft zurückgehen. Gerade diese Innovations- und Anpassungsfähigkeit aber ist das, was wir brauchen, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es heißt dazu im Jahreswirtschaftsbericht, der heute Gegenstand der Kabinettsberatungen war — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —:
    Die angestrebte gesamtwirtschaftliche Entwicklung kann jedoch voraussichtlich nur dann erreicht werden, wenn sich allmählich ein sich selbst verstärkender Wachstumsprozeß entwikkelt, der zunehmend von privater Investitionstätigkeit getragen wird.
    Als Voraussetzung dafür wird im Jahreswirtschaftsbericht genannt, daß die Unternehmergewinne im Jahre 1978 wieder stärker steigen. Der Jahreswirtschaftsbericht bringt zum Ausdruck, daß die Bewältigung des zentralen Problems der Wirtschaftspolitik, nämlich die Sicherung eines sich selbst tragenden nachhaltigen Wirtschaftswachstums, und damit auch die Bewältigung des Problems der Arbeitslosigkeit nur möglich ist, wenn ausreichende Investitionen getätigt werden.
    Es heißt im Jahreswirtschaftsbericht weiter:
    Arbeitsplatzschaffende Investitionen werden aber nur dann zu erwarten sein, wenn trotz der gesteigerten Marktrisiken der Unternehmen ausreichende Erträge erwirtschaftet werden. Wesentliche Bedingung dafür ist neben der Nachfrage vor allem die Stärkung des Vertrauens von Konsumenten und Unternehmern.
    Ich kann dem nur zustimmen. Aber gerade deshalb, weil das Vertrauen von Konsumenten und Unternehmern notwendig ist, haben wir Anlaß zu begründeten Zweifeln, daß diese Ziele erreicht werden können.
    Der Herr Kollege Sperling hat gefragt: Wie soll man denn den Bund auffordern zu sparen, wenn alle anderen sparen? Herr Kollege Sperling, alle anderen sparen, weil der Bund nicht spart und weil die Leute 'deshalb Angst vor der Zukunft haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist doch eine Umkehrung von Ursache und Wirkung, wenn ich die Investitionspolitik der öffentlichen Hand in dieser Form — —

    (Löffler [SPD] : Das, was Sie gesagt haben, war sehr schwach, Herr Professor!)

    — Vielleicht haben Sie es nicht verstanden. Das kann natürlich sein.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Arroganz! — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Er kann nichts dafür! — Löffler [SPD] : Dies kann man doch nicht mit einem Lächeln aus der Welt' bringen!)

    — Das kann man auch mit Worten aus der Welt bringen. Ich will es Ihnen gerne erklären. Die Bevölkerung — einschließlich der Rentner — spart in diesem Land. Was bedeutet es denn, wenn Rentner sparen, obwohl sie ja nicht gerade mit Wohlstand gesegnet sind? Sie sparen, weil sie Angst vor der Zukunft haben, und diese Zukunft wird von Ihnen in diesem Land gestaltet.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Bewußte Unwahrheiten sind das!)

    Der Jahreswirtschaftsbericht soll hier jetzt nicht im einzelnen analysiert werden.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Dann reden Sie doch einmal mit den Rentnern! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Lesen Sie doch erst die Statistiken der Deutschen Bundesbank, ehe Sie solche Behauptungen aufstellen.
    Voraussetzung für eine Veränderung unserer wirtschaftspolitischen Lage ist eine zutreffende Analyse des Tatbestandes. Die Bundesregierung hat durch die Worte des 'Bundeskanzlers in der Regierungserklärung in der letzten Woche zum wiederholten Male die außenwirtschaftlichen Bedingungen für die Schwierigkeiten im Inland verantwortlich gemacht. Die Bundesregierung trägt die außenwirtschaftlichen Schwierigkeiten jetzt bereits seit sechs Jahren als Begründung für ihre eigene Unfähigkeit, Wirtschaftspolitik zu machen, vor sich her. Dabei weiß die 'Bundesregierung ganz genau, daß z. B. die Energiepreiserhöhung im Jahre 1973 auf ein Vierfaches des damaligen Preisniveaus längst konsumiert ist. Sie weiß ganz genau, daß die Energiepreise an den Preisen aller Produkte einen Anteil von etwa 1,5 °/o haben,

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Das ist ja nicht zu fassen!)

    während z. B. der Anteil der akkumulierten Lohnkosten an den Preisen für alle Produkte etwa 50 % ausmacht. Das bedeutet, daß sich eine Lohnerhöhung von 7 % in den Preisen mit rund 3,5 % niederschlägt. Diese Tatsachen festzustellen, ist die Voraussetzung dafür, daß man in verantwortungsvoller und intelligenter Weise über Lohnpolitik sprechen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die flexiblen Wechselkurse, die wir eingeführt haben, halten wesentliche ausländische Probleme von uns fern.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Wie halten Sie es denn mit der Tarifautonomie, Herr Professor?)




    Dr. Biedenkopf
    — Ich komme auf die Tarifautonomie noch zu sprechen.
    Das Entscheidende aber ist, daß wir im Jahre 1977 den zweithöchsten Exportüberschuß in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erzielt haben. Wenn man einen Exportüberschuß von fast 38 Milliarden DM erzielen kann, ist die Ursache für die Probleme im Inland, für die Arbeitslosigkeit nicht auf unseren Exportmärkten, sondern im Inneren zu suchen. Wir können dankbar sein, daß die Exportindustrie dafür gesorgt hat, daß die Probleme nicht noch schlimmer werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber die Bundesregierung vertritt offensichtlich die Auffassung, daß, wenn es durch das Dach regnet, nicht das Dach verantwortlich ist, sondern der Regen, und daß man entweder abwarten muß, bis es aufhört zu regnen, oder das ganze Haus abreißen muß — was die von der Linken präferierte Lösungsmethode ist —, um auf diese Weise den Schaden zu beheben.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Tatsächlich sind die außenwirtschaftlichen Einwirkungen auf unsere innere Konjunktur, auf unsere binnenwirtschaftliche Lage zurückgegangen, und wesentliche Ursachen für unsere Probleme liegen im Inneren. Ich möchte mich mit einigen dieser Ursachen aus Anlaß der Debatte über den Einzelplan 09 befassen.
    Nach meiner Auffassung sind insbesondere vier Ursachen für die gegenwärtige Stagnation und die Arbeitslosigkeit verantwortlich zu machen: einmal die Entwicklung der Lohn- und Einkommenspolitik, zum zweiten die Folgen einer Überlastung des Systems der sozialen Sicherung in manchen Bereichen, zum dritten eine Verbürokratisierung und Überlastung der Wirtschaft mit Reglementierungen einschließlich des öffentlichen Sektors, viertens die fehlenden Zukunftsperspektiven und die fehlende Umsetzung von Zukunftserkenntnissen in praktische Gegenwartspolitik. Was ganz entscheidend bei diesem vierten Punkt ist — ich werde darauf zurückkommen —, ist, daß das Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Gegenwart und den Notwendigkeiten der Zukunft in den letzten Jahren zunehmend gestört worden ist und daß diese Regierung mit ihrer geringen Mehrheit im Parlament, die nicht nur in der Terrorgesetzgebung, sondern auch in der Wirtschaftspolitik in Wirklichkeit gar nicht mehr besteht, diese Probleme nicht lösen kann.

    ('Beifall bei der CDU/CSU)

    Allen diesen greifbaren und nachweisbaren Ursachen liegt ein allgemeineres Dilemma der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der Bundesregierung zugrunde. Die Bundesregierung weigert sich, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland — und zwar gerade auf Grund der Leistungen der sozialen Marktwirtschaft — während der letzten fast 30 Jahre inzwischen eine Arbeitnehmergesellschaft geworden sind, daß 85 % unserer Bürger entweder Arbeitnehmer sind oder Arbeitnehmerhaushaltén angehören und daraus folgt, daß der überwiegende Teil der Forderungen, die im Namen der Arbeitnehmer von Parteien geltend gemacht werden, Forderungen sind, die von denselben Arbeitnehmern bezahlt werden müssen, welche die Forderungen angeblich erheben, welche sie aber in Wirklichkeit gar nicht mehr erheben, weil die Einsicht der Arbeitnehmerbevölkerung draußen in wirtschaftspolitische Zusammenhänge sehr viel weiter entwickelt ist als die mancher Systemveränderer.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das wirkliche Problem und der Grund für die Stagnation in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik ist, daß die Sozialpolitik unter sozialdemokratischer Einflußnahme inzwischen zu einer Umverteilungspolitik geworden ist und daß die einzigen, die von dieser Umverteilungspolitik noch profitieren, diejenigen sind, die vorwiegend nach parteipolitischen Gesichtspunkten die Umverteilungsbürokratie besetzen.

    (Dr. Ehmke [SPD] : Und die Rentner?)

    Diese Diskussion über die Umverteilung bedeutet, daß wir uns in der weiteren Entwicklung der Wirtschaftspolitik fragen müssen, ob wir nicht mit weiteren Belastungen des ökonomischen Kreislaufs genau das Vertrauen beeinträchtigen, das im Jähreswirtschaftsbericht für notwendig gehalten wird und das wir schon seit Jahren immer wieder als notwendig betonen, genau die Eigeninitiative beeinträchtigen, die wir brauchen, um die Schubkraft zu entwickeln, die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen, und genau die Bereitschaft zur selbstverantwortlichen Mitwirkung der Bevölkerung bei der Lösung unserer wirtschaftlichen Probleme dämpfen und abbauen, ohne die es unter freiheitlichen Bedingungen keine Genesung vom gegenwärtigen Stagnationszustand geben kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zunächst zum Problem der Lohn- und Einkommenspolitik. Daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lohn- und Einkommenspolitik einerseits und der Arbeitslosigkeit andererseits besteht, kann schlechterdings nicht geleugnet werden. Hier hat die Bundesregierung heute Fehler auszubaden, die in die Anfangszeit ihrer Regierungszeit zurückreichen. Insbesondere die ziemlich zu Beginn der Regierung Brandt abgegebene Vollbeschäftigungsgarantie hat dazu geführt, daß die beiden Tarifparteien aus der unmittelbaren Verantwortlichkeit für die Folgen ihrer Tarifpolitik, was die Arbeitslosigkeit anbetraf, entlassen wurden

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    und daß die Regierung gewissermaßen die Verantwortung für die Vollbeschäftigung übernommen hat, die sie aber unter Aufrechterhaltung der Tarifautonomie gar nicht übernehmen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diejenigen, die eine Vollbeschäftigungsgarantie ausgesprochen haben, haben damit zum Nachteil der Tarifautonomie den Zusammenhang zwischen dieser Autonomie, ihrer Ausübung und den Folgen



    Dr. Biedenkopf
    für die Arbeitnehmerbevölkerung aufgehoben. Es kann aber, wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom Mai 1974 gesagt hat, eine verantwortungsvolle Tarifautonomie nur geben, wenn die Folgen der Tarifpolitik in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reuschenbach?

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    Rede von Dr. Kurt H. Biedenkopf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Bitte schön.