Herr von Weizsäcker, ich habe gerade gesagt, daß es aus Distanzierungsbedürfnis heraus ein Lieblingssatz des Oppisitionsführers ist zu sagen: „Ich bin ein deutscher Patriot!" Dies muß man als Abgeordneter dieses Deutschen Bundestages nicht betonen;
für mich ist dies eine Selbstverständlichkeit.
Die nationale Frage — und damit will ich zu dem kommen, was als Manifest in die Debatten dieses Hauses eingeführt worden ist — ist nicht die Frage, wie sich die Deutschen in ihrem nationalen Selbstgefühl heute begreifen; sie ist leider eine zentrale Machtfrage der Weltpolitik. Ich nehme an, das muß man im Jahre 1978 begriffen haben. Deshalb, Herr Dr. Kohl, sollten Sie hierherkommen und sollten dieses Wort vom Sprengsatz der nationalen Frage so klarstellen, daß draußen nicht der Eindruck entsteht, wir stünden nicht zu den Verträgen des Gewaltverzichts.
Wir sollten zweitens bei der ersten publizistischen Aufwallung der Versuchung widerstehen, den nationalen Sprengsatz zu gebrauchen. Wenn Abgeordnete des Deutschen Bundestags beim Übertritt nach Ost-Berlin zurückgewiesen werden, dann fühle ich mich, Herr Dr. Kohl, genauso getroffen wie Sie.
Und dies sagen wir der SED: Jede Zurückweisung eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages richtet sich gegen das ganze Haus.
Es gibt auch in der Beurteilung dessen, was in der DDR geschieht, wenn man hinschaut und mitbekommt, wie die Menschen drüben denken, sicher eine weitgehende Übereinstimmung. Aber da Sie, Herr von Weizsäcker, mich provozieren, muß ich eines anmerken. Der erste Artikel in diesem Magazin erschien im Dezember — ich muß das aus dem Kopf sagen; ich hatte das nicht vor, aber jeder kann dies nachprüfen — mit dem Aufmacher, Honecker sei am Scheitern, und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bruno Friedrich und ein Mitarbeiter dieser Fraktion sollten hinüber zu Honecker, um dort Gespräche zu führen.
Vor zwei Wochen erschien eine völlig andere Meldung im „Spiegel", auch über mich, im Zusammenhang mit dem Kollegen Thüsing. Beide Meldungen sind unwahr. Auch der Kollege Thüsing hat bestätigt, daß wir das genannte Gespräch nicht geführt haben.
Was mich beunruhigt, ist, daß eine Zeitung, die in großen Tageszeitungen mit ganzseitigen Anzeigen für eine solche Story wirbt, wenn sie einen stellvertretenden Vorsitzenden der SPD zitiert, es nicht einmal nötig hat, bei ihm nachzufragen, ob er selbst der Meinung ist, daß dies stimme.
Es sollte keine Streitfrage sein, daß Journalismus in der freien Welt auch die Pflicht zur journalistischen Verantwortung bedeutet.
Ich kenne nicht die Informanten des „Spiegel".
Aber ich bedaure, daß die Selbstverständlichkeiten des Journalismus in dieser Frage nicht die Grundlage einer der wichtigsten Veröffentlichungen waren.
Es ist in diesem Hause — und Ihre Reaktion beweist es ja — sehr schwer, über Außenpolitik und über Deutschlandpolitik zu diskutieren. Nun verlangen wir von Ihnen nicht, was 1960 der CSU-Abgeordnete von Guttenberg von der Opposition gefordert hat, nämlich jene Haltung einzunehmen, der Regierung in der Außenpolitik bei der Vertretung ihrer Politik gegenüber anderen Mächten nicht in den Arm zu fallen. Herr von Guttenberg hat das noch viel, viel schärfer präzisiert. Wir sind der Meinung, daß Kontroversen um Außenpolitik zum Normalzustand der parlamentarischen Demokratie gehören. Dies gilt aber nur, wenn es sich um eine offene Kontroverse handelt, in der jeder bereit ist, reale Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen und Entwicklungsmöglichkeiten unvoreingenommen zu prüfen. Davon sind wir in diesem Hause leider sehr weit entfernt. Ich bin der Meinung, daß man einmal, wenn man sieht, wie auch der Auswärtige Ausschuß weitgehend ruiniert ist, in den Fraktionen zumindest darüber sprechen sollte, ob es nicht möglich ist, in einzelnen Bereichen, in offenen Fragen, bei neuen Problemen, dort, wo ein unbefangener Dialog noch möglich ist, einmal einen gemeinsamen Versuch einer gemeinsamen Außenpolitik in einzelnen Positionen zu machen. In keinem Parlament der Welt ist es so, daß auf dem Gebiet der Außenpolitik alle Fragen kontrovers ausgetragen werden.