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ID0800711500

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    Plenarprotokoll 8/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 Inhalt: Begrüßung von Mitgliedern der türkischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates . . . . . . 152 D Nachricht vom Tode des früheren Abg. Freiherr von Kühlmann-Stumm 201 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen im Ältestenrat — Drucksache 8/32 — . . . . . . . . 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 127 B Dr. Ehmke SPD 133 B Dr. Bangemann FDP 140 C Genscher, Bundesminister AA 145 A Dr. Marx CDU/CSU 149 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 159 D Hoppe FDP 167 D Graf Stauffenberg CDU/CSU 171 C Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . 176 A Dr. Kohl CDU/CSU 186 C Leber, Bundesminister BMVg 191 B Dr. Wörner CDU/CSU . . . . 195 D, 197 A Spitzmüller FDP 196 D Möllemann FDP 197 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 201 D Pawelczyk SPD 206 D Jung FDP 212 B Lorenz CDU/CSU 214 D Mattick SPD 218 C Dr. Czaja CDU/CSU 221 B Dr. Kreutzmann SPD . . . . . . . 225 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen — Drucksache 8/35 — . . . . . . . . 166 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Einsetzung von Ausschüssen — Drucksache 8/36 — 166 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament — Drucksache 8/47 — 166 D II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats — Drucksache 8/48 — 167 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksache 8/49 — 167 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 141 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Juni 1975 über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung — Drucksache 8/10 — 167 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Mai 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 8/11 — 167 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit — Drucksache 8/12 — 167 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit) — Drucksache 8/13 — 167 C Nächste Sitzung 227 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 229* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 127 7. Sitzung Bonn, den 19. Januar 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 229* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 20.1. Dr. Aigner * 21. 1. Arendt 21. 1. von Hassel* 19. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) 21. 1. Lücker * 21. 1. Lange * 19. 1. Müller (Mülheim) * 21. t. Richter *** 21. 1. Schulte (Unna) 19. 1. Dr. Schwencke ** 21. 1. Dr. Schwörer * 21. 1. Dr. Staudt 21. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Dr. Peter Lorenz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier für meine Fraktion, aber auch als Berliner zu Berlin. Diese Aufgabe erfordert Offenheit und Behutsamkeit zugleich. Einerseits wissen wir, daß Berlin von großen und ernsten Sorgen belastet ist. Andererseits wissen wir aber auch, daß unsere gemeinsame Pflicht es gebietet, nicht zuletzt von diesem Haus Ermutigung und Zuversicht für Berlins künftigen Weg in der Geschichte unseres Vaterlandes zu geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es erschiene mir unerlaubt und gefährlich, eine solche Ermutigung durch Schönfärberei und Zweckoptimismus herstellen zu wollen. Eine Gefahr wird auch nicht geringer, sondern größer, wenn man den Blick von ihr abwendet oder über sie schweigt.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Vorweg: Ich habe nicht die Absicht, hier auszutragen, was wir Berliner zwischen dem Senat, der Koalition und der Opposition in Berlin auszutragen



    Lorenz
    haben, sondern ich möchte mich zunächst auf die Feststellung beschränken, daß Berlin innenpolitisch an derselben Krankheit leidet wie Bonn, nämlich daran, daß man nach den Neuwahlen glaubte, gegen den Willen des großen Teils der Bevölkerung an einer Regierung der Verlierer festhalten zu können,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: So ist es!)

    und die Union als stärkste politische Kraft von der Regierungsverantwortung ausschloß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was ich zu der Situation Berlins hier zu sagen beabsichtige, ist bestimmt von dem unbeirrten Willen der Union, Berlin für die große nationale Aufgabe zu erhalten, Zentrum Deutschlands und der Deutschen zu bleiben und wieder mehr als jetzt Mittelpunkt deutscher Zukunftshoffnungen zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn ich Besorgniserregendes über die Entwicklung Berlins vorzutragen habe, dann geschieht das in der Zuversicht, daß die Freiheit dieser Stadt, ihre Kraft und ihre unvergleichliche nationale und internationale Bedeutung erhalten bleiben können, wo sie jetzt noch bestehen, und daß sie wiederhergestellt werden können, wo sie beschädigt wurden.
    Beste und erste Voraussetzung dafür ist der ungebrochene Lebens- und Selbstbehauptungswille der Berliner. Wir fragen uns, was gefragt werden muß: In welchem Umfange waren der deutsch-sowjetische Vertrag, der Grundlagenvertrag und das Viermächteabkommen über Berlin in dem nahezu halben Jahrzehnt ihrer Wirksamkeit aus unserer Sicht erfolgreich? Für die Beantwortung bietet sich zunächst ein Kriterium an: Was nämlich hat die Bundesregierung sich und uns von dieser Vertragspolitik für Berlin versprochen, und was mußte sie für Berlin mit dieser Vertragspolitik erreichen? — Zuerst menschliche und praktische Erleichterungen für die Berliner. Es besteht kein Zweifel, meine Damen und Herren, daß es auf den Zufahrtswegen von und nach der Stadt besser geworden ist, daß die Bürger der beiden Teile der Stadt wieder miteinander telefonieren können, daß die West-Berliner wieder ihre Mitbürger in Ost-Berlin und ihre Landsleute in der DDR besuchen können. Das sind unbestreitbare Vorteile.
    Aber wir fragen uns auch: Was hat denn diese Politik für das freie Berlin insgesamt gebracht? Das ist hier heute in der Debatte gar nicht richtig ausgesprochen worden. Denn wir müssen feststellen, daß der Osten bisher ungeniert und hartnäckig sein Ziel weiterverfolgt hat, das freie Berlin zu isolieren, es zu einer selbständigen politischen Einheit zu machen und zu einem weiteren Sonderteil Deutschlands abzuspalten.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Den Berlinern wurde versprochen, die Sowjetunion werde künftig die zwischen dem Bund und Berlin gebliebenen Bindungen nicht mehr in Frage stellen und eine Entwicklung der Stadt in diesem Sinne und im Rahmen der Entspannung nicht weiterhin stören und zerstören wollen. Ihnen wurde auch versprochen, das freie Berlin werde nunmehr nicht nur im Westen, sondern in Zukunft auch im Osten voll und ungehindert von der Bundesrepublik Deutschland vertreten werden. Das wäre auch das mindeste gewesen, meine Damen und Herren, was eine deutsche Ostpolitik nach den gewichtigen politischen Vorleistungen an die Sowjetunion hätte erreichen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Aber leider hat sie es nicht erreicht.

    Ich rufe heute noch einmal die Formeln in Erinnerung, mit denen diese Ostpolitik von der Regierung und den sie tragenden Parteien begleitet wurde: Ein geregeltes Nebeneinander und ein geregeltes Miteinander wurden uns zugesagt. Berlin sollte aufhören, Zankapfel zwischen Ost und West zu sein. Proteste Moskaus und Ost-Berlins oder sogar Schlimmeres sollte es gar nicht mehr geben. Die Bindungen sollten verstärkt werden. Berlin sollte aufhören, ein Krisenherd zu sein. Wirtschaftlich, so sagte man uns, würde die Stadt durch eine solche Entwicklung prosperieren.
    Was wir in den vergangenen fünf Jahren in Berlin und mit Berlin erlebten, hat diese Prognosen nicht erfüllt, meine Damen und Herren, im Gegenteil! Die Zahl der östlichen Proteste und Maßnahmen gegen fast jede Lebensregung Berlins und vor allem gegen nahezu alle Aktivitäten des Bundes zugunsten Berlins ist mittlerweile dreistellig geworden. Auch der Luftverkehr von und nach Berlin wird zunehmend von allen Ostblockstaaten diskriminiert. Ich warne davor, dieses Verhalten des Ostens herunterzuspielen, für unwichtig oder für unwirksam zu halten. Steter Tropfen kann auch hier den Stein höhlen. Die Proteste gegen alle personellen und institutionellen, gegen die zeitweiligen und die dauernden Bundespräsenzen in Berlin sind doch nicht nur Indizien, sondern sie sind Beweise für die Fortsetzung einer kommunistischen Politik, die — Verträge hin, Verträge her — Berlin weiter zu strangulieren sucht.
    Und das hat zu einem für die Stadt bedenklichen Stimmungsabfall geführt, der sich mehr oder minder lähmend auf Investitionen und Aktivitäten auswirkt.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : So ist es!)

    Neben anderen negativen Erscheinungen und Enttäuschungen über unerfüllte Hoffnungen hat dieses schwer faßbare, aber höchst wirksame Ungewißheitsgefühl, meine Damen und Herren, das bisher nicht ausgeräumt worden ist, in Berlin erheblichen Flurschaden angerichtet. Es bedarf deshalb jetzt besonderer Anstrengungen aller Beteiligten dieses Hauses, aber vor allem der Bundesregierung, diesen Schaden wieder zu beheben. Berlin ist zwar zum Testfall der Entspannung erklärt worden. Aber allmählich greift immer mehr eine Stimmung um sich, die, auf eine kurze Formel gebracht, sagt: Wehe uns, wenn wir diesen Test durchführen und unsere Rechte wirklich wahrnehmen!

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ist es!)




    Lorenz
    Und das darf doch so nicht weitergehen, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich kann es den Koalitionsparteien nicht ersparen, hier ein besonders aktuelles Beispiel für die gefährliche Wirksamkeit der östlichen Politik der Einschüchterung und der Drohung zu erwähnen, nämlich das bisher unerfüllte Versprechen, eine Deutsche Nationalstiftung mit dem Sitz in Berlin zu gründen. Seit mehr als vier Jahren wird dieses Projekt gedreht und gewendet, mit Worten zugedeckt und in Unaufrichtigkeit erstickt, meine Damen und Herren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Jammer! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    In seiner Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler dazu Ausführungen gemacht, aus denen die deutsche Öffentlichkeit fast einhellig den Schluß gezogen hat, daß es nunmehr mit einem Berlin-Sitz dieser Deutschen Nationalstiftung endgültig vorbei sei. Wir müssen befürchten, daß hier die Angst vor den Reaktionen des Ostens größer ist als die Entschlossenheit dieser Bundesregierung, die Möglichkeiten des Viermächteabkommens voll auszuschöpfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eine solche Haltung — oder lassen Sie mich lieber sagen: ein solcher Haltungsschaden — ist geeignet, den Feinden Berlins Gefährliches zu signalisieren, daß nämlich Drohungen und Restriktionen gegen Berlin erfolgreich sein könnten, wenn sie nur nachhaltig genug sind. Je deutlicher der Osten diesen Eindruck gewinnt, um so mehr wird er natürlich seine Pressionen gegen Berlin und sein Bemühen um Aushöhlung des Viermächteabkommens fortsetzen. Es geht uns in Berlin nicht, wie der Herr Bundeskanzler einmal gesagt hat, um einige Messingschilder mehr, sondern es geht uns darum, daß die deutsche Bundesregierung z. B. in der Frage der Nationalstiftung — aber nicht nur in dieser Frage — Haltung bewahrt, daß sie ihre und unsere Rechte in Berlin unbeirrt wahrnimmt, und wenn es sein muß und nicht verhindert werden kann auch einmal im Konfliktfall.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist so weit gekommen, daß uns die östlichen Regierungen belehren wollen, was als Provokation gelten soll und was nicht. Das darf doch nicht so bleiben. Die Lebenskraft Berlins durch die Einrichtung friedlicher überregionaler, nationaler und internationaler Institutionen zu stärken wäre dringend notwendig, geht aber nicht, weil die sowjetische Politik das nicht will. Dies wäre keine Provokation, sondern vertragskonform. Das hätte der Herr Abgeordnete Bahr Herrn Leonid Breschnew sagen sollen, ehe er ihm Verläßlichkeit bescheinigte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir erwarten von der Bundesregierung — und dies erwartet, wie ich überzeugt bin, mit uns die große Mehrheit der Berliner —, daß dem Generalsekretär der KPdSU, falls er zu seinem Besuch nach
    Bonn kommt, unmißverständlich und nachdrücklich bewußt gemacht wird, daß das sowjetische Verhalten gegenüber dem freien Berlin und die sowjetische Praxis bei der Verwirklichung des Viermächteabkommens ganz wesentlichen Einfluß auf die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Formel, die heute hier wieder genannt worden ist, daß das Abkommen strikt eingehalten und voll angewendet werden muß, genügt doch offensichtlich nicht mehr; denn sie hat den Osten, Herr Kollege Hoppe, in der Vergangenheit nicht daran gehindert, mit seiner Politik der Isolierung Berlins fortzufahren, die Stadt zu schwächen und ihre Bevölkerung zu entmutigen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: So ist es!)

    Deshalb muß das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik mehr, als es in der Vergangenheit der Fall war, von der Politik bestimmt sein, die unter dem Motto steht: Es gibt keine Entspannung und keine Verständigung an Berlin und den Berlinern vorbei.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn wir diese Politik erfolgreich durchsetzen wollen, bedarf es gut koordinierter, entschlossener Anstrengungen der Alliierten, der Bundesregierung, der Gewerkschaften, der Wirtschaft, der Verbände und des Senats von Berlin. Die alliierten Schutzmächte tragen die Verantwortung für die Sicherheit Berlins. Wir danken ihnen dafür. Die Sicherheit ist aber nur ein wichtiger Faktor bei der künftigen Entwicklung der Stadt. Wenn wir nicht wollen, daß es zu guter Letzt um die Sicherung eines absterbenden Gemeinwesens geht, gehört die Stärkung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens sowie der gesamten Lebensfähigkeit der Stadt in dem Rahmen, den uns das Viermächteabkommen läßt, ebenso dazu. Wer sich für die Lebensfähigkeit zuständig fühlt, darf nicht zaghaft sein, sondern muß aus den Verträgen und aus der Situation das herausholen, was darin ist und was die internationale Lage hergibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, natürlich können wir dabei auf die Mitwirkung der Alliierten nicht verzichten, und wir wollen es auch gar nicht. Der Antrieb für eine solche Politik der Existenzsicherung des freien Berlin muß doch aber immer durch uns, durch die Deutschen gegeben werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Keine noch so befreundete ausländische Macht wird in ihrer Politik deutscher sein als die Deutschen. Deshalb geht das, was wir hier machen bzw. nicht machen, von uns aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das mußte Herrn Bahr wieder einmal gesagt werden!)

    Aktive Berlin-Politik muß auch koordinierte Berlin-Politik sein. Wenn überhaupt irgendwo, dann ist hier ein Höchstmaß an Zusammenwirken zwischen allen demokratischen Kräften gefordert. Maßnahmen, die Berlin stützen und fördern, sollten nach



    Lorenz
    Möglichkeit Ergebnisse einer mittel- und langfristigen Planung aller Beteiligten sein. Hier genügen keine Berlin-Beauftragten von Unternehmungen, so wichtig diese sein mögen, und auch nicht die Zuordnung des Berlin-Bevollmächtigten der Bundesregierung als Staatssekretär im Innerdeutschen Ministerium.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Der Herr Bundeskanzler möge mal zuhören!)

    Meine Damen und Herren, wir möchten der Bundesregierung nahelegen, einen Vorschlag, den die Berliner Union seit Jahren gemacht hat, aufzugreifen und eine besondere Planungs- und Koordinierungsstelle beim Bundeskanzleramt unter Einbeziehung der Wirtschaft für alle Berlin betreffenden Fragen einzurichten. Dieser Vorschlag wird, inzwischen übrigens auch von der Berliner Industrie- und Handelskammer, lebhaft unterstützt.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Ein guter Vorschlag!)

    Eine aus einer solchen Zusammenarbeit hervorgehenden Berlin-Politik hätte große Aufgaben. Lassen Sie mich einige nennen.
    Die Bevölkerungszahl der Stadt ist rapide zurückgegangen, vor allem der Anteil der in der Produktion Tätigen. Alarmierend ist die wirtschaftliche Entwicklung Berlins. Der Verlust von industriellen Arbeitsplätzen hat sich in den vergangenen sechs Jahren auf 23 % beziffert.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Das, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, sind doch die Jahre des von Ihnen verheißenen Aufstiegs und der Krisenbewältigung gewesen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    Natürlich haben die weltweite Rezession und der technische Fortschritt an diesem Verlust von Arbeitsplätzen mitgewirkt. Aber diese Ursachen erklären doch nicht, warum in Berlin proportional doppelt so viele industrielle Arbeitsplätze verlorengingen wie in Westdeutschland.

    (Zuruf des Abg. Schulze [SPD])

    — Nach Erklärungen müssen wir auch dafür suchen, Herr Kollege Schulze, warum im vergangenen Jahr die Investitionen in Westdeutschland um 7 % gestiegen, in Berlin dagegen um 11 0/o gesunken sind.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

    Da kommt man doch mit Hinweisen auf die internationalen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die Rationalisierung nicht aus.
    Nein, Berlins wirtschaftliche Gesundheit ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer auch eine Frage des Vertrauens in die Zukunft der Stadt gewesen. Frühere Bundesregierungen waren sich stets bewußt, daß Berlin ein psychologisch sensibler Ort ist, der Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl verlangt. Investitionsentscheidungen und Beweggründe für Fort- und Zuzüge werden hier im besonderen Maß von der Politik beeinflußt. Die Hoffnungen, die geweckt wurden, und die anschließenden Enttäuschungen, die die politische Praxis auslöste, waren für die Entwicklung Berlins eben nicht förderlich.
    Lassen Sie mich hier doch noch ein Wort zur Berliner Landespolitik einfügen, weil sonst ein wesentlicher Aspekt der Lage der Stadt nicht erklärt werden könnte. Berlin leidet ganz wesentlich auch an der Trübung seines Erscheinungsbildes durch das Treiben von Chaoten und Verfassungsfeinden, durch die kommunistische Umfunktionierung wichtiger Bereiche der Berliner Universitäten und Hochschulen und durch die Verflizung und Handlungsschwäche der Verwaltung. Das muß anders werden, wenn Berlin eine Zukunft behalten soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bin mir mit dem Herrn Bundeskanzler in dem Appell an die deutsche Wirtschaft einig. Die Repräsentanten unserer freien Wirtschaft möchte ich daran erinnern, daß sich überhaupt nichts an der Logik geändert hat, die vielen allerdings einst gegenwärtiger war als heute, daß nämlich die Freiheit der Bundesrepublik — die politische, die geistige und auch die wirtschaftliche Freiheit — nur so lange von Bestand sein wird, wie das freie Berlin sich behauptet. Die meisten von uns haben recht gut verstanden, daß wir die Wirtschaft unserer Verbündeten in Italien und England stützen müssen, wenn wir die Freiheit und das Wohlergehen des vereinten Europas nicht aufs Spiel setzen wollen. Aber die Notwendigkeit der Vitalisierung Berlins hat in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Bedeutung und einen unvergleichlichen Rang. Denn mit ihr steht und fällt mehr als das eigene Schicksal der Stadt. Insofern ist Berlin tatsächlich eine Stadt wie keine andere.
    Ich möchte der Wirtschaft hier sagen: Wer in Berlin investiert, investiert auch in seine eigene Zukunft und in die Zukunft seiner Kinder.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber hier bedarf es immer erst der politischen Investitionen des Bundes.
    Als Ihre Ost- und Deutschlandpsolitik, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, von schweren Rückschlägen erschüttert wurde, haben Sie uns in Anspielung auf unsere vergeblichen Warnungen immer gesagt — und Sie sagen es auch heute noch; der Herr Kollege Friderichs und der Herr Bundeskanzler z. B. haben es getan —, es gebe zu dieser Politik keine Alternative. Nun, wenn das auf Berlin bezogen so wäre, dann fiele das auf Sie zurück. Denn dann hätten Sie einen Zustand herbeigeführt, der nicht nur unbefriedigend, sondern besorgniserregend ist, und dann könnte man eine solche als Irrweg erkannte Bahn gar nicht mehr verlassen.
    Nein, die Alternativen liegen ganz sicher nicht in dem, was Sie polemisch eine Rückkehr zum kalten Krieg zu nennen und uns zu unterstellen pflegen. Die Unterstellung ist übrigens schon deshalb falsch, weil der kalte Krieg so lange nicht endgültig abgeschlossen sein wird, wie die östliche Seite ihn in



    Lorenz
    der gewandelten Form des kühlen Konflikts stetig fortführt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Herr Bundeskanzler hat eine Reihe von Beispielen genannt: die Ausweisung Loewes und die Vopo-Kontrollen der Ständigen Vertretung, die Antwort auf seine Regierungserklärung oder das Schießen an den innerdeutschen Grenzen, das mit dem Begriff „kalter Krieg" sogar nur verharmlosend bezeichnet wäre.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Nein, die Alternativen liegen zunächst im politisch-geistigen Bereich. Die Alternative zur Selbstverleugnung ist eben Selbstbewußtsein,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und die Alternative zum zaghaften Schweigen ist eben das Aussprechen der Wahrheit.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Es darf doch nicht sein, daß wir um so leiser treten, je lauter da drüben marschiert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen nicht, daß die Verträge, die wir nicht ausgehandelt haben, aufgekündigt oder gebrochen werden. Wir suchen auch nicht die Konfrontation mit den Staaten des Ostens. Wir wünschen keine vermeidbaren Konflikte.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Aber wir sind nicht bereit, Konflikten und Konfrontationen auf Kosten der deutschen Menschen, auf Kosten unserer demokratischen Überzeugung und auf Kosten Berlins auszuweichen. Das ist unsere Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unsere Deutschland- und Berlin-Politik wird auf folgenden Grundsätzen beruhen.
    Erstens. Die Vereinbarungen, die wir mit der anderen Seite getroffen haben, müssen eingehalten werden; allerdings nicht nur von uns, sondern auch von der DDR. Es muß jeder Versuch unternommen werden, trotz der Abgrenzungspolitik der Regierenden in der DDR für die Menschen im geteilten Deutschland das bestmögliche herauszuholen. Wir werden uns nicht vertragswidrige Interpretationen der anderen Seite und nicht eine Praxis aufzwingen lassen, die einseitig die Interessen der DDR durchsetzen will.
    Zweitens. Wir werden mit aller Energie die Verwirklichung der international verbindlichen Menschenrechte auf deutschem Boden betreiben und uns davon durch nichts abbringen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Drittens. Wir sind zu einer vernünftigen Zusammenarbeit mit der anderen Seite bereit. Eine solche Zusammenarbeit ist aber nur möglich, wenn sie auf Leistung und angemessener Gegenleistung beruht.
    Viertens. Wir werden unüberhörbar für die ganze Welt an der Zusammengehörigkeit aller Deutschen und an der Forderung festhalten, daß auch und erst recht im Jahre 32 nach Kriegsende dem deutschen Volk das Selbstbestimmungsrecht freigegeben werden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Fünftens. Die Existenz des freien Berlin ist das sichtbare Zeichen für den fortdauernden deutschen Anspruch auf nationale Einheit und Freiheit. Deshalb muß die Zukunft des freien Berlin gesichert werden. Das setzt voraus, daß nicht nur die Berliner an ihre nationale Aufgabe glauben, sondern daß alle Deutschen, die in Freiheit leben, die Sicherung Berlins als ihre nationale Aufgabe ansehen. Das werden wir mit aller Kraft bewirken.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.

(Wohlrabe [CDU/CSU] : Der soll erst einmal zu seinem Verhalten in der NATOParlamentarierkonferenz Stellung nehmen! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das tut er bestimmt! — Wohlrabe [CDU/CSU]: Dann darf er hier reden!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Kurt Mattick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das war eine Präsidentenrede,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Jungfernrede!)

    wie wir sie hier lange nicht gehört haben. Ich gratuliere zunächst einmal. Ich glaube nur, daß uns das nicht viel nützt; denn ich habe nichts Neues gehört. Ich habe während der Rede nur über folgendes nachgedacht. Ich darf einmal die Herren Kollegen aus Berlin, die schon länger im Deutschen Bundestag sind, daran erinnern: Da gab es einmal das Umweltschutzamtgespräch. Da wurden die Kollegen aus Berlin von einem der Botschafter der westlichen Schutzalliierten zu einem sehr guten Abendbrotessen eingeladen.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Einem miesen politischen Gespräch!)

    Danach wurden wir in eine Ecke gebeten, in der dann ein ernstes Gespräch geführt wurde. Da hat uns dieser Herr gesagt — ich will den Namen jetzt nicht nennen; die Kollegen, die dabei waren, können Ihnen den Namen nennen —: Nehmen Sie eines zur Kenntnis: noch einmal so ein Vorgang, wie um das Umweltbundesamt und Sie können nicht mehr mit unserer Hilfe rechnen. — Daran sollte Herr Lorenz denken, wenn er mit Forderungen auftritt, die ja nicht neu sind, die aber eines deutlich machen:

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Auch wenn der Herr nicht mehr im Amt ist, brauchen Sie nicht alles auszuplaudern! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    daß man die Berlin-Politik nicht mit Schlagworten in Ordnung bringen und in Ordnung halten kann, sondern daß das der sensibelste Punkt ist. Und wer glaubt, er kann hier auf die Art und Weise, wie sich der Präsident hier geäußert hat — was er in Berlin auch sagen könnte —, Erfolge erzielen, Durchbrüche erreichen, dem muß ich sagen: Dieses ist nun



    Mattick
    30 Jahre lang ausprobiert, und es ist deutlich geworden, daß es so nicht geht.