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ID0806705700

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    Plenarprotokoll 8/67 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 67. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. Januar 1978 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung . . . . . 5147 A Amtliche Mitteilung ohne Verlesung . . . 5147 A Begrüßung einer Delegation des Landwirtschaftsausschusses der Brasilianischen Abgeordnetenkammer 5164 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksachen 8/950, 8/1285 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksache 8/1361 - 5147 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksache 8/1362 — Collet SPD 5147 D Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksache 8/1363 — 5149 C Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und . des Bundeskanzleramtes — Drucksache 8/1364 — Strauß CDU/CSU 5149 D Brandt SPD 5164 C Hoppe FDP 5173 B Dr. Apel, Bundesminister BMF 5179 D Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 5183 C, 5184 A Dr. Marx CDU/CSU (zur GO) 5183 D Porzner SPD (zur GO) 5184 A Friedrich (Würzburg) SPD 5190 D Dr. Bangemann FDP 5196 D Schmidt, Bundeskanzler 5202 D Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 5209 C Löffler SPD 5214 A Wohlrabe CDU/CSU 5215 C Esters SPD 5218 D Namentliche Abstimmung 5220 A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. Januar 1978 Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 8/1365 — Dr. Marx CDU/CSU . . . . . . . . 5222 A Frau Renger SPD 5229 A Picard CDU/CSU 5233 B Genscher, Bundesminister AA 5236 A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/1380 — Mattick SPD 5239 B Franke, Bundesminister BMB 5241 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksache 8/1378 — Picard CDU/CSU 5245 C Esters SPD 5247 C Gärtner FDP 5250 B Frau Schlei, Bundesminister BMZ . . . . 5251 A Dr. Hoffacker CDU/CSU . . . . . . . 5253 B Hofmann (Kronach) SPD 5257 C Dr. Vohrer FDP 5259 A Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/1376 — . . . . . . . 5260 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 1974 über die Verbreitung der durch Satelliten übertragenen programmtragenden Signale — Drucksache 8/1390 — 5260 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Oktober 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Island über die gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten — Drucksache 8/1358 — 5260 A Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altölgesetzes — Drucksache 8/1423 — 5260 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Agrarbericht 1977 — Drucksachen 8/80, 8/81, 8/1350 — . . . 5260 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung des Agrarberichts 1977 der Bundesregierung — Drucksachen 8/306, 8/1351 — . . . . 5260 C Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft „ehemalige Gallwitz-Kaserne" in Ulm an die Stadt Ulm — Drucksache 8/1352 — . . . . . . . 5260 C Beratung der Sammelübersicht 17 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen - Drucksache 8/1415 — . . . . . . . 5260 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Entwurf einer Richtlinie des Rates über bestimmte Erzeugnisse für die Tierernährung Vorschlag einer dritten Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/524/EWG über Zusatzstoffe in der Tierernährung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 74/63/EWG über die Festlegung von Höchstgehalten an unerwünschten Stoffen und Erzeugnissen in Futtermitteln und zur Änderung der Richtlinie 70/373/EWG über die Einführung gemeinschaftlicher Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die Untersuchung von Futtermitteln — Drucksachen 8/833, 8/1353 — 5260 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 über Vermarktungsnormen für Eier — Drucksachen 8/814, 8/1420 — 5261 A Nächste Sitzung 5261 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5263* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. Januar 1978 5147 67. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1978 Beginn: 9.00 Uhr
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    Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 24. 1. Alber ** 24. 1. Dr. Bardens ** 24. 1. Böhm (Melsungen) ** 24. 1. Frau von Bothmer ** 24. 1. Büchner (Speyer) ** 24. 1. Dr. Dollinger 24. 1. Dr. Enders ** 24. 1. Flämig * 24. 1. Dr. Geßner ** 24. 1. Handlos ** 24. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kreile 27. 1. Frau Krone-Appuhn 27. 1. Lagershausen** 24. 1. Lampersbach 24. 1. Lemmrich** 24. 1. Marquardt ** 24. 1. Dr. Müller ** 24. 1. Müller (Wadern) * 24. 1. Offergeld . 27. 1. Pawelczyk ** 24. 1. Reddemann ** 24. 1. Dr. Schäuble *' 24. 1. Scheffler ** 24. 1. Schmidthuber ** 24. 1. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 24. 1. Dr. Todenhöfer 24.2. Dr. Vohrer ** 24. 1. Frau Dr. Walz * 24. 1. Baron von Wrangel 27. 1.
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    Rede von Dr. Martin Bangemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Haushaltsdebatte — im besonderen die zum Etat des Bundeskanzlers — bietet eine sehr gute Gelegenheit, die Situation des Landes, für das man Politik macht, zu prüfen. Sie bietet aber auch eine gute Gelegenheit, sich selbst zu prüfen. Beides scheint mir nicht einfach zu sein, denn Verzerrungen sind in beiden Fällen vielleicht unvermeidbar.
    Daß wir uns beim Etat des Bundeskanzlers bis jetzt vorwiegend mit außenpolitischen Fragen beschäftigt haben, bietet aber vielleicht eine Möglichkeit, die Verzerrungen auszuschließen, die sich ergeben, wenn man selbst die Politik prüft, an der man beteiligt ist. Und diese Verzerrungen sind vielleicht größer als jene, die auftreten können, wenn die Bundesrepublik von außen betrachtet wird.



    Dr. Bangemann
    Meine Fraktion benutzt deswegen gerne die Gelegenheit, das Echo unserer eigenen Politik nach draußen einmal daraufhin zu überprüfen, welches Bild sich das Ausland von unserer Situation, von unserer Politik macht und welche Schlußfolgerungen daraus für uns selbst angemessen sind.
    Dabei muß man zunächst einmal davor warnen, gelegentliche Kommentare ausländischer Zeitungen als das ganze Bild der Meinungen des Auslandes über uns anzusehen. Es ist verständlich, daß solche Kommentare besonders dann, wenn sie sich uns gegenüber sehr bitter und kritisch äußern, große Aufmerksamkeit finden und daß dabei vergessen wird, wer der Urheber solcher Kommentare ist und mit welchen politischen Absichten sie gegeben werden. Ohne jeden Zweifel wird eine kommunistische Zeitung selbst dann, wenn sie eine französische Zeitung ist, in ihre Kommentierung unserer Verhältnisse ihr politisches Urteil mit einfließen lassen. Das zu vergessen und diese Meinung dann als d i e französische Meinung zu nehmen, wäre falsch und würde uns selbst ein völlig falsches Bild dieses Echos liefern.
    Wenn man das ausschließt, stellt man fest, daß die Bundesrepublik ein Land ist, das von den benachbarten und mit ihr befreundeten Ländern wie auch von jenen, die ihr nicht so nahestehen, mit großer Hochachtung beurteilt wird. Das gilt von allen Bereichen der Politik, die heute angesprochen worden sind und an den folgenden Tagen noch angesprochen werden. Das gilt auch von der inneren Situation der Bundesrepublik, was die Bekämpfung des Terrorismus angeht. Wenn man diejenigen Stimmen ausschließt, die aus parteitaktischen Interessen heraus uns angreifen wollen, uns also subjektiv und verzerrt sehen, klingt bei allen Kommentaren die Hochachtung vor der Art und Weise durch, wie wir bisher mit diesem Phänomen, vor dem durch andere Länder stehen, fertig geworden sind.
    Es ist sicher auch richtig, daß bei der Bekämpfung des Terrorismus in der Vergangenheit durch die Einigkeit der Fraktionen in diesem Hause sehr viel dazu beigetragen worden ist, daß ein richtiges Bild von der Lebenskraft der Demokratie in unserem Lande entstanden ist, und wir sollten versuchen, dies beizubehalten. Das schließt nicht aus, daß man sich diesem Problem unterschiedlich nähert, und ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn der Kollege Strauß beispielsweise auf dem Problemfeld Gesetzgebung den Terrorismus in anderer Weise bekämpfen will, als ein Liberaler sich das vorstellt. Wenn ich davor gewarnt habe, daß auch in diesem Zusammenhang Gesetze mit Hast und heißer Nadel gemacht werden, war das die Warnung eines Liberalen vor den unvermeidlichen Fehlern, die entstehen, wenn man bei der Gesetzgebung mit Hast und Eile vorgeht. Wenn Herr Strauß diesen Fehler machen will, habe ich Verständnis dafür, denn ich habe ihn noch nie als Liberalen eingeschätzt.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Daß solche Grundsätze aber auch allgemein zum Gesetz des Handelns gemacht werden sollten, meine ich, sollte ungeteilte Meinung aller Fraktionen sein. Gerade die Oppositionsfraktion warnt immer davor — allerdings in anderen Zusammenhängen —, daß eine Flut von Gesetzen den Willen des Bürgers zur Zusammenarbeit in diesem Staate erstickt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!)

    Das ist richtig, wie Sie sagen. Warum soll das falsch sein, wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus geht? Warum soll, was auf der einen Seite von Ihnen mit Recht als Gefahr für das Rechtsbewußtsein gebrandmarkt wird, auf der anderen Seite richtig sein? Ich sage Ihnen: Ein Ausweis für die Stärke des Rechtsstaats liegt nicht in der Zahl, in der Menge von Gesetzen und auch gerade nicht in der Hast, mit der solche Gesetze beschlossen werden.

    (Beifall bei der FDP — Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Das habt ihr doch dauernd gemacht!)

    Wir haben versucht, bei dem einzigen Gesetz, bei dem Eile nötig war, weil der Schutz eines Menschenlebens zur Debatte stand, beim Kontaktsperregesetz, trotz der Eile, die wir in diesem Fall anerkannt haben, einen Rechtsgrundsatz durch einen Änderungsantrag zu verankern, der — nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs — für uns unzweifelhaft eine Leitlinie unseres Rechtsstaatsbewußtseins war, nämlich die Tatsache einer Verteidigung auch in einem solchen Fall. Sie sind uns nicht gefolgt. Wir beklagen uns nicht darüber; Sie waren anderer Meinung. Aber Sie können uns nicht zum Vorwurf machen, daß wir unseren eigenen Grundsätzen untreu werden, wenn es darum geht, Gesetzgebung auch auf diesem Gebiet vorzubringen und zu einem vernünftigen Ende zu bringen.
    Wenn wir uns über die Frage der Zuverlässigkeit bei der praktischen Bekämpfung des Terrorismus unterhalten, dann wollen wir gar nicht in eine Detaildiskussion eintreten; denn die wäre sehr peinlich für Sie. Ich nenne nur ein paar Namen: Mogadischu und Wiesbaden stehen für Erfolg und Tatkraft bei der Bekämpfung des Terrorismus, Stammheim steht für etwas anderes.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Auch wenn es darum geht, das Institut der Sicherungsverwahrung auszuweiten, müssen wir uns doch fragen, und zwar alle, ob das Institut der Sicherungsverwahrung, das mit Recht eine Ausnahme im Rechtssystem der Bundesrepublik geblieben ist — die zudem an ganz enge Voraussetzungen geknüpft ist —, nicht in einem direkten Widerspruch zu einem anderen tragenden Grundsatz unseres Rechtssystems steht, nämlich dem, daß Strafen auf das Ziel der Resozialisierung hin angelegt sein müssen. Nun weiß ich sehr wohl, daß das Ziel der Resozialisierung in einigen Fällen — deswegen kennen wir ja auch das Institut der Sicherungsverwahrung — eine Unmöglichkeit darstellen kann. Was wir befürchten, ist aber, daß dieses Institut,
    5198,

    Dr. Bangemann
    das auf diese Fälle der Unmöglichkeit angelegt ist, so erweitert wird, so zur Regel wird, daß der Grundsatz der Resozialisierung in unserem Rechtssystem zur Ausnahme wird und der Grundsatz einer Sicherungsverwahrung zur Regel werden kann. Das wollen wir nicht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dafür besteht keine Gefahr!)

    Wir wollen daran festhalten, daß Strafrecht dazu da ist, den Straftäter in die Gesellschaft und zu ihren Grundsätzen zurückzuführen und den Straftäter nicht auf Dauer aus dieser Gesellschaft auszuschließen. Das ist ein liberaler Grundsatz.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Franke [CDU/CSU] : Er will die Buback-Mörder resozialisieren!)

    Das gilt auch von dem wichtigeren Bereich der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus; denn man kann auf dem Gebiet des Polizeirechts und der Gesetzgebung versuchen, noch so wirkungsvolle Riegel vor eine Entwicklung vorzuschieben, die bereits eingetreten ist. Die sicherste Methode, eine solche Entwicklung zu vermeiden, ist eine geistige Auseinandersetzung mit dem Terrorismus. Gerade dann, wenn Sie von dem Gedanken ausgehen, daß solche Täter nicht resozialisiert werden können, werden Sie gezwungen sein, die Quellen zu verstopfen, aus denen sich der Terrorismus ständig speisen kann. Das ist allein möglich mit einer geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus.
    Meiner Meinung nach ist die einzige wichtige Frage in diesem Zusammenhang die nach dem Urteil über Gewalt. Wir dürfen dieses Problem nicht zu leicht nehmen; denn das Phänomen der Gewalt in einer modernen Gesellschaft stellt uns vor sehr schwierige Fragen.
    Man kann das Problem der Gewalt und ihrer Bekämpfung nicht einzig und allein auf den Zusammenhang beschränken, den dieses Problem mit dem Terrorismus hat; man muß es auch im Zusammenhang sehen mit den übrigen Auffassungen, die in einer Gesellschaft gelten. Eine Gesellschaft, die Gewalt relativiert, wird die Gewalt beim Terrorismus nicht bekämpfen können.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Wir müssen deswegen die Gewalt in dieser Gesellschaft bekämpfen. Wir müssen dort, wo diese Gesellschaft Gewalt zuläßt, diese Erscheinungen und Tendenzen von vornherein eindämmen, wenn wir das Ergebnis dieser Tendenzen nicht akzeptieren wollen, nämlich den Terrorismus.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gilt das auch für Gewalt gegen Sachen?)

    — Das gilt auch für die unzulässigen Differenzierungen zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen. Auch diese Differenzierung ist nicht zulässig, denn Gewalt ist Gewalt.

    (Beifall bei der FDP)

    Das gilt, Herr Kollege, auch für die meiner Meinung nach unzulässige Differenzierung zwischen
    reaktionärer und progressiver Gewalt. Es gibt auch keine progressive Gewalt; Gewalt ist immer reaktionär. Gewalt wird niemals zu friedlichen Verhältnissen führen.
    Deswegen sage ich Ihnen auch ganz klar: Ich werde mich auch in außenpolitischen Zusammenhängen immer dagegen wehren, daß wir revolutionären Bewegungen unter dem Signum einer Freiheitsbewegung eine Lizenz für sogenannte revolutionäre oder progressive Gewalt geben. Dies halte ich nicht für möglich.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Nun müssen wir uns in diesem Zusammenhang sicher fragen: Welche Rolle soll die Bundesrepublik in ihren internationalen Beziehungen spielen? Was soll sie als ihr eigenes Gewicht definieren? Dabei finde ich es sehr gut, daß der Kollege Friedrich, zunächst einmal bezogen auf den Besuch seiner Fraktion in Prag, gesagt hat, man könne die internationalen Beziehungen zu anderen Ländern nicht definieren nach der Übereinstimmung dieser Länder mit den politischen Grundauffassungen, die wir selber haben.
    Wir wissen alle — Herr Friedrich hat mit Recht darauf hingewiesen —, daß es in der Welt eine ganze Reihe von Ländern gibt, mit denen wir Beziehungen unterhalten müssen; obwohl diese Länder andere politische Grundauffassungen haben, als wir selber verteidigen wollen. Daraus nun den Schluß abzuleiten, daß Beziehungen zu diesen Ländern nicht möglich sind, ist das Ende einer internationalen Rolle der Bundesrepublik.
    -Das gilt von all diesen Ländern. Das möchte ich hier unterstreichen. Das gilt nicht nur für die Tschechoslowakei. Ich kenne eine ganze Reihe von Ländern, die man in diesem Zusammenhang nennen muß, zu denen internationale Beziehungen auch dann aufrechterhalten werden müssen, wenn ihre Auffassungen mit unseren moralischen Standpunkten nicht übereinstimmen.
    Herr von Weizsäcker hat von der Moral in der Politik gesprochen. Man kann darüber lange philosophieren, aber eines ist sicher richtig: Wenn sich Politik auf Moral gründet, dann darf sie nicht einäugig sein, dann muß sie diese moralischen Überzeugungen überall und immer da anwenden, wo sie danach gefragt wird, und kann keine willkürlichen Unterscheidungen machen.
    Das gilt im besonderen von unserer Beteiligung bei Konflikten, an denen wir vordergründig nicht beteiligt sind. Es ist wahr: Es scheint so zu sein, als ob wir am Nahostkonflikt nicht beteiligt sind. Daß dies nicht wahr ist, darüber waren wir uns eigentlich alle klar. Bis vor kurzem war es noch eine von allen geteilte Meinung, daß wir in diesem Konflikt gefragt waren, weil mit diesem Konflikt der Weltfrieden in Gefahr geraten konnte und wir dann selbst davon betroffen wären.
    Ich habe Verständnis dafür, daß Herr von Weizsäcker sagt: Nun laßt die Leute doch erst einmal ihre Regelung selbst zustande bringen. — Nur: Den Satz, den Sie in diesem Zusammenhang gesagt ha-



    Dr. Bangemann
    ben, nämlich wir könnten zu einer Friedensregelung nichts beitragen, halte ich für falsch. Ich halte ihn deswegen für falsch, weil das Gewicht der Bundesrepublik in der Europäischen Gemeinschaft —entgegen Ihrer zurückhaltenden Schilderung der Position, die wir dabei erlangt haben — so groß ist, daß wir die Haltung der Europäischen Gemeinschaft beeinflussen müssen. Ich halte auch das Gewicht der Europäischen Gemeinschaft in diesem Konflikt nicht nur für vorhanden, sondern sogar für notwendig. Ich bin davon überzeugt: Wenn die Europäische Gemeinschaft — und damit auch die Bundesrepublik — in diesem Konflikt nicht deutlich macht, daß eine dauerhafte Friedensregelung voraussetzt, daß niemand auf dem Wege zu einer solchen Friedensregelung territoriale Ansprüche durchsetzen will, werden wir die dauerhafte Friedensregelung nicht bekommen. Wir müssen Verständnis dafür haben, daß ein Land in Sicherheit leben will; wir können aber kein Verständnis dafür haben, daß ein Frieden erst dann erreicht wird, wenn territoriale Ansprüche durchgesetzt sind. Dies ist nach meiner Meinung der falsche Beginn einer solchen Regelung und wird ganz sicher nicht zu einem dauerhaften Frieden führen.

    (Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Ich habe nur gesagt: Wir können jetzt sehr viel weniger als später beitragen!)

    Herr von Weizsäcker, dasselbe gilt auch für die Frage, die Sie aufgeworfen haben, welches Verhältnis zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft besteht. Ich gebe zu, daß zunächst einmal der Gedanke, daß man eine solche Gemeinschaft zahlenmäßig vergrößert, dazu führen könnte, daß die Vertiefung erschwert wird. Nur muß das nicht so sein; denn es kommt sehr darauf an, mit welchem Willen diese drei neuen Länder in die Gemeinschaft eintreten. Nebenbei gesagt hat es mich immer stutzig gemacht, daß das Argument, das Sie hier angeführt haben, beispielsweise von Gaullisten am laufenden Band verwendet wird. Sie können nicht durch die Flure des Europäischen Parlaments gehen, ohne daß ein Gaullist Sie in eine Ecke zieht und Ihnen sagt: Passen Sie auf: Wenn wir jetzt um drei Länder größer werden, wird die Integration viel schwieriger. Ich frage dann immer zurück: Was hast du eigentlich bisher zur Integration beigetragen, das dich berechtigt, ein solches Argument vorzubringen? Das ist aber nicht entscheidend. Auch in diesem Zusammenhang ist für mich entscheidend, daß alle drei Länder unter ganz anderen Voraussetzungen als Großbritannien die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft anstreben, daß alle drei Linder von einer verstärkten Integration eigenen Vorteil haben werden und das auch wissen. Das führt dazu, daß sie mit einer sehr viel größeren Bereitschaft an dieser Integration mitwirken werden, als das vielleicht von dem einen oder anderen neuen Mitglied zu sagen ist, das der Gemeinschaft beigetreten ist.
    Das gilt auch hinsichtlich unserer eigenen Fragen nach Berlin, der DDR und der Entspannungspolitik. Ich weiß, daß Europa, die europäische Einigung, keine Garantie für eine Lösung der deutschen Fra-
    ge ist. Wir haben uns kürzlich in Berlin darüber unterhalten, ob das in diesem Zusammenhang möglich ist. Ich weiß aber auch, daß die Lösung der deutschen Frage ohne eine Integration Europas sehr viel schwieriger sein wird, wenn sie sich in unserem Sinne vollziehen soll. Deswegen meine ich, wir sollten diese Integration auch wegen des Beistandes vorantreiben, den wir dabei gewinnen können.
    Die Europäische Kommission hat zu der Auseinandersetzung, ob das Europäische Parlament in Berlin tagen kann, in diesen Tagen unmißverständlich erklärt, daß das Europäische Parlament selbstverständlich das Recht hat, überall dort in der Europäischen Gemeinschaft zu tagen, wo die Europäische Gemeinschaft politische Auswirkungen hat, wo sie politisch existent ist. Das ist sie in Berlin. Das ist eine Unterstützung unseres Standpunktes, den wir, glaube ich, nicht geringschätzen sollten.
    In diesem Zusammenhang wird die Diskussion immer wieder auf die „Spiegel"-Veröffentlichung gebracht. Dazu möchte ich sagen, daß es für die Beurteilung der politischen Wirkung dieser Veröffentlichung gar nicht so sehr entscheidend ist, ob alles in dieser Veröffentlichung authentisch ist. Darüber kann man lange philosophieren, man kann Textanalysen anstellen oder persönliche Erfahrungen beitragen, wie das der Kollege Friedrich gemacht hat. Wir wissen alle, daß Zeitungen von Zeit zu Zeit über Personen und Sachverhalte auch einmal Unrichtiges berichten. Daraus kann man aber nicht den Schluß ziehen, daß alles, was Zeitungen berichten, unrichtig ist. Es gibt auch Richtiges, das in Zeitungen steht.
    Die Frage ist: Wer macht was mit dieser Veröffentlichung? Dazu muß ich Ihnen von meiner Fraktion aus sagen: Wir werden alle diejenigen bekämpfen, die diese Veröffentlichung — unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch ist — benutzen, um die Entspannungspolitik zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Das ist der einzige politisch relevante Gesichtspunkt.

    (Beifall bei der FDP)

    Nehmen Sie einmal an, die Veröffentlichung ist von A bis Z falsch. Wer damit die Entspannungspolitik sabotieren will, tut etwas, das wir nicht zulassen werden. Nehmen Sie an, die Veröffentlichung ist von A bis Z wahr. Wer sie benutzen will, um die Entspannungspolitik zu sabotieren, wird uns ebenfalls zum Gegner haben.
    Jetzt prüfen Sie doch einmal Ihre eigene Position. Sie gehen bei der Zurückweisung von Mitgliedern Ihrer Fraktion durch DDR-Behörden davon aus, daß diese DDR-Regierung den Grundsätzen der Entspannungspolitik zuwidergehandelt hat. Wir unterstreichen das und haben gesagt: die DDR muß sich wegen dieser eklatanten Verletzung der Grundsätze entschuldigen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Hoppe hat das gesagt!)

    Die Frage ist ja aber nun nicht, warum sie das getan
    hat, warum sie sich nicht entschuldigt, sondern die



    Dr. Bangemann
    Frage ist, warum sie offenbar gezwungen ist, so zu handeln. Wenn wir das einmal untersuchen, werden wir feststellen — das hat ja eigentlich jeder in dieser Entspannungspolitik von vornherein gewußt —: eine demokratische Gesellschaftsordnung ist flexibler, ist entwicklungsfähiger und ist deswegen menschlicher. Sie kann sich auf die Notwendigkeiten eines solchen komplizierten Entspannungsprozesses einstellen. Eine bürokratische kommunistische Gesellschaftsordnung ist starr, verkrustet, unbeweglich, unmenschlich und wird sehr viel größere Schwierigkeiten haben, sich mit den Notwendigkeiten eines solchen Entspannungsprozesses vertraut zu machen und sich darauf einzustellen. Da wir das alle wissen — das ist ja ihre eigene Einschätzung dieser Gesellschaftsordnung —, bleibt uns doch nichts anderes übrig, als die Entspannungspolitik trotz der Unbeweglichkeit, trotz der Unmenschlichkeit dieser Systeme fortzusetzen. Denn sie ist die einzige Möglichkeit, zu menschlicheren Ergebnissen zu kommen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist ein so klarer und einfacher Gedankengang, daß es in der Tat erstaunlich ist, daß wir immer wieder auf diese Frage zurückkommen müssen.
    Die nationale Frage und ihre Verbindung zur Demokratie! Ich weiß, Herr von Weizsäcker, daß Sie — und ich bewundere das — die Neigung und auch die Fähigkeit haben, politische Probleme in einen größeren Zusammenhang zu stellen, wiewohl Ihre Rede sicherlich schon konzipiert war zur Regierungserklärung der vergangenen Woche; aber das macht sie ja nicht schlechter, wenn Sie sie heute hier gehalten haben.
    Die Verbindung des nationalen Gedankens mit dem demokratischen Gedanken war in der Zeit der Entstehung des Nationalstaates ein Weg der Nationen zu sich selbst. Heute würde ich die Verbindung beider Gedanken, der Nation und der Demokratie, als einen Weg der Nationen zu anderen Nationen interpretieren. Für mich ist die nationale Frage heute die Frage: wie kann ich in meiner kulturellen, nationalen Eigenständigkeit den Weg zur kulturellen und nationalen Eigenständigkeit anderer Nationen finden?
    Ich werde Ihnen gleich sagen, was das in der Europapolitik für mich praktisch bedeutet. Wenn es uns nicht gelingt, die Europäische Gemeinschaft demokratischer zu machen, dann werden wir den Weg der Nationen in dieser Gemeinschaft zu anderen Nationen nicht bahnen können. Die Frage der Demokratisierung der Gemeinschaft ist ja nicht nur eine Machtauseinandersetzung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat. Es ist die Frage, ob es der Demokratie in Europa gelingt, den Weg der Nationen zueinander zu eröffnen oder nicht. Deswegen sind wir für die Direktwahl und für die Aufhebung des demokratischen Defizits in der Europäischen Gemeinschaft. Das ist die Aufgabe der Demokratie und der Nationen heute, nicht
    mehr wie im 19. Jahrhundert eine Frage des Weges zu sich, sondern des Weges zu anderen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Bangemann, was Sie hier definieren, ist weniger unser Problem als das Problem Ihres Koalitionspartners!)

    — Herr Kohl, ich bin der Meinung, an dem Beginn dieser Auseinandersetzung um Europa sollten wir alle einige Regeln akzeptieren, die für jedermann in diesem Hause und bei diesem Wahlkampf gelten.
    Erstens. Wir sollten die Auseinandersetzung um die unterschiedlichen Vorstellungen von Europa gar nicht scheuen. Ich empfinde es als einen Vor- teil, daß wir vom Europa der Sonntagsreden loskommen und daß wir zu einer Auseinandersetzung um die sozialistische Vorstellung von Europa, die christdemokratische und die liberale Vorstellung kommen. Denn damit wird dem Bürger ja auch deutlich, daß es sich lohnt, sich für Europa einzusetzen, wenn die Parteien ihre unterschiedlichen Vorstellungen davon entwickeln.
    Zweitens. Ich glaube, daß wir uns vor jeglichem Monopolanspruch hüten sollten, was Europa angeht.

    (Beifall bei der FDP)

    Niemand in diesem Hause oder im europäischen Wahlkampf sollte sagen: Europa wird nur entstehen, wenn es sozialistisch ist, oder: es wird nicht entstehen, wenn es sozialistisch ist. Niemand sollte sagen: Wenn sich das konservative Europa nicht entwickelt, dann werden die Konservativen Europa ablehnen. Und das gilt für Liberale in gleicher Weise. In diesem Europa muß für Konservative, Sozialisten und Liberale in gleicher Weise Platz sein; sonst wird es nicht entstehen.
    Nun, brauchen wir einen Quantensprung, wie Herr von Weizsäcker gesagt hat, brauchen wir also eine völlige Veränderung der Qualität dieser Europäischen Gemeinschaft? Ich glaube nicht, daß das notwendig ist. Ich bin wie Herr von Weizsäcker der Auffassung, daß es falsch wäre, in einen unbegründeten Optimismus zu verfallen, und sicherlich wäre es völlig falsch, den Pessimismus nachzubeten, den man gewöhnlich antrifft, wenn man heute über Europa spricht. Es ist ja nicht mehr die Regel wie nach 1945, daß man unbegründeten Optimismus antrifft, Leute, die Grenzpfähle verbrennen und auf diese Weise Europa schaffen wollen, sondern in der Regel finden Sie eher Pessimismus, Skeptizismus, Zurückhaltung, wenn Sie sich mit diesen Fragen beschäftigen. Deswegen sollte unser Realismus, den wir hier anwenden, vielleicht doch ein bißchen optimistisch eingefärbt sein, um das zu konterkarieren.
    Daß wir aber keinen Quantensprung brauchen, um zu diesem Integrationsprozeß zu kommen, erkennt man, wenn man die Realitäten prüft. Ich bin der Überzeugung, daß Europa heute schon sehr viel mehr Wirklichkeit geworden ist, als die meisten von uns anzuerkennen bereit sind. Das liegt nicht nur in der Unkenntnis über diesen Prozeß, sondern das liegt natürlich auch daran, daß man sich wei-



    Dr. Bangemann
    gert, diese Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, weil man lieber in den alten, überholten Traditionen und Vorstellungen leben möchte.
    Ich will Ihnen ein ganz praktisches Beispiel dafür geben. Auf dem Höhepunkt der Debatte über die Folgen der Direktwahl im französischen Parlament, als Debré und seine Freunde das gesamte französische Parlament dazu gebracht haben, in einer Präambel zu dem Direktwahlgesetz darzulegen, daß sie mit dieser Direktwahl keine Folgen zu akzeptieren bereit sind, die die nationale Souveränität verletzen könnten und die eine Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments bedeuten würden, hat die Assemblée Nationale das Gesetz ratifiziert, durch das das Europäische Parlament das letzte Wort beim Haushalt erhalten hat.
    Sie sehen daran, wie stark und wie sehr Wirklichkeiten sich unterscheiden können von dem, was politisch als leere Hülle weitergetragen wird. Deswegen dürfen wir uns nicht täuschen. Wir haben zwar nicht das Europa des Alltags, es gibt Grenzkontrollen, wir haben nicht den gemeinsamen Paß — noch nicht —, wir haben alle diese Symbole unterbewertet, die für den Bürger Europa zu einer alltäglich erfahrbaren Realität machen. Das heißt aber nicht, daß dieses Europa nicht bereits Wirklichkeit ist. Diese Wirklichkeit ist vorhanden. Deswegen müssen wir davon ausgehen und dürfen bei unseren politischen Überlegungen nicht zu kleinmütig sein.
    Nebenbei gesagt, ich will jetzt hier nicht die Regierung verteidigen; sie kann das selber tun und wird das sicher auch noch machen; aber, Herr von Weizsäcker, wenn es einen Bereich in der Politik gibt, in dem diese Regierung, unbezweifelt von allen Partnern, die mit uns diese Politik betreiben, als Motor angesehen wird, dann den der europäischen Einigung.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wer hat denn, als die Verhandlungen über die Direktwahl zum Stocken kamen und man vor lauter Sitzverteilung nicht mehr wußte, ob das große Ziel noch allen vor Augen stand, dafür gesorgt, daß dieses große Ziel wieder in den Mittelpunkt der politischen Entscheidungen gerückt wurde? Das war doch der Außenminister dieser Regierung. Diese Regierung, meine Damen und Herren, hat überhaupt keine Unklarheit darüber gelassen,. daß wir im Integrationsprozeß diejenigen Partner in Europa sein werden, die die Verpflichtung haben, den anderen zu helfen. Das ist für eine Regierung, die ja darauf angelegt ist, ihren Bürgern manchmal auch unangenehme Dinge sagen zu müssen, eine dieser Handlungen gewesen, die Sie selbst, Herr von Weizsäcker, verlangt haben. Wir haben darüber nicht geschwiegen.
    Ich will Ihnen am Schluß meiner Ausführungen sagen, wie sich Liberale dieses Europa vorstellen, wobei ich nicht die Forderung erhebe, daß Sie alle diese Meinung teilen sollten. Aber Sie sollten wissen, mit welchen Vorstellungen wir diesen Wahlkampf beginnen.
    Erstens. Wir wollen ein demokratisches Europa, das heißt, ein stärkeres Parlament in diesem Europa und einen schwächeren Ministerrat. Das heißt auch Bürgerrechte für den Bürger der Gemeinschaft. Er muß Grundrechtsschutz in dieser Gemeinschaft vorfinden und bei Verletzung seiner Grundrechte sich an den Europäischen Gerichtshof wenden können.
    Zweitens. Dieses Europa muß ein friedliches Europa sein. Es darf nicht in den Fehler verfallen, überholte Großmachtvorstellungen zu den Leitlinien seiner Politik zu machen, sondern muß der Partner gerade auch der unterentwickelten Welt werden, und die Ansätze in der Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaft sind ermutigend.
    Drittens. Wir brauchen ein europäisches Europa. Dieses Europa soll kein Schmelztiegel nationaler Eigenheiten werden, sondern soll in der Einheit der vielfältigen nationalen und regionalen Kulturen dieses Kontinents seine Stärke finden.
    Viertens und letztens, meine Damen und Herren, wir müssen eine offene Gemeinschaft bleiben. Wenn wir uns als den Closed shop der glücklichen Besitzenden in dieser Gemeinschaft empfinden, dann werden wir den Gedanken der Demokratie, der hier entschieden wird, nicht stärken. Diese drei Länder, die den Weg zurück von der Diktatur zur Demokratie gefunden haben — und das allein ist schon bemerkenswert —, können auf die Unterstützung der Liberalen in Europa vertrauen. Wir werden uns für dieses Europa einsetzen als für die einzige Alternative, die heute einem Demokraten auf diesem Kontinent bleibt. Wer nämlich Demokrat ist und es bleiben will, der hat keine Alternative, der ist Europäer und muß es bleiben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein paar Bemerkungen zu dem, was bisher heute morgen und heute nachmittag hier vorgetragen worden ist.
    Man kommt ein bißchen in eine schwierige Lage, wenn man den Vorsatz hatte, der Sache zuliebe möglichst wenig Polemik einfließen zu lassen. Wenn man sich aber dann mit der Rede des Abgeordneten Strauß beschäftigen muß, dann dürfte man eigentlich auf sie gar nicht eingehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP) Trotzdem gibt es ein paar Punkte darin — — (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat gesessen!)

    — Das hat überhaupt nicht gesessen! Wenn jemand über eine Stunde redet, ohne ein konkretes Wort über das zu sagen, was er eigentlich selber will, kann man doch auf Ihrer Seite nicht unterstellen, die Rede habe „gesessen". Das Gegenteil ist wahr. Es war ein fantastisches Gemälde, das mich an Hieronymus Bosch erinnert hat: Lauter Scheußlichkeiten auf einem einzigen Bild, dargeboten im Stile von



    Bundeskanzler Schmidt
    Volkholz oder Alfred Loritz. Das war es, war wir wirklich erlebt haben heute morgen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

    Ich möchte aber, da hier mehrfach von einer Veranstaltung in der Bayerischen Landeshauptstadt in der letzten Woche die Rede war, zunächst einen eigenen Satz, den ich dort gesprochen habe, wörtlich wiederholen, nämlich diesen:
    Leidenschaft gibt's genug in unserer Politik in Deutschland, wenngleich keineswegs immer mit befriedigendem Tiefgang.
    Nachdem soviel aus München zitiert worden ist,
    darf ich meinerseits im Verhältnis zu der Rede des
    Herrn Abgeordneten Strauß an diesen Satz erinnern.
    Er hat Adam Smith zitiert; das ist ungefähr 200 Jahre her, Herr Strauß. Ich will nicht darüber rechten, ob er einer der Väter der modernen Volkswirtschaftslehre ist, wie Sie gesagt haben. Aber Sie haben Adam Smith zitiert als Kronzeugen für die schlimmen Folgen von Währungsentwertungen. Das mag ja nun richtig sein; dagegen ist auch nichts einzuwenden. Nur, ich nehme nicht an, daß Sie hier im Ernst von der Bundesrepublik Deutschland reden, was Währungsentwertung angeht. Sie haben doch heute morgen zum Beispiel mit einem ausländischen Präsidenten gesprochen. Der Oppositionsführer wird heute nachmittag denselben Herrn sprechen. Und so gibt es hundert oder zweihundert andere Herren auf der Welt, Staatschefs oder Ministerpräsidenten, die Ihnen das sagen, was Sie wissen und was ich Ihnen jetzt wiederhole: daß die Märkte der ganzen Welt die Deutsche Mark höher bewerten von Monat zu Monat, weil sie Vertrauen in unsere Wirtschaft haben, in die Sie, Herr Abgeordneter Strauß, das Vertrauen am liebsten zerstören möchten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist dort an jenem Sonnabend in Ihrer Landeshauptstadt, Herr Abgeordneter Strauß, über vielerlei wichtige Dinge gesprochen worden. Dabei fielen die folgenden Worte:
    Man kann unsere Gesellschaft mit starken Gründen von zwei Seiten her kritisieren. Man kann ihr vorwerfen, daß die realen, zumal die ökonomischen Machtverhältnisse aus ihr ein Zwangs-
    " system machen: der Vorwurf der Repressivität. Man kann ihr vorwerfen, sie richte sich durch vernunftlosen Gebrauch der Freiheit selbst zugrunde: der Vorwurf der Permissivität.
    Der betreffende Redner — es war Professor Carl Friedrich von Weizsäcker — fuhr fort:
    Gleichwohl dürfen wir und müssen wir unsere reale Gesellschaftsordnung verteidigen. Wir werden, wenn wir sie verlieren, keine bessere bekommen. Der liberale Rechtsstaat ist ein moralisches Gut ersten Ranges, und seine Verwirklichung in der repräsentativen Demokratie ist immerhin eine der intelligenten Erfindungen, die die Menschheit im Felde der Politik gemacht hat. Die Stärke des Systems liegt gerade darin,
    daß man es von seinen eigenen Prinzipien her kritisieren kann.
    Etwas später — auch daran fühlte ich mich erinnert, als ich Ihnen heute vormittag zuhörte; dies hat direkt Bezug zu den Themen, von denen sowohl der Abgeordnete Strauß als auch der Abgeordnete von Weizsäcker gesprochen haben — heißt es:
    Zumal in den schweren Wochen des Kampfes um das Leben von Hanns Martin Schleyer und das Leben der Crew und der Passagiere der entführten Lufthansa-Maschine haben die Verantwortlichen unseres Landes, Regierung, Opposition, Presse, Polizei, eine bewundernswerte, 'präzise Selbstbeherrschung gezeigt. Wir haben gezeigt, was wir können, wenn Not am Mann ist.
    Dann fuhr Herr Professor von Weizsäcker fort:
    Ich wage nicht zu sagen, wir hätten in den Intervallen zwischen den Angriffen der Versuchung widerstanden, einen nationalen Notstand als illegitime Waffe im legitimen Interessenkonflikt der Parteien, als Meinungsgift in einer vernunftlosen Polarisierung der politischen Emotionen zu benützen.
    Das trifft ganz genau den Punkt, an dem Sie heute morgen gewesen sind: Meinungsgift im Kampfe emotionalisierender politischer Konfrontation!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich füge einen Satz hinzu, der sich nun allerdings auch mit an den Abgeordneten Richard von Weizsäcker richtet: In totalitären Regimen ist, wie wir alle wissen — Sie haben es noch einmal hervorgehoben, indem Sie auf jene Veröffentlichung im „Spiegel" abgehoben haben —, Kritik eine Sache des Mutes, eine Sache der persönlichen Tapferkeit. Zustimmung zu dem, was in totalitären Regimen geschieht, meine Damen und Herren, die ist leicht und einfach; für diejenigen, die davon betroffen sind, kann die Zustimmung manchmal eine Frage ihres Überlebens sein. Aber, umgekehrt, in freiheitlichen Systemen ist Kritik billig, verlangt Zustimmung manchmal Tapferkeit. Es wäre gut, wenn Sie diese Tapferkeit aufbrächten, auch anzuerkennen, wo dieser Staat in Ordnung ist und wo das, was hier in Deutschland gemacht wird, gut ist; wenn Sie das einmal über die Lippen brächten, meine Damen und Herren.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich muß in dem Zusammenhang auch auf Bemerkungen zurückkommen, die der Oppositionsführer in der letzten Woche gemacht hat; sie sind von Herrn Strauß in der ihm eigenen Form und von Herrn Abgeordneten von Weizsäcker in der ihm eigenen, sehr viel akzeptableren Form wiederaufgenommen worden.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ja, diesen Unterschied zu machen, wird man uns doch wohl noch erlauben müssen, nachdem wir beiden Rednern zugehört haben. Es war doch wohl ein dicker Unterschied in der Substanz wie im Stil der Darbietung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Bundeskanzler Schmidt
    Das wäre ja wohl sehr unfair, wenn wir den Herrn von Weizsäcker über denselben Kamm wie den CSU-Vorsitzenden scheren wollten. Das wäre wohl sehr ungerecht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Diese Bemerkung bedeutet aber nicht, daß ich in der Substanz mit dem übereinstimme, was Herr Kollege von Weizsäcker hier ausgeführt hat; denn in der Substanz haben alle Herren der CDU/CSU versucht darzutun, was ich auch in der „Rheinischen Post" letzte Woche schon gelesen habe. Nämlich, daß in den Erörterungen und Beratungen des großen Beratungskreises während jenes langanhaltenden terroristischen Verbrechens, das uns alle so schrecklich beschäftigt hat, Versprechungen für eine bestimmte Gesetzgebung gemacht worden seien, die nun nicht erfüllt würden. Ich glaube, ich habe das einigermaßen wertneutral richtig wiedergegeben, was Sie hier vorgetragen haben.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich muß ausdrücklich widersprechen! Das habe ich so nicht gesagt! — Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Ich auch nicht!)

    — Ich bin aber gerne bereit, Ihren Zwischenruf aufzunehmen: Wie war es denn gemeint, Herr Kohl?

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Dieses Opfer zu verlangen und diese Politik zu machen, war ohne die Konsequenz undenkbar, die wir jetzt verlangen!)

    — Auf den Gesichtspunkt, den Sie jetzt mit Ihrem Zwischenruf verdeutlichen, meinte ich, vorige Woche schon eingegangen zu sein. Ich will ihn nachher aber noch einmal aufnehmen. Ich will bei Ihnen nicht den Eindruck hinterlassen, als ob ich diesen Gesichtspunkt nicht aufnähme.
    Ich will aber den anderen Punkt vorweg behandeln, der in öffentlichen Darstellungen erhoben wird, als ob es bestimmte konkrete Zusagen für bestimmte Gesetzgebungen zum Terrorismus gegeben habe. Das trifft so nicht zu — mit einer Ausnahme und mit einer wesentlichen Ergänzung. Diese Ausnahme war das Kontaktsperregesetz. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück; diese haben wir dort unter uns verabredet. Die ergänzende Bemerkung ist diese, daß in der Tat unter allen Beteiligten eine Hoffnung nicht nur bestanden hat, sondern auch ausgedrückt worden ist hinsichtlich der hier notwendig werdenden Gesetzgebung. Sie fällt ja zum Teil in den Bereich der Ergänzung des Strafrechts oder des Strafprozeßrechtes, zum anderen Teil in den Bereich des, im allgemeinen Sinne gesprochen, Polizeirechts. Es hat die Hoffnung bestanden, und sie ist auch ausgedrückt worden, nach Möglichkeit die hier notwendig werdenden Wege gemeinsam gehen zu können.
    Es war von vornherein klar, daß die Richtungen, in die diese Gesetzgebung würde gehen können oder gehen müssen, zu jenem Zeitpunkt nicht völlig übereinstimmend gesehen wurden, im Gegenteil. Es hat ja mehrere sogenannte Sicherheitsgespräche gegeben. Auch bei diesen ist klargeworden, daß
    man nicht in allen Punkten übereinstimmte. Ich komme auf zwei jener Punkte gleich noch einmal zurück, weil ich an diesen Punkten am besten belegen kann, was ich meine.
    Nun aber zu dem Zwischenruf, Herr Abgeordneter Kohl, den Sie soeben gemacht haben. Man kann es noch stärker zuspitzen, als Sie es getan haben. Herr Abgeordneter Strauß hat heute morgen, meiner Erinnerung nach, formuliert, die Regierung oder ich hätten so getan, als ob es darum ginge, entweder Opfer hinzunehmen oder den Rechtsstaat aufzuheben.

    (Strauß [CDU/CSU] : Das war Ihr Vorwurf an die Oppostion!)

    — Nein, das war nicht mein Vorwurf. Ich fühle mich da sehr unzulässig simplifiziert und — ich bitte um Entschuldigung — bösartig simplifiziert durch Sie wiedergegeben, Herr Abgeordneter Strauß.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Was ich tatsächlich in den letzten Wochen ausgeführt habe, war dies, daß es zwischen diesen beiden Extremen, die Sie mir unterstellen — und ich habe das expressis verbis vom Pult des Bundestages aus gesagt —, einen breiten Raum für vernunftgemäß abgewogene, dem Grundgesetz gehorsame Gesetzgebung und für vernunftgemäß abgewogenes, dem Grundgesetz gehorsames Handeln gebe. Das war mein Wortlaut.

    (Strauß [CDU/CSU] : Aber unsere Anträge werden alle abgelehnt!)

    Das können Sie im Bundestagsprotokoll kontrollieren.

    (Strauß [CDU/CSU] : Aber unsere Anträge werden alle abgelehnt!)

    Deswegen muß ich mich dagegen wehren, hier in einer solchen Weise eingeengt und so verbogen dargestellt zu werden, daß Sie es hinterher leicht haben, auf solche Zerrbilder Ihre Kritik anzuwenden.
    Herr Abgeordneter Kohl, ob ein Staat Opfer, moralisch . betrachtet, verlangen kann, entscheidet sich nach seiner eigenen Qualität. Ein moralisch miserabler Staat hat keine moralische Legitimität, Opfer zu verlangen. Darin stimmen wir sicher überein, aber das Recht des Staates, Opfer zu erwarten oder hinzunehmen, ergibt sich nicht daraus, daß er verspricht, seinerseits bestimmte Gesetze so zu fassen, wie die Opposition es wünscht. Hier werden Sie nun nicht widerprechen, wenn ich sage, daß man über diese Gesetzgebung und ihre Zweckmäßigkeit durchaus verschiedener Meinung sein kann. Der Staat aber kann Opfer nicht nur dann verlangen oder als unvermeidlich hinnehmen müssen, wenn er gleichzeitig verspricht, bestimmte Gesetze zu machen.
    Sie haben Gesetze vorgeschlagen. Nehmen wir einmal an, diese wären letzte Woche bereits so, wie Sie sie vorgeschlagen haben, beschlossen worden. Auch das würde ja niemandem bei Ihnen die Sorge nehmen, die Sie ausgesprochen haben, daß weitere Verbrechen geschehen, wie gerade in den letzten Tagen in Frankreich eines geschehen ist; sie haben die Meldungen darüber gestern oder heute morgen in den Zeitungen gelesen.



    Bundeskanzler Schmidt
    Sie haben mich an das Wort erinnert, daß man bereit sein müsse, im Notfall bis an die Grenzen des Rechtsstaats zu gehen. Dies war nicht so sehr auf Gesetzgebung gemünzt, war auf das Handeln der Regierenden gemünzt. Aber ich habe keine Einwendung, es auch auf die Gesetzgebung zu beziehen. Wir haben dieses Wort tatsächlich befolgt, und Sie haben mitgewirkt; ich bin dafür dankbar gewesen, und ich will dies auch heute nicht leugnen.
    Wir haben das Wort auf zwei Gebieten befolgt: auf dem Gebiet des Handelns und auf dem Feld der Gesetzgebung. Wir sind bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen, als wir uns gezwungen sahen, für die — teils als Strafgefangene, teils als Untersuchungsgefangene — einsitzenden Terroristen eine Kontaktsperre anzuordnen. Das war zunächst exekutives Handeln der dafür zuständigen Landesbehörden, allerdings auf Anregung durch die Bundesregierung, während die Bundesregierung wiederum unter der Anregung durch die gemeinsamen Beratungen handelte. Dies ging in der Tat bis an die Grenze.
    Die Rechtfertigung für solches Handeln konnte nur im § 34 StGB liegen, und da haben wir sie auch hergenommen. Diese Bestimmung besagt dem Sinne nach — ich möchte mich hier nicht mit genauester Gesetzeskenntnis hervortun und kann den Paragraphen nicht aus dem Kopf wörtlich zitieren— :Jemand, der ein Rechtsgut verletzt, dessen Verletzung nach dem Strafgesetzbuch eigentlich mit Strafe bedroht ist, geht dann straffrei aus, wenn er ein höheres Rechtsgut — in diesem Fall das Leben anderer — nur auf diese Weise schützen kann. So wie sich Herr von Weizsäcker in dem Punkt vorhin ausgedrückt hat, stimmen wir überein. Es ging um die Erhaltung der Schutzfähigkeit des Staates hinsichtlich des Lebens anderer, die in Zukunft in Gefahr geraten konnten.
    Deswegen sind wir unter Anwendung des Rechtsprinzips, wie es in § 34 StGB steht, bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen und haben um des Schutzes des Lebens anderer willen die Kontaktsperre angeordnet. Als es dann rechtlich begründete Zweifel gab, ob dies wohl zulässig sei — der Zweifel wurde ja auch vor Gerichte getragen —, haben wir dazu sogar ein Gesetz gemacht und sind gesetzgeberisch damit, daß wir die Kontaktsperre ermöglichten, an die Grenzen des Rechtsstaates gegangen. Wir haben auf diesem Feld alles ausgeschöpft, was uns möglich war.
    Inzwischen ist es so, daß, wie jedermann weiß, schon seit längerer Zeit kein Anlaß vorliegt, dieses Gesetz anzuwenden. Aber das Instrument ist in rechtsstaatlich einwandfreier Weise geschaffen worden. Ich glaube, es gibt auch bei Ihnen keinen Zweifel, daß man damit bis an die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit gegangen ist. Wir haben sie damit nicht überschritten; da bin ich ganz sicher; wohl aber hat es in diesem Haus viele gegeben, die sich der Tatsache, daß man hier bis an die Grenze ging, durchaus bewußt waren. Es gab auch einige, denen diese Grenze schon zu sehr berührt erschien.
    Das heißt aber doch nicht, daß man auch auf allen anderen Feldern bis an die Grenzen des rechtsstaatlich Zulässigen zu gehen habe. Das kann es doch nicht heißen.
    Es gibt zwei wichtige Gesichtspunkte, die mich bewegen, auf jedem einzelnen Feld genau abzuwägen, wieweit man gehen darf.
    Das eine Kriterium entnehme ich der Rede eines unserer Bundesverfassungsrichter, der vor einigen Tagen in einem öffentlichen Vortrag in der Evangelischen Akademie Tutzing ausgeführt hat:
    Die streitbare Demokratie braucht vor allem streitbare Demokraten, während ein übermäßiger institutioneller Schutz das Schutzobjekt selbst ersticken kann.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Simon!)

    — Herr Simon; richtig. Da vorhin unter dem Beifall der CDU/CSU-Fraktion eine in einer anderen Sache einstimmig ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beklatscht worden ist, wird man wohl in diesem Haus einen Verfassungsrichter zitieren dürfen, wenn man ihm innerlich zustimmt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Jener Verfassungsrichter, der insoweit sicherlich nicht mit der Autorität des Gerichts sprach, sondern seine persönliche Meinung in abstrakter Weise zum Ausdruck brachte, stellte dann die Erwägung an, daß man im konkreten Fall abwägen muß, ob man um der Wohltaten des freiheitlichen Rechtsstaats willen eher ein begrenztes Risiko in Kauf zu nehmen habe, als Maßnahmen zu ergreifen, welche die Substanz der rechtsstaatlichen und sozialen Demokratie schmälern könnten. Man muß in der Tat in jedem konkreten Fall abwägen — und das haben wir ja bei dem Kontaktsperre - Gesetz auch getan —, ob hier die Substanz geschmälert werden könnte. Jeder Eingriff in ein Rechtsgut, auch wenn er zugunsten eines anderen, noch höherwertigen Rechtsguts geschieht, bleibt ein Eingriff, und es besteht die Notwendigkeit der Güterabwägung — nicht nur hinterher für den Richter, sondern auch vorher für den Gesetzgeber.
    Das andere Kriterium, das für mich eine große Rolle gespielt hat — ich sage das nicht zum erstenmal im Deutschen Bundestag —, ist das sehr ernsthafte Hinhören gegenüber distanziert abwägenden Beurteilern im Inland und besonders jenen, die uns aus dem Ausland durch Kritik und Rat geholfen haben. Dies ist auch außenpolitisch ein wichtiges Kriterium. Es ist übrigens möglicherweise auch eine Hilfe zur eigenen moralischen Orientierung.
    Ich will auf zwei konkrete Punkte zu sprechen kommen, weil sie in diesem Zusammenhang heute eine Rolle gespielt haben. Den einen Punkt hat Herr Abgeordneter Strauß genannt: die Verteidigerüberwachung. Ich habe dem Bundestag — viele Monate ist es her — schon einmal vorgetragen, daß ich auf Grund von Einsichten und Erfahrungen, die ich gewonnen habe, in diesem Punkt meine Meinung geändert habe. Das hat mit dem konkreten Fall vom vorigen Oktober nichts zu tun, sondern es hat damit zu tun, daß mir hohe Richter klargemacht haben, daß die Überwachung von Gesprächen durch Richter, die mit der Sache, in die der jeweilige Terrorist verstrickt ist, nichts zu tun haben und davon auch



    Bundeskanzler Schmidt
    nicht viel kennen, nicht wirksam sein kann. Ich verweise zum Beleg dafür nun auch auf den Tenor der Begründung des Karlsruher Gerichts für sein Urteil, nach dem die Kontaktsperre zulässig ist. Da heißt es im Tenor: Ein anderes Mittel, um zu verhindern, daß von den Terroristen drinnen etwas an die Terroristen draußen übermittelt wird — oder umgekehrt —, ist „nicht ersichtlich". Das hat unmittelbaren Bezug auf die Frage der Überwachung des Verteidigergesprächs durch den Richter.

    (Zuruf des Abg. Strauß [CDU/CSU])

    — Schauen Sie sich das Urteil an. Ich deute es hier nur an, um Ihnen darzutun, Herr Abgeordneter Strauß, daß ich meinen damaligen Meinungswechsel
    — es ist nun schon viele Monate her — in diesen Ausführungen des Bundesgerichtshofs bestätigt gefunden habe.
    Auch der zweite Punkt ist hier schon behandelt worden. Es ist die Frage der von der CDU/CSU vorgeschlagenen Sicherungsverwahrung, die schon nach der ersten Verurteilung angeordnet werden können soll. Ich habe Ihnen schon einmal dargetan, daß ich persönlich meine Zweifel im Hinblick auf diesen Vorschlag früh geäußert habe. Bisher ist das Instrument der Sicherungsverwahrung in Deutschland an den Tatbestand des Hangtäters geknüpft. Ich habe Ihnen ebenfalls schon einmal dargetan: An mir persönlich würde es vielleicht nicht scheitern; denn ich bin in dieser Sache durchaus offen, zu lernen und Erfahrungen hinzuzugewinnen. Aber es geht nicht, Herr Strauß, jemandem, der die ganze schreckliche Erfahrung des Mißbrauchs, die mit diesem Instrument zu anderer Zeit getrieben wurde, noch in Erinnerung hat, schlechthin zu unterstellen, es sei menschliche Schwäche, die ihn daran hindere, mit fliegenden Fahnen auf ein solches Instrument zuzugehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist nicht menschliche Schwäche, sondern es sind moralische Skrupel, die mich bisher gehindert haben, ohne zu zögern auf dieses Instrument zuzugehen.
    Ich sage noch einmal: Für mich persönlich ist dies nicht ein Punkt, in dem ich völlig unbelehrbar wäre. Es lassen sich wohl auch noch andere Formen, Voraussetzungen und Bedingungen finden als die, die bisher in der Diskussion eine Rolle gespielt haben.
    Im übrigen möchte ich, was die Opfertheorie angeht, noch eines hinzufügen dürfen. Herr Kohl hat vorige Woche gesagt, er sei mit Hanns Martin Schleyer befreundet gewesen. Jeder von uns weiß, daß das stimmt. Unter den Toten, die die Taten der Terroristen gefordert haben, sind viele, deren Namen wir inzwischen in Deutschland alle ganz gut kennen. Der erste Name, der sich tief eingeprägt hat, ist der des deutschen Verteidigungsattachés in Stockholm, von Mirbach. Es gibt viele andere Namen: Herr Buback, Herr Richter von Drenkmann oder Jürgen Ponto. Ich darf von Jürgen Ponto sagen, daß wir seit langer, langer Zeit, seit einem Vierteljahrhundert, befreundet gewesen sind. Mei-
    ne Frau hat seine Kinder in der Schule unterrichtet. Wir haben uns im Urlaub gesehen. Viele von uns mögen ebenso eine gute persönliche Beziehung zu Generalbundesanwalt Buback gehabt haben. Viele von uns haben eine gute Beziehung zu Schleyer und zu anderen gehabt. Deswegen verstehe ich sehr Ihr persönliches Getroffensein von einem Opfer, das sich in Ihrer unmittelbaren Nähe vollzogen hat. Das geht vielen von uns ähnlich; dies wollte ich mit diesen Bemerkungen nur sagen. Ich habe deswegen vorige Woche schon gesagt: Wenn wir in diese Lage kämen — Sie, Herr Kohl, oder ich —, würde jeder hier im Hause wissen, daß wir zu dem gleichen Opfer verurteilt wären.
    Wir hätten natürlich unter dem erpresserischen Druck der Terroristen — das steht zwar nicht im Gesetz; der Gesetzgeber hat dafür keine Vorsorge getroffen — theoretisch auch Terroristen ausliefern können. Möglicherweise wäre damit das Leben des einen oder anderen zu retten gewesen — möglicherweise! Sicher kann das niemand sagen. Aber auch solche Entscheidungen — dessen war sich doch jeder, der zu entscheiden hatte, durchaus bewußt — wären Entscheidungen an der Grenze des Rechtsstaats gewesen. Denn nirgendwo steht im Gesetz, daß Sie des Mordes Verdächtige oder wegen Mordes Verurteilte freilassen dürfen! Auch das wäre eine bis an die Grenzen des Rechtsstaats gehende Entscheidung gewesen.
    Wenn wir das aber getan hätten, wären die Terroristen zur nächsten Geiselnahme ermutigt worden. Wir hätten dann ganz allgemein — ich nehme noch einmal das Wort von Herrn von Weizsäcker auf — die Schutzfunktion des Staates für das Leben vieler Menschen gefährdet. Das haben wir nicht tun wollen. Deswegen sind die Terroristen mit ihrer Vorstellung, wir würden uns ihrem Diktat beugen, gescheitert. Deswegen haben mehrere von ihnen sich schließlich angesichts der Aussichtslosigkeit ihres Beginnens selbst das Leben genommen.
    Wenn man das alles rekapituliert, dann, glaube ich, wird man zu der übereinstimmenden Meinung kommen können, daß man über die Ausgestaltung der konkreten Gesetzgebung verschiedener Meinung sein darf, wobei einer dem anderen seine moralischen und seine sittlichen Grundpositionen nicht abzustreiten braucht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn im Ernst einer von uns dem anderen dessen sittliche Grundpositionen bestreiten wollte, wäre das ein schlimmer Sieg der Terroristen im Deutschen Bundestag.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es gibt nach unserer Vorstellung — und ich habe das in der letzten Bundestagsdebatte in der vorigen Woche gesagt, nachdem Herr Kollege Genscher es vor mir in ähnlicher Form ausgesprochen hatte — einige Veränderungen von Gesetzen, die so notwendig sind, daß wir auf sie nicht verzichten können und wollen; darüber soll sich hier niemand täuschen. Es gibt andere, bei denen man in der Frage, wie wichtig sie seien, verschiedener Meinung



    Bundeskanzler Schmidt
    sein kann, und es gibt wiederum andere — ich habe zwei Beispiele dafür genannt, nämlich die Überwachung des Verteidigergespräches und die Sicherungsverwahrung —, bei denen ich selber die größten Zweifel hätte, ob ich darauf zugehen sollte. Beim ersten, weil ich es nicht für zweckmäßig halte, und beim zweiten, weil ich — jedenfalls einstweilen noch — sittliche Zweifel habe.
    Ich möchte ein oder zwei Bemerkungen zu anderen Themen machen, die in der Rede von Herrn Abgeordneten Strauß eine Rolle spielten. Eine Bemerkung möchte ich ausdrücklich unterstreichen, nämlich die Klage — ich habe es mir so mitgeschrieben und zitiere hoffentlich richtig — über die zunehmende Bürokratisierung aller öffentlichen, aller privaten, aller privatwirtschaftlichen Bereiche. Ich finde es ganz ausdrücklich nicht nur zutreffend, sondern ungeheuer wichtig, daß man sich in allen öffentlichen, in allen privaten, in allen privatwirtschaftlichen Bereichen dieser Gefährdung bewußt wird und daß wir alle in unserem jeweiligen Bereich im konkreten Einzelfall, dann, wenn wieder einmal diese Krebsgeschwüre bürokratischer Regelung auftreten, die Idas Leben, die innere Dynamik und die Vielfalt des Lebens ersticken, dem entgegentreten. Es war ganz richtig, daß auch auf den privatwirtschaftlichen Bereich hingewiesen worden ist, und es ist richtig, auch auf alle Bereiche der sogenannten Selbstverwaltung hinzuweisen, ob in der Kommunalpolitik oder in der Sozialpolitik oder in der Kammerpolitik oder wo auch immer. Ich will das ausdrücklich unterstreichen.
    Eine andere Bemerkung zur Währungspolitik. Herr Abgeordneter Strauß, Sie haben auch etwas zum Dollarkurs gesagt. In der Tendenz haben wir uns da offensichtlich nicht voneinander unterschieden. Nur wäre es halt auch eine Unterstreichung dessen, was Sie sagten, gewesen, wenn Sie etwas hinzugefügt hätten. Ich will Ihnen keine Ratschläge in bezug auf Glaubwürdigkeit geben, aber die Wahrheit ist nicht ganz vollständig, wenn Sie bei dieser Gelegenheit unterschlagen, daß die Deutsche Mark in' den Augen der Welt eben laufend an Wert gewinnt und daß sich das an den Devisenbörsen weltweit in Wechselkursen niederschlägt, die genau das Gegenteil von dem beweisen, was Sie an Schwarzmalerei hier jedesmal ausbreiten, wenn Sie das Pult betreten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ihr Kollege von Weizsäcker hat an die Kraft der Abgeordneten des Parlaments zur Beschreibung der tatsächlichen Lage appelliert. Er hat damit uns gemeint, aber er wird akzeptieren, daß dieser Appell wohl nur in alle Richtungen gemeint sein kann, wenn er aufgenommen werden soll. Das betrifft dann auch, Herr von Weizsäcker, die Reden der führenden Abgeordneten der Opposition, auch wenn man früher etwas anderes gesagt hat. Sie haben ihr Wort dann konkret auf die Rentenproblematik angewandt und haben — besonders an mich gerichtet — gemeint, hier fehle es an der Kraft zur Beschreibung der tatsächlichen, der wirklichen
    Lage. Ganz fair habe ich das nicht gefunden. Wenn Sie sich an den 16. Dezember 1976 erinnern,

    (Franke [CDU/CSU]: Denken Sie einmal an den 8. April 1976!)

    wenn Sie sich an die Regierungserklärung unmittelbar nach jenem Wahlkampf erinnern — —

    (Franke [CDU/CSU] : Immer unterstellt, daß Sie mir zutrauen, daß ich, Helmut Schmidt, die volkswirtschaftlichen Daten richtig zu deuten weiß!)

    — Ich komme auf Ihren Zwischenruf gleich noch zu sprechen! Es ist ja schlimm, daß auch dann, wenn man sich nun wirklich Mühe gibt, langsam und ruhig und in einer akzeptablen Stimmlage zu sprechen, weil man etwas ausdrücken möchte, was einem am Herzen liegt, immer mit scharfmacherischen Zwischenrufen dazwischengefahren wird. Das stört das Gespräch.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber es ist nicht so, daß ich auf Zwischenrufe nicht antworten könnte. Ich will es nur im Augenblick nicht, weil ich mir wirklich Mühe gebe, auf eine ernst gemeinte Passage Ihres Kollegen von Weizsäcker ernsthaft zu antworten.
    Sie werden sich an die Worte in der Regierungserklärung 1976 erinnern. Sie können sie auch nachlesen; es gibt darüber ja Protokolle. Sie werden mir zugeben: So leicht ist es dem, der das alles damals zu sagen hatte, nicht gefallen. Und trotzdem hat er es so gesagt und, wenn Sie es so nennen wollen, eingestanden, wie er in jenem Augenblick die Tatsachen und die Wirklichkeit wahrhaft beurteilen mußte.
    Ich will in dem Zusammenhang, weil heute vielfach verzerrend, um nicht zu sagen: verfälschend zitiert worden ist, einiges aus den Reden, die am letzten Sonnabend in München gehalten worden sind, hier wiederholen, wenn der Präsident es gestattet. Ich habe gesagt, obwohl von Hause aus Ökonom, sei ich gerade auf diesem Felde ein vielfach gebranntes Kind.

    (Franke [CDU/CSU] : 8. April!)

    Ich weiß aus Erfahrung, daß Prognosen in Zeiten des weltweiten wirtschaftlichen Umbruchs überhaupt nie wirklich stimmen können; daß sie z. B. keinerlei außerökonomische Faktoren, politische Faktoren, weltpolitische Faktoren vorhersehen, infolgedessen auch nicht einbeziehen können; daß sie nicht einmal die gleiche Trefferwahrscheinlichkeit für sich beanspruchen können wie die allabendlichen Wettervorhersagen im Fernsehen für den folgenden Tag, die uns auch oft genug irreführen.
    Ich habe öffentlich eingestanden, daß ich in langen Jahren der politischen Verantwortung, in langen Jahren verschiedener öffentlicher Aufgaben niemals mehr gelitten habe als im Zeitraum des Erkenntnisprozesses am Ende des Jahres 1976, als wir damals begreifen mußten, daß die Rentenfinanzierungsprognosen nicht stimmten, weil die von



    Bundeskanzler Schmidt
    uns zugrunde gelegten mehrjährigen Wirtschaftsprognosen nicht stimmten.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Zwar hatten wir alle unsere Aussagen zur Rentenpolitik ein knappes halbes Jahr früher in intellektueller Redlichkeit geprüft,

    (Lachen bei der CDU/CSU) ehe wir sie veröffentlicht hatten.


    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Falsches Zeugnis reden!)

    Aber jetzt standen wir als Irrende da, und einige von Ihnen haben uns Betrüger genannt. Das ist wohl wahr. Einer hat vorhin schon mit Recht darauf hingewiesen, daß zum Betrug in unserem Sprachgebrauch der Vorsatz gehört und daß wir in Wirklichkeit nicht Betrüger waren. Wir hatten den umgekehrten Vorsatz gehabt — so habe ich in München ausgeführt —, nämlich das zu sagen, was wir für realistisch und für erfüllbar hielten. Unser Fehler war: Wir hatten unsere nüchternen ökonomischen mittelfristigen Prognosen — ich habe damals eingefügt: für die übrigens mein Freund Walter Arendt am allerwenigsten verantwortlich ist —für realistisch gehalten, Prognosen, die von der späteren Entwicklung — und nicht nur von der späteren Entwicklung, auch von späteren Prognosen — über lange Zeiträume falsifiziert worden sind.
    Es ist bitter, wenn man einen solchen Fehler einsehen muß. Es ist bitter, ihn öffentlich eingestehen zu müssen. Es ist bitter, andere gesetzgeberische Maßnahmen anempfehlen zu müssen, als man selbst früher gesagt hat. Nur, Herr Kollege von Weizsäkker, Sie sollten nicht bestreiten, daß das alles auch öffentlich so von mir vorgetragen worden ist — und nicht erst vorgestern in München. Es ist nichts verheimlicht worden.