Frau Präsidentin, ich habe mich mit einigen Zwischenfragen auseinandergesetzt. Ich werde mich gern noch nachher auch mit Herrn Schmude unterhalten, aber jetzt möchte ich meine Rede im Zusammenhang zu Ende führen. Ich bitte um Verständnis dafür.
Ich bin der Meinung, daß Leistungen nur dann vereinbart und gewährt werden dürfen, wenn auch von der anderen Seite die Gewährung und die Leistung gesichert sind. Bestehende Verpflichtungen dürfen nur dann pünktlich erfüllt werden, wenn auch von der anderen Seite bestehende Verpflichtungen pünktlich erfüllt werden. Wenn wir sehen, wie die Verpflichtung Ost-Berlins aus dem die Freizügigkeit behandelnden Artikel 13 der von ihm ratifizierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wonach jeder das Recht hat, jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassen, nicht erfüllt wird, und wenn wir die himmelschreienden Fälle von unterbleibender Familienzusammenführung und von Zwangsadoptierung sehen, dann dürfen wir doch nicht eine Politik betreiben, die die Erfüllung des Worte Lenins ist — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:
Die taubstummen kapitalistischen Hamsterer und ihre Regierungen werden uns Kredite eröffnen, welche die Kassen der kommunistischen Organisationen in ihren Ländern füllen, und werden mit der Lieferung von Waren aller Art unsere Kriegsproduktion vergrößern und verbessern, die wir für künftige siegreiche Angriffe gegen unsere Lieferanten benötigen.
Das sind Worte Lenins. Leider führt die Politik der Bundesregierung auf diese Wege.
In ihrer Antwort auf die Große Anfrage erklärt die Bundesregierung, die Vorteile der DDR aus dem Sonderstatus des innerdeutschen Handels ließen sich nicht quantifizieren. Aber es gibt sehr wohl Kenner, z. B. Professor Werner Gumpel, die das sehr genau quantifizieren und die zu Vorteilen im Betrag von jährlich weit über einer Milliarde DM kommen.
Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, die Einwirkungsmöglichkeiten zu prüfen. Ich betone: „Prüfen" bedeutet nicht unbedingt, diese Hebel anzuwenden. Denn selbstverständlich wollen wir nicht Erschwernisse im innerdeutschen Verhältnis, sondern Erleichterungen und Verbesserungen im innerdeutschen Verhältnis.
Um diese zu erreichen, müssen wir jedoch Hebel ansetzen. Und es gibt Hebel! Ich nenne sieben Beispiele:
Erstens. Prüfung der langfristigen Möglichkeiten eines Abbaus des stets einseitig von Ost-Berlin genutzten Swings.
Zweitens. Die Agrarexporte der Europäischen Gemeinschaft nach Ost-Berlin und in die DDR werden zumindest zum Teil im Rahmen der EG-Regelungen subventioniert, weil die DDR in dieser Beziehung als Drittland behandelt wird. Es geht nicht an, daß Ost-Berlin Agrarprodukte, die zu Lasten unserer Steuergelder subventioniert sind, zu Niedrigpreisen erhält und womöglich in einzelnen Fällen an die Bundesrepublik Deutschland zu den hohen EG-Agrarmarkt-preisen verkauft.
Drittens. Das mit Bekanntmachung vom 28. September 1970 eingeführte Preisprüfungsverfahren für Lieferungen aus der DDR kann verschärft werden.
Viertens. Die Einfuhr von bestimmten Waren aus Mitteldeutschland, etwa von Textilien, kann kontingentiert werden.
Fünftens. Die Mehrwertsteuer-Sonderregelung kann überprüft werden.
Sechstens. Es ist nicht einzusehen, daß zwar Ost-Berlin Straßenbenutzungsgebühren erhebt, aber die Bundesregierung bisher keine Initiative ergriffen hat, dies abzubauen, etwa dadurch, daß unsererseits Kraftfahrzeugsteuern für DDR-Lastkraftwagen eingeführt werden.
Siebtens. Der kumulierte Passivsaldo Ost-Berlins im innerdeutschen Handel, der auf weit mehr als zwei Milliarden DM angewachsen ist,
könnte z. B. durch Einbehaltung fälliger Transitgebühren im Zug des „do, ut des" verringert werden.
Sie sehen, meine Damen und Herren: Trotz all Ihrer Vorleistungen gibt es durchaus noch ein Instrumentarium.
Doch ich frage mich: Wollen Sie das denn? Eine Überschrift auf der ersten Seite des heutigen „Darmstädter Echos" lautet: „Bonn will der DDR-Post mehr zahlen".
Mit dieser Politik werden wir für die Menschen in Deutschland natürlich nichts erreichen.
Deswegen appelliere ich an die Bundesregierung, der Politik der Leistung deutscher Steuergelder, die hier nur zum Aufbau des Weltkommunismus dienen, ein Ende zu machen. Die Bundesregierung muß die ihr zur Verfügung stehenden Mittel benutzen, um auf den innerdeutschen Handel einzuwirken. Sie muß der Verpflichtung unserer Verfassung nachkommen, als Sachwalter für alle Deutschen zu wirken.