Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich wieder einige Minuten Zeit in Anspruch nehmen muß, wird das Ungleichgewicht — es tut mir leid — vielleicht etwas verstärkt. Ich hoffe aber, daß die nachfolgenden Redner dadurch noch Gelegenheit finden, wenigstens auf das zu antworten, was ich sage. Das ist fairer, als wenn ich versuchen würde, hier den Schlußreigen zu tanzen.
Zunächst möchte ich mich bei Herrn Kollegen Gradl in besonderer Weise für seine Sachlichkeit bedanken. Ich meine, daß in der Tat sehr interessante Ansatzpunkte durchklangen, über die gemeinsam nachzudenken sich lohnt und wo man versuchen sollte, etwas weiterzukommen.
Aber das schließt nicht aus, daß ich auch zu einigen anderen Dingen, die hier gesagt wurden, noch etwas ausführen muß, weil sie nicht so im Raum stehen bleiben können.
Eine Frage war: War unsere Politik bisher erfolgreich oder nicht? Haben wir nur einseitige Leistungen erbracht, also ohne eine Gegenleistung dafür zu bekommen? Ich habe während meines ersten Beitrags zur heutigen Debatte zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung nicht zum erstenmal darauf hingewiesen hat und wieder darauf hinweisen mußte, daß Verhandlungen mit der DDR prinzipiell nur dann zu Vereinbarungen und zur Zusammenarbeit führen, wenn entweder ein gemeinsames Interesse der beiden Staaten vorliegt oder abweichende Interessen gegeneinander aufgewogen und in einem für beide Seiten tragbaren Kompromiß verbunden werden können. Außerdem habe ich an jene Kolleginnen und Kollegen appelliert, die schon seit vielen Jahren mit in diesem Geschäft stehen, und zwar mit der Formulierung: Wer sich bei den innerdeutschen Verträgen und Vereinbarungen auch nur ein bißchen auskennt, wird wissen, daß sie im wesentlichen nach der Methode der Verschränkung von unterschiedlichen Interessen zustande gekommen sind.
Das ist eine Antwort darauf. Ich verstehe nicht, warum Sie immer so tun, als hätten wir uns nicht danach verhalten. Denn Sie können doch wirklich nicht behaupten — so haben Sie sich mit Ihren Ausführungen eigentlich selber ad absurdum geführt,
Herr Kollege Huyn —, wie Sie es getan haben, seit 1969 sei alles nur schlechter geworden. Das kann doch nicht aufrechterhalten bleiben. Da sehen wir doch die Unterschiedlichkeit Ihrer Aussagen. Der eine ist bereit, gerade im humanitären Bereich in breitem Maße seine Zustimmung dazu zu geben, daß sich da etwas bewegt. Wenn wir uns über Menschenrechte unterhalten, dann geht es doch um die Verwirklichung der Humanität. Und wo es hierum geht, wird sich mit dieser Bundesregierung kaum jemand messen können in dem Bemühen, sie überall in der Welt zum Tragen zu bringen. Nur fehlen uns die Mittel, mit unseren Gesetzen in anderen Staaten zu wirken. Vielmehr müssen wir versuchen, auf der politischen Ebene durch entsprechende Verhandlungen zu Ergebnissen zu kommen. Hierzu liegen konkrete Daten vor.
Ich glaube, was da gesagt wurde, darf so nicht im Raum stehen bleiben. Seit 1969 hat sich Grundlegendes zugunsten der Begegnungsmöglichkeiten der Menschen in beiden Teilen Deutschlands verändert. Das ist zu einem besonderen Politikum auch für die SED geworden. Wer die jüngsten Aussagen dort betrachtet, sieht, daß das neue Probleme für die Menschen drüben gebracht hat. Die brauchen wir gar nicht so zu werten, aber da ist etwas in Bewegung gekommen, was letztlich mit dazu beiträgt. Man muß also sehen, wie die Dinge da laufen.
Sie sprachen von den Aussiedlerzahlen und sagten, man sollte das, was jetzt ist, doch einmal mit den Zahlen aus der Zeit der Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger vergleichen. Die Zahlen sind einsehbar. Sie liegen vor. Ich darf Ihnen sagen, daß in den Jahren von 1959 bis 1969, also in elf Jahren, Jahr für Jahr aus den sechs Ostblockländern, mit denen wir zu tun haben — die DDR ist dabei ausgeklammert —, durchschnittlich rund 22 000 Menschen herübergekommen sind. In den sechs Jahren seit 1970 bis 1976 sind es im Jahresdurchschnitt über 26 000, also 4000 Menschen mehr gewesen. Das mag Ihnen nicht genügen. Auch mir genügt es nicht. Nur, eine Verschlechterung ist in der Zeit, in der wir die Regierungsverantwortung tragen, nicht eingetreten. Das ist einfach unrichtig. Und nehmen Sie es doch bitte bei der Kompliziertheit der Problematik mit in Kauf, daß wir auch mit diesen wenigen Dingen schon Positives registrieren können. Wir sagen doch, daß das ein Anfang ist, daß es ein langer, mühsamer Weg ist. Wie oft hören wir, daß wir einen langen Atem brauchen. Sie haben ihn nicht. Ihnen ist die Puste ausgegangen, bevor wir überhaupt richtig angefangen haben.
Und noch etwas zu diesem Thema. Sie haben hier den Swing angesprochen. Sie haben empfohlen, man sollte doch einmal überprüfen, ob das nicht ein brauchbares Instrument zur Durchsetzung politischer Forderungen sei. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang einmal ein paar Zahlen nennen, damit Sie nachdenklicher werden. Im übrigen darf ich hier noch kurz anmerken, daß der Swing keine Erfindung der sozialliberalen Koalition ist. Ihn gibt es bereits seit 1949. Von 1949 bis einschließlich 1968, also in jener Zeit, in der die Regierungsführung nicht von
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 2117
Bundesminister Franke
uns, sondern von Ihren Parteifreunden gestellt wurde, hat sich der Swing um ein Zwölffaches erhöht. In dieser Zeit — ich darf Sie daran erinnern —, in den Jahren 1949 bis 1968 lag der 17. Juni 1953, und von 1952 auf 1953 hat man den Swing gegenüber der Zeit davor verdoppelt. In der gleichen Periode lag der Mauerbau vom 13. August 1961. Auch das hat nicht dazu geführt, daß unter der Verantwortung der CDU-Regierungen etwa dieses Instrumentarium überhaupt in Erwägung gezogen wurde. Warum sage ich das? Ich sage das, damit wir uns endlich einmal davon losmachen, in Bereichen herumzuturnen, die auch nach Ihren Erfahrungen zur Durchsetzung unserer politischen Wünsche und Forderungen als nicht brauchbar erscheinen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Anmerkungen zu dem machen, was der Herr Kollege Jäger hier gesagt hat. Ich kann das so, wie er es gesagt hat, hier nicht stehenlassen. Ich hatte mich, als ich meinte, zur sachlichen Klärung eines bestimmten Problems beitragen zu sollen, auf meinen Angeordnetenplatz begeben und Fragen gestellt.
— Natürlich, das ist die Methode, die jeder anwendet. Das ist doch nichts Neues. — Ich wollte das sofort wahrnehmen. Er hätte die Gelegenheit gehabt, die Sache in einer vernünftigen Form zum Abschluß zu bringen, sei es nur, daß er gesagt hätte, wir können uns im Ausschuß einmal näher darüber unterhalten. Das müssen wir sogar, damit das noch deutlicher wird. Sie, Herr Jäger, haben hier gesagt — ich habe mir das Protokoll beschafft —:
Ich habe den Sachverhalt geschildert, daß dieser Frau unrichtige Angaben über ihre Berufungsmöglichkeit gemacht worden sind und sie deswegen davon abgesehen hat, Berufung einzulegen.
Weiter heißt es:
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur das eine sagen: Ein Bundesminister, der sich mit solchen Angelegenheiten befaßt, sollte sich besser mit der Materie vertraut machen, ehe er die Sache zum Gegenstand einer parlamentarischen Polemik macht.
Zwar ist es jedem Abgeordneten freigestellt, zu sagen, zu behaupten, was er für richtig hält, aber ich muß Ihnen zurückgeben: Ich hielte es für sinnvoller, wenn Sie sich nicht nur auf eine dubiose Dokumentation stützten, die zwar viele Daten enthält, aber deren Wert, deren Gehalt doch als sehr umstritten gelten muß. Ich meine vielmehr, daß ich die richtige Adresse bin, wenn es um Unmittelbarkeit geht. Das habe ich so und so oft angeboten. Viele von Ihnen machen auch Gebrauch davon.
Im übrigen enthält das vorhin erwähnte Dokument — schon bei flüchtiger Durchsicht erkennbar — zwei wichtige Daten überhaupt nicht. Es fällt auf, daß die Mutter in diesem Fall, der vorhin Anlaß zu dieser Zwischenfrage war, für meine Begriffe eine sehr eigenartige Rolle gespielt hat. Ich muß das zur Verdeutlichung noch einmal sagen und bin bereit, das jederzeit zu wiederholen.
— Entschuldigen Sie einmal! Diese Sache ist so weit gegangen, daß sich der Vorstand des Anwaltvereins in Berlin damit befassen mußte. An den hatte sich diese Frau gewandt. Als dieser Vorgang akut war, als es darum ging, Rechtsmittel einzulegen — und nur so lange kann man etwas unternehmen —, als diese Frau zu unserem Vertrauensrechtsanwalt, und zwar in West-Berlin, vorgeladen wurde, wurde ihr deutlich gemacht: Hier liegt der Fall so und so vor. Sie müssen sich jetzt erklären. Wollen wir dagegen Rechtsmittel einlegen? Das müssen wir tun, wenn wir das Anrecht erhalten wollen, daß eine Familienzusammenführung erfolgen kann. Sie wissen ja, daß das Ganze durch eine Familientrennung zustande kam: Die Mutter war von ihrem Kind getrennt; wir hätten sie im Zuge unserer Bemühungen zusammengebracht.
Dann hat diese Frau bei dem Anwalt erklärt, sie wolle keine Rechtsmittel dagegen einlegen. Sie wollte einige Monate auf Reisen gehen. Das war 1972; sie meldete sich erst drei Jahre später, im Jahre 1975, wieder, als durch die „Spiegel"-Veröffentlichung das Thema wieder aktualisiert wurde.
Bis dahin galt folgendes. Bei der Begegnung vor unserem Anwalt hat diese Frau erklärt: Mein Mann und ich, wir haben uns schon lange damit abgefunden, daß daran nichts mehr zu ändern sein wird. — Sie hat die Gelegenheit nicht genutzt. Herr Kollege Jäger, ich bin bereit, im Ausschuß die Dokumente vorzulegen und den Fall im einzelnen zu behandeln.
Nur muß ich hierzu sagen: Einen solchen Fall zu benutzen, um zu sagen, daß die andere Seite unmögliche Dinge macht, können Sie in Verbindung damit doch wohl schlecht aufrechterhalten.