Rede:
ID0800702200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 Inhalt: Begrüßung von Mitgliedern der türkischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates . . . . . . 152 D Nachricht vom Tode des früheren Abg. Freiherr von Kühlmann-Stumm 201 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen im Ältestenrat — Drucksache 8/32 — . . . . . . . . 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 127 B Dr. Ehmke SPD 133 B Dr. Bangemann FDP 140 C Genscher, Bundesminister AA 145 A Dr. Marx CDU/CSU 149 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 159 D Hoppe FDP 167 D Graf Stauffenberg CDU/CSU 171 C Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . 176 A Dr. Kohl CDU/CSU 186 C Leber, Bundesminister BMVg 191 B Dr. Wörner CDU/CSU . . . . 195 D, 197 A Spitzmüller FDP 196 D Möllemann FDP 197 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 201 D Pawelczyk SPD 206 D Jung FDP 212 B Lorenz CDU/CSU 214 D Mattick SPD 218 C Dr. Czaja CDU/CSU 221 B Dr. Kreutzmann SPD . . . . . . . 225 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen — Drucksache 8/35 — . . . . . . . . 166 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Einsetzung von Ausschüssen — Drucksache 8/36 — 166 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament — Drucksache 8/47 — 166 D II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats — Drucksache 8/48 — 167 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksache 8/49 — 167 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 141 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Juni 1975 über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung — Drucksache 8/10 — 167 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Mai 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 8/11 — 167 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit — Drucksache 8/12 — 167 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit) — Drucksache 8/13 — 167 C Nächste Sitzung 227 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 229* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 127 7. Sitzung Bonn, den 19. Januar 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 229* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 20.1. Dr. Aigner * 21. 1. Arendt 21. 1. von Hassel* 19. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) 21. 1. Lücker * 21. 1. Lange * 19. 1. Müller (Mülheim) * 21. t. Richter *** 21. 1. Schulte (Unna) 19. 1. Dr. Schwencke ** 21. 1. Dr. Schwörer * 21. 1. Dr. Staudt 21. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die ersten beiden Reden der Vertreter der Regierungskoalition gehört hat, nämlich die Reden des Kollegen Ehmke und des Kollegen Bangemann, wird, auch wenn er das noch einmal nachliest, sagen müssen, daß sie in ihren wichtigsten Äußerungen miteinander schlechthin unvereinbar sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was von Herrn Bangemann über die Kommunisten gesagt worden ist, möchte ich noch einmal wiederholen und unterstreichen. Er sagte, der Unterschied zwischen den Kommunisten im Osten und im Westen bestehe darin, daß die einen an der Macht sind — und ich füge hinzu: die anderen an die Macht wollen —, daß die einen, die die Macht haben, sie in einer unerträglichen Weise jeden Tag zur Verletzung der von Ihnen selbst unterschriebenen Menschenrechte benutzten, während die anderen die Menschenrechte als eine Formulierung gebrauchen, um auf diese Weise, wie der Fisch im eigenen Wasser, den Versuch zu machen, die Macht zu erreichen.
    Aber wenn die Kommunisten im Westen wirklich für das freie Europa sind und die Freiheit verteidigen, dann sind sie eigentlich keine Kommunisten mehr. Dann können sie sich so nicht nennen, und ich füge auch hinzu, daß die Formulierung Eurokommunismus eine, wie ich glaube, täuschende und tarnende Formulierung ist, weil man mit dem ersten Teil des Wortes, „Euro", den Eindruck erwecken kann, als ob diese Kommunisten in der Substanz, im Innern ihres Wesens, in den Methoden und in den Zielen ihrer Politik etwas qualitativ anderes seien als die Kommunisten im Osten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es gibt natürlich auch den Hinweis — jedermann, hoffe ich, weiß es —, daß viele Kommunisten im Westen nur deshalb leben und arbeiten und agitieren können — der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat gerade eben Portugal angesprochen; ich nenne die kommunistische Partei des Herrn Cunhal —, weil sie in ihren Geldern von der Sowjetunion oder der DDR oder von der CSSR völlig abhängig sind. Von dorther werden sie gespeist. Der alte Satz „Wer das Geld gibt, hat auch etwas zu sagen" gilt auch in den internationalen Beziehungen, in der Wirkung und der Einschätzung der Kommunisten dort.
    Herr Kollege Genscher, Sie haben, ich glaube, mit Recht gesagt, man müsse dem, was man „Eurokommunismus" nennt, den Boden entziehen. Richtig! Aber wenn Sie ihm den Boden entziehen wollen, Herr Kollege Genscher, dann bitten wir Sie doch, auch auf der internationalen Ebene, auch bei Ihren Partnern hier — denn der „Eurokommunismus" hat ja eine schillernde Facette völlig verschiedener Auffassungen — mit dafür zu sorgen, daß es nicht gerade diesen Eurokommunisten gegenüber eine Fülle von direkten oder indirekten Angeboten für künftige Volksfrontpolitik in Europa gibt. Das nenne ich „Boden entziehen".

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Herr Kollege Genscher hat mit etwas Selbstlob zu Europa gesagt — ich nehme jetzt nur ein Beispiel heraus —, man beachte z. B. den europäischen Fonds für die Entwicklungsgebiete, für die



    Dr. Marx
    Problemgebiete. Er sagte, dies sei jetzt erst geschehen. Das ist richtig. Aber Sie wissen alle, daß man natürlich in den 50er Jahren nicht alles, was man als notwendig ansah, auf einmal schaffen konnte. Die Bundesrepublik Deutschland mußte damals die Voraussetzungen in ihrem Inneren schaffen, industriell z. B., um heute in der Lage zu sein — obwohl ich das Wort „heute" nach den Erfahrungen der letzten Woche gar nicht mehr so gern sage; ich beziehe mich lieber auf die Folgen der CDU/CSU-Politik —, um in der Lage zu sein, überhaupt Geld zu haben, das wir für europäische Entwicklung und europäische Problemgebiete gebrauchen können.
    Zweitens, Herr Kollege Genscher, wenn Sie schon, auch in Richtung auf die CDU/CSU, sagen: „Leute, überlegt euch, ob ihr da früher eigentlich nicht richtig mitgemacht habt!", muß ich doch entgegnen: es gab schon im Jahre 1957 Vorschläge dieser Art, denen allerdings, Herr Kollege Genscher, damals — —

    (Bundesminister Genscher: Ich habe mich doch selbst mit gefragt!)

    — Nun gut, dann lassen Sie mich nur sagen, damit das auch für die Öffentlichkeit ganz klar ist, die mithört, daß 1957 Ihre Partei, Herr Kollege Genscher, den Vorschlägen, solche Fonds zu gründen und auf dieser Ebene zu arbeiten, eindeutig widersprochen hat, — Stichwort der damalige Herr Kollege Margulies.
    Zu Ihrer dritten Bemerkung, Herr Kollege Genscher: Sie sprechen uns auf die EPZ an. Ich hätte gewünscht, Sie hätten einmal den Bundeskanzler darauf angesprochen, denn in der richtungweisenden Regierungserklärung steht über die Europäische Politische Zusammenarbeit kein Wort. Insoweit ist, glaube ich, die Stellung der Frage an uns falsch; aber ich will auf Ihre Frage trotzdem unsere Antwort geben.
    Herr Kollege Genscher, wer im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit arbeitet — noch dazu ein Land wie das unsere —, wird großen Wert darauf legen, daß seine eigenen politischen Anschauungen dort einen angemessenen Eingang finden. Ich bin ganz sicher, daß uns dies gelungen wäre. Sie haben das Beispiel der KSZE verwendet. Natürlich, Herr Kollege Genscher, wir hätten auf Grund unserer Skepsis hinsichtlich der vielen, wie ich glaube, rauschhaft erregten Hoffnungen, was man jetzt sehr bald mit der KSZE anfangen könnte, manches erheblich gedämpft.
    Lassen Sie mich noch etwas sagen: Ich finde es bemerkenswert, daß viele europäische Politiker und Staatsmänner, die in den letzten Jahren, z. B. im Jahre 1975, zur KSZE ihre positiven Bemerkungen gemacht haben, dann, wenn man mit ihnen allein spricht, ihre Sorge und ihre Skepsis sehr ausführlich darstellen. Ich finde, es gibt einen bemerkenswerten Widerspruch zwischen öffentlicher Darstellung und persönlichem Bekenntnis.
    Und es gibt auch eine Reihe Europäer, die nach Genf und dann nach Helsinki gegangen sind, die dort eigentlich ziemlich lustlos unterschrieben haben.
    Aber derjenige, der unterschrieben hat, fühlt sich natürlich hinterher genötigt, seine Unterschrift durch möglichst hoffnungsfrohe Sonntagsreden zu untermauern und zu begründen. Das ist eine ganz eindeutige Sache.
    Ich möchte im Zusammenhang mit dem, was ich weiterhin ausführen will, natürlich auf die KSZE und auf das, was wir heute von ihr ganz konkret in der DDR und in Osteuropa vorfinden, zu sprechen kommen.
    Zunächst aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige generelle Bemerkungen machen. Die geschichtliche, die geographische und die politische Lage der Bundesrepublik Deutschland macht in der Außenpolitik Kontinuität nötig. Kontinuität heißt, daß wir eine außenpolitische Linie der Stetigkeit und Verläßlichkeit wollen und brauchen. Wir brauchen sie für uns selbst, aber auch unsere Partner in Europa und in der Welt sollen deutsche Politik als verläßlich und als berechenbar erkennen. Kontinuität heißt, daß dieser freie Teil des deutschen Vaterlandes, der im Herzen Europas liegt und der mehr Nachbarn hat als fast jeder andere Staat der Welt, in einem festen geschichtlichen Bezug und Zusammenhang leben muß, damit er überhaupt in der Lage ist, seine obersten Interessen zu wahren. Meine Damen und Herren, unsere obersten Interessen sind die Freiheit unseres Landes und seiner Menschen, der Friede im Inneren, an unseren Grenzen und gegenüber unseren Nachbarn, die Erhaltung der einen deutschen Nation trotz der tiefen Spaltung.
    Sicher hat der Herr Bundeskanzler den Bruch der Kontinuität in der deutschen Außenpolitik, wie er im Jahre 1969 vollzogen worden ist, bei seiner Rede hier in Erinnerung gehabt. Er hat trotzdem so wie bei seiner ersten Regierungserklärung von der notwendigen Kontinuität gesprochen, und er versichert, daß wegen dieser Kontinuität die Entspannungspolitik fortgesetzt werden müsse.
    Das, meine Damen und Herren, ist nun allerdings ein wichtiger Punkt, der genauer Aufklärung und Diskussion bedarf, Denn offensichtlich gibt es zwischen Ihnen, Herr Bundeskanzler, vor allem aber Ihrer Partei, und uns nach wie vor unterschiedliche Auffassungen über den konkreten Inhalt der Entspannung, und es gibt wohl auch tiefe und grundsätzliche Unterschiede im Urteil darüber, was die bisherige Entspannungspolitik, für die Sie Kontinuität wünschen, eigentlich bewirkt hat.
    Was Sie, Herr Bundeskanzler, darüber hinaus über Ihr künftiges politisches Handeln in der Deutschland- und Außenpolitik sagen, ist doch sehr blaß und hält sich in allgemeinen Wendungen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Die entschiedene Stellungnahme, die klare Aussage, das unmißverständliche Urteil sucht man vergebens in Ihrer Regierungserklärung. Ich füge hinzu: Es mangelt überhaupt an jedem Versuch, in die Tiefe der Probleme vorzudringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Daher, meine Damen und Herren, erkläre ich, daß wir ganz unzufrieden sind mit den Redewendungen



    Dr. Marx
    des Bundeskanzlers über das Ost-West-Verhältnis insgesamt und über das, was er hinsichtlich Umfang, Bedeutung, Wirkung und Gefahr der wachsenden sowjetischen Rüstung nur andeutet und nicht einmal wirklich ausführt.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben wenig Konkretes angeboten über die Perspektiven der Europapolitik — das haben wir eben besprochen —, über den bisherigen Stand der Abreden von Helsinki, über die Abrüstungsproblematik, über den bevorstehenden Besuch von Breschnew und über unsere künftige Politik als Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.
    Besonders irritierend war jener Teil der Erklärung des Bundeskanzlers, der mit „Lage der Nation" überschrieben war. Er kann natürlich nicht ein Ersatz sein für den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation im gespalteten Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir erwarten, um dies hier gleich einzufügen, diesen Bericht der Bundesregierung in allernächster Zeit. Wir wollen auf jeden Fall — sagen wir: im späten Frühjahr — ausführlich über alle Probleme, die uns im innerdeutschen Verhältnis betreffen und belasten, an Hand einer ausführlichen Darstellung des zuständigen Ministers debattieren. Dafür brauchen wir hier genügend Zeit und eine Vorlage, die die Bezeichnung „Bericht zur Lage der Nation im gespalteten Deutschland" auch verdient.
    Herr Bundeskanzler, sollten Sie hierzu entgegen der Übung des Hauses und gegen die — einem Antrag der SPD entstammende — gesetzliche Verpflichtung nicht bereit sein, so will ich Ihnen schon heute namens der Union die alsbaldige Einbringung einer Großen Anfrage zu innerdeutschen und Berliner Problemen ankündigen, damit auf diese Weise die Gelegenheit geschaffen wird, hier die notwendige öffentliche Debatte zu führen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn Historiker späterer Zeiten die Regierungserklärungen der letzten sieben Jahre miteinander vergleichen, um auch in diesen Dokumenten das Schicksal z. B. der Entspannungspolitik abzulesen und nachzuzeichnen, dann wird ihnen nicht nur der qualitative Unterschied in Ausdruck und Inhalt z. B. zwischen 1969 und heute auffallen, sondern auch die Tatsache, daß trotz unserer, der Deutschen, weitgehenden Leistungen und Opfer in Verfolg der sogenannten Entspannungspolitik die wichtigen, die uns so sehr bedrükkenden, drängenden Probleme in Europa und in Deutschland geblieben sind. Sie sind vorübergehend gemildert worden — ja; aber sie haben sich jetzt nach den Verträgen erneut verschärft.
    Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich an das Jahr 1969. Der hochfahrende Ton, der frenetische, oft euphorische und übersteigerte Jubel und und Glaube, daß durch deutsche Vorleistungen der Durchbruch in den Beziehungen zum Osten endlich erzielt werden könne, daß es jetzt gelinge, vom Gegeneinander — welches ja nicht wir erfunden und wir nie gewollt haben, auch heute nicht wollen —, von dem von der anderen Seite gewollten Gegeneinander zu einem Miteinander in Ost und West überzugehen, dieser Jubel ist längst verraucht und vorbei.
    Die Regierungserklärung des Kanzlers Schmidt macht deutlich, daß dem frohgemuten Ruf seines Vorgängers — Herr Kollege Kiesinger, er sagte es damals in Richtung auf die vorhergehende Politik der Großen Koalition — „Jetzt fangen wir erst richtig an!" jetzt eine durchaus deprimierte Stimmung gefolgt ist. Zu viele Rückschläge haben die Ansicht verstärkt, daß man mit gutem Zureden die Methoden und Ziele kommunistischer Politik wirklich nicht ändern kann.
    Meine Damen und Herren, die Vorstellungen Moskaus — nicht nur die seiner Ostberliner Hilfsschüler — sind auf eine Niederlage der freien Welt, auf die Kapitulation ihrer inneren Ordnung und ihrer äußeren Haltung gerichtet. Es ist falsch, zu glauben, daß die sich häufenden Störungen im Verhältnis Ost-Berlins zu uns Ausdruck einer Laune sogenannter Falken oder Heißsporne in der SED-Führung seien. Es handelt sich überhaupt nicht um isolierte Maßnahmen der DDR, wenn etwa Minenfelder erneuert oder sogenannte Grenzsicherungsanlagen vertieft werden, wenn raffinierte Selbstschußanlagen installiert werden, wenn man Journalisten schikaniert und hinauswirft und die Bonner Ständige Vertretung in Ost-Berlin durch Posten mit und ohne Uniform abschnürt. Die DDR, meine Damen und Herren, ist nach meiner festen Überzeugung und nach allem, was wir aus unverfänglichen Dokumenten wissen, zwar immer der sichtbar Handelnde, aber jede Maßnahme, jede Provokation, die sie vornimmt, ist ihr vorgeschrieben. In Sachen West- und Deutschlandpolitik, in den Dingen um Berlin zumal, gibt es für die SED keinen Spielraum. Die sowjetische Führung behält sich die Anordnung aller Maßnahmen vor. Zwischen ihr und der DDR herrscht eben nicht ein Verhältnis der freien Absprache, sondern des Befehlens und Gehorchens.
    Meine Damen und Herren, es ist ja bis zum heutigen Tage so — ich muß daran erinnern —, daß in Verwaltung und sozialistischer Wirtschaft, in Armee und Polizei, in Partei- und Staatsapparat drüben die sowjetischen Ratgeber und Aufpasser das gesamte jeweilige Aktionsnetz kontrollieren. Sie sind es doch, die die Weisungen geben und die die Wirkungen überprüfen. Sie formen auch die personellen Entscheidungen. Und hinter ihnen steht — meine Damen und Herren, auch das sollte niemand vergessen — nicht nur die Wirkung der sowjetischen Regierung, sondern im Lande, im deutschen Lande, in der DDR stehen 20 sowjetische Garde- und Elitedivisionen mit einem ganz eindeutigen, klaren Auftrag. Die Zahl nicht nur der Divisionen, sondern der in der DDR lebenden und gerüsteten Soldaten ist weit höher als die Zahl der Soldaten in der Bundeswehr.
    Meine Damen und Herren, über die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Sowjetunion und der DDR im Zeitalter der, wie ich glaube, ziemlich falsch



    Dr. Marx
    verstandenen Entspannung hätten wir vom Bundeskanzler gern mehr gehört. Mehr z. B. darüber, wie er die konsequent weitergeführte Amalgamierung, Einschmelzung der DDR in den Verband der UdSSR, beurteilt. Und, Herr Bundeskanzler, mehr darüber, ob Sie sich Rechenschaft abgelegt haben, daß — trotz aller ohnehin schon engen Bindungen und Verbindungen — seit dem Freundschaftsvertrag — meine Damen und Herren, ich bitte Sie alle, das ganze Haus, dies einmal nachzulesen — zwischen der DDR und der Sowjetunion vom 7. Oktober 1975 die Abhängigkeit der DDR zu einer vollständigen wurde.
    Meine verehrten Damen und Herren, ich muß leider sagen — ich habe es hier schon einmal gesagt; ich weiß genau, welche Dimensionen das hat —: Es wurde auch in den bisherigen wirtschaftlichen Verhandlungen zwischen beiden Teilen in der sozialistischen Welt darauf hingearbeitet, die DDR eines Tages zu einer Provinz der UdSSR zu machen. Das befürchte ich. Herr Bundeskanzler, Sie schweigen darüber, obwohl ich doch überzeugt bin, daß Ihre Experten Ihnen gerade über diesen Europa und Deutschland zutiefst beeinflussenden Vorgang die notwendigen Materialien und Analysen bereitgestellt haben.
    Sie schweigen leider auch über entscheidende, gerade in diesen Tagen vorgenommene Menschenrechtsverletzungen im anderen Teil Deutschlands. Selbst die kommunistischen Parteien im Westen, die wir soeben genannt haben, reagieren darauf. Meine Damen und Herren, warum gibt es in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers kein Wort über das brutale Vorgehen gegen Ausreisewillige, gegen Regimekritiker, gegen Leute, die sich auf die Charta der Vereinten Nationen berufen, gegen Leute, meine Damen und Herren, die sich auf die Menschenrechts-Pakte, die übrigens auch von der DDR ratifiziert sind, und auf die Schlußakte von Helsinki berufen? Herr Kollege Genscher, dies ist ein Stück Antwort. Wir sind uns, glaube ich, wenn Sie das auch nicht so offen sagen, doch im Innern einig darüber, daß diejenigen, die sich auf die Schlußakte der KSZE berufen, jetzt in der schlimmsten Weise bestraft werden, weil sie das tun. Und ich habe das vom Fernsehen am 1. August 1975 ausgestrahlte Bild noch vor mir, wo Herr Honecker, neben Herrn Schmidt sitzend, diese Schlußakte feierlich unterschrieben hat. Wir alle haben noch die damals gehaltenen Reden und Fernseh- und Rundfunkinterviews im Ohr. Ich muß fragen: Was ist daraus geworden in einer totalitären Diktatur, die mit allem, wessen sie fähig ist, das Unterschriebene, das mit uns Unterschriebene, das mit uns gemeinsam verpflichtend Unterschriebene mißachtet, verhöhnt und ständig verletzt?
    Die CDU/CSU hat, nachdem man sich in der KSZE einigte, etwas gesagt, was sie auch zu den Verträgen gesagt hat. Sie hat gesagt: Wir haben die Begründung für unseren Widerstand vorgetragen; internationale Verabredungen, Abkommen und moralisch-politische Absichtserklärungen sind aber, wenn sie unterzeichnet worden sind, für eine demokratische Partei bindend. Meine Damen und
    Herren, richten Sie jenen Vorwurf, den Sie uns gegenüber immer erheben, doch einmal an Ihre Partner, mit denen Sie dies alles ausgehandelt haben. Die Partner sollten sich an das halten, was ausgehandelt wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Vor wenigen Tagen ist in den sogenannten „Mitteilungen für die Presse" der SPD ein Kommuniqué zu lesen gewesen, dem zu entnehmen ist, daß sich der Kollege Brandt auf einer Sitzung des Vorstandes seiner Partei in aller Kürze über die Kampagne gegen Intellektuelle und Regimekritiker in Osteuropa „besorgt" gezeigt hat. Ich möchte ihn zitieren. Er sagte — dies war für mich ein neues Muster in seiner vernebelnden Sprache —, man sei besorgt über widersprüchliche Entwicklungen. Was meint er damit eigentlich? Meine Damen und Herren, wenn aus dem Munde des Kollegen Willy Brandt einmal Sorge in dieser Richtung ertönt, wird man gewiß aufmerken. Mancher unter uns
    — auch ich — wird gedacht haben: Spät kommt er, aber er kommt. — Meine Damen und Herren, allein Sorge zu äußern, genügt aber nicht. „Sorge" ist im Hinblick auf das, was sich dort im Augenblick abspielt, ein vergleichsweise mildes Wort, um die Gefühle auszudrücken, die viele der Betroffenen und viele unserer eigenen Landsleute täglich haben, wenn sie lesen, sehen oder hören, wie bösartig jene schikaniert werden, die sich
    — immer streng im Rahmen ihrer eigenen Gesetze — für die Verwirklichung jener Verabredungen aussprechen, die mit uns unterschrieben wurden.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Ihre markigen Sprüche werden das ändern!)

    — Ich möchte diesen Zwischenruf wiederholen, damit ihn alle hören. Der Zwischenruf lautete, ob ich denn glaubte, daß meine Sprüche das änderten.

    (Zuruf von der SPD: Die m a r k i g en Sprüche!)

    Meine Damen und Herren, dies sind keine Sprüche. Ich versuche vielmehr — zugegeben, auf meine Weise — mit dem ernst zu machen, was wir hier in zwei sehr gründlichen Debatten — ich gehe davon aus, daß jeder in diesen Debatten seine Meinung ganz offen sagte — über die KSZE miteinander gesagt haben. Ich bleibe bei jedem Wort, das unsere Fraktion gesagt hat. Mein Wunsch, Herr Wolfram, an Sie ist, daß auch Sie bei dem, was damals gesagt worden ist, bleiben und sich mit ähnlicher Energie, wie Sie es hier tun, an Ihre Partner drüben wenden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kempen] [SPD] : Was haben Sie denn dabei erreicht?)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter Marx, gestatten Sie eine Unterbrechung.
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne haben Mitglieder der türkischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Euro-



Vizepräsident Stücklen
parates unter Leitung ihres Sprechers, des Abgeordneten Cemal Kühlâhli, Platz genommen.

(Allgemeiner Beifall)

Verehrte türkische Kollegen, ich möchte Sie herzlich begrüßen. Ich freue mich, daß mit Ihrem Besuch unsere guten Beziehungen zur Türkei ebenso wie zum Europarat auch auf parlamentarischer Ebene weiter vertieft werden. Ich heiße Sie nochmals herzlich willkommen und wünsche Ihnen einen recht angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, in Ihren Ausführungen fortzufahren.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich möchte gerne, daß nicht nur der Kollege Brandt, sondern auch seine politischen Freunde nicht nur Sorge äußern, sondern auch ihre Stimme gegen Angriffe erheben, wie sie z. B. auf die tschechoslowakischen Schriftsteller in diesen Tagen erfolgt sind, und zwar nur deshalb, weil sie mit Blick auf die KSZE-Schlußakte ein Interview im deutschen Fernsehen gegeben haben. Wir wehren uns dagegen, wenn Bürgerrechtskämpfer — Herr Kollege Ehmke, das ist eine Schande; Sie stimmen mir hoffentlich zu — als eine „neue Fremdenlegion" bezeichnet

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    und als „Agentur der westdeutschen Geheimdienste" — das haben wir 1968 schon einmal gehört — diskriminiert werden.
    Ich möchte auch wünschen, daß jene Kollegen hier, die oft mit Protest und Demonstration rasch bei der Hand sind, ihre Fähigkeiten auch dann zeigen, wenn Leute wie Ludmilla Alexejewa, Alexander Ginsburg und Jiri Orlow in der Sowjetunion verhaftet und mißhandelt werden. Wenn Sie vorgestern, gestern und heute die Zeitung aufgeschlagen und den Rundfunk gehört haben, ist Ihnen bekannt, daß jetzt — ich nenne nur vier Namen aus unserem Nachbarland — Pawel Kohout, Jiri Hajek (der Außenminister von Dubcek), Franti-sek Kriegel (der einstige Chef der Nationalen Front und Mitglied des Politbüros in der CSSR) und Waclav Havel — das sind ja nicht Anhänger unserer politischen Überzeugung; gerade deshalb sage ich es auch in Richtung unserer, wie ich hoffe, in dieser Sache demokratisch miteinander handelnden Kollegen der SPD — eingesperrt werden und man ihnen wegen angeblicher „illegaler Beziehungen" zum Westen den Prozeß macht. Auch das ist eine Antwort auf die KSZE. In unserem Nachbarland Polen gibt es — man höre — ein „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter", — im Arbeiter- und Bauernstaat Volksrepublik Polen! Wir wissen, wie es diesen Leuten im Augenblick geht und daß vorgestern und gestern wieder eine Reihe von ihnen verhört, unter Druck gesetzt und in die Gefängnisse gebracht worden ist, weil sie sich für Arbeiter einsetzen, die es gewagt haben, gegen die exorbitanten Preiserhöhungen zu demonstrieren. Ich wäre dankbar, wenn wir auch in diesem Fall darin einig sein könnten, unseren Einfluß geltend zu machen, damit zumindest das, was auch die polnische Regierung bei der KSZE unterschrieben hat, beachtet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich lese, daß eine Persönlichkeit wie Havemann in seiner Wohnung völlig isoliert wird. Ich denke auch an die unzähligen Bürger in der DDR, zum Beispiel an die verhafteten Familien aus Riesa, die verhört, verfolgt, gepeinigt, aus ihrem Beruf und aus ihren Wohnungen hinausgeworfen und sogar ausgebürgert werden. Wort für Wort wird das, was in der KSZE beschlossen worden ist, hier verletzt.
    Ich denke, der eine oder andere unter uns hat gestern abend Jiri Pelikan im ZDF gehört. Pelikan war nicht nur Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei der CSSR und Chef des dortigen Fernsehens, sondern früher auch Vorsitzender des kommunistischen Weltstudentenbundes. Hören Sie, was er, der sich noch immer als Kommunisten bezeichnet, gestern abend von Rom aus sagte: Die 300 Tschechen und Slowaken, die das „Manifest 77" unterzeichnet haben, seien Leute aus allen Gruppen, Schichten und Bekenntnissen. Sie würden gefürchtet und verfolgt, weil sie die Wahrheit sagen, weil sie ausdrücken, was die Bevölkerung denkt und will. Pelikan fügte hinzu, daß die Funktionäre um jenen Herrn Husak, der ja nach Bonn eingeladen worden ist, fürchten, daß das Volk das Wort nimmt, um selbst zu entscheiden. Pelikan sagte am Ende — ich zitiere, was ich mitstenographiert habe —, daß der Kampf für die Menschenrechte nicht nur in den Grenzen der CSSR, sondern auch in Polen, in der DDR und sogar in der Sowjetunion wachse.
    Seit Solschenizyn und Sacharow, seit Pljuschtsch und Bukowskij — ich nenne nur diese vier Namen stellvertretend für viele Bekannte und auch für viele Namenlose — begonnen haben, eine Bürgerrechtsbewegung zu entwickeln und den ungehemmten Gebrauch und Mißbrauch der Macht in ihrem eigenen Land zu kritisieren, hat die Welt wieder, mit größerer Aufmerksamkeit als in den Jahren vorher, über die Formeln der Entspannungspolitik hinweg, auf und in das Wesen der kommunistischen Diktatur geblickt.