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ID0800704800

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    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
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    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Bundeskanzler.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 Inhalt: Begrüßung von Mitgliedern der türkischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates . . . . . . 152 D Nachricht vom Tode des früheren Abg. Freiherr von Kühlmann-Stumm 201 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen im Ältestenrat — Drucksache 8/32 — . . . . . . . . 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 127 B Dr. Ehmke SPD 133 B Dr. Bangemann FDP 140 C Genscher, Bundesminister AA 145 A Dr. Marx CDU/CSU 149 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 159 D Hoppe FDP 167 D Graf Stauffenberg CDU/CSU 171 C Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . 176 A Dr. Kohl CDU/CSU 186 C Leber, Bundesminister BMVg 191 B Dr. Wörner CDU/CSU . . . . 195 D, 197 A Spitzmüller FDP 196 D Möllemann FDP 197 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 201 D Pawelczyk SPD 206 D Jung FDP 212 B Lorenz CDU/CSU 214 D Mattick SPD 218 C Dr. Czaja CDU/CSU 221 B Dr. Kreutzmann SPD . . . . . . . 225 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen — Drucksache 8/35 — . . . . . . . . 166 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Einsetzung von Ausschüssen — Drucksache 8/36 — 166 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament — Drucksache 8/47 — 166 D II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats — Drucksache 8/48 — 167 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksache 8/49 — 167 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 141 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Juni 1975 über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung — Drucksache 8/10 — 167 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Mai 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 8/11 — 167 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit — Drucksache 8/12 — 167 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit) — Drucksache 8/13 — 167 C Nächste Sitzung 227 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 229* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 127 7. Sitzung Bonn, den 19. Januar 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 229* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 20.1. Dr. Aigner * 21. 1. Arendt 21. 1. von Hassel* 19. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) 21. 1. Lücker * 21. 1. Lange * 19. 1. Müller (Mülheim) * 21. t. Richter *** 21. 1. Schulte (Unna) 19. 1. Dr. Schwencke ** 21. 1. Dr. Schwörer * 21. 1. Dr. Staudt 21. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Pawelczyk, ich habe die Antwort bereits gegeben: Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, aber wir sollten uns wirklich überlegen, wie die Sicherheit der Freiheit auch im westlichen Teil unseres Kontinents gewährleistet sein kann. Diese Freiheit ist heute nicht sicherer, sondern gefährdeter. Ich sage noch einmal: darüber wird nachher vermutlich in der Aussprache über den verteidigungspolitischen Bereich noch eingehend debattiert werden.
    Lassen Sie mich zur Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers zurückkommen. In dieser, weiß Gott ja nicht sehr kurzen Erklärung war nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Deutschland-der Außen- und der Sicherheitspolitik gewidmet. Einem guten Teil dessen, was der Herr Bundeskanzler zu diesen Themen gesagt hat, können wir so, wie er es gesagt hat, auch durchaus zustimmen. Das will ich hier gar nicht verschweigen. Offenbleiben freilich zahlreiche Fragen, die nicht oder, wie ich meine, nur unzulänglich behandelt worden sind.
    So begrüßen wir die Absicht, die Politik der dauerhaften Einordnung unseres Staates in den Kreis der freiheitlichen Demokratien weiterzuführen. Wir begrüßen die Aussage des Herrn Bundeskanzlers über das Atlantische Bündnis. Es ist in der Tat die Grundlage unserer Sicherheit. Wir begrüßen auch seine Aussage zur Bundeswehr, vor allem über die erfolgreiche Erfüllung ihrer friedensbewahrenden Aufgabe seit mehr als 20 Jahren. Allerdings muß hinzugefügt werden, daß diese Aussage allein nicht ausreichend ist angesichts der immer mehr zunehmenden tödlichen Bedrohung des Westens durch die militärische Aufrüstung der Sowjetunion.
    Wir begrüßen das, Herr Bundeskanzler, was Sie über die ausgezeichneten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten gesagt haben. Wir würden es auch begrüßen, wenn es stimmen sollte, daß dies ein Vertrauensverhältnis ist, das bisher noch nicht gekannt gewesen ist. Wir würden uns auch freuen, wenn dieses Vertrauen nicht etwa durch eine Guillaume-Affäre oder durch die sich mehrenden Pannen beim Bundesnachrichtendienst gelitten hätte, der ja von den Herren Brandt und Ehmke, wie Sie wissen, sehr wirkungsvoll zu vermehrter Transparenz umstrukturiert worden ist. Wir freuen uns, wenn dieses amerikanische Vertrauen zu uns auch nicht durch die etwas eigenwilligen Vermittlungsdienste des Herrn SPD-Parteivorsitzenden bei den Wiener MBFR-Verhandlungen leidet.
    Allerdings — ich glaube, das ist unser Recht und unsere Pflicht — sollten wir daran erinnern, daß dieses Vertrauensverhältnis durch Konrad Adenauer begründet worden ist und mancher ideologiebedingten Belastung standgehalten hat, weil es eben so tief in beiden Völkern verankert ist. Konrad Adenauer war es, der nicht nur seine Politik eine Politik des
    Friedens und der Freiheit hat nennen können, Herr Friedrich, sondern der auch Erfolg gehabt hat mit der Sicherung von Frieden und Freiheit durch seine Politik mit der CDU/CSU. Wenn aber dieses gegenseitige Verständnis zwischen den beiden Ländern heute so groß ist, dann frage ich: Wollen Sie es nicht nutzen, um die atlantische Partnerschaft auszubauen und das Verteidigungsbündnis zu stärken, und zwar in anderer und konstruktiverer Weise als Sie die Vorschläge des jetzt scheidenden amerikanischen Außenministers vor vier Jahren behandelt haben?
    Ähnliches gilt auch für den großen Aufbruch zur europäischen Einigung mit dem klaren Ziel — ich möchte das wiederholen — eines politisch geeinten Europa, und das gilt auch für die deutsch-französische Freundschaft. Aber für beides hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung nicht mehr als gewissermaßen protokollarische Anmerkungen bereit. Es fehlen die Vorschläge, und es fehlt die Konzeption, wie es da weitergehen soll. Deswegen genügt es nicht, gewissermaßen die Zustimmung zum Tindemans-Plan nachzuholen. Nicht die Zustimmung ist notwendig, sondern die Aufnahme dieser Vorschläge zur Verwirklichung, die wir erwarten, weil es höchste Zeit ist, im politischen Europa voranzukommen. Wenn es nur bei diesen mehr unverbindlichen Lobworten bleibt, muß man sich fragen, ob das nicht letztlich mehr ein Nachruf oder eine Grabrede gewesen ist, als Sie damals den Vorschlägen des belgischen Ministerpräsidenten zugestimmt haben.
    Wenn ich bei Europa bin, auch noch ein weiteres Wort: Verhandlungen mit weiteren Ländern über den Beitritt zur Gemeinschaft können eben kein Ersatz für qualitative Fortschritte im europäischen Einigungswerk sein, so wie es in den Römischen Verträgen festgehalten ist und wie es die Pflicht deutscher Politik, jeder Bundesregierung und jedes Bundeskanzlers ist, dies durchzuführen.
    Noch ein Wort zu den europäischen Wahlen, über die Sie gesprochen haben. Müssen wir die Bundesregierung — und da hätten wir gerne Auskunft — so verstehen, daß sie einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der allein auf dem Prinzip der Bundesliste basiert? Wenn dies so wäre, würde die Bundesregierung die Ära der unmittelbaren europäischen Demokratie mit dem anonymsten, mit dem bürgerfernsten Wahlsystem beginnen, und das wäre kein überzeugender Beitrag, um „das politische Europa dem Bewußtsein unseres Volkes näherzubringen", so wie Sie es ausgeführt haben.
    Meine Damen und Herren von der Koalition, wir sind mit Ihnen durchweg für eine Politik der Entspannung, vorausgesetzt, daß es eine Politik ist, die zur realen Entspannung führt. Wir sind mit Ihnen auch einig in dem Ziel einer guten Nachbarschaft mit dem Osten. Das erfordert aber, daß das Ziel in erster Linie die gute Nachbarschaft mit den Völkern des Ostens sein soll. Das erfordert sicherlich auch korrekte Beziehungen zu den Regierungen des Ostblocks, auch wenn diesen durchweg die demokratische Legitimation fehlt. Die Hauptursache aber, meine Damen und Herren, für die friedensbedrohen-



    Graf Stauffenberg
    den Spannungen in der Welt und in Europa liegt doch gerade in der Herrschaftsform des Kommunismus selbst. In dieser Herrschaftsform verbindet sich großrussischer Imperialismus mit weltrevolutionärer Ideologie. Ohne den Abbau dieser Art von Herrschaftsform bleiben alle Entspannungsbemühungen leider — ich sage bewußt: leider — Stückwerk, oder sie werden zur lebensgefährlichen Illusion. Herr Bundeskanzler, Entspannung wird lebensgefährlich, wenn sie zum Selbstläufer wird und letztlich nur der Sicherung kommunistischer Gewalt über Menschen dient. Diese kommunistische Gewaltherrschaft im Osten wird an keiner Stelle der Welt von außen bedroht, am wenigsten von der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist nur bedroht vom Freiheitswillen aus dem Ostblock selbst. Der Herr Bundeskanzler hat zu Recht betont, daß das militärische Potential des Warschauer Pakts weit größer ist als sein Verteidigungsbedarf. Die Völker Polens und der Tschechoslowakei machen sich vermutlich ihre eigenen und bitteren Gedanken über das Militärpotential der DDR, die ja niemand bedroht. Daher begrüßen wir es, daß der Herr Bundeskanzler auf der Grundlage der gemeinsam im Bündnis entwickelten Zielsetzungen Schritte angekündigt hat, die zum Abbau der militärischen Konfrontation in Europa führen sollen. Wir wissen um die gegenwärtigen Gefahren, und wir wissen uns darin, Herr Bundeskanzler, mit so hervorragenden amerikanischen Fachleuten — um einmal andere zu nennen, als heute schon genannt worden sind — einig, wie Dean Rusk, Paul Nitze, Eugene Rostow, Botschafter Fowler und ehemaligen Oberbefehlshabern der NATO, deren „Committee on present danger" wir dem besonderen Studium der Bundesregierung empfehlen, auch, Herr Bundeskanzler, dann, wenn es darum geht, die Unterstützung der gemeinsamen westlichen Verhandlungsposition innerhalb Ihrer eigenen Partei oder bei Ihrem Parteivorsitzenden zu finden.
    Meine Damen und Herren, gerade um des Friedens willen begrüßen wir es, daß die Auseinandersetzung der Ideologien im friedlichen Wettbewerb ausgetragen werden soll. Bei der Belgrader Überprüfungskonferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wird die Bundesregierung dazu Gelegenheit haben. Wir setzen voraus, daß sie dabei eindeutig und unmißverständlich auf der Seite der Menschen stehen wird, denen die fundamentalen Menschenrechte noch immer verweigert werden. Es warten noch immer ungezählte Menschen — das ist heute schon mehrfach gesagt worden — auf die Erfüllung der Erklärung des Korbes III von Helsinki, auf die Erfüllung der Menschenrechtspakte, auf die Erfüllung der UN-Menschenrechtscharta. Wenn Sie so eindeutig Menschlichkeit und das Recht einfordern, Herr Bundeskanzler, dann brauchen Sie auch nicht den Vorwurf des Herrn Brandt zu scheuen, Sie würden etwa „anklagende und unverbindliche Reden zum Fenster hinaus" halten, so wie er es in seiner ersten Intervention vor Weihnachten gesagt hat.
    „In Europa nach Helsinki sind der Belastbarkeit der Beziehungen Grenzen gesetzt"; das sagte Herr Brandt. Aber das gilt auch etwa für die Ausweisung unliebsamer Journalisten oder für die belagerungsähnliche Situation an der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin. Diese Grenzen der Belastbarkeit müssen Sie, müssen wir alle deutlich markieren; denn es geht hier um die Wahrheit, es geht um die Klarheit, es geht um wirkliche, um reale Entspannung und nicht um Entspannung als einen vagen ideologischen Begriff.
    Diese Grenzen der Belastbarkeit, Herr Bundeskanzler, lassen sich auch nicht durch die Ankündigung sogenannter neuer Sachbeiträge in Belgrad verwischen. Wir haben Anlaß zu dieser frühzeitigen Warnung, und zwar aus allen Erfahrungen mit der bisherigen Ostpolitik der SPD/FDP-Koalition. Insbesondere haben wir Anlaß dazu durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Brandt zu diesem Thema. Die Ankündigung neuer Verhandlungen und neuer Verträge, die man vielleicht abschließen will, ist kein Alibi für das Ausbleiben realer Ergebnisse aus der bisherigen Politik. Solche Ankündigungen sind auch keine Entschuldigung dafür, daß man um des „Atmosphärischen", wie es immer wieder genannt wird, willen der rauhen Wirklichkeit ausweicht.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Oder mit anderen Worten — um die Worte des Herrn Bundeskanzlers zu benutzen —: das „Prinzip Hoffnung" allein ist kein Ersatz für tatsächliche Menschlichkeit oder für enttäuschte Hoffnungen auf bestehendes Recht und auch kein Ersatz für reale Sicherheit.
    Gerade im Zusammenhang mit den außenpolitischen Aktivitäten des SPD-Parteivorsitzenden hätte der Herr Bundeskanzler etwas mehr zum Problem des sogenannten Eurokommunismus sagen müssen. Herr Brandt hat diesen Begriff „Eurokommunismus", ganz harmlos in seiner Art, genannt,

    (Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    und er hat ihn mit dem Stimmenzuwachs der französischen Sozialisten in Verbindung gesetzt. Eurokommunismus also als Mehrheitsbeschaffer für sozialdemokratische oder sozialistische Parteien! Das ist doch sehr ernst, was hier angekündigt worden ist.
    Herr Brandt kann uns sicher auch sagen, ob Herr Mitterand wirklich auf die angebliche Unabhängigkeit der Kommunistischen Partei Frankreichs vom Kreml baut. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist einmal ausgerechnet worden: Wenn die Kommunistische Partei Frankreichs all ihre Aktivitäten aus Mitgliedsbeiträgen bezahlen würde — so hat es Herr Marchais gesagt —, dann müßte der jährliche Beitrag pro Mitglied um die drei- bis viertausend DM liegen; aber dies glaubt ja wohl kaum einer.
    Wer könnte denn eigentlich, wenn man schon an die Mehrheitsbeschaffertheorie denkt, vergessen, welch kleine Kader genügen, um eine kommunistische Regierungsbeteiligung in eine kommunistische Alleinherrschaft umzuwandeln! Die Tschechen und die Slowaken können uns das, obwohl es nun bald



    Graf Stauffenberg
    30 Jahre her ist, aus sehr lebendiger Erinnerung immer noch sehr deutlich sagen.
    Ich will ein Wort von Herrn Brandt aufgreifen: Mit „Petitessen" dem Eurokommunismus Pari zu bieten, ist einfach lebensgefährlich.
    Die bloße Diskussion über die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit westeuropäischer Kommunistischer Parteien von Moskau führt doch in die Irre. Die Grundmaxime des Kommunismus — östlicher oder westlicher Prägung — werden Sie mit Freundlichkeit, mit Entgegenkommen nicht verändern. Diese Grundmaxime bedeutet: Gewalt gegen Demokratie, Freiheit und Menschlickeit. Wo die Kommunisten diese Grundmaxime aufgeben, sind sie eben keine Kommunisten mehr. Aber wir haben bei keiner westeuropäischen Kommunistischen Partei auch nur den Schimmer einer Aussicht, daß sie sich in dem Sinne „freiheitlich" wandeln wird und damit dem Kommunismus abschwört.
    Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat einen Unterabschnitt seiner Erklärung mit der Überschrift versehen: Lage der Nation. Kollege Werner Marx hat darauf schon hingewiesen. Er hat darauf hingewiesen, daß das nicht nur dürftig war, sondern daß es nicht ein Ersatz für den Bericht zur Lage der Nation im gespalteten Deutschland sein könne, der jährlich, und zwar jeweils im ersten Vierteljahr, vorzulegen ist. Wir erwarten diesen Bericht in hinreichender Ausführlichkeit und Präzision. Herr Bundeskanzler, in den sieben Punkten der Zusammenfassung kommt „Deutschlandpolitik" bei Ihnen überhaupt nicht mehr vor. Oder sollen wir das so verstehen, daß Deutschlandpolitik in der Zwischenzeit zu einem Untertitel von Außenpolitik geworden ist?
    Diese Regierungserklärung verträgt sich so, wie sie da steht und Sie sie gehalten haben, weder mit dem klaren Auftrag aus der gemeinsamen Resolution vom 17. Mai 1972 noch mit dem Grundgesetz, wie es uns das Bundesverfassungsgericht klar in Erinnerung gerufen hat.
    Ich finde in dieser Erklärung nichts über das Deutschland jenseits von Oder und Neiße und das Schicksal unserer Mitbürger dort. Dafür spricht Herr Brandt von „Rücksiedlern", meine Damen und Herren. Bei jenen, die aus ihrer Heimat weg müssen, spricht er von Rücksiedlern. Ich finde, das ist eine zynische Formulierung, um Moskau zu gefallen, und sonst überhaupt nichts.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was tut die Bundesregierung für die Volksgruppenrechte? Was tut die Regierung für die Anwendung der UN-Menschenrechtspakte in der DDR? Was wird sie tun, um unsere Mitbürger gegen den Terror zu schützen, die im Vertrauen auf die Schlußakte von Helsinki die „Ausreise" oder „Ausbürgerung" aus der DDR beantragt haben oder beantragen wollen? Die Praxis der DDR ist nicht nur, wie Sie, Herr Bundeskanzler, es gesagt haben, an der Grenze durch Deutschland ohne Beispiel in Europa, sie ist vielmehr unmenschlich und grausam in allen Landstrichen, die die SED beherrscht. Oder — diese Frage muß ich stellen — reicht der Blick der Bundesregierung für die Nation nicht mehr über die Zonengrenze hinaus?
    Enthält die Regierungserklärung alles, was zu Berlin zu sagen ist?

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Nichts Wesentliches enthält sie darüber!)

    Ich hoffe, daß auch darüber im einzelnen noch zu sprechen ist. Was heißt denn eigentlich diese schon zur Leerformel werdende Floskel, die immer wiederholt wird, nämlich „strikte Einhaltung und volle Anwendung" des Viermächteabkommens? Den Berlinern ist nicht geholfen, wenn man diese Formel ständig wiederholt, sondern sie wollen wissen, was darin enthalten ist und was die Regierung dafür tun will.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wie steht es beispielsweise um die Nationalstiftung und ihren Sitz in Berlin? Auf all diese Fragen und viele mehr erwarten wir Auskunft im Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland. So heißt der Titel: „Lage der Nation im gespaltenen Deutschland", worüber Sie bitte berichten mögen.
    Noch einen anderen Punkt möchte ich aus diesem Unterkapitel Deutschlandpolitik oder „Lage der Nation" ansprechen. Herr Bundeskanzler, Sie sprechen so sehr neutral von Gegensätzen und Unterschieden zwischen den beiden Staaten und Gesellschaftsordnungen. Kann man so erklären, was in Wirklichkeit der bittere Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit, zwischen Demokratie und totalitärer Herrschaft ist? Das kann man doch nicht einfach mit dieser sprachlichen Wohlgefälligkeit übergehen. Herr Bundeskanzler, das ist allenfalls die Sprache eines Maklers, der gewissermaßen über den Parteien steht, am Abschluß des Geschäfts, aber nicht an seinem Inhalt interessiert ist. Das ist nicht die Sprache eines Bundeskanzlers, der die Freiheitsinteressen des ganzen deutschen Volks zu wahren hat.

    (Beifall beider CDU/CSU)

    Wenn man es sich genau anhört und überlegt, so stellt man fest, daß es die Sprache eines Mannes ist, der in Wirklichkeit nichts anderes mehr tut, als sich nicht sehr überzeugend gegen den Alleingeltungsanspruch der SED zur Wehr zu setzen, wenn es da heißt: Die SED möge doch bitte unsere Vorstellungen ebenso ertragen, wie wir ihre Vorstellungen ertragen. Soweit ist es inzwischen mit der Selbstdarstellung der freiheitlichen Bundesrepublik Deutschland schon gekommen!
    Was versteht der Bundeskanzler unter der Formel: Zusammenarbeit unter der gegenseitigen Respektierung von Interessen? Da beginnt doch erst die Problematik. Was sind denn die von Ihnen respektierten Interessen der DDR? Sind es die Interessen der Machthaber oder sind es die Interessen der Menschen dort drüben; denn diese beiden sind nicht identisch, sie stehen in einem unauflöslichen Widerspruch zueinander. Hierzu hätten wir gern eine deutlichere Erklärung.
    Ich möchte noch einen Gedankengang zu dieser Regierungserklärung ausführen. Der Herr Bundes-



    Graf Stauffenberg
    kanzler äußerte sich abfällig über das, was er „lautstarke Sonntagsreden" nannte, und in ähnlichem Sinne — „Reden zum Fenster hinaus" oder ähnlich — äußerte sich Herr Brandt. Dann nahm der Herr Bundeskanzler, nachdem er von Herrn Kohl, von Herrn Strauß wegen seiner unklaren und undeutlichen Sprache angesprochen worden war, vor Weihnachten in einer Intervention das Wort. Wenn es einen roten Faden in dieser Intervention gab, dann war es seine Apologie für die Unklarheit, die Interpretationsfähigkeit und die Unbestimmtheit der Regierungserklärung, also all das, was wir aus der leidvollen Erfahrung mit Herrn Bahr und der Ostpolitik in allen Verhandlungen und Verträgen mit dem Osten kennen: Unklarheit, Interpretationsfähigkeit und Unbestimmtheit. Das versuchte er in seiner Intervention gewissermaßen zur höheren Staatskunst emporzustilisieren.
    Nur an einer Stelle ist der Herr Bundeskanzler sehr konkret geworden. Für das ferne südliche Afrika verlangte er eine Verfassungsänderung, die baldige Verwirklichung der Herrschaft der Mehrheit und gleichzeitig die Sicherung des Schutzes der Minderheit. Ich wäre damit einverstanden; denn wir haben die Politik der Apartheid nie begrüßt oder uns zu eigen gemacht. Es ist nur die Frage, warum dieses deutliche Wort nur an das südliche Afrika gerichtet war. Oder gilt dieser Satz — sagen Sie es bitte —

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Für die Versorgung der Kubaner in Angola mit sowjetischen Waffen!)

    in gleicher Weise etwa für Vietnam, für Laos, für Kambodscha, wo nach der sogenannten Befreiung Hunderttausende von Menschen hingemordet worden sind.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Hier wird immer mit zweierlei Maß gemessen!)

    Wenn der Bundeskanzler über Südafrika spricht, müßte er wenigstens auch über das Schicksal der Menschen in Indochina sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn wir beim direkt vom Grundgesetz vorgeschriebenen Verantwortungsbereich bleiben, stellt sich die Frage, ob der Satz „Herrschaft der Mehrheit und Schutz der Minderheit" auch für die DDR gilt. Wenn das der Fall ist, so fragt es sich, warum Sie es dann nicht sagen. Aber Sie können es ja noch nachholen. Oder sind solche Forderungen für Gebiete tabu, in denen kommunistische Diktaturen ihre Macht bereits etabliert haben? Diese Frage muß hier wirklich gestellt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Gehören die Flüchtlinge, Herr Bundeskanzler, die vor den neuen Machthabern in Angola und Mozambique und vor den kubanischen Bajonetten Zuflucht in Südwestafrika oder in, wie Sie vielleicht sagen werden, Namibia suchen, zu einer Mehrheit oder einer Minderheit in dem von Ihnen gebrauchten Sinn? Und was passiert mit den Flüchtlingen, wenn die „Befreiungsbewegungen" im Sinne so vieler „Befreiungen" nun auch Südwestafrika befreien?
    Werden die dann auch geschützte Minderheit sein oder Teil der herrschenden Mehrheit?

    (Zuruf des Abg. Wohlrabe [CDU/CSU])

    In diesem Zusammenhang gleich eine Frage an den Herrn Außenminister. Herr Minister Genscher, wann sprechen Sie einmal ein ernstes Wort mit Ihren ausländischen Kollegen,

    (Lachen bei der SPD — Zuruf von der FDP: Schulmeister!)

    wann sprechen Sie ein ernstes Wort

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Der Satz geht ja weiter!)

    mit Ihren ausländischen Kollegen über unser Verständnis von Demokratie und Menschenrecht, mit jenen Kollegen, die, man kann nur sagen, in frivolen Resolutionen uns, die Bundesrepublik Deutschland, des Kolonialismus und des Imperialismus und des Rassismus bezichtigen und diese ihre Konferenztätigkeit auch noch immerhin mit den Geldern des deutschen Steuerzahlers finanzieren lassen?

    (Zurufe von der CDU/CSU — Wohlrabe [CDU/CSU] : Das kann der Herr von Wechmar jetzt dauernd im Weltsicherheitsrat klarstellen!)

    In den vergangenen Wochen war viel zu lesen über die Wirkungen der Helsinki-Schlußakte auf die Menschen in den Ostblockstaaten und auf unsere Landsleute jenseits des Eisernen Vorhangs. Manche Redner der Koalition haben die Zeichen des neuen Muts und des Selbstbewußtseins im Ostblock als Beweis für den Erfolg der KSZE gewertet. Aber die Menschen drüben haben nur Mut schöpfen und Zuversicht gewinnen können, weil sie von Helsinki und den Erklärungen dort gehört haben, z. B. auch durch den Deutschlandfunk. Sie haben die Erklärungen nicht als „Sonntagsreden" oder als „Reden zum Fenster hinaus" begriffen und schon gar nicht als „bloßen Formelkram". Der Herr Breschnew — trotz aller seiner Macht — fand es angezeigt und nützlich, seinen Genossen Corvallan feierlich zu empfangen. Er demonstrierte die Solidarität der Kommunisten in aller Welt. Im Gegenzug will der Herr Regierungssprecher Bölling einen Bukowski nicht „überbewerten", wie er in, wie ich meine, unerträglich öliger Weise formuliert hat. Vielleicht wird sich der Herr Breschnew demnächst persönlich bei Herrn Bölling bedanken. Wenn der Herr Bundeskanzler Herrn Bukowski und Herrn Maximow und Herrn Solschenizyn nun empfangen würde, könnte er als westlicher Regierungschef ein Zeichen setzen und erkennbare Solidarität mit den Opfern der Unfreiheit zeigen. Oder fürchten Sie etwa, Herr Bundeskanzler, daß dann die Atmosphäre beim bevorstehenden Besuch des Herrn Breschnew gestört würde?
    Ich sage dies alles, weil Ihnen niemand vorwerfen kann, Herr Bundeskanzler, daß Sie das Wort gering achten; dazu haben Sie in Ihrer Erklärung viel zu viele Worte gemacht. Aber es scheint, daß Sie das klare, das erkennbare, das bestimmte Wort dort fürchten, wo Sie als Vertreter aller Deutschen und der deutschen Freiheit Flagge zeigen müssen.



    Graf Stauffenberg
    Sie haben in Ihrer Regierungserklärung 21/2 Stunden lang geredet. Aber da, wo die Menschen in Deutschland auf Ihr Wort warten, da scheinen Sie die Sprache verloren zu haben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu einigen der Äußerungen, die von seiten der bisherigen drei Oppositionssprecher gemacht worden sind, ein paar Anmerkungen machen. Ich werde mich dabei zunächst den auf Europa bezogenen Ausführungen zuwenden, will aber gleich sagen, daß mir Ausführungen, wie sie zuletzt eben der Abgeordnete Graf Stauffenberg und vorhin der Abgeordnete Marx zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland gemacht haben, willkommenen Anlaß geben, auch die Entwicklung der letzten vier Wochen, die Entwicklung seit dem Dezember zu kommentieren.
    Ich muß noch einmal zurückkommen auf eine Auseinandersetzung, die der Herr Kollege Genscher mit Herrn Abgeordneten von Weizsäcker schon geführt hat. Ich habe mit Ihrer liebenswürdigen Genehmigung, Her Kollege von Weizsäcker, das vorläufige Protokoll dessen, was Sie gesagt haben, erhalten. Sie haben erklärt: Die Regierungserklärung steht, ich wiederhole es, unter dem Zweifel, ob Sie sich überhaupt noch zur Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zu einer Politischen Union bekennen. Herr Genscher hat Ihnen vorgehalten, daß dieses Bekenntnis, das Sie verlangen, nun allerdings ausdrücklich und an sehr prominenter Stelle in der Regierungserklärung enthalten war.
    Sie haben fortgefahren:
    Mit anderen Worten: Wollen Sie ... die Außen- und die Sicherheitspolitik und sodann auch allgemeine Fragen der Innen- und Gesellschaftspolitik zur Sache der Gemeinschaft machen, und zwar um dem wirtschaftlichen Ansatz Europas sowohl zum wirtschaftlichen Erfolg wie auch zur Erreichung des politischen Ziels zu verhelfen?
    Dies alles, Herr Kollege von Weizsäcker, sind der Kategorie nach rhetorische Fragen; der moralischen Bewertung nach sind es Fragen, für die Sie keine Rechtfertigung haben,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    denn nichts haben Sie zu der Zeit, in der Ihre Partei in Bonn regierte, dazu beigetragen, daß etwa allgemeine Fragen der Innen- und Gesellschaftspolitik zur Sache der Gemeinschaft gemacht würden; nichts haben Sie beigetragen zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik; nichts haben Sie erreicht in bezug auf die Durchführung von Volkswahlen in ganz Europa für ein gemeinsames Europäisches Parlament. Das alles sind doch Sachen, die erst wir gemeinsam zustande gebracht haben!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie, Herr Kollege von Weizsäcker, haben in einem
    zentralen Punkt der Regierungserklärung, die in
    diesem Punkte zugegebenerweise nicht von epischer Breite war — das durfte sie auch nicht sein —,

    (Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Sie war ohne Inhalt!)

    in unwahrhaftiger und — ich nenne es so — in unmoralischer Weise argumentiert.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lemmrich [CDU/CSU] : Das haben Sie gerade nötig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Es gibt für die europäische Entwicklung der letzten Jahre zwei entscheidende Kriterien.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Kein falsches Zeugnis ablegen!)

    Das eine ist: Wer bringt wirklich die europäischen Wahlen zustande? Und ich beantworte hier eine Randfrage des Grafen Stauffenberg gleich mit: Allerdings — und so haben wir es doch in der Regierungserklärung gesagt, Graf Stauffenberg — wollen wir eine Bundesliste. — Wer also bringt die europäischen Wahlen zustande? Und das zweite Kriterium ist: Wer hält in dieser Weltwirtschaftskrise seine eigenen Kräfte — nicht nur die materiellen und die finanziellen, auch die politischen, die geistigen, die konzeptionellen Kräfte — bereit und setzt sie zu dem Zwecke gemeinsamen wirtschaftlichen Handelns in Europa ein, damit der wirtschaftliche Kollaps mit unabsehbaren politischen Folgen vermieden werde?
    Eine Randbemerkung an die Adresse des Herrn Kollegen von Weizsäcker: Die finanziellen Rechnungen, die Sie aufgemacht haben, waren nicht korrekt; ich erspare mir der Zeit wegen eine Auseinandersetzung damit. Auf volkswirtschaftlichem Gebiet, auf statistischem Gebiet hatten Sie sich schon einmal geirrt.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Dafür irren Sie sich auf diesem Gebiet sehr oft, nahezu jeden Tag, z. B. bei den Renten!)

    Ich bin aber gern bereit, Ihnen einen Brief zu schreiben und in eine Auseinandersetzung einzutreten.

    (Zuruf des Abg. Lemmrich [CDU/CSU] und weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine verehrten Herren Zwischenrufer von der Opposition, wir würden ja die Rede des Herrn Abgeordneten von Weizsäcker, den wir als Menschen und als Kollegen durchaus schätzen, sehr viel ernster nehmen müssen, wenn innerhalb von drei Viertelstunden ein einziger Ratschlag oder Vorschlag von seiner Seite gekommen wäre.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Herr von Weizsäcker rühmte sich seiner Freundschaft mit dem neuen Präsidenten der Kommission in Brüssel.

    (Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Das habe ich auch nicht getan!)

    — Ich habe es so verstanden. Ich wollte das gerade
    begrüßen. Ich wollte gerade begrüßen, daß Sie ein
    so gutes Verhältnis zu ihm haben; ich habe nämlich



    Bundeskanzler Schmidt
    auch ein gutes Verhältnis zu ihm, schon seit über 20 Jahren.

    (Zuruf des Abg. Dr. Kohl [CDU/CSU] und weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Es wäre doch nichts Schlimmes, wenn Sie ein gutes Verhältnis zum Präsidenten der Kommission hätten. Herr Kohl, das wäre doch gut.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Nein, Sie sollten den Kollegen Weizsäcker nicht falsch zitieren!)

    Aber dies ist wohl kein Punkt, über den wir uns streiten müßten.
    Aber Herr von Weizsäcker hat dann hinzugefügt, wir hätten nicht dabei geholfen, daß der neue Herr Präsident adäquate Kollegen in der Kommission vorfinden würde. Sie haben zwar ein freundliches Wort über die beiden deutschen Kommissare gesagt; aber gleichzeitig haben Sie der Regierung vorgeworfen, daß sie nicht noch bessere entsandt hätte. Nun muß ich Ihnen allerdings sagen: Wir haben im Laufe des letzten Jahres ein bißchen Mühe — ein bißchen viel Mühe — aufgewandt, um diesen — um Ihre Terminologie zu wiederholen, die auch meine schon gewesen war — „erstklassigen Politiker" Jenkins dazu zu bewegen, daß er sich für diese europäische Aufgabe zur Verfügung stellte. Wir erwarten uns einiges davon.
    Nun müssen wir allerdings genauso, wie wir hier im Deutschen Bundestag das Grundgesetz und die Geschäftsordnung zu beachten haben, auch die Spielregeln in der Europäischen Gemeinschaft respektieren. Ressortverteilungen in Brüssel sind Sache des Gremiums dort, nicht unsere Sache. Ihre Bemerkung, wir hätten — wie haben Sie gesagt? — zugelassen,

    (Blumenfeld [CDU/CSU] : Nein, das hat er gar nicht gesagt!)

    daß die beiden deutschen Kommissionsmitglieder in der Presse hier oder dort abgewertet wurden, war keine aufwertende Bemerkung, Herr Kollege.
    Im übrigen ist es ja so, daß in Brüssel genauso wie in Frankfurt, genauso wie in Bonn, aber anders als in Ost-Berlin die Journalisten Gott sei Dank schreiben dürfen, was sie für richtig halten, auch wenn es falsch ist. Sie dürfen sogar etwas schreiben, von dem sie wissen, daß es nicht richtig ist. Das soll auch so bleiben.

    (Blumenfeld [CDU/CSU] : Herr Bundeskanzler, war das die absolute Wahrheit oder die reine Wahrheit oder die volle Wahrheit? — Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Nicht einmal die halbe!)

    Im übrigen finde ich, daß der Herr Kollege von Weizsäcker gestern und vorgestern eigentlich Gelegenheit genug gehabt hat, z. B. mit dem ihm parteipolitisch doch durchaus nicht fernstehenden italienischen Ministerpräsidenten Andreotti und seiner Begleitung über die konzeptionellen, aber auch über die finanziellen und monetären Hilfen zu sprechen, die wir weit über die uns vertraglich auferlegten Pflichten hinaus innerhalb der Europäischen Gemeinschaft europäischen Partnern geben — übrigens ohne daß jemals vorher die christlich-demokratische Opposition in diesem Bundestag eine einzige Anregung in dieser Richtung gegeben hätte. Das haben wir von uns aus gemacht. Wir hören dazu kein Lob; das können wir vielleicht auch nicht verlangen.
    Aber wenn Sie unsere europäische Arbeit so einseitig darstellen, wie Sie es getan haben, Herr von Weizsäcker, wenn Sie gleichzeitig überhören, wenn ein Mann wie Herr Andreotti unsere Kontinuität in diesem Zusammenhang lobt — viele von Ihnen waren dabei, als er es tat; ich will ihn gar nicht vollständig zitieren —, dann müßten Sie sich, finde ich, in Zukunft entscheiden, ob Sie in ein und derselben Rede zugleich als Fachmann, zugleich als Moralist und zugleich als Polemiker auftreten wollen. Sie können das sehr schwer vereinigen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn Sie hier einen einzigen fachlich begründeten Vorschlag vorbrächten — dazu ist ja auch morgen im Rahmen der wirtschaftspolitischen Debatte Gelegenheit; dazu wäre auch heute noch Gelegenheit —, würde ich persönlich den erhobenen moralischen Zeigefinger und auch noch das bißchen Polemik gern in Kauf nehmen.

    (Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Es ging um Ihre Regierungserklärung!)

    Lassen Sie mich eine Bemerkung über Italien anschließen, weil ich mich verpflichtet fühle, dem Parlament einen — wenn auch naturgemäß kurzen — Bericht zu geben über den Gang der Beratungen mit dem italienischen Partner. Wir haben einen breit aufgefächerten Meinungsaustausch über viele gemeinsam interessierende Fragen gehabt, ein bißchen auch über bilaterale Fragen. An diesem Meinungsaustausch waren auch Personen der Opposition durchaus beteiligt. Ich habe das begrüßt.
    Wir haben über die Problematik des Nord-SüdVerhältnisses genauso wie über die Problematik des Ost-West-Verhältnisses gesprochen. Nur der Vollständigkeit halber, weil Kollegen wie eben z. B. Graf Stauffenberg meinen, es müßte bei jeder Gelegenheit wiederholt werden oder es müßte immer wieder neu gefragt werden, wenn es nicht von uns aus initiativ wiederholt wird, wiederhole ich auch diesmal, Herr Kollege Stauffenberg, daß sich der italienische Ministerpräsident, die italienische Regierung, und die deutsche Bundesregierung auch einig waren, was die Fortsetzung der Entspannungspolitik angeht, was das Aufarbeiten der Schlußakte von Helsinki und die Konferenz von Belgrad angeht, die bevorsteht, und zwar auf der Grundlage der Aufrechterhaltung des militärischen Gleichgewichts in Europa, zu dem wir unser Bündnis brauchen, auf der Grundlage der Fortsetzung unserer Verteidigungsfähigkeit durch das gemeinsame Bündnis, dem wir angehören wollen.
    Es wäre sehr schwierig, da hineinzuinterpretieren, daß es zwischen dem christdemokratischen Ministerpräsidenten Italiens und dem sozialdemokratischen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch-



    Bundeskanzler Schmidt
    land Meinungsunterschiede gäbe, Herr Abgeordneter von Weizsäcker. Das wäre sehr schwierig.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU]: Es geht ja gar nicht um Ihren Treff mit Andreotti, sondern um Ihre Regierungserklärung!)

    — Es geht darum, daß doch Erklärungen und Handeln zusammengehören. Sie deklamieren immer nur, aber handeln können Sie leider nicht. Das ist Ihr Pech. Das wurmt Sie, das verstehe ich.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Welch eine billige Ausflucht, zu sagen: mich interessiert nicht, wie die Regierung handelt, mich interessiert nur, was sie geschrieben hat. Welch eine billige Ausflucht! Sie müssen doch beides zusammen nehmen.

    (Dr. von Weizsäcker Das Handeln geschieht auf einem weitgespannten Aktionsfeld. Man kann in Erklärungen und in Reden immer nur einen Teil dessen behandeln. Aber weil Sie in diesem Punkte insistiert haben, antworte ich ja. Der italienische Ministerpräsident, seine Begleitung und die deutsche Bundesregierung haben sich natürlich vor allem anderen mit der wirtschaftlichen Lage beschäftigt — nicht nur der beiden Länder, wobei Italien naturgemäß im Vordergrund stand, sondern der Europäischen Gemeinschaft als ganzer und der weltwirtschaftlichen Lage. Ich brauche Ihnen die Unterschiede von Land zu Land und auch zwischen den beiden Ländern, die gestern und vorgestern hier im Gespräch waren, nicht noch in Erinnerung zu rufen; sie sind Ihnen geläufig. Wir haben uns insbesondere darüber unterhalten, was wir tun können, um zu helfen, um den Kredit des Weltwährungsfonds an Italien zustande zu bringen, um anschließend eine monetäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft zustande zu bringen. Ich muß dem Bundestag auch berichten, daß ich von der Entschiedenheit, von der Entschlossenheit und auch von der innenpolitischen Tapferkeit und Sorgfalt beeindruckt gewesen bin, mit der der italienische Ministerpräsident und seine Regierung unter sehr schwierigen wirtschaftlichen, unter sehr widrigen innenpolitischen Umständen ihr Stabilisierungsprogramm verfolgen, das wir nicht nur im italienischen, sondern auch im gesamteuropäischen und damit auch in unserem eigenen wirtschaftlichen Interesse für sehr wünschenswert halten. Es hat eine sehr weitgehende Übereinstimmung gegeben. Wir haben verabredet, daß ähnlich, wie schon bisher vertraglich fundiert zwischen Paris und Bonn, ebenso — zwar nicht vertraglich, aber durch Übereinstimmung fundiert — zwischen London und Bonn, in Zukunft regelmäßig auch die Regierungen in Rom und in Bonn alljährlich einen sorgfältigen, breiten, bilateralen Kontakt pflegen wollen. Ich hoffe, daß die nächste Sitzung des Europäischen Rats aus Anlaß der 20. Wiederkehr des Abschlusses der Römischen Verträge in Rom zustande kommt, wenngleich unser englischer Freund Calaghan gegenwärtig Ratspräsident ist. Nun hat Graf Stauffenberg gesagt, ich bzw. die Bundesregierung hätte in der Regierungserklärung mehr über den Eurokommunismus sagen sollen. Ich weiß nicht recht, ob dies wirklich die Meinung aller Mitglieder des Hauses ist. Man muß in einer Regierungserklärung ja viele Felder abdecken, und es ist fraglich, wieweit man in einer Regierungserklärung auf die Innenpolitik anderer Staaten, auch wenn sie unsere Verbündeten sind und ein großer Teil von deren Innenpolitik zugleich Innenpolitik Europas ist, eingehen soll. Aber eines ist klar, Herr Graf Stauffenberg: Der Herr Kollege Andreotti und ich waren uns auch einig darin, daß wir es nicht für wünschenswert halten, kommunistische Parteien zu Mitgliedern von Regierungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft werden zu lassen. Das wissen Sie im Grunde auch. Als ich einmal im Laufe des Sommers eine Bemerkung darüber gemacht habe, daß sich die Voraussetzungen für die Vergabe von Krediten an unseren Partner ändern könnten, falls sich die Zusammensetzung der Regierung dort ändern würde, da haben aber Ihre Freunde ein großes Geschrei erhoben und behauptet, das sei unzulässige Einmischung. Das war es nicht! Der Herr Ministerpräsident Andreotti und ich haben übrigens auch über diese Sache in übereinstimmender Weise miteinander gesprochen. Ich will zugleich auch ein Wort über einige Eindrücke sagen, die ich kurz vorher auf Grund eines allerdings nur kurzen Besuches beim König und beim Ministerpräsidenten in Madrid gewonnen habe, eines Besuches, der mir auch Gelegenheit gegeben hat, mit dem führenden Mann der sozialistischen Partei, mit Herrn Gonzales, zu sprechen. Ich muß sagen — ich denke, daß ich damit etwas ausdrücke, was von allen hier im Hause geteilt wird —, daß ich von den tiefgreifenden Veränderungen der innenpolitischen Situation in Spanien innerhalb des letzten Jahres oder — sagen wir es genauer — innerhalb der letzten sechs Monate sehr beeindruckt gewesen bin. Die unter dem Einfluß der spanischen Regierung zustande gebrachte Selbstauflösung der noch unter Franco gewählten Cortes und das — nach Jahrzehnten geschieht dies zum erstenmal — Freimachen des Weges zu freien Wahlen, die ein Parlament zustande bringen, das gleichzeitig Constituante zu sein haben wird, halte ich in der Tat für eine erstaunliche Leistung. Wenige von uns haben dies heute vor einem Jahr erwartet. Es ist klar, daß bis zur Vollendung jenes Prozesses, der in Spanien eine vollständige demokratische Gesellschaftsund Staatsordnung herbeiführen will, noch vieles zu tun bleibt. Wenn dieser Prozeß abgeschlossen ist, wird dann auch der Weg für eine Mitgliedschaft z. B. in der Europäischen Gemeinschaft offen sein. Bundeskanzler Schmidt Ebenso ist deutlich geworden, daß die wirtschaftliche Lage Spaniens sehr schwierig ist, um ein vorsichtiges Wort zu gebrauchen. Ich hatte aber das Gefühl, daß die Bundesregierung im unausgesprochenen Auftrage aller demokratischen Kräfte unseres Landes spricht und handelt — in gleicher Weise gilt dies auch für die Zukunft —, wenn sie zur Unterstützung dieses Demokratisierungsprozesses in Spanien alles, was in ihrer Möglichkeit steht, leistet und beiträgt. In der außenpolitischen Debatte des heutigen Tages ist es auch notwendig und wird es sicherlich von Ihnen gewünscht — Herr Marx hat darauf auch schon eine Bemerkung verwendet —, daß ein Wort über die zukünftige Zusammenarbeit mit der neuen amerikanischen Regierung, mit der neuen Administration unter Präsident Carter, über die Zusammenarbeit auch mit seinem Vizepräsidenten Mondale, seinem Außenminister und seiner ganzen Regierung gesagt wird. Wir haben schon vor längerer Zeit eine durchaus vielfältige persönliche Verbindung zur neuen Administration hergestellt. Herr Mondale und Herr Carter und ich kennen uns nicht erst seit dem amerikanischen Wahltage. Wir sind froh darüber, daß Vizepräsident Mondale uns nächste Woche besuchen wird. Wir sehen diesem Besuch mit großer Erwartung entgegen. Wir sehen überhaupt der Zusammenarbeit mit der neuen amerikanischen Regierung mit großer Erwartung und mit großem Vertrauen entgegen. Ich möchte hier sozusagen in Klammern eine Bemerkung über den Präsidenten, der mit dem morgigen Tage in Amerika aus dem Amt scheidet, und seinen Außenminister machen. Wir haben mit Präsident Ford und seiner Regierung eine sehr gute Zusammenarbeit gehabt. Wir haben in Amerika — wie früher, so auch in den letzten Jahren — auf außenpolitischem Feld, aber auch auf ökonomischem Feld einen hervorragenden und zuverlässigen Partner gehabt. Ich bin ganz sicher, daß dies in der Zusammenarbeit mit Präsident Carter genauso bleiben wird. Es steht uns vielleicht nicht zu, eine bewertende Bemerkung über die innenpolitische Leistung des scheidenden Präsidenten zu machen. Eines will ich hier aber doch sagen. Nach „Watergate" hat es Präsident Ford, wie ich meine, in bemerkenswerter Weise fertiggebracht, in kurzer Zeit das Vertrauen seiner Nation in die Präsidentschaft wiederherzustellen. Damit hat er zugleich auch uns, die wir seine Bündnispartner sind, einen großen Dienst erwiesen. Ich habe nicht die Absicht, die Briefe zu veröffentlichen, die aus Anlaß des Scheidens des einen und des Amtsantritts des anderen zwischen uns gewechselt worden sind. Aber ich darf Ihnen versichern, daß das, was ich soeben ausführen durfte, von unseren amerikanischen Partnern ganz genauso bewertet wird — für die Vergangenheit wie für die Zukunft. Es wird in der Zukunft zwischen uns und der amerikanischen Regierung vornehmlich um die Themen der Fortsetzung der Entspannungspolitik gehen: SALT II, an dem wir natürlich ein existenzielles Interesse haben, ebenso MBFR. Sie wissen, daß Generalsekretär Breschnew gestern in einer Rede in Tula Andeutungen gemacht hat, die möglicherweise gedankliche Ansätze zum Ausdruck bringen sollen, die über SALT II hinausreichen. MBFR gehört dazu oder jedenfalls unmittelbar dahinter. Ich will nicht verschweigen, daß wir auf einem Feld, das vor Jahr und Tag durch den Nonproliferationsvertrag und die zugehörigen Abkommen und Abmachungen endgültig geregelt schien, uns auch in Zukunft mit der amerikanischen Regierung eng zusammensetzen müssen. Es sind Probleme aufgetaucht, die man vor zehn Jahren, als der Nonproliferationsvertrag inauguriert worden ist, nicht so hat kommen sehen. Jedenfalls sind für die Amerikaner Probleme aufgetaucht, die wir ernst zu nehmen haben. Auf der anderen Seite gehen wir in diese Gespräche mit einem sehr guten Gewissen, weil wir unsere Verpflichtungen aus dem Nonproliferationsvertrag erfüllt haben und weil wir auch unsere inzwischen eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen erfüllen wollen. Das andere große Thema mit dem amerikanischen Präsidenten — vielleicht sollte man morgen in der wirtschaftspolitischen Debatte darauf zurückkommen — ist die Koordination der ökonomischen Politik der großen Industriestaaten der Welt. Von diesen großen Industriestaaten — Amerika, hier in Europa und Japan — wird einiges erwartet — nicht nur in der öffentlichen Meinung der übrigen Staaten, sondern auch von den Regierungen der übrigen Staaten. Nur der Vollständigkeit halber will ich einige Anmerkungen zur KSZE machen, über die der Kollege Marx ausführlich gesprochen hat. Herr Abgeordneter Marx, ich glaube nicht, daß Sie recht hatten, als Sie ausführten, die Bundesregierung habe im Zusammenhang mit Helsinki euphorische Reden geführt. Das hat sie nicht getan. — Dann habe ich Sie mißverstanden. Aber auch mein Vorgänger braucht dieses Adjektiv nicht auf sich sitzen zu lassen. Ohne Willy Brandt nämlich — übrigens auch ohne Walter Scheel — wäre es nie zu Helsinki und zu all den Entspannungsschritten gekommen, Herr Abgeordneter Marx. Was Sie bei Ihrer Kritik an dieser Entspannungspolitik immer wieder vergessen machen wollen — und da Ihre Reden hier ja öffentlich gehalten werden, muß darauf noch einmal öffentlich geantwortet werden, auch wenn es schon zum dritten oder zum viertenmal geschieht —, was Sie aber nicht vergessen machen können, ist, daß alles, was auf diesem Feld geschehen ist — z. B. das ganze Paket der Absichtserklärung von Helsinki, der sogenannten Schlußakte — gemeinsam herbeigeführt, erarbeitet, ausgehandelt und unterschrieben worden ist mit allen unseren europäischen und nordamerikanischen Partnern. (Wohlrabe [CDU/CSU] : Dadurch wird es nicht besser!)


    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)


    (Beifall bei der SPD und der FDP)


    (Beifall bei der SPD und der FDP)





    (Beifall bei der SPD und der FDP)


    (Allgemeiner Beifall)


    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Ich habe „euphorisch" im Hinblick auf die Regierungserklärung Ihres Vorgängers gesagt!)


    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Bundeskanzler Schmidt
    Und von denen werden Sie uns durch Ihre Polemik nicht trennen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Gemeinsam mit unseren nordamerikanischen und europäischen Partnern bereiten wir auch die Belgrader Konferenz vor, die ins Haus steht.
    Der Abgeordnete Graf Stauffenberg hat in Aufnahme einiger Bemerkungen des Abgeordneten Marx über den Korb III gesprochen. Ich teile, Herr Abgeordneter, die von Ihnen aus Zeitungen zitierte Meinung, wonach in manchen Staaten manche Äußerungen von Menschen, die anders als ihre Regierungen denken, in der letzten Zeit eine größere Breite und eine größere Öffentlichkeit als früher erfahren haben. Ich teile die Meinung der hier zitierten Zeitungen, daß dies in der Tat eine der von uns aus betrachtet positiven Wirkungen des Korbes III von Helsinki ist. Das ist in der Tat meine Meinung.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Auch der Prinzipien? Die müßten Sie auch dazu nehmen!)

    Ganz sicher ist es ja so, daß niemand behaupten kann — übrigens kann das auch nicht der sowjetische Generalsekretär behaupten; er will das aber auch gar nicht behaupten —, daß nun alles, was an Absichten in Helsinki miteinander festgelegt worden ist, schon verwirklicht sei. Ich komme darauf gleich noch einmal zu sprechen.
    Der Generalsekretär der sowjetischen KP hat gestern die Entschlossenheit der Sowjetunion betont, ihre Entspannungspolitik fortzusetzen. Er hat in einer Rede ausgeführt, Entspannung sei in erster Linie Überwindung des kalten Krieges und Übergang zu normalen stabilen Beziehungen zwischen den Staaten. Sie bedeute Bereitschaft, Streitigkeiten nicht mit Gewalt, nicht mit Drohung und Säbelrasseln zu lösen, sondern mit friedlichen Mitteln am Konferenztisch. Entspannung bedeute ferner ein gewisses Vertrauen und die Fähigkeit, legitime Interessen der jeweils anderen Seite zu berücksichtigen.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Ich stelle mit einer gewissen Genugtuung fest, daß sich hier bemerkenswerte Parallelen zu der Definition von Entspannung finden, wie die Bundesregierung sie in ihrer Erklärung vom 1. Juli letzten Sommers über unsere Beziehungen zur Sowjetunion gegeben hat.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das glaube ich!)

    Und wenn ich den Zwischenruf richtig verstanden habe, der von den Bänken der CDU/CSU gemacht worden ist, als ob Worte eben doch nur Worte seien und tatsächlich nichts bewirkten, dann muß ich Sie wirklich fragen, was anderes denn Sie mit Ihren alternativen Politiken für wirksamer hielten, als miteinander zu reden und miteinander zu verhandeln, als den Verzicht auf Drohung und auf Gewalt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Marx [CDU/CSU] : Der Verzicht auf Drohung und Gewalt stammt von uns! 1954!)

    — Ich bin sehr froh, daß Sie in Erinnerung rufen,
    daß das ein gemeinsam erarbeitetes Konzept ist.
    Dann sollten Sie es heute, wo Sie in der Opposition sind, Herr Kollege Marx, nicht in den Papierkorb werfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Marx [CDU/CSU] : Sie reden an der Sache vorbei!)

    Ich habe der gestrigen Rede des Generalsekretärs Breschnew mit Interesse und Befriedigung auch entnommen, daß er es als eine große und wichtige Aufgabe bezeichnet hat, die Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland und mit anderen europäischen und nichteuropäischen Staaten weiter zu entwickeln. Nach der Debatte von heute vormittag wird es wahrscheinlich auch für die Opposition von Interesse sein, Herr Abgeordneter Marx, daß der Generalsekretär davon gesprochen hat, es sei nötig, alle Bestimmungen der Schlußakte zu erfüllen,

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ist nicht neu! Alle, aber gleichwertig!)

    daß er der Erfüllung aller Bestimmungen große politische Bedeutung beimesse und daß die Verwirklichung der KSZE-Ergebnisse auf einer Reihe von Gebieten erst am Anfang stehe. Ich halte das in der Tat für zutreffend. Helsinki war der Anfang einer neuen Phase in dem, was wir Entspannungspolitik nennen. Niemand hat erwarten können, daß Helsinki mehr hätte sein können als ein Anfang. Wer sich heute enttäuscht gibt, war doch bis zum Tage von Helsinki in Wirklichkeit jemand, der uns dringend abgeraten hat, diesen neuen Anfang zu versuchen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Mir scheint — um diesen Punkt abzuschließen -
    an der Rede des sowjetischen Generalsekretärs von gestern die Offenheit bemerkenswert zu sein, mit der dort von der täglichen Sorge gesprochen wurde, die man sich mache, und von den Schwierigkeiten, die es dabei gebe, alle Bestimmungen der Schlußakte zu erfüllen. Herr Breschnew hat dann noch hinzugefügt, es sei ganz natürlich, daß in einigen Richtungen bisher mehr erreicht worden sei, während in anderen „die notwendigen Maßnahmen allmählich ausgeführt oder erst formuliert werden".