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ID0724113700

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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 241. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 16929 A Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung — Drucksache 7/5142 — Kleinert FDP . . . . . . . . . . . 16929 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 (Haushaltsgesetz 1976) — Drucksachen 7/4100, 7/4629 —, Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 7/5036 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 7/5054 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 7/5056 — Liedtke SPD 16930 A Dr. Dregger CDU/CSU 16933 C Kleinert FDP 16945 B Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 16949 D, 16979 A Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 16959 D Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 16965 C Dr. Wendig FDP 16969 B Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . . 16974 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 7/5037 — Simon SPD 16983 A Dürr SPD 16984 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . 16987 C Engelhard FDP . . . . . . . . . . 16993 B Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . 16997 C Schmidt, Bundeskanzler . . . 17002 C, 17018 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Dr. Wallmann CDU/CSU . . . . . . . 13011 D Spitzmüller FDP . . . . . . . . . . 17015 D Wehner SPD . . . . . . . . . . . 17016 C Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 17017 A Frau Funcke, Vizepräsident . . . . . . 17011 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 7/5040 — Löffler SPD . . . . 17019 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 17019 C Peters (Poppenbüll) FDP . . . . . . 17022 A Ertl, Bundesminister BML . . . . . . 17023 A Dr. Ritz CDU/CSU . . . . . . . . 17026 D Gallus FDP 17029 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 7/5046 — 17029 C Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 7/5047-17029 C Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 7/5049 — 17029 D Nächste Sitzung 17029 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17031* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 16929 241. Sitzung Bonn, den 12. Mai 1976 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Achenbach * 14. 5. Adams * 14. 5. Dr. Aigner * 14. 5. Dr. Artzinger * 14. 5. Dr. Bangemann * 14. 5. Dr. Bayerl * 14. 5. Behrendt * 14. 5. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld * 14. 5. Frau von Bothmer ** 13. 5. Prof. Dr. Burgbacher * 14. 5. Christ 12. 5. Dr. Enders ** 13. 5. Dr. Eppler 12. 5. Entrup 14. 5. Fellermaier * 14. 5. Flämig * 14. 5. Frehsee * 14. 5. Dr. Früh * 14. 5. Gerlach (Emsland) * 14. 5. Gewandt 14. 5. Härzschel * 14. 5. Hussing 21.5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 14. 5. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kempfler 14. 5. Dr. Klepsch * 14. 5. Krall * 14.5. Dr. Kreile 12. 5. von Kühlmann-Stumm 12. 5. Lange * 14. 5. Lautenschlager * 14. 5. Lenzer ** 13. 5. Lücker * 14. 5. Memmel * 14. 5. Mick 14. 5. Müller (Mülheim) * 14. 5. Müller (München) ** 13. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 14. 5. Dr. Narjes 14. 5. Pfeifer 12. 5. Rosenthal 14. 5. Seibert 21. 5. Schmidt (München) * 14. 5. Dr. Schulz (Berlin) * 14. 5. Schwabe * 14. 5. Dr. Schwörer * 14. 5. Seefeld * 14. 5. Springorum * 14. 5. Dr. Starke (Franken) * 14. 5. Suck' 14. 5. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 21. 5. Walkhoff * 14. 5. Walther 14. 5. Frau Dr. Walz * 14. 5. Dr. Warnke 14. 5. Wende 21.5. Zeyer 14. 5.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Einzelplan des Bundesministers der Justiz wie auch vorhin schon die Debatte über den Einzelplan des Bundesministers des Innern läßt es mir angemessen und übrigens auch legitim erscheinen, noch einmal auf die Grundwerte zurückzukommen, auf denen unser Rechtsstaat, unsere Verfassung und, wie wir gestern und zum Teil auch heute miteinander debattiert haben, offenbar auch die politische Programmatik von mehr als einer der in diesem Hause vertretenen Parteien beruhen.
    Ich möchte zunächst auf eine Bemerkung zurückkommen, die Herr Kollege von Weizsäcker gemacht hat. Er sprach über die Quellen, aus denen er und seine Freunde bei der Formulierung ihres jetzigen Grundsatzprogramms geschöpft haben. Ich will das nicht bezweifeln. Sie, Herr von Weizsäcker, haben insbesondere auf eigene, zu Ihrer eigenen Partei gehörende Quellen hingewiesen. Diese Passage habe ich mit besonderer Aufmerksamkeit gehört. Wenn ich mich nicht verhört habe — das Protokoll stand mir noch nicht zur Verfügung —, haben Sie z. B. auf die Jahre 1945 bis 1949 hingewiesen und damit sicherlich auch das Ahlener Programm gemeint.

    (Dr. Freiherr von Weizsäcker [CDU/CSU] : Fünf Quellen!)

    — Fünf verschiedene Quellen. Ich komme auf alle Quellen zu sprechen. Ich will mich eigentlich den anderen Quellen stärker zuwenden, aber auch das Ahlener Programm mit Interesse registrieren, weil es mir geeignet erscheint, ein anderes Mal und mit einem anderen Beispiel plausibel zu machen und darauf hinzuweisen, daß es unter den verschiedenen Personen, die öffentlich für die CDU und für die CSU sprechen, in vielen wichtigen Punkten eben doch keinen Zusammenhang, keine Übereinstimmung oder — dieses Wort wurde heute vielfach gebraucht — keinen Konsensus gibt.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Kümmern Sie sich mal um Ihre Partei!)

    Es ist ja noch nicht so lange her, daß der Vorsitzende der CSU in Wolfratshausen das Ahlener Programm wörtlich als eine Mumie bezeichnet hat. Aber das ist nur eine Nebenbemerkung, die ich nicht vertiefen will.
    Ich stimme mit Herrn von Weizsäcker in einem Punkt überein, in dem ich auch ansonsten im Rahmen seiner Ausführungen eher Anknüpfungspunkte ge-



    Bundeskanzler Schmidt
    funden habe als bei den Ausführungen des Oppositionsführers oder des Landesvorsitzenden der CSU. Ich stimme mit Ihnen darin überein, Herr Kollege von Weizsäcker, daß keine Partei ein Monopol auf Freiheit hat,

    (Reddemann [CDU/CSU] : Das hat Herr Schäfer gestern aber anders gesagt!)

    und ich nehme an, daß Sie sagen wollten: auch nicht Ihre eigene. Sie haben sich damit sehr deutlich von denjenigen Ihrer Kollegen abgesetzt, die, wie es mir schien, hier durch den Gesamtzusammenhang ihrer Darlegungen einen Exklusivitäts-, einen Alleinvertretungsanspruch für Freiheit behauptet haben.
    Sie haben sich sodann ausführlich mit dem Grund- I wert der Solidarität beschäftigt sowie die Forderung nach und die Ermöglichung von sozialer Partnerschaft bekräftigt.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Was soll das ganze?)

    Wir würden das zwar etwas anders ausdrücken, aber im Grunde ähnlich empfinden. Und Sie haben insbesondere gesagt, es müsse nicht nur Solidarität mit den Gleichartigen verlangt werden; Solidarität als Gebot und als Forderung richte sich natürlich auch insbesondere darauf, daß sie gegenüber dem nicht Gleichartigen, gegenüber dem Andersartigen gelte. Ich für meine Person stimme Ihnen auch darin ausdrücklich zu.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Bringen Sie Ihre Partei mal dahin!)

    Ich halte das im übrigen — wenn ich das noch einfügen darf — auch für das richtige christliche Verständnis des Wortes „Solidarität".
    Aber das war eine Bemerkung nebenher. Ich will Ihnen, Herr von Weizsäcker, dann nämlich auch die Schlußfolgerung anbieten, die sich aus diesem besonderen, von Ihnen hervorgehobenen Verständnis ergibt. Das heißt dann nämlich auch: Solidarität des Wohlhabenden, des Vermögenden, des Reichen mit demjenigen, der nicht wohlhabend ist, der nicht vermögend ist, der nicht reich ist,

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU und Zurufe: Ja! — Natürlich!)

    oder aber, anders ausgedrückt: Solidarität des wirtschaftlich Stärkeren mit dem wirtschaftlich Schwächeren.

    (Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Das habe ich gesagt! — Leicht [CDU/CSU] : Ja, genau das hat er gesagt!)

    — Eben. Ich versuche herauszufinden, wie weit die Übereinstimmung reicht, und gegenwärtig kann ich noch keinen Anlaß für Zwischenrufe erkennen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Reddemann [CDU/CSU] : Wir fragen uns nur, was das mit dem Etat des Justizministers zu tun hat!)

    Dann würde ich aber auch bitten, mir gleichfalls zuzustimmen, wenn ich sage, daß solche Sachen wie
    Rehabilitation hinsichtlich ihrer gesetzlichen Fundierung und ihrer finanzwirtschaftlichen Alimentierung, daß solche Sachen wie das Schwerbehindertengesetz und all das, was dazugehört, nun allerdings auch aus Ihrem Verständnis des Solidaritätsprinzips fließen.
    Wenn dies richtig ist — und es gilt ja nicht nur für die beiden Beispiele, die ich eben herausgreife, Herr von Weizsäcker, sondern für viele, viele Beispiele der Gesetzgebung und des finanzwirtschaftlichen Handelns zugunsten der Schwächeren, die wir Ihnen aus den letzten Jahren vorführen könnten —, dann wird mir — und darauf komme ich nachher zu sprechen — Ihre kritische, in diesem Punkt nicht ganz fachmännische Beurteilung dessen, was Sie Staatsquote genannt haben, etwas suspekt. Denn Sie müssen sich doch darüber klar sein, daß die Staatsquote nicht, wie Herr Dregger glauben machen wollte, gestiegen ist, weil es nicht nur in seinem Lande und nicht nur im Nachbarland Baden-Württemberg und nicht nur im Lande Rheinland-Pfalz, sondern auch in allen Großstädten und im Bund mehr Beamte als früher gibt. Sie ist doch vielmehr gestiegen wegen der enorm gestiegenen Transferleistungen zugunsten der wirtschaftlich Schwachen, zugunsten der Behinderten, zugunsten der Arbeitslosen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Reddemann [CDU/CSU] : Wieder eine der berühmten Halbwahrheiten!)

    Aber ich komme auf Ihren Staatsquotenbegriff noch zurück und bleibe im Augenblick bei der von mir ernst genommenen, mehr philosophischen Darlegung von Herrn von Weizsäcker. Wenn das stimmt, wenn es Ihr Ernst ist — und ich zweifle bei Ihnen persönlich nicht an dem Ernst — mit Ihrer Auslegung des Wortes „Solidarität", dann müßten Sie doch eigentlich — ich verlange nicht, daß das im Bundestag und von dieser Tribüne und öffentlich geschieht — innerlich verzweifelt gegen diejenigen in Ihren eigenen Reihen ankämpfen, die Mitbestimmung des Arbeitnehmers als ein „Ermächtigungsgesetz zur Fremdbestimmung" charakterisieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Reddemann [CDU/CSU] : Die zweite Halbwahrheit in Ihrer Rede!)

    Oder Kollegen wie Hans Katzer, den ich in den bald 23 Jahren meiner Zugehörigkeit zu diesem Hause in seiner sozialen Gesinnung immer sehr geschätzt habe, oder Norbert Blüm — um nur zwei Ihrer Kollegen zu nennen — müßten doch innerlich verzweifelt gegen solche Äußerungen wie die kämpfen, es sei eine der dümmsten Vorstellungen, die man haben kann, unbedingt den Arbeitnehmer am Produktionskapital beteiligen zu müssen. Und dies war nun der Originalton des Landesvorsitzenden der CSU.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Und nun zu Ihrer „Staatsquote": Ich habe dazu schon eine Bemerkung gemacht und wiederhole sie. Das, was Sie, verehrter Herr Kollege, als Staatsquote vorgeführt haben, hat die Gesamtheit der vom Staat, d. h. nicht nur vom Steuerzahler, sondern auch



    Bundeskanzler Schmidt
    vom Staat als Kreditnehmer, geleisteten Sozialleistungen einfach mit vereinnahmt. Ich glaube nicht, daß Sie im Ernst das Ansteigen der Sozialleistungen wirklich beklagen wollen, und mache Sie hier auf eine irrtümliche Pauschalierung aufmerksam, die in Ihrer Argumentation vorkam.

    (Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU] : Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die dabei waren!)

    — Dann dürften Sie sie nicht so pauschal abqualifiziert haben, wie Sie es taten.

    (Reddemann [CDU/CSU] : Nach Ihrer Ansicht!)

    Es kommt noch ein zweites hinzu: daß ja die Staatsquote, von der Sie sprachen, eben nur in diesen beiden Rezessionsjahren so hoch ist, was wir allerdings — ich habe das gestern hier ausführen dürfen — zum Zwecke der Bekämpfung der Rezession für dringend notwendig hielten. Wenn Sie sich mit diesem Thema etwas näher beschäftigten, würden Sie sehen, daß z. B. auch zur Zeit der Großen Koalition zur Bekämpfung der damaligen Rezession -- die nun in der Tat keine Weltrezession, sondern eine deutsche war; ich verzichte auf das Epitheton ornans, das eigentlich bei einer solchen Gelegenheit sonst immer aus Ihrem Munde geboten wird — in den Jahren wie 1967 die Staatsquote zwangsläufig hochging. Das muß ja doch auch der Fall sein, wenn der Staat Konjunkturprogramme macht, und wir haben damals in der Großen Koalition große Konjunkturprogramme ins Werk gesetzt. Selbstverständlich wirken die sich als Erhöhung der Staatsquote aus, die doch nichts anderes ist als eine Verhältniszahl für die Gesamtausgaben aller öffentlichen Hände, gemessen am Bruttosozialprodukt. Und wenn einerseits das Bruttosozialprodukt wegen Rezession schwindet und Sie andererseits zur Bekämpfung der Rezession Konjunkturprogramme machen, muß zwangsläufig der Anteil der Staatsausgaben am Gesamtsozialprodukt steigen, und ich sage: vorübergehend steigen. Er ist dann nachher wieder gesunken. Er ist ja auch in den ersten zwei Dritteln oder drei Vierteln der Gesetzgebungs- und Regierungszeit der sozialliberalen Koalition nicht kategorisch höher gewesen als 1968 oder 1969; er lag etwa gleich. Gegenwärtig ist er höher, aber er wird auch wieder fallen, z. B. in dem Maße, in dem Kurzarbeit zurückgeht. Im letzten Monat ist die Kurzarbeit in Deutschland um ein ganzes Drittel zurückgegangen — in einem einzigen Monat von 30 Tagen! In dem Maße zahlen Sie weniger Kurzarbeitergeld, und in dem Maße geht die Staatsquote zurück. Ich bitte, sich das doch einmal richtig vorzustellen, Herr Kollege von Weizsäcker.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nun können Sie allerdings noch differenzieren. Sie haben ja ein Bild gebraucht, das so aussah, als ob die Staatsquote abgezogen werde, als ob die Gesamtheit der Abzüge vom Lohn und vom Gehalt dasselbe sei wie die Staatsquote. Das ist nicht richtig. Wir kennen den volkswirtschaftlichen Begriff der Steuerquote und den volkswirtschaftlichen Begriff der Sozialversicherungsbeitragsquote. Beides
    zusammen wird volkswirtschaftlich die Abgabenquote genannt. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Steuerquote in Deutschland gegenwärtig, im Jahre 1976, niedriger ist als sie es 1974, 1973 und 1972 war. Sie ist heute sogar niedriger — jetzt werden Sie sich wundern, aber ich sage wirklich die Wahrheit — als 1952.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : So ist es! — Reddemann [CDU/CSU] : Da hat er sich ein Jahr ausgesucht!)

    — Sie können sich auch andere Jahre aussuchen. Diese Rechnung hat keinen Pferdefuß. Die Steuerquote in Deutschland hat immer zwischen 22 und 24 % oszilliert. Gegenwärtig liegt sie etwa bei 23 %. Diese Höhe ist keineswegs exorbitant, sondern liegt im gewogenen Schnitt all dieser 25 Jahre, für die teils Sie, teils die Freien Demokraten, teils wir finanzwirtschaftliche Verantwortung getragen haben. Hier bietet sich kein Grund zum Angriff.
    Sie könnten wohl aber sagen, in bezug auf die Steuerquote fühlten Sie sich nunmehr zwar durchaus erleuchtet, aber bei den Sozialversicherungsabgaben sehe es anders aus. Ich muß Ihnen zugestehen, daß Sie in diesem Bereich eher das Recht hätten, solche Eindrücke zu erwecken, wie Sie sie hier dargestellt haben. Aber auch in diesem Bereich ist es nicht so, daß Sie Zahlen nennen können, die an die 40 oder 50% heranreichen oder gar über 50% hinausgehen, wie Sie sie hier genannt haben. Wahr ist, daß wir die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung Anfang dieses Jahres um ein halbes Prozent für den Arbeitnehmer

    (Zuruf von der CDU/CSU: Um 50 %!)

    — von der Lohnsumme gerechnet — und um ein halbes Prozent für den Arbeitgeber angehoben haben.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Gleich 50%!)

    Gleichwohl sind die Beiträge der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zur Arbeitslosenversicherung nicht so hoch, wie sie es in den 50er Jahren, als Sie die Regierung stellten, schon einmal gewesen sind. Der Beitrag belief sich schon einmal auf insgesamt 4 °/o. Jetzt liegt er bei 3%. Er wird auch wieder gesenkt und ermäßigt werden, und zwar in dem Ausmaße, in dem Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld nicht mehr in diesen großen Summen ausgezahlt werden müssen. Die Zahlungen gehen ja schon von Monat zu Monat zurück.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Eigentlich sollte man dergleichen beim Einzelplan Finanzen abhandeln. Herr von Weizsäcker hat es jetzt beim Einzelplan Inneres abgehandelt, und ich meine nicht, daß dies zu Unrecht geschah; denn er hat grundsätzlich zu den sittlichen Grundlagen unseres Staates gesprochen und hat dies als Beispiel herangezogen. Es muß dann auch erlaubt sein, sein Beispiel so zurechtzurücken, daß es nationalökonomisch richtig ist.

    (Beifall hei der SPD und der FDP)

    In demselben Zusammenhang, Herr von Weizsäcker, als Sie sagten, daß Sie die Freiheit durch



    Bundeskanzler Schmidt
    eine zu stark aufgeblähte Staatsquote gefährdet sähen, haben Sie von der Freiheit gesprochen, die doch nicht nur Freiheit zum Genuß sein solle. Das ist so nicht zu beanstanden, jedenfalls nicht von mir. Ich würde es jedenfalls dann nicht beanstanden, wenn man, noch etwas schärfer auf den Staat hinzielend, sagte: Der Staat als Steuereinnehmer und als derjenige, der die Ausgaben einschließlich der Sozialleistungen zu verantworten hat, darf nicht dem Grundsatz der Freiheit zum Genuß huldigen. Eine solche Philosophie wäre unter manchen Aspekten zu kritisieren, übrigens auch unter dem Aspekt — ich sprach gestern schon davon; es ist leider niemand von Ihnen darauf eingegangen — eines der wichtigsten Prinzipien der katholischen Soziallehre, nämlich unter dem Aspekt des Subsidiaritätsprinzips.
    Lassen Sie mich nun ein zweitesmal zum Thema Subsidiaritätsprinzip jenes Beispiel vortragen, auf das bisher keiner von Ihnen geantwortet hat.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Das Subsidiaritätsprinzip haben Sie doch noch nie respektiert!)

    — Ich bin dabei, Ihnen klarzumachen, wie sehr ich es respektiere. Nach Ihrem Verständnis gehört es doch zum Solidaritätsprinzip. Aber ich frage diejenigen von Ihnen, die verlangen, daß der Staat in Zukunft einige hundert Millionen zusätzlich ausgibt, vielleicht zusätzlich 600 oder 700 Millionen DM jährlich — bei allem Lamento über die angeblich zu hohe Staatsquote —, um zusätzliche Lehrstellen zu finanzieren, eine Finanzlast, die seit Bestehen der Gewerbeordnung in Deutschland — das ist länger als Bismarcks Abgang aus der Reichspolitik —, jedenfalls bisher, ausschließlich Sache der Betriebe im Handwerk und in der Wirtschaft war, die dies bisher auch tragen konnten und weiterhin tragen können.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich sage dies als ein Beispiel an Ihre Adresse, an Sie persönlich, Herr von Weizsäcker, der ich Ihnen Ihre politische Philosophie, Ihre sittliche Grundlegung dessen, was Sie als Politiker wollen, durchaus abnehmen will, als ein weiteres Beispiel dafür, daß es bei Ihnen dann hapert, wenn aus Grundsätzen das Richtige, den Grundsätzen entsprechende konkrete Handeln abgeleitet werden soll.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich will Herrn von Weizsäcker durchaus nicht widersprechen, wenn er zu verstehen gibt — jedenfalls habe ich es so herausgehört, und ich würde dem zustimmen —, daß es unserer Gesellschaft guttun würde, dem gesellschaftlichen Ethos der Solidarität stärkere Geltung zu verschaffen; ich will nicht sagen: es wieder zu erwecken. Dem Ethos der Solidarität stärkere Geltung zu verschaffen, — da könnte man sich durchaus treffen. Ich meine Sie so verstanden zu haben.
    Es gibt ja in nicht sehr wenigen Lebensbereichen im Zuge der modernen Entwicklung — allerdings nicht der letzten sieben Jahre, wie es hier dargestellt wurde, sondern schon der allerersten Nachkriegsjahre; das ist verständlich genug — in Anlehneng, wenn man so will, an kapitalistische Denkweisen ein Aufzehren des alten Solidaritätsethos, ein Zunehmen von Ansprüchen in jeder Beziehung. Es mag auch Überanstrengungen dieses Ethos geben. Im Zuge des Wiederaufbaus und des Wiederaufschwungs der 50er Jahre nach dem Kriege, nach der Zerstörung hat sich ja in der Tat bei vielen — wir dürfen uns dabei nicht ausnehmen, die wir damals schon erwachsen waren — so etwas wie eine Wirtschaftswundermentalität herausgebildet, auch im Verbrauchen und im Genuß, auch im Anspruch auf Verbrauch und im Anspruch auf Genuß. Das ist wahr. Wenn Sie das gemeint haben sollten, kann ich Ihnen nicht widersprechen.
    Es ist wahr, daß viele seit den 50er Jahren in immer ausschließlicherer Weise auf eigene Interessen, auf Wahrnehmung eigener Interessen, auf größtmöglichen Ertrag mit geringstmöglichem Einsatz orientiert worden sind oder sich orientiert haben. Diese Art von Machtergreifung des praktischen Materialismus war nicht mehr in Übereinstimmung mit dem Ethos der Solidarität, zu dem Sie Ihre Mitmenschen und wir unsere und infolgedessen wir alle eigentlich gemeinsam aufrufen könnten, vielleicht sogar sollten.
    Wir haben dann mit der Zeit schrittweise den Sozialstaat ausgebaut, um jedenfalls denjenigen zu helfen, die bei dieser Tendenz zur Machtergreifung des praktischen Materialismus, des plattesten ökonomischen Materialismus, des Haben-Wollens — haben, haben, haben! —, weil nicht so stark bewehrt und nicht so stark mit Instrumenten ausgestattet, sonst unter den Schlitten gefahren worden wären.
    Ich begrüße es, daß Sie die Wiedergewinnung des Ethos der Solidarität so herausstellen, offenbar doch nicht nur plakativ, wenngleich auch nicht für alle Ihre Kollegen mitsprechend, aber doch sehr ernst gemeint. Es ist ja nicht so, daß wir mehr Solidarität mit den Schwachen, mehr Solidarität mit den Hilfsbedürftigen, mehr Solidarität mit den Behinderten, mehr Solidarität mit den Kriegsverletzten, mehr Solidarität mit den psychisch Kranken — und wie die Gruppen in unserer Gesellschaft alle heißen, um die es geht — dadurch praktisch verwirklichen, daß wir übereinstimmende Appelle an unsere Gesellschaft oder an unser Volk richten. Vielmehr wird es dazu notwendig sein — und das wird wohl von Ihnen auch nicht bezweifelt —, daß wir zu einem erheblichen Teil dort, wo der Appell an die individuelle Hilfe offenkundig nicht ausreicht, das eben subsidiär durch Gesetze und durch staatliche Finanzierung tun. Ich bitte Sie herzlich, irgendwann im Laufe der nächsten vierzehn Tage — die Haushaltsdebatte dauert ja noch sehr lange — klarzumachen, daß Sie bei Ihrer Staatsquotenargumentation dem, was ich eben dargestellt habe, jedenfalls nicht widersprechen wollten.
    Es könnte auch Sache eines christlichen Politikers sein, der sich mit voller Absicht so nennt, auch im Firmennamen seiner Partei so nennt, es könnte zu seiner Aufgabenstellung gehören, zu fragen, wieso, wieweit oder ob ausreichend die Kirchen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben inmitten unserer Ge-



    Bundeskanzler Schmidt
    sellschaft zu dem beitragen, was ich Wiedergewinnung des Bewußtseins der sittlichen Notwendigkeit oder des Ethos der Solidarität genannt habe. Das muß nicht unbedingt vom Theologischen her begründet werden. Es kann aber sehr wohl und sehr gut christlich-theologisch begründet werden. Es kann auch sehr wohl sozialistisch begründet werden. Wenn man aus Solidarität gemeinsam die gleichen Ziele zugunsten der Schwachen und der Behinderten anstrebt, dann kann man es ja eigentlich auch gemeinsam tun. Man braucht dies ja nicht deswegen abzulehnen, weil man es im letzten Urgrund nicht gemeinsam begründet. Dabei zeigt sich in den letzten Tagen, daß sogar die Gründe und Werte, mit denen man es begründet, relativ nahe beieinanderliegen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich könnte dann die Frage stellen — und die darf ich vielleicht mehr an den Kollegen Barzel stellen, der einem anderen Bekenntnis angehört als der Herr von Weizsäcker —: Wenn man dieses Prinzip der Solidarität so in den Vordergrund stellt, wie gestern geschehen, was ist denn dann eigentlich mit der Kraft der anderen Motive, Denkanstöße, Argumente, die aus der katholischen Soziallehre entsprungen sind und die in den letzten fünf, sechs, sieben Jahren der politischen Auseinandersetzung in diesen Hause vergessen zu sein scheinen?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sind sie eigentlich in den Hintergrund gedrückt durch die in Ihren Reihen geführte, von mir mit Interesse verfolgte Debatte darüber, ob das Recht auf Mitbestimmung ein Naturrecht sei oder ob es dies nicht sei?

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    — Ich verstehe die Zwischenrufe nicht. Denn ich versuche doch zu helfen, wie eine Brücke geschlagen wird von abstrakt leicht zu benennenden sittlichen Grundwerten her zu praktischem, konkretem politischem Handeln hin.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich habe der Rede des Herrn Abgeordneten Dregger entnommen, daß unsere — er hat das sogar mit einem Superlativ verbunden — die freiheitlichste Demokratie sei. Nun wohl, das kann man verschieden ausdrücken; man kann auch einen solchen Superlativ gebrauchen. Ich stimme jedenfalls insoweit zu, Herr Dregger, daß das, was die äußere Freiheit der einzelnen Person, die rechtliche Freiheit angeht, durch unser Grundgesetz und durch die Einrichtungen unseres Staates in nahezu optimaler Weise gesichert ist, von den Grundrechten her, von den rechtsstaatlichen Gewährleistungen her und auch vom Sozialstaatsprinzip her.
    In die Grundwert-Debatte und in die Debatte über Solidarität und Gerechtigkeit gehört ja eigentlich der Hinweis darauf wie das in Art. 20 Abs. 1 unseres Grundgesetzes zum Verfassungsleitsatz erhoben ist, wo es heißt:
    Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

    (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Aber kein sozialistischer!)

    Einige verwenden vielfach die Formulierung „ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat", was auch kein Fehler ist, weil sich die Rechtsstaatsqualität zweifellos aus anderen Stellen unseres Grundgesetzes ergibt. Die äußere Freiheit der einzelnen Person ist, wenn man die deutsche Verfassungsgeschichte zurückverfolgt, sicherlich in erstaunlicher Weise nicht nur im Grundgesetz festgeschrieben, sondern von uns allen dann auch später verwirklicht worden.
    Aber wie ist es mit der inneren Freiheit der einzelnen Person? Z. B. ist die rechtliche Gleichstellung der Frauen durch das, was wir gerade in den letzten Jahren geschafft haben, wiederum ein erhebliches Stück vorangebracht worden; im Ehe- und Familienrecht z. B., im Namensrecht z. B., sogar auch hinsichtlich solcher scheinbar peripheren Fragen wie der Beurlaubung im Falle der Krankheit minderjähriger Kinder, die zu Hause sind. Aber jeder von uns weiß, wie weit wir in der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Wahrheit noch von der Gleichstellung von Frauen und Männern oder von Mädchen und Jungen entfernt sind, wenn es sich etwa in einer Familie um die Frage handelt, was aus den Kindern werden soll. Der Junge wird, wenn nicht auf die Hochschule, so doch jedenfalls in eine Lehre geschickt, und beim Mädchen wird unterstellt, daß es ja mal heirate und infolgedessen nichts zu lernen brauche. Das ist ja doch leider in vielen Fällen noch die Wirklichkeit.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Wo ist denn das noch?)

    — Aber dies ist doch keine parteipolitische Färbung. Das ist doch die Wirklichkeit, die Sie genauso beklagen müssen, wie ich sie beklage.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich sage doch mit diesen Beispielen nichts anderes
    — man kann noch viele andere Beispiele geben —, als daß die äußere Freiheit oder die äußere Gleichheit der einzelnen Person, wie sie durch das Gesetz hergestellt wird, in ihrer inneren Erfüllung für den einzelnen Menschen allerdings noch sehr weitgehend davon abhängt, wie sich andere verhalten, wie sich die Gesellschaft um uns herum verhält und wie wir uns als Gesetzgeber und als Staat verhalten, auch davon, wieweit wir aus dem Solidaritätsgebot und aus dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit konkrete, für die einzelne Person in der Erweiterung ihres Freiheitsraums sich positiv auswirkende Konsequenzen ziehen.
    Ich denke, wir haben mit Erfolg versucht — z. B. anders als viele andere Gesetzgebungsmehrheiten vorher —, das ein erhebliches Stück voranzubringen, was die Frauen angeht. Ich kann das auch an anderen Beispielen zeigen. Kollege Barzel sprach gestern noch einmal vom § 218 des Strafgesetzbuches. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie die Frage gestellt, wo das in unserem Programm eigentlich vorkomme.

    (Widerspruch des Abg. Dr. Barzel [CDU/ CSU])

    — Sie waren es nicht; ich bitte um Entschuldigung. Ich will Ihnen nicht unrecht tun. Jemand hat diese Frage gestellt. Ich habe sie mir notiert. Ich habe



    Bundeskanzler Schmidt
    den Sinn der Frage nicht verstanden. Ich wollte hier antworten, daß dieses Problem ja nun auf absehbare Zeit geregelt ist. Es gehört jetzt nicht mehr in Programme hinein, im Augenblick gewiß nicht.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Es steht aber bei Ihnen drin!)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel?

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Bitte sehr!