Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, diese Debatte mutet in einzelnen Passagen schon geradezu gespenstisch an.
Wenn ein Abgeordneter der SPD hierherkommt und aus tiefem Herzen Sorge um die Einheit der CDU/ CSU zum besten gibt, dann kann ich nur eines sagen: Der hat offenbar überhaupt nicht begriffen, um was für Äußerungen es sich hier handelt.
Er hat den Kollegen Alois Mertes zitiert. Wenn Sie etwas zitieren, dann sollten Sie das auch ganz zitieren oder vorher zumindest ganz gelesen haben;
denn was Herr Kollege Mertes gesagt hat — daß die Möglichkeit eines Konsenses auf bestimmten Gebieten gegeben sein könnte —, hat er unter der Voraussetzung gesagt, daß auch die vereinbarten Interpretationen der Verträge von Ihnen eingehalten werden. Aber Sie sind doch schon wieder dabei, auf der schiefen Ebene hin zu den Interpretationen Moskaus abzurutschen.
Das sind doch die Tatsachen.
Wenn ich dann sehe, welche Redner von diesen beiden Seiten des Hauses hierhergekommen sind, und wenn ich höre, was etwa der Herr Schulze über Berlin gesagt hat, und auf der anderen Seite die sehr abgewogene Rede des Kollegen Hoppe dagegenhalte, dann meine ich, wäre es vielleicht eher
angezeigt, daß man sich innerhalb der Koalition angesichts des Zustandes, in dem sie sich ohnehin befindet, doch wenigstens in diesen Grundfragen der Politik um etwas mehr Konsens bemüht.
Gespenstisch mutet es auch an, wenn der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hier zu einem Fall von Zwangsadoption Stellung nimmt. Ich meine, es wäre die Aufgabe von uns allen, ohne Ansehen der Fraktion und der Partei und der Haltung, rein aus menschlichen Gründen alles in unserer Kraft Stehende zu tun, wenn solche unmenschlichen Vorfälle passieren. Aber hier haben wir wenigstens zum erstenmal gehört, daß es überhaupt solche Zwangsadoptionen gibt. Dies ist ja gerade von der Bundesregierung immer geleugnet worden. Es ist ja zunächst erklärt worden, so etwas gebe es gar nicht. Wir sind wenigstens jetzt erfreut zu hören, daß die Bundesregierung dies zur Kenntnis genommen hat.
Ich habe vom Kollegen Jäger eine Dokumentation erhalten; ich habe sie gerade erst hier vor Augen bekommen. Daraus geht hervor, daß die Frau, von der die Rede war, die gegen das Urteil Berufung einlegen sollte, erst Jahre später, als es für sie zu spät war, Berufung einzulegen, erfahren hatte, daß ein solches Urteil überhaupt ergangen war.
Ein Fazit können wir aber aus dieser Debatte und der hilflosen Argumentation aus Ihren Reihen ziehen, nämlich daß das, was Sie als Maxime der Deutschlandpolitik gesetzt haben, gescheitert ist. Es war doch Herr Brandt, der zu Anfang seiner angeblich so neuen Deutschland- und Ostpolitik erklärt hat — ich zitiere ihn wörtlich —, es gehe um die Humanisierung der Lebenswirklichkeit der Deutschen und der Europäer in Ost und West. Wie sieht es aus? Heute stehen wir doch vor den Trümmern eben dieser Deutschlandpolitik. Wo immer wir hinschauen, ist es doch schlechter geworden, steht es schlechter um die Menschen, steht es schlechter um die Trennung. Die Abgrenzungspolitik ist intensiviert.
— Das sind doch die Tatsachen. Der Vollzug des Schießbefehls wurde automatisiert. All das hat mein Kollege Claus Jäger schon ausgeführt. Wir haben darüber auch anläßlich der Debatte über die Menschenrechte hier gesprochen. Wir werden weiter über diese Dinge in diesem Haus sprechen.
Die Frage, die wir uns stellen müssen, heißt doch: Was können wir hier tun, um den Menschen drüben zu helfen, östlich von Zonengrenze und von Berliner Mauer? Es geht um das, was Herr Kollege Hoppe in die Worte gekleidet hat: „konkretisierte Erfüllung der Freizügigkeit". Das müssen wir tun.