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    Plenarprotokoll 8/34 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 34. Sitzung Bonn, Dienstag, den 21. Juni 1977 Inhalt: Regelung für die Einreichung von Fragen während der Sommerpause 2513 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 2513 B Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 2513 D Abwicklung der Tagesordnung 2514 C Zur Tagesordnung gemäß § 24 Abs. 2 GO Dr. von Wartenberg CDU/CSU 2514 C Porzner SPD 2515 B Ollesch FDP 2516 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1977 (Haushaltsgesetz 1977) — Drucksachen 8/100, 8/324, 8/270, 8/474 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksache 8/491 — 2516 D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksache 8/492 — Carstens, Präsident des Deutschen Bundestages 2517 A Frau Renger SPD 2519 C Ollesch FDP 2521 A Dr. Schmitt-Vockenhausen SPD . . . . 2522 A Dr. Luda CDU/CSU (Erklärung nach § 59 GO) 2522 B Einzelplan 03 Bundesrat . . . . . . . . . . . . 2522 C Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksache 8/494 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Mißbilligung des Verhaltens des früheren Bundesfinanzministers Helmut Schmidt bei der Bewilligung überplanmäßiger und außerplanmäßiger Ausgaben zum Jahreswechsel 1973/1974 — Drucksache 8/595 — Wohlrabe CDU/CSU . . . . . . . . . 2522 D Dr. Kohl CDU/CSU 2525 B, 2585 B Dr. Schäfer (Tübingen) SPD . . . . . 2534 B Hoppe FDP 2540 D II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 21. Juni 1977 Strauß CDU/CSU 2545 B Brandt SPD 2557 D Mischnick FDP 2565 D Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . . 2569 C Schmidt, Bundeskanzler 2573 B Wehner SPD 2595 C Schröder (Lüneburg) CDU/CSU . . . . 2598 C Löffler SPD 2599 D Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen 2602 B Namentliche Abstimmungen 2598 C, 2600 B, C, 2602 B Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 8/495 —in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Vorbereitung einer Dokumentation über die menschenrechtliche Lage in Deutschland und der Deutschen in den kommunistischen Staaten Osteuropas zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, FDP Verwirklichung der KSZE-Schlußakte und Wahrung der Menschenrechte — Drucksachen 8/152, 8/221, 8/ 603 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung und zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung des Berichts der deutschen Delegation über die 22. Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung — Drucksachen 8/27, 8/110, 8/604 — Picard CDU/CSU 2604 C Dr. Bußmann SPD 2607 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU 2609 D Friedrich (Würzburg) SPD 2615 C Dr. Kohl CDU/CSU . . . . . . . . 2621 A Genscher, Bundesminister AA . . . . 2621 D Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/510 — 2625 D Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/506 — 2626 A Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 8/507 — 2626 C Nächste Sitzung 2626 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2627* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Luda CDU/CSU gemäß § 59 der Geschäftsordnung zur Abstimmung über Einzelplan 02 2627* B Deutscher Bundestag — 8, Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 21. Juni 1977 2513 34. Sitzung Bonn, den 21. Juni 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 24. 6. Dr. Ahrens ** 24. 6. Dr. Aigner * 24. 6. Amrehn ** 24. 6. Angermeyer 24. 6. Frau von Bothmer ** 24. 6. Büchner (Speyer) ** 24. 6. Dr. Enders ** 24. 6. Dr. Evers ** 24. 6. Flämig * 21.6. Dr. Fuchs * 23. 6. Dr. Geßner ** 24. 6. Handlos ** 24. 6. von Hassel ** 24. 6. Hoppe 24. 6. Katzer 24. 6. Lemp ** 24. 6. Lenzer ** 24. 6. Lücker * 24. 6. Marquardt ** 24. 6. Dr. Marx 24. 6. Dr. Mende ** 24. 6. Milz ** 24. 6. Dr. Müller ** 24. 6. Müller (Mülheim) 24. 6. Müller (Wadern) * 21. 6. Dr. Müller-Hermann * 23. 6. Pawelczyk ** 24. 6. Reddemann ** 24. 6. Frau Dr. Riede (Oeffingen) 24. 6. Dr. Schäuble ** 24. 6. Schmidhuber ** 24. 6. Schmidt (München) * 24. 6. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 24. 6. Seefeld 24. 6. Sieglerschmidt * 21. 6. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 24. 6. Dr. Starke (Franken) * 24. 6. Dr. Staudt 24. 6. Frau Steinhauer 24. 6. Ueberhorst 24. 6. Dr. Vohrer ** 24. 6. Frau Dr. Walz * 21. 6. Dr. Wendig 24. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Luda (CDU/CSU) gemäß § 59 der Geschäftsordnung zur Abstimmung über Einzelplan 02 - Deutscher Bundestag - (Drucksache 8/491) Anlagen zum Stenographischen Bericht Die Fraktionen des Deutschen Bundestages beabsichtigen, neue Gebäude für Bundestag und Bundesrat zu errichten. Mit der Zustimmung zum Einzelplan 02 werden hierfür weitere Planungsmittel bewilligt. Unstreitig reicht die derzeitige Raumausstattung von Bundestag und Bundesrat bei weitem nicht aus. Neubaumaßnahmen sind daher unabweislich. Dem in der Neubaukommission des Ältestenrates des Bundestages vorbereiteten Konzept, welchem Arbeiten der Architektengruppen Behnisch und von Wolff zugrunde liegen, könnte gestalterisch im Prinzip und trotz Bedenken auch funktional weitgehend zugestimmt werden, wenn es tatsächlich notwendig wäre, in dem vorgesehenen Ausmaß neu zu bauen. Das ist jedoch nicht der Fall; die Raumanforderungen des Parlaments sind übersetzt. Wäre davon auszugehen, daß für den Abgeordneten die eigentliche Parlamentsarbeit, d. h. die Beteiligung an der Gesetzgebung und an der Kontrolle der Regierung und somit sein Einsatz in Bonn rein zeitlich eindeutig dominieren würden, so wäre tatsächlich eine derartige Raumausstattung vertretbar. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Dies ergibt sich eindeutig aus der Zahl der Sitzungstage, d. h. jener Tage, für welche in der Vergangenheit durch den Bundestagspräsidenten für alle Abgeordneten Präsenzpflicht angeordnet worden ist; über diesen Rahmen hinaus dürfen Sitzungen von Parlamentsgremien bekanntlich nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Präsidenten angesetzt werden, welche Fälle nicht oft vorkommen. Im Jahre 1973 hat es 85 Sitzungstage gegeben, 1974 93, 1975 97 und 1976 71 Sitzungstage. Für das Jahr 1977 sind 22 Sitzungswochen vorgesehen, wobei wöchentlich üblicherweise von 4 Sitzungstagen auszugehen ist. Diese Zahlen lassen eindeutig erkennen, welche Bedeutung auch rein zeitlich der zweiten Hauptaufgabe des Abgeordneten beizumessen ist: Wahlkreisarbeit zu leisten, den Kontakt mit der Bevölkerung zu pflegen. Der Abgeordnete übt seine Tätigkeit nicht überwiegend stationär in Bonn aus, er benötigt ebenso, je nach Wahlkreisgröße, mindestens ein Wahlkreisbüro. Schon aus diesem Grunde ist es abwegig, seinen Bonner Raumbedarf mit dem von Verwaltungsbeamten welcher Rangstufe auch immer zu vergleichen; die Abgeordnetentätigkeit ist auch insoweit mit keiner anderen Berufstätigkeit vergleichbar. Wie sich aus der Verwendung der jedem Parlamentsmitglied zur Verfügung stehenden Mitarbeiterpauschale ergibt, tragen die Abgeordneten dieser Doppelfunktion auch insoweit durchaus Rechnung: Etwa ein Drittel des hierfür im Bundeshaushalt bereitgestellten Betrages (1976: 21 Millionen DM) wird für Wahlkreismitarbeiter eingesetzt. Dieser Anteil hat steigende Tendenz. Die Neubauplanung geht davon aus, daß die Mitarbeiterpauschale so weit aufgestockt wird, daß der Abgeordnete künftig je einen wissenschaftlichen Mitarbeiter und eine Schreibkraft besolden kann. Erfahrungsgemäß ist also anzunehmen, daß die volle Inanspruchnahme 2628* Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 21. Juni 1977 der im neuen Bundeshaus vorgesehenen Abgeordnetenbüros (je 3 Räume zu je 18 qm) nicht gewährleistet sein wird, daß möglicherweise ein Drittel oder mehr dieser Räume überwiegend leer stehen werden. Dieses Risiko wäre z. B. leicht zu vermeiden, wenn vorgesehen würde, daß je zwei Abgeordnetenbüros sich einen für jeweils zwei Schreibkräfte bestimmten Raum teilen, daß jeder Abgeordnete also statt drei zweieinhalb Räume erhält. Der wegen des Umfanges der Baumasse ohnehin architektonisch kaum angemessen zu gestaltende Baukörper des Fraktionsbereiches würde dann wenigstens etwa um ein Sechstel seines Volumens verringert. Dieses Beispiel zeigt, daß wesentliche Raumeinsparungen nicht nur möglich, sondern sogar angezeigt sind. Allerdings würde eine derartige Reduzierung des Raumprogrammes keineswegs ausreichen. Nirgendwo in der Welt gibt es einen auch nur annähernd so großen Parlamentsbereich, das Capitol in Washington vielleicht ausgenommen. Immerhin soll der geplante Komplex mit 750 m Frontlänge die Ausdehnung der Bonner Altstadt bekommen. Für uns besteht kein Grund, die Größenordnungen der Parlamentsbauten anderer Demokratien zu übertreffen. Schon diese Darlegungen machen deutlich: Die bisherige Neubauplanung ist ein Konzept personalmäßiger Expansion. Das gilt im übrigen auch für die Weiterentwicklung der Zahl der Bediensteten der Bundestagsverwaltung. Die Presse meldete kürzlich, Bundestagspräsident Professor Dr. Carstens habe erklärt, die Zahl der Bediensteten der Bundestagsverwaltung habe sich von 1969 bis 1976 auf 1 600 verdoppelt. Es sei verständlich, wenn der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages überlege, ob alle Stellen notwendig seien. Ergänzend ist festzustellen, daß die Zahl der Planstellen für Beamte in der Zeit von 1965 bis 1975 von 338 auf 931 erhöht worden ist. Ich will das nicht nachträglich kritisieren. Vielleicht war es nötig, diese Zahl beinahe zu verdreifachen. Die vorgesehene Neubaumaßnahme würde jedoch bezüglich der künftigen Entwicklung der Zahl der Bediensteten eine ebensolche Sogwirkung auslösen, die zu beobachten war, nachdem man bei Fertigstellung des neuen Bundeskanzleramtes merkte, daß man 5 % zuviel Büroraum erstellt hatte. Der berechtigten Feststellung des Bundestagspräsidenten zum Trotz gilt also leider auch insoweit: Diese Neubauplanung ist, gewollt oder nicht, ein Konzept personalmäßiger Expansion. Politik darf nicht in Verwaltung umschlagen, auch nicht im Parlament, auch nicht in den Abgeordnetenbüros. Wie die tägliche, oft wenig sinnvoll erscheinende, vom Parlament selbst erzeugte Papierflut zeigt, besteht diese Gefahr schon heute. Ihr wird durch eine überzogene Neubauplanung weiterer Vorschub geleistet. Aber vor allem: Je mehr der Apparat des Abgeordneten vergrößert wird, um so mehr wird sein unmittelbarer Kontakt zu denen, die er politisch zu betreuen hat, gemindert, um so mehr wächst der Abstand zum Wähler. Bundespräsident Scheel hat kürzlich die zunehmende Professionalisierung der Abgeordnetentätigkeit beklagt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Tätigkeit der Bundestagsabgeordneten zum Hauptberuf erklärt hat, sollte wenigstens alles vermieden werden, was den Parlamentarier zumindest optisch mehr und mehr als Amtsperson erscheinen läßt, als Vertreter des Staates und nicht primär als Volksvertreter. Der 'übermäßige Ausbau seines Apparates erscheint ohnehin kaum geeignet, seine politische Effizienz zu steigern. Wer wollte behaupten, der Bundestag leiste heute politisch mehr und genieße höheres Ansehen als in den Zeiten, in denen er wahrhaft erbärmlich untergebracht war. Als Mitglied der Neubaukommission des Altestenrates des Bundestages habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder verlangt, den Umfang der Neubauplanung einzuschränken. Ich fordere nunmehr erneut, vor endgültiger Beauftragung der Architekten die Raumanforderungen des Parlaments wesentlich zu kürzen.
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    Herr Abgeordneter, mit Sprachgebrauch hat das nichts zu tun. Sie fragen ja in sehr sachlicher Weise; ich habe Ihren Sprachgebrauch nicht zu beanstanden. Ich bezweifle, daß es einen solchen Vermerk gibt.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Er ist vorgelesen worden!)

    Ich war aber an dem Prozeß nicht beteiligt, ich habe auch die Bundesregierung dort nicht vertreten. Ich bin auch nicht gehört worden. Ich kenne nur von Dritten Teile dessen, was im Prozeß vorgetragen worden ist. Aber ich nehme an, daß es sich um einen nach den Entscheidungen des Bundesfinanzministers gefertigten Vermerk handelt. Ich weiß darüber nichts anderes und gebe Ihnen eine meinem gegenwärtigen Informationsstand entsprechende, wahrheitsgemäße Antwort.
    Nun hat der Herr Abgeordnete Kohl heute schon wieder eine neue Verfassungsklage auf einem anderen Feld angekündigt. Ich muß Ihnen sagen, daß ich das nicht mit Freude gehört habe, Herr Abgeordneter Kohl.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Es kann ja die Fülle der Prozesse Ihren Mangel an politischer Gestaltungskraft auf die Dauer doch nicht überdecken!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Offenbar soll sich die neu ins Auge gefaßte Klage diesmal nicht auf Verfahrensmängel beziehen, sondern auf den materiellen Inhalt der Wehrpflicht- und Zivildienstnovelle, wenn ich es richtig verstanden habe. Sie haben in dem Zusammenhang gesagt, der Bundeskanzler habe nicht den Mut, sich gegen die Linken in der SPD und FDP durchzusetzen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Ich nehme Ihnen nicht übel, daß Sie meine frühere Auffassung dazu nicht kennen. Dazu muß ich Ihnen nun meine Auffassung, die ich durch zwölf Jahre immer wieder öffentlich und auch hier im Bundestag vertreten habe, auch als Verteidigungsminister, darlegen dürfen. Ich habe seit 1964 oder 1965 öffentlich und kontinuierlich immer die Auffassung vertreten, daß die durch ein kollektives Organ vorgenommene Überprüfung der Gewissensentscheidung der einzelnen Person mit dem Geist der Achtung vor der Würde des Menschen nicht vereinbar sei.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich habe allerdings aus dieser Überzeugung heraus, über die denkbaren praktischen Folgen nachdenkend, immer das hinzugefügt, was ich auch jetzt hinzufügen will: Wenn staatliche Behörden oder Ausschüsse dem Gewissen der Person diesen Respekt
    schulden — wie ich meine —, dann darf daraus nicht eine Verleitung für einzelne Personen entstehen. Infolgedessen haben die staatlichen Behörden, hat der Staat dafür zu sorgen, daß keine Verleitung entsteht. Das heißt: Er hat so viele Ersatzdienstplätze bereitzustelllen, daß diejenigen, die sich im Gewissen so entscheiden, mit derselben Wahrscheinlichkeit und unter den gleichen Voraussetzungen mit der gleichen Chance zum Ersatzdienst herangezogen werden wie die übrigen, die sich im Gewissen anders entschieden haben, zum Wehrdienst herangezogen werden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich habe in diesen zwölf Jahren, auch als Verteidigungsminister, immer hinzugefügt — Herr Abgeordneter Kohl, Sie haben mich als ehemaligen Verteidigungsminister apostrophiert und vielleicht geglaubt, ich hätte meine Meinung gewandelt; ich hatte diese Meinung aber vorher schon als Verteidigungsminister und habe sie auch heute noch —, daß es meiner Meinung nach notwendig sei, die zeitliche Dauer des Ersatzdienstes etwas länger zu bemessen als die des Wehrdienstes, weil der Wehrdienstleistende später zur Reserveübung geholt werden kann und vielfach auch tatsächlich geholt wird. Dies ist für den Ersatzdienstleistenden nicht gegeben.
    Herr Abgeordneter Kohl, Sie haben heute des längeren von Verantwortungsbewußtsein gegenüber der jungen Generation gesprochen. Sie sind aber nicht bereit, der jungen Generation, die vor einer solchen Gewissensentscheidung steht, zu vertrauen, daß sie verantwortungsbewußt ihr persönliches Gewissen ausübt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie haben Erwägungen über die Gefährdung unserer äußeren Sicherheit, die hiermit verbunden sein könnten, hinzugefügt. Mich hat das an eine Floskel erinnert, die Sie mehrfach im Laufe des Herbstes 1976 in Ihren öffentlichen Reden verwandt haben, nämlich an die Floskel: „Wenn die Kosaken kommen ..."

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist von Friedrich Naumann!)

    — Ich weiß, daß es von Naumann ist. Sie haben es häufig verwendet. Das wissen Sie auch. Ich klittere hier nicht, Herr Kohl. Sie haben damit an eine bei Ihnen schon mehrfach zu beobachtende Bemühung angeknüpft, unserem Volk und der öffentlichen Meinung zu suggerieren, die äußere Sicherheit unseres Landes werde durch die sozialliberale Koalition gefährdet.
    Ich darf Ihnen dazu sagen, daß die Bundeswehr zu den besten Streitkräften in der ganzen Welt gehört. Sie ist allerdings rein defensiv strukturiert, rein defensiv ausgebildet, rein defensiv bewaffnet. Es wäre gut, Herr Abgeordneter Kohl, wenn Sie sich etwas häufiger bei der Bundeswehr umsähen, um sich ein sachgerechtes Urteil bilden zu können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nicht ganz in Übereinstimmung mit manchen anderen Mitgliedern des gemeinsamen Bündnisses



    Bundeskanzler Schmidt
    handelnd, haben wir, die Bundesrepublik Deutschland, jedes Jahr und ohne Abstriche die Verpflichtungen erfüllt, die wir dem Bündnis schulden. Andere haben das nicht ganz so übereinstimmend getan. Ich finde, Sie sollten erwägen, ob Sie unserem Lande und dem gemeinsamen Bündnis wirklich einen guten Dienst erweisen, wenn Sie den Eindruck erwecken, Sie selbst glaubten, wir gefährdeten die Sicherheit. Ich weiß, daß Sie das persönlich nicht glauben. Sie wollten es nur gern andere glauben machen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie haben dies alles getan, um zu begründen, daß Ihre Fraktion heuer zum ersten Mal den Einzelplan 14, den Verteidigungshaushalt, ablehnen will. Das steht zu Ihrer Disposition, zu Ihrer Entscheidung. Man kann sich aber dann darüber wundern, wenn man noch die Begründungen im Ohr hat, mit denen Sie in den vergangenen Jahren Ihre Entscheidung gerechtfertigt haben, zwar den Gesamthaushalt abzulehnen, den Einzelplan 14 aber anzunehmen. Aber das steht zu Ihrer Disposition. Nur, Herr Abgeordneter Kohl: Uns wird dann auch von Ihnen zugestanden werden, daß wir darüber nachdenken und reden, welche Gründe Sie wohl haben, in diesem Jahr erstmalig von den Motiven abzuweichen, die Sie in den letzten sieben Jahren hatten, als Sie den Verteidigungshaushalt eben nicht ablehnten. Mir ist das völlig klar: Sie haben sich im Jahre 1977 erstmalig gänzlich der Sonthofener Strategie Ihres Kollegen Strauß unterworfen,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    einer Strategie, die aus drei Elementen besteht: 1. alles herabsetzen, was die anderen tun und leisten, 2. selbst keine alternative Politik anbieten — das hat auch Herr Strauß in 1 1/4 stündiger Rede mit keinem einzigen Satz getan —,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    und 3. auf Strauß hoffen. Aber er will ja nach München. Herr Kohl, was machen Sie eigentlich dann, wenn er weg ist? Dann haben Sie Herrn Zimmermann.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Herr Strauß hat in der Nachmittagsdebatte in keinem einzigen Punkte die Absicht gehabt, eine alternative Politik anzudeuten oder anzubieten. In der Vormittagsdebatte hat Herr Abgeordneter Kohl jedenfalls die Absicht gehabt, Alternativen auf einigen Gebieten anzudeuten. Diese Andeutungen müssen wir uns etwas näher betrachten.
    Zum einen haben Sie Steuererleichterungen, Steuerentlastungen gefordert. Es ist schon genug darüber gesprochen worden, daß Sie sie in der letzten Woche noch ablehnten. Das wird auch in der Zukunft noch ein paar Mal wechseln. Zum zweiten haben Sie zusätzliche sozialpolitische Ausgaben verlangt. Das heißt also doch, daß Sie auf der Einnahmenseite die Einnahmen des Staates verkürzen, auf der Ausgabenseite die Ausgaben verlängern. Zum dritten haben Sie gleichzeitig kritisiert, daß der Staat zuviel Kredite aufnehme.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Wo habe ich zusätzliche Ausgaben verlangt?)

    Das ist nun in sich kaum als schlüssig zu empfinden, zumal ja Ihre Parteifreunde im Bundesrat, in den CDU/CSU-geführten Ländern, jetzt schon überall verkünden, daß das mit den Steuererleichterungen oder Steuerentlastungen ganz gut sein möge. Nur wenn der Staat dadurch insgesamt weniger Geld einnimmt, dann wollen Ihre Kollegen in den CDU/ CSU-geführten Ländern jedenfalls darunter nicht leiden. Darunter soll dann nur der Bund mit seiner Einnahmenseite leiden. Das ist alles nicht recht von innerer Logik zusammengehalten. Aber ich will es nicht sonderlich vertiefen. Ich will nur fragen.
    Sie sprachen von einem umfassenden wirtschaftspolitischen Programm zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung. Herr Abgeordneter Kohl, ich habe davon auch in der Presse gelesen. Ich habe aber bisher keinen Antrag dieser Art auf dem Tisch des Hauses vorgefunden. Mir ist das auch ganz erklärlich; denn Ihr Kollege Strauß hat das Programm ja sehr schwer kritisiert. Sie haben dann gesagt, es müsse noch einmal überarbeitet werden. Also ehe Sie nun ankündigen, daß es auf den Tisch kommen solle, legen Sie es lieber gleich auf den Tisch. Dann wissen wir, worüber wir mit Ihnen streiten dürfen. Bisher haben wir nur Ankündigungen gehört.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie haben in dem Zusammenhang gemeint, die Opposition bestimme das Gesetz des Handelns der Gesetzgebungs- und Regierungskoalition. Ich glaube, das wird dem Sachverhalt nicht ganz gerecht. Im Zusammenhang mit dem von Ihnen heute erneut angekündigten Programm zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung sollte man wohl besser sagen: Der Herr Abgeordnete Strauß bestimmt das Handeln der Opposition. Das, glaube ich, ist die richtige Beschreibung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Regierungskoalition, die sozialliberale Gesetzgebungskoalition ihrerseits, die handelt auf dem Felde, von dem wir reden — Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung — auf mannigfache Weise. Am 25. Mai dieses Jahres ist eine Fülle von Beschlüssen gefaßt worden: 1. die Verlängerung des Regionalprogramms, was das Bauen angeht, auch in das Jahr 1978 mit dem gleichen Förderungsvolumen, wie wir es für 1977 haben, 2. im Jahre 1977 eine zusätzliche Förderung von rund 30 000 Wohnungen oder 3. der Antrag auf Bereitstellung von zusätzlich 330 Millionen DM für die Fortführung bewährter Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor allen Dingen für die Problemgruppen des Arbeitsmarktes, die Alteren, die Frauen, die langfristig Arbeitslosen, die Angestellten, oder 4. der Antrag, zusätzlich 270 Millionen DM für einen neuen Schwerpunkt der Arbeitsmarktpolitik auszugeben, nämlich Bereitstellung von Arbeitsplätzen im sozialen Dienst, gerade auch für teilzeitarbeitende Frauen. Ich könnte manches mehr erwähnen. Einiges von dem findet sich dann übrigens in jenem Programm wieder, von den Sie unter der Überschrift, daß es Ihres sei, gesprochen haben.
    Wichtiger als all das ist es mir, das 16-MilliardenProgramm für Zukunftsinvestitionen in die öffent-



    Bundeskanzler Schmidt
    liche Infrastruktur in Ihr Bewußtsein zu heben. 16 Milliarden DM: Bund, Länder und Gemeinden und zu einem ganz kleinen Teil auch Private zusammengenommen. Darunter finden sich z. B. 675 Millionen DM für die Beseitigung plangleicher Kreuzungen von Straßen und Eisenbahnen oder 500 Millionen DM für die Beseitigung von Unfallschwerpunkten im Bundesfernstraßennetz oder 1 180 Millionen DM für den Bau für Ortsumgehungen oder z. B. 280 Millionen DM für die Umleitung der Ems im Zusammenhang mit dem Dollart-Hafen oder z. B. für den Schallschutz 50 Millionen DM oder Forschungsvorhaben einschließlich der Nachrichtentechnik 400 Millionen DM oder das Rhein-Bodensee-Programm, Abwasserbeseitigung, 2 Milliarden DM, Sicherung der Trinkwasserversorgung 1 410 Millionen DM oder die Infrastrukturmaßnahmen im städtischen Innenbereich 600 Millionen DM, eben noch einmal 600 Millionen DM zur Förderung des Ersatzwohnungsbaus, Auslagerung von Gewerbegebieten aus den Stadtinnenbereichen 600 Millionen DM, Infrastrukturmaßnahmen in Schwerpunktorten, Erhaltung und Erneuerung ausgewählter historischer Stadtkerne — da ist an Lübeck und an wunderschöne Städte in Nord- und Süddeutschland gedacht, die nun wirklich solcher Hilfe bedürfen —, Erhaltung und Wiederaufbau von Baudenkmälern, Kulturbauten, Dorferneuerung — alles zusammen 16 Milliarden DM. Da sagen Sie, das Gesetz des Handelns werde uns von der Opposition vorgeschrieben. Da lachen doch die Hühner in Mainz, Herr Kohl.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wahr ist, daß meine Kollegen Apel und Friderichs große Mühe hatten, die Herren Finanz- und Wirtschaftsminister der Länder zum Mittun und Mitziehen zu bewegen. Wahr ist, daß sie dem einen Land hier entgegenkommen mußten — und auch wollten —, daß sie dem anderen Lande dort entgegenkommen mußten — und auch wollten —, um das Ganze zustande zu bringen. Ich bin geradezu glücklich, daß wir in dieser Woche, in der die Haushaltsdebatte stattfindet, sagen können: Endlich haben nun auch alle deutschen Bundesländer der Vereinbarung in rechtsförmlicher Weise zugestimmt. Lange genug hat es gedauert.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie haben dazu kein Wort gesagt, Herr Abgeordneter Kohl. Sie haben auf diesem Felde drei Widersprüche offenbart. Der erste Widerspruch: Sie legen ein Steuerentlastungsprogramm vor, während Sie das der Koalition nur um des oppositionellen Effektes willen abgelehnt haben. Zweiter Widerspruch: Sie präsentieren der Öffentlichkeit, nicht aber dem Bundestag, dem Parlament, ein Arbeitsmarktprogramm Ihres Freundes Geißler, das zwar eine Menge Geld kosten würde, bleiben aber den Bürgern die Antwort darauf schuldig, woher Sie dieses Geld nähmen. Dritter Widerspruch: Sie klagen an, daß der Staat insgesamt, alle öffentlichen Hände, zuviel Kredit aufnehme. Sie haben eine Zahl — ich meine, 300 Milliarden DM oder ähnlich — als Aggregatgröße genannt. In Wirklichkeit aber wollen Sie mit dem Geißlerschen Programm natürlich zusätzlich Geld ausgeben, was ich im Prinzip gar nicht angreife.
    Ich möchte in dem Zusammenhang etwas sagen, wobei ich manche der Kollegen um Entschuldigung bitten muß, weil sie es schon wiederholt gelesen oder gehört haben. Aber ich sage es eigentlich für den Herrn Oppositionsführer; die anderen müssen nicht unbedingt zuhören.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit! — Hoheit!)

    — Sie werden doch zugeben, daß das eine überaus zivilisierte Wortwahl ist, verglichen mit den Kaskaden des Herrn Strauß. Das werden Sie ja wohl zugeben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir alle sind — so wie auch alle Franzosen, Italiener, alle Engländer, alle Regierungen in der Europäischen Gemeinschaft und ebenso in Japan, in Amerika oder in Kanada, überall auf der Welt — von der Notwendigkeit durchdrungen, mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden, die gegenwärtig über die ganze Welt geht. Deswegen denken wir auch alle darüber nach, wie das gemacht werden könne. Dazu ist sicherlich Arbeitsmarktpolitik auch ein wichtiger Beitrag, allerdings nicht der entscheidende.
    Der entscheidende Beitrag läge sicherlich darin, daß das, was wir in der ganzen industriellen Welt produzieren können, auch tatsächlich produziert wird, daß die technischen Kapazitäten ausgenutzt und zwecks dieser Ausnutzung mehr Menschen beschäftigt werden.
    Man kann aber auf die Dauer nicht mehr produzieren, als man absetzen, als man verkaufen kann. Also haben wir alle ein Interesse daran, daß der Verkauf der Produktion, der Verkauf der Leistung bewirkt werde. Wir haben ein Interesse daran, daß genug effektive Nachfrage da ist, die diese Produktion von Gütern und Leistungen abnimmt.
    Nun gibt es, Herr Kollege Kohl, in jedem Staat, jedenfalls in der westlichen Welt, vier mögliche Gruppen, von denen diese effektive Nachfrage ausgehen könnte.
    Zum ersten — das ist die bei weitem größte Gruppe — gibt es die privaten Konsumenten, die privaten Haushalte. Wenn diese sehr viel mehr nachfrügen — sie tun es gegenwärtig ja bei Automobilen, auch bei Auslandsreisen, von Jugoslawien bis Mallorca —, wenn sie auch auf allen übrigen Märkten sehr viel mehr nachfrügen, z. B. auf dem Wohnungsbaumarkt, würden der Absatz und damit die Beschäftigung steigen. Die privaten Haushalte halten sich aber relativ zurück. Gegenwärtig werden in Deutschland 14 % der privat verfügbaren Einkommen gespart.
    Infolgedessen richten wir den Blick auf die zweite Gruppe, von welcher effektive Nachfrage ausgehen kann; das tun wir schon seit vielen Jahren, Sie haben es heute auch getan. Die zweite Gruppe, von der effektive Nachfrage ausgehen könnte und von der wir auch hoffen, daß ihre Nachfrage zunehmen wird, sind die privaten Unternehmen, die nachfragen nach neuen Maschinen, neuen Bauleistungen oder, wie man es auch nennt, die dadurch, daß sie



    Bundeskanzler Schmidt
    investieren, effektive Nachfrage auslösen. Die effektive Nachfrage durch Investitionen enttäuscht uns alle, nicht nur in diesem Land, sondern ebenso in England, Frankreich, Italien und wo immer Sie hinschauen.
    Infolgedessen richtet sich der Blick auf die dritte Gruppe, von der die effektive Nachfrage kommen könnte: das ist das Ausland. Wir können uns nicht über die ausländische Nachfrage nach deutschen Exporten beschweren. Im Gegenteil, die deutschen Exporte haben in den letzten Monaten einen unerwarteten Rekord erreicht. Wir sehen das konjunktur- und beschäftigungspolitisch mit einem lachenden Auge. Auf die Dauer sehen wir es aber auch mit Besorgnis; denn wir sind inzwischen bei einem Export von 29 O/o des Bruttosozialprodukts angekommen. Daß uns das auf lange Zeit noch abhängiger macht vom Auf und Ab auf den Weltmärkten und von der Weltwirtschaft als schon bisher und gegenwärtig, das spüren Sie genauso wie ich. Nun kann man aber den Export auch nicht überfordern.
    Wenn also die drei bisher genannten Gruppen, also erstens die privaten Haushalte — sprich: Konsumenten —, zweitens die privaten Unternehmungen und drittens das Ausland, insgesamt nicht genug effektive Nachfrage auf die Beine bringen, dann kann und muß die vierte Gruppe helfen; das sind die öffentlichen Haushalte innerhalb des eigenen Landes.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Deswegen war es nicht ein Betriebsunfall, Herr Abgeordneter Kohl, sondern in dieser Wirtschaftskrise eine ökonomische Notwendigkeit, daß die effektive Nachfrage der öffentlichen Haushalte ausgeweitet wurde und z. B. durch das 16-Milliarden-DM-Programm ausgeweitet wird, von dem ich hier spreche.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn sich Gemeinden und Städte und einige der Länder auf diesem Gebiet relativ zurückhalten, dann ist es sehr zum Leidwesen des Bundeshaushaltsministers gleichwohl aus ökonomischer Einsicht für den Bund notwendig, insoweit etwas mehr zu tun als z. B. das Land Baden-Württemberg, das es sich leisten könnte, für die Gesamtkonjunktur in Deutschland etwas mehr zu investieren, als es der Haushalt dieses Landes tut.

    (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich könnte auch andere Beispiele geben.

    Ich habe dies alles gesagt, damit der Herr Oppositionsführer wenigstens einmal versteht, daß man nicht in ein und derselben Rede zusätzliche Maßnahmen zur Beschaffung von Arbeit verlangen und die Kreditaufnahme des Staates zum Zwecke staatlicher Investitionen ablehnen kann.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Herr Abgeordneter Kohl hat in seiner Rede auch eine Andeutung in bezug auf alternative Politiken hinsichtlich der Zukunftschancen der neuen Generation, der jungen Generation, gemacht. Auch auf diesem Felde, Herr Abgeordneter Kohl, muß man sich das, was Sie alternativ anbieten, natürlich genau anschauen. Mir ist nicht ganz deutlich geworden, was Sie alternativ anbieten. Ich kann mich aber daran erinnern, daß Sie heute morgen die Bundesregierung dafür kritisiert haben, daß sie z. B. den Numerus clausus an den deutschen Hochschulen noch nicht abgebaut habe.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Auch das ist nicht wahr, was Sie jetzt sagen! Sie sagen doch die Unwahrheit! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Den wollten Sie doch abschaffen!)

    Ich kann mich an die Geschichte dieser Debatte nur zu gut erinnern.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Als der Bundeskanzler der vorigen sozialliberalen Bundesregierung im Frühjahr 1976 gemeinsam mit dem zuständigen Fachminister öffentlich die Forderung auf Abbau des Numerus clausus aufstellte, ist mir öffentlich von seiten christdemokratischer Kultusminister der Länder der Vorwurf der Rattenfängerei gemacht und gesagt worden, dies gehe überhaupt nicht.

    (Demonstrative Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    — Ich sehe, daß einige, die Beifall klatschen, heute noch der Meinung sind, daß das Rattenfängerei sei und gar nicht gehe.
    Etwas später sind dann einige Wortführer der CDU auf die Forderung umgestiegen, die wir gestellt hatten. Wir hatten nämlich nachgewiesen, daß die Kapazitäten an den im Laufe der letzten zehn Jahre enorm ausgebauten deutschen Hochschulen sehr gewachsen sind — allein in den letzten sieben Jahren haben Bund und Länder 18 Milliarden DM dafür ausgegeben oder bereitgestellt —, und zudem stellte sich die öffentliche Meinung hinter unsere Forderung.
    Es ist dann tatsächlich im Herbst 1976 ein erster wichtiger Schritt unternommen worden. Die Kultusminister der Länder — es ist ja nun so, leider Gottes, kann ich hier nur sagen, es macht mir große Besorgnis, daß der Bundestag und die Bundesregierung hier keine Dispositionsbefugnisse haben, sondern nur die Länder über die Kompetenz verfügen! — haben dann im Herbst 1976 eine Reihe von Fächern aus der Numerus-clausus-Bewirtschaftung herausgenommen. Inzwischen sind die Länder dabei, alle möglichen neuen Überlegungen anzustellen, und mit den Regierungschefs der Länder — für die ja letztlich dasselbe gilt, auch wenn es in Landesverfassungen manchmal anders lautet als im Grundgesetz; ich weiß nicht, ob z. B. in der rheinland-pfälzischen Landesverfassung das Wort von den „Richtlinien der Politik" vorkommt, aber natürlich bestimmt der Ministerpräsident dem Sinne nach in einem Lande sehr weitgehend die Richtlinien der Politik — habe ich infolgedessen darüber gesprochen, zum wiederholten, zum letzten Male am 6. Mai 1977.
    Ich habe vorgeschlagen, daß wir uns gemeinsam festlegten für den Abbau des Numerus clausus, für die tatsächliche Verwirklichung der Studienreform — auch die Verkürzung der Studiendauer —,



    Bundeskanzler Schmidt
    für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, für den Ausbau des beruflichen Bildungswesens und damit insgesamt für die Sicherung von Zukunftschancen junger Menschen.
    Nun ist es ja nicht so, daß Papiere hier ausreichen, sondern es müssen Entscheidungen getroffen werden. Es wäre dankenswert, wenn der Führer der Opposition seinen eigenen politischen Freunden unter den Ministerpräsidenten in den Bundesländern, die, wenn ich mich recht erinnere, alsbald, nämlich am 1. Juli, erneut mit der Bundesregierung zusammentreten und über diese Frage beraten werden, deutlich machen würde, daß — wie das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Urteil selbstverständlicherweise festgestellt hat — das Grundrecht auf Bildung Vorrang hat vor engen Zulassungsregelungen, wie sie von der Bürokratie der Länder in die Welt gesetzt worden sind.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundesregierung kann im übrigen auch auf einem Felde, wo sie nun etwas mehr Dispositionsbefugnisse besitzt, nämlich auf dem Felde der beruflichen Bildung, durchaus auf Erfolge hinweisen; einer von Ihnen hat im Laufe des heutigen Tages eine Zahl genannt und hat von 30 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen gesprochen. Die CDU/CSU allerdings kritisiert das Ausbildungsplatzförderungsgesetz. Aber ich muß Ihnen sagen: Dieses Gesetz, das bisher in einem wichtigen Punkt, nämlich der Umlage, nicht angewandt wird, ist ein sehr wichtiges Instrument. Die Besorgnis, daß diese Umlage angewandt werden würde, hat nämlich — ich registriere das mit Anerkennung und mit Dankbarkeit — die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft dazu veranlaßt, allüberall im Lande eine große Kampagne, eine große Anstrengung zu unternehmen, um 100 000 zusätzliche Ausbildungsplätze in diesem Jahr zu schaffen. Es sieht so aus, als ob die Herren Schleyer, Schnitker und wie sie alle heißen, damit durchaus einen erheblichen Erfolg erzielen würden. Ob sie damit einen ausreichenden Erfolg erzielen, wage ich nicht zu prophezeien. Ich will nur die Prophezeiung hinzufügen, daß, wenn der Erfolg nicht ausreichen sollte, die Bundesregierung jene Rechtsverordnung, die die Umlage in Kraft setzt, um mit Hilfe der Umlage zusätzliche Ausbildungsplätze zu betreiben, tatsächlich erlassen wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich denke, Herr Abgeordneter Kohl, es ist nicht redlich, wenn man in so pauschaler Weise, wie Sie über dieses Feld gesprochen haben, Anklagen an die Adresse des Bundes richtet, obgleich Sie als langjähriger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz ganz genau wissen, daß ausschließlich die Landtage und die Landesregierungen die Verantwortung für das Schulwesen, das allgemeinbildende Schulwesen, das Berufsschulwesen und für die Hochschulen die Verantwortung tragen. Das ist Sache der Länder. Ich wäre durchaus dazu bereit, gemeinsam mit dem Koalitionspartner, mit der FDP, darüber nachzudenken, ob wir uns dieses Maß von Zerklüftung und Gegeneinander, das im Gewande des Föderalismus daherschreitet, in Wirklichkeit aber in vielen Fällen bloß partikularistische Eigenbrötelei ist, noch lange leisten dürfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Daß ,der Bund im übrigen bereit ist, seinen Beitrag zu leisten, mögen Sie aus dem Haushalt erkennen, den wir heute verhandeln. Darin sind mittelfristig 650 Millionen DM für den Ausbau von Berufsschulen als konkrete Hilfe an die Länder und 850 Millionen DM in einem mehrjährigen Programm für überbetriebliche Ausbildungsstätten enthalten. Sie können es an den beachtlichen Leistungen im Hochschulbau und in der Ausbildungsförderung erkennen.
    Ich habe dies nur aufgegriffen, weil dies die beiden einzigen Stellen waren, Herr Abgeordneter Kohl, Beschäftigungspolitik einerseits und Ihre Hinwendung an die junge Generation andererseits, wo Sie den Anschein von alternativer Politik erweckten. Ich sage „den Anschein" ; denn mich haben Sie nicht überzeugt. Sie werden wahrscheinlich überhaupt nicht viele Leute mit diesem Anschein überzeugt haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie haben ein weites Gebiet der Politik ausgelassen, obwohl Sie am Beginn der Rede — das stand dem Oppositionsführer durchaus zu — angekündigt haben, Sie wollten das ganze Feld der Politik abklopfen. Ich habe zur Außenpolitik kein einziges Wort gehört, weder von Ihnen noch von Herrn Kollegen Strauß. Wenn zwei Spitzensprecher der Opposition reden, sollte man vermuten, daß wir etwas zu Europa oder zum deutsch-deutschen Verhältnis, zu Amerika, zur Dritten Welt, zum Nord-Süd-Dialog, zur Entspannung, zur Sowjetunion oder zum Bündnis hörten. Sie haben dazu nicht gesprochen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich finde das auch ganz gut; denn Sie haben auf diese Weise zu erkennen gegeben, daß auf diesem Feld von Ihnen nicht einmal der Anschein einer alternativen Politik erweckt werden kann.

    (Lebhafter Beifall von der SPD und der FDP)

    Um zu zeigen, daß das keine Polemik meinerseits ist, Herr Abgeordneter Kohl, möchte ich Ihnen ein paar Hinweise geben, die Sie vielleicht selber schon gelesen haben. Ich habe ein Interview von zehn Schreibmaschinenseiten vor mir, das der hinter Ihnen sitzende Abgeordnete Professor Biedenkopf vor ein paar Tagen dem Deutschlandfunk gegeben hat, ein ausschließlich außenpolitisches Interview. Da wird zunächst von einer gewissen Gemeinsamkeit mit dem Inhalt der Regierungserklärung gesprochen, die ich am Freitag voriger Woche zur deutschdeutschen Politik abgeben durfte. Ich registriere das gern. Es wird irgendwann im Laufe des Interviews davon gesprochen, unter welchen Umständen vielleicht Herr Kollege Genscher von Ihnen ein Amt bekommen könnte, das er längst hat und das er auch behalten wird.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber das sind nicht die Stellen, auf die es mir ankommt.



    Bundeskanzler Schmidt
    Mir kommt es z. B. auf folgende Stelle an. Da
    sagt der Herr Abgeordnete Professor Biedenkopf:
    Der Anlauf, den wir
    — er spricht von der CDU —
    in Mannheim 1975 mit dem außenpolitischen Teil der Mannheimer Erklärung genommen haben, ist nicht zum Ende geführt worden. Es ist keine Frage, daß es hier einiges aufzuarbeiten gibt, auch und gerade was die ostpolitischen Traumata angeht.
    Ich nehme an, die Traumata innerhalb der CDU. Er führt dann weiter aus:
    Das Vertrauen in die Tragfähigkeit der Vereinbarungen, die damals geschlossen wurden,
    — da spricht er von den Verträgen, die die Herren Brandt und Scheel, der jetzige Bundespräsident, geschlossen haben —
    war zunächst sehr gering.
    — Bei der CDU, verstehe ich. — Das ist inzwischen stärker geworden.
    — Bei der CDU, verstehe ich. —
    Es ist zum Beispiel richtig, daß die Opposition heute eine andere Haltung einnimmt zu den Möglichkeiten der Schlußakte von Helsinki als damals, da die Schlußakte beraten wurde.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Es ist ja gut, wenn aus Saulussen Paulusse werden, bloß nicht zu viele auf einmal, dann wird es unglaubwürdig. Aber Biedenkopf ist eher glaubwürdig, als wenn es Herr Strauß sagte; es würde keiner glauben, wenn er das sagen würde. Da ist nämlich wirklich noch viel aufzuarbeiten zwischen Herrn Biedenkopf und Herrn Strauß und zwischen Herrn Strauß und Ihnen, Herr Kohl. Sie haben keine Außenpolitik, Sie reden nur das, was andere Ihnen aufgeschrieben haben; und wenn nichts aufgeschrieben ist, dann hören wir nichts dazu.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten ,der FDP — Zurufe von der SPD und von der CDU/CSU)

    Ich stimme dem Abgeordneten Biedenkopf zu,

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    mit dem mich sonst nichts verbindet als die normale Kollegalität unter allen Kollegen hier in diesem Hause.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : „Le Feldwebel" !)

    Ich will ihm mit dem auch nicht schaden, was ich zitiere; aber es steht ja öffentlich zur Verfügung. Ich stimme dem Abgeordneten Biedenkopf ausdrücklich zu, wenn er im Rahmen dieses Interviews sagt:
    Die Konsequenzen jetzt aus diesen Veränderungen zu ziehen, die entsprechenden neuen Einstellungen zu entwickeln, ist eine wichtige Aufgabe, die die Opposition leisten muß und von der ich
    — Biedenkopf — meine, daß wir sie möglichst bald anpacken müssen.
    Sehr richtig, Herr Abgeordneter Kohl, sehr richtig!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Deswegen begrüße ich, daß Sie in Sachen Außenoder Europapolitik gar nicht erst versucht haben, den Anschein einer alternativen Politik zu erwekken; denn sie soll ja erst noch ausgearbeitet werden. Es tut mir allerdings leid und manchmal — das ist keine Übertreibung — auch ein bißchen weh,

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    wenn ich in der Öffentlichkeit von Ihnen andere Formen, andere Aussprüche zum Beispiel zur europäischen Politik oder zur Außen- oder zur Ostpolitik, zur Entspannung höre als die, die Sie heute lieber gar nicht erst machen.
    Nehmen Sie einmal die Tatsache, daß Sie im Anschluß an die europäische Debatte zum Beispiel im Zusammenhang mit den europäischen Direktwahlen versuchen, die Sozialdemokraten in Europa, die demokratischen Sozialisten in Europa, bei uns, in den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft, in gute und schlechte einzuteilen oder in linke oder rechte aufzuteilen, daß Sie glauben machen wollen, es gehe bei diesen Direktwahlen um — wie heißt es so schön bei Ihnen — „Freiheit oder Sozialismus". Was sagt eigentlich Ihr belgischer christdemokratischer Freund dazu, der Ministerpräsident einer Koalition von Christdemokraten und Sozialdemokraten in Brüssel ist? Er denkt doch nicht im Traum daran, dies mitzumachen. Er glaubt Ihnen auch nicht, daß dies Ihr Ernst ist, Herr Abgeordneter Kohl. Ich glaube auch nicht, daß es Ihr Ernst ist. Es ist nur Ihre Polemik, Ihre Agitation.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Was sagen eigentlich die neuerdings vereinigten holländischen Christdemokraten dazu, die gemeinsam mit Sozialdemokraten in einer von einem Sozialdemokraten geführten holländischen Regierung sitzen, zu diesem Ihrem Slogan? Glauben Sie, die holländischen Christdemokraten würden sich dem anschließen, möglicherweise ihre Koalition platzen lassen, damit sie mit Herrn Kohl in Deutschland eine gemeinsame Kampagne machen können? Herr Brandt hatte schon völlig recht vorhin, als er erneut darauf hinwies, daß Sie sich, weil Sie den Rat Ihres früheren Generalsekretärs nicht befolgen und nicht aufarbeiten, von allen Leuten isolieren, mit denen Europa gemeinsam doch nur gebaut werden kann. Alle Kräfte gemeinsam müssen das tun.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. Ich hatte angekündigt, daß ich mit Ausnahme der Frage von Herrn Althammer weitere Zwischenfragen nicht zulassen wollte.
    Der Vorsitzende der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, hat im Blick auf das direkt zu wählen-



    Bundeskanzler Schmidt
    de Europäische Parlament sehr klar gesagt — und
    dies nicht nur einmal; heute klang es wieder an —:
    Die deutschen Sozialdemokraten maßen sich nicht an, Entscheidungen an Stelle der befreundeten Parteien in anderen Ländern zu treffen. Aber mit ihnen sind wir uns beispielsweise einig, daß es im direkt gewählten Europäischen Parlament ohne Vermengung oder Verwischung für uns nur eine Fraktion der demokratischsozialistischen, also sozialdemokratischen Abgeordneten geben kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Er hat mehrere Male auch dies gesagt: „Europa
    wird pluralistisch sein, oder es wird gar nicht sein."

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kohl, ein Europa, von dem Sie meinen, nur Ihre Art und Interpretation der Freiheit dürfe es dort geben und das, was sich andere unter einer demokratisch wachsenden Gesellschaftsordnung vorstellen, dürfe es nicht geben, ein solches Europa wird nicht sein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Von wem stammt denn das?)

    Wenn ich einmal einen Moment aus der Rolle des Bundeskanzlers einer Koalitionsregierung herausspringen darf und für eine Minute als Sozialdemokrat sprechen darf — ,das war das, was ich vorhin meinte, als ich sagte, mir täte es manchmal weh; aber ich habe auch die Absicht, mich zu wehren —: Ich finde es zum Kotzen, daß Sie uns Sozialdemokraten immer wieder mit den Kommunisten in einen Topf werfen wollen, mit denen wir nichts zu tun haben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Frau Präsidentin, erlauben Sie mir, den Ausdruck zurückzunehmen, 'den ich eben gebraucht habe. Er hat zwar meine Seelenlage zum Ausdruck gebracht, aber vielleicht war er nicht ganz parlamentarisch.

    (Breidbach [CDU/CSU] : Und der Jusos!)

    Der Abgeordnete Kohl hat sodann am heutigen Vormittag mehrere Male — was ihm zusteht und was taktisch für ihn geboten war — davon gesprochen, daß bei uns nicht sicher sei, ob wir die Abgeordneten, die der sozialliberalen Koalition zugehören, bei jeder Abstimmung zu gemeinsamem Abstimmungsverhalten bewegen könnten. Es ist wahr: Sie hatten in der letzten Woche einen Anlaß, solche Bemerkungen zu machen. Zwei Abgeordnete haben gegen eine Vorlage gestimmt. Drei haben sich der Stimme enthalten. Ihre Schadenfreude über das Ende der Bundesregierung war jedoch ein bißchen weit hergeholt, Herr Abgeordneter. Ihre Schadenfreude ist überhaupt ein bißchen schwer verständlich. Ich erinnere mich an viele Ereignisse der letzten Jahre. Nehmen Sie nur einmal 'den Vertrag mit Polen. Herr Kohl war damals Ministerpräsident. Er stimmte im Bundesrat dafür. Herr Strauß war dagegen, nahm aber an der Abstimmung im Bundestag nicht teil. Herr Stoltenberg hat im Bundesrat dafür gestimmt. Herr Professor Carstens, damals noch Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, hat im Bundestag dagegen gestimmt. Herr Barzel hat im Bundestag dafür gestimmt. Herr Dregger war dagegen, hat aber an der Abstimmung im Bundestag nicht teilgenommen. Herr Katzer hat im Bundestag dafür gestimmt, Herr Stücklen hat im Bundestag dagegen gestimmt. Herr Wörner war im Bundestag dagegen, Herr Weizsäcker im Bundestag dafür, Herr Maier im Bundesrat dafür, Frau Wex im Bundestag dagegen. Das wäre noch kein Ende ,der Aufzählung; ich könnte noch sehr viel mehr vorlesen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP Breidbach [CDU/CSU] : Frei gewählte Abgeordnete!)

    Das war ja aber nicht das erste Mal. Als es darum ging, ob die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der United Nations werden sollte, hat Ihre Fraktion sich hier bei der Abstimmung geteilt: 99 Kollegen waren dafür. Als es um den Grundlagenvertrag mit der DDR ging, waren Sie sich auch nicht einig. Wie es bei den Polen-Verträgen war, habe ich Ihnen eben geschildert. Als es um den Nichtverbreitungsvertrag ging, waren 113 Abgeordnete Ihrer Fraktion dafür, andere waren dagegen. Beim Mitbestimmungsgesetz stimmten 21 Abgeordnete mit Ja, andere mit Nein.
    Ich sage das alles nicht, um es zu kritisieren. Nur wenn es in Ihrer Fraktion möglich ist, daß in einer schwierigen konkreten Frage Abgeordnete sich verschieden entscheiden, dann wollen Sie das bitte auch anderen politischen Parteien zugestehen, ohne sich moralisch über Sie zu erheben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Althammer [CDU/CSU] : Wir begrüßen das doch nur!)

    Es wird ja bei Ihnen auch nicht das letzte Mal gewesen sein, Herr Abgeordneter Kohl.
    Lassen Sie mich zum Zusammenhalt dieser sozialliberalen Gesetzgebungs- und Regierungskoalition sagen, wie sich die Situation mir gegenwärtig darstellt: nicht viel anders als im Laufe der letzten Jahre immer, nämlich daß die Liberalen und wir Sozialdemokraten gemeinsam die große bewegende Kraft für soziale Gerechtigkeit sind, die in unserem Volk auch in den nächsten Jahren gebraucht wird,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    daß wir gemeinsam die Kraft sind, die in Europa auch in den nächsten Jahren gebraucht wird, um den Frieden zu festigen und um sicher zu sein, daß der Frieden nicht gefährdet wird durch leichtfertige Reden oder leichtfertiges Handeln.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dies ist mehr als ein Zweckbündnis zur Erlangung von Mehrheiten von Tag zu Tag.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Althammer [CDU/CSU] : Ein Jahrhundertbündnis!)

    Dabei sind die gemeinsamen Fundamente die Werte der Humanität, der Liberalität, der Toleranz und die Menschenrechte. Das werden Sie uns bei allem Streit, wie man es konkret bewirkt, mehr Menschenrechte für mehr Menschen herauszuholen, nicht ab-



    Bundeskanzler Schmidt
    erkennen wollen. Wir haben übrigens durch unsere Außen- und Entspannungspolitik im Laufe der letzten anderthalb Jahre für 70 000 Menschen volle deutsche Grundrechte im Sinne des Grundgesetzes erlangt, die durch Polemik, Herr Abgeordneter Kohl, nicht zu erlangen gewesen wären.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Diese sozialliberale Koalition mit zwei aufeinanderfolgenden liberalen Außenministern und zwei aufeinanderfolgenden sozialdemokratischen Bundeskanzlern hat sich wie keine andere Regierung bisher in der Geschichte — es wird ja in Zukunft noch vieles gehofft werden dürfen — als eine Regierung des Ausgleichs im Verhältnis zu unseren Nachbarn in West und in Ost und ganz genauso als eine Regierung des inneren Ausgleichs bewährt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist müßig, zu spekulieren, was z. B. geschehen wäre, wenn Herr Abgeordneter Kohl in den letzten Jahren dort gesessen hätte, wenn Herr Abgeordneter Strauß dort gesessen hätte, an den internationalen Konferenzen teilgenommen und die Verhandlungen in Warschau und in Moskau und mit der Deutschen Demokratischen Republik geführt hätten. Das wäre reine Spekulation. Es wäre auch Spekulation, sich zu überlegen, wie es wohl während der gleichzeitigen Strukturkrise der ganzen Weltwirtschaft und während der gleichzeitigen konjunkturellen Rezession in der ganzen Welt mit der Aufrechterhaltung des inneren Friedens unter einer Regierung gewesen wäre, die so redet, wie der Oppositionssprecher Strauß heute nachmittag wieder geredet hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es wird vielleicht vom lautstarken Geplänkel des Tages bisweilen überdeckt, aber im Verhältnis der gesellschaftlichen und sozialen Gruppen zueinander haben sich im Laufe der letzten Jahre, wie ich meine, so, daß man es spüren kann, neue zusätzliche Erkenntnisse, neue Denkweisen, jedenfalls ein stärker kooperatives Verhalten ergeben. Wir wollen keine Vertuschung natürlicher Gegensätze, aber wir sind doch stolz darauf, daß es gelungen ist, einen besseren Stil des gesellschaftlichen Dialogs und neue Maßstäbe verantwortlichen Handelns in unserer Gesellschaft zu finden und für sie auch Anerkennung zu finden. Nur so ist es ja gelungen, den schrecklichen Druck der letzten Jahre, den wirtschaftlichen Druck auszuhalten, ohne daß es politisch krisenhafte Zuspitzungen gegeben hätte. Manchmal habe ich ein bißchen das Gefühl, daß einige der an der Debatte teilnehmenden Damen und Herren nicht nur hier im Hause, sondern auch in der breiteren Offentlichkeit, nur deshalb so einseitige, so zugespitzte und so polemische Auffassungen äußern können, weil sie sich des Ausmaßes der Gefährdung durch die Weltwirtschaftskrise gar nicht recht bewußt sind. Sie können sich vielleicht auch gar nicht alle dessen bewußt sein, weil wir ein bißchen besser als die meisten Länder die Auswirkungen dieser Krise auf unsere eigene Gesellschaft, auf unsere eigene Volkswirtschaft abgefangen haben. Deswegen ist die Krise bei uns nicht so deutlich sichtbar geworden.
    Ich sehe, daß der Abgeordnete Kohl — wie meistens bei solchen Auseinandersetzungen — ein mokantes Lächeln aufsetzt. Herr Abgeordneter Kohl, zeigen Sie mir einen Gewerkschafter, der statt mit den deutschen lieber mit anderen Arbeitgebern innerhalb unserer näheren oder weiteren Nachbarschaft, in anderen Ländern verhandeln möchte!

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt auch für die Arbeitgeber verantwortlich?)

    Zeigen Sie mir einen deutschen Unternehmer, der statt mit unseren Gewerkschaften lieber mit den Gewerkschaften etwas weiter südlich oder östlich oder westlich von unserem Lande verhandeln möchte!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich habe einen großen Respekt vor der Art und Weise, wie Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander umzugehen gelernt haben. Sie sollten aber nicht glauben, daß das völlig ohne Mitwirkung der sozialliberalen Koalition so geworden wäre. Das ist es nicht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    So ist z. B. die Gesetzgebung in diesem Hause eine wesentliche Voraussetzung für diese vernunftgemäße Entwicklung des wirtschaftspolitischen und des sozialen Klimas in unserem Land. Es gibt zu einer solchen Politik des inneren Ausgleichs keine wirkliche Alternative.
    Herr Abgeordneter Kohl, begeben Sie sich bitte nicht auf das Feld der Währungspolitik, weder der Binnenwährungspolitik noch der Außenwährungspolitik. Ich begebe mich auch nicht auf alle Felder. Man muß ja als Oppositionführer nicht ausgerechnet etwas aus einem Bereiche vorlesen, von dem man wirklich keine Ahnung hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist doch schwer zu verstehen, wenn der Abgeordnete Kohl die Inflation in Deutschland beklagt, obwohl Deutschland nächst der Schweiz das inflationssicherste Land des ganzen Erdballs ist. So ein Unfug!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich könnte hier zitieren

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Wir könnten auch Schmidt von früher zitieren!)

    — aber es kostet zu viel Zeit —, was der Präsident des amerikanischen Zentralbanksystems vor drei oder vier Wochen in Godesberg in einem privaten, aber großen Zirkel — auch einige Abgeordnete Ihrer Fraktion waren anwesend — kritisch über das Währungsverhalten vieler Staaten in der Welt und lobend über die Währungsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland gesagt hat; und er ist ja nicht der einzige. Daß wir heute in Deutschland die niedrigsten Zinsen haben, auch die niedrigsten Hypothekenzinsen, nicht nur im Verhältnis zu allen anderen Nachbarn und in der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch wenn wir es mit den zurückliegenden zehn oder zwölf Jahren vergleichen, einschließlich der Zeit, in der Herr Strauß Finanzminister war, das ist doch kein Zufall!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Helaba!)




    Bundeskanzler Schmidt
    — Wenn jetzt einer „Helaba" und dergleichen dazwischenruft, ist das auch kein Zufall: es zeigt, daß Sie von der Sache nichts wissen und polemisieren wollen, koste es, was es wolle.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es hat keinen Sinn, alte Gespensterschlachten immer neu aufführen zu wollen.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Das achte Gebot!)

    Es gibt zur Politik des inneren und des sozialen Ausgleichs in Wirklichkeit keine prinzipielle Alternative. Darin liegt auf der anderen Seite die große und unverwechselbare Chance dieser sozialliberalen Gesetzgebungs- und Regierungskoalition — nicht nur heute, sondern auch für die Zukunft —: Eine Alternative gibt es nicht.
    Der verstorbene Kollege Karl-Hermann Flach hat das einmal auf einen Punkt gebracht, den ich quasi als geschichtliche Legitimation dieser Koalition empfunden habe; da heißt es bei Flach:
    Sozialismus und Liberalismus sind eben nicht Feuer und Wasser, sondern in ihrem ursprünglichen Bemühen um den Menschen durchaus vereinbar.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Der alte Maihofer!)

    — Nein, nicht Maihofer, sondern Flach. Es ist auch nicht zum Lachen, sondern es war von dem verstorbenen Flach ernst gemeint, Herr Kohl,

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    und wird von mir im Ernst zitiert. Das Bemühen um I den Menschen ist die Kraft in dieser Koalition. Ideologien sind es nicht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie spielen aber eine große Rolle!)

    Flach ist es darum gegangen, daß man revolutionäre Situationen, die immer dann entstehen, wenn Menschen allzulange unterdrückt und sozial benachteiligt werden, nicht erst entstehen lassen darf, und zwar dadurch, daß man für Reformen arbeitet, für die Menschen, für den Frieden Politik macht. Sein Kernsatz war: „Die eigentlich revolutionäre Gefahr in Westeuropa sind die Konservativen, die Gestrigen, die Reformunfähigen."
    Uns verbindet auch die Fähigkeit und der Wille zum Kompromiß. Der fehlt Ihnen auch; Sie berufen ja die Strategiekommission schon seit einem halben Jahr gar nicht ein, weil Sie wissen, daß Sie sich nicht würden einigen können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das mit den Kompromissen jede Woche und beinahe jeden Tag ist schwierig, und vieles muß man dabei in sich überwinden. Man muß auch sein eigenes Temperament bisweilen überwinden.

    (Zustimmung des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU])

    — Herr Vogel, dann lassen Sie mich auch noch eines hinzufügen. Von Wilhelm II.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aha! — Lachen bei der CDU/CSU)

    über Adolf Hitler bis auf den heutigen Tag gibt es immer wieder Deutsche, insbesondere leider auch unter den jüngeren Menschen, die meinen, daß der Kompromiß im Prinzip etwas Faules sei. Natürlich gibt es auch faule Kompromisse, aber ich füge hinzu: Wer grundsätzlich den Kompromiß ablehnt oder zu ihm nicht fähig ist, der ist zu einer friedlichen Außenpolitik nicht fähig, und ebensowenig ist er zu einer demokratischen Innenpolitik fähig.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Vor einem halben Jahr hatte es gegen Schluß der Regierungserklärung am 16. Dezember in sieben Schwerpunkten geheißen:
    Erstens. Wir wollen weiter den Frieden sichern durch Fortsetzung unserer bisherigen Außenpolitik, durch Fortsetzung unserer bisherigen Politik der guten Nachbarschaft und der Partnerschaft.
    Ich habe kein Wort der Kritik an Herrn Bundesminister Genscher gehört. An ihm ist ja auch nicht viel zu kritisieren. Nicht einmal Herr Biedenkopf konnte sich um die positive Antwort auf die Frage herumschlängeln, wie es mit Herrn Genscher stehe. Er hat nur gesagt, wenn Herr Genscher in einer CDU/CSU-Regierung Außenminister wäre, müßte er sich vielleicht in einigen Punkten nach der Politik der anderen Regierung richten. Bloß liege deren Außenpolitik noch nicht fest, hat Herr Biedenkopf gesagt.

    (Lachen bei der SPD und der FDP)

    Wir haben in diesen sechs Monaten für die Partnerschaft in der Welt zwischen den Staaten des Westens, aber auch im Verhältnis zwischen West und Ost eine ganze Menge hinzugefügt; auch der Außenminister hat eine ganze Menge hinzugefügt. Aber Sie haben darüber heute nicht einmal geredet.
    Weiter hat es am Schluß der Regierungserklärung geheißen:
    Zweitens. Wir wollen die Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen — durch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik.
    Das ist die dickste Sorge, die alle gegenwärtig in jedem Land haben — auch wir in Deutschland. Wir haben dazu das 16-Milliarden-Programm auf den Weg gebracht. Inzwischen ist es sogar von allen Ländern unterschrieben. Sie haben auch ein Programm angekündigt. Es liegt noch nicht auf dem Tisch, aber es wird wohl noch kommen. Nur können Sie unsere positive Zwischenbilanz doch nicht dadurch entkräften, daß Sie sagen, auch Sie kämen demnächst mit einem Papier.
    Diesem zweiten Schwerpunkt folgte:
    Drittens. Wir wollen den sozialen Frieden und unsere innere Sicherheit bewahren — durch sozialen Ausgleich und durch liberale Rechtsstaatlichkeit.
    Ich erinnere an die Rentengesetzgebung. Herr Kohl
    hat heute morgen von „Rentenbetrug" gesprochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Bundeskanzler Schmidt
    Ich stelle dazu fest, daß die Rentner am 1. Juli eine um 9,9 % höhere Rente bekommen.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Aber Sie wollten es doch gar nicht!)

    Bei einer Preissteigerung von gegenwärtig 3,7 % sind das netto und real mehr als 6 % für jede Rentnerin und jeden Rentner. Die Gewerkschaften wären glücklich, wenn sie für die aktiven Arbeitnehmer netto und real eine solche Steigerung des Lohnes herausholen könnten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Was den liberalen Rechtsstaat angeht, erwähne ich die Novellierung der Kriegsdienst- und Ersatzdienstregelungen, die Sie demnächst in Karlsruhe vor den Kadi ziehen wollen. Diese Novelle ist allerdings Ausdruck von Liberalität, nämlich dem Gewissen der einzelnen Person Freiheit zu lassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Viertens. Festigung des Sozialen Netzes. In dem Steuerpaket, das in der vorigen Woche hier behandelt wurde, ist auch die Kindergelderhöhung enthalten. Als Schwerpunkt hatten wir in der Regierungserklärung genannt:
    Fünftens. Wir wollen unser gutes Gesundheitswesen wirtschaftlicher machen — durch Sparsamkeit und strukturelle Reformen.
    Wir sind dabei. Wie Sie wissen, liegt das Gesetzgebungspaket „Kostendämpfung" gegenwärtig im Vermittlungsausschuß des Bundesrates und des Bundestages. Wie mir berichtet wurde, ist es dort heute morgen um drei oder um halb vier Uhr zu einem vorläufigen Abschluß gekommen. Man wird sehen, wie sich der Bundesrat jetzt dazu einstellt. In manchen Feldern ist es ja nicht so, wie es im Grundgesetz steht, nämlich daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt; das ist in manchen Fällen vielmehr leider der Vermittlungsausschuß. Ich bedaure das. Aber ich kann es nicht ändern. Wenn wir nur wüßten, was dort alles Kluges gesagt wird. Aber das darf ja nicht mitgeteilt werden.
    Wir haben auf diesem Feld unsere Pflicht getan, Herr Abgeordneter Kohl. Sorgen Sie dafür, daß die von der CDU/CSU geführten Länder im Bundesrat ebenfalls ihre Pflicht tun!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In diesem Zusammenhang muß ich eine Bemerkung anfügen. Einer von Ihnen hat heute morgen eine abfällige Bemerkung über unseren Kollegen Walter Arendt gemacht. Mir liegt am Herzen, darzutun, daß — z. B. was die Kostendämpfung angeht, aber nicht nur dafür — eine Fülle von Vorarbeiten und Konzeptionen in seinem Kopf und unter seiner Federführung entstanden ist. Nicht nur ich, sondern Millionen von Menschen wissen sich Walter Arendt Dank schuldig, das sollten Sie hier nicht lächerlich machen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er denn? — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Es lohnt sich gar nicht mehr, Ihnen zuzuhören!)

    — Herr Präsident, ich kann die Zwischenrufe nicht verstehen. Vielleicht fordern Sie einen oder zwei der Herren auf, einen einzelnen Zwischenruf zu machen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Warum mußte er denn gehen? — Aus Dankbarkeit! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    — Es war ja nicht das erste Mal und bleibt nicht das letzte Mal, daß Bundesminister, die sich Entscheidungen ausgesetzt sehen, die sie so nicht richtig finden, deswegen von ihren Ämtern zurücktreten. Das haben sehr viele honorige Männer vor Walter Arendt getan, und sehr viele nach ihm werden das tun. Das ist doch kein Grund, sich darüber lustig zu machen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Hier sitzt noch einer, der zurückgetreten ist. Er hat heute mittag um zwei Uhr das große Wort geführt. Aus welchem Grunde mußte denn der Herr Abgeordnete Strauß zurücktreten?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der sechste Punkt am Schlusse des Regierungsprogramms vom 16. Dezember lautete:
    Wir wollen unserer Jugend Türen öffnen und
    gute Chancen in Bildung und Beruf bieten.
    Wir haben in den sechs Monaten seither auf diesem Felde zum einen das Bundesausbildungsförderungsgesetz novelliert. Wir ringen mit den Ministerpräsidenten — ich habe es Ihnen dargestellt — um den Numerus clausus und andere Veränderungen im Bildungswesen. Wir blicken mit Erwartung auf die gemeinsam von den Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden sowie vom Handwerk mit der Bundesregierung unternommenen Anstrengungen zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze. Da ist in diesen sechs Monaten eine ganze Menge geschehen.
    Der siebte und letzte Punkt hieß:
    Wir wollen helfen, unsere Städte, Gemeinden
    und Landschaften lebenswert zu erhalten...
    Für diesen Zweck ist eine ganze Menge im 16-Milliarden-Programm eingesetzt. Dazu gibt es den neuen § 7 b für die eigengenutzte Mietwohnung, um sie in Eigentum umzuwandeln — für jedermann und nicht nur für den, der sich ein größeres Haus bauen kann. Dazu gehören die Anstrengungen um umweltfreundlichere Energie, um nur einiges Wenige zu nennen.
    So haben wir in diesen sechs Monaten, was die sieben zusammenfassenden Schwerpunkte der Regierungserklärung angeht, eine ganze Menge zuwegegebracht. Ich gebe zu, Sie machen bei einigen Punkten noch Schwierigkeiten im Bundesrat; das ist wahr. Das müssen wir wohl ertragen und müssen mit Ihnen dort ringen, so gut wir es können. Allerdings müssen wir auch ertragen, wenn uns immer einmal wieder das Wort „Macher" angehängt wird. Ich habe nichts dagegen, Herr Kohl. Wir haben ja in der Tat einiges gemacht. Wir haben sogar einiges besser gemacht.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP)




    Bundeskanzler Schmidt
    Herr Abgeordneter Kohl, lieber ein Bessermacher als ein Besserwisser!

    (Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

    Schließlich möchte ich noch auf das Wort von der Staatsverdrossenheit zurückkommen — oder wie immer es geheißen hat —, das einer hier gebraucht hat. Bisher hat sich unser Staat in der Bewältigung der schweren wirtschaftlichen Belastungen, der Krise und ihrer Folgen als intakt und als voll funktionsfähig erwiesen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie machen den auch noch kaputt! — Gegenrufe und Lachen bei der SPD)

    Die bisher erfolgreiche Krisenbewältigung hat in Wirklichkeit das Vertrauen der Bürger in ihren Staat — in ihren Staat, sage ich! — gefestigt. Die Bürger wissen: Unser Staat wird auch in Zukunft jene Bewährungsproben bestehen, an denen der Weimarer Staat schließlich kaputtgegangen ist.
    Es gibt keine Staatsverdrossenheit, Herr Abgeordneter Kohl. Der Bundestagspräsident hat heute morgen bei dem Einzelplan Bundestag mit Recht darauf hingewiesen, daß das klare Votum der überwältigenden Mehrheit der Wähler für die demokratischen Parteien besagt, daß die Bürger mit dem demokratisch verfaßten Staat, mit unserem parlamentarischen System in ihrer weit überwiegenden Mehrheit zufrieden sind.
    Eine andere Frage ist, Herr Abgeordneter Kohl, ob die Bürger gegenwärtig mit allen demokratischen Parteien voll zufrieden sind. Das haben auch Sie in Fragestellung angedeutet. Ich unterstreiche Ihre Fragestellung. Da möge jeder in seinem eigenen Hause die Prüfung anstellen. Ich nehme meine Partei, soweit ich für sie reden darf, dabei gewiß nicht aus.
    Eines allerdings möchte ich noch ein bißchen weiter ausführen, was der Herr Bundestagspräsident heute morgen gesagt hat. Ich denke, daß unsere Politik des sozialen Ausgleichs zum Beispiel die überaus wohltuende Wirkung hat, daß — anders als in anderen europäischen Staaten — bei uns extremistische Gruppierung links oder rechts zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sind, auch wenn sie sehr viel Geräusch machen und auch wenn sie in beiden Kanälen des deutschen Fernsehens etwas häufiger abgebildet werden, als es eigentlich wünschenswert und notwendig ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es gab bei der letzten Bundestagswahl einen Gesamtstimmenanteil von 0,9 % für diese Gruppen — wirklich keine Spur einer Chance. Das war doch 1969 noch anders! Und es war in der Rezession von 1966 auf 1967 noch ganz anders! Damals hatten wir den großen Aufstieg der NPD in Hessen und in Bayern — Rechtsextreme —, aber auch den Anstieg von Linksextremen. Insofern ist seither eine Festigung eingetreten. Und man sollte, denke ich, das durchaus anerkennen.
    Sie müssen nicht mit mir darauf stolz sein, daß wir zu einem kleinen Teil dazu beigetragen haben; aber in Wirklichkeit haben auch Sie — die Christdemokraten — zu Ihrem Teil dazu beigetragen. So kann man gemeinsam stolz darauf sein, wenn man überhaupt noch ein bißchen Gemeinsamkeit will und nicht nur immer von der „Gemeinsamkeit der Demokraten" redet, wie es meistens der Herr Oppositionsführer hier im Bundestag tut. Darauf kann man gemeinsam stolz sein, Herr Kohl!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Man kann auch andere Gemeinsamkeiten entdekken, zum Beispiel die gemeinsame Notwendigkeit, nicht nur mit gesetzgeberischen Maßnahmen gegen eine andere große Besorgnis vorzugehen, die Sie ja doch teilen. Ich rede jetzt nicht von der Arbeitslosigkeit, sondern vom Terrorismus, der ja nicht tot ist — international nicht tot und bei uns auch nicht. Ich denke, wir sollten alle nicht hinnehmen, daß in unseren Bildungseinrichtungen oder in unseren Medien Gewalt verherrlicht wird. Das soll nicht heißen, daß wir kritische und unbequeme Meinungen denunzieren dürften. Wir müssen die Grenzlinien sauber und sorgfältig ziehen, damit da keine falsch verstandenen Solidarisierungen entstehen, die die Isolierung des harten Kerns des Terrorismus verhindern könnten.
    Aber eine Beschönigung oder eine Verniedlichung von Gewalttat darf es in diesem Lande ebenso wenig geben wie eine indirekte Rechtfertigung durch das scheinbar ganz objektive Verbreiten und Weitergeben terroristischer Argumente. Manches, was hierzulande hier und da zu hören und zu lesen war, hat mich an etwas erinnert, was ich aus der Geschichte sehr gut weiß — nur die älteren Kollegen werden es bewußt miterlebt haben —, nämlich an die Verherrlichung der Gewalttat nach den Morden an Rathenau und Erzberger und Liebknecht und Rosa Luxemburg.
    Mich macht das tief betroffen, daß es junge Menschen gibt, die wirklich vieles noch nicht recht unterscheiden können, die sich aber hinstellen und meinen, es sei nun schick, die mörderische Gewalttat gegenüber dem Fahrer und dem Justizwachtmeister und dem Generalbundesanwalt zu verherrlichen. Ich denke, wir sollten uns alle darum kümmern, initiativ, nicht bloß als politische Parteien, sondern auch jeder in seinem persönlichen Wirkungskreis, auch in seinem politischen Wirkungskreis.
    Herr Genscher hat einmal gesagt — er hat damals als Parteivorsitzender der FDP gesprochen —, vielleicht dämmere es eines Tages in konservativen Köpfen, daß sich in der Regierungskoalition mit der FDP die Sozialdemokratische Partei in einer Zeit großer ideologischer Verwerfungen in Europa der schmerzhaften Aufgabe unterzieht, auch Gruppen links von ihr in unsere Demokratie zu integrieren. Wir tun das ja alle. Sie tun das auch. Sie versuchen auch, am rechten Ende des politischen Spektrums zu integrieren. Lassen Sie uns das doch gegenseitig anerkennen und nicht gegenseitig vorwerfen, Herr Abgeordneter Kohl!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Im übrigen aber bin ich ganz zuversichtlich. Auch wenn in der Sozialdemokratie hart um die Sacho



    Bundeskanzler Schmidt
    gekämpft wird, immer wieder — das ist in 113, 114 Jahren unserer Geschichte immer so gewesen —: Wenn es hier zum Schwur kommt, dann stehen wir und dann haben wir hier zusammen mit der FDP eine sozialliberale Gesetzgebungsmehrheit. Deswegen bringen Sie ja auch kein konstruktives Mißtrauensvotum ein, weil Sie schreckt, was Herr Kollege Barzel erlebt hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das Beschwören von Untergangsstimmungen, Herr Abgeordneter Kohl, das Herumhantieren mit der Katastrophe sollten Sie eigentlich den politischen Agitatoren überlassen. Das ist noch keine Politik.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP)

    Was wir brauchen, sind Vernunft und Urteilskraft und sicherlich Leidenschaft im Engagement an der Sache — das Engagement kann durchaus entgegengesetzt sein —, aber bitte auch Stolz auf gemeinsam Erreichtes und Selbstvertrauen. Unser Volk hat Grund zum Selbstvertrauen!

    (Langanhaltender, lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Ein Teil der Abgeordneten der SPD erhebt sich)