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ID0802900900

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    Plenarprotokoll 8/29 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 29. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 Inhalt: Verzicht des Abg. Dr. Glotz und des Abg Sund auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2035 A Eintritt des Abg. Lambinus und des Abg Eickmeyer in den Deutschen Bundestag . 2035 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . 2035 B Wahl des Abg. Glombig als Stellvertreter im Vermittlungsausschuß . . . . . . . 2035 B Wahl des Abg. Lemp als Vertreter im Europäischen Parlament . . . . . . . . . 2035 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß und Akt des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung — Drucksache 8/360 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz) — Drucksache 8/361 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Genscher, Bundesminister AA 2035 D Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 2037 B Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 2040 C Dr. Bangemann FDP 2042 C Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 2046 C Seefeld SPD 2048 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Deutschlandpolitik — Drucksachen 8/118, 8/255 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes — Drucksache 8/238 — Dr. Abelein CDU/CSU . . . . . . . . 2050 D Dr. Kreutzmann SPD . . . . . . . 2056 A Hoppe FDP 2061 B Franke, Bundesminister BMB . 2067 D, 2116 A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . 2078 D Dr. Schmude SPD 2083 B, 2121 B Jung FDP . . . . . . . 2087 B, 2131 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . 2090 D Schulze (Berlin) SPD 2093 A Jäger (Wangen) CDU/CSU 2095 D Büchler (Hof) SPD 2099 C Graf Huyn CDU/CSU 2103 A Friedrich (Würzburg) SPD . . 2106 A, 2124 B Dr. Gradl CDU/CSU . . . . . . . . 2111 A Kunz (Berlin) CDU/CSU 2118 B Dr. Kohl CDU/CSU . 2123 C, 2124 A, 2128 A Wehner SPD 2123 D Straßmeir CDU/CSU . . . . . . . . 2124 C Dr. Ehmke SPD 2126 B Böhm (Melsungen) CDU/CSU 2129 A Schmöle CDU/CSU 2131 D Voigt (Frankfurt) SPD . . . . . . 2133 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude — Drucksache 8/286 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/471 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses --- Drucksachen 8/453, 8/463 — Gobrecht SPD . . . . . . . 2136 A, 2139 A Dr. Voss CDU/CSU . . . . . . . . . 2137 A Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 2140 C Köster CDU/CSU 2143 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes — Drucksache 8/370 — de Terra CDU/CSU . . . . . . . . 2145 D Horn SPD 2146 B Ludewig FDP 2146 D Fragestunde — Drucksache 8/458 vom 20. 05. 1977 — Umsiedlung der weißen Bevölkerung aus Südwestafrika im Falle der Machtübernahme der schwarzen Mehrheit nach Südamerika MdlAnfr A109 20.05.77 Drs 08/458 Niegel CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA 2072 A, B, C ZusFr Niegel CDU/CSU 2072 B Einheitliches Konzept der EG für die am 23. Mai beginnende 6. UN-Seerechtskonferenz sowie Sicherstellung der Fanggründe vor den Küsten Kanadas, Norwegens, der USA und Islands für die deutsche Fischerei nach Errichtung der 200-Seemeilen-Wirtschaftszone MdlAnfr A118 20.05.77 Drs 08/458 Dr. Müller-Hermann CDU/CSU MdlAnfr A119 20.05.e Drs 08/458 Dr. Müller-Hermann CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 2072 C, D, 2073 A, C ZusFr Dr. Müller-Hermann CDU/CSU . . 2072 D, 2073 B Benachteiligung deutscher Futtermittelhersteller beim Einkauf von Magermilchpulver bei EG-Ausschreibungen durch unterschiedliche Währungsberechnungen; Verwendung von Magermilchpulver zur Kälberfütterung über einen Beimischungszwang sowie Verbilligung des Magermilchpulvers für diesen Zweck MdlAnfr A63 20.05.77 Drs 08/458 Peters (Poppenbüll) FDP MdlAnfr A64 20.05.77 Drs 08/458 Peters (Poppenbüll) FDP Antw PStSekr Gallus BML 2073 D, 2074 A, C, D ZusFr Peters (Poppenbüll) FDP . . . 2074 A, B, C ZusFr Kiechle CDU/CSU . . . . . . . 2074 D Staatliche Verbilligung von Trinkmilch für Kindergärten und Schulen MdlAnfr A65 20.05.77 Drs 08/458 Frau Geier CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML . . 2075 A, B, C, D, 2076 A ZusFr Frau Geier CDU/CSU 2075 B ZusFr Kiechle CDU/CSU 2075 B ZusFr Susset CDU/CSU 2075 C ZusFr Würtz SPD 2075 C ZusFr Dr. von Geldern CDU/CSU . . . 2075 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 2075 D Deklarationsform für Gemengeteile bei Mischfuttermitteln MdlAnfr A66 20.05.77 Drs 08/458 Dr. von Geldern CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 2076 A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 III Ermittlung der genauen Zahl der neugeschaffenen Ausbildungsplätze zur Kontrolle über die Angaben des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsausbildung MdlAnfr A43 20.05.77 Drs 08/458 Heyenn SPD MdlAnfr A44 20.05.77 Drs 08/458 Heyenn SPD Antw PStSekr Engholm BMB . . . . . 2076 C, 2077 A, B, C, D, 2078 A ZusFr Heyenn SPD . . . 2076 D, 2077 A, B, C ZusFr Milz CDU/CSU 2077 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 2078 A Ausnutzung der Ausbildungskapazitäten bei Bundesbahn und Bundespost MdlAnfr A102 20.05.77 Drs 08/458 Walther SPD Antw PStSekr Engholm BMB . . . . 2078 B Nächste Sitzung 2147 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2149* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 2035 29. Sitzung Bonn, den 26. Mai 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 27. 5. Dr. Ahrens " 27. 5. Alber * 27. 5. Dr. Bangemann 27. 5. Dr. Bayerl * 27. 5. Dr. Becher (Pullach) 27. 5. Blumenfeld* 27. 5. Buchstaller *** 27. 5. Dr. Corterier *** 27. 5. Damm *** 27. 5. Fellermaier * 27. 5. Flämig *** 27. 5. Francke (Hamburg) 26. 5. Dr. Fuchs * 27. 5. Dr. Geßner *** 27. 5. Grüner 26. 5. Haase (Fürth) * 27. 5. von Hassel 27. 5. Dr. Hupka *** 27. 5. Dr. Jaeger *** 27. 5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 27. 5. Katzer 27. 5. Dr. h. c. Kiesinger 26. 5. Dr. Klepsch*** 27. 5. Kunz (Berlin) *** 27. 5. Dr. Graf Lambsdorff 26. 5. Lange *** 27. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer ** 27. 5. Lücker * 27. 5. Dr. Marx *** 27. 5. Mattick *** 27. 5. Möhring *** 27. 5. Möllemann *** 27. 5. Dr. Müller ** 27. 5. Dr. Narjes 27. 5. Neuhaus 27. 5. Neumann * 27. 5. Ollesch *** 27. 5. Pawelczyk *** 27. 5. Petersen 27. 5. Picard 27. 5. Dr. Reimers 27. 5. Schmidt (München) * 27. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 5. Dr. Schöfberger 27. 5. Schreiber * 27. 5. Schwabe * 27. 5. Dr. Schwarz-Schilling 27. 5. Dr. Schwencke (Nienburg)** 27. 5. Dr. Schwörer * 26. 5. Frau Schuchardt 27. 5. Sieglerschmidt * 27. 5. Dr. Starke (Franken) * 26. 5. Dr. Staudt 27. 5. Frau Steinhauer 27. 5. Frau Tübler 27. 5. Voigt (Frankfurt) *** 27. 5. Dr. Waigel 27. 5. Dr. Wallmann 26. 5. Frau Dr. Walz * 27. 5. Dr. Wendig 27. 5. Frau Will-Feld 27. 5. Dr. Wörner 26. 5. Dr. Zeitel 26. 5. Zeyer * 26. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Abgeordneter Bangemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Ich sehe, Sie tun es. — Bitte schön!


Rede von Dr. Carl Otto Lenz
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Bangemann, sind Sie bereit, vom Herrn Bundesminister des Innern die beiden Notizen vom September und Dezember 1975 anzufordern, sich den Text zu Gemüte zu führen und dann hier vorzulesen?

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    Rede von Dr. Martin Bangemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Lenz, natürlich bin ich dazu bereit. Aber dadurch wird das, was ich jetzt gesagt habe, überhaupt nicht anders. Sie behaupten — um es noch einmal zu sagen —, Ihr System würde dazu führen, daß in Berlin gewählt werden kann. Sie wissen, daß das nicht wahr ist

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das hat er doch gar nicht gesagt! — Widerspruch des Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU])

    — aber selbstverständlich! — und daß die Bundesregierung alles getan hat, damit die Position Berlins hier gewahrt werden kann.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Bangemann, das hat er doch gar nicht gesagt! Genügt es Ihnen nicht, daß wir noch einmal sagen: Er hat es nicht gesagt?)

    — Wir können das ja im Protokoll nachlesen. —
    Genauso zweifelhaft ist das, was Sie zur Zahl der Abgeordneten gesagt haben. Es trifft zwar zu, daß wir mit 81 Abgeordneten, vor allen Dingen im Vergleich zu Luxemburg mit 6 Abgeordneten, nicht entsprechend dem Verhältnis der Einwohnerzahlen re-
    präsentiert sind. Dazu ist folgendes zu sagen: Wir gehen von einer Zusammensetzung des Parlaments aus, die es heute schon gibt. Luxemburg hat in dem jetzigen Parlament 6, wir haben 36 Abgeordnete. Wenn wir auf 81 Abgeordnete gehen, verändert sich das Verhältnis schon zu unseren Gunsten.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das hat er doch auch gesagt!)

    Bei den ganzen Verhandlungen hat aber eine Rolle gespielt, daß Luxemburg nicht unter die Zahl von 6 Abgeordneten zurückfallen wollte, und zwar aus verständlichen Gründen: Denn zum einen wäre das ein Nachgeben gegenüber dem jetzigen Standpunkt, eine Verschlechterung einer bestehenden Situation gewesen. Zum anderen muß ein Land die Möglichkeit haben, durch die Zahl seiner Abgeordneten die politischen Strömungen dieses Landes in etwa zu repräsentieren.
    Wenn Sie dem zustimmen,

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Natürlich!)

    dann muß man von 6 Abgeordneten für Luxemburg ausgehen. Wenn Sie das dann analog der Proportionalität, die Herr Lenz hier dargestellt hat, hochrechnen, häten wir, glaube ich, ein Parlament von 850 Abgeordneten. Ein solches Parlament von 850 Abgeordneten ist zu groß

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Einverstanden!)

    und nicht mehr arbeitsfähig, vor allen Dingen, wenn man die Erweiterung wirklich will. Denn wir müssen wissen, daß ein solches Parlament dann noch einmal erweitert werden müßte.

    (Dr. Eyrich [CDU/CSU] : Aber darüber bestand doch kein Streit!)

    Das ist der eine Grund, warum wir gesagt haben, wir wollen die Disproportionalität akzeptieren.
    Der zweite Grund ist der, daß die augenblickliche Verfassungsstruktur der Europäischen Gemeinschaft nicht so sehr auf das Prinzip „One man, one vote", sondern im Grunde genommen auf das Prinzip „One country, one vote" abgestellt ist. Das mögen wir beklagen, aber es ist so. Diese Tatsache wird sich nur in der Entwicklung der Verfassungsstruktur Europas ändern lassen. Wenn wir z. B. zu einem Zweikammersystem kämen, was nicht auszuschließen ist, dann kann man in der zweiten Kammer das Prinzip „One country, one vote" und in der ersten Kammer oder im Parlament das Prinzip „One man, one vote" verwirklichen. Dies, Herr Lenz, sollten Sie sich doch — wir haben ja auch darüber gesprochen — noch einmal in Erinnerung rufen, um Ihre Kritik zu überdenken.
    Nun zu dem Wahlsystem im einzelnen. Bei jeder Entscheidung der Frage, ob Bundes- oder Landeslisten, muß man sich zunächst einmal die Frage vorlegen: Welche Funktionen erfüllt dieses Wahlrecht? Erstens. Es ist — das ist eine wichtige Bemerkung — ein Übergangswahlrecht. Es ist ein Wahlrecht, das für eine einzige Wahl gelten soll. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Zweitens. Es soll ein Wahlrecht sein, das einfach ist. Drittens. Es soll ein Wahlrecht sein, das eine möglichst breite Beteiligung



    Dr. Bangemann
    aller Regionen in der Bundesrepublik zuläßt. Wenn man diese drei Grundsätze an die Frage anlegt, ob das Bundes- oder Landeslisten werden sollen, so darf ich hier vorausschicken, daß es auch gute Argumente für die Landeslisten gibt. Es wäre völlig unsinnig, hier so zu tun, als ob nur das System der Bundeslisten der Weisheit letzter Schluß wäre.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Darum geht es doch nur!)

    — Aber Herr Kohl, Herr Lenz hat den umgekehrten Fehler gemacht. Er hat das System der Bundesliste in Grund und Boden verdammt mit Argumenten, auf die ich gleich noch einmal zu sprechen kommen werde. Er hat einen Fehler gemacht, den man in solchen Fragen nicht machen sollte, nämlich einen Monopolanspruch erhoben, der nicht richtig ist.
    Für die Landeslisten könnte sprechen, daß mit solchen Listen in der Tat eine stärkere Regionalisierung, eine Bindung der Abgeordneten, die in einem Land aufgestellt und gewählt werden, erreicht werden kann.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Das könnte so sein. Das setzte aber voraus, daß die Wahlgebiete annähernd gleich groß sind. Das ist nun das Problem bei Bremen und beim Saarland, auch bei einigen anderen Ländern. In diesen Wahlgebieten ist das auch nicht nur ein Problem der FDP, um das ganz klarzustellen, um hier jede Mißdeutung von vornherein auszuschließen.
    Im übrigen freue ich mich natürlich — ich möchte das ausdrücklich im Protokoll festhalten —, daß Herr Lenz das geltende Bundestagswahlrecht so sehr gelobt hat. Ich habe mich zu erinnern versucht, was Sie dann eigentlich dazu bewogen hat, es vor einigen Jahren zu ändern. Was waren denn damals eigentlich Ihre Argumente, als Sie sagten „Wir wollen dieses Wahlrecht ändern" ? Wir haben es noch nie ändern wollen. Wir begrüßen Sie im Kreis der entschlossenen Verteidiger dieses Bundestagswahlrechts.

    (Beifall bei der FDP)

    Sollten Sie je noch einmal den Versuch machen, eine solche Änderung anzustreben, wird kein FDP-Mann verfehlen, aus dem Protokoll dieser Debatte Herrn Lenz zu zitieren. Man kann sagen: Sie haben mit diesen Aussagen hier eine gewisse historische FDP-Berühmtheit erlangt.
    Diese Wahlgebiete sind unterschiedlich groß. Wenn beispielsweise in Bremen oder im Saarland überhaupt ein Abgeordneter gewählt wird, wird es ein Abgeordneter der SPD oder der CDU sein; nach den augenblicklichen politischen Verhältnissen in Bremen wahrscheinlich ein SPD-Abgeordneter, im Saarland ein CDU-Abgeordneter. Das ist aber nicht befriedigend; denn dann wird die Wahl in diesem Wahlkreis vom Prinzip der Verhältniswahl völlig verschoben, und zwar hin zum Prinzip der Mehrheitswahl. Dann ist ein großer Teil der Bevölkerung in diesen Regionen nicht vertreten. Das ist ein ganz erheblicher Einwand gegen das System.
    Zweitens. Die Bundesliste bietet deswegen eine bessere Möglichkeit der regionalen Beteiligung,
    weil man einen sehr guten Europa-Mann aus Bremen auf einen der vorderen Plätze der Bundesliste stellen kann; der wird dann gewählt. Sie bietet im Grunde genommen nicht die Gefahr, die Herr Lenz beschworen hat. Eine Landesliste kann genausogut von einem Landesvorstand beeinflußt werden wie eine Bundesliste von einem Bundesvorstand. Aus den Erfahrungen meiner Partei muß ich allerdings auch sagen: Überall dort, wo Vorstände den Versuch gemacht haben, bestimmte Leute auf einen bestimmten Platz zu bringen, war das eine Belastung für den Kandidaten. Der kam dann in der Regel zehn Plätze später, weil die Leute gesagt haben: Der muß sehr schwach sein, daß sich der Fraktionsvorstand oder der Bundesvorstand für ihn eingesetzt hat.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Bangemann, das ist nicht in allen Parteien gleichermaßen so! Meine Erfahrungen sind andere!)

    — Wunderbar. Wenn das in allen Parteien so ist, dann fällt ein ganz wesentlicher Einwand gegen die Bundesliste, den Herr Lenz hier vorgetragen hat, weg.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Kunz [Berlin] [CDU/CSU] : Das ist die originellste Rechtfertigung der Bundesliste, die ich je gehört habe!)

    — Wir machen ja etwas, was man in einer parlamentarischen Debatte tun sollte: Man sollte sich mit den Argumenten der anderen befassen. Das tue ich jetzt. Wenn ich also ein Gegenargument vorbringe, wenn ich das aufgreife, was Herr Lenz gesagt hat, und ich widerlege Ihnen das, dann empfinde ich Ihr Lachen als eine freundliche Kaschierung des Einverständnisses mit meinen Argumenten, wenn Sie mir diese Interpretation gestatten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Behalten Sie Ihren Glauben! — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Wenn Sie im Besitz des Mikrofons sind, sind Sie noch nicht im Besitz der Erleuchtung!)

    Ich komme zu einem anderen Argument, das Herr Lenz gebracht hat. Die Beibehaltung des jetzigen Bundestagswahlrechts bedeutete ja auch die Beibehaltung der jetzigen Wahlkreise. Sie haben hier das Modell des jetzigen Bundestagswahlrechts empfohlen, d. h. mit Wahlkreisen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ja!)

    Wenn man die drei Berliner Abgeordneten abzieht, verbleiben 78 Abgeordnete; wenn man die Hälfte berücksichtigt, müssen wir etwa 40 Wahlkreise einrichten, weil der Rest ja über die Listen gewählt wird. Das bedeutet aber, Herr Lenz, einen Wahlkreis, der sechs- bis siebenmal so groß sein wird wie der Bundestagswahlkreis. Das mag in Ballungsgebieten angehen. Aber beispielsweise in den Flächenländern — in Niedersachsen oder auch in Baden-Württemberg, in Bayern — führt das zu Wahlkreisen, bei denen die Behauptung, ein Abgeordneter könne diesen Wahlkreis betreuen, eine reine Fiktion wird.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)




    Dr. Bangemann
    Man kann es drehen und wenden, wie man will: Für diese Wahl ist ein Landeslistensystem durchaus eine Möglichkeit, die man erörtern kann, die aber so wesentliche Nachteile gegenüber dem Bundeslistensystem aufweist, daß man sagen muß: Hier ist die Regierung in einer Position, die von unserer Fraktion und von der Fraktion der SPD unterstützt wird. Dabei wollen wir in der Diskussion, die wir ja noch führen wollen, nicht den Versuch ausschließen, eine Lösung zu erreichen, die gemeinsam getragen wird.
    Das, was ich in . Erwiderung auf Herrn Lenz gesagt habe, diente dazu, Ihnen klarzumachen, daß man eine solche Gemeinsamkeit am besten erreicht, indem man unnötige Angriffe unterläßt.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Herr Bangemann: Ende gut, alles gut!)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung machen, die auch im Zusammenhang mit dem Versuch zur Gemeinsamkeit zu machen ist, aber darüber hinausgeht.
    Wenn wir diese Wahlen veranstalten, dann wird jeder, der sich daran beteiligt — auch in den anderen Mitgliedsländern —, wissen müssen, daß das zukünftige Europa ein Europa der Minderheiten sein wird. Keine Nation hat eine Mehrheit in dieser Gemeinschaft. Keine Sprache hat eine Mehrheit in dieser Gemeinschaft. Keine Partei wird eine absolute Mehrheit in dieser Gemeinschaft haben. Das ist nicht nur eine Tatsache, über die man diskutieren kann, sondern das ist meiner Meinung nach ein Charakteristikum der zukünftigen Europäischen Union, das man begrüßen sollte, weil nämlich dieses Europa der Minderheiten uns zwingt, ganz wesentliche Grundsätze anzuwenden, die zum Charakter von Europa gehören: Toleranz, Achtung vor der Haltung des anderen, ein Bekenntnis zur Pluralität, kein Monopolanspruch irgendeiner politischen Auffassung. Jeder von uns wird auch in dieser Direktwahl für seine politische Haltung kämpfen. Es wäre aber verhängnisvoll, wenn wir sagten, was man manchmal hört: „Europe serat socialiste, ou ne serat pas."

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Warum sagen Sie das nicht auf deutsch?)

    — Herr Kohl, weil dies eine europäische Debatte ist

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    und weil ich gerade gesagt habe, daß in Europa keine Sprache die Mehrheit hat. Aber wenn Sie wollen, Herr Kohl, übersetze ich das für Sie.
    Wenn man sagte: „Europa wird christ-demokratisch sein, oder es wird nicht sein", dann würde man einen schweren Fehler begehen, den Fehler nämlich, die Entschlossenheit, für eine politische Meinung einzutreten, zu verwechseln mit dem Grundgesetz, nach dem Europa gebaut werden muß. Wir werden uns entschlossen dafür einsetzen, daß soviel Liberalität wie möglich in Europa zu verwirklichen ist. Wir werden aber das gleiche Recht Sozialisten, Konservativen und Christdemokraten zugestehen. Auf diesem Grundsatz wird Europa beruhen, und wenn wir diesen Grundsatz verwirklichen, werden wir auch
    die technischen Fragen rechtzeitig so regeln können, daß der Termin nicht in Zweifel gezogen zu werden braucht.
    Ein abschließendes Wort dazu. Niemand sollte vorzeitig den Versuch aufgeben, das Frühjahr 1978 noch als realistischen Termin anzusehen. Wenn aus irgendwelchen Gründen, die in anderen Ländern oder bei uns liegen mögen, dieser Termin nicht eingehalten werden kann, werden wir uns anders einrichten; das wird kein Debakel sein. Aber wir sollten jetzt und heute den entschlossenen Versuch machen, an diesem Frühjahrstermin festzuhalten, in der Gewißheit, daß mit dieser Direktwahl zum Europäischen Parlament für Europa eine neue Chance eröffnet wird.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)