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ID0802910800

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    Plenarprotokoll 8/29 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 29. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 Inhalt: Verzicht des Abg. Dr. Glotz und des Abg Sund auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2035 A Eintritt des Abg. Lambinus und des Abg Eickmeyer in den Deutschen Bundestag . 2035 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . 2035 B Wahl des Abg. Glombig als Stellvertreter im Vermittlungsausschuß . . . . . . . 2035 B Wahl des Abg. Lemp als Vertreter im Europäischen Parlament . . . . . . . . . 2035 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß und Akt des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung — Drucksache 8/360 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz) — Drucksache 8/361 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Genscher, Bundesminister AA 2035 D Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 2037 B Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 2040 C Dr. Bangemann FDP 2042 C Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 2046 C Seefeld SPD 2048 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Deutschlandpolitik — Drucksachen 8/118, 8/255 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes — Drucksache 8/238 — Dr. Abelein CDU/CSU . . . . . . . . 2050 D Dr. Kreutzmann SPD . . . . . . . 2056 A Hoppe FDP 2061 B Franke, Bundesminister BMB . 2067 D, 2116 A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . 2078 D Dr. Schmude SPD 2083 B, 2121 B Jung FDP . . . . . . . 2087 B, 2131 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . 2090 D Schulze (Berlin) SPD 2093 A Jäger (Wangen) CDU/CSU 2095 D Büchler (Hof) SPD 2099 C Graf Huyn CDU/CSU 2103 A Friedrich (Würzburg) SPD . . 2106 A, 2124 B Dr. Gradl CDU/CSU . . . . . . . . 2111 A Kunz (Berlin) CDU/CSU 2118 B Dr. Kohl CDU/CSU . 2123 C, 2124 A, 2128 A Wehner SPD 2123 D Straßmeir CDU/CSU . . . . . . . . 2124 C Dr. Ehmke SPD 2126 B Böhm (Melsungen) CDU/CSU 2129 A Schmöle CDU/CSU 2131 D Voigt (Frankfurt) SPD . . . . . . 2133 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude — Drucksache 8/286 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/471 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses --- Drucksachen 8/453, 8/463 — Gobrecht SPD . . . . . . . 2136 A, 2139 A Dr. Voss CDU/CSU . . . . . . . . . 2137 A Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 2140 C Köster CDU/CSU 2143 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes — Drucksache 8/370 — de Terra CDU/CSU . . . . . . . . 2145 D Horn SPD 2146 B Ludewig FDP 2146 D Fragestunde — Drucksache 8/458 vom 20. 05. 1977 — Umsiedlung der weißen Bevölkerung aus Südwestafrika im Falle der Machtübernahme der schwarzen Mehrheit nach Südamerika MdlAnfr A109 20.05.77 Drs 08/458 Niegel CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA 2072 A, B, C ZusFr Niegel CDU/CSU 2072 B Einheitliches Konzept der EG für die am 23. Mai beginnende 6. UN-Seerechtskonferenz sowie Sicherstellung der Fanggründe vor den Küsten Kanadas, Norwegens, der USA und Islands für die deutsche Fischerei nach Errichtung der 200-Seemeilen-Wirtschaftszone MdlAnfr A118 20.05.77 Drs 08/458 Dr. Müller-Hermann CDU/CSU MdlAnfr A119 20.05.e Drs 08/458 Dr. Müller-Hermann CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 2072 C, D, 2073 A, C ZusFr Dr. Müller-Hermann CDU/CSU . . 2072 D, 2073 B Benachteiligung deutscher Futtermittelhersteller beim Einkauf von Magermilchpulver bei EG-Ausschreibungen durch unterschiedliche Währungsberechnungen; Verwendung von Magermilchpulver zur Kälberfütterung über einen Beimischungszwang sowie Verbilligung des Magermilchpulvers für diesen Zweck MdlAnfr A63 20.05.77 Drs 08/458 Peters (Poppenbüll) FDP MdlAnfr A64 20.05.77 Drs 08/458 Peters (Poppenbüll) FDP Antw PStSekr Gallus BML 2073 D, 2074 A, C, D ZusFr Peters (Poppenbüll) FDP . . . 2074 A, B, C ZusFr Kiechle CDU/CSU . . . . . . . 2074 D Staatliche Verbilligung von Trinkmilch für Kindergärten und Schulen MdlAnfr A65 20.05.77 Drs 08/458 Frau Geier CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML . . 2075 A, B, C, D, 2076 A ZusFr Frau Geier CDU/CSU 2075 B ZusFr Kiechle CDU/CSU 2075 B ZusFr Susset CDU/CSU 2075 C ZusFr Würtz SPD 2075 C ZusFr Dr. von Geldern CDU/CSU . . . 2075 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 2075 D Deklarationsform für Gemengeteile bei Mischfuttermitteln MdlAnfr A66 20.05.77 Drs 08/458 Dr. von Geldern CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 2076 A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 III Ermittlung der genauen Zahl der neugeschaffenen Ausbildungsplätze zur Kontrolle über die Angaben des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsausbildung MdlAnfr A43 20.05.77 Drs 08/458 Heyenn SPD MdlAnfr A44 20.05.77 Drs 08/458 Heyenn SPD Antw PStSekr Engholm BMB . . . . . 2076 C, 2077 A, B, C, D, 2078 A ZusFr Heyenn SPD . . . 2076 D, 2077 A, B, C ZusFr Milz CDU/CSU 2077 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 2078 A Ausnutzung der Ausbildungskapazitäten bei Bundesbahn und Bundespost MdlAnfr A102 20.05.77 Drs 08/458 Walther SPD Antw PStSekr Engholm BMB . . . . 2078 B Nächste Sitzung 2147 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2149* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 2035 29. Sitzung Bonn, den 26. Mai 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 27. 5. Dr. Ahrens " 27. 5. Alber * 27. 5. Dr. Bangemann 27. 5. Dr. Bayerl * 27. 5. Dr. Becher (Pullach) 27. 5. Blumenfeld* 27. 5. Buchstaller *** 27. 5. Dr. Corterier *** 27. 5. Damm *** 27. 5. Fellermaier * 27. 5. Flämig *** 27. 5. Francke (Hamburg) 26. 5. Dr. Fuchs * 27. 5. Dr. Geßner *** 27. 5. Grüner 26. 5. Haase (Fürth) * 27. 5. von Hassel 27. 5. Dr. Hupka *** 27. 5. Dr. Jaeger *** 27. 5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 27. 5. Katzer 27. 5. Dr. h. c. Kiesinger 26. 5. Dr. Klepsch*** 27. 5. Kunz (Berlin) *** 27. 5. Dr. Graf Lambsdorff 26. 5. Lange *** 27. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer ** 27. 5. Lücker * 27. 5. Dr. Marx *** 27. 5. Mattick *** 27. 5. Möhring *** 27. 5. Möllemann *** 27. 5. Dr. Müller ** 27. 5. Dr. Narjes 27. 5. Neuhaus 27. 5. Neumann * 27. 5. Ollesch *** 27. 5. Pawelczyk *** 27. 5. Petersen 27. 5. Picard 27. 5. Dr. Reimers 27. 5. Schmidt (München) * 27. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 5. Dr. Schöfberger 27. 5. Schreiber * 27. 5. Schwabe * 27. 5. Dr. Schwarz-Schilling 27. 5. Dr. Schwencke (Nienburg)** 27. 5. Dr. Schwörer * 26. 5. Frau Schuchardt 27. 5. Sieglerschmidt * 27. 5. Dr. Starke (Franken) * 26. 5. Dr. Staudt 27. 5. Frau Steinhauer 27. 5. Frau Tübler 27. 5. Voigt (Frankfurt) *** 27. 5. Dr. Waigel 27. 5. Dr. Wallmann 26. 5. Frau Dr. Walz * 27. 5. Dr. Wendig 27. 5. Frau Will-Feld 27. 5. Dr. Wörner 26. 5. Dr. Zeitel 26. 5. Zeyer * 26. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Friedrich Zimmermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Wir brauchen nicht auf Nebenthemen auszuweichen.

    (Zurufe von der SPD: Das tun Sie doch!)

    Die Sache, über die wir zu reden haben, ist eine andere: Ich sage Ihnen, daß uns Ihre Regierung den Bericht zur Lage der Nation bis heute schuldig geblieben ist, daß in der Regierungserklärung vom 16. Dezember kein solcher Bericht enthalten war, auch wenn Sie das immer wieder behaupten. Das ist die Tatsache. In der sonst monströsen Regierungserklärung war ein kleiner Absatz der deutschen Frage gewidmet. Das, was gesagt worden ist, hat von wenig Engagement gezeugt. Die ganze Nation und ihre Lage ist bei Ihnen hinuntergestuft worden in den Rang des Beiläufigen. Das ist die Wirklichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Abelein [CDU/CSU] : Leider richtig!)

    Trotzdem stehe ich nicht an, zu sagen, daß einige Punkte Ihrer Antwort positiv zu bewerten sind. Sie halten fest, wie Sie sagen, an dem Ziel, einen Zustand des Friedens in Europa zu erreichen, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.

    (Zuruf des Abg. Mattick [SPD])

    Auch wollen Sie an der einen deutschen Staatsangehörigkeit festhalten. Sie sichern zu, daß ein Staatsvertrag über die Zonengrenze nicht in Betracht kommt. Sie nennen eine Reihe wichtiger Tatsachen, die für das innerdeutsche Verhältnis charakteristisch sind und die Zeugnis von den traurigen Zuständen ablegen, die dieses Verhältnis prägen. Sie zeigen einerseits, wie sehr im innerdeutschen Handel die Bundesbürgschaften in die Höhe gegangen sind und welch bedeutender Faktor dieser Handel für die SED-Planwirtschaft ist, wie wichtig er ist, daß drüben Planungsfehler ausgeglichen, Störungen in der Planerfüllung behoben werden können, die Produktivität in der Wirtschaft erhöht wird und was dadurch an Leistungsverpflichtungen im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe erfüllt werden kann — alles positiv. Während Sie also auf der einen Seite einen für die SED-Planwirtschaft höchst vorteilhaften und praktisch unverzichtbaren innerdeutschen Handel konstatieren, weisen Sie auf der anderen Seite auf eine ganze Reihe politischer Vorgänge hin, die vom SED-Regime ausgelöst wurden und von Ihnen als Belastung des innerdeutschen Verhältnisses gewertet werden. Es fehlt dabei weder der Fall Guillaume noch fehlen die Journalistenausweisungen, die zu-



    Dr. Zimmermann
    nehmende Zahl von Einreiseverweigerungen und auch die Mordtaten an der Grenze. Sie fehlen alle nicht. Sie stellen auch die administrative und strafrechtlichen Schikanen dar, die das SED-Regime an ausreisewilligen Bewohnern Mitteldeutschlands praktiziert.
    So positiv, so wahrheitsgemäß diese Feststellungen auch sind, insgesamt ist die Antwort der Bundesregierung trotzdem nicht befriedigend. Es werden wichtige Dinge beschönigt oder unzulänglich dargestellt, aber auch verschwiegen. Vor allem wird nirgendwo gesagt, welche politischen Konsequenzen die Regierung aus den von ihr selbst gesehenen Belastungen ziehen will. Sogar Ihr Bekenntnis zur Einheit der Nation, zur einen deutschen Staatsangehörigkeit, zur Rechtsnatur der innerdeutschen Grenze erscheint im Ton, in der Sprache, in der Darstellung und auch nach dem, was heute von der Regierung gesagt worden ist, als eine Pflichtübung ohne Engagement.
    Was läge eigentlich näher, als in diesem Zusammenhang das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag zu nennen, sich zu dieser für unser Staats- und Nationsverständnis fundamentalen Gerichtsentscheidung zu bekennen? Das Karlsruher Urteil legt Handlungspflichten fest. Danach ist jedes Verfassungsorgan, an allererster Stelle die Bundesregierung, verpflichtet, in ihrer Politik auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands hinzuwirken. Tut diese Pflicht weh, so muß man die Bundesregierung fragen, weil sie sich nicht ausdrücklich zu ihr bekennt? Stört das Bekenntnis zu dieser Pflicht? Kann es nicht in Einklang gebracht werden mit dem, was die Regierung Entspannung und Normalisierung nennt?
    Die Bundesregierung hätte sich auch in ihrer Antwort durchaus engagierter, weniger buchhalterisch zu der Tatsache äußern sollen, daß es in Mitteldeutschland eine Menschen- und Bürgerrechtsbewegung gibt. Besser, als nur trocken festzustellen, daß der Tod des Pfarrers Brüsewitz für sich selbst spreche, hätte es der Regierung angestanden, etwas zur geistigen Not unserer Landsleute zu sagen, die nach wie vor, trotz eines relativ gestiegenen Wohlstands, vorhanden ist.
    Warum versteckt sich die Bundesregierung, wenn es um Berlin geht, hinter der auch von uns als sehr positiv erachteten Berlin-Erklärung der Westmächte? Warum gibt sie keine eigene Antwort? Berlin ist doch kein Kolonialgebiet fremder Mächte. Es ist doch unsere Stadt, die eigentliche Hauptstadt Deutschlands.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum spricht die Bundesregierung im Zusammenhang mit ihrer Sorgepflicht für alle Deutschen nicht mit für die Deutschen in Mitteldeutschland? Warum tritt sie leise auf bei der Antwort auf unsere Frage, was für die Durchsetzung der Menschenrechte in Mitteldeutschland von ihr getan wird? Was soll die Halbherzigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, daß sie sich zwar allgemein zu einer auf die Durchsetzung der Menschenrechte abzielende Politik be-
    kennt, es aber ablehnt, ausgerechnet dem SED-Regime gegenüber, Nägel mit Köpfen zu machen?

    (Baron von Wrangel [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Warum wartet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang mit der schwammigen Formulierung auf, daß sie die „vielfältigen politischen und humanitären Wirkungsmöglichkeiten nicht gefährden" wolle, die ihr die Politik des Interessenausgleichs in den letzten Jahren angeblich verschafft habe? Das ist wenig. Das ist flach. Das ist undeutlich. Das ist verschwommen. Das ist nebulös. Das ist nicht handfest, nicht deutlich, nicht engagiert, ohne Herz gesagt. Das ist entscheidend.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Menschenrechte und Politik des Interessenausgleichs sind kein Gegensatz. Ein Interessenausgleich zwischen Ost und West, das heißt doch eine Berücksichtigung auch unserer Interessen. Sie wird um so leichter möglich sein, je unmißverständlicher, je eindeutiger wir unser wirkliches Interesse formulieren und vertreten. Zu diesem Interesse gehört eben auch die Verwirklichung der Menschenrechte im anderen Teil Deutschlands.
    Wer für alle Deutschen die Freiheit und für das ganze deutsche Volk die staatliche Einheit will, der darf nicht davor zurückschrecken, die Welt mit der Einheit dieser Nation zu konfrontieren, und zwar immer wieder und unaufhörlich,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    der darf nicht davor zurückschrecken, auch vor der UNO auf den ungerechten, unerträglichen, unwürdigen Zustand hinzuweisen, der in der Mitte Europas herrscht, der muß beharrlich und durch eine konsequente Politik zum Ausdruck bringen, daß die deutschen Forderungen unverzichtbar sind.
    Die Forderung, daß eine Nation staatlich geeint sein muß, wird heute überall in der Welt verstanden. Denken Sie bitte an die als selbstverständlich genommene Wiedervereinigung Vietnams unter kommunistischer Flagge. Heute sind die Deutschen neben den Koreanern das einzige große Kulturvolk, das getrennt leben muß.
    Wir wissen doch, daß die Teilung Deutschlands eine Ungeheuerlichkeit ist. Sie ist es auch heute. Sie wird mit verbrecherischen Mitteln aufrechterhalten und kann auch nur so, mit verbrecherischen Mitteln, aufrechterhalten werden. Stört die Bundesregierung die offene Erörterung dieser Fakten? Stört das die Politik der sogenannten Entspannung und Normalisierung?
    Meine Damen und Herren, diese Deutschlandpolitik ist heute an einem Punkt angelangt, wo es Zeit wird, mit diesem terminologischen Blendwerk aufzuräumen, das seit 1969 verwendet wird, um den wahren Charakter der Ost-West-Beziehungen, den wirklichen Stand des innerdeutschen Verhältnisses, den Kern der von Ihnen erfundenen neuen Ostpolitik vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 2081
    Dr. Zimmermann
    In Deutschland findet doch keine Entspannung, kein Prozeß der Normalisierung statt. Das sagen Sie doch bloß. Reiseverkehr, Verbesserungen, Familienzusammenführung — ja. Aber in welcher Weise und um welchen Preis, verglichen mit den hochfliegenden Erwartungen, die die neue Ostpolitik Willy Brandts seit 1969 eingeläutet haben und die mit einer Fülle von Zusagen, Verprechungen und Hoffnungen genährt worden sind! „Wandel durch Annäherung" war das Stichwort. Fundamentale Verbesserungen, menschliche Erleichterungen in großem Stil, absolut störungsfreie Bindungen zu Berlin wurden versprochen. Und als es an die Formulierung der Verträge ging, mußte man Unwiderrufliches rechtsverbindlich geben und bekam dafür in unverbindlicher Weise lediglich Widerrufliches.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr! — Dr. Abelein [CDU/CSU]: So war es!)

    Das ist der Sachverhalt.
    Nahm man diese Unausgewogenheit eigentlich hin, weil man bereits ein zartes Lächeln des Vertragspartners als wohltuende Leistung empfand? Wovor wir von Anfang an gewarnt hatten, trat ein. Kaum hatte man drüben sein Schäfchen im trockenen, kaum hatte das System DDR den mit Beharrlichkeit erstrebten Status internationaler Gleichberechtigung erreicht, da nahmen die Machthaber in Ost-Berlin ihre Schikanen wieder auf. Heute sind wir doch immer wieder Zeugen, wie das SED-Regime gewährte Erleichterungen systematisch zurücknimmt. Und wir werden morgen Zeugen sein, wie diese Erleichterungen gegen neue Zugeständnisse wieder gewährt werden können.
    Ist es wirklich Entspannung, ist es Normalisierung, wenn Zugeständnisse im allermenschlichsten Bereich nicht um ihrer selbst willen gemacht werden, sondern nur als ein machtpolitisches Mittel der Erpressung figurieren?
    Das innerdeutsche Verhältnis wird durch die Bedingungen bestimmt, die die Sowjetunion für das Ost-West-Verhältnis insgesamt diktiert. Was sind diese Konditionen? Eine durch keinerlei nachbarschaftliche Rücksichtnahme gehemmte Aufrüstung der Sowjetunion zur größten Militärmacht aller Zeiten, permanente Versuche der Sowjets, ihren Einflußbereich teils mit machtpolitisch-militärischen, teils mit subversiv-revolutionären Methoden weltweit zu vergrößern. Wir sehen eine sowjetische Politik der Verweigerung der Menschen- und Bürgerrechte. Wir spüren den brutalen Willen der Sowjetunion, sich den von ihr wider jegliches Recht beherrschten Teil Deutschlands entgegen dem Willen der Deutschen hüben und drüben für alle Zeiten zu sichern.
    Alle diese Fakten haben mit Entspannung und Normalisierung eben leider nichts zu tun. Sie sind die Beweise für das Gegenteil und dafür, daß die Sowjetunion augenblicklich nicht im Traum daran denkt, Entspannung zu betreiben und Normalisierung herbeizuführen. Wie sollte es unter diesen Umständen möglich sein, ausgerechnet die DDR, diesen Moskau hörigsten Satelliten, mit den harmlos-illusionistischen Mitteln dieser Bundesregierung auf
    einen Kurs der Entspannung und der Normalisierung zu bringen? Wie sollte das möglich sein, wenn man nicht voll von Illusionen ist!
    Das Verhältnis zum kommunistischen Osten, in das das innerdeutsche Verhältnis ja einzementiert ist, ist nur insoweit gut, als man von uns etwas braucht. Es ist gut im wirtschaftlichen Bereich, wo wir den Sowjets, den Polen und allen anderen dringend Benötigtes — Industriegüter, technisches Know-how und nicht zuletzt Geld — bieten können. Deswegen hat Honecker auf der Leipziger Messe auch so biedermännisch gesagt, daß die angeblich nur „mitunter" auftretenden politischen Differenzen die Entwicklung der ökonomischen Beziehungen nicht zu beeinträchtigen brauchten. Doch nicht einmal im wirtschaftlichen Bereich heißt „gut", daß auch wir echte Vorteile aus diesen Beziehungen haben sollen. „Gut" heißt nur, daß man uns auf diesem Gebiet weitgehend freundlich behandelt und sich der ansonst üblichen Beschimpfung unseres Landes wohlweislich enthält.
    Dort aber, wo die Sowjets und ihre Satelliten von uns nichts haben wollen, weil sie das, was sie von uns wollen könnten, schon haben, sind die Beziehungen frostig. Wenn wir uns für die Wahrnehmung unserer eigenen Rechte und berechtigten Interessen einsetzen — als da sind: Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung vor inneren Feinden, Verteidigung dieser Ordnung gegen äußere Feinde, Streben nach Selbstbestimmung und Wiedervereinigung, Beharren auf dem Heimatrecht unserer Vertriebenen —, wenn wir das sagen, was legitim, was unser Recht ist, dann werden wir beschimpft und diskreditiert, wo immer sich eine Gelegenheit bietet.

    (Graf Huyn [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Im ost-westlichen Verhältnis liegt nicht Entspannung, sondern Spannung vor. Die Substanz der sogenannten Entspannungspolitik, die der frühere Bundeskanzler Brandt getrieben hat und die die jetzige Bundesregierung fortsetzt, besteht allein darin, daß die Bundesregierung gegen die vom Osten gesetzten Spannungsursachen kaum noch aufbegehrt, ja daß sie sie gleichsam leugnet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und wenn sie doch einmal, wenn sie doch e i n -m a 1 aufbegehrt — wie wütend war die Reaktion Honeckers, als der Bundeskanzler vorige Woche in Berlin die Interpretation des Berlin-Abkommens der anderen Seite zurückwies, wonach der Viermächte-status angeblich nur mehr für West-Berlin gilt. Dabei hat der Kanzler gar nicht alles gesagt, was er hätte sagen können,

    (Schedl [CDU/CSU] : Sagen müssen!)

    nämlich daß das freie Berlin ein Land der Bundesrepublik Deutschland ist, so dieser Tage Staatssekretär Hartkopf vom 'Bundesinnenministerium. Es hat zwar wegen der alliierten Rechte einen geminderten Status, es ist kein konstitutiver Teil, aber es ist doch ein Bundesland.
    Normalisierung in Deutschland wäre, meine Damen und Herren, wenn ein Prozeß in Gang käme,
    2082 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977
    Dr. Zimmermann
    an dessen absehbarem Ende die Gewährung der Menschen- und Bürgerrechte für alle Deutschen, das Selbstbestimmungsrecht und die Wiedervereinigung stünden. Das alles mag heute unerreichbar sein. Deswegen aber das Leugnen der Spannung 'Entspannung und das Hinnehmen des Unnormalen Normalisierung zu nennen, ist der Wahrheit Gewalt angetan.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Bundesregierung weiß genau, wie die Lage wirklich ist. Nur verwendet sie bei der Schilderung dieser Lage Worte, die manchmal einen falschen Eindruck hervorrufen müssen.
    Wenn wir von der CDU/CSU verlangen, der Westen möge auf dem bevorstehenden KSZE-Überprüfungstreffen in Belgrad das einfordern, was auch die kommunistischen Staaten 1975 in Helsinki unterschrieben haben, oder die Bundesregierung möge die Ost-Berliner Politik der Nichterfüllung und des Bruchs von Verträgen nicht mehr tatenlos hinnehmen, dann hören wir von der Bundesregierung, daß man von „Sanktionen" nichts halte, daß man „nichts erzwingen und nichts erkaufen" könne, daß es, wenn wir die „Politik des großen Knüppels" machten, mit Entspannung und Frieden Schluß sei. Meine Damen und Herren, wer auf Vertragserfüllung besteht und verlangt, daß Vertragsbruch geahndet wird, plädiert nicht für eine „Politik des großen Knüppels", sondern für die Durchsetzung und Wiederherstellung des Rechts und damit für eine Grundvoraussetzung der Entspannung. Durch eine solche Politik würde daher auch nicht mit Entspannung und Frieden Schluß gemacht. Es würde nur vollends offenbar werden, daß wahre Entspannung und wahrer Frieden eben nicht gegeben sind.
    Die Bundesregierung will das nicht zugeben. Sie will nicht zugeben, daß sie sich von Anfang an korrigieren müßte. Natürlich wissen wir, daß das niemand gern tut. Die Bevölkerung weiß ohnehin, was los ist und wie die Lage wirklich ist.
    Der Sowjetkommunismus hat sich hinsichtlich seiner Zielsetzung nicht geändert und wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Aber geändert haben sich auch nicht unsere unverzichtbaren Rechte und Interessen. Wir kommen deswegen um eine ideologische Auseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus nicht herum. Es gibt Mittel, und die Bundesregierung hätte Mittel, die für eine aktive Politik geeignet wären.
    Das eine Mittel ist die Wirtschaft. Der ganze Ostblock ist so sehr auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Westens angewiesen, daß der Westen den Osten durch eine gezielte Dosierung der Verweigerung auf dem Gebiet der Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik durchaus treffen könnte.
    Das andere sind die Menschenrechte. Die Diskussion um sie, die weltweit mit einer elementaren Kraft in Gang gekommen ist, ist ohne Frage einer der bedeutendsten Vorgänge unserer Zeit. Die Menschenrechtsdiskussion kann, richtig genutzt, zum Vehikel der Politik des Westens werden. Auch eröffnet sie absolut Chancen, in der deutschen Frage endlich wieder einmal voranzukommen.

    (Baron von Wrangel [CDU/CSU]: Sehr richtig! — Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Die Verhandlungen müssen in erster Linie darauf gerichtet sein, den Verantwortlichen für die Teilung Deutschlands, die Sowjetunion, in Pflicht zu nehmen. Es hilft uns gar nichts, wenn wir in Ost-Berlin für Dinge zahlen, die letztlich nur Moskau gewähren kann. Natürlich wird sich Moskau weigern, sich an seine Mitverantwortung in der deutschen Frage erinnern zu lassen, in dieser Frage Verpflichtungen zu bestätigen, denen es sich durch die Ostpolitik dieser und der letzten Bundesregierung enthoben glaubt. Auch wird sich Moskau weigern, auf Ost-Berlin in unserem Sinne Druck auszuüben oder mit uns und den Verbündeten in innerdeutschen Angelegenheiten unmittelbar zu verhandeln.
    Das verkennen wir nicht. Wir haben jedoch eine ganz realistische Chance, das Moskauer Interesse an Gesprächen über Deutschland dennoch zu wekken. Wir müßten nur den Ostberliner Machthabern eine Stunde der Wahrheit bereiten, und die Bundesregierung könnte das.
    Sie könnte das, wenn sie bei künftigen Verhandlungen mit dem SED-Regime folgende von uns seit längerem aufgestellte Forderungen konsequent beachtete, nämlich: daß bei neuen Verhandlungen nicht bloß Scheinerfolge, sondern echte Erfolge angestrebt werden; daß das Prinzip der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung zur Anwendung gebracht wird; daß die Bundesregierung sich bemüht, daß bereits geschlossene Verträge voll ausgeschöpft werden, daß insbesondere der Verkehrsvertrag so angewendet wird, daß der innerdeutsche Reiseverkehr wirklich der üblichen internationalen Praxis entspricht; daß sie neue Abmachungen anstrebt, die über Reiseerleichterungen und Familienzusammenführungen hinausgehen und ganz allgemein auf die Verwirklichung der Menschenrechte in Mitteldeutschland gerichtet sind; daß sie die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Ost-Berlin nicht mehr isoliert voneinander betrachtet und insbesondere wirtschaftliche Maßnahmen nur noch unter der Bedingung zusichert, daß das SED-
    Regime politische Zugeständnisse macht, wie es Manfred Abelein vorher mit Recht gefordert hat;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß sie sich nicht auf Wünsche des SED-Regimes einläßt, auf der bevorstehenden Belgrader Konferenz die Menschenrechtsfrage dadurch herunterzuspielen, daß sie auf das offensive Eintreten für die Durchsetzung der Menschenrechte in Mitteldeutschland und insbesondere auch auf die Vorlage einer Dokumentation über die Verletzung der Menschenrechte durch das SED-Regime verzichtet; daß sie bei jeder Abmachung mit den Machthabern in Mitteldeutschland im Auge behält, daß die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands in Freiheit das unverzichtbare Ziel jeder deutschen Politik sein muß.
    Unter solchen Umständen müßte das SED-Regime, dessen Unzuständigkeit für die eigenen Angelegen-



    Dr. Zimmermann
    heiten sich zwangsläufig erweisen würde, entweder passen oder Moskau ins Spiel zu bringen versuchen, was Moskau nicht gleichgültig sein könnte. Nur durch eine solchermaßen orientierte Politik der Verhandlungen, die im übrigen durch eine entsprechende Politik gegenüber Moskau zu ergänzen wäre, könnten wir eine Chance schaffen, Moskau — und damit auch Ost-Berlin — für Maßnahmen der Entspannung zu gewinnen.
    Nun wird die Bundesregierung nicht müde, öffentlich dafür Verständnis zu bekunden, daß das SED-Regime nicht alle vertraglich gemachten Zusagen einhalten und nicht auch noch Zusätzliches zusagen könne und daß sich insbesondere der frische Luftzug der freien menschlichen Begegnung regimebedrohend auswirken müßte. Auch in der Antwort auf die Große Anfrage kommt dieses seltsame Verständnis zum Ausdruck.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was für ein Verständnis!)

    Wir sind hier ganz anderer Meinung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Wer die Schonung des Regimes predigt — und Herbert Wehner hat in einer Hamburger ,,Stern” -Stunde entsprechende Ausführungen gemacht —, wer insbesondere auch gegen Sanktionen redet, die allmählich dringend erforderlich wären, der handelt nicht im Sinne der Entspannung, der bestärkt die Kommunisten in ihrer Überzeugung, mit ihrer Politik der Maximalforderungen, der Erpressung, der Mißachtung geschlossener Verträge auf dem richtigen Wege zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer das tut, der macht sich der Kapitulation vor dem Rechtsbruch und vor der Gewalt schuldig. Eine Kapitulation aber, meine Damen und Herren, sollten wir unterlassen, um den Unterdrückten nicht die Hoffnung zu nehmen, aber auch im Interesse unserer eigenen Freiheit.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.

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    Rede von Dr. Jürgen Schmude


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Anfrage, über deren Beantwortung wir heute hier sprechen, haben wir von seiten der SPD-Fraktion mit gemischten Gefühlen entgegengesehen. Und ich muß sagen, die Rede des Kollegen Zimmermann hat den negativen Akzent dieser gemischten Gefühle voll und ganz bestätigt.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch hier konnten wir wiederum nur erleben, wie in der Anfrage selbst, daß alles, was hier behauptet, gefragt und verdächtigt wird, nicht einmal, sondern mehrmals in diesem Plenarsaal und an anderer Stelle vorgetragen worden ist. Natürlich hatten wir die Sorge — und die habe ich nach der letzten Rede immer noch —, daß erneut eine jener quälenden und fruchtlosen Debatten hier stattfindet, mit polemisch hochgestochenen Vorwürfen und Verdächtigungen gegen die Bundesregierung von seiten der Opposition, wie wir es jetzt gerade erlebt haben, ohne das Angebot einer Alternative. Es sei denn, man nimmt den abenteuerlichen Vorschlag des Kollegen Zimmermann, die Unzuständigkeit der DDR-Regierung in eigenen Angelegenheiten zu entlarven, als eine Alternative. Aber die lassen wir gern im Raum stehen. Dies spricht für sich. Dies kann nicht ernst gemeint sein. Es kann nur ein innenpolitischer Angriff auf die Bundesregierung sein, der damit beabsichtigt wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Andererseits ist es für Regierung und Regierungsparteien notwendig, die Schwierigkeiten, die es natürlich gibt, nüchtern darzustellen, und die bisher erreichten Verbesserungen zum wiederholten Male aufzuzeigen, sie in Erinnerung zu rufen. Dieses kann eine Debatte mit einer im ganzen keineswegs positiven Auswirkung werden; denn wir verzeichnen es ja jetzt schon, daß bei Bürgern der Bundesrepublik Deutschland der Verdruß an der Behandlung dieses Gegenstandes in dieser Form steigt. Natürlich kann es das Interesse nicht wecken und fördern, wenn eine solche Politik derartig schlechtgemacht wird, ohne daß eine Alternative angeboten wird. Da braucht man sich nicht zu wundern, wie es Herr Abelein tut, daß bei der Jugend die Information über den zweiten deutschen Staat verhältnismäßig gering ist.
    Ich kann auch nur bestätigen, was uns Herr Kreutzmann schon heute vormittag gesagt hat, daß sich nämlich bei den DDR-Bürgern, die diese Debatte verfolgen können, Verbitterung entwickelt, daß sie fragen: Denkt man in Bonn wirklich an uns, oder geht es nicht nur um einen Parteienstreit mit rein innenpolitischer Zielsetzung?

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sagte schon, diese Sorge ist aktualisiert worden. Wir als Parlament sollten die Chance nützen zur nüchternen Bestandsaufnahme. Wir sollten eine Klärung versuchen, die weiterführt, und uns heute nicht in der Konfrontation erschöpfen.
    Ich möchte gleich sagen, die Bundesregierung hat ihre Chance, die ihr mit dieser Anfrage geboten wurde, hervorragend genutzt, sie hat in der Antwort eine ausgewogene und umfassende Bilanz der Leistungen der Bundesregierung seit 1969 gegeben. Sie hat eine nüchterne Analyse der Lage vorgestellt, bei der sie auch die Schwierigkeiten im innerdeutschen Verhältnis nicht verschweigt. Die sachliche Gegenüberstellung der Rückschläge und Fortschritte seit 1969 — und ich muß sagen, bei Herrn Dr. Zimmermann habe ich nicht einen einzigen Fortschritt hier erwähnen hören, auch nicht die Andeutung, daß er da etwas bemerkt hat —

    (Zustimmung bei der SPD)

    zeigt: diese Deutschlandpolitik seit 1969 hat sich im ganzen gelohnt; sie hat sich gelohnt für die Menschen, sie hat sich gelohnt zur Sicherung und Stärkung Berlins, und sie hat sich gelohnt für die Erhaltung und Stärkung der Beziehungen und Verbindun-
    2084 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977
    Dr. Schmude
    gen über die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten hinweg.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Für das SED-Regime!)

    Wenn wir sagen — und das will ich ganz klar machen —, dieses ist eine Politik ohne Alternative, dann meinen wir damit: dieses ist die einzig richtige Politik gewesen, auch im Rückblick auf das Jahr 1969 und die folgenden Jahre.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wollen diesen Weg trotz der fortbestehenden Gegensätze, trotz der Rückschläge fortsetzen. Wir wollen weitere Bereiche der Zusammenarbeit erschließen, Möglichkeiten des Interessenausgleichs mit der DDR nutzen.
    Wie steht nun die Opposition dazu? Würdigt sie den Realismus der Darlegungen in der Antwort der Bundesregierung? Nutzt sie die Chance zu einer gemeinsamen Überlegung, wie Opposition und Regierung und Regierungsparteien gedeihlich und ergiebig an Hand der hier vorgelegten nüchternen Bilanz zusammenwirken können? Natürlich müssen wir fragen: Geht sie endlich einmal — wenigstens andeutungsweise — auf Distanz zum ständigen Nein zu fast allen abgeschlossenen Vereinbarungen, zu fast allen getroffenen Maßnahmen, zur gesamten Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung?
    Wir können solche neuen Ansätze in der Sache heute hier nicht feststellen, obwohl es im Vorfeld dieser Debatte einige Hinweise darauf gegeben hat; so hat zum Beispiel die Vorbereitung und Ankündigung des Bundesparteitags der CDU Anfang März in Düsseldorf zumindest in der Öffentlichkeit erhebliche Erwartungen geweckt. Es fand Beachtung und Interesse, daß die CDU dort auch kritische Referenten einlud. Man fragte sich: Sollen in der Tat die festgefahrenen Standpunkte noch einmal zur Debatte gestellt, sollen sie überprüft werden? Es fand Aufmerksamkeit, daß ein ganzer Tag unter dem Thema „Unsere Verantwortung für Deutschland" stand. Man erwartete von diesem Parteitag deutschlandpolitische Signale.
    Nun, sie sind ausgeblieben. Das ist vielleicht kein Wunder, wenn man sich vor Augen hält, wie eng der Bewegungsraum dieser Partei dort gewesen ist, von vornherein begrenzt durch die CSU und durch diejenigen, die die CSU-Linie auch innerhalb der CDU vertreten. Die Presse konstatierte am Ende Ratlosigkeit, sie konstatierte, daß die alteingefahrene Politik des Alles oder Nichts dort fortgesetzt wird. Vielleicht noch interessanter war der Kommentar, den wir von Herrn Zimmermann lesen konnten, der kühl erklärte: „Darum scheint mir dieser Parteitag noch nicht ein Parteitag der Klärung der Positionen, sondern ein Parteitag der Fragestellungen zu sein." Aber wo diese Fragen beantwortet werden sollen — ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 16. März 1977 —, das sagte uns Herr Zimmermann auch gleich: „Die Antwort auf diese Fragen werde in erster Linie die Bundestagsfraktion zu geben haben. Hier fühle sich die CSU besonders angesprochen, weil sie gerade auf diesem Gebiet eine besonders klare und eindeutige Meinung vertreten habe." Die haben wir dann ja heute von Herrn Zimmermann zur Genüge erlebt.
    Andererseits haben wir im Vorfeld dieser Debatte einiges an Diskussionsbeiträgen aus den Reihen der CDU gehört: Es gebe doch erhöhte Chancen zum außen- und deutschlandpolitischen Konsens. Es liege doch im Interesse der Bundesrepublik, ja im gesamtdeutschen Interesse, wenn ein solcher Konsens zustande komme. In wesentlichen Bereichen gebe es Übereinstimmung. Und schließlich die verwegen klingende Folgerung, die CDU/CSU würde bei einer Regierungsübernahme den gleichen Kurs verfolgen wie die jetzige Bundesregierung.
    Wir haben das mit großem Staunen zur Kenntnis genommen; denn so etwas könnte ja hoffnungsfroh stimmen. Ich sage: es könnte, wenn es nicht reine Taktik wäre. Herr Kollege Kreutzmann hat schon darauf hingewiesen: Das, was als Bundesregierung angesprochen wird, wird auseinanderdividiert. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Jedenfalls sind nur zwei Gute übriggeblieben, und nach den Zeitungsmeldungen der letzten Tage ist einer der Guten aus dem Töpfchen wieder herausgenommen worden. Im Moment bleibt von dieser Bundesregierung also ein Minister, dem Sie Ihre Sympathie zuwenden und von dem Sie sagen, daß Sie mit ihm übereinstimmen.
    Das zweite: An den inhaltlichen Grundpositionen hat sich nichts geändert. Das hat die Debatte in Düsseldorf gezeigt, das hat heute Herr Kollege Zimmermann mit der Behauptung bewiesen, hier sei seit 1969 in der Ostpolitik ein Blendwerk aufgebaut worden, das beseitigt werden müsse. Herr Abelein ist vorhin hergegangen und hat die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage als Bankrotterklärung bezeichnet, also damit feststellen wollen, diese Ostpolitik sei bankrott.

    (Dr. Abelein [CDU/CSU]: Was ja der Realität entspricht!)

    Da fragt man sich natürlich, was soll das für eine Opposition sein, die im Falle der Regierungsübernahme in der Lage wäre, diese Politik fortzusetzen,

    (Schmöle [CDU/CSU] : Besser!)

    wenn sie sie doch von Anfang an für verfehlt hält. Da nützt es gar nichts, wenn Sie darauf verweisen, daß Sie an irgendwelchen weniger auffälligen Stellen auch erklärt haben, Sie akzeptierten die abgeschlossenen Verträge; denn diese Verträge sind keine tot daliegenden Gleise, auf denen man in der angezeigten Richtung ganz von selbst weiterfährt. Es sind empfindliche Instrumente, die behutsam gehandhabt, die mit Leben erfüllt werden müssen. Eine alte Politik auf neuer Grundlage wird es nicht geben, wenn man nicht will, daß die Grundlage verrottet, daß sie unter den Belastungen, denen sie ausgesetzt wird, zerbricht. Das könnte dann allenfalls nachträglich noch dazu führen, daß Sie sagen, die vertragliche Grundlage sei doch sehr schlecht gewesen.
    Oder wir hören — auch gestern im Auswärtigen Ausschuß — von Kollegen der CDU/CSU, es könne doch ein Wechelspiel oder gar Zusammenspiel zwi-



    Dr. Schmude
    sehen Opposition und Regierung geben. Man müsse doch die weitergehenden Möglichkeiten der Oppotion nutzen. Es sei ja ganz verständlich, daß die Bundesregierung Zurückhaltung zu üben, manchmal einen stillen Weg zu gehen habe. Die Opposition aber könne da mit lautstarken Erklärungen durchaus hilfreich sein. Diese Arbeitsteilung mag für Sie verlockend sein, aber sie ist leider wiederum nur rein taktisch, innenpolitisch gemeint. Natürlich muß sich die Regierung im Interesse der Wirksamkeit an der Offenlegung aller ihrer Bemühungen, Ziele und Absichten gehindert sehen. Sie muß sich auch daran gehindert sehen, öffentlich Vorwürfe und Anklagen gegen andere Staaten und Regierungen zu erheben, mit denen sie gleich anschließend über denselben Gegenstand erfolgreich verhandeln will.
    Die Opposition nutzt das nun nicht, um Verständnis zu zeigen, um Hilfe zu leisten. Sie nutzt es zu Vorwürfen der Nachgiebigkeit, der Feigheit, der Untätigkeit. Heute haben wir einiges Neue dazubekommen. Eine Leidensbereitschaft unterstellt Herr Abelein der Bundesregierung, und Herr Zimmermann geht sogar so weit, zu sagen, das sei alles verschwommen, das sei ohne Herz. Wir sagen Ihnen ganz klar: Dies ist ein miserables Rollenspiel, mit dem Sie uns dort kommen. Das wird durch das beleuchtet, was in Düsseldorf auf den Beitrag des Herrn Carstens geschehen ist. Die „Zeit" berichtete darüber in einem Artikel am 11. März:
    Brausender Beifall begleitete Karl Carstens, als er in den Saal rief, wenn man zugunsten stillerer Methoden den Verzicht auf offene Worte zu den Menschenrechtsverletzungen im Ostblock verlange, dann sei dieser Preis für die Entspannung zu hoch.
    Nun ja, brausender Beifall! Wir fühlen uns demgegenüber durch die Äußerung etwa des Kollegen Hoppe vertreten, der heute morgen genau entgegengesetzt formuliert hat: Leisere Töne können größere Wirkung haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir können es Ihnen nicht ersparen, die Doppelbödigkeit Ihrer Anstöße zu beleuchten. Wir werden nicht zulassen, daß Sie auf uns einschlagen und zugleich mit scheinbar wohlwollendem Augenzwinkern der Regierungspolitik signalisieren, einiges sei doch ganz richtig und notwendig, was da geschehe. Das ist es in der Tat. Es sind aus unserer Sicht goldene Worte, wenn es in der Antwort zur Großen Anfrage heißt: Die Regierung wird sich in erster Linie von der Wirksamkeit des Handelns bestimmen lassen, bei dem Eintreten für Menschenrechte allein die Interessen der Betroffenen im Vordergrund sehen.
    Damit kommen wir zum Thema der Menschenrechte, das uns in diesen Tagen auch im Zusammenhang mit mehreren Entschließungsanträgen beschäftigt, die im Hinblick auf die Folgekonferenz in Belgrad eingebracht worden sind. Wir haben zu verzeichnen gehabt und haben es zunächst gar nicht geglaubt, daß das ernst gemeint war und wirklich geschehen sollte, daß die CDU/CSU erneut versuchte, mit einem eigenen Entschließungsantrag spezielle deutsche Probleme zum Gegenstand internationaler Verhandlungen zu machen, in die Belgrader Folgekonferenz über eine Dokumentation einzubringen und auf diese Weise das Gesamtunternehmen dort natürlich zu belasten. Wir sind keineswegs der Auffassung, daß über Menschenrechte in Belgrad nicht gesprochen werden sollte. Wir ha- ben immer wieder deutlich gemacht, daß alle Prinzipien und Erklärungen der Schlußakte von Helsinki gleichermaßen dort behandelt werden müssen. Dazu gehören allein um der Folgerichtigkeit willen natürlich auch die Menschenrechte. Wer diesen Teil aber in den Vordergrund stellt, wer zudem noch eine spezielle deutsche Note hineinbringt, der wird erleben müssen, daß er das gesamte Vorhaben belastet, daß er die Fortführung der in Helsinki so erfolgreich begonnenen Politik gefährdet, daß er sogar, wie Herr Hoppe mit Recht gesagt hat, die eigenen Partner überfordert.
    Nun haben Sie angekündigt, Sie würden eine eigene Dokumentation über Menschenrechtsverletzungen in Deutschland und an Deutschen erstellen, und Sie würden sie gegebenfalls auf einem besonderen Wege nach Belgrad bringen. Wir sind sehr gespannt, welche Regierung sich in dieser Welt findet, eine solche Dokumentation für Sie zu transportieren und dort abzugeben. Wir sehen Sie bisher in der KSZE-Politik, und zwar seit 1975, international isoliert und einsam auf weiter Strecke.
    Zum Bereich der Menschenrechte gehört in weiterem Sinne die Familienzusammenführung, über die in der Antwort auf die Große Anfrage einiges gesagt worden ist. Wir unterstreichen voll, wenn Bundesminister Franke auf die Wichtigkeit und den Wert jedes gelösten Einzelfalles hinweist. Die Zahlen dort — das kann man aus der Antwort entnehmen — sind stark angestiegen. Hinter jeder Zahl steckt ein Einzelschicksal, das auf diese Weise gelöst werden konnte. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die DDR verhältnismäßig großzügig vorgegangen ist, indem sie auch andere Personen, die nicht unter den engen Begriff der Familienzusammenführung fallen, hat ausreisen lassen. Aber nun erleben wir — und wir erleben es leider auch in Form von Kampagnen auf unserer Seite —, daß versucht wird, den Bereich der Familienzusammenführung sozusagen gewaltsam auszuweiten. Wir geben zu bedenken, daß das sehr schnell dazu führen kann, daß auch in denjenigen Fällen Rückschläge und Verzögerungen eintreten, in denen echte Familienzusammenführungen vorliegen. Das mag jeder bedenken, der meint, er könne über dieses Instrument eine große Öffnung schaffen, durch die viele DDR-Bürger aus der DDR ausreisen können. Es ist durchaus nicht unsere Sache, von hier, vom Westen aus Ausreisewünsche, die von dort kommen, zu bewerten, möglicherweise gar negativ zu bewerten. Aber wir können doch bei aller Vorsicht vielleicht feststellen: Es können nicht alle von drüben weg; es kann nicht einer Normalisierung in Deutschland dienen, wenn es eine große Auswanderungswelle oder auch nur den Versuch dazu gibt, wenn sich das wiederholen soll, was in den Jahren 1961 mit ständig größeren Schlagzeilen bei uns ja so deutlich registriert worden ist.



    Dr. Schmude
    Ich will noch zwei Punkte ansprechen, bei denen wir in der Tat sehen, daß hier eine bedenkliche Erscheinung zu verzeichnen ist. Das eine sind die Einreisesperren, die wir Anfang des Jahres für solche registrieren mußten, die dort ihre Angehörigen, insbesondere ihre Verlobten, besuchen wollten. Es ist im Einzelfall eine sehr harte Belastung, wenn eine solche Einreisesperre ausgesprochen wird; das ungewisse Schicksal der künftigen Familie belastet ohnehin genug. Wir sind der Bundesregierung dankbar dafür, daß sie sich bemüht, in diesen Fällen auf Abhilfe zu drängen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Mit Recht hat Bundesminister Franke darauf hingewiesen, daß es beim Stichwort „Zwangsadoptionen" erforderlich ist, zu differenzieren, den Einzelfall zu untersuchen und festzustellen,

    (Eine Zuhörerin wirft Flugblätter von der Besuchertribüne und ruft mehrfach: Sie lügen! — Sie wird von Ordnern hinausgeführt)

    wie der Vorgang dort eigentlich gewesen ist. Und dann wird sich herausstellen, daß es im Einzelfall drüben Anlässe zu Entscheidungen gegeben hat, die durchaus ihr Gewicht haben, und daß es in anderen Fällen reine Vorwände sind, die dazu geführt haben, daß man im Einzelfall eine andere Sorgerechtsregelung getroffen hat. Ich meine, das können wir so nicht anerkennen, und es ist richtig und gut, daß auch das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in diesen Fällen nicht locker läßt, sondern sich weiterhin um eine Lösung zugunsten der getrennten Familien bemüht.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Wenn man das „Bemühen" nennen kann!)

    — Man kann das „Bemühen" nennen, und es hat in vielen Fällen bereits zu positiven Lösungen geführt. Das ist uns wichtiger als Sonntagsreden und Demonstrationen.

    (Beifall bei der SPD — Graf Huyn [CDU/ CSU] : Wer hält denn hier Sonntagsreden?)

    Nun hat der Staatsratsvorsitzende der DDR vor etwa zwei Monaten in einem Interview davon gesprochen, verbesserte Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger stünden im Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeitsfrage, und hat damit die Erwartung ausgedrückt, wir würden durch Rechtsänderung bei uns dafür sorgen, daß es getrennte Staatsangehörigkeiten gibt.
    Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort sehr kurz, knapp und mit unüberbietbarer Deutlichkeit erklärt, sie halte an der deutschen Staatsangehörigkeit fest, wie sie durch Grundgesetz und Gesetz vorgeschrieben ist. — Ich möchte dazu noch etwas ergänzen, denn auch aus dem Bereich der Bundesrepublik gibt es ja Fragesteller, die sagen: Nun ja, nun ist das drüben ein Staat; warum laßt ihr nicht auch zu, daß die Staatsangehörigkeiten fein säuberlich getrennt werden? — Wir müssen darauf verweisen, daß sich Deutschland in einer ganz besonderen Lage befindet, daß es gegen seinen Willen geteilt ist und
    noch lange nach der Teilung beide Teile von einer
    einheitlichen Staatsangehörigkeit ausgegangen sind.
    Diese Staatsangehörigkeit steht für uns aus rechtlichen und politischen Gründen nicht zur Disposition. Sie enthält keinen Angriff auf die DDR und keine Einmischung in innere Angelegenheiten der DDR. Sie enthält ein Angebot an diejenigen, die es nutzen wollen und nutzen können. Niemand bei uns hätte Verständnis dafür, wenn seine Eltern, die als Rentner die DDR verlassen und hier Wohnsitz nehmen können, oder seine Verlobte, die er aus der DDR holt, eingebürgert werden müßten.
    Wir nehmen mit dieser Rechtspraxis der DDR nichts von ihrer Staatlichkeit. Ja, wir sehen uns in dieser Beurteilung in Übereinstimmung mit ihr. Denn sie selbst hat durch das ausdrückliche Offenlassen der Staatsangehörigkeitsfrage im Grundvertrag bestätigt, daß das mit einer eigenen Staatlichkeit durchaus übereinstimmen kann.
    Es besteht außerdem überhaupt kein Zusammenhang mit dem Reiseverkehr und den Reisemöglichkeiten. Denn sonst könnte man von seiten der DDR nach anderen Staaten, mit denen etwa Konsularabkommen bestehen, den Reiseverkehr freigeben.
    Soweit freilich im Hintergrund daran gedacht ist, später zu einer Art Auslieferungsabkommen zu gelangen, möge man uns das klar sagen. Ich denke, wir sind uns alle ohne jedes Zögern völlig einig: Eine Auslieferung und eine Abschiebung kann und wird es nicht geben. Das muß man auch denen sagen, die sich als Bürger der DDR über eine Erweiterung des Reiseverkehrs Gedanken machen und meinen, hier könnte man vielleicht etwas tun.
    Von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Opposition, gibt es immer wieder den Vorwurf, diese Deutschlandpolitik der Bundesregierung sei nicht ausgewogen. Ich habe als besonders leuchtendes Beispiel in der „Welt" von Ende März in einem Artikel des Herrn Kollegen Abelein den Satz gefunden:
    Aber von der Bundesrepublik werden hohe finanzielle Leistungen erbracht, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Wirtschaftsbeziehungen stehen, sondern die darauf abzielen, ein entgegenkommenderes politisches Verhalten von seiten der DDR zu erreichen.

    (Dr. Abelein [CDU/CSU] : Das stimmt!)

    Ich wiederhole:. . . ein entgegenkommenderes politisches Verhalten von seiten der DDR zu erreichen. Ich habe gehofft, der Herr Kollege Abelein werde heute Gelegenheit nehmen, uns zu sagen, was das denn für Leistungen sind, bei denen man angeblich noch etwas machen kann.

    (Dr. Abelein [CDU/CSU] : Fast alle!)

    Statt dessen hat er das gesteigert mit der Erklärung, es gebe finanzielle Geschenke. Da sollten Sie endlich klar werden und nicht pauschale Vorwürfe und Beschuldigungen vorbringen, sondern sagen, wo Sie einen Hebel ansetzen wollen

    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Dr. Schmude
    und wo nach Ihrer Meinung mit Sinn und Verstand durch Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung noch etwas zu machen wäre, was versäumt worden ist. Es ist nichts versäumt worden. Die Ausgewogenheit ist bei jeder Leistung deutlich eingehalten worden.
    Wir haben heute mehrmals gehört — auch Herr Zimmermann hat darauf hingewiesen —, man könne beim Interzonenhandel etwas machen. Die Auseinandersetzung darüber sollten Sie erst mit den sogenannten Nordlichtern in Ihrer eigenen Partei führen. Es war ja Herr Stoltenberg,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    der mitten im Wahlkampf Herrn Kohl mit der Erklärung widersprach: Am Interzonenhandel ist nicht zu rühren; er ist kein Instrument zum Durchsetzen einer anderen Politik.
    Bei einer Gesamtbetrachtung können Verlauf und Stand der Deutschlandpolitik der Bundesregierung seit 1969 zusammenfassend so gewürdigt werden: Es gibt keinen großen Durchbruch. Es gibt auch heute noch keine Patentlösung. Fortschritte sind nur mit Zähigkeit, Geduld, Kraft und Selbstbescheidung auf das Mögliche zu erreichen. Dieser Weg war richtig und erfolgreich. Er hat weniger erbracht, als wir heute wünschen. Aber er hat mehr erbracht, als wir zu Beginn für diesen Zeitraum erwartet haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Diese positive Würdigung bleibt trotz Rückschlägen und trotz der Tatsache, daß vieles nicht erreicht werden konnte, sachlich gerechtfertigt, wie gerade diese heute debattierte Antwort ausweist. Sie bleibt auch politisch notwendig, um dem Verdruß an dieser Politik und diesem Gegenstand zu steuern, damit die Kraft gewahrt bleibt, die wir brauchen, um den erreichten Stand zu erhalten, um den Bürgern die Möglichkeit zu sichern, Verbindungen mit drüben zu haben und zu nutzen, und um weitere Verbesserungen zu erreichen.
    Wir werden auch künftig keine Fortschritte erleben, die von Glockengeläut begleitet sind. Aber wir haben schon heute in Deutschland Verbesserungen erzielt, die im nachhinein ein Glockengeläut wohl wert sind. Lassen Sie uns solche Chancen auch künftig geduldig und kraftvoll nutzen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)