Rede:
ID0806701500

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8067

  • date_rangeDatum: 24. Januar 1978

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/67 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 67. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. Januar 1978 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung . . . . . 5147 A Amtliche Mitteilung ohne Verlesung . . . 5147 A Begrüßung einer Delegation des Landwirtschaftsausschusses der Brasilianischen Abgeordnetenkammer 5164 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksachen 8/950, 8/1285 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksache 8/1361 - 5147 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksache 8/1362 — Collet SPD 5147 D Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksache 8/1363 — 5149 C Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und . des Bundeskanzleramtes — Drucksache 8/1364 — Strauß CDU/CSU 5149 D Brandt SPD 5164 C Hoppe FDP 5173 B Dr. Apel, Bundesminister BMF 5179 D Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 5183 C, 5184 A Dr. Marx CDU/CSU (zur GO) 5183 D Porzner SPD (zur GO) 5184 A Friedrich (Würzburg) SPD 5190 D Dr. Bangemann FDP 5196 D Schmidt, Bundeskanzler 5202 D Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 5209 C Löffler SPD 5214 A Wohlrabe CDU/CSU 5215 C Esters SPD 5218 D Namentliche Abstimmung 5220 A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. Januar 1978 Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 8/1365 — Dr. Marx CDU/CSU . . . . . . . . 5222 A Frau Renger SPD 5229 A Picard CDU/CSU 5233 B Genscher, Bundesminister AA 5236 A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/1380 — Mattick SPD 5239 B Franke, Bundesminister BMB 5241 D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksache 8/1378 — Picard CDU/CSU 5245 C Esters SPD 5247 C Gärtner FDP 5250 B Frau Schlei, Bundesminister BMZ . . . . 5251 A Dr. Hoffacker CDU/CSU . . . . . . . 5253 B Hofmann (Kronach) SPD 5257 C Dr. Vohrer FDP 5259 A Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/1376 — . . . . . . . 5260 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 1974 über die Verbreitung der durch Satelliten übertragenen programmtragenden Signale — Drucksache 8/1390 — 5260 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Oktober 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Island über die gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten — Drucksache 8/1358 — 5260 A Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altölgesetzes — Drucksache 8/1423 — 5260 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Agrarbericht 1977 — Drucksachen 8/80, 8/81, 8/1350 — . . . 5260 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung des Agrarberichts 1977 der Bundesregierung — Drucksachen 8/306, 8/1351 — . . . . 5260 C Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft „ehemalige Gallwitz-Kaserne" in Ulm an die Stadt Ulm — Drucksache 8/1352 — . . . . . . . 5260 C Beratung der Sammelübersicht 17 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen - Drucksache 8/1415 — . . . . . . . 5260 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Entwurf einer Richtlinie des Rates über bestimmte Erzeugnisse für die Tierernährung Vorschlag einer dritten Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/524/EWG über Zusatzstoffe in der Tierernährung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 74/63/EWG über die Festlegung von Höchstgehalten an unerwünschten Stoffen und Erzeugnissen in Futtermitteln und zur Änderung der Richtlinie 70/373/EWG über die Einführung gemeinschaftlicher Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die Untersuchung von Futtermitteln — Drucksachen 8/833, 8/1353 — 5260 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 über Vermarktungsnormen für Eier — Drucksachen 8/814, 8/1420 — 5261 A Nächste Sitzung 5261 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5263* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. Januar 1978 5147 67. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1978 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 24. 1. Alber ** 24. 1. Dr. Bardens ** 24. 1. Böhm (Melsungen) ** 24. 1. Frau von Bothmer ** 24. 1. Büchner (Speyer) ** 24. 1. Dr. Dollinger 24. 1. Dr. Enders ** 24. 1. Flämig * 24. 1. Dr. Geßner ** 24. 1. Handlos ** 24. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kreile 27. 1. Frau Krone-Appuhn 27. 1. Lagershausen** 24. 1. Lampersbach 24. 1. Lemmrich** 24. 1. Marquardt ** 24. 1. Dr. Müller ** 24. 1. Müller (Wadern) * 24. 1. Offergeld . 27. 1. Pawelczyk ** 24. 1. Reddemann ** 24. 1. Dr. Schäuble *' 24. 1. Scheffler ** 24. 1. Schmidthuber ** 24. 1. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 24. 1. Dr. Todenhöfer 24.2. Dr. Vohrer ** 24. 1. Frau Dr. Walz * 24. 1. Baron von Wrangel 27. 1.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte aus Anlaß der Haushaltsberatungen dieser Woche zunächst einiges über die Art sagen dürfen, in der wir hier miteinander umgehen.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU — Beifall bei der SPD und der FDP)

    — Vielleicht haben Sie die Güte, mit Ihren Reaktionen zu warten, bis Sie gehört haben, was ich sagen möchte.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Scheinheilig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Es ist ja nicht das erste Mal, daß mir die Aufgabe zufällt, nach Darlegungen — die immer zum Teil auch verbale Ausschreitungen sind — des Kollegen Strauß hier das Wort zu ergreifen

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das ist wohltuend!)

    und daran zu erinnern, was dieses Parlament trotz aller Meinungsverschiedenheiten seines Rufes wegen zu verteidigen hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dies gebietet — und davon wird die Rede sein —, maßlose Übertreibungen, Halbwahrheiten und Halbunwahrheiten zurückzuweisen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich muß schon jetzt darauf aufmerksam machen - und ich werde es nachher begründen —, daß der Hauptredner der Opposition an diesem Tage, der Kollege Strauß,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Völlig recht hat! — Beifall bei der CDU/CSU)

    sich zu einigen der im Augenblick drängendsten Probleme unseres Volkes überhaupt nicht geäußert hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Zimmermann [CDU/CSU] : Muß die Opposition zurücktreten?)

    Niemand wird es dem Kollegen Strauß übelnehmen, daß er jetzt einen Termin beim Präsidenten von Gabun wahrnimmt. Mich bringt das allerdings um die Chance, ihm direkt zu antworten. Ich möchte nur der Ordnung halber im Protokoll des Bundestages verzeichnet wissen — ohne damit eine Kritik an irgend jemand zu verbinden —, daß ich eine solche Einladung mit Rücksicht auf die Beratungen des heutigen Tages mit großem Bedauern gegenüber diesem ausländischen Gast abgesagt habe.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich möchte fragen, meine Damen und Herren und meine Kollegen in allen Teilen des Hauses: Was können die Bürger von ihrem Bundestag erwarten? Sie können erwarten, daß gerungen und gestritten wird um das, was der eine, der zweite, der dritte



    Brandt
    und auch der vierte für die jeweils beste Art hält, Angelegenheiten der Bürger im demokratischen Bundesstaat zu regeln, wie die einen und die anderen oder die dritten meinen, daß die Bundesregierung ihrer Pflicht gerecht werden soll.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Röhner?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident, ich möchte es halten wie der Kollege Strauß und meine Ausführungen im Zusammenhang machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Gerungen und gestritten wird darum, wie unsere Interessen in einer komplizierten und unruhigen Welt zweckmäßig vertreten werden oder, auf die Materie dieser Woche bezogen, welche Mittel der Bundesstaat für welche Aufgaben einsetzt und welche Einnahmen dazu erforderlich sind.
    Wenn man Glück hat, findet ein Parlament auch noch die Kraft, gelegentlich über neue gesellschaftliche Probleme und sich verändernde internationale Bedingungen zu reden, geistige Positionen, programmatische Plattformen aneinander zu messen, neue Erfahrungen der Wissenschaft und der Technik, soweit man sie mitbekommen kann, nicht zu vernachlässigen.
    Ich frage jetzt mich selbst und alle anderen: Was haben die Bürger davon, wenn wir hier allzu oft aneinander vorbei, zum Fenster hinaus und in die Fernsehkamera hinein reden?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In einer freiheitlich-demokratischen Ordnung ist es ja die Aufgabe des Parlaments, nicht nur über die vorhandenen — und legitimen — Unterschiede von Überzeugungen — oder was man dafür hält — und von Interessen — oder was man darunter versteht — zu streiten, sondern auch darüber zu reden, welche gemeinsamen Pflichten sich aus dem Grundgesetz ergeben und welche gemeinsamen Werte wir über den Streit der Parteien hinweg zu verteidigen und zu pflegen entschlossen sind.
    Ich sehe die große Gefahr, daß wir den Bürgern in doppelter Hinsicht nicht gerecht werden: Sie erfahren durch unsere Debatten allzu oft nicht die gebotene und mögliche Orientierung — auch was die Alternativen angeht —, und sie erfahren auch wenig darüber, welche sachliche Arbeit neben dem zugespitzten Parteienstreit geleistet wird. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es gibt doch einen erheblichen Widerspruch zwischen den vom Fernsehen vermittelten Redeschlachten und der überwiegend stillen, sachlichen Arbeit in den Ausschüssen,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    nicht zuletzt im Haushaltsausschuß; und dies erwähne ich natürlich besonders aus Anlaß der Debatte, die wir jetzt führen. Ich könnte hinzufügen: Es gibt den Widerspruch zwischen der zunehmenden Konfrontation auf der staatlichen Ebene — nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern —
    und dem erfreulicherweise im ganzen ungebrochenen Willen zur Kooperation in den Rathäusern.
    Nun stehen die meisten von uns lange genug im Leben, um zu wissen, daß man bei Fehlentwicklungen die Schuld nicht immer nur beim anderen suchen darf. Ich habe also — so sehr die Ausführungen meines Vorredners dazu einladen könnten — nicht die Absicht, allein der Opposition das anzukreiden, was mich besorgt und weshalb ich mich heute in erster Linie zu Wort gemeldet habe. Wenn Sie mir entgegenhalten — und das klang ja nach meinem ersten Satz an —, daß ich mich selbst prüfen und eigenen Irrtümern nachgehen sollte, muß ich bereit sein, das einzustecken. Ich gehöre in der Tat nicht zu denen, die meinen, immer recht gehabt und alles richtig gemacht zu haben. Und wenn Sie ehrlich sind, kann keiner von uns garantieren, daß er nicht Fehler macht oder in der Hitze des Gefechts etwas sagt, was er so am liebsten nicht gesagt hätte.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Schauen Sie einmal den Bundeskanzler an!)

    Meine Partei hat ihre Grundüberzeugung. Sie arbeitet gewissenhaft daran, Probleme zu erkennen und Lösungen vorzuschlagen. Aber die SPD meint natürlich nicht, über den Stein der Weisen zu verfügen; über den verfügt keiner von uns. Die Regierung der sozialliberalen Koalition nimmt nicht für sich in Anspruch, nie geirrt zu haben und immer nur das Beste bieten zu können. Aber sie leistet gute Arbeit, und dafür verdient sie Anerkennung. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion spricht diese Anerkennung erneut und ganz nachdrücklich aus.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber ich will uns noch einmal fragen: Wem kann eigentlich daran liegen, daß der Bundestag bei den Bürgern in Verdacht gerät, mehr als einmal an den wirklichen Problemen der Bürger vorbeizureden oder sie nicht zur Kenntnis zu nehmen?

    (V o r s i t z : Vizepräsident Pr. SchmittVockenhausen)

    Ich frage weiter: Ist es bei dem notwendigen Streit der Meinungen und Interessen nicht doch möglich, daß wir auf unnötige Übertreibungen verzichten und uns bei allen Auseinandersetzungen immer wieder einmal fragen, was des gemeinsamen demokratischen Staates, seiner Bürger, unseres Volkes wegen geboten ist? Was sollen die Bürger davon halten, wenn hier Reden immer häufiger nicht unter dem Gesichtspunkt sachlicher Überzeugungskraft, sondern wegen ihrer vermeintlichen Öffentlichkeitswirkung gehalten werden, wobei dann oft noch der eigene Heerhaufen mit der Öffentlichkeit verwechselt wird? Täten wir nicht gut daran, uns über Parteigrenzen hinweg diese Gefahr von Wirklichkeitsverlust einzugestehen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt auf einmal?)

    Nun bin ich nicht optimistisch genug zu glauben, wir, meine Kollegen von der SPD und die Kollegen von der FDP, könnten durch das, was wir sagen,



    Brandt
    das Abstimmungsverhalten der Opposition beeinflussen. Sie werden den Bundeshaushalt ablehnen.. Das entspricht parlamentarischem Brauch, fast hätte ich gesagt: gutem parlamentarischen Brauch. Jedenfalls ist es ein Stück normaler politischer Auseinandersetzung. Wir werden erneut feststellen, wer hier die Mehrheit hat; auch da wird es keine Überraschungen geben. Aber auf die Begründung kommt es an, und wenn dem, was Herr Strauß heu-. te morgen für die Opposition gesagt hat, nicht noch ganz Wesentliches hinzugefügt wird, dann tut mir • die Opposition bei der Begründung ihres Nein zum Bundeshaushalt leid.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Da kommt es auf mehr Argumente und den Nachweis möglicher Alternativen an. Daran wird in diesem Fall die Qualität gerade der Opposition geniessen.
    Kritik ist nicht nur unvermeidlich, sie muß doch erwünscht sein, auch wenn sie aus der Sicht eines Regierungschefs manchmal unbequem sein mag. Dazu gehört doch aber auch: Die Auseinandersetzung muß sich an dem orientieren, wie die tatsächliche Lage ist. Es ist unglaubwürdig, über Jahre hinweg — wie Herr Strauß es tut; das wird man feststellen, wenn man der Sache nachgeht — zu allem Wesentlichen immer nur nein zu sagen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

    Nun weiß ich wohl, daß die Menschen, seit sie denken können, auch darüber streiten, wie sich ihnen die Wirklichkeit darstellt und wie sie sie interpretieren sollen. Aber wäre es nicht beispielsweise möglich, das anzuerkennen — wenn auch zähneknirschend —, was der Bundeskanzler hier in der letzten Woche zur Lage unseres Landes noch einmal deutlich gemacht hat? Der Bundeskanzler hat weder übertrieben noch Schönfärberei betrieben.

    (Oh-Rufe bei der CDU/CSU)

    Er hat, verehrte Kollegen von der Opposition, in Wirklichkeit keinen Anlaß gegeben, sich im polemischen Ton zu vergreifen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Bei allem, was umstritten ist, sollten — sollten! — wir uns doch miteinander unter Umständen sogar bei allem, was trennt, darüber freuen können, daß unser Land stabiler ist als die meisten anderen Länder, und das redet auch Herr Strauß nicht kaputt!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir sollten uns darüber freuen können, daß dieses unser Land sozial sicherer ist, auch heute und morgen, als die meisten anderen Länder;

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    daß die rechtsstaatlichen Grundlagen, vor einer Generation neu geschaffen — gemeinsam —, sich bewährt haben; daß die Bundesrepublik Deutschland ein überall geachteter Partner der europäischen Zusammenarbeit geworden ist und sich in der Welt
    als ein gewichtiger Faktor der Friedenssicherung erweist.
    Meine verehrten Damen und Herren, dank der Anstrengungen vieler — nicht einer Partei, nicht zweier Parteien, nicht einer Regierung — haben wir es doch, wenn wir ehrlich sind, mit einer stabilen, sozial weithin ausgeglichenen Gesellschaft zu tun. Um die Bewahrung dieses Zustandes und seinen vernünftigen Ausbau sollten wir uns bemühen. Wir sollten wetteifern, wo es um dieses Bewahren und dieses Ausbauen geht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dabei dürfen wir natürlich nicht — wenn mir das entgegengehalten werden sollte, stimme ich sofort zu — den Blick für die Realitäten verlieren, d. h., wir müssen darauf achten, daß die Grenzen des Möglichen nicht überschritten werden.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Verehrte Kollegen aus den Reihen der Oppositionsparteien, niemand nimmt Ihnen übel, daß Sie den Bundeshaushalt ablehnen, da Sie der Regierung insgesamt verständlicherweise nicht zustimmen wollen. Aber muß man deswegen — — Nein, ich frage jetzt nicht; ich hätte Herrn Strauß, wenn er da wäre, direkt gesagt: Aber, Herr Strauß, deswegen, weil man der Regierung kein Vertrauen aussprechen will, muß man doch die Lage im eigenen Land und des eigenen Landes in der Welt nicht schlechtermachen, als sie ist!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wenn es uns besser geht als vielen anderen Völkern, dann drückt sich darin doch vor allem auch die Arbeitsleistung, das Verantwortungsbewußtsein, der Fleiß, die Zuverlässigkeit der vielen einzelnen in unserem Lande aus, unserer Wähler und Ihrer Wähler.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ein uns allen bekannter Kommentator schrieb vor ein paar Wochen, auch für dieses Jahr lasse sich mit einiger Sicherheit prognostizieren, „daß es den Bundesbürgern besser gehen wird als den meisten Nachbarn, daß sie sich aber unglücklicher fühlen werden als alle übrigen". Er fügte hinzu: „Leicht verständlich ist das nicht."
    So ist es.

    (Wehner [SPD] : Das ist wahr!)

    Unbestreitbar ist wohl, daß wir es mit einem erheblichen Maß an Unsicherheit zu tun haben. Viele fühlen sich ratlos gegenüber den neuen Problemen, hilflos gegenüber dem, was man in der Welt nicht begreift — das ist ja auch häufig schwer genug zu verstehen —; ratlos, hilflos gegenüber den sich immer mehr aufdrängenden Herausforderungen der Zukunft. Sicher scheint mir auch zu sein, daß dieses Empfinden bei vielen unserer Mitbürger nicht von ungefähr kommt und nicht nur objektiv bedingt ist. Es sind auch Stimmungen der Angst, der Hilflosigkeit und der Ohnmacht geschürt worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!)




    Brandt
    Unsicherheit und Furcht sind Gegenstand eines engen und rücksichtslosen machtpolitischen Kalküls geworden. Wenn soeben jemand „Pfui" dazwischenrief, dann antworte ich darauf: Niemand stehle sich aus der Verantwortung! Der Satz, es müsse alles noch schlimmer kommen, stammt nicht von uns.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Viele Menschen machen sich deshalb Sorgen, weil ihnen Verführung angeboten wird. Wo zu sehr mit Stimmungen gespielt wird, können die Chancen für demokratische Politik verspielt werden. Desinformation und Fehlorientierung, Übertreibung und Verweigerung sind untaugliche Mittel, um über Schwierigkeiten hinwegzukommen und die Dinge zum Besseren zu wenden. Ich will versuchen, das durch einige Beispiele deutlich zu machen.
    Ist es nicht eine Desinformation, eine Fehlorientierung, wenn man im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt und dessen Verabschiedung wiederum so tut, als werde der Staat wegen der Aufnahme neuer Kredite zusammenbrechen? In Wirklichkeit weiß auch die Opposition, unter welchen Voraussetzungen wir diesen Weg nach gewissenhafter Prüfung und im Zusammenhang mit internationalen Erfahrungen haben beschreiten müssen und daß wir uns über die Grenzen dieses Weges durchaus im klaren sind. Ich verbinde dies gerade nach jenem Redeteil von Herrn Strauß mit einem ausdrücklichen Vertrauensvotum für Bundesminister Hans Apel und mit einem Dank für die Bürde,
    I) die er in diesen Jahren auf sich genommen hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In den vorausgegangenen Beratungen des Haushaltsausschusses — ich habe mich genau erkundigt — hat es im übrigen keine ernsthaften alternativen Vorschläge der Opposition gegeben. Wenn es ein anderes Grundkonzept gibt, frage ich: Warum wurde es dort nicht vorgetragen, warum wurde es dann heute früh nicht durch den wirtschafts- und finanzpolitischen Sprecher der Opposition vorgetragen?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn man meint, man könne Milliarden einsparen, in dieser Höhe nicht zusätzlich in die Nettokreditverschuldung eintreten, dann muß man sagen, wie und wo. Das ist auch heute nicht geschehen. Welchen Sinn soll es eigentlich ergeben, wenn man einerseits fordert, der Staat solle beispielsweise mehr tun, um Arbeitsplätze zu sichern und neue schaffen zu helfen, andererseits aber im Grunde die Mittel verweigert, die der Staat braucht, um im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern? Ich frage weiter: Was soll es in einer ernsthaften Debatte nutzen — ich knüpfe jetzt an eine lautstark vorgetragene Passage von Herrn Strauß an —, wenn angeblich klimatische Störungen immer wieder als Kampfformel herhalten müssen, um die zweifellos bestehende Investitionszurückhaltung im Inland gegen die Bundesregierung zu wenden? Als ob Wirtschaftspolitik
    nach meteorologischen Maßstäben gemessen werden könnte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Nein, es hilft keinem Arbeitslosen, es hilft auch nicht der Wirtschaft insgesamt,- wenn unser Land als eines dargestellt wird, in dem zu investieren sich nicht mehr lohnte. Es gehört doch gerade zu Ihren Überzeugungen, meine Damen und Herren von der Union, daß Investitionen nach Gewinn- und Verlusterwartung getätigt oder unterlassen werden. Wenn dem so ist, warum ist dann die Bundesrepublik Deutschland ein so gesuchtes Land für ausländische Investitionen?

    (Beifall bei der SPD und der FDP) .

    Zweifeln Sie an der Urteilskraft ausländischer Unternehmen, die mit ihrem verstärkten Engagement in der Bundesrepublik Vertrauen in unsere wirtschaftliche Zukunft beweisen? Es widerspricht dem nicht, wenn gleichzeitig die Beteiligung deutscher Unternehmen im Ausland kräftig ansteigt. Es zeigt nur das Ausmaß des weltwirtschaftlichen Strukturwandels, dem naturgemäß die vom Welthandel in besonderem Maße abhängigen Industriestaaten am stärksten ausgesetzt sind. Das, was Herr Strauß über Investitionen und Beschäftigung gesagt hat, ließ diesen entscheidenden Faktor des Strukturwandels, in dem wir mittendrin sind — in der Welt draußen, in Europa und bei uns zu Hause —, außer Betracht.
    Im übrigen hat er einen großen Irrtum begangen. Ich will kein härteres Wort dafür benutzen; er hat sehr viel härtere Ausdrücke verwendet. Er ist einem ernsten Irrtum unterlegen, als er gemeint hat, dies zumal an die Adresse des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Heinz Oskar Vetter, sagen zu müssen: Nicht nur die Wirtschaft, nicht nur die öffentliche Hand — Regierung, wie man so sagt —, auch die Arbeitnehmerseite ist betroffen und muß daran mitwirken, Arbeitsplätze zu erhalten und, wo es geht, neue zu schaffen. Wer Zeitungen liest und sich einmal darüber hinaus informiert, weiß, daß Heinz Oskar Vetter genau dies geschrieben und gesagt hat — noch in dieser Woche —: er möchte, daß die Spitzen — bei allem, das da sonst war — der Gewerkschaften und der Unternehmen und ihrer Verbände über Arbeitsplätze reden, zusätzlich zu dem, was darüber an anderer Stelle geredet wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich frage weiter — nach dem, was Herr Strauß gesagt hat —: ist es nicht eine maßlose und nahezu unverantwortliche Übertreibung, wenn man den Eindruck erweckt, als ob die Renten in ihrer Sub. stanz nicht gesichert seien und als ob sie nicht auch in Zukunft so erhöht würden, daß die Alten und die anderen, die einen Rentenanspruch erworben haben, weiterhin an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben werden?

    (Beifall beider SPD und der FDP)

    In Wirklichkeit, meine Kollegen von der Opposi-
    tion, geht es doch hier um unser gemeinsam ge-



    Brandt
    schaffenes System der fortlaufend wachsenden Rente. Es sollte in unserer gemeinsamen Verantwortung bleiben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Renten sind — Sie wissen es wie wir — im Laufe der Jahre beträchtlich gestiegen, und sie werden weiter steigen. Im Gegensatz zu Herrn Strauß-sage ich: der Generationenvertrag wird weiter tragen. Seine Interpretation zum Generationenvertrag.

    (Zuruf von der CDU/CSU: War richtig!)

    leidet darunter, daß er offenbar der illusionären Vorstellung gewesen ist, diese Welt und die Bundesrepublik würde für alle Zeit mit ungebrochenem wirtschaftlichen Wachstum rechnen können;

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    das war eine Illusion. Aber der Generationenvertrag muß auch unter sich verändernden Bedingungen halten,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    und er wird weiter tragen. Dadurch kommt jedem einzelnen — seien wir ehrlich, und die Menschen draußen wissen es — ein Mehrfaches dessen zugute — und so soll es sein —, was er selbst durch sein „Kleben", wie man so sagt, hat erarbeiten können. Statt Angstformeln zu prägen und Vorurteile zu mobilisieren,

    (Zurufe von der CDU/CSU — Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU] : Es sind Fakten!)

    sollten wir miteinander jenseits jeden Zweifels deutlich machen, daß die Renten sicher bleiben werden.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich habe vorhin von Verweigerung gesprochen und will auch dies begründen. Das Thema war in der vorigen Woche schon mal dran; aber manches muß mehrfach gesagt werden. Wem nutzt es eigentlich, daß die Ministerpräsidenten Filbinger und Albrecht das Heizenergiesparprogramm von Bundeswohnungsbauminister Karl Ravens zu Fall brachten?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ist es im Interesse der Bürger von Baden-Württemberg und von Niedersachsen,

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    wenn mehr als 2 Milliarden DM allein vom Bund nicht zur Steigerung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung eingesetzt werden können?

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich sage Ihnen ganz offen, ich finde es deprimierend, wie hier parteipolitische Enge über das Gebot der Vernunft gesiegt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Als ein bedenkliches Beispiel von Verweigerung habe ich auch empfunden, daß führende Mitglieder der Opposition die Klage der Arbeitgeberverbände gegen die Mitbestimmung mit wohlwollenden Kommentaren begleitet haben.

    (Zustimmung bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Erst ist man dagegen, •

    (Zurufe von der SPD)

    dann stimmt man dafür und rühmt sich dessen,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    und danach begrüßt man den Versuch, es außerparlamentarisch auszuhebeln.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das ist nicht nur ein Mangel an Geradlinigkeit, es ist gefährlich für den sozialen Frieden in unserem Land.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Denn wenn wir wirtschaftlich besser dastehen als viele, als die meisten anderen Länder, dann ist dies doch unbestreitbar mit darauf zurückzuführen, daß wir uns auf den Gebieten von Betriebsverfassung und Mitbestimmung nach vorne bewegt haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der SPD: Das ist das Entscheidende!)

    Es reicht eben nicht — so würde ich Herrn Strauß jetzt wiederum angesprochen haben, hätte er hier sein können —, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zu ökonomischer Vernunft aufzufordern, damit sie unter den gegebenen Umständen mit bescheidenen Lohnzuwächsen zufrieden sind. Es ist geboten, meine Damen und Herren, daß wir uns von dem Weg, der zu gemeinsamer Verantwortung und solidarischer Teilhabe führt, unter keinen Umständen abbringen lassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich sage Ihnen in aller Ruhe, die Sozialdemokraten werden unruhig, wenn im Verständnis einzelner das Bemühen um Mitbestimmung durch Neigung zum Klassenkampf von oben ersetzt werden sollte.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will auch dies hinzufügen: Aus der Inflation, mit der politische Entscheidungen zu Gerichten hin verlagert werden, kann meiner Meinung nach nichts Gutes kommen. Das gilt aus meiner Sicht ausdrücklich auch für das Bundesverfassungsgericht. Nun sagt Herr Strauß, Gerichte sind doch dazu da, auch das Verfassungsgericht, daß man sie anruft. Stimmt! Nur — auch auf der Ebene draußen —, wer ohne Not und überflüssigerweise dorthin läuft: den nennt man einen „Prozeßhansl", und das kann man auch auf die höhere Ebene anwenden.

    (Beifall bei der SPD Zurufe von der CDU/CSU)

    Übrigens kann auch eine Inflation an Untersuchungsausschüssen — aber im Moment gibt es ja „nur" in Bonn, München und Stuttgart welche —

    (Hartmann [CDU/CSU]: Inflation an Affären! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)




    Brandt
    der parlamentarischen Demokratie kaum gut tun. Jedenfalls — sagen Sie das bitte Herrn Strauß weiter —,

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    wer in der Lage ist, selbst etwas aufzuklären oder aufklären zu helfen,

    (Schwarz [CDU/CSU] : Ihr vertuscht doch alles!)

    der sollte nicht statt dessen nach einem Untersuchungsausschuß rufen und erstmal Verdächtigungen verbreiten.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Sonst darf er sich nicht wundern, wenn er schlafenden Rattenfängern Melodien liefert.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Sehr gut!)

    Ich komme auf meinen Ausgangspunkt zurück. Wir sollten auch in der oft unvermeidlichen Hitze des politischen Gefechts möglichst nie aus dem Auge verlieren, weshalb wir die Auseinandersetzung führen. Wir sind hier — wem sage ich es? — Teil der freiheitlichen Ordnung unseres Staates, die dem Bürger das Grundrecht zur demokratischen Teilhabe garantiert. Es liegt an uns allen, wie ernst wir dieses Grundrecht, wie ernst wir also den Bürger nehmen und was wir dazu tun, daß er als Bürger in der Demokratie handlungsfähig und bereit bleibt — und es zunehmend wird —, daß er, im be- sten Sinne aufgeklärt, Kritik üben oder unserer Arbeit zustimmen kann.
    Auch in diesem — wie man sagt — Hohen Hause sind, wie wir heute morgen wieder erfahren haben, Töne zu hören, die nicht zweifelsfrei von der Leitmelodie des mündigen Bürgers bestimmt sind; damit meine ich nicht nur die Sprache. Es geht um ein grundsätzlicheres Verständnis von Politik, dem wir als Demokraten verpflichtet sind, wollen wir nicht die Basis — und hier paßt der Ausdruck wirklich mal — unterspülen lassen.
    Natürlich gibt es verschiedene Auffassungen von Politik. Das Modell von Sonthofen beispielsweise, in dem ausdrücklich angeraten wurde — wenn man es noch mal genau liest —, nicht aufzuklären. Das war hoffentlich nicht ganz so zynisch gemeint, wie es dort stand. Aber manches davon hat negativ fortgewirkt.
    Ich meine, meine Damen und Herren, was die Grundfragen angeht, gibt es eigentlich nur ein demokratisches Prinzip. Ich darf uns alle eindringlich und keineswegs frei auch von Selbstkritik bitten, der Versuchung zu widerstehen, mit diesem Prinzip leichtfertig umzugehen. Vielleicht darf ich auch dies wieder an ein paar Beispielen deutlich machen.
    Kommt es nicht an Verweigerung heran, wie sich gegenwärtig einige Vertreter der Opposition mit unserer Bundeswehr befassen? Ich meine nicht den Untersuchungsausschuß; dazu habe ich meine Meinung gesagt. Aber ich meine, wie Sie — einige Vertreter der Opposition — die Bundeswehr in Ihren öffentlichen Äußerungen herabsetzen und sich
    damit in krassen Widerspruch setzen zur Meinung unserer Verbündeten und nicht nur dieser.

    (Beifall bei der SPD)

    Als maßlose Übertreibung muß ich das bezeichnen, was Herr Strauß und andere führende Vertreter der Unionsparteien nun schon seit geraumer Zeit zum Thema der inneren Sicherheit von sich geben. Es zeugt auch von einem sehr verengten Blick. Sonst müßte man sich doch einig darüber sein können, daß wir es über unsere eigenen Sorgen hinaus mit europäischen und internationalen Erscheinungen des Terrorismus und anderer Gewalthandlungen zu tun haben. Man müßte übrigens auch einmal anerkennen, daß sich in der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Terrorhandlungen endlich gewisse Fortschritte ergeben. Es sind noch nicht genug; aber, ich finde, es ist zu begrüßen, daß sich etwas bewegt.
    Wir Sozialdemokraten waren und sind der Meinung, daß wir das sicherheitspolitische Instrumentarium verbessern müssen, aber nicht durch falsche Betriebsamkeit und auch nicht durch das Aufpeitschen von Emotionen, sondern mit Verstand und mit Augenmaß.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nach den Einlassungen der Opposition ist nun klargeworden: Da sie alles — was sie für alles hält — nicht bekommen kann, will sie lieber nichts. So habe ich es verstanden. Das kann doch nicht vernünftig sein, das kann doch nicht überzeugen. Das wird auch nicht überzeugender durch die falschen, abgrundtief falschen Alternativen, die Herr Strauß hier heute früh dem Bundeskanzler hat aufdrücken wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das andere ist nicht so wichtig, seine nicht sehr sachkundigen Auffassungen über den Meinungsbildungsprozeß innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion. Da könnten ihm Kollegen von uns ruhig einmal Nachhilfeunterricht geben.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU] : Herr Coppik! — Dr. Hennig [CDU/CSU] : Herr Thüsing!)

    Aber wir weisen die — ich muß mich beherrschen, um nicht unparlamentarisch zu werden — unglaublichen Verdächtigungen und Anwürfe, die Herr Strauß hier gegen den Bundeskanzler erhoben hat, nachdrücklich zurück.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Übrigens, zu einem Punkt hätte ich gerne etwas von den Rechtsgelehrten der Unionsfraktion gehört. Die Ausführungen von Herrn Strauß zu einem Punkt, nämlich zur Sicherungsverwahrung, laufen doch, wie Ihnen klar wird, wenn Sie es nachher im Protokoll nachlesen, falls es jetzt nicht jedem klar ist, zweifelsohne auf eine rückwirkende Änderung dieser Bestimmungen hinaus,

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : .Sehr richtig! — Widerspruch bei der CDU/CSU — Schwarz [CDU/CSU]: Kein Popanz!)




    Brandt
    denn nur dann kann die Entlassung bereits Verurteilter verhindert werden.

    (Erneuter Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Natürlich!)

    Genau hierüber hat Herr Strauß gesprochen.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Genau!)

    Bisher hat die Opposition im Rechtsausschuß die verfassungswidrige Gesetzesänderung nicht verlangt, die Herr Strauß heute hier vom Podium vorgetragen hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir möchten, daß die Gemeinsamkeit

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Das ist aber von wenig Sachkunde getragen! — Schwarz [CDU/CSU]: Typisch Brandt!)

    der Abwehr von Gewalt nicht verschüttet wird.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Typisch Brandt!)

    — Das ist Ihnen unangenehm; ich muß es einstecken, daß Sie deswegen ein bißchen unruhig werden. Das macht nichts.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Nein, Sie verstehen nichts von der Geschichte!)

    Aber gemeinsam mit allen, die sich in der Welt umschauen und die Erfahrungen der eigenen Vergangenheit beherzigen, d. h. auch mit Ihnen, hoffentlich mit allen von Ihnen, jedenfalls mit vielen von Ihnen, möchten wir neben dem Nachdenken über die Vervollständigung des Instrumentariums dafür sorgen, daß die freiheitliche Substanz unseres Rechtsstaates nicht angetastet wird. Das ist kein Thema, das aus unserer Sicht kontrovers diskutiert werden muß, sondern eines, das im Sinne der Beidseitigkeit der Problematik, mit der wir es zu tun haben, diskutiert werden sollte.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Dann darf nicht eine Seite die Thematik so einschränken, Herr Brandt!)

    — Gut, ich habe ja von vornherein gesagt, wir haben einander vermutlich in beiden Richtungen etwas zu sagen. Ich habe nicht behauptet, daß wir nicht auch zuzuhören hätten, wenn die Union zu diesen und zu anderen Themen hier oder anderswo etwas zu sagen hat.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht noch auf folgendes hinweisen, gerade nachdem ich wieder manches gelesen habe, was in der letzten Zeit draußen geredet und geschrieben wurde: Ich bleibe der festen Überzeugung, daß man orientierungslosen, suchenden jungen Menschen — und von denen gibt es doch eine ganze Menge — nicht so begegnen darf, als seien sie potentielle Verbrecher. Das ist nicht vernünftig.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der Dialog mit der jungen Generation, nicht nur, aber auch an den Hochschulen, ist nicht leichter, er ist aber wieder wichtiger geworden. Mit Verteufelungen — hier sind hoffentlich die meisten von uns auch einer Meinung — ist nichts Vernünftiges zu
    erreichen. Ich füge hinzu — und ich weiß, was ich sage —: Manches, was zum vermeintlichen Schutz der Verfassung erfunden wurde, hat sich nicht bewährt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir dürfen der Demokratie nicht mehr aufladen, als sie zu tragen vermag. Vor allem dürfen wir die Jugend nicht mit ihren unmittelbaren Problemen allein lassen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das sind die Fragen der Berufsausbildung, der Arbeitsplätze, der Arbeitsbedingungen an den hohen Schulen, aber es sind auch die weiterreichenden Fragen einer friedlichen und würdigen Existenz in der Zeit, in die die hineingehen, die nach uns kommen. Ein Volk ist eben auch verantwortlich für seine Jugend.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Eine große Erkenntnis!)

    Was aus ihr wird, geistig und materiell — wenn ich Ihnen zumuten darf, über den Begriff „geistig" mit nachzudenken, Herr Wohlrabe —,

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe des Abg. Haase [Kassel] [CDU/CSU])

    dafür tragen wir Alteren Verantwortung. Es liegt mit an uns, statt Existenzflucht Lebensmut, statt Duckmäusertum

    (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Fröhlichkeit!)

    Freiheitswillen zur Entfaltung kommen zu lassen.
    Ich muß noch auf ein anderes Beispiel für grobe und zuweilen bösartige Desinformation zu sprechen kommen.

    (Wohlrabe [CDU/CSU]: Presseamt! Darauf kommen wir noch!)

    Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben das gute Recht, sich mit unserer Vertragspolitik kritisch auseinanderzusetzen.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Ich bestreite Ihnen aber das Recht, ein Mitglied dieses Hauses, das mit vielen anderen die Vertragspolitik nicht zerstören lassen will, einen Anwalt des Unrechts zu nennen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Mit unserem Kollegen Egon Bahr, der aus den Reihen der Opposition so tituliert, also beleidigt wurde, sind wir der Meinung, daß die Vertragspolitik nicht zerstört werden darf, sondern daß sie zur Sicherung des Friedens und im Interesse der Menschen ,weiterentwickelt werden muß.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Was an uns liegt, wir werden sie nicht kaputtmachen lassen.
    In der Deutschlandpolitik — Herr Strauß hat darüber nicht gesprochen, aber ich rede darüber, denn wir reden über den Einzelplan 04 — hat sich die Haltung der Opposition leider weiter zum Negativen entwickelt. Nach dem, was man an Stimmen der Vernunft aus Kreisen der Opposition heute
    Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. Januar 1978 5171
    Brandt
    nicht mehr hört, kann man bezweifeln, daß bei Abstimmungen noch so viele Stimmen der Enthaltung oder des Ja aus den Reihen der Opposition zu erwarten wären, wie das vor einigen Jahren der Fall war.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Es ist seitdem auch vieles schlimmer geworden!)

    Das Abrutschen auf das heute zu vernehmende Niveau des totalen Nein ist für die Deutschlandpolitik unseriös und damit schädlich.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Das totale Nein sagen doch Sie!)

    Die Erfolge der Politik dieser Koalition sind bei allen Rückschlägen oder nicht geleugneten, nicht vermeidbaren Unvollkommenheiten so, daß es zu ihrer Fortsetzung keine Alternative gibt. Wenn wir die andere Seite in Schwierigkeiten sehen, so mag das kein Grund zu großem Bedauern sein. Aber es darf im Interesse unseres ganzen Staates und seiner Menschen kein Grund sein, ein Feuer zu schüren, das außer Kontrolle geraten könnte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Opposition sollte im übrigen nicht vergessen, daß sie sich über die Verletzung von Verträgen durch die DDR beklagt, die sie selber mehrheitlich abgelehnt hat.
    Ich will, was die Entspannung im allgemeinen angeht, noch folgendes hinzufügen. Die Entspannung gedeiht leider nicht von allein. Man muß etwas für sie tun. Alle müssen etwas für sie tun. Es ist meine Überzeugung, daß die Entspannung über die nächsten Jahre hinweg nicht bestehen wird., wenn sie nicht auch auf dem Gebiet der Rüstungen, also des Verhältnisses der Rüstungen zueinander und der Rüstungsbegrenzungen, bestätigt und konkretisiert wird. Darüber hat Herr Strauß nicht sprechen wollen oder nicht mehr sprechen können. Daran dachte ich, als ich vorhin sagte, daß er sich zu einigen der drängendsten Fragen nicht ausgelassen hat. Dies ist für uns Sozialdemokraten mit die drängendste Frage: im letzten Jahr 400 Milliarden Dollar für Rüstungsausgaben; wen könnte das ruhig schlafen lassen!

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist wahr, Herr Strauß hat sich kurz zur Neutronenwaffe und zu einem Brief Breschnews geäußert, den ich nicht kenne und den vermutlich auch Herr Strauß nicht kennt. Ich meine, die Grauzonenwaffen müssen in die Verhandlungen zwischen Ost und West einbezogen werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich finde es unbefriedigend, daß die SU polemisiert, ohne selber einen Verzicht auszusprechen, und daß sich die CSU über Waffen freut, über die noch gar nicht entschieden worden ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir brauchen, wenn der Menschheit — nicht nur unserem Volk — nicht gewaltige Gefahren drohen sollen, ernsthafte Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle, über SALT II hinaus hin zu einem ersten Einstieg,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Vorleistung!)

    zu einem stabilisierenden Akt als Ergebnis der Wiener Verhandlungen. Wir brauchen — auch davon war hier nicht die Rede — eine erste, wenn auch noch so schwache Verknüpfung zwischen Rüstung und Entwicklung oder, wenn Sie wollen, zwischen Weltrüstung und Welthunger. Dies muß zu einem Hauptpunkt der in Aussicht stehenden Sonderversammlung der Vereinten Nationen gemacht werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier war heute morgen auch nicht vom Nahen Osten die Rede. Ich kann hier an einem Tag wie diesem, nach der Sadat-Rede und nach der Begin-Rede, nicht sprechen, ohne dazu auch ein Wort aus meiner und unserer Sicht zu sagen. Ich hoffe, nein, ich bin sicher, wir sind alle in diesem Haus der Überzeugung, daß es uns Deutsche und Europäer mitbetrifft, was sich dort vollzieht, daß wir dem mutigen Aufeinander-Zugehen mehr als Sympathie entgegengebracht haben und daraus die Hoffnung ableiten, daß nicht ein Rückfall in eine zerstörerische Entwicklung eintritt. Wenn es so ist, daß wir hierüber gar nicht zu streiten brauchen, dann will ich im Namen der SPD ausdrücklich hinzufügen: Das Bemühen um eine friedliche Lösung in dieser unserer Nachbarregion darf bitte nicht aufgegeben und darf bitte nicht verschüttet werden. Wir sind mit ganzem Herzen bei denen, die nicht aufgeben, sondern sich um gesicherten Frieden und eine möglichst gerechte Lösung für alle Beteiligten in der Region bemühen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Und wir meinen, daß die Bundesrepublik Deutschland in und mit der Europäischen Gemeinschaft dieses Bemühen begleiten und ermutigen muß: a) durch Mitverantwortung, sogar durch Mitgarantie, wenn dies erwünscht ist,

    (Zuruf des Abg. Dr. Barzel [CDU/CSU])

    b) durch das Inaussichtstellen einer umfassenden friedlichen Kooperation zwischen jener Region und dem sich organisierenden Europa.
    Wenn ich nun noch mal von mir selbst sprechen darf, möchte ich sagen: Sie haben ein gräfliches Mitglied Ihrer Fraktion ohne Widerspruch sagen lassen, ich — ich zitiere jetzt — betreibe das Geschäft Moskaus. Weshalb? Weil — so war die Logik, wenn es eine gibt — ich in Daressalam und in Lusaka mich dafür eingesetzt habe, daß der Rassismus und die Reste des Kolonialismus im südlichen Afrika überwunden werden, und zwar so rasch wie möglich.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Wohlrabe [CDU/CSU] : Aber nicht durch Guerillatruppen, sondern auf friedliche Weise!)

    Ich bin nicht geneigt, mich hiervon abbringen zu lassen. Die Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie die Beschlüsse der Vereinten Nationen weiterhin ernst nimmt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf des Abg. Wohlrabe [CDU/CSU])


    Brandt
    Dadurch — Herr Kollege, der Sie zwischenrufen — kann unnötiges Blutvergießen vermieden und der Gefahr begegnet werden — und diese Gefahr existiert —, daß unser Nachbarkontinent zum Schauplatz von zerstörerischen Großmachtkonflikten wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Da mögen uns einige nennen, was sie wollen: Wir sind gegen Rassenherrschaft und Kolonialismus,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    für friedlichen Ausgleich, wo immer er noch möglich ist, und für freundschaftliche Verbindungen mit denen, die sich ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit nicht länger vorenthalten lassen wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich kann es mir bei dieser Gelegenheit nicht verkneifen, Sie daran zu erinnern, daß der Streit um wichtige Teilgebiete der Außenpolitik früher anders ausgetragen worden ist. Wir Sozialdemokraten hatten ernste Bedenken gegen wichtige außenpolitische Vorhaben, die mit dem Namen Konrad Adenauer verbunden waren und bleiben. Darüber ist hier leidenschaftlich gestritten worden, bis sich die objektive Lage geändert hatte. Aber ich bitte die älteren Kollegen, sich einmal daran zu erinnern und es vielleicht auch den jüngeren zu sagen, wie peinlich wir Sozialdemokraten im Ausland darauf geachtet haben, gemeinsame Interessen wahrzunehmen, obwohl wir in der Opposition standen, jedenfalls nicht der Regierung des eigenen Landes Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

    (Beifall hei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU CSU: Wehner in Moskau!)

    Konrad Adenauer und Heinrich von Brentano haben das zu würdigen gewußt, und ich vermute, daß gerade der Kollege Gerhard Schröder aus der damaligen Zeit nicht nur Negatives in Erinnerung behalten hat.
    Ich weiß wohl: Im Bewußtsein vieler werden die staatspolitischen Aufgaben einer konstruktiven parlamentarischen Opposition nicht gewürdigt oder gering geachtet. Wir Sozialdemokraten haben hierzu seinerzeit einen nicht einfachen, sondern teilweise schmerzhaften Lernprozeß durchmachen müssen. Aber wir haben das im Laufe einer einzigen, nämlich der ersten, Legislaturperiode hinter uns gebracht. Andere bemühen sich darum nun schon — wenn sie es tun — im neunten Jahr.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Konstruktives Zusammenwirken von Regierung und Opposition erfordert das Ringen um bessere Lösungen, wenn es sein muß, auch mit harten Bandagen. Aber der politischen Auseinandersetzung, dem legitimen Kampf um politische Macht sollten — ich nehme auch diesen Faden wieder auf — doch Grenzen gesetzt sein. Sie waren nicht zuletzt durch die prinzipielle Regierungsfähigkeit gesetzt, die auch eine Opposition nachweisen muß. Aber ich gebe zu, es wird vielleicht immer schwieriger, über den lang gewordenen schwarzen Schatten zu springen.
    Bundespräsident Walter Scheel hat um die Jahreswende in einem Interview mit Recht darauf hinge-
    wiesen, daß die Grenzen der Zukunft sichtbar geworden seien. Er fügte hinzu, diese neue Erfahrung werde die westliche Zivilisation tiefgreifend verändern. Der Bundespräsident fuhr fort — ich darf zitieren —:
    Ich mache mir Sorgen darüber, ob wir uns als fähig erweisen, die Grenzen frühzeitig, richtig und in vollem Umfang zu erkennen und diese Erkenntnis in unser Handeln, in unsere politischen Entscheidungen einzubeziehen. Ich mache mir Gedanken
    — so der Bundespräsident —
    über die Funktionsfähigkeit und die Anpassungsfähigkeit unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung und ihrer staatlichen Institutionen angesichts dieser großen Herausforderung.
    Der Bundespräsident kam zu dem Schluß:
    Ich halte es für die große Aufgabe der Politik, neue politische Gesamtbilder zu erarbeiten, wie wir in Zukunft leben können und wie wir in Zukunft leben wollen.
    Soweit das Zitat. Das sollte in der Tat unsere Aufgabe sein, auch hier 'in diesem Parlament. Dieser Wettstreit ist es wert, aufgenommen zu werden. Wenn wir dem ausweichen, darf sich niemand wundern, wenn sich politisches Interesse von Bürgern am Parlament und an Parteien vorbei artikuliert, ja, sich dann auch auf eine Weise Ausdruck zu verschaffen sucht, die an die Substanz des demokratischen Staates rühren kann.
    Es ist Aufgabe und Pflicht sowohl der Koalition als auch der Opposition, sich Gedanken über das zu machen, was auf uns zukommt. Es ist unsere Pflicht, dies neben unserer Tagesarbeit nicht zu versäumen, jeder auf seine Weise. Aber warum eigentlich nicht dort, wo es geht, auch im Gespräch miteinander?
    Ich will jetzt nur auf einen Aspekt dessen hinweisen, was mit neuen Grenzen zu tun hat, mit tiefgreifenden Veränderungen für die westliche Zivilisation, und ich möchte damit eine Bitte verbinden dürfen. Mich hat gefreut, daß in der Regierungserklärung der vorigen Woche über die neue unabhängige Kommission für internationale Entwicklungsfragen Freundliches, Positives gesagt worden ist, jene Kommission, deren Vorsitz ich auf Vorschlag von Weltbankpräsident McNamara übernommen habe. Meine Partei betrifft dies auch, aber erst in zweiter Linie; denn ich habe den Vorsitz jener Kommission nicht als Parteivorsitzender, sondern in persönlicher Verantwortung übernommen, gemeinsam mit Kollegen aus einer Reihe anderer Länder und aus sehr unterschiedlichen Erfahrungsbereichen. Natürlich habe ich Wert darauf gelegt, auch Kollegen aus konservativen und christdemokratischen Erfahrungsbereichen um ihre Mitarbeit zu bitten, und sie sind freundlich genug gewesen, diese zuzusagen.
    Deshalb habe ich die Bitte, das ernsthafte Bemühen — schwierig genug wird es sein - um einen neuen überparteilichen Beitrag zum weltweiten Nord-Süd-Dialog nicht ohne Not durch kleinkarier-



    Brandt
    ten bundesrepublikanischen Parteienstreit zu belasten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich weiß nicht, ob die Kommission den in sie gesetzten Erwartungen auch nur einigermaßen wird gerecht werden können, wenn sie ihren Bericht in eineinhalb Jahre vorlegt. Aber es ist gewiß an der Zeit, die Beiderseitigkeit und die Gegenseitigkeit der Interessen von Industrieländern und Entwicklungsländern neu zu definieren. Das ist nicht möglich, wenn man dogmatisch gefärbte Brillen aufsetzt. Nicht die CDU insgesamt, aber Übereifrige aus ihren Reihen haben gemeint, wir, die wir diese Arbeit in Gang gesetzt hätten, seien vom Weg der marktwirtschaftlichen Tugend abgewichen, als wir in jener Kommission in Übereinstimmung mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Herrn Waldheim, von der Notwendigkeit einer neuen weltwirtschaftlichen Ordnung gesprochen haben. Das ist doch, wenn man nicht unbedingt Streit sucht, kein Anlaß, Streit zu führen. Auf den Inhalt wird es ankommen, weniger auf die Überschrift, und die allermeisten von uns werden sich darüber im klaren sein, daß es in den internationalen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen nicht nur kosmetischer, sondern tiefgreifender Veränderungen bedarf.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Welt, in der wir leben, kann nicht nur durch das Ergebnis von Wettrüsten und nuklearer Eskalation in die Luft gejagt werden; auch internationaler Klassenkampf — wenn das Wort hier richtig verstanden wird — kann an den Rand der Katastrophe oder von Katastrophen führen.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Unsere eigenen Interessen sind direkt und indirekt in vielfacher Hinsicht berührt. Deshalb brauchen wir viel Aufgeschlossenheit für die neuen Probleme, wir brauchen die Fähigkeit, über unsere eigenen Beiträge gründlich und unvoreingenommen nachzudenken, und ich bin sicher, daß ich nicht nur von Kollegen meiner eigenen Fraktion verstanden worden bin.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)