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ID0802911200

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    Plenarprotokoll 8/29 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 29. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 Inhalt: Verzicht des Abg. Dr. Glotz und des Abg Sund auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2035 A Eintritt des Abg. Lambinus und des Abg Eickmeyer in den Deutschen Bundestag . 2035 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . 2035 B Wahl des Abg. Glombig als Stellvertreter im Vermittlungsausschuß . . . . . . . 2035 B Wahl des Abg. Lemp als Vertreter im Europäischen Parlament . . . . . . . . . 2035 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß und Akt des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung — Drucksache 8/360 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz) — Drucksache 8/361 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Genscher, Bundesminister AA 2035 D Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 2037 B Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 2040 C Dr. Bangemann FDP 2042 C Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 2046 C Seefeld SPD 2048 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Deutschlandpolitik — Drucksachen 8/118, 8/255 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes — Drucksache 8/238 — Dr. Abelein CDU/CSU . . . . . . . . 2050 D Dr. Kreutzmann SPD . . . . . . . 2056 A Hoppe FDP 2061 B Franke, Bundesminister BMB . 2067 D, 2116 A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . 2078 D Dr. Schmude SPD 2083 B, 2121 B Jung FDP . . . . . . . 2087 B, 2131 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . 2090 D Schulze (Berlin) SPD 2093 A Jäger (Wangen) CDU/CSU 2095 D Büchler (Hof) SPD 2099 C Graf Huyn CDU/CSU 2103 A Friedrich (Würzburg) SPD . . 2106 A, 2124 B Dr. Gradl CDU/CSU . . . . . . . . 2111 A Kunz (Berlin) CDU/CSU 2118 B Dr. Kohl CDU/CSU . 2123 C, 2124 A, 2128 A Wehner SPD 2123 D Straßmeir CDU/CSU . . . . . . . . 2124 C Dr. Ehmke SPD 2126 B Böhm (Melsungen) CDU/CSU 2129 A Schmöle CDU/CSU 2131 D Voigt (Frankfurt) SPD . . . . . . 2133 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude — Drucksache 8/286 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/471 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses --- Drucksachen 8/453, 8/463 — Gobrecht SPD . . . . . . . 2136 A, 2139 A Dr. Voss CDU/CSU . . . . . . . . . 2137 A Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 2140 C Köster CDU/CSU 2143 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes — Drucksache 8/370 — de Terra CDU/CSU . . . . . . . . 2145 D Horn SPD 2146 B Ludewig FDP 2146 D Fragestunde — Drucksache 8/458 vom 20. 05. 1977 — Umsiedlung der weißen Bevölkerung aus Südwestafrika im Falle der Machtübernahme der schwarzen Mehrheit nach Südamerika MdlAnfr A109 20.05.77 Drs 08/458 Niegel CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA 2072 A, B, C ZusFr Niegel CDU/CSU 2072 B Einheitliches Konzept der EG für die am 23. Mai beginnende 6. UN-Seerechtskonferenz sowie Sicherstellung der Fanggründe vor den Küsten Kanadas, Norwegens, der USA und Islands für die deutsche Fischerei nach Errichtung der 200-Seemeilen-Wirtschaftszone MdlAnfr A118 20.05.77 Drs 08/458 Dr. Müller-Hermann CDU/CSU MdlAnfr A119 20.05.e Drs 08/458 Dr. Müller-Hermann CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 2072 C, D, 2073 A, C ZusFr Dr. Müller-Hermann CDU/CSU . . 2072 D, 2073 B Benachteiligung deutscher Futtermittelhersteller beim Einkauf von Magermilchpulver bei EG-Ausschreibungen durch unterschiedliche Währungsberechnungen; Verwendung von Magermilchpulver zur Kälberfütterung über einen Beimischungszwang sowie Verbilligung des Magermilchpulvers für diesen Zweck MdlAnfr A63 20.05.77 Drs 08/458 Peters (Poppenbüll) FDP MdlAnfr A64 20.05.77 Drs 08/458 Peters (Poppenbüll) FDP Antw PStSekr Gallus BML 2073 D, 2074 A, C, D ZusFr Peters (Poppenbüll) FDP . . . 2074 A, B, C ZusFr Kiechle CDU/CSU . . . . . . . 2074 D Staatliche Verbilligung von Trinkmilch für Kindergärten und Schulen MdlAnfr A65 20.05.77 Drs 08/458 Frau Geier CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML . . 2075 A, B, C, D, 2076 A ZusFr Frau Geier CDU/CSU 2075 B ZusFr Kiechle CDU/CSU 2075 B ZusFr Susset CDU/CSU 2075 C ZusFr Würtz SPD 2075 C ZusFr Dr. von Geldern CDU/CSU . . . 2075 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 2075 D Deklarationsform für Gemengeteile bei Mischfuttermitteln MdlAnfr A66 20.05.77 Drs 08/458 Dr. von Geldern CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 2076 A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 III Ermittlung der genauen Zahl der neugeschaffenen Ausbildungsplätze zur Kontrolle über die Angaben des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsausbildung MdlAnfr A43 20.05.77 Drs 08/458 Heyenn SPD MdlAnfr A44 20.05.77 Drs 08/458 Heyenn SPD Antw PStSekr Engholm BMB . . . . . 2076 C, 2077 A, B, C, D, 2078 A ZusFr Heyenn SPD . . . 2076 D, 2077 A, B, C ZusFr Milz CDU/CSU 2077 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 2078 A Ausnutzung der Ausbildungskapazitäten bei Bundesbahn und Bundespost MdlAnfr A102 20.05.77 Drs 08/458 Walther SPD Antw PStSekr Engholm BMB . . . . 2078 B Nächste Sitzung 2147 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2149* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 2035 29. Sitzung Bonn, den 26. Mai 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 27. 5. Dr. Ahrens " 27. 5. Alber * 27. 5. Dr. Bangemann 27. 5. Dr. Bayerl * 27. 5. Dr. Becher (Pullach) 27. 5. Blumenfeld* 27. 5. Buchstaller *** 27. 5. Dr. Corterier *** 27. 5. Damm *** 27. 5. Fellermaier * 27. 5. Flämig *** 27. 5. Francke (Hamburg) 26. 5. Dr. Fuchs * 27. 5. Dr. Geßner *** 27. 5. Grüner 26. 5. Haase (Fürth) * 27. 5. von Hassel 27. 5. Dr. Hupka *** 27. 5. Dr. Jaeger *** 27. 5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 27. 5. Katzer 27. 5. Dr. h. c. Kiesinger 26. 5. Dr. Klepsch*** 27. 5. Kunz (Berlin) *** 27. 5. Dr. Graf Lambsdorff 26. 5. Lange *** 27. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer ** 27. 5. Lücker * 27. 5. Dr. Marx *** 27. 5. Mattick *** 27. 5. Möhring *** 27. 5. Möllemann *** 27. 5. Dr. Müller ** 27. 5. Dr. Narjes 27. 5. Neuhaus 27. 5. Neumann * 27. 5. Ollesch *** 27. 5. Pawelczyk *** 27. 5. Petersen 27. 5. Picard 27. 5. Dr. Reimers 27. 5. Schmidt (München) * 27. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 5. Dr. Schöfberger 27. 5. Schreiber * 27. 5. Schwabe * 27. 5. Dr. Schwarz-Schilling 27. 5. Dr. Schwencke (Nienburg)** 27. 5. Dr. Schwörer * 26. 5. Frau Schuchardt 27. 5. Sieglerschmidt * 27. 5. Dr. Starke (Franken) * 26. 5. Dr. Staudt 27. 5. Frau Steinhauer 27. 5. Frau Tübler 27. 5. Voigt (Frankfurt) *** 27. 5. Dr. Waigel 27. 5. Dr. Wallmann 26. 5. Frau Dr. Walz * 27. 5. Dr. Wendig 27. 5. Frau Will-Feld 27. 5. Dr. Wörner 26. 5. Dr. Zeitel 26. 5. Zeyer * 26. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Kurt Jung


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschlandpolitik ist für die Liberalen nur als Friedens- und Entspannungspolitik denkbar, die darauf zielt, Konfrontationen in Europa abzubauen und systemübergreifende Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Es ist in unserer Lage selbstverständlich, daß dabei auch begrenzte Fortschritte große Anstrengungen rechtfertigen. Deshalb sollte jeder von uns das Erreichte vor allem an dem real Möglichen messen und sich nicht durch das ideal Wünschbare den Blick verstellen lassen.
    Tatsache ist nun einmal: das deutsche Volk lebt heute in zwei voneinander unabhängigen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, und zweitens: jeder dieser beiden Staaten ist in andere Allianzen eingereiht. Drittens ist die deutsche Frage zwar ein internationales Problem, die Problemlösung kann aber nur bilateral angegangen werden. Tatsache ist auch: die gesamteuropäische Entspannungspolitik kam erst dann voran, als durch die bilateralen Verhandlungen im Rahmen der sozialliberalen Ostpolitik die Verhältnisse zu osteuropäischen Staaten geregelt waren. Multilaterale Verhandlungen wie etwa die KSZE wären ohne diese bilateralen Verträge kaum möglich gewesen.
    Die Schlußakte der KSZE ist gerade in der Menschenrechtsfrage in West- wie in Osteuropa zu einem zentralen Dokument geworden. Gerade an ihm wird der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Entspannungspolitik deutlich. Wer zu den Menschenrechten ja sagt, muß automatisch und zuerst für Entspannung sein. Wer wie wir zuerst Entspannung fordert, weiß, daß sie es war, die zu Helsinki geführt hat und damit zu der Schlußakte, die erstmals die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions-und Überzeugungsfreiheit zum Gegenstand zwischenstaatlicher Beziehungen erklärt hat.
    Wenn die Opposition also jetzt die Menschenrechtsfrage derart in den Mittelpunkt Ihrer politischen Strategie stellen kann, ist dies in erster Linie ein Ergebnis der die deutschen Belange verfolgenden Politik der Regierung Schmidt/Genscher, die von der Opposition so erbittert bekämpft wurde.
    Die KSZE muß folglich in die heutige Betrachtung einbezogen werden. Denn der Katalog von Themen in der Großen Anfrage der Opposition ist schließlich inhaltlich fast identisch mit den Unionsstrategien für Belgrad. Leider — ich muß es noch einmal betonen — haben wir gestern im Auswärtigen Ausschuß erlebt, wie wenig eigentlich der Opposition offenbar an der von uns geforderten und zumindest verbal auch von ihr betonten notwendigen Gemeinsamkeit in dieser Frage gelegen ist. Da hilft auch nicht die Entschuldigung, die Sie, Herr Kollege Abelein, anzubringen versucht haben. Tatsache ist, daß von seiten der Opposition diese gemeinsame Linie — im Interesse unserer Sache — nicht mit eingehalten wurde.
    Die Schlußakte von Helsinki ist, wie gesagt, ein Ergebnis der Deutschland- und Ostpolitik dieser sozialliberalen Bundesregierung. Dieser Weg zur Entspannung und Menschenrechtsgarantie, zum Ausbau von Ansätzen zur Konfliktlösung in Europa ist ein praktisches Stück Deutschlandpolitik. Es hat dazu beigetragen, Erleichterungen für die Menschen in Deutschland zumindest einzuleiten. Ohne die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wäre der heutige Stand der Menschenrechtsdiskussion nicht vorstellbar.
    Wir müssen uns aber davor hüten, diese Diskussion vom hohen Roß herab zu führen. Hier finde ich mich — zu meinem eigenen Erstaunen — seltsamerweise in Übereinstimmung mit dem Kollegen Dr.



    Jung
    Dregger, der — in einem völlig anderen Zusammenhang zwar — am 12. Mai festgestellt hat — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —:
    Wir können anderen Ländern nur gerecht werden, wenn wir sie von ihren eigenen Bedingungen und nicht von den unseren her beurteilen. Im übrigen müssen wir uns dagegen wehren, daß die Menschenrechtsdiskussion einseitig und nach ungleichen Maßstäben geführt wird.
    Wie wahr! Wir sollten uns gegenüber ehrlich genug sein, unsere Maßstäbe hochzuhalten sie aber nicht zur ausschließlichen, letztlich ausschließenden Leitlinie unseres Verhaltens im internationalen Rahmen zu machen. Der Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 ist ein Produkt dieser Politik.
    Wir halten daran fest, daß die erreichten menschlichen Erleichterungen ihr Gewicht haben. Ich betone ausdrücklich, daß wir weiterhin darauf bestehen, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegen Menschenrechtsverletzungen auftritt, wo immer sie ihr bekannt werden. Wenn aber z. B. in Belgrad das große gegenseitige Anklagen und Beschweren ausbricht — ich will nicht sagen, daß die Opposition dies will, aber dies wäre möglich, wie wir gestern bei der Beratung des Antrags deutlich gemacht haben —, wenn dort also dieses Tribunal stattfände, dann erreichen wir allenfalls die Neuauflage unfruchtbarer UNO-Sitzungen. Beim Aufrechnen, meine Damen und Herren — jedenfalls haben wir den Eindruck —, halten die anderen zumindest mit, Wahrheitsgehalt hin, Wahrheitsgehalt her.
    Was wirklich zählt, sind eben die erreichten Erfolge, die heute wiederholt dargestellt wurden. Ich möchte noch einmal daran erinnern: rund 3 Millionen Besuche von DDR-Bürgern in der Bundesrepublik und in West-Berlin, rund 8 Millionen Besuche von Westdeutschen und West-Berlinern in Ost-Berlin und der DDR. Meine Damen und Herren, und bevor man zum rhetorischen Frontalangriff gegen Menschenrechtsverletzungen antritt, sollte man auch prüfen, wie der andere deutsche Staat in Sachen Familienzusammenführung und Heiratsgenehmigung für Heiraten mit Westbürgern — nicht nur Westdeutschen — abschneidet. Herr Minister Franke hat dazu heute Zahlen genannt. Nur pauschal möchte ich anmerken, daß es auch in anderen Bereichen, im Bereich des Fernmeldewesens, im Verkehrsbereich Fortschritte gibt, wenn auch nicht in dem großen Maße, wie wir sie uns als Endziel vorstellen.
    Diese Probleme werden aber nicht in unserem Sinne lösbar, wenn wir grobe Keile einsetzen. Es empfiehlt sich nicht, Menschenrechtsprobleme grundsätzlich aggressiv vor internationale Foren zu bringen. Die Drohung, vor ein Tribunal gestellt zu werden, gehört heute zwar grundsätzlich zum politischen Handwerkszeug, aber Drohfaktoren verlieren nun einmal ihren politischen Gehalt, wenn sie zum alleinigen Mittel werden. Es ist natürlich sehr viel schwieriger, eine Politik des Friedens, der Verständigung und der Zusammenarbeit zu entwickeln und zu praktizieren, als einen Kurs der Konfrontation und des Konflikts zu steuern.
    Im Verhältnis zwischen dem demokratischen Westen und dem totalitär geführten Osten stellt sich die Aufgabe, den gesicherten Frieden zu erreichen, als besonders schwierig dar; denn hier geht es nicht nur um einen machtpolitischen Ausgleich, sondern vor allem darum, im vollen Bewußtsein ideologisch bedingter unaufhebbarer Gegensätze Konflikte zu begrenzen und so die notwendigen Freiräume für eine Zusammenarbeit zwischen den Blöcken zu schaffen. Das bedeutet aber: Verhandlungen und Verträge trotz Schießbefehl an der Grenze der DDR und ungeachtet der Tatsache, daß nach unserem Verständnis in den meisten Staaten des Warschauer Pakts die Menschenrechte verletzt werden.
    Die Grundsätze der UN-Charta sind nachprüfbar Leitlinien unserer Politik. Aber wir ziehen es vor, statt mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, uns auf die Bedingungen und die politische Umland-situation des jeweiligen Verhandlungsgegenübers einzustellen.
    Der Kollege Professor Dr. Carstens hat in einer Rede am 22. April in Berlin festgestellt, daß wir es in den östlichen Nachbarstaaten mit völlig anderen Zielvorstellungen über das Verhältnis des Menschen zur Gemeinschaft zu tun haben. Das ist nichts Neues. Wir müssen es nur auch in Betracht ziehen, wenn wir Ansprüche verfolgen.
    In diesem Zusammenhang gehe ich davon aus, daß wir heute die Berlin-Frage einvernehmlich beurteilen. Die DDR und ihre Bündnisgenossen mögen so oft sie wollen und so lautstark sie können die Viermächteverantwortung für die ehemalige Reichshauptstadt Berlin regional halbieren. Damit wird verbrieftes Recht nicht verändert. Es liegt nicht zuletzt an uns allen, daß nicht aus ständig wiederholter Falschinformation in der Öffentlichkeit so etwas wie ein Ansatz für eine Art Gewohnheitsrecht wird.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Im übrigen gelten auch für Berlin als Ganzes die Regelungen der KSZE-Schlußakte. Einvernehmliche Änderungen des Status quo in und um Berlin sind möglich, wenn die Betroffenen und die vier Signatarstaaten es so beschließen.
    Wir Freien Demokraten vertreten also die Meinung: Die KSZE-Schlußakte ist ein guter Ansatz, im gesamteuropäischen Rahmen wie innerhalb unserer Bündnisverpflichtungen, Menschenrechte für alle Deutschen in Anspruch zu nehmen. Deshalb die Weiterverfolgung dieser letztlich allen zugute kommenden Entspannungspolitik, einer Politik, die in erster Linie der Friedenssicherung dient. Das Ziel liberaler Politik, die Entspannung zu fördern, die sich aus Systemwidersprüchen ergebende Auseinandersetzung friedenssichernd zu organisieren, ist auf Dauer für alle Europäer, nicht nur für alle Deutschen menschenrechtsdienlich.
    Wir bedauern, daß Verpflichtungen aus internationalen Abkommen, wie etwa aus der KSZE-
    Schlußakte, oft beschränkt und einseitig ausgelegt werden. Die jüngsten Schritte der DDR-Machthaber z. B., den Bereich der politischen Bildung ihrer Bürger so umzustellen, daß daraus eine „Immunisie-



    Jung
    rung gegenüber westlichen Einflüssen" — wie es dort heißt — wird, ist eigentlich ein Beweis für die Richtigkeit unserer Überlegungen, daß nur mit dieser Politik — zwar langsam, aber beständig — eine liberalere Entwicklung drüben eingeleitet werden kann. Mit den oberflächlichen Parolen des kalten Krieges war dies nachweisbar nicht zu erreichen.
    Die Große Anfrage der Opposition zur Deutschlandpolitik dokumentiert die ganze Unsicherheit in der Frage, wie es mit der Entspannungspolitik weitergehen wird. Die KSZE-Schlußakte hat im Ostblock dazu geführt, daß der Begriff Menschenrechte einen Inhalt bekam, der der westlich-demokratischen Beschreibung entspricht und eben nicht mehr parteilich-ideologisch auslegbar ist. Dieser Sachverhalt wird weitgehend sichtbar im Entstehen und Wachsen der Bürgerrechtsbewegung dokumentiert. Ohne Helsinki wäre weder diese Bewegung möglich geworden noch gäbe es eine Erklärung für das Interesse der Weltöffentlichkeit an ihr.
    Die verschiedenen Ostblockreaktionen weisen auf die dort entstandende Unsicherheit hin. Aber auch der Meinungswandel in der deutschlandpolitischen Auseinandersetzung hier im Bundestag zeugt davon. Es liegt noch nicht so lange zurück — und es wurde heute schon gesagt —, daß die CDU/CSU mit allen ihr so geläufigen Mitteln versuchte, diese Entspannungspolitik zu verteufeln. Der Kollege Strauß z. B. sah in der Konferenz von Helsinki ein neues gigantisches München. Andere Unionskollegen sprachen von der Kapitulation vor dem Unrecht, von einer der Sowjetunion frei Haus gelieferten Stabilisierungsaktion.
    Ganz anders klingt das heute. Kollege Professor Biedenkopf etwa befürchtet, daß die durch Helsinki begünstigte Destabilisierung allzuleicht in eine militärische Aktion gegen den Westen münden könnte.
    Herr Kollege Mertes — Herr Schmude hat Sie in der Frage auch schon angesprochen —, ich freue mich, daß Sie sich so eindeutig auf den Standpunkt stellen: „Pacta sunt servanda". Das mag selbstverständlich klingen. Aber ich sehe darin eine gewisse Bestätigung auch Ihrerseits der Richtigkeit unserer Politik, wenn Sie dies auch nicht offen aussprechen. Sie haben zwar versucht, etwas umzudrehen, aber gestatten Sie, daß ich Sie hier in einem korrigiere: Meine Partei hat Ihre Haltung in der Ost- und Entspannungspolitik weder verändert noch an irgendwelche Interessen der Opposition angenähert.
    Sie wissen wie ich, daß es in dieser Opposition Kollegen gab und gibt, die in diesem Bereich der Politik mit uns eher übereinstimmen als mit ihren eigenen Fraktionskollegen. Aber wenn es in der Union Überlegungen gibt, eine Dokumentation über die Verletzung der Menschenrechte in der DDR auf Schleichwegen nach Belgrad zu bringen, und zwar isoliert von der gemeinsamen Dokumentation der europäischen Partner, dann hat das mit der treuhänderisch-kritischen Rolle, die — so Herr Kollege Dr. Mertes — die Opposition für das Parlament übernimmt, überhaupt nichts mehr zu tun.
    Die Parteien in diesem Parlament — das möchte ich hier unterstreichen — sind absolut unverdächtig,
    geistige Komplicen von Menschenrechtsverletzern jeglicher Art zu sein. Es wäre unerträglich für das politische Miteinander in diesem Land, wenn wir dem politischen Gegner diese Grundhaltung absprächen. Die unbestreitbaren Chancen, die sich z. B. vielen DDR-Bürgern nach Helsinki eröffneten, die vertraglich vereinbarte Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten „einzuklagen", würden bei hemmungslosen Anklagetiraden sicherlich verschüttet.
    Bei allem Verständnis für das Bestreben einer jeden Opposition, den jeweils Regierenden Schwächen und Versäumnisse vorzuhalten; sie sollte nicht aus den Augen verlieren, daß auch sie Verantwortung nicht nur für das deutsch-deutsche Verhältnis, sondern auch dafür trägt, daß es nicht zu einer Neuauflage des kalten Krieges kommt.
    Ich habe eigentlich gehofft, daß die Opposition die heutige Debatte dazu nutzt, die Meinungsbildung, die anläßlich der deutschlandpolitischen Diskussion des Düsseldorfer CDU-Parteitages versucht wurde, endgültig in Gang zu bringen.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Claus Jäger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Jung, können Sie mir irgendein Mitglied dieses Hauses von der CDU/CSU nennen, das zu irgendeinem Zeitpunkt hemmungslose Anklagereden und hemmungslose Attacken in puncto Menschenrechte in Belgrad gefordert hat?