Rede:
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Metadaten
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    Plenarprotokoll 8/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976 Inhalt: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Schmidt, Bundeskanzler . . . . . . . 31 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 52 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 53* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976 31 5. Sitzung Bonn, den 16. Dezember 1976 Beginn: 11.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976 53* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 16. 12. Dr. Aigner* 16. 12. Dr. Früh* 16. 12. Dr. Jahn (Braunschweig)* 16. 12. Dr. Klepsch* 16. 12. Lange* 16. 12. Dr. Schwörer 16. 12. Dr. Staudt 17. 12. Frau Dr. Walz* 16. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Wir werden in der Debatte vielleicht darauf zurückkommen. Aber ich sage Ihnen: Mir persönlich ist es sehr wichtig, daß der Bürger nicht alle 14 Tage Briefe ins Haus bekommt, die er nicht verstehen kann, von denen er nur begreift, daß sie sein Schicksal mitentscheiden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich möchte gegenüber solchen und anderen Bedrängnissen die Bürger in ihrem Engagement, das ja in vielen Fällen staatliche Tätigkeit überflüssig machen, in anderen sie ergänzen kann, ausdrücklich ermutigen. Ich möchte dem vorhin ausgesprochenen Dank den Dank an jene hinzufügen, die ihre Zeit, ihre Energie und ihr Geld für Hilfsbedürftige in unserer Gesellschaft aufwenden, den vielen Tausenden von Helfern in den Verbänden und Diensten. Ohne die engagierte Arbeit, die z. B. in der Arbeiterwohlfahrt, im Caritasverband, im Paritätischen Wohlfahrtsverband mit seinen insgesamt über 900 selbständigen Einzelverbänden, im Diakonischen Werk, im Deutschen Roten Kreuz und in der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden geleistet wird, wäre unsere gesellschaftliche Stabilität nicht möglich. Ebenso sind die vielfältigen sozialen Dienste der Kirchen

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    aus unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht wegzudenken. Hier wird ein Beispiel aktiver Solidarität und tätiger Nächstenliebe gegeben.
    Ich schließe in den Dank ein die Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk und viele andere Gruppen bis hin zu Amnesty International, die Rat und Hilfe leisten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir anerkennen ebenso den engagierten Einsatz von vielen Bürgern in unseren Rettungs- und Hilfsdiensten. Sie alle machen sich — häufig unbemerkt, häufig in der Stille — wahrhaft um andere Menschen verdient!
    Meine Damen und Herren, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist in der Bundesrepublik Deutschland vom Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität des Staates bestimmt, der sich aus der Verfassungsgarantie der Religionsfreiheit ergibt. Das Grundgesetz hat damit den Kirchen und Religionsgemeinschaften — oder, wie es in der Weimarer Reichsverfassung, die insoweit auch für uns heute gilt, hieß: Religionsgesellschaften — die Möglichkeit eröffnet, ihr Wirken nach innen wie nach außen, d. h. gegenüber ihren Mitgliedern wie gegenüber der Öffentlichkeit, in freier Selbstbestimmung zu gestalten.
    Wenn von weltanschaulicher Neutralität gesprochen wird, so darf das nicht als Ausdruck von Gleichgültigkeit mißverstanden werden. Vielmehr ist damit die Achtung vor dem Bereich von Religion und Weltanschauung bekundet, also vor dem Bereich des „Nichtabstimmbaren", wie Adolf Arndt hier im Bundestag viele Male gesagt hat, die Achtung vor demjenigen Bereich, über den ein freiheitlicher Staat nicht verfügen darf und den er nicht verletzen darf.

    (Beifall bei der FDP)

    44 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976
    Bundeskanzler Schmidt
    Innerhalb unserer pluralen Gesellschaft haben die Kirchen einen besonderen Rang. Die Bundesregierung erkennt im Wirken der Kirchen einen für viele Menschen unverzichtbaren Beitrag für ihr Leben. Sie ist zum Dialog und zur Zusammenarbeit mit den Kirchen — in Wahrung der gegenseitigen Eigenständigkeit — stets bereit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Man sollte dabei über die Probleme, die sich bei einer zeitgemäßen Gestaltung dieses Verhältnisses von Kirche und Staat stellen, durchaus offen miteinander reden. Das Gespräch muß von dem gegenseitigen Respekt getragen sein, daß wir auf allen Seiten mit Ernst darum ringen, die personale Menschenwürde in Staat und Gesellschaft zu verwirklichen.
    Das öffentliche Wirken der Kirchen und Religionsgemeinschaften vermag, wird es von ihren Angehörigen getragen, ethische Grundüberzeugungen und Werthaltungen in der Gesellschaft lebendig zu erhalten und zu entwickeln. Damit leisten Kirchen und Religionsgemeinschaften einen wesentlichen Beitrag zur Auseinandersetzung um die Grundwerte, gerade auch in einer pluralen Gesellschaft.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ein Wort zum öffentlichen Dienst. Unbeschadet der Unterscheidung zwischen Hoheits- und Leistungsverwaltung — der öffentliche Dienst ist für den Bürger da! Die Reform des öffentlichen Dienstes verfolgen Bund, Länder und Gemeinden als gemeinsame Aufgabe. Sie haben im Mai dieses Jahres diesbezüglich ein Aktionsprogramm verabschiedet. Neben den eingeleiteten mittelfristigen Schritten zur stärkenden Leistungsorientierung soll kurzfristig besonders die Teilzeitbeschäftigung erweitert werden. Im übrigen sollen in dieser Legislaturperiode das Laufbahnsystem durchlässiger und der Personalaustausch erleichtert werden. Wir sind übrigens davon überzeugt, daß solche konkreten Reformen auf den gesicherten Grundlagen der Verfassung auch die gelegentlich ausufernde pauschale Kritik am öffentlichen Dienst versachlichen werden. Eine solche Kritik wird übrigens der Tatsache nicht gerecht, daß der öffentliche Dienst in Deutschland sich auch im internationalen Vergleich in seiner Leistungsfähigkeit durchaus sehen lassen kann. Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes einschließlich der Soldaten der Bundeswehr erfüllen ihre Pflicht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    An dieser Stelle ein Wort zu einem Thema, das viele Menschen — zumal in der jungen Generation — bei uns, aber auch im Ausland bewegt und das für die Qualität unserer Demokratie von Gewicht ist. Ich spreche davon, daß die Praxis der Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst Zweifel an der Liberalität in unserem Land hat aufkommen lassen. Fest steht: unsere Demokratie ist stark. Sie wird von der Verfassungsloyalität der Bürger getragen. Deshalb gehen wir bei der Einstellung eines Bürgers in den öffentlichen Dienst von seiner Verfassungstreue aus.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir werden alles tun, um die Entstehung eines all-
    gemeinen Mißtrauens zu verhindern, welches die
    persönliche Ausübung von Grundrechten mit Gefahren für die persönliche berufliche Zukunft belasten könnte;

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    denn dies führt zu Leisetreterei und zur Furcht. Wir wollen aber nicht Furcht, sondern wir wollen die persönliche Bereitschaft, die verfassungsmäßige Ordnung lebendig zu erhalten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundesregierung verfährt bei der Aufnahme in den öffentlichen Dienst nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen und nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Prüfung des Einzelfalles und einer Differenzierung der Kriterien, nämlich der „Verfassungstreue" bei Beamten und der „Loyalität" bei Arbeitnehmern. Im Einklang damit hat die Bundesregierung durch die von ihr und von einigen Bundesländern bereits im letzten Sommer festgelegten acht Verfahrensgrundsätze ein Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit hergestellt.
    Die Koalitionspartner werden in Bund und Ländern darauf hinwirken, daß die Anfrage bei den Verfassungsschutzämtern und die Weitergabe von deren Erkenntnissen an eine Einstellungsbehörde nach Maßgabe der höchstrichterlichen Entscheidungen in jedem Einzelfall streng nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfolgt. Insbesondere darf eine Anfrage beim Verfassungsschutz nur dann erfolgen, wenn eine Einstellung des Bewerbers tatsächlich beabsichtigt und wenn die Verfassungstreue des Bewerbers nur noch die letzte zu prüfende Einstellungsvoraussetzung ist.

    (Dr. Zimmermann [CDU/CSU] : Die letzte!)

    — Nämlich wenn alle anderen erfüllt sein sollten, Herr Abgeordneter Zimmermann.
    Für Angestellte und Arbeiter gilt dies nur, wenn sie zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben oder im sicherheitsempfindlichen Bereich oder für Tätigkeiten eingesetzt werden sollen, die ohne ein aktives Eintreten für die freiheitliche, für die demokratische Grundordnung nicht ausgeübt werden können.
    Eine Weitergabe von Erkenntnissen an die Einstellungsbehörde darf nur dann erfolgen — so ist unsere Überzeugung —, wenn diese tatsächlich geeignet sind, ein Urteil über die Verfassungstreue des Bewerbers zu begründen; d. h. insbesondere: Sie darf nicht erfolgen, wenn es sich um Erkenntnisse handelt über Tätigkeiten des Bewerbers vor dessen 18. Lebensjahr, als er noch gar nicht erwachsen war, soweit sie nicht Gegenstand eines anhängigen Strafverfahrens sind.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Bei den sogenannten Monopol-Ausbildungsverhältnissen, bei denen also der Staat ein Monopol hat, z. B. bei Juristen und Pädagogen, wollen wir zu einer einheitlichen Regelung des Zugangs kommen. Die Auszubildenden sollen den Status eines sozialversicherungspflichtigen Rechtsverhältnisses besonderer Art und auf Zeit haben. In solchen Fällen findet eine Überprüfung auf Verfassungstreue nur dann statt,

    Bundeskanzler Schmidt
    wenn der Auszubildende im Sicherheitsbereich eingesetzt werdenson
    Wir möchten nicht zulassen, daß diejenigen Werte bedroht werden, , für die. Generationen von Demokraten gekämpft, in vielen Fällen • geopfert und ge- litten haben. Wir wollen keine Opportunisten und Angepaßten. Was wir brauchen, sind freie, sind selbstbewußte, sind mutige und engagierte $ärger, die nicht geduckt oder gedrückt werden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ohne eine freie und offene Presse müßten auch Liberalität und. Geistesfreiheit Schaden nehmen. Jeder muß sein Grundrecht, sich frei auch .über unterschiedliche Meinungen zu informieren, in Anspruch nehmen können Die Bundesregierung wird deshalb auf die Verleger- und Journalistenverbände einwirken, sich über eine einvernehmliche Regelung der inneren Pressefreiheit und über Redaktionsstatute zu verständigen. Wenn das etwa bis zur Mitte der Periode nicht zustande kommen sollte, werden wir ein auf den Bereich der sogenannten inneren Presse- freiheit beschränktes Presserechtsrahmengesetz hier im Bundestge unterbreiten.
    Um die Beteiligungsverhältnisse bei Presseunternehmen durchsichtiger zu machen, wird die Mono- polkommission einen Auftrag bekommen. Sie soll die Wettbewerbsstruktur dieses Wirtschaftsbereichs einschließlich der Verflechtungen öffentlich dar- stellen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir treten ein für den privatrechtlichen Charakter der Presse und für den öffentlich-rechtlichen Charakter von Funk und Fernsehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir sehen auch, daß bei den neuen Technologien die Meinungsvielfalt erhalten und -gestärkt werden muß So müssen in den laufenden Versuchen des Kabelfernsehens, z. B. für echte Bildschirmzeitungen ,auf lokaler Ebene, die die Aufgabe einer Zeitung im Wettbewerb mit den Lokalzeitungen haben, ge- eignete Kooperationsformen zwischen Fernsehen und Presse erprobt und entwickelt werden.
    Für die Rechtspolitik, meine Damen und. Herren, gelten die beiden bisherigen Orientierungsleitsätze auch in Zukunft: 1. Die Rechtsordnung muß dort weiterentwickelt werden,wo sie den Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere den Grundrechten, , dem Sozialstaatsprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip noch _nicht in vollem Umfange entspricht. Sie muß neuen Herausforderungen mit zeitgemäßen Lösungen begegnen.
    Die vergangenen vier Jahre sind für die Rechts- politik besonders fruchtbar gewesen. Jetzt müssen die neuen Gesetze im Bewußtsein unseres Volkes Wurzeln schlagen. Aber auch neue Ansätze zur Fortführung. sind nötig. So ist das Recht der elterlichen Sorge im Interesse der Kinder neu zu fassen. Jeder Mensch soll bei der Durchsetzung seiner Rechte möglichst gleiche Chancen haben. Deshalb streben wir im. Zusammenhang mit den in einigen Ländern laufenden Versuchen unter Einbeziehung der Anwaltschaft eine durchgreifende Verbesserung der vorgerichtlichen und der außergerichtlichen
    Rechtsberatung und eine Neuregelung des Armenrechts an. Auch das völlig unübersichtliche, zersplitterte und unbefriedigende Staatshaftungsrecht muß vereinheitlicht und unserem heutigen Veständnis entsprechend erneuert werden.
    Wir werden auf dem Feld der inneren Sicherheit unsere erfolgreichen Anstrengungen fortsetzen. Beim weiteren Ausbau des Bundeskriminalamtes wird ein besonderer Schwerpunkt die Bekämpfung des international organisierten Rauschgifthandels und Waffenhandels werden. Bei der Bekämpfung terroristischer Gewaltverbrecher wird die gute Zusammenarbeit zwischen. Bund und Ländern auf der Basis des vor knapp zwei Jahren gefundenen gemeinsamen Beschlusses fortgesetzt werden. Dabei kommt der internationalen Zusammenarbeit der Bekämpfung des Terrorismus nunmehr immer größere Bedeutung zu. Wir haben deshalb aktiv bei der Erarbeitung des „Europäischen Ubereinkommens zur Be- kampfung des Terrorismus" im Europarat mitgewirkt. Die neun EG-Partner haben die praktische Zusammenarbeit eingeleitet und Vorarbeiten für eine strafrechtliche Konvention auf diesem Feld aufgenommen.
    In den Vereinten Nationen hat eine Initiative un- seres Landes zu einem ersten gemeinsamen Schritt im weltweiten Rahmen geführt. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat gestern einstimmig eine von der Bundesrepublik zusammen mit 36 weiteren Staaten eingebrachte Resolution angenommen, durch die ein Sonderausschuß zur Ausarbeitung einer Konvention gegen Geiselnahme eingesetzt wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich möchte am Schluß dieser Bemerkungen allen denen danken, die für unsere Sicherheit einstehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie vereinzelt bei. der CDU)

    Die Bundesrepublik muß ein Land bleiben, in dem zu leben es sich lohnt. Wir werden deshalb auch unsere Arbeit zum Schutz der Umwelt fortsetzen und, soweit das möglich ist, von vornherein Umweltschäden entgegentreten, um die aus fort- schreitender Industrialisierung herrührenden Gefahren zu mindern. Wir werden dabei die Arbeit kon- zentrieren auf die Gesundung unserer Flüsse und Gewässer und die Bekämpfung des Verkehrslärms, und wir werden das Umweltstrafrecht vereinheitlichen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)"

    Dabei müssen Unternehmen und Gewerkschaften gemeinsam darüber nachdenken, wie vorsorgender Umweltschutz und Sicherung der Arbeitsplätze und das Wirtschaftswachstum so miteinander abgestimmt werden, daß nicht das eine zu Lasten des anderen geht.
    Die Innenbereiche unserer . Städte und Gemeinden erhalten und erneuern zu helfen, ist ein hiermit korrespondierender anderer Schwerpunkt der Arbeit.
    Wir werden den Städten und Gemeinden bei der. Erfüllung ihrer Aufgaben weiterhin ein zuverlässi-
    46 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — S. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976
    Bundeskanzler Schmidt
    ger Partner bleiben und die Erhaltung und Erneuerung, die Verbesserung der Wohnungen und der Wohnumwelt in alten Wohngebieten sowie den Ersatzwohnungsbau in Sanierungsgebieten zu einem Schwerpunkt der Wohnungs- und Städtebaupolitik machen.
    Die Erfahrung hat gezeigt, daß diese Aufgaben nur durch gemeinsames Engagement der Bürger und Mieter sowie aúf der anderen Seite der Gemeinden, der Länder und des Bundes zu erfüllen sind. Gewachsene Städte und Gemeinden sind bisher für manchen deshalb wenig attraktiv gewesen, weil es sich steuerlich für ihn nur gelohnt hat, wenn er sich weit draußen sein Eigenheim baute. Um das zu ändern, erweitern wir — ich habe es schon erwähnt — den § 7 b des Einkommensteuergesetzes. Dadurch wird der Erwerb von eigengenutzten Wohnungen in bestehenden Gebäuden steuerlich genauso begünstigt wie das bisher nur bei Neubauten der Fall gewesen ist. Daneben werden die bewährten Maßnahmen im Wohnungsbau - Bausparen, steuerliche Erleichterungen — natürlich fortgeführt werden.
    Stadterneuerung ist nicht möglich ohne den Neubau von öffentlich geförderten Wohnungen. Wir haben heute zwar einen hohen Stand der Wohnungsversorgung erreicht; aber es gilt, den noch benachteiligten Gruppen — z. B. kinderreichen Familien, alten Menschen, behinderten Menschen —, für die bisher nicht genug nachgedacht und geschaffen worden ist, mit dem sozialen Wohnungsbau zu helfen.
    Die Wohnungspolitik wird durch die Anpassung des Wohngeldes zum 1. Januar 1978 unterstützt werden, die Barger mit niedrigem Einkommen und hoher Mietbelastung — das sind in vielen Fällen eben gerade kinderreiche Familien — zugute kommen wird.
    Wir blicken in diesem Zusammenhang auch auf die Stadt Bonn, die ja auf lange Zeit die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland sein wird. Wir sind deshalb verpflichtet, das Gesicht dieser Stadt im Hinblick auf diese ihre Zukunft mit zu prägen. In den letzten Jahren ist gemeinsam mit der Stadt Bonn und dem Lande Nordrhein-Westfalen viel getan worden, um diese Stadt so zu gestalten, daß sie auch vom Ausland als die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland angesehen werden kann und wird.
    Aber nicht nur die Architektur, sondern Kunst und Kultur überhaupt müssen sich in unserem Lande frei und schöpferisch entfalten können.

    (Beifall bei der SPD)

    Bund, Länder und Gemeinden müssen dazu beitragen, daß dann auch die materiellen Grundlagen für diese Künstler geschaffen werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir wollen den Künstlern u. a. durch die Einführung einer Sozialabgabe helfen. Wir wollen das Urheber- und Vertragsrecht verbessern; aber wir müssen auch die Beschäftigungsmöglichhkeiten für die Künstler verbessern.
    Der Film in Deutsdiland hat in den letzten Jahren — auch durch öffentliche Förderung - wieder internationale Anerkennung gefunden. Wir setzen diese Förderung, gerne fort. Freiheit der Kunst läßt keine Nationalisierung zu. Unsere Grenzen sind für Kunst und Kultur offen, und sie bleiben auch offen. Aber umgekehrt müssen wir auch von anderen Staaten erwarten, daß sie sich deutschen Künstlern und deutscher Kunst nicht verschließen. Die Rundfunk- und Fernsehanstalten sollten stärker" als bisher auf ein vernünftiges Verhältnis zwischen ausländischen und deutschen Produktionen achten. Bei aller gebotenen Sparsamkeit darf in den Funkverwaltungen nicht das Bewußtsein für die Fähigkeiten, aber auch für die Nöte unserer einheimischen Künstler verkümmern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir haben uns in Verhandlungen mit den Ländern für die baldige Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung eingesetzt. Wenn sich die Verhandlungen nun noch länger hinziehen sollten, so wird der Bund als ersten Schritt im Rahmen seiner Zuständigkeit eine Zwischenlösung finden, um die Stiftung endlich ins Leben zu rufen. Bei uns stehen die Haushaltsmittel, vom Bundestag beschlossen, bereit. Mit der Stiftung sollen Kunst und Kultur zeitnah und unkompliziert gefördert werden. Mit ihrer Hilfe sollen Kulturgüter unseres Landes bewahrt werden. Die Kunstschaffenden sollen dabei mitwirken. Die Bundesregierung wird wegen der gesamtstaatlichen Bedeutung der Stiftung den Herrn . Bundespräsidenten bitten, den Vorsitz der Stiftung zu übernehmen.

    (Beifall bei der SPD und FDP — Stücklen [CDU/CSU]: Mit Sitz in Berlin!)

    In der Sportpolitik gilt nach wie vor, daß der Sport von staatlicher Bevormundung frei bleiben muß. Wir werden den Spitzensport weiterhin fördern, der ja in vielen Fällen für den Breitensport der großen Sportbewegung das Zugpferd ist. Wir lehnen es ab, unsere Sportler von Staats wegen unter Leistungszwang zu setzen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sport ist und bleibt in unserer Gesellschaft freiwillige Sache des einzelnen und der vielen tausend Vereine. Sport soll zuerst und vor allem Freude machen, Spaß am Leben bereiten.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Besonders wichtig nehmen wir aber auch — und das sage ich an die Adresse jener auf der Oppositionsbank - den Schulsport, weil es hier um die gesundheitliche und um die persönliche Entwicklung der jungen Menschen geht. Wir meinen auch, daß mehr Menschen die Chance geboten werden soll, die Schulsportanlagen nachmittags, abends und am Wochenende zu nutzen, die ja mit ihren Steuergeldern gebaut worden sind.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, wenn unser Land, wenn die Bundesrepublik Deutschland ein Land bleiben soll — und das wird sie doch und das muß sie doch -, in dem es sich zu leben lohnt, ein schönes Land, nicht nur ein Land mit dem höchsten Brutto-
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976 47
    Bundeskanzler Schmidt
    sozialprodukt oder einem der höchsten Einkommen, dann müssen Kultur, Landschaft und Tradition den ihnen gebührenden Platz und Rang darin behalten. Deshalb müssen unsere Städte, unsere Gemeinden, unsere Landschaften so gestaltet werden, daß es Freude macht, in ihnen zu leben und in ihnen seine Freizeit zu genießen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP -Zurufe von der CDU/CSU)

    Damit es Freude macht und das Leben lebenswert bleibt, brauchen wir auch den Mut und die Bereitschaft zur Toleranz. Unsere Demokratie lebt vom Wettstreit der Meinungen und der freien Auseinandersetzung. Die Pluralität von Weltanschauungen, von Werten, von Leitbildern, von Lebensstilen ist Voraussetzung für individuelle Freiheit. Unsere Demokratie braucht beides: mehr Solidarität und mehr Liberalität.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der Wunsch nach individueller Freiheit und die Orientierung am Allgemeinwohl sind keine Gegensätze. Nur wenn es mehr reale Freiheit gibt für die Millionen und Millionen von Menschen, nur dann hat auch die Freiheit des einzelnen Aussicht auf Bestand.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es sprechen in der Tat viele Hinweise dafür, daß immer mehr Menschen persönliche Freiheit, soziale Sicherheit und politische Verantwortung nicht länger als widersprüchlich empfinden, sondern dies alles zusammen als das Ideal persönlicher Selbstverwirklichung empfinden.
    Ich komme zur Außenpolitik. Die Bundesregierung hat die seit der Entstehung unseres Staates maßgebliche Politik der dauerhaften Einordnung in den Kreis der freiheitlichen Demokratien seit 1969 konsequent weitergeführt. Wir haben sie durch eine Politik der Entspannung mit dem Ziele guter Nachbarschaft nach Osten ergänzt. Zugleich verfolgen wir gemeinsam mit unseren Freunden eine Politik gleichberechtigter Partnerschaft mit den Ländern der dritten Welt.
    Die Bundesregierung bekennt sich zur Kontinuität dieser Außenpolitik. Deshalb tritt sie im Interesse -von Frieden und Sicherheit in der Welt für die Fortsetzung der Entspannungspolitik ein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Auch bei Fortsetzung der Entspannungspolitik wird die Auseinandersetzung der Ideologien weitergehen, aber sie sollte im friedlichen Wettbewerb ausgetragen werden. Noch hält der stetige Ausbau der militärischen Stärke des Warschauer Paktes an, obwohl das militärische Potential dieser Staatengruppe bereits weitaus größer ist, als es für reine Verteidigungszwecke notwendig wäre. Die Bundesregierung wird wie bisher alle Bemühungen für eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Ost und West unterstützen. Wir wirken auf der Grundlage der gemeinsam im Bündnis entwickelten Zielsetzungen aktiv mit an konstruktiven und weiterführenden Schritten zum Abbau der militärischen Konfrontation in Europa, insbesondere im Rahmen der Wiener Verhandlungen über beiderseitige ausgewogene Verminderung der Streitkräfte. Darüber hinaus setzen wir uns für verstärkte Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle im weltweiten Rahmen, besonders im Rahmen der für 1978 vorgesehenen Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen ein. Den Vorschlag der blockfreien Staaten in diesem Punkte haben wir von Anfang an unterstützt. Die Hoffnung der Völker auf eine substantielle Eingrenzung des Rüstungswettlaufs darf nicht enttäuscht werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das Atlantische Bündnis bleibt Grundlage unserer Sicherheit, und die Bundeswehr bleibt unser militärischer Beitrag zur Allianz. Sie soll nicht aus dem Bündnis und nicht aus den gemeinsamen Verpflichtungen der Bündnispartner herausgelöst werden. Die Bundeswehr bleibt eine Armee zur Verteidigung im Rahmen des Bündnisses. Sie kann, soll und will nicht eine Angriffsarmee sein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In der Bundeswehr wird die vorbereitete neue Wehrstruktur nunmehr verwirklicht. Bildung und Ausbildung werden verbessert. Die kontinuierliche Erneuerung und Modernisierung der Ausrüstung wird fortgesetzt. Die Bundesregierung wird sich um eine weitgehende Vereinheitlichung mit den Partnern des Bündnisses weiterhin bemühen.
    Unsere Soldaten tragen inmitten einer von Krisen gekennzeichneten Welt zur Erhaltung des Friedens bei. Sie waren insoweit schon 20 Jahre erfolgreich. Man kann sagen: in der Erfüllung ihrer friedensbewahrenden Aufgabe hat die Bundeswehr gute Ansätze zu einer eigenen Tradition gefunden;

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)

    sie ist nicht mehr darauf angewiesen, Leitbilder nur aus vorangegangenen Generationen zu entnehmen.
    Wir sehen nicht ohne Sorge, daß es einigen NATO-Partnern zunehmend schwerfällt, ausreichend konventionelle Kräfte präsent zu halten. Konventionelle Abwehrkraft bleibt jedoch Voraussetzung für die Strategie der abgestuften Abschreckung, auf die das Bündnis verabredet ist. Niemand kann ein Interesse daran haben, daß ein Zustand einträte, in dem atomare Waffen an die Stelle fehlender konventioneller Kräfte gesetzt würden und damit die Gefahr eines atomaren Krieges vergrößert würde.
    Wir wissen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika auch in Zukunft ihrer besonderen Verantwortung für die Sicherheit der westlichen Welt gerecht werden. Wir begrüßen die Botschaft des gewählten Präsidenten Carter an die Nordatlantische Allianz vom 9. Dezember dieses Jahres. Die Präsenz der Amerikaner in Europa ist weder politisch noch militärisch ersetzbar. Auf der Grundlage unserer ausgezeichneten zweiseitigen Beziehungen hat sich inzwischen ein nie zuvor gekanntes Vertrauensverhältnis zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Es bestimmt unsere Zusammenarbeit auch im Bereich einer koordinierten Wirtschafts- und Währungspolitik. Was die deutschamerikanische Zusammenarbeit für das Ganze bedeutet, das gilt — ich betone das ganz genau so — in gleicher Weise für die deutsch-französische Freundschaft für die Zusammenarbeit in Europa.
    48 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976
    Bundeskanzler Schmidt
    Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland haben sich seit Beginn dieses Jahrzehnts positiv entwickelt. Das Volumen des Handelsverkehrs hat sich seit 1970 vervierfacht. Dank wesentlich stärkerer sowjetischer Lieferungen hat es in diesem Jahr einen Abbau unserer Lieferüberschüsse um etwa 40 °/o gegeben. Wir begrüßen das, weil es sich für die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten unseres Handels mit der Sowjetunion positiv auswirken wird. Wie die sowjetische Seite sind auch wir dafür, den Weg der Zusammenarbeit konsequent weiterzugehen. Wir erwarten von dem bevorstehenden Besuch des sowjetischen Generalsekretärs Breschnew im nächsten Jahr neue Impulse für eine Ausweitung und Vertiefung dieser Zusammenarbeit.
    Im Verhältnis zur Volksrepublik Polen werden wir alle Anstrengungen unternehmen, um dem beiderseitigen Wunsch nach einer Vertiefung der Beziehungen zu entsprechen. Es ist in Polen wie bei uns viel, viel guter Wille festzustellen, die Vergangenheit zu überwinden, und wir sind dankbar dafür.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Unsere Politik der guten Nachbarschaft gegenüber allen osteuropäischen Staaten bleibt unverändert. Es gibt kein Nachlassen in unserem Streben, soviel Entspannung und Zusammenarbeit wie möglich zwischen West- und Osteuropa zu verwirklichen. Deshalb ist auch unser Interesse zu den Staaten unvermindert groß, die keiner politischen oder militärischen Gruppierung angehören; denn die neutralen und bündnisfreien Staaten haben wichtige Funktionen im Prozeß der Überwindung der Spaltung Europas. Auch deshalb ist die Unabhängigkeit Jugoslawiens so wichtig.

    (Beifall bei der SPD und FDP)

    Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat mit ihrer Schlußakte eine wichtige Grundlage für die Fortführung der multilateralen Entspannungspolitik gegeben. Wir messen allen Teilen der Schlußakte die gleiche Bedeutung zu und werden uns intensiv an der Vorbereitung des Belgrader Treffens beteiligen, von dem neue Anstöße für die Verwirklichung der in Helsinki gemeinsam beschlossenen Grundsätze und Absichten erwartet werden. Wir sind bereit, einen eigenen Beitrag dazu zu leisten.
    Die Europäische Gemeinschaft bleibt für uns lebenswichtige Voraussetzung für die Sicherung von Frieden und Freiheit. Wir halten am Ziel der Europäischen Union fest.
    Die zunehmende wirtschaftliche und soziale Auseinanderentwicklung gibt uns Anlaß zur Sorge. Es kommt darauf an, alle wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Bestand der Gemeinschaft zu erhalten und sie weiterzuentwickeln.
    Angesichts unserer Stabilität und unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richten sich an uns besonders hohe Erwartungen mancher unserer Partner. Natürlich zahlen wir an die Gemeinschaft nicht nur, sondern wir erhalten auch Geld von ihr. Aber im Ergebnis haben wir z. B. 1975 3,2 Milliarden DM mehr gezahlt, als wir erhalten haben. Mit diesem sogenannten Nettotransfer haben wir vier Fünftel des gesamten Nettotransfers innerhalb der Europäischen Gemeinschaft erbracht. Dies müssen wir uns auch einmal selbst zum Bewußtsein führen.
    Unser Volk muß wissen, daß der weitere Ausbau der Gemeinschaft in der Tat zusätzliche Mittel erfordert, Mittel, die dann für Aufgaben im eigenen Land nicht zur Verfügung stehen können. Aber wenn wir Europa wollen, dann müssen wir uns auch unserer Verantwortung stellen. Letztlich verbürgt eine lebensfähige Gemeinschaft auch unsere eigene Sicherheit, unsere eigene Stabilität und wirtschaftliche Stärke.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir werden deshalb auch künftig die europäische Integration in dem Maße fördern, das unserer eigenen Leistungsfähigkeit entspricht. Allerdings setzen wir voraus, daß die eigenen wirtschaftlichen Anstrengungen der Partner dabei fortgesetzt werden. Wir erwarten, daß angesichts der begrenzten Mittel der Gemeinschaft deutliche Prioritäten für strukturwirksame Maßnahmen bei der Verwendung des Geldes gesetzt werden. Nur eine Gemeinschaft, die wirtschaftlich gesund und leistungsfähig ist, kann ihrer weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Bedeutung gerecht werden.
    Wir leisten Beiträge bei der Entwicklung einer immer weitere Bereiche umfassenden gemeinsamen Außenpolitik der neun Mitgliedsstaaten. Dabei bleibt die enge deutsch-französische Zusammenarbeit eine wichtige Stütze.
    Wir wollen direkte Wahlen, d. h. Volkswahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 1978.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundesregierung wird dafür einen Gesetzentwurf, ausgehend vom Prinzip der Bundesliste, im Bundestag einbringen. Diese Wahlen werden mithelfen, das politische Europa dem Bewußtsein unseres Volkes, unserer öffentlichen Meinung näherzubringen.
    Auch in anderen Ländern Europas setzt man große Hoffnungen auf die Gemeinschaft. Die Verhandlungen über den Beitritt Griechenlands haben begonnen. Portugal und Spanien haben ihr Interesse bekundet. Die Türkei ist assoziiert. Wir haben Interesse daran, diese Staaten an die Gemeinschaft heranzuführen und damit ihre wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und ihre demokratische Ordnung zu entwickeln oder zu stabilisieren.
    Ein Wort zu den Vereinten Nationen, die das wichtigste Forum der Debatte über die Probleme der Welt sind. In den drei Jahren seit unserem Beitritt haben wir so gehandelt, wie es dem Gewicht unseres Landes und unserer Verpflichtung entspricht, in Übereinstimmung mit der Charta für die allgemeine Geltung der Menschenrechte, für Gewaltverzicht, weltweiten Frieden und wirtschaftlich-soziale Entwicklung einzutreten.
    Wir werden in den nächsten beiden Jahren dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angehören. Wir wollen dort im Bewußtsein unserer besonderen Verantwortung dazu beitragen, daß die Vereinten
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976 49
    Bundeskanzler Schmidt
    Nationen ihre großen Aufgaben verwirklichen können.
    Wir werden alles tun, um unser Verhältnis zu den Staaten Afrikas enger zu gestalten. Wir lehnen auch künftig jede Art von Rassismus und Kolonialismus ab.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Auch das südliche Afrika muß sein Schicksal selbst bestimmen, und die Herrschaft der Mehrheit muß bald verwirklicht, gleichzeitig aber der Schutz der Minderheit gesichert werden.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir setzen uns ein für eine gerechte und dauerhafte Friedensregelung im Nahen Osten, die mit den Entschließungen des Sicherheitsrats und den Erklärungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft übereinstimmt. Wir haben gute Beziehungen zu Israel wie zu den arabischen Staaten. Wir wollen sie durch eine Politik der Ausgewogenheit erhalten, die man nicht mit Gleichgültigkeit verwechseln darf.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Zusammenarbeit mit den Staaten Lateinamerikas, die meist auf traditionell freundschaftlichen Beziehungen beruht, werden wir in Zukunft weiter ausbauen. Der Ausbau der Beziehungen mit den Staaten des asiatischen Kontinents bleibt unser Anliegen. Mit der Volksrepublik China haben wir nach einer langen Pause wieder Beziehungen, deren Ausbau wir begrüßen.
    Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß zur Verringerung des Nord-Süd-Gefälles große Anstrengungen gemacht werden müssen. Wir stellen uns der Mitverantwortung für die Lösung einer der zentralen internationalen Aufgaben dieser Zeit, insbesondere gegenüber den am wenigsten entwickelten und gegenüber den vom Ölschock am meisten betroffenen Ländern. Wir haben gemeinsam mit den übrigen EG-Partnern vor einigen Tagen in Den Haag festgestellt:
    Im Bewußtsein der wachsenden wirtschaftlichen Interdependenzen ... ist die Gemeinschaft bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ... einen positiven Beitrag zu leisten.
    Der Europäische Rat hat in diesem Geist dem Erfolg des Nord-Süd-Dialogs eine große Bedeutung beigemessen.
    Aber ich füge hinzu: Kooperation und verstärkte Hilfe sind nur auf der Grundlage einer tatsächlich funktionierenden Weltwirtschaft möglich, an der Industrieländer, OPEC-Länder, Entwicklungsländer, aber auch die kommunistischen Staatshandelsländer teilhaben. Aus dieser gemeinsamen Verantwortung kann kein Staat und kann keine Staatengruppe entlassen werden.
    Wir treten ein: erstens für weltweite Arbeitsteilung bei weitgehend freiem Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Technologie, zweitens für den Schutz vor entschädigungsloser Enteignung, damit zugunsten der Entwicklungsländer eine Intensivierung der Investitionen und des Kapitalverkehrs erreicht wird, wodurch gleichzeitig auch ein Technologietransfer erfolgt, drittens für eine weitere
    Öffnung der Märkte für Industrieländer — zu denen wir gehören —, für eine Liberalisierung des Welthandels in der gegenwärtigen GATT-Runde, viertens für eine Anerkennung des Souveränitätsanspruchs der Entwicklungsländer über ihre Rohstoffe und fünftens für Verzicht auf Mißbrauch der Verfügungsgewalt über wirtschaftliche und Marktmächte durch Kartelle und Monopole.
    Auf solchen Grundlagen wollen wir an einer gerechteren Verteilung des Wohlstands, an einer Verbesserung der Lebensbedingungen und an einer Verstärkung der Ressourcenübertragung zugunsten der Entwicklungsländer mitwirken. Wir beteiligen uns an der internationalen Diskussion der Rohstoffproblematik auf der Pariser Konferenz genauso wie auf der Welthandelskonferenz. Allerdings halten wir weltweiten Rohstoffdirigismus für unzweckmäßig. Vielmehr sind wir nach wie vor der Ansicht, daß eine Stabilisierung der Rohstoffexporterlöse für Entwicklungsländer besser geeignet ist, deren Lage zu verbessern, als etwa eine weltweite Manipulation der Rohstoffpreise, die dann im Ergebnis weit überwiegend eine kleine Gruppe rohstoffreicher Industrieländer begünstigen und die große Mehrzahl der Entwicklungsländer benachteiligen würde.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die kommunistischen Länder insgesamt partizipieren in zunehmender Weise an den Vorzügen der freien Weltmärkte, des Gesamtsystems der Weltwirtschaft und seiner Arbeitsteilung. Sie sollten deshalb auch die Lasten mit tragen, die von den Industrieländern übernommen werden. Das gilt auch für die öffentliche Entwicklungshilfe. 1975 war die deutsche öffentliche Entwicklungshilfe mit rund 1,7 Milliarden Dollar doppelt so hoch wie die Entwicklungshilfe aller kommunistischen Staaten zusammengenommen, und ein Teil der letzteren hat sich leider auf die Lieferung von Waffen und militärischem Gerät an die Entwicklungsländer konzentriert.

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    Unser Land ist zur Erhöhung seiner öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen bereit, vor allem zugunsten der am meisten zurückgebliebenen Länder. Dies kommt in unseren haushaltsrechtlichen Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre deutlich zum Ausdruck. Es gilt auch für Schuldenregelungen in solchen Fällen, in denen Entwicklungsländer in Zahlungsschwierigkeiten gekommen sind.
    Nun wissen wir, daß nicht alle Bürger diese Unterstützung für die dritte Welt verstehen und billigen. Aber diese Bürger sollten zweierlei bedenken. Erstens. Der Frieden kann auf die Dauer nur dann gesichert werden, wenn es in gemeinsamer Anstrengung aller Industriestaaten und aller Ölstaaten gelingt, das Wohlergehen der Menschen in den Entwicklungsländern zu fördern. Zweitens. Verstärkte Kooperation und Arbeitsteilung mit der Dritten. Welt nützt auch uns selber, denn es sichert bei uns zu Hause Arbeitsplätze und Volkseinkommen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie sollten auch bedenken, daß wir selbst als Volk
    einmal in einer Lage gewesen sind, in der wir drin-
    50 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976
    Bundeskanzler Schmidt
    gend Hilfe von draußen gebraucht haben, um wieder aufbauen zu können, und sie sollten bedenken, daß wir diese Hilfe in der Tat von Völkern erhalten haben, gegen die Deutschland noch kurz zuvor einen zerstörerischen Krieg geführt hatte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Schon deshalb dürfen wir heute keine engstirnige und egoistische Politik verfolgen. Vielmehr müssen wir dazu beitragen, daß Vorurteile, Haß und Not gemindert werden und daß die Völker ihre Konflikte nicht mit Gewalt, sondern vielmehr friedlich austragen.
    Allerdings müssen wir diesen Abschnitt auch mit dem Ausdruck der Erwartung einer Gegenleistung abschließen, nämlich dieser: Alle an der Weltwirtschaft Beteiligten und die beteiligten Staatengruppen sollten für mehr Stetigkeit der Entwicklung und für mehr Stabilität eintreten. Denn die in den letzten sieben Jahren erfolgten Erschütterungen haben alle gefährdet. In den letzten sieben Jahren z. B. sind die deutschen Ausfuhrpreise auf das Anderthalbfache gestiegen, die Rohölpreise aber auf mehr als das Vierfache. Wir hoffen, daß auch die OPEC-Staaten zu einem Erfolg der Pariser Konferenz aktiv beitragen können.
    Wir hatten und wir haben nicht den Ehrgeiz, in den Fragen des Nord-Süd-Dialogs eine Sonderrolle zu spielen. Aber wir erkennen durchaus unsere Aufgabe, in diesem Dialog für mehr Stabilität der Weltwirtschaft einzutreten. Sie liegt im gemeinsamen Interesse aller Staaten der Welt. Sie müßte sich ihnen daher auch als eine gemeinsame Aufgabe stellen. Dies gilt besonders für die Industriestaaten Europas und Nordamerikas und für Japan, dessen Bedeutung für die Weltwirtschaft wir hoch veranschlagen.
    Ein Wort zum Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten und zur Lage der Nation. Dieses Verhältnis auf der Grundlage der bestehenden Verträge und Vereinbarungen — und von ihnen ausgehend — gilt es weiter zu entwickeln und zu gestalten. Dies ist ein Gebot des Friedens und ein Gebot unseres eigenen nationalen Interesses. Die Bundesregierung setzt deshalb ihre Vertragspolitik fort. Wir sind uns dabei bewußt, daß die Gegensätze und Unterschiede zwischen den beiden deutschen Staaten und Gesellschaftsordnungen nicht durch Vertragspolitik aus der Welt geschafft werden können. Verträge und Vereinbarungen schaffen jedoch eine Ebene der partiellen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Respektierung von Interessen.
    Es wird bei unseren Verhandlungen mit der DDR nicht nur um den Abschluß von neuen Vereinbarungen und Abkommen gehen. Vielmehr wird auch darüber zu sprechen sein, wie es in Anwendung der bestehenden Vereinbarungen zu weiteren Verbesserungen kommen kann. Wir messen diesem Bereich, der vorwiegend Verbesserungen für den einzelnen bringen soll, ebensoviel Gewicht bei wie der Fortführung der noch offenen Verhandlungen.
    Einzelne Vorhaben werden bisweilen unterschätzt: z. B. die Erweiterung der Reise- und Besuchsmöglichkeiten oder die Verbesserung der Praxis bei Auskünften in Vermögensfragen oder die Erweiterung des Selbstwählferndienstes oder die größeren Möglichkeiten beim Versand von Literatur. Aber all dies bringt den Menschen Erleichterungen, bringt mehr Beweglichkeit, bringt mehr Möglichkeit zum Kontakt.
    Wir stellen mit Befriedigung fest, daß das Volumen des Handels mit der DDR in diesem Jahr die 8-Milliarden-Grenze überschreitet. Das bedeutet, daß sich der innerdeutsche Handel seit 1969 verdoppelt hat. Übrigens wird 1977 ein Jahr sein, in dem sich Lieferungen und Bezüge annähernd ausgleichen — auch dies eine gute, eine begrüßte Entwicklung. Es sind auch erste Vereinbarungen über die langfristige Kooperation getroffen, und damit eröffnen sich für beide Seiten lohnende Möglichkeiten.
    Wenn ich das so polemisch sagen darf: Allein der Reiseverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten bringt für die Menschen in Deutschland mehr als die lautstarken Sonntagsreden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In diesem Jahre fahren 8 Millionen Deutsche aus der Bundesrepublik Deutschland und aus West-Berlin in die DDR und nach Ost-Berlin. Vor der vertraglichen Regelung von 1972 lag die Zahl bei zweieinhalb Millionen. Diese beiden Zahlen allein zeigen, daß die Verträge tatsächlich mit Leben erfüllt werden - zugunsten der Menschen auf beide Seiten!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir finden es unbefriedigend — das ist wahr —, daß in diesem Jahr die Gelegenheit zu Besuchen aus der DDR nur begrenzt — nämlich von einer Million auf knapp anderthalb Millionen Menschen — erweitert werden konnte, und setzen uns deshalb für eine weitere Verbesserung der Reisebedingungen ein. Bei voller Würdigung der Probleme, die die DDR hier sehen mag, möchten wir sie doch ermutigen, den Umfang des für möglich Gehaltenen neu zu überdenken.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Gute Nachbarschaft bedeutet eben auch, daß Menschen, die einander begegnen möchten, von keiner Seite daran gehindert werden.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Uns schmerzt die Grenze, die mitten durch Deutschland geht und die Menschen trennt, an der immer wieder auf Menschen geschossen wird. Wir haben unsere Meinung darüber nie verschwiegen. Das Vorgehen der DDR an der Grenze durch Deutschland ist ohne Beispiel in Europa. Wir gefährden oder bedrohen die Sicherheit an dieser Grenze nicht. Die Verantwortung für den Schußwaffengebrauch liegt nur bei der DDR.

    (Zustimmung bei Abgeordneten aller Fraktionen)

    Die Bundesregierung bekräftigt ihre Verpflichtung, mit den Drei Mächten die Lebensfähigkeit Berlins aufrechtzuerhalten und zu stärken. Unsere Verbündeten haben erneut vor einer Woche gemeinsam mit uns erklärt, daß Berlin voll in den Genuß
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1976 51
    Bundeskanzler Schmidt
    jeder Verbesserung in den Ost-West-Beziehungen kommen muß, insbesondere durch seine Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland, wie sie im Viermächteabkommen bekräftigt wurden.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    An Berlin wird besonders deutlich, daß es keine Alternative zur Entspannungspolitik geben kann. In Berlin erweist sich aber auch immer wieder, wo wir denn in der Entspannungspolitik stehen. Niemand kann diese Stadt im Zentrum Europas aus der Entspannungspolitik herauslösen. Was in Berlin geschieht, hat Folgen für die Beziehungen zwischen Ost und West.
    Nun hat das Viermächteabkommen in den fünf Jahren seiner Gültigkeit zahlreiche Verbesserungen für Berlin und insbesondere für die Menschen gebracht. Es hat Unterschiede in den Auffassungen der vier Signatarmächte nicht aufheben können, gleichwohl aber eine Fülle praktischer und positiv wirkender Regelungen getroffen. Worauf es jetzt ankommt, ist, das Viermächteabkommen strikt einzuhalten und voll anzuwenden. Dies ist für uns maßgebend.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die vor uns liegenden Aufgaben können wir nur im Einvernehmen mit den Drei Mächten lösen. Das Viermächteabkommen kann jedoch nur funktionieren, wenn alle vier Partner mitwirken — alle vier!
    Nun ein Wort zur Stadt selbst. Berlin ist die größte deutsche Industriestadt, eines der bedeutendsten Kulturzentren in unserem Lande. Im Mittelpunkt unserer Anstrengungen für Berlin muß in den nächsten Jahren die Wirtschaft im weitesten Sinne stehen. Unser Ziel wird es sein, die Unternehmen und die Wirtschaftsbetriebe in Berlin voll zu entfalten und dort zusätzliche produktive Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wissen uns darin voll einig mit dem Senat von Berlin und mit dem Regierenden Bürgermeister. Sie wissen in Berlin, daß ich mich sehr persönlich darum bemühe, für die Schaffung zusätzlicher produktiver Arbeitsplätze in Berlin Impulse zu geben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber wir wissen auch, daß wir dabei angewiesen sind auf das innere solidarische Empfinden, auf die Einsicht und auf die Möglichkeiten von vielen Unternehmensleitungen hier im westlichen Teil des Landes.
    Die neu eingeführte Förderungspräferenz im Forschungsbereich soll zur besseren Auslastung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in Berlin beitragen. Im übrigen wird der Bund natürlich wie schon immer bisher seiner Mitverantwortung für die Finanzierung des Berliner Haushalts gerecht werden.
    Die begonnenen und noch weiter vorgesehenen Verbesserungen der Verkehrswege in Berlin und nach Berlin gehören ebenso wie die langfristige Energieversorgung der Stadt zu den wichtigen Aufgaben, die wir zusammen mit dem Senat lösen werden.
    Ich denke, ich darf mit der Zustimmung des ganzen Hauses sagen: Die Solidarität der Menschen in Deutschland mit den Berlinern hat sich im großen
    wie im kleinen vielfältig bewährt, und wir sind sicher, daß dies so bleiben wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, unsere Deutschlandpolitik ist frei von Illusionen. Wir werden durch zähe und geduldige Arbeit den Zusammenhalt der Menschen in Deutschland wahren. Dem dient die Politik, die wir gegenüber dem anderen deutschen Staat auf der Basis des Grundlagenvertrags verfolgen. Jeder weiß, daß es das Ziel unserer Politik ist, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
    Die DDR-Führung zielt auf lange Sicht auf eine Ablösung, auf eine Niederlage unserer politischen Ordnung. Wir wissen das, aber wir können diese Vorstellungen der SED ertragen. Umgekehrt wird die SED-Führung, wird die DDR-Führung ertragen müssen, daß wir an der einen Nation festhalten. Wir vertrauen auf die friedliche Entwicklung für Europa und damit für unser eigenes Volk.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir sehen die DDR, wie sie ist. Die DDR muß uns auch sehen, wie wir sind und wie unser pluralistisches System ist, zu dem die offene Debatte, die öffentliche Debatte aller großen Fragen unserer Gesellschaft, unseres Volkes gehört, also auch die große öffentliche Debatte über die Lage der einen Nation.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist bereit, mit allen verantwortlichen politischen und gesellschaftlichen Kräften offen und sachlich zu sprechen. Den beiden Oppositionsparteien, die sich vor vier Tagen erneut zu einer Fraktion zusammengetan haben, möchte ich sagen: In besonders wichtigen Fragen werde ich den Oppositionsführer informieren — über alle notwendigen und unvermeidlichen Gegensätze hinweg. Ich stehe auch zur Verfügung, wenn der Oppositionsführer den Wunsch haben sollte, mit der Bundesregierung zu sprechen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch selbstverständlich!)

    Das Fundament gesamtstaatlicher Stabilität der Bundesrepublik Deutschland ist begründet in der gewachsenen Form eines kooperativen Föderalismus, einer wirtschaftlichen Ausgewogenheit und des sozialen Ausgleichs, der unserem Land den sozialen Frieden bringt.
    Unser Grundgesetz will den Bundesstaat, und das ist gut. Zentralistische Staaten machen heute angesichts des in vielen Staaten der Welt aufbrechenden Regionalismus die Erfahrung, daß bundesstaatlicher Aufbau vernünftiger ist als zentralistischer Aufbau. Bei uns wird die Macht zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ausbalanciert. Es soll nicht eine der Staatsgewalten alle Verfügungsmacht in ihrer einen Hand haben; es soll aber auch nicht eine andere alle Verhinderungsmacht in ihrer einen Hand haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

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    Bundeskanzler Schmidt
    Alle haben die Pflicht, die vom Grundgesetz gewollte Machtbalance in Rechnung zu stellen und sie vor institutionellem Mißbrauch, aber auch vor parteipolitischen Verwerfungen zu bewahren. — Lassen Sie mich in dem vorangegangenen Satz das Wort „Mißbrauch" durch das Wort „Verwerfung" ersetzen. — Der Bundesstaat ist auf Kooperation, nicht auf Konfrontation angelegt. Föderalismus ohne Kooperation endet im Partikularismus oder gar im Separatismus, jedenfalls im Verlust der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der kooperative Föderalismus manifestiert sich nicht nur in der gesamtstaatlichen Verantwortung von Bund und Ländern, sondern ebenso in der überlieferten Selbstverwaltung der Gemeinden. Die Bedeutung der Städte und Gemeinden für das Gesamtwohl wird häufig unterschätzt. Das verdienstvolle Wirken der Gemeinden für den Fortschritt in den Lebensverhältnissen der Bürger sollten wir anerkennen. Die Bundesregierung hat für eine bessere Beteiligung der Vertretungen der Städte, Gemeinden und Kreise bei der Gesetzgebung gesorgt. Keine Gesetzgebungsinitiative wird heute in der Bundesregierung mehr behandelt, die nicht von der Stellungnahme der betroffenen kommunalen Spitzenorganisationen begleitet ist, welche von ihnen zu diesem Zweck abgegeben wurde. Wir fordern die Landesregierungen auf, sich diesem Beispiel der Bundesregierung bei der Berücksichtigung der Notwendigkeiten der Gemeinden anzuschließen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir können den Gemeinden zwar keine generelle Verbesserung ihrer Finanzausstattung zusagen, aber wir werden dafür sorgen, daß die bisherigen Programme der Bundesregierung zur Verbesserung der Lebensqualität der Gemeinden fortgeführt werden. Darüber hinaus bemüht sich die Bundesregierung in ihrer zukünftigen Gesetzgebungsarbeit, zu verhindern, daß den Städten, Kreisen und Gemeinden zusätzliche erhebliche finanzwirtschaftliche Belastungen ohne entsprechenden Ausgleich zugemutet werden. Die Bundesregierung weiß, daß es meist erst die Gemeinden sind, die durch ihr Handeln die Gesetze, die der Bundestag beschließt, für den Bürger wirksam machen.
    Meine Damen und Herren, ich nenne noch einmal die Schwerpunkte. Für uns gilt:
    Erstens. Wir wollen weiter den Frieden sichern — durch Fortsetzung unserer bisherigen Außenpolitik, durch Fortsetzung unserer bisherigen Politik der guten Nachbarschaft und der Partnerschaft.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Zweitens. Wir wollen die Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen — durch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Drittens. Wir wollen den sozialen Frieden und unsere innere Sicherheit bewahren — durch sozialen Ausgleich und durch liberale Rechtsstaatlichkeit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Viertens. Wir wollen die soziale Sicherung gewährleisten — durch Festigung unseres sozialen Netzes.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Fünftens. Wir wollen unser gutes Gesundheitswesen wirtschaftlicher machen — durch Sparsamkeit und strukturelle Reformen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sechstens. Wir wollen unserer Jugend Türen öffnen und gute Chancen in Bildung und Beruf bieten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Siebtens. Wir wollen helfen, unsere Städte, Gemeinden und Landschaften lebenswert zu erhalten — durch eine Politik für eine menschliche Umwelt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir arbeiten für eine Gesellschaft, in der die Menschen einander mit Respekt und Verständnis begegnen können, eine Gesellschaft, in der Mitmenschlichkeit kein Fremdwort ist, in der Lebensangst und Isolierung der Zuversicht weichen, in der Menschen einander nicht nur tolerieren, sondern auch anerkennen und aufeinander zugehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn wir eine solche Gesellschaft wollen, dann brauchen wir mehr Solidarität und Liberalität in unserem Land — Liberalität, weil sie der Kern der Demokratie ist, und Solidarität, weil sie Gerechtigkeit erst möglich macht

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU] : Und Wahrheit!)

    und weil nur durch Solidarität die soziale Sicherheit ermöglicht wird, aus der erst die erlebbare persönliche Freiheit von vielen, vielen Millionen Menschen fließen kann.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Jeder weiß, daß sich Mitmenschlichkeit, Toleranz und Nächstenliebe nicht verordnen lassen. Unser Land braucht aber vielleicht mehr davon, im Umgang der Menschen miteinander, zwischen alt und jung, zwischen gegensätzlichen Gruppen, sogar zwischen gegensätzlichen politischen Gruppierungen, zwischen politischen Gegnern.
    Meine Damen und Herren, außerdem brauchen wir Realitätssinn. Verzerrte Bilder der Wirklichkeit trüben den Blick. Angst wäre ein schlechter Ratgeber. Wir sollten vielmehr die Hoffnung an ihre Stelle setzen,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Und die Wahrheit!)

    und wir sollten den Mut haben, auf die Vernunft und auf den Sinn der Menschen für Gerechtigkeit zu setzen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, das Haus hat die von dem Herrn Bundeskanzler abgegebene Regierungserklärung gehört.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 17. Dezember, 9 Uhr ein.
Ich schließe die Sitzung.