Rede:
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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8007

  • date_rangeDatum: 19. Januar 1977

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    Plenarprotokoll 8/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 Inhalt: Begrüßung von Mitgliedern der türkischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates . . . . . . 152 D Nachricht vom Tode des früheren Abg. Freiherr von Kühlmann-Stumm 201 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen im Ältestenrat — Drucksache 8/32 — . . . . . . . . 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 127 B Dr. Ehmke SPD 133 B Dr. Bangemann FDP 140 C Genscher, Bundesminister AA 145 A Dr. Marx CDU/CSU 149 B Friedrich (Würzburg) SPD . . . . . . 159 D Hoppe FDP 167 D Graf Stauffenberg CDU/CSU 171 C Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . 176 A Dr. Kohl CDU/CSU 186 C Leber, Bundesminister BMVg 191 B Dr. Wörner CDU/CSU . . . . 195 D, 197 A Spitzmüller FDP 196 D Möllemann FDP 197 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 201 D Pawelczyk SPD 206 D Jung FDP 212 B Lorenz CDU/CSU 214 D Mattick SPD 218 C Dr. Czaja CDU/CSU 221 B Dr. Kreutzmann SPD . . . . . . . 225 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen — Drucksache 8/35 — . . . . . . . . 166 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Einsetzung von Ausschüssen — Drucksache 8/36 — 166 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament — Drucksache 8/47 — 166 D II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats — Drucksache 8/48 — 167 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksache 8/49 — 167 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 141 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Juni 1975 über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung — Drucksache 8/10 — 167 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Mai 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 8/11 — 167 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit — Drucksache 8/12 — 167 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit) — Drucksache 8/13 — 167 C Nächste Sitzung 227 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 229* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 127 7. Sitzung Bonn, den 19. Januar 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Januar 1977 229* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 20.1. Dr. Aigner * 21. 1. Arendt 21. 1. von Hassel* 19. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) 21. 1. Lücker * 21. 1. Lange * 19. 1. Müller (Mülheim) * 21. t. Richter *** 21. 1. Schulte (Unna) 19. 1. Dr. Schwencke ** 21. 1. Dr. Schwörer * 21. 1. Dr. Staudt 21. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard von Weizsäcker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Abgeordneter Corterier, ist Ihnen wirklich entgangen, daß die Grundlage einer vierjährigen Tätigkeit von Koalition und Opposition zunächst durch die Regierungserklärung gegeben wird? Dies ist das Nachschlagewerk, bei dem sich jedermann innerhalb und außerhalb dieses Landes davon zu überzeugen hat, was die Regierung will und was sie für vernachlässigenswert hält. Daß diese Ihre Regierung kein Wort über den Tindemans-Bericht sagt, spricht wahrlich Bände für Freunde und für Feinde der europäischen Bewegung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Natürlich kann sich eine Regierungserklärung selbst dann, wenn sie zweieinhalb Stunden dauert, nicht mit jeder Frage befassen. Aber wenn eine Regierungserklärung den Mut aufbringt, hier mitzuteilen, sie sei dafür, daß die Bundesbahn erhalten bleibt, dann könnte sie auch einige Sätze darüber sagen, daß der Bericht von Leo Tindemans ganz obenan auf der außen- und europapolitischen Tagesordnung steht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Es läßt sich eben der Verdacht nicht unterdrücken, daß die Tatsache, daß die Regierung eine Erwähnung unterlassen hat, mit bestimmten, sich leise einschleichenden Absichten zusammenhängen könn-



    Dr. von Weizsäcker
    te. Heute und hier ist der Platz, solchen Verdächten entgegenzutreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auf viele andere bedeutsame Fragen kann ich nicht eingehen. Ich nenne nur die Entwicklung der Steuern in Europa, die hochbedeutsame Rohstoffpolitik, die GATT-Verhandlungen und das große und schwierige Kapitel der Agrarpolitik. Wir werden auf dies alles bald und gründlich und von unserer Seite aus auch mit eigenen Initiativen zurückkommen. Sie werden in der Fraktion der CDU/CSU eine Zusammenarbeit für jede Politik finden, die in der Perspektive der Europäischen Union liegt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Heute möchte ich nur noch auf ein Gebiet eingehen, welches die, wie ich meine, bedeutungsvollste Veränderung des europäischen Klimas mit sich bringen wird; ich meine die bevorstehende Direktwahl zum Europäischen Parlament. Wir haben in den Unionsparteien stets mit besonderem Nachdruck auf das Zustandekommen dieser Wahlen hingewirkt; denn Europa ist für uns nicht die Folge davon, daß wir zufällig geographisch zusammengesperrt sind, sondern es handelt sich um die Gemeinschaft der freien und der demokratisch verfaßten Völker. Das heißt eben, Europa ist Sache des Bürgers selbst, seines eigenen Interesses und seiner eigenen Entscheidung in direkten Wahlen.
    Diese Wahlen bringen den politischen Parteien eine große Chance und eine nicht minder große Verantwortung.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Die Parteien haben die Chance, die die europäischen Diplomaten, Räte und Kommissionen nicht haben, nämlich der Bevölkerung im Wettbewerb um die Stimmen mit bekannten politischen Kandidaten die Aufgaben und die Ziele Europas besser als bisher verständlich zu machen. Es wird grenzüberschreitende und damit grenzüberwindende Wahlprogramme und Wahlkundgebungen geben. Damit wird endlich deutlich, daß wir in Europa wirklich in einem Boot sitzen.
    Gewiß, das Europäische Parlament wird damit noch nicht sofort weitere Befugnisse haben. Die nationale Eigenart und Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten wird nicht verschwinden; sie wird auch im Wahlkampf mit dem notwendigen nachbarlichen Takt zu versehen sein, die Nachbarn werden in ihren Gefühlen zu respektieren sein. Dennoch ist das Entscheidende: Durch diese Wahl wird für jedermann der spürbare Anfang für die europäische Innenpolitik gesetzt. Die Verantwortung der Parteien wird es sein, die Gegensätze untereinander hart auszufechten und doch nicht aus dem Auge zu verlieren, was eine Partei ist, nämlich ein Teil des Ganzen.
    Das Ganze aber ist das freie Europa. Die Freiheit verantwortlich zu nutzen, sie friedlich zu wahren, das waren die Grundgedanken der Römischen Verträge, deren Unterzeichnung sich in wenigen Wochen zum zwanzigsten Mal jährt. So ist es seither geblieben, und so muß es die Leitlinie für die Zukunft sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Freiheit gehört nicht einer Partei allein. Europa muß für jede Partei Platz haben, — —

    (Demonstrativer Beifall bei der SPD und der FDP)

    — Sie werden gleich noch mehr Gelegenheit bekommen, zu klatschen, wo es wichtiger wäre.

    (Lachen und Zurufe von der SPD)

    — Ich wiederhole: Die Freiheit gehört nicht einer Partei allein. Europa muß für jede Partei Platz haben,

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP)

    die dieser Freiheit verpflichtet ist. Aber eben deshalb kann es auch keine taktischen und keine historischen Kompromisse mit den Feinden der Freiheit geben, auch nicht in der Volksfront.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei der SPD)

    Wir werden uns gegenseitig keine billigen Vorwürfe für die Verhältnisse in anderen Mitgliedsländern der Gemeinschaft zu machen haben. Wie die Völker Europas, so haben auch ihre Parteien ihre nationalen Eigenarten. Und die europäischen Parteiengruppierungen stehen hier noch vor Neuland. Ich bedaure es, daß unser Freund von Hassel heute hier nicht nähere Ausführungen dazu machen kann, weil er heute in einem solchen Dienste tätig ist: im Exekutivausschuß der Europäischen Volkspartei bei Leo Tindemans in Brüssel.
    Aber trotz dieser Probleme wird sich eben keiner auf leisen Sohlen aus der Verantwortung stehlen können. Und dazu gehört die Stellungnahme zu Eurokommunismus und Volksfront. Es bezweifelt ja niemand, daß es kommunistische Parteien gibt, welche die nationalen Interessen ihres Landes in einer Weise vertreten, die sie in Gegensatz zu kommunistischen Führungen anderer Länder bringen kann. Jugoslawien ist dafür ein Beispiel. Und wenn die Kommunistische Partei Italiens erklärt, sie fühle sich in der NATO sicherer als außerhalb — ja, warum sollen wir ihr das nicht glauben? Nur, es ist eben nicht Sache der NATO, einer solchen Partei das Gefühl zu geben, als sei es der Zweck des Bündnisses, in seinen Mitgliedsländern den kommunistischen Parteien den äußeren Schutz dafür zu verschaffen, daß sie mittlerweile im Inneren ihre Gesellschaften nach ihrem Programm revolutionieren können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was die Demokratisierung und die Einhaltung der Spielregeln der eurokommunistischen Parteien betrifft, so möchte ich mich heute darauf beschränken, einen in diesem Hause schon mehrfach zitierten Kenner der Materie sprechen zu lassen. Ich meine Professor Michail Voslenskij. Er schrieb noch im November 1976 in der „Zeit" zum Thema Eurokommunismus — ich darf zitieren, Herr Präsident — das folgende:
    Ist alles also doch nur Taktik? Der Begriff „Taktik" hat im Marxismus-Leninismus keinen ab-



    Dr. von Weizsäcker
    wertenden Sinn. Die Taktik der Aufstellung allgemeindemokratischer Programme bedeutet nicht, daß sie nicht ernst zu nehmen seien; im Gegenteil. Es ist aber klar, daß alle Punkte dieser Programme aus marxistisch-leninistischer, nicht aus bürgerlicher Sicht interpretiert werden. Das gilt natürlich auch für Begriffe wie Demokratie, Pluralismus, Wahlen, Rechte und Freiheiten.
    Das, meine Damen und Herren, sagt, wie ich meine, genug. Weil das so ist, deswegen werden alle Parteien in der europäischen Wahl zum Thema Eurokommunismus und Volksfront unzweideutig Stellung zu nehmen haben, und zwar um der europäischen Zukunft willen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Uns steht in Europa noch ein steiniger Weg bevor. Aber wir gehen ihn mit Überzeugung und mit Zuversicht. Die Gemeinsamkeiten der Überlieferung und der Zukunftsaufgaben sind größer als das, was die europäischen Völker untereinander trennt. Die europäische Einheit — einst geistig gewachsen, vor allem religiös und kulturell — ist nun zur ersten politischen Aufgabe geworden. Sie besteht nicht nur im Bewußtsein der freien Völker Europas, sie ist auch die Hoffnung seiner unfreien Völker.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Denn Europa steht für eine humane und freiheitliche Lebensform. Es gilt, diese Lebensform für die Vielfalt seiner Völker überzeugend zu verwirklichen, in der Welt zu behaupten und dort verantwortlich fruchtbar zu machen.
    Die CDU/CSU wird sich mit aller Kraft für diese Aufgabe einsetzen. Sie_ ist in die deutsche und in die europäische Geschichte als die Partei Europas eingegangen. Diesem Ansatz bleibt sie aus lebendiger Überzeugung treu. Die Einigung Europas ist der geschichtliche Auftrag an die heute lebende Generation.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Bruno Friedrich wird auf die europapolitischen Ausführungen von Herrn von Weizsäcker später eingehen. Ich möchte aber doch an drei Punkten oder drei rhetorischen Fragen von Herrn von Weizsäcker einiges festmachen.
    Ich halte die Frage, ob wir — die Bundesregierung oder die Koalition — die Gemeinschaft wollen, wirklich für eine rein rhetorische Frage. Vielleicht hätte sich Herr von Weizsäcker die Mühe machen sollen, seinen christdemokratischen Kollegen Andreotti zu fragen, wie ernst wir es mit der Gemeinschaft meinen. Er hätte ihm das sicher gesagt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich halte es zweitens für eine rhetorische Frage, wenn gefragt wird, was denn den Vorrang habe, Europa- oder Entspannungspolitik. Als ob wir Außenpolitik gewissermaßen abschnittsweise betreiben könnten, einen Monat bezogen auf Europa, einen Monat bezogen auf Entspannung und einen Monat bezogen auf die Dritte Welt!

    (Zustimmung bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das hat er doch gar nicht gesagt!)

    Herr von Weizsäcker, das Interessante ist doch, daß Entspannungspolitik und Europapolitik sich ganz durchdrungen haben. Nie war die politische Zusammenarbeit in Europa enger als z. B. bei der Vorbereitung der KSZE. Herr von Weizsäcker, wir haben nicht Entspannung an Europa vorbei betrieben, sondern Europa hat Entspannung leider an Ihnen vorbei betreiben müssen, weil Sie sich der KSZE verweigerten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt der Bundesregierung, dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister für eine Regierungserklärung, in der in einer in manchem schwierigen Situation an einer Außenpolitik der kontinuierlichen Vernunft festgehalten worden ist. Wir sind der Meinung, daß diese Kontinuität in dem Moment um so wichtiger ist, in dem wir — die Bundesrepublik — mit dem Sitz im Sicherheitsrat zusätzliche Verantwortung übernehmen.
    In der Öffentlichkeit ist im Zusammenhang mit der Regierungsbildung verschiedentlich die Meinung vertreten worden, daß in den nächsten vier Jahren kaum regiert, sondern nur verwaltet werden könnte; große Entscheidungen stünden nicht an. Ich teile diese Meinung nicht, zumal nicht auf dem Gebiet der Außenpolitik. Denn die nächsten vier Jahre werden darüber entscheiden, ob trotz mancher wirtschaftlichen und politischen Momente der Destabilisierung in der Weltpolitik
    erstens der Nord-Süd-Konflikt im Wege eines Ausgleichs oder vielleicht sogar einer neuen Kooperation abgebaut werden kann.
    zweitens die dem Frieden der Welt dienende Entspannungspolitik zwischen West und Ost — insbesondere auch auf den Gebieten der Rüstungsbegrenzung, der Abrüstung und der Kontrolle von Waffenlieferungen — fortgeführt werden kann
    und drittens schließlich Westeuropa zu größerer wirtschaftlicher und politischer Einheit und zu größerer sozialer und demokratischer Stabilität fortschreiten kann.
    Alle drei Entscheidungen berühren Lebensinteressen der Bundesrepublik, und der Wahrnehmung dieser Interessen wäre mit einem größeren Maß an Gemeinsamkeit von Regierung und Opposition auf dem Gebiet der Außenpolitik sicher geholfen. In der Rede von Herrn Kollegen Kohl gab es Anklänge daran. Aber, Herr Kollege Kohl, es gibt andererseits auch eine Fortsetzung des hinter uns liegenden Wahlkampfes durch die Oppositionsparteien, eines Wahlkampfs, der weitgehend nicht mit sachlichen Argumenten, sondern in Form eines ideologischen Kreuzzuges — „Freiheit oder Sozialismus" — geführt worden ist.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Ehmke
    Wir bedauern daher, Herr Kohl, daß Sie sich diese Kreuzzugsideologie von Herrn Strauß in das Papier haben hineinschreiben lassen, das sich Fraktionsvereinbarung nennt, seinem Inhalte nach aber einer Kapitulationsurkunde der protestantisch-liberalen und der katholisch-sozialen Kräfte der CDU gleichkommt.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir möchten gerne herausfinden, was denn nun eigentlich Ihre Außenpolitik ist und wer für Sie redet. Ich will versuchen, Ihnen dabei einmal darzulegen, in welchem Ausmaß eine von dieser Ideologie bestimmte Außenpolitik im Widerspruch zu den Sicherheits- und Lebensinteressen unseres Volkes stehen würde.
    Ich beginne mit dem Nord-Süd-Konflikt. Die Regierungserklärung hat sich auf die Darlegung der Grundsätze der sozialliberalen Politik auf diesem Gebiet beschränkt — sicher nicht zuletzt mit Rücksicht auf den Präsidentenwechsel in den Vereinigten Staaten, mit denen wir ja gerade auf diesem Gebiet noch enger werden zusammenarbeiten müssen. Die Regierung hat zusätzlich betont, daß wir nicht den Ehrgeiz haben, im Nord-Süd-Dialog eine Sonderrolle zu spielen. Herr Kohl hat diesen Grundsätzen nicht widersprochen. Herr Kohl hat aber in diesem Zusammenhang von einer „geistigen und ordnungspolitischen Dimension" des Nord-Süd-Konflikts gesprochen, die die Bundesregierung übersehen habe. Die geistige Dimension ist Ihnen dann allerdings sehr schnell auf die Ablehnung eines Wirtschaftsdirigismus zusammengeschrumpft,

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Allerhand!)

    über die im übrigen kein Streit besteht. Die eigentliche geistige und politisch-moralische Dimension des Nord-Süd-Konflikts wird durch solche sogenannten ordnungspolitischen Sentenzen meines Erachtens eher verdeckt.
    Der Präsident der Weltbank, Herr McNamara, hat diese Dimension im vergangenen Oktober in einer Rede in Manila so formuliert — ich zitiere mit freundlicher Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
    Wenn wir uns heute in der Welt ohne Scheuklappen umschauen, so erkennen wir als eines der Hauptanliegen unserer Zeit den Wunsch nach einem größeren Maß an Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle Menschen innerhalb der Länder und von Land zu Land. Diese Tendenz hat seit mehr als hundert Jahren ständig an Bedeutung gewonnen. Der Aufstieg der Gewerkschaftsbewegung, der Kampf gegen die Rassendiskriminierung, die Bürger- und Frauenrechtsbewegung, alle diese Bewegungen haben eines gemein: das Streben nach größerer sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Chancengleichheit. Diese Bewegungen gewinnen heute in allen Ländern immer mehr an Boden.
    Das, meine Damen und Herren, ist das innere Prinzip unserer Epoche. Ihm dient seit über hundert Jahren und oft an vorderster Front auch die geistigpolitische Bewegung des demokratischen Sozialismus.
    Wir müssen im Nord-Süd-Konflikt dabei klar aussprechen — der Bundeskanzler hat es getan —, daß mehr Gleichheit unter den Staaten zwar auch in unserem eigenen Interesse liegt, zunächst aber besondere Anstrengungen der Industriestaaten voraussetzt. Ich füge hinzu, ohne das hier näher ausführen zu können: Ich bin überzeugt, wir werden zu dieser Anstrengung nur fähig sein, wenn wir uns gleichzeitig um größere soziale Ausgeglichenheit innerhalb der Industriestaaten bemühen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Anerkennung dieser politisch-geistigen Dimension des Nord-Süd-Konflikts bedeutet natürlich nicht, daß wir nicht alle Vorschläge der Entwicklungsländer darauf prüfen müssen, ob sie ihnen und der Stabilität der Weltwirtschaft überhaupt dienen. Auch wir haben Wünsche und Forderungen an die Entwicklungsländer. Nur sollten wir die Prüfung und die Entscheidung dieser Fragen nicht mit „ordnungspolitischen" Dimensionen befrachten, auf die man außerhalb der Bundesrepublik ohnehin weniger fixiert ist als bei uns und die uns daher leicht in Gefahr bringen, uns zu isolieren.
    Herr Kollege Mischnick hat mit Recht darauf hingewiesen, daß das marktwirtschaftliche Vokabular in der Dritten Welt außerdem leider aus der Zeit des Kolonialismus belastet ist und sein Gebrauch daher unsere guten Absichten oft unter Ideologieverdacht stellt.
    Schließlich ist die Weltwirtschaft wie unsere eigene Wirtschaft eine mixed economy. In dieser ist der Markt wichtig. Er kann aber nicht das hier bestehende politische Problem lösen, nämlich das ungleicher wirtschaftlicher Machtpositionen, die durch den Markt in der Regel ja eher noch potenziert werden. Vielmehr geht es auch im weltwirtschaftlichen Maßstab um eine international abgestimmte zukunftsorientierte Strukturpolitik unter dem Leitprinzip größerer sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Chancengleichheit zum Nutzen aller.
    Ich glaube, die Industriestaaten haben ein gemeinsames Interesse daran, nicht den Eindruck zu erwekken, daß wir unsere Intelligenz vorrangig darauf verwenden, nachzuweisen, was nicht geht, statt darauf, was geht. Ich bin daher der Meinung, wir sollten auch unkonventionelle Ideen in unsere gemeinsame Prüfung einbeziehen, etwa die Idee, die Entwicklungshilfe angesichts knapper Budgets aus anderen Mitteln der Industrie- und der Erdölländer aufzustocken, oder auch die Idee einer Art konzertierter Aktion von Nord und Süd, die dein Elend des Mangels im Süden und zugleich den Problemen der unausgelasteten Kapazitäten im Norden zu Leibe rücken würde,

    (Beifall bei der SPD)

    d. h. einer konzertierten Aktion, in der sich aktive Wirtschaftspolitik mit einer schrittweisen Lösung des Nord-Süd-Problems verbindet.
    Wir müssen die Dritte Welt als wünschbaren Partner und nicht als grundsätzlichen politischen Gegner ansehen,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wer tut das?)




    Dr. Ehmke
    und wir müssen uns auch einen freien Blick dafür bewahren, daß die Blockfreiheit der Dritten Welt ein positives Element des Machtgleichgewichts in der Welt sein kann.
    Noch wichtiger ist im Zusammenhang des NordSüd-Konflikts vielleicht etwas anderes: daß wir nämlich unser praktisches Verhalten strikt an der demokratischen Grundwahrheit orientieren — die amerikanische Unabhängigkeitserklärung hat sie „self-evident" genannt —, daß die Menschen gleich sind. Im Verhältnis zur Dritten Welt ist diese Frage ein zentraler Punkt unserer Glaubwürdigkeit. Das gilt in der konkreten Situation, Herr Strauß, insbesondere für unsere Politik im südlichen Afrika.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Parteivorstand der SPD hat dazu vor kurzem eindeutig Stellung genommen, und der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungerklärung gesagt:
    Auch das südliche Afrika muß sein Schicksal selbst bestimmen, und die Herrschaft der Mehrheit muß bald verwirklicht, gleichzeitig aber der Schutz der Minderheit gesichert werden.
    Herr Strauß hat das kritisiert. Die Probleme einer vielrassigen Gesellschaft könnten nicht auf diese einfache Formel gebracht werden. Wer denn die Mehrheit sei — hat er gefragt — in einem Land mit vier Millionen Weißen und 17 Millionen Schwarzen und noch anderen kleineren Gruppen? Die Frage hätte sich Herr Strauß doch leicht selber beantworten können: Die Mehrheit sind die 17 Millionen Schwarzen, die unter dem Regime der Apartheid nicht gleich, sondern als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Strauß ist dieser gerade für den Westen entscheidenden Frage dann dadurch ausgewichen, daß er ein militärisches Gemälde entworfen hat, auf dem — um seine Worte zu gebrauchen — „sowjetischen Globalstrategen" die Kap-Route in die Hände fällt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja auch!)

    Ich will mich über die heutige strategische Bedeutung des Kaps hier nicht auslassen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Das sollten Sie aber!)

    Aber glaubt Herr Strauß wirklich, daß man auf eine grundsätzliche Frage unserer politischen Wertordnung eine Antwort strategischen Inhalts geben kann?

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Strauß, wie wollen Sie eigentlich die mit Helsinki in Europa gerade erst begonnene Menschenrechtsdebatte durchstehen, wenn Sie sich hier vor dem Problem drücken?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Und ist es nicht so, Herr Strauß, daß — von Ihrer Position aus ironischerweise — der wahrscheinlich sicherste Weg, die Kap-Route zu gefährden, die weitere Unterstützung oder auch nur Duldung der menschenrechtsverachtenden Apartheidpolitik durch den Westen wäre? Es bedarf wahrlich nicht vieler Phantasie, sich das auszumalen. Gerade angesichts der Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen des Westens im südlichen Afrika müssen wir mithelfen, daß dort fünf vor zwölf noch eine Lösung der Vernunft gefunden wird. Das hat der Bundeskanzler sehr zu Recht auf die schon zitierte Formel gebracht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Siehe Angola!)

    Das „moralische Überleben und die Aufrechterhaltung einer freien Gesellschaftsordnung", von der Herr Strauß gesprochen hat, hängen nicht zuletzt von unserer politisch-moralischen Glaubwürdigkeit ab. Sie würden von einer „Globalstrategie" unsererseits in Frage gestellt, die das innere Prinzip unserer Epoche mißachten, ja unterdrücken zu können glaubte. Das gilt nicht nur für den Nord-Süd-Konflikt.
    Ich komme damit zum zweiten Punkt, zur Entspannungspolitik. Die Tatsache, daß der neue amerikanische Präsident — entgegen manchen Vermutungen, um nicht zu sagen: Spekulationen auch bei uns — inzwischen klargemacht hat, daß er die Entspannungspolitik energisch fortführen will, zeigt noch einmal, daß es für die Entspannungspolitik zwar unterschiedliche Worte und Nuancen, aber keine Alternative in der Sache gibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Das gilt trotz aller im einzelnen möglichen Kritik, und das gilt auch trotz allen immer wieder zu beobachtenden negativen und störenden Entwicklungen, mit denen wir es zu tun haben. Ich möchte das gerade in dem Augenblick noch einmal festhalten, in dem Henry Kissinger das State Department verläßt und Cyrus Vance diese wichtige Verantwortung übernimmt.
    Die Menschen und Völker suchen mit Recht Sicherheit, und die gibt es im Atomzeitalter nur im Frieden. Frieden aber setzt Entspannung voraus, oder, in den Worten unseres verstorbenen Bundespräsidenten Heinemann: „Jenseits des Friedens gibt es heute keine Existenz. Die Stunde der Bewährung ist der Frieden."
    Die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition hat die deutschen Interessen in diesen Entspannungsprozeß eingefädelt. Sie war sich dabei wohl bewußt, wie mühsam dieser Entspannungsprozeß sein würde. Wir brauchen für ihn einen sehr langen Atem.
    Die neue amerikanische Regierung weiß auch, daß wir in der Aufrechterhaltung des militärischen Gleichgewichts eine canditio sine qua non der Entspannung sehen. In der Diskussion um die Frage des heute gegebenen militärischen Kräfteverhältnisses können wir weder Verharmlosungen noch Tatarenmeldungen gebrauchen. Der amerikanische Oberbefehlshaber in Europa und der scheidende amerikanische NATO-Botschafter haben dazu in sehr nüchterner Form Stellung genommen. Demagogie in dieser Frage schadet unserer Sicherheit. Ich begrüße es daher, daß Herr Kollege Kohl in seiner Rede von dem gegenwärtig bestehenden Gleichgewicht ausgegangen ist.
    Die Bundesrepublik erfüllt ihre NATO-Verpflichtungen voll. Ich stimme Herrn Kohl darin zu, daß



    Dr. Ehmke
    wir nicht mehr tun sollten und daß wir uns — wie er es gesagt hat — im Bereich der europäischen Rüstung nicht zum Primus Europas machen lassen sollten.
    Die Bundeswehr hat unter Georg Leber den bisher höchsten Stand ihrer Einsatzbereitschaft erreicht. Darauf kann die Bundeswehr stolz sein. Ich möchte an dieser Stelle Georg Leber aber auch noch einmal im Namen meiner Fraktion für die Entscheidung danken, mit der er noch einmal klargestellt hat, daß die militärische Leistungsfähigkeit kein Selbstzweck ist, sondern eingeordnet bleiben muß in unsere demokratische politische Ordnung, deren Schutz sie zu dienen bestimmt ist.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wer behauptet das Gegenteil?)

    Diese Klarstellung war auch innerhalb der NATO erforderlich, deren ausdrückliche Aufgabe es ist, demokratische Ordnungen zu schützen und zu verteidigen. So hat die NATO ja auch — wenn Sie mir diesen Einschub gestatten — durch den Sieg der Demokratie in Griechenland und in Portugal an Glaubwürdigkeit gewonnen. Ihre Glaubwürdigkeit würde weiter gestärkt werden, wenn wir zu einer Beilegung des griechisch-türkischen Konflikts um die Ägäis und um Zypern und damit zu einer Stabilisierung der Lage im östlichen Mittelmeer beitragen könnten, die zugleich im Zusammenhang mit der Lösung des israelisch-arabischen Konflikts gesehen werden muß.
    Doch zurück zur Bundeswehr! Herr Kohl, was der Kollege Wörner zur Rudel-Affäre hat verlauten lassen, scheint mir zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik den Konsens über die politische Ein- und Unterordnung des Militärs in Frage zu stellen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Mich wundert das allerdings nicht bei einem Mann, der mit einem unglaublichen Flugblatt kurz vor dem Wahltag — „Nur noch wenige Stunden, dann ist Deutschland frei" — den traurigen Höhepunkt eines Unionswahlkampfes geboten hat,

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Das ist doch nicht wahr! Das wissen Sie ganz genau!)

    der einer Aufkündigung des Verfassungskonsenses unter den diesen Staat tragenden Kräften nahegekommen ist. Selten ist deutlicher geworden, daß die von Herrn Strauß propagierte Kreuzzugsideologie im Widerspruch auch zu den Sicherheitsinteressen unseres Staates steht.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ein Unsinn!)

    Sie führt darüber hinaus zu vielen Widersprüchen innerhalb der Union. Herr Kohl, was gilt denn nun eigentlich: Ihre nach vielem Hin und Her erteilte Zustimmung zum Polen-Vertrag, die verständnisvollen Äußerungen Ihrer Parteifreunde Kiep und Albrecht zur Ostpolitik der Koalition, die Bekenntnisse zur Entspannungspolitik, die Sie selbst bei Ihren Besuchen in Belgrad, in Bukarest und in Sofia abgegeben haben? Oder gelten die CSU/CDU-Wahlkampfparolen von der „deutschen Ost- als sowjetischer
    Westpolitik", vom „Ausverkauf deutscher Interessen" ? Gilt die von der CDU im Wahlkampf verbreitete Landkarte der „roten Gefahr", auf der Belgrad kurzerhand zum Warschauer Pakt geschlagen wurde? Oder gilt gar die düstere Befürchtung Ihres Kollegen Strauß, Sie würden Ihre Memoiren „Vierzig Jahre Kanzlerkandidat — Erfahrungen aus einer bitteren Epoche" in Sibirien schreiben müssen?

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

    Herr Kollege Kohl, Sie sollten hier — wenn schon nicht für die Fraktion, so doch wenigstens für die CDU-Gruppe in der Fraktion — endlich Klarheit schaffen. Oder stehen die Kampfparolen des selbsternannten Kreuzritters der europäischen Rechten selbst einer solchen Klarstellung im Wege?

    (Beifall bei der SPD)

    Der Zwiespalt in der Seele der Union wird ja auch durch Aggressionen, wie wir sie neulich wieder von den Herren Mertes und Barzel gegenüber Willy Brandt zum Thema MBFR erlebt haben, nicht ausgeräumt.
    Willy Brandt hat — übrigens in Übereinstimmung mit Verlautbarungen der neuen amerikanischen Administration — eine neue politische MBFR-Runde gefordert. Dabei hat er in einem Interview die englischen Worte „indigenous forces" mit „nationale Streitkräfte" übersetzt, und Sie wollten daraus ein Mitspracherecht der Sowjetunion über die Stärke der Bundeswehr machen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ich komme darauf zurück!)

    Die Denunzierung, damit der sowjetischen Politik in die Hände zu arbeiten, folgte dem so selbstverständlich auf dem Fuße, als ob solche Denunziationen in Deutschland nicht ihre Geschichte hätten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ich komme darauf zurück!)

    Lassen Sie sich statt dessen doch lieber selbst einmal etwas zum Thema Truppenabbau und Abrüstung einfallen. Denn daß West und Ost, Nord und Süd die Früchte harter Arbeit ihrer Völker für sinnvollere Dinge als für Rüstung ausgeben können, darüber sind wir uns doch sicher in diesem Hause alle einig.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

    Im übrigen sollten gerade Sie uns nicht daran erinnern, daß alle diese Vorschläge mit den Verbündeten abgestimmt werden müssen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Auch die Brandtschen?)

    Denn selten ist von Ihrer Seite — ich erinnere mich nur an das, was der Kollege Wörner bei der Option III gesagt hat — in einer so maßlosen Art gegen unsere Verbündeten polemisiert worden wie im Zusammenhang mit mit den MBFR-Verhandlungen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)




    Dr. Ehmke
    Es wäre im übrigen in der Tat kein schlechter Einstieg in die Rüstungs- und Truppenreduzierung in Europa, wenn, wie Willy Brandt es vorgeschlagen hat, zunächst einmal ein Angriff aus dem Stand unmöglich gemacht werden könnte. Für die NATO als ein nur auf Verteidigung ausgerichtetes Bündnis wäre der damit verbundene Zeitgewinn militärisch kostbarer und finanziell billiger als die eine oder andere zusätzliche Rüstungsanstrengung.