Rede:
ID0802900200

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8029

  • date_rangeDatum: 26. Mai 1977

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    Plenarprotokoll 8/29 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 29. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 Inhalt: Verzicht des Abg. Dr. Glotz und des Abg Sund auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2035 A Eintritt des Abg. Lambinus und des Abg Eickmeyer in den Deutschen Bundestag . 2035 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . 2035 B Wahl des Abg. Glombig als Stellvertreter im Vermittlungsausschuß . . . . . . . 2035 B Wahl des Abg. Lemp als Vertreter im Europäischen Parlament . . . . . . . . . 2035 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß und Akt des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung — Drucksache 8/360 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz) — Drucksache 8/361 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) — Drucksache 8/362 — Genscher, Bundesminister AA 2035 D Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 2037 B Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 2040 C Dr. Bangemann FDP 2042 C Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 2046 C Seefeld SPD 2048 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Deutschlandpolitik — Drucksachen 8/118, 8/255 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes — Drucksache 8/238 — Dr. Abelein CDU/CSU . . . . . . . . 2050 D Dr. Kreutzmann SPD . . . . . . . 2056 A Hoppe FDP 2061 B Franke, Bundesminister BMB . 2067 D, 2116 A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 Dr. Zimmermann CDU/CSU . . . . 2078 D Dr. Schmude SPD 2083 B, 2121 B Jung FDP . . . . . . . 2087 B, 2131 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . 2090 D Schulze (Berlin) SPD 2093 A Jäger (Wangen) CDU/CSU 2095 D Büchler (Hof) SPD 2099 C Graf Huyn CDU/CSU 2103 A Friedrich (Würzburg) SPD . . 2106 A, 2124 B Dr. Gradl CDU/CSU . . . . . . . . 2111 A Kunz (Berlin) CDU/CSU 2118 B Dr. Kohl CDU/CSU . 2123 C, 2124 A, 2128 A Wehner SPD 2123 D Straßmeir CDU/CSU . . . . . . . . 2124 C Dr. Ehmke SPD 2126 B Böhm (Melsungen) CDU/CSU 2129 A Schmöle CDU/CSU 2131 D Voigt (Frankfurt) SPD . . . . . . 2133 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude — Drucksache 8/286 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/471 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses --- Drucksachen 8/453, 8/463 — Gobrecht SPD . . . . . . . 2136 A, 2139 A Dr. Voss CDU/CSU . . . . . . . . . 2137 A Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 2140 C Köster CDU/CSU 2143 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes — Drucksache 8/370 — de Terra CDU/CSU . . . . . . . . 2145 D Horn SPD 2146 B Ludewig FDP 2146 D Fragestunde — Drucksache 8/458 vom 20. 05. 1977 — Umsiedlung der weißen Bevölkerung aus Südwestafrika im Falle der Machtübernahme der schwarzen Mehrheit nach Südamerika MdlAnfr A109 20.05.77 Drs 08/458 Niegel CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA 2072 A, B, C ZusFr Niegel CDU/CSU 2072 B Einheitliches Konzept der EG für die am 23. Mai beginnende 6. UN-Seerechtskonferenz sowie Sicherstellung der Fanggründe vor den Küsten Kanadas, Norwegens, der USA und Islands für die deutsche Fischerei nach Errichtung der 200-Seemeilen-Wirtschaftszone MdlAnfr A118 20.05.77 Drs 08/458 Dr. Müller-Hermann CDU/CSU MdlAnfr A119 20.05.e Drs 08/458 Dr. Müller-Hermann CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 2072 C, D, 2073 A, C ZusFr Dr. Müller-Hermann CDU/CSU . . 2072 D, 2073 B Benachteiligung deutscher Futtermittelhersteller beim Einkauf von Magermilchpulver bei EG-Ausschreibungen durch unterschiedliche Währungsberechnungen; Verwendung von Magermilchpulver zur Kälberfütterung über einen Beimischungszwang sowie Verbilligung des Magermilchpulvers für diesen Zweck MdlAnfr A63 20.05.77 Drs 08/458 Peters (Poppenbüll) FDP MdlAnfr A64 20.05.77 Drs 08/458 Peters (Poppenbüll) FDP Antw PStSekr Gallus BML 2073 D, 2074 A, C, D ZusFr Peters (Poppenbüll) FDP . . . 2074 A, B, C ZusFr Kiechle CDU/CSU . . . . . . . 2074 D Staatliche Verbilligung von Trinkmilch für Kindergärten und Schulen MdlAnfr A65 20.05.77 Drs 08/458 Frau Geier CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML . . 2075 A, B, C, D, 2076 A ZusFr Frau Geier CDU/CSU 2075 B ZusFr Kiechle CDU/CSU 2075 B ZusFr Susset CDU/CSU 2075 C ZusFr Würtz SPD 2075 C ZusFr Dr. von Geldern CDU/CSU . . . 2075 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 2075 D Deklarationsform für Gemengeteile bei Mischfuttermitteln MdlAnfr A66 20.05.77 Drs 08/458 Dr. von Geldern CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 2076 A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 III Ermittlung der genauen Zahl der neugeschaffenen Ausbildungsplätze zur Kontrolle über die Angaben des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsausbildung MdlAnfr A43 20.05.77 Drs 08/458 Heyenn SPD MdlAnfr A44 20.05.77 Drs 08/458 Heyenn SPD Antw PStSekr Engholm BMB . . . . . 2076 C, 2077 A, B, C, D, 2078 A ZusFr Heyenn SPD . . . 2076 D, 2077 A, B, C ZusFr Milz CDU/CSU 2077 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 2078 A Ausnutzung der Ausbildungskapazitäten bei Bundesbahn und Bundespost MdlAnfr A102 20.05.77 Drs 08/458 Walther SPD Antw PStSekr Engholm BMB . . . . 2078 B Nächste Sitzung 2147 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2149* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1977 2035 29. Sitzung Bonn, den 26. Mai 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 27. 5. Dr. Ahrens " 27. 5. Alber * 27. 5. Dr. Bangemann 27. 5. Dr. Bayerl * 27. 5. Dr. Becher (Pullach) 27. 5. Blumenfeld* 27. 5. Buchstaller *** 27. 5. Dr. Corterier *** 27. 5. Damm *** 27. 5. Fellermaier * 27. 5. Flämig *** 27. 5. Francke (Hamburg) 26. 5. Dr. Fuchs * 27. 5. Dr. Geßner *** 27. 5. Grüner 26. 5. Haase (Fürth) * 27. 5. von Hassel 27. 5. Dr. Hupka *** 27. 5. Dr. Jaeger *** 27. 5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 27. 5. Katzer 27. 5. Dr. h. c. Kiesinger 26. 5. Dr. Klepsch*** 27. 5. Kunz (Berlin) *** 27. 5. Dr. Graf Lambsdorff 26. 5. Lange *** 27. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer ** 27. 5. Lücker * 27. 5. Dr. Marx *** 27. 5. Mattick *** 27. 5. Möhring *** 27. 5. Möllemann *** 27. 5. Dr. Müller ** 27. 5. Dr. Narjes 27. 5. Neuhaus 27. 5. Neumann * 27. 5. Ollesch *** 27. 5. Pawelczyk *** 27. 5. Petersen 27. 5. Picard 27. 5. Dr. Reimers 27. 5. Schmidt (München) * 27. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 5. Dr. Schöfberger 27. 5. Schreiber * 27. 5. Schwabe * 27. 5. Dr. Schwarz-Schilling 27. 5. Dr. Schwencke (Nienburg)** 27. 5. Dr. Schwörer * 26. 5. Frau Schuchardt 27. 5. Sieglerschmidt * 27. 5. Dr. Starke (Franken) * 26. 5. Dr. Staudt 27. 5. Frau Steinhauer 27. 5. Frau Tübler 27. 5. Voigt (Frankfurt) *** 27. 5. Dr. Waigel 27. 5. Dr. Wallmann 26. 5. Frau Dr. Walz * 27. 5. Dr. Wendig 27. 5. Frau Will-Feld 27. 5. Dr. Wörner 26. 5. Dr. Zeitel 26. 5. Zeyer * 26. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft hat am 20. September 1976 die Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen zum Europäischen Parlament beschlossen. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß die Bundesregierung dem Deutschen



    Bundesminister Genscher
    Bundestag als erste Regierung aus dem Kreis der neun Mitgliedstaaten ein vollständiges Gesetzespaket zur innerstaatlichen Durchführung des Beschlusses der Europäischen Gemeinschaft zugeleitet hat.
    Es war, wie wir alle wissen, ein langer und mühevoller Weg, ehe wir die schon im Jahre 1951 bei Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vereinbarte Direktwahl beschließen konnten. Die breite Zustimmung in der deutschen Öffentlichkeit und im Deutschen Bundestag hat die Bundesregierung bei den sich über zwei Jahre hinziehenden schwierigen Verhandlungen in Brüssel stets bestimmt, mit Zähigkeit und Nachdruck an unserem Verhandlungsziel festzuhalten. Das hat zugleich der Verhandlungsführung im Kreis der neun EG-Partner und auf bilateraler Ebene ein zusätzliches Gewicht verliehen.
    Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an die so komplizierten Verhandlungen zur Festlegung der Sitzzahl eines künftig direkt zu wählenden Europäischen Parlaments. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat bei diesem Kompromiß Konzessionen machen müssen, um den Verhandlungserfolg sicherzustellen. Erst vor wenigen Tagen ist die dänische Regierung von ihren bis dahin immer noch bestehenden Vorbehalten gegen die Direktwahl abgerückt.
    Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben bei der Verabschiedung des Ratsbeschlusses noch keinen genauen Wahltermin fixiert. Die Regierungen aller Mitgliedstaaten haben jedoch sowohl im
    p Europäischen Rat als auch im Ministerrat ihre Absicht erklärt, die erste Direktwahl im Zeitraum Mai/ Juni 1978 abzuhalten. Die erforderlichen innerstaatlichen Gesetze werden gegenwärtig von allen Regierungen vorbereitet.
    Schwierigkeiten treten in einzelnen Ländern der Europäischen Gemeinschaft bei der Diskussion der Befugnisse des Europäischen Parlaments auf. Ich will heute diese Diskussion im Interesse der Sache nicht belasten, aber ich bin sicher, daß ein von den Bürgern Europas direkt gewähltes Europäisches Parlament seine Rechte und Möglichkeiten wahrzunehmen weiß.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD])

    Es wird dies um so nachhaltiger tun, je größer die Zahl hervorragender Politiker aller europäischer Parteien und je höher die Wahlbeteiligung in den neun europäischen Staaten sein wird.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat zur Einbeziehung Berlins in die Direktwahl zum Europäischen Parlament anläßlich der Beschlußfassung im Rat der Europäischen Gemeinschaft am 20. September 1976 eine Erklärung abgegeben, die im Wortlaut dem Akt beigefügt ist. Die gefundene Lösung trägt den Rechten und Verantwortlichkeiten der drei Mächte für Berlin Rechnung, und sie berücksichtigt zugleich die Zugehörigkeit Berlins zur Europäischen Gemeinschaft. Ich glaube, daß damit unter den gegebenen Umständen eine für alle Beteiligten befriedigende Lösung erzielt worden ist.
    Ich hoffe, daß Plenum und Ausschuß des Deutschen Bundestages das Gesetzespaket der Bundesregierung gründlich und zügig beraten werden, damit die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Einführung der Direktwahl in der Bundesrepublik Deutschland bald geschaffen werden. Die Parteien brauchen Zeit für die Auswahl ihrer Kandidaten. Ebenso wichtig ist die frühzeitige Vorbereitung der deutschen Öffentlichkeit auf dieses wichtige europapolitische Ereignis. Für den Erfolg der Direktwahl und für das Gewicht des Europäischen Parlaments wird die Wahlbeteiligung von wesentlicher Bedeutung sein.
    Meine Damen und Herren, mit der Direktwahl zum Europäischen Parlament wird ein neuer Abschnitt in der Geschichte der europäischen Einigung beginnen. Wir alle wissen, daß das europäische Einigungswerk stark vom Ökonomischen her bestimmt worden ist und auch weiterhin bestimmt werden wird. Auch das Ziel der europäischen Einigung war stets ein politisches. Gemeinsam wollen wir ein Europa bauen, das im Innern für alle seine Bürger ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung verwirklicht und das in der Welt für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit eintritt. Ein solches Europa aber darf nicht nur ein Europa der Regierungen sein; es muß vielmehr zu einem Europa der Bürger werden. Mit der Direktwahl des Europäischen Parlaments tun wir einen entscheidenden Schritt auf dieses Europa der Bürger zu, einen Schritt in Richtung auf eine Gemeinschaft, in der eben nicht nur die Mitgliedstaaten demokratisch verfaßt sind, sondern die Gemeinschaft selbst auch.
    Heute erleben die Menschen die Europäische Gemeinschaft vorwiegend als großen Verwaltungsapparat, fern in Brüssel, und als institutionalisierte Dauerverhandlungen zwischen den Regierungen. Die Direktwahl muß hier eine Wende bringen. Zum erstenmal wird ein Parlament entstehen, das europäisch legitimiert ist. Dieses Parlament wird zu einer vorwärtstreibenden Kraft im europäischen Einigungsprozeß werden. Dieses Europäische Parlament muß genauso zum Ort der politischen Auseinandersetzung über die innere Ordnung Europas werden, und wir wollen dabei niemanden darüber im Zweifel lassen, daß wir ein Europa der Demokratie, der Pluralität und der Freiheit wollen. Die Wahlen selbst werden den Europagedanken neu beleben. Schon haben sich gleichgesinnte nationale Parteien zu europäischen Föderationen zusammengeschlossen. Politische Programme von europäischem Zuschnitt entstehen. Der Wahlkampf selbst wird das Thema Europa endgültig aus den Konferenzsälen der Experten und Regierungen heraustragen und zu den Bürgern bringen und ihnen bewußtmachen, wie sehr ihre eigene Zukunft mit der Zukunft der Gemeinschaft verbunden ist. Die europäische Politik muß zur Sache der breiten Öffentlichkeit werden.
    Gegenüber dem direkt gewählten Europäischen Parlament müssen der Rat und die Kommission der Europäischen Gemeinschaft zu den großen und brennenden Fragen Europas Rede und Antwort stehen. Das muß auch für die Europäische Politische Zusammenarbeit gelten. Die neun Mitgliedstaaten der Gemeinschaft haben sich in dieser Europäischen Politi-



    Bundesminister Genscher
    schen Zusammenarbeit ein wirksames Instrument geschaffen, um ihre Außenpolitiken zu koordinieren und zu gemeinsamem Handeln nach außen zu gelangen. Die Neun sprechen heute in den Vereinten Nationen und auf internationalen Konferenzen immer mehr mit einer Stimme. Das Europa der Neun wird in der Welt mehr und mehr als aktionsfähige politische Einheit gesehen. Ich bin zuversichtlich, daß die Entwicklung auf eine gemeinsame europäische Außenpolitik auch in Zukunft zügig vorangehen wird.
    Meine Damen und Herren, mit den Erwartungen in die dynamische Kraft des direkt gewählten Europäischen Parlaments verbinden wir die Entschlossenheit, den Staaten Europas, die in den letzten Jahren nichtdemokratische Herrschaftsformen überwunden haben und die Mitglied der Gemeinschaft werden wollen, den Weg in diese demokratische Gemeinschaft zu öffnen. Wir dürfen die Demokraten Griechenlands, Portugals und Spaniens nicht enttäuschen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir sehen die ökonomischen Probleme sehr genau. Aber diese ökonomischen Probleme gibt es nicht nur bei den drei Ländern, die jetzt beitreten wollen. Die politische Entscheidung dieser Staaten für Demokratie und für Europa müssen wir mit einer ebenso verantwortungsvollen politischen Entscheidung beantworten. Versuche, egoistische Vorbedingungen für die Zustimmung zum Beitritt zu stellen, werden auf unseren ganz entschiedenen Widerstand treffen. Die historische Entscheidung für die europäische Direktwahl erfordert auch die Kraft, den Staaten Europas, die ihre Zukunft im demokratischen Europa suchen, eine reale europäische Perspektive zu bieten.

    (Beifall bei allen Fraktionen)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carl Otto Lenz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich kann die Befriedigung der Bundesregierung verstehen, heute in diesem Hohen Hause den Beschluß des Rates über die Durchführung der Direktwahl des Europäischen Parlaments dem Deutschen Bundestag zur Ratifikation vorlegen zu können; denn der Versuch, ein Europäisches Parlament in direkter Wahl zu wählen, zieht sich, wie die Bundesregierung in ihrer Begründung zu Recht feststellt, wie ein roter Faden durch die Geschichte der europäischen Einigungsbemühungen. Gerade Christliche Demokraten waren daran an hervorragender Stelle beteiligt, wenngleich wir hier keinen Alleinvertretungsanspruch erheben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich selber hatte vor nunmehr 17 Jahren zum erstenmal Gelegenheit, im Jahre 1960 an der damaligen Verabschiedung des ersten Direktwahlprojekts des Europäischen Parlaments mitzuwirken. Ich freue mich, daß die damaligen Bemühungen nun ein Stück näher zur Realisierung gekommen sind.
    Meine Damen und Herren, diese Befriedigung kann natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß nicht alles Gold ist, was da glänzt. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat die Sitzverteilung im Europäischen Parlament angesprochen. Wenngleich ich durchaus zugestehe, daß die neubeschlossene Sitzverteilung besser ist als die alte, so läßt sich doch nicht leugnen, daß sie vom Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit noch sehr, sehr weit entfernt ist. Ich will meine Anmerkung jetzt nicht an dem berühmten Luxemburger Beispiel mit sechs Abgeordneten für 300 000 Luxemburger aufhängen, sondern nur darauf hinweisen, daß die kleineren Mitgliedstaaten der Gemeinschaft mit insgesamt rund 31 Millionen Einwohnern über 86 Abgeordnete in diesem neuen Parlament verfügen, während die Bundesrepublik Deutschland mit der doppelten Zahl von Einwohnern deren nur 81 hat. Das ist keine Kritik an der Bundesregierung, sondern eine ganz nüchterne Feststellung. Ich fürchte, daß sich diejenigen, die der Entwicklung dieses Europäischen Parlaments zum Vollparlament Hindernisse in den Weg legen wollen, auf diese ungewöhnliche Art der Sitzverteilung berufen werden, um daraus Honig für ihre Argumente zu saugen. Herr Bundesminister des Auswärtigen, dies ist eine Befürchtung, die nicht nur wir haben, sondern die haben Sie ja selber in gewisser Weise in der Begründung angesprochen. Auch die Europa-Union weist in ihrer lesenswerten Schrift „22 Fragen zur Direktwahl" darauf hin. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, das einmal kurz vorlesen:
    Je mehr das Europäische Parlament die Rolle eines voll handlungsfähigen Parlaments einnehmen wird, um so problematischer muß die Durchbrechung des Gleichheitsgrundsatzes werden.
    Ich merke das hier an, weil ich befürchte, daß diese Frage für die weitere Entwicklung eine große Rolle spielt.
    Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen. Dabei bedauere ich eigentlich, daß ich vor dem Bundesminister des Innern sprechen muß und nicht erst nach ihm sprechen kann. Dieser zweite Punkt betrifft das Wahlgesetz. Bei diesem Wahlgesetz ist die zentrale Frage — darauf wurde in der ausgezeichneten Aussprache des Bundesrates sehr deutlich hingewiesen — die Frage des Wahlverfahrens. Die Bundesregierung schlägt uns hierfür ein Wahlsystem nach Bundeslisten vor. Meine Damen und Herren, das ist ein Novum in der deutschen Wahlrechtsgeschichte. Diese Bundeslisten schieben die Gliederung der Bundesrepublik Deutschland in Länder beiseite, worauf der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Herr Bernhard Vogel, im Bundesrat mit Recht hingewiesen hat. Im Bundesrat gab es eine große Mehrheit für die Ablehnung der Bundeslisten, eine Mehrheit, die weit über die Zahl der von der CDU und der CSU regierten Länder hinausging.
    Ein weiterer Punkt, den ich hier ansprechen muß, betrifft Berlin. Der Herr Bundesaußenminister hat dieses Thema im Zusammenhang mit dem ersten Gesetz kurz behandelt. Ich lasse das hier beiseite.



    Dr. Lenz (Bergstraße)

    Wir sind nicht glücklich darüber, daß nichts Besseres zu erreichen war. Die Lage ist nun einmal so. Aber, meine Damen und Herren, bei dem Wahlgesetz sind wir in der Gesetzesgestaltung durchaus frei; keine Alliierten haben uns etwas dreinzureden. Hier schlägt uns die Bundesregierung ein System vor, das die Bundesrepublik Deutschland — westlicher Teil Deutschlands — in klarer und scharfer Weise von Berlin trennt: Bundeslisten in Westdeutschland, eine Landesliste in Berlin. Die nach dieser Landesliste von Berlin gewählten Abgeordneten werden dann auch noch unglücklicherweise als Berliner Abgeordnete bezeichnet, was den Bundesrat veranlaßt hat, dagegen Einspruch zu erheben. Die Bezeichnung ist nun fallengelassen worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Berlin gehört, meine sehr verehrten Damen und Herren, ebensogut zur Europäischen Gemeinschaft wie die Stadt Bonn. Es ist überhaupt nicht einzusehen, weshalb hier eine derart unterschiedliche Behandlung vorgenommen werden soll. Es ist übrigens sehr interessant, daß die Bundesregierung selbst — jedenfalls das Bundesministerium des Innern — diesen von mir hier vorgetragenen Standpunkt ursprünglich geteilt hat. In der Aufzeichnung des Bundesministeriums des Innern vom 8. September 1975 heißt es wörtlich: „Das Landeslistenmodell erscheint auch im Hinblick auf die Einbeziehung Berlins in die Direktwahl als das überzeugendste." Der Bundesminister des Innern hat uns einige Monate später — ich glaube, im Dezember war es — eine Denkschrift, die seine Unterschrift trägt, überreicht, in der noch einmal das gleiche — in etwas anderen Worten — steht.
    Meine Damen und Herren, wir sind in Verfolg des Viermächteabkommens gezwungen worden, die früher regelmäßigen Besuche dieses Hohen Hauses und seiner Ausschüsse in Berlin weitestgehend einzuschränken. Wir sind verpflichtet, dieses Abkommen zu respektieren. Aber da, wo wir Grund haben, darauf zu pochen, nämlich dort, wo es darum geht, die Bindungen und Verbindungen Berlins an den Bund zu stärken, auch da sollten wir es strikt einhalten und voll anwenden. Das geschieht hier nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Außerdem ist die Aufstellung von Bundeslisten so bürger- und mitgliederfern, wie es in der Bundesrepublik Deutschland nur eben möglich ist. Höher geht's nimmer.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : Das will man ja!)

    Es ist kaum möglich, daß ein auf einer Bundesliste gewählter Abgeordneter weiß, welchem Bürger wann und wo er für seine Tätigkeit im Europäischen Parlament Rede und Antwort zu stehen hat; denn sein Wahlkreis reicht von Flensburg bis nach Mittenwald und zum Bodensee. Er ist allen verantwortlich und damit im Ergebnis niemandem. Oder: Er ist demjenigen Gremium verantwortlich, das ihn aufgestellt hat,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    d. h. der jeweiligen Bundesparteileitung, vielleicht gekoppelt mit der jeweiligen Bundestagsfraktion. Und so man in der Lage ist, in der Regierung zu sein, wird er am kurzen Zügel der Regierung sein. Das ist das Gegenteil des unabhängigen Abgeordenten, den sich die Christlich-Demokratische und ChristlichSoziale Union vorstellen

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und dessen Bild auch in dem kürzlich erstatteten Bericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform noch einmal einen überzeugenden Ausdruck gefunden hat.
    Schließlich ist es notwendig, um diese Abgeordneten überhaupt aufstellen zu können, neue Satzungsbestimmungen in sämtliche Parteisatzungen einzuarbeiten. Da es sich hier um interessante Positionen handelt, wird es natürlich darum einen Kampf geben müssen, wer sie aufstellt und wer wieviel Einfluß hat. Gerade das wird den Zeitpunkt der Herbeiführung der Wahl jedenfalls in Deutschland verzögern; denn solche Machtkämpfe müssen ausgetragen werden. Wenn der Herr Bundesaußenminister soeben von dem Zeitargument gesprochen hat, so spricht das gegen seine Bundeslisten und nicht dafür.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aus diesem Grunde hat die Europa-Union Deutschland in ihrem Beschluß vom 11. Dezember 1976 zur Gestaltung des deutschen Wahlrechts für die erste europäische Direktwahl gefordert:
    Die Europa-Union Deutschland setzt sich dafür ein, das Wahlrecht für die europäische Direktwahl so bürgernah wie möglich zu gestalten, um einen engen personalen und regionalen Bezug zwischen Wählern und europäischen Abgeordneten sicherzustellen. Sie hält daher Bundeslisten nicht für geeignet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union stellen demgegenüber die Anwendung des geltenden Bundestagswahlrechts zur Diskussion. Das geltende Bundestagswahlrecht mit seinen Landeslisten und direkt gewählten Abgeordneten gilt in ganz Europa fast als vorbildlich. Viele europäische Nachbarländer beneiden uns um dieses Wahlsystem. In Deutschland ist es unbestritten, weil es einen vernünftigen Ausgleich aller divergierenden Interessen möglich macht. Wenn man dieses Wahlsystem anwenden würde, würden die gesamten Probleme, von denen ich eben gesprochen habe, wie Spreu im Winde verwehen: Die Frage der neuen Parteisatzungen könnte durch eine schlichte Verweisung auf die Bestimmungen zur der Kandidaten bei Bundestagswahlen erledigt werden; der klare regionale Bezug wäre gegeben; die Frage von Berlin wäre nicht anders geregelt als im geltenden Bundestagswahlrecht. Damit wären eigentlich alle Einwendungen gegen dieses Bundeslistensystem ausgeräumt.
    Nun behauptet die Regierung immer, wir würden mit dem Problem Bremen und Saarland nicht fertig. Das kann nur daran liegen, daß die Regierung in



    Dr. Lenz (Bergstraße)

    I der neuen Wahlperiode nicht die Papiere aus der alten Wahlperiode gelesen hat.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Das kommt öfter vor!)

    Wenn sie nämlich in ihren Papieren vom September und Dezember 1975 — letzteres wiederum mit der Unterschrift von Herrn Maihofer — freundlicherweise einmal nachlesen würde, würde sie ja feststellen: erstens, daß dort das Landeslistenmodell als das geeignetste bezeichnet wird, und zweitens, daß durchaus interessante Vorschläge gemacht werden, wie man das Problem Bremen und das Problem Saarland lösen kann, die zugegebenermaßen bei nicht phantasievoller Gestaltung des Gesetzes sonst vielleicht mit keinem Abgeordneten vertreten wären. Es sind dort zwei Vorschläge gemacht. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Bundesregierung ihre eigenen guten Gedanken von damals vergessen hat. Wenn sie schon einmal einen hat, dann sollte sie auch endlich daran festhalten.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich kann nur noch einmal wiederholen: Das Bundestagswahlrecht empfiehlt sich zur Anwendung, einmal weil es vorbildlich ist, und zum zweiten, weil wir es hier ja mit einem Übergangswahlrecht zu tun haben. Das Gesetz, das wir machen, soll ja nach dem Wunsch der Unterzeichner des Abkommens nur einmal zur Anwendung kommen, nämlich bei der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament, und danach
    durch ein europäisches Wahlsystem entweder in einem Schritt oder schrittweise ersetzt werden. Es empfiehlt sich doch nicht, bei einer solchen Gelegenheit eine Diskussion über Wahlrechtsystem und dergleichen zu eröffnen. Man nimmt das, was man hat, schneidet es auf den konkreten Sachverhalt zurecht, und wählt danach einmal, weil sich wirklich alle Probleme durch einen Hinweis auf das Bundestagswahlsystem lösen lassen. Man braucht niemanden zu instruieren. Die Handbücher sind sozusagen fertig gedruckt; Sie können die von 1976 alle noch einmal benutzen.
    Wenn ich sage, das geltende Bundestagswahlrecht berücksichtige alle Interessen, so berücksichtigt seine Anwendung auf die Europawahlen vielleicht nicht ganz — das gebe ich zu, und das anerkenne ich auch — die Interessen kleinerer Parteien wie der FDP. Ich gebe zu, daß es vielleicht umständlich sein mag, daß man in elf Ländern Landeslisten aufstellen muß — eine Bundesliste für eine solche Partei ist da einfacher —, wenn man nur eine Handvoll Abgeordnete ins Europäische Parlament zu entsenden hat. Aber ich frage mich, ob hinter diesem parteipolitischen Interesse der FDP die demokratischen, föderativen und nationalen Interessen dieses Volkes zurückgestellt werden sollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der FDP)

    — Ich höre aus dem lebhaften Echo von Ihrer Seite, daß ich offenbar am neuralgischen Punkt des Problems angekommen bin.

    (Fortgesetzte Zurufe von der FDP)

    Wir haben ja, meine Freunde, durch den Zeitplan, den wir miteinander vereinbart haben, noch bis zum Herbst Zeit, darüber nachzudenken, ob wir dies genauso machen, wie Sie es hier vorgeschlagen haben.
    Die übrigen Probleme des Wahlrechts will ich hier aussparen. Ich kann nur sagen, daß die bisherigen Diskussionen mich davon überzeugt haben — ich glaube, dem widerspricht auch niemand ernstlich —, daß alle Probleme durch die Anwendung des Bundestagswahlrechts zwanglos gelöst werden können, während Sie bei Anwendung des Bundeslistensystems neue Probleme aufwerfen, wie z. B. das Problem der Kandidatur von Gruppierungen, die nicht Parteien sind. Diesen Punkt sollten wir uns auch noch einmal sehr genau überlegen.
    Lassen Sie mich aber dieses Thema jetzt abschließen und noch zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen kommen, die der Herr Bundesminister des Auswärtigen gemacht hat. Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber im klaren, daß es in Europa schon bessere Zeiten gegeben hat, ein Europäisches Parlament zu wählen. Anfang, Mitte der 60er Jahre war die Zeit zweifellos außenpolitisch, wirtschaftspolitisch, innenpolitisch in den meisten europäischen Ländern besser als heute. Man kann nicht leugnen — der Bericht von Herrn Tindemans ist dafür lebhaftes Zeugnis —, daß wir uns im Augenblick in einer Zeit der Krise in der europäischen Einigungspolitik befinden. Deshalb haben schon manche die Frage aufgeworfen, ob Wir nicht den richtigen Zeitpunkt für die Einigung Europas schon verpaßt haben. Manche meinen sogar, daß wir angesichts der beunruhigenden innerpolitischen Entwicklungen in manchen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft das Wagnis einer engeren Bindung aneinander, die das Ziel der europäischen Direktwahl ist, nicht auf uns nehmen sollten. Aber wir können uns den günstigen Zeitpunkt für dieses Unternehmen nicht aussuchen. Wenn die Lage heute nicht günstig ist, wer sagt uns denn eigentlich, daß sie morgen günstiger sein wird? Es ist auch die Frage, ob wir unsere Lage verbessern, auch die Lage der europäischen Einigungspolitik, wenn wir die jetzt sich bietende Chance der europäischen Direktwahl ausschlagen und statt dessen auf andere Zeiten warten. Ich meine, dann, wenn man diese Überlegungen durchdenkt, kann man nur sagen: Die Gelegenheit, die sich jetzt bietet, muß ergriffen werden; wir müssen alles tun, damit diese Wahlen zum richtigen Zeitpunkt so bald wie möglich stattfinden.
    Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es Probleme in Europa. Es gibt vor allen Dingen — darauf hat der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht mit Recht hingewiesen - das Problem der geistigen Führung in Europa. Lange Zeit hatte diese geistige Führung die europäische Kommission unter Walter Hallstein inne, dem wir dafür an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich danken sollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Lenz (Bergstraße)

    In der Folgezeit hat die Regierung eines Mitgliedstaates eine ähnliche Rolle zu spielen versucht, doch auch davon ist nicht mehr viel spürbar.
    Es muß endlich etwas geschehen, damit Europa aus dem gegenwärtigen Zustand der endlosen Ministerkonferenzen über drittrangige Fragen und des Wustes von bürokratischen Papieren herauskommt. Alles, was der Herr Bundesminister des Auswärtigen dazu gesagt hat, kann ich nur voll und ganz unterstreichen, und das ist ja auch neulich bei der Verleihung des Karlspreises der Stadt Aachen an den Bundespräsidenten noch einmal unterstrichen worden.
    Ich teile auch die Auffassung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen, daß ein Wahlkampf für das Europäische Parlament nicht mit den Themen geführt werden kann, die heute in Brüssel Gegenstand der Ratstagesordnungen sind. Man wird sich dabei wieder auf die hohen Ziele der europäischen Einigung konzentrieren müssen: Wir wollen gemeinsam die Verteidigung der Freiheit, wir wollen unseren Völkern die Chance des Wohlstandes durch einen gemeinsamen europäischen Markt geben, und wir wollen der Stimme Europas in der Welt wieder das Gewicht geben, das ihr gebührt. Darum geht es bei jenen Wahlen zum Europäischen Parlament. Ich glaube mit der Bundesregierung, daß von dieser Direktwahl neue Impulse für die europäische Einigung ausgehen können; denn, meine Damen und Herren, in Europa ist noch nie etwas wirklich Großes ohne die direkte Beteiligung der europäischen Völker geschaffen worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wissen aber auch, daß wir einen hohen Einsatz wagen. Scheitert das Experiment der europäischen Direktwahl, wird nicht nur der europäische, sondern auch der parlamentarische Gedanke eine Niederlage erlitten haben. Es kommt darauf an, all unsere Kräfte so einzusetzen, daß dies vermieden wird und daß die europäischen Direktwahlen zu einem Erfolg für die europäische und die parlamentarische Sache und damit für die Sache unseres Volkes werden. In diesem Geiste werden wir uns an den Beratungen über die vorgesehenen Gesetzentwürfe beteiligen.
    Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Bemerkung zum Problem der Erweiterung der Gemeinschaft machen, das ,der Herr Bundesminister des Auswärtigen hier aus aktuellem Anlaß angeschnitten hat. Meine Damen und Herren, wir wünschen, daß die Länder, die sich auf dem Wege zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung befinden, so schnell und so eng wie möglich an die Europäische Gemeinschaft angeschlossen werden. Das gilt für Spanien, das gilt für Portugal, das gilt für Griechenland. Meine Freunde, wir sehen aber auch, daß die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft bei der Erweiterung von Sechs auf Neun nicht gerade zugenommen hat,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    und wir müssen die Frage stellen, wie sie bei einer
    Ausdehnung von Neun auf Zwölf zunehmen soll und
    ob das Ganze dann nicht ein Koloß auf tönernen
    Füßen werden wird, den jeder umstoßen kann, der nur genügend Energie dafür aufbringt.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    Schon die Sechsergemeinschaft stellte ganz imperativ die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Gemeinschaftsorgane, auch nach der Durchführung des in den Römischen Verträgen festgelegten Prinzips ,der Mehrheitsabstimmungen. Meine Damen und Herren, je mehr Mitgliedstaaten, desto weniger geht es ohne dieses Prinzip, und deshalb geht unsere Bitte an die Bundesregierung, bei ihren Bemühungen um die Erweiterung der Gemeinschaft, die wir unterstützen, der Frage der Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)