Ich möchte gerne, daß nicht nur der Kollege Brandt, sondern auch seine politischen Freunde nicht nur Sorge äußern, sondern auch ihre Stimme gegen Angriffe erheben, wie sie z. B. auf die tschechoslowakischen Schriftsteller in diesen Tagen erfolgt sind, und zwar nur deshalb, weil sie mit Blick auf die KSZE-Schlußakte ein Interview im deutschen Fernsehen gegeben haben. Wir wehren uns dagegen, wenn Bürgerrechtskämpfer — Herr Kollege Ehmke, das ist eine Schande; Sie stimmen mir hoffentlich zu — als eine „neue Fremdenlegion" bezeichnet
und als „Agentur der westdeutschen Geheimdienste" — das haben wir 1968 schon einmal gehört — diskriminiert werden.
Ich möchte auch wünschen, daß jene Kollegen hier, die oft mit Protest und Demonstration rasch bei der Hand sind, ihre Fähigkeiten auch dann zeigen, wenn Leute wie Ludmilla Alexejewa, Alexander Ginsburg und Jiri Orlow in der Sowjetunion verhaftet und mißhandelt werden. Wenn Sie vorgestern, gestern und heute die Zeitung aufgeschlagen und den Rundfunk gehört haben, ist Ihnen bekannt, daß jetzt — ich nenne nur vier Namen aus unserem Nachbarland — Pawel Kohout, Jiri Hajek , Franti-sek Kriegel (der einstige Chef der Nationalen Front und Mitglied des Politbüros in der CSSR) und Waclav Havel — das sind ja nicht Anhänger unserer politischen Überzeugung; gerade deshalb sage ich es auch in Richtung unserer, wie ich hoffe, in dieser Sache demokratisch miteinander handelnden Kollegen der SPD — eingesperrt werden und man ihnen wegen angeblicher „illegaler Beziehungen" zum Westen den Prozeß macht. Auch das ist eine Antwort auf die KSZE. In unserem Nachbarland Polen gibt es — man höre — ein „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter", — im Arbeiter- und Bauernstaat Volksrepublik Polen! Wir wissen, wie es diesen Leuten im Augenblick geht und daß vorgestern und gestern wieder eine Reihe von ihnen verhört, unter Druck gesetzt und in die Gefängnisse gebracht worden ist, weil sie sich für Arbeiter einsetzen, die es gewagt haben, gegen die exorbitanten Preiserhöhungen zu demonstrieren. Ich wäre dankbar, wenn wir auch in diesem Fall darin einig sein könnten, unseren Einfluß geltend zu machen, damit zumindest das, was auch die polnische Regierung bei der KSZE unterschrieben hat, beachtet wird.
Ich lese, daß eine Persönlichkeit wie Havemann in seiner Wohnung völlig isoliert wird. Ich denke auch an die unzähligen Bürger in der DDR, zum Beispiel an die verhafteten Familien aus Riesa, die verhört, verfolgt, gepeinigt, aus ihrem Beruf und aus ihren Wohnungen hinausgeworfen und sogar ausgebürgert werden. Wort für Wort wird das, was in der KSZE beschlossen worden ist, hier verletzt.
Ich denke, der eine oder andere unter uns hat gestern abend Jiri Pelikan im ZDF gehört. Pelikan war nicht nur Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei der CSSR und Chef des dortigen Fernsehens, sondern früher auch Vorsitzender des kommunistischen Weltstudentenbundes. Hören Sie, was er, der sich noch immer als Kommunisten bezeichnet, gestern abend von Rom aus sagte: Die 300 Tschechen und Slowaken, die das „Manifest 77" unterzeichnet haben, seien Leute aus allen Gruppen, Schichten und Bekenntnissen. Sie würden gefürchtet und verfolgt, weil sie die Wahrheit sagen, weil sie ausdrücken, was die Bevölkerung denkt und will. Pelikan fügte hinzu, daß die Funktionäre um jenen Herrn Husak, der ja nach Bonn eingeladen worden ist, fürchten, daß das Volk das Wort nimmt, um selbst zu entscheiden. Pelikan sagte am Ende — ich zitiere, was ich mitstenographiert habe —, daß der Kampf für die Menschenrechte nicht nur in den Grenzen der CSSR, sondern auch in Polen, in der DDR und sogar in der Sowjetunion wachse.
Seit Solschenizyn und Sacharow, seit Pljuschtsch und Bukowskij — ich nenne nur diese vier Namen stellvertretend für viele Bekannte und auch für viele Namenlose — begonnen haben, eine Bürgerrechtsbewegung zu entwickeln und den ungehemmten Gebrauch und Mißbrauch der Macht in ihrem eigenen Land zu kritisieren, hat die Welt wieder, mit größerer Aufmerksamkeit als in den Jahren vorher, über die Formeln der Entspannungspolitik hinweg, auf und in das Wesen der kommunistischen Diktatur geblickt.