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ID0724109000

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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 241. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 16929 A Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung — Drucksache 7/5142 — Kleinert FDP . . . . . . . . . . . 16929 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 (Haushaltsgesetz 1976) — Drucksachen 7/4100, 7/4629 —, Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 7/5036 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 7/5054 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 7/5056 — Liedtke SPD 16930 A Dr. Dregger CDU/CSU 16933 C Kleinert FDP 16945 B Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 16949 D, 16979 A Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 16959 D Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 16965 C Dr. Wendig FDP 16969 B Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . . 16974 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 7/5037 — Simon SPD 16983 A Dürr SPD 16984 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . 16987 C Engelhard FDP . . . . . . . . . . 16993 B Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . 16997 C Schmidt, Bundeskanzler . . . 17002 C, 17018 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Dr. Wallmann CDU/CSU . . . . . . . 13011 D Spitzmüller FDP . . . . . . . . . . 17015 D Wehner SPD . . . . . . . . . . . 17016 C Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 17017 A Frau Funcke, Vizepräsident . . . . . . 17011 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 7/5040 — Löffler SPD . . . . 17019 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 17019 C Peters (Poppenbüll) FDP . . . . . . 17022 A Ertl, Bundesminister BML . . . . . . 17023 A Dr. Ritz CDU/CSU . . . . . . . . 17026 D Gallus FDP 17029 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 7/5046 — 17029 C Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 7/5047-17029 C Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 7/5049 — 17029 D Nächste Sitzung 17029 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17031* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 16929 241. Sitzung Bonn, den 12. Mai 1976 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Achenbach * 14. 5. Adams * 14. 5. Dr. Aigner * 14. 5. Dr. Artzinger * 14. 5. Dr. Bangemann * 14. 5. Dr. Bayerl * 14. 5. Behrendt * 14. 5. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld * 14. 5. Frau von Bothmer ** 13. 5. Prof. Dr. Burgbacher * 14. 5. Christ 12. 5. Dr. Enders ** 13. 5. Dr. Eppler 12. 5. Entrup 14. 5. Fellermaier * 14. 5. Flämig * 14. 5. Frehsee * 14. 5. Dr. Früh * 14. 5. Gerlach (Emsland) * 14. 5. Gewandt 14. 5. Härzschel * 14. 5. Hussing 21.5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 14. 5. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kempfler 14. 5. Dr. Klepsch * 14. 5. Krall * 14.5. Dr. Kreile 12. 5. von Kühlmann-Stumm 12. 5. Lange * 14. 5. Lautenschlager * 14. 5. Lenzer ** 13. 5. Lücker * 14. 5. Memmel * 14. 5. Mick 14. 5. Müller (Mülheim) * 14. 5. Müller (München) ** 13. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 14. 5. Dr. Narjes 14. 5. Pfeifer 12. 5. Rosenthal 14. 5. Seibert 21. 5. Schmidt (München) * 14. 5. Dr. Schulz (Berlin) * 14. 5. Schwabe * 14. 5. Dr. Schwörer * 14. 5. Seefeld * 14. 5. Springorum * 14. 5. Dr. Starke (Franken) * 14. 5. Suck' 14. 5. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 21. 5. Walkhoff * 14. 5. Walther 14. 5. Frau Dr. Walz * 14. 5. Dr. Warnke 14. 5. Wende 21.5. Zeyer 14. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hermann Dürr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reformgesetze, die wir seit 1969 verwirklicht haben oder in den nächsten Monaten noch in das Bundesgesetzblatt bringen wollen, beruhen auf der gedanklichen Vorarbeit sozialdemokratischer Rechtspolitiker aus einer Zeit, bevor die SPD den Bundeskanzler stellte. Stellvertretend für alle sei hier der Name von Adolf Arndt genannt. Diese Vorarbeit ist die erste Grundlage unserer Reformen. Den gedanklichen Vorsprung aus der Zeit der 60er Jahre haben die Rechtspolitiker der CDU bis heute nicht aufgeholt, und von denen der CSU rede ich hier vorsichtshalber überhaupt nicht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es war leicht, Konsens über unsere Vorstellungen mit unserem Koalitionspartner FDP herzustellen, denn gerade in der Rechtspolitik besteht die sozialliberale Koalition in der parlamentarischen Arbeit nicht erst seit dem Jahre 1969. Das ist die zweite Grundlage unserer Reformen.
    Im Grunde konnte die Opposition die vielen Reformnotwendigkeiten nicht bestreiten. Diese Einsicht machte sich durch sachliche und hilfreiche Mitarbeit einiger Unionsabgeordneter in den Ausschüssen deutlich. Es waren nicht immer diejenigen, die die fernsehwirksamen Reden im Plenum des Bundestages halten durften. Im Bundestagsplenum und bei anderen öffentlichen Veranstaltungen hatte die Opposition folgenden Grobraster. Bei Gesetzen, die die CDU/CSU ablehnen wollte, wurde von der Opposition behauptet, sie würden hastig, ja, hektisch durchgepeitscht.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Das stimmt ja auch!)

    Gelegentlich entartete die nach draußen gerichtete Argumentation der Opposition ins Maßlose. Die Opposition behauptete, das Erste Eherechtsreformgesetz sei männerfeindlich, frauenfeindlich, kinderfeindlich, volksfeindlich — und das bei einem Gesetz, dem nach einigen im Vermittlungsausschuß vorgenommenen Schönheitsreparaturen mehr als die Hälfte der Oppositionsabgeordneten ihre Zustimmung gaben. Stimmte die CDU/CSU den Regierungsentwürfen zu — und das war zuallermeist der Fall —, dann hörte es sich ganz anders an. Dann wurde nicht behauptet, die Gesetze seien mit Hektik durchgepeitscht worden. Dann hieß es etwa: „Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Annahme als Kind erfüllte der Deutsche Bundestag zwar spät, aber immerhin noch in dieser Legislatur. periode eine langjährige Forderung der CDU/CSU-Fraktion."

    (Zustimung bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie haben ja fünf Jahre zur Vorbereitung gebraucht!)

    Der Opposition fehlte es an jeder rechtspolitischen, Konzeption. Gelegentlich mußte sie sogar warten, bis die Leitlinien der Rechtspolitik aus Mainz oder München nach Bonn durchgegeben wurden. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie wisse nicht recht, ob gerade Mainz oder München zuständig sei. Zwischendurch lehnte sie das eine oder andere Gesetz ab, ohne aber selber Änderungsanträge zu stellen, etwa nach dem Motto: Ich sage es meinem großen Bruder; der hat in Mainz eine Staatskanzlei; der besorgt es euch dann im Bundesrat.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Jetzt haben wir schwäbisches Theater!)

    In den letzten Jahren war erfreulicherweise auch bei Teilen der politischen Opposition von der Verwirklichung der Chancengleichheit als einer vom Staat zu bewältigenden Aufgabe die Rede. Es gibt freilich auch andere Stimmen; die machen in Baden-Württemberg und offensichtlich jetzt auch im Bund die demagogische Parole „Freiheit oder Sozialismus" zum Wahlkampfslogan. Das sind dieselben Leute, die uns weismachen wollen, daß Rechtsstaat und Sozialstaat Gegensätze seien und der Ruf nach Chancengleichheit nur als Vorwand diene, um Bürgerfreiheiten zu beschneiden.
    Nun sehen uns bekanntlich immer diejenigen auf dem Weg zu einem freiheitsfeindlichen Kollektivismus, die bereits alles haben, was sie zur Entfaltung ihrer persönlichen Freiheiten benötigen, und die deshalb für sich und großzügig auch für andere auf Schutz und Hilfe des Staates verzichten. Diese Leute reden von Freiheitsverlust und sehen das Recht



    Dürr
    verletzt, auch wenn es ganz schlicht um den überfälligen Abbau von Privilegien geht. Sie sprechen dort von Bevormundung des Bürgers, wo es sich nur darum handelt, ihm erst einmal die Möglichkeit zu geben, seine Freiheit im Alltag zu gebrauchen. Gewiß sind nicht alle gleich leistungsfähig und gleich begabt, aber der Grundsatz, daß alle von der gleichen Linie aus starten, sollte nicht nur im Sport gelten. Wir wollen jedem die Chance geben, das zu erreichen, was unsere Gesellschaft ihm heute schon gewähren kann. Hierfür bedurfte es insbesondere der Reform des Rechts.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Deshalb stand 1969 im Regierungsprogramm: Der Numerus clausus wird abgeschafft!)

    Der Bürger interessiert sich heute mehr denn je für sein Recht, und zwar nicht nur für das Recht, das heute gilt, sondern auch dafür, wie es sein könnte und sollte. Er fordert mit Grund ein Recht, das nicht erhaben in den Sternen steht, sondern denen fühlbar Hilfe gewährt, die der Hilfe im Alltag bedürfen. Nur eine solche Rechtsordnung kann er als sein Recht akzeptieren.
    Daraus folgt die große Bedeutung der Rechtspolitik. Sie muß dem sozialen Rechtsstaat, dessen Verwirklichung das Grundgesetz von uns allen fordert, auch im Alltag formen und durchsetzen.
    Die CDU hat einen Kongreß über das Thema „Recht sichert Freiheit" abgehalten.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Er ist hervorragend gelaufen!)

    Dieser Kongreß ist im Zusammenhang mit den heute gehaltenen Reden der Herren Dregger und von Weizsäcker zu sehen.

    (Vereinzelter Beifall bei der CDU/CSU)

    Was da zur Freiheit gesagt wurde, darüber wollen wir einmal eine kleine, unvollständige Blütenlese halten.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Haben Sie Herrn Schäfer gehört?)

    Einerseits hielt der baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger den Vertretern „jedes Sozialismus, auch des sogenannten demokratischen", entgegen:
    Ihrer neuen Freiheit setzen wir unsere alte Freiheit entgegen. Die Zukunft der Freiheit . . . ist zugleich die Vergangenheit der Freiheit.
    Andererseits führte sein Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat Kohl aus:
    Für uns gibt . . . es . . . kein Primat der Vergangenheit. Wir sind keine Traditionalisten, die in der Zukunft keine anderen Möglichkeiten sehen als die Fortschreibung der Vergangenheit. Die Dynamik unseres Staates und unserer Gesellschaft läßt einen solchen Standpunkt gar nicht zu.
    Einerseits kritisierte Herr Kollege Friedrich Vogel „die Forderung nach gezieltem Einsatz der Rechtspolitik als Instrument der Gesellschaftsveränderung" und fuhr fort:
    Gerade weil wir um die Gestaltungsfunktion und die Gestaltungswirkung des Rechts wissen, leisten wir an diesem Punkt entschiedenen Widerstand.
    Andererseits sprach Herr von Weizsäcker heute morgen von der Freiheit als Gabe und Aufgabe der Selbstverantwortung und Mitverantwortung.

    (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : Wo ist denn da der Widerspruch?)

    — Ich will Ihnen eines sagen: Das macht deutlich, daß bei Ihrer Semantik eine Weiterentwicklung, die Sie für notwendig ansehen, Weiterentwicklung der Gesellschaft ist, während eine Weiterentwicklung, die Sie für falsch halten, bei Ihnen Gesellschaftsveränderung ist, auch wenn beide das gleiche wollen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sozialismus wollen wir halt nicht! Das ist doch ganz einfach!)

    — Da gestatten Sie mir, daß ich Herrn Kollegen Klein zitiere:
    Die soziale Demokratie oder der demokratische Sozialismus, deren Ziel es ist, die Spannung von Freiheit und Gleichheit . . . aufzuheben, geben die Freiheit, die wir meinen, preis.
    Darin steht mehr als in dem Satz, daß Sie den Sozialismus nicht wollen. Das zu sagen gestehe ich Ihnen doch jederzeit zu. Bloß wenn man einen Pachtanspruch erhebt, fängt es an, schwierig zu werden.
    Herr von Weizsäcker hat heute morgen viele Sätze über die Freiheit gesprochen, wo einem Freien Demokraten oder einem Sozialdemokraten die Zustimmung leichtfällt. Lesen Sie aber einmal im Protokoll seine drei letzten Sätze nach. Da hat er, der sicher ein Landgut pachten kann, versucht, die nicht pachtbare Freiheit für sich und seine Parteifreunde zu pachten. Da fängt es an, schwierig und problematisch zu werden. Da wird das, was in den letzten drei Sätzen steht, einfach falsch. Ich hoffe und bin sicher, daß die von ihm in den letzten drei Sätzen gemachte Voraussage des Wahlergebnisses von den Wählern eben nicht so honoriert wird, wie er es vorauszusagen beliebte.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Siehe Baden-Württemberg!)

    Noch eines. Wenn Sie über Freiheit reden, warum suchen Sie dann nach neuen Formen? Bevor die CDU eine nächste Konferenz etwa über die neue Frage der Freiheit kreiert, sei ihr angeraten, auch zum Problem der Freiheit ein altes Wort, hier das des konservativen Lorenz von Stein zur Kenntnis zu nehmen. Es lautet:
    Die Freiheit ist eine wirkliche erst in dem, der die Bedingungen derselben, die materiellen und geistigen Güter, als die Voraussetzungen der Selbstbestimmung, besitzt.
    Ich hoffe, dazu können wir alle miteinander ja sagen.
    Packen wir das Problem unserer Rechtspolitik und der Freiheit von einer anderen Seite an! Herr Kol-



    Dürr
    lege Vogel warf auf dem rechtspolitischen Kongreß in Karlsruhe der Koalition und ihrer Rechtspolitik eine falsch verstandene Liberalität vor, der es in erster Linie um die „Freiheit wovon", um die angebliche Befreiung aus institutionellen Bindungen und Bevormundungen geht, weniger dagegen um die „Freiheit wozu".

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Richtig!)

    In der Tat war für Sozialdemokraten und ihre Rechtspolitik seit 1969 bereits Maßstab, was für die CDU erst Wahlprogramm 1976 werden soll. Ich zitiere aus dem Entwurf:
    Wir wollen das Glück des Menschen, nicht die Zwangsbeglückung des Staates. Wer dem Menschen alle Verantwortung abnimmt, nimmt ihm auch die Freiheit.
    Für uns Sozialdemokraten ging es bei unserer Rechtspolitik in dieser Perspektive auch um die „Freiheit wovon". Freiheit bedeutet für uns auch frei sein von entwürdigenden Abhängigkeiten.
    So hatten beispielsweise SPD und FDP bei der Reform des § 218 in Beachtung der jetzt auch von der CDU beschworenen Selbstverantwortung des Menschen eine Lösung gesucht und in den durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezogenen Grenzen auch gefunden, in der der Schutz des werdenden Lebens weniger durch eine Strafandrohung als durch Rat und Hilfe für die betroffenen Frauen gewährleistet wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das erste war aber verfassungswidrig, was Sie vorgelegt haben!)

    Bei der Reform des Scheidungsrechts wurde durch den Übergang vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip die Ehe als personale Lebensgemeinschaft anerkannt, deren Eigenart und deren höchstpersönlicher Charakter es dem Staat verbieten, sie mit Zwangsmaßnahmen auch dann noch aufrechterhalten zu wollen, wenn eine wirkliche Ehe überhaupt nicht mehr besteht. Während die CDU von Frauenfeindlichkeit, Männerfeindlichkeit, Kinderfeindlichkeit und Volksfeindlichkeit des neuen Eherechts sprach, haben wir bei unserer Reform die Selbstverantwortlichkeit der Ehepartner ernst genommen. Sowohl bei der Wahl des Ehenamens als auch bei der Regelung der Aufgabenverteilung in der Ehe hat das neue Eherecht staatliche Bevormundung durch die Notwendigkeit eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens der Ehegatten ersetzt. Gleichzeitig zeigt es sich gerade bei der Reform des Eherechts, daß für uns Sozialdemokraten die freie Entfaltung der Persönlichkeit untrennbar mit sozialer Inpflichtnahme verbunden ist.
    Ich zitiere jetzt aus unserem Entwurf eines Regierungsprogramms:
    Nur eine Politik der Solidarität und der Gerechtigkeit bringt jedem Bürger wirkliche Freiheit. Soziale Sicherheit geht nicht auf Kosten der Freiheit, im Gegenteil, soziale Sicherheit schafft Freiheit für den Menschen.

    (Beifall bei der SPD)

    So erwirbt durch die Regelung des Versorgungsausgleichs die Frau erstmals im Falle der Scheidung auch dann einen selbständigen Versorgungsanspruch, wenn sie ihre ganze Kraft dem Haushalt gewidmet hat und deshalb nicht berufstätig war. Eine Zielvorstellung, für die Frauen seit Jahrzehnten kämpfen, nämlich die Gleichbewertung der Arbeit im Haushalt und der Kindererziehung, ist damit in einem ersten Teilabschnitt verwirklicht worden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben in der Rechtspolitik durch Ausbau des sozialen Rechtsstaats mehr Freiheit für den Bürger geschaffen. Ich erwähne nur die Reform des Mietrechts, deren Erfolg sich übrigens allein schon aus der sinkenden Zahl von Mietprozessen ablesen läßt. Die Freiheit des vertragstreuen Mieters von der Furcht, seine Wohnung zu verlieren, wurde vergrößert, und gleichzeitig wurden die berechtigten Belange der Hausbesitzer gewahrt. Ich nenne ferner die verschiedenen Verbesserungen des Verbraucherschutzes, auf die an anderer Stelle in dieser Debatte eingegangen wird.
    Genau wie die Gleichstellung des nichtehelichen mit den ehelichen Kindern bringt auch das neue Recht der Annahme als Kind mehr soziale Sicherheit und damit mehr Freiheit. Einem Kind, das sonst dazu verurteilt wäre, als Heimkind aufzuwachsen, wird so die Möglichkeit gegeben, in der Nestwärme eines gesunden Zuhause, in einer Familie tatsächlich und rechtlich gleich günstige Lebensverhältnisse vorzufinden wie andere Kinder. Dann hat es mehr Chancengleichheit, dann hat es Anspruch auf eine Erziehung und Bildung, auf Grund derer es seine Persönlichkeit und seine Anlagen freier entfalten kann. Dann hat es, kurz gesagt, mehr Freiheit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der gleiche Ausbau der Freiheit des Bürgers läßt sich bei unseren Reformen im Recht der Wirtschaft nachweisen, die die Stärkung und Sicherung des Wettbewerbs zum Ziel hatten, wobei der Reform des Kartellgesetzes besonderes Gewicht zukommt. Derselbe Gedanke leitete uns bei der gesetzlichen Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten. Diese Regelung brachte mehr Freiheit für die Journalisten, aber auch mehr Informationsfreiheit für uns alle. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten darüber nachdenken, ob es nicht symptomatisch war, daß Sie gerade diesem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung verweigert haben.
    Niemand sage, dieser Ausbau der Freiheit des Bürgers in der Mitverantwortung sei auf Gesetzentwürfe beschränkt, die im Bundesjustizministerium gefertigt wurden. Mehr Freiheit durch mehr Mitverantwortung im sozialen Rechtsstaat kennzeichnet z. B. auch die Reform des Betriebsverfassungsrechts und das Gesetz über die Mitbestimmung. Wer Wert darauf legt, möglichst im Rahmen der von der Geschäftsordnung vorgesehenen Redezeit zu bleiben, hat es schwer, allein bei der Aufzählung der wichtigsten Rechtsreformen Vollständigkeit zu erreichen.
    Wir können damit meine ich auch die Opposition — stolz sein auf die Verbesserungen im Straf-



    Dürr
    recht, mit denen wir neuen Formen der Kriminalität wie Luftpiraterie und Geiselnahme wirksam entgegengetreten sind. Ich erhoffe mir auch Konsens bei der Verabschiedung des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, weil ich meine, wir alle sollten uns darüber einig sein, daß ein Mensch, der durch Subventions- oder Erstattungsbetrug der öffentlichen Hand widerrechtlich Gelder entzieht, die dann beim Bau von Schulen oder Kindergärten fehlen, weit sozialschädlicher handelt als ein kleiner Gauner, der meint, seinen Weihnachtsbaum im Wald stehlen oder ein mit dem Auto totgefahrenes Reh in den Kofferraum packen zu müssen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Obwohl die CDU/CSU dem Vorschlag ihres Arbeitskreises „Innen- und Rechtspolitik", dem Strafvollzugsgesetz zuzustimmen, nicht gefolgt ist, appelliere ich an die Rechtspolitiker aller Fraktionen, es nicht dabei zu belassen, daß unser Strafvollzug nach mehr als hundertjährigem Bemühen auf eine bundeseinheitliche, dem Grundgesetz entsprechende Grundlage gestellt wurde und daß die Strafgefangenen in die Arbeitslosenversicherung einbezogen worden sind. Wir haben einen Schritt gemacht, der dazu führen soll, mehr Menschen von der schiefen Ebene des immer wieder rückfällig werdenden Straftäters herunterzuholen. Aber wir haben bei den Maßnahmen, die Geld kosten, einen Abstrich nach dem anderen machen müssen. Diese Abstriche sind von harten wirtschaftlichen Fakten erzwungen worden. In der Zeit des Aufschwungs sollten wir unsere guten Vorsätze bezüglich des Arbeitsentgelts und der Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozialversicherung ebensowenig vergessen wie den Ausbau der Sozialtherapie im Rahmen des Strafvollzugs.
    Wir haben auf diesem Gebiet noch ein großes Reformdefizit. Daran sollten Politiker aller Parteien in Bund und Ländern auch in Zeiten des Wahlkampfes denken. Wir sind allen gesellschaftlichen Kräften, den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, vielen Journalisten in Presse, Rundfunk und Fernsehen, sehr dankbar, wenn sie in der Öffentlichkeit für die an sich nicht populäre Notwendigkeit der Strafvollzugsreform werben und uns auf diese Weise helfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Rechtspolitik dieser Legislaturperiode kann sich sehen lassen. Dafür gebührt unser Dank den Bundesjustizministern Gerhard Jahn und Hans-Jochen Vogel und deren Mitarbeitern,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    den Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten, Notaren und vielen anderen, denen wir beim Umsetzen neuer Gesetze in die Praxis einiges an Mühe zugemutet haben. Wir danken kurz vor Ende dieser Legislaturperiode auch allen aus Wissenschaft und Praxis, die unsere Rechtspolitik mit Kritik und Anregungen begleitet haben.
    Die Rechtspolitik in dieser Legislaturperiode war sehr erfolgreich. Das muß jeder, wenn auch vielleicht widerwillig, anerkennen, der sie sachlich würdigt.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Nicht einmal widerwillig!)

    Das wird selbst derjenige nicht wegdiskutieren können, der an diese Leistungsbilanz die seit gestern öfters gebrauchte wahlkampfdemagogische Elle anlegt. Ich hoffe sehr, daß Herr Kollege Lenz als der nachfolgende Redner dieser Versuchung nicht erliegt, auch wenn meine Hoffnung nicht so weit geht, daß ich erwarte, er werde dieser von Sozialdemokraten geleiteten Rechtspolitik das übrigens durchaus zutreffende Prädikat „volksfreundlich" verleihen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz (Bergstraße).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carl Otto Lenz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß zum erstenmal seit 1971 aus Anlaß der Beratung des Justizhaushalts eine Debatte über die Rechtspolitik stattfinden kann. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu dem Bericht des Kollegen Simon machen, der über die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums der Justiz gesprochen hat. Nach unserer Auffassung, Herr Kollege Simon das ist eigentlich das einzige, was ich an Ihrem Vortrag auszusetzen habe --, ist es nicht Aufgabe des Bundesministeriums der Justiz, unverständliche Texte zu propagieren, sondern dafür zu sorgen, daß verständliche Texte angenommen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Bundesministerium der Justiz ist federführend für die Rechtspolitik der Bundesregierung. Rechtspolitik ist ein Teil der Gesamtpolitik der Bundesregierung. Sie sollte deshalb ebenso wie die Gesamtpolitik der Sicherung der Zukunft unseres Staates und Volkes auf der Grundlage der Verfassung dienen. Die Rechtspolitik der derzeitigen Koalition ist dieser Grundforderung nicht gerecht geworden. Außerdem hat sich der Bundesminister der Justiz die Rechtspolitik von den Koalitionsfraktionen teilweise aus der Hand nehmen lassen.
    Zugegeben, Bundesjustizminister Vogel trat ein schweres Erbe an. Die rechtspolitische Landschaft hei seinem Amtsantritt glich eher einer Partitur für Jahns „Unvollendete", einer justizpolitischen Großbaustelle, um nicht zu sagen, einem Trümmerfeld.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : „Großbaustelle" wäre etwas Positives!)

    Vieles war angefangen, nur weniges war vollendet, und dieses Wenige war zum Vorzeigen kaum geeignet, wie das mit so viel Elan betriebene Gesetz über die Reform der Amtsbezeichnungen der Richter zeigt.

    (Dr. Hauser [Sasbach] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)




    Dr. Lenz (Bergstraße)

    Der Justizminister mußte sich sogar vom Bundesverfassungsgericht sagen lassen, daß ein Teil dieses
    sonderbaren Reformwerkes verfassungswidrig sei.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Sagen Sie, wie haben Sie denn damals gestimmt, Herr Lenz?)

    Die Ursache für diesen Zustand der Rechtspolitik im Jahre 1974 war die Reformüberschwenglichkeit des Jahres 1969. Nichts ist kennzeichnender für die damalige Stimmung als das Kanzlerwort: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an." Dabei konnte unser Land im Jahre 1969 auf 20 Jahre erfolgreicher Rechtspolitik zurückblicken, ohne daß allerdings viel Aufhebens davon gemacht worden wäre. Lassen Sie mich deshalb die wichtigsten Ergebnisse noch einmal kurz zusammenfassen: Wiederherstellung der ab 1945 verlorengegangenen Rechtseinheit, konsequente Beseitigung nationalsozialistischer Rechtsvorschriften, sehr weitgehende Aufhebung des Besatzungsrechts, wirksamer Schutz der Grund- und Menschenrechte sowie der Verfassung, Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau und der nichtehelichen Kinder,

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Das müssen wir doch jetzt erst machen!)

    Beginn weitreichender Reformen auf dem Gebiet
    des Strafrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts,

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Da hat Sie das Verfassungsgericht einige Male korrigiert!)

    rechtsstaatliche Normen und Fortentwicklung aller Zweige der Gerichtsbarkeit, verfassungsmäßige, zeitgerechte Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Richter, Rechtspfleger, Rechtsanwälte und Notare. Meine Damen und Herren, das war eine Bilanz, die für mehrere Generationen sozialdemokratischer Justizminister ausgereicht hätte.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    1969 wollte man dann beinahe alles auf einmal anpacken. Der Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit sollte reformiert und dreistufig gestaltet werden — was einen bekannten justizpolitischen Kommentator zu einem Artikel unter dem Titel „Drei Stufen ins Nichts" veranlaßte —, ein Rechtspflegeministerium sollte geschaffen werden, und dem Bundesjustizminister schwebte eine weitreichende Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen vor.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Sind Sie dagegen?)

    Das Erbrecht und das Kindschaftsrecht sollten neu gestaltet werden, das letztere mit der etwas merkwürdig anmutenden Begründung, das Kind müsse aus der elterlichen Fremdbestimmung befreit werden.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Ebenso sollte das Unternehmensrecht, nämlich das GmbH-Recht und das Recht der einzelkaufmännischen Unternehmen, neu gestaltet werden. Außerdem stand auf dem Reformprogramm des Bundesjustizministeriums das Amtsrecht der Staatsanwälte und das Richteramtsrecht.

    (Zuruf des Abg. Dr. Emmerlich [SPD])

    Alle diese genannten Vorhaben, Herr Kollege Emmerlich, mußten abgeschrieben oder zurückgestellt werden. Man ist versucht, ein Wort Friedrichs des Großen abzuwandeln: „Wer alles reformieret, reformieret nichts." Die Konzentration auf das Mögliche und das politische Augenmaß für das Mögliche fehlten. So blieb Bundesjustizminister Vogel nichts anderes übrig, als das Reformprogramm drastisch zusammenzustreichen.
    Meine Damen und Herren, der zweite Fehler war die Konsequenz des ersten. Im Gegensatz zu Ihren öffentlichen Erklärungen bemühte sich die Bundesregierung nicht um eine loyale Zusammenarbeit mit den gesetzgebenden Körperschaften in Ihrer Gesamtheit einschließlich der Opposition, sondern sie versuchte, ihre Minimehrheit bis zum letzten Punkt auszureizen. Sie versuchte, den Bundesrat in eine Jasagemaschine zu verwandeln, und wenn er sich gegen diese Rolle sträubte und auf seinen Mitwirkungsrechten beharrte, versuchte die Koalition, ihn mit dem Vorwurf schachmatt zu setzen, er blockiere den Willen der demokratisch gewählten Mehrheit des Bundestages.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die Kampagne gegen den Bundesrat stellt Demokratie und Verfassungsverständnis der Regierungskoalition und der sie tragenden Parteien ein besonders schlechtes Zeugnis aus, leider nicht das einzige.

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Oberlehrer Lenz!)

    Statt Mehrheiten über alle Parteien hinweg zu suchen, wie sie angekündigt hatte, betrachtete die Regierung das Recht als Hausgut der SPD bzw. der Koalition und nicht als Gemeingut des ganzen Volkes. Sie orientierte sich in erster Linie, ja, fast ausschließlich an den in ihrem eigenen Lager vorhandenen Vorstellungen, statt die Auffassung der Opposition mit in Betracht zu ziehen. Die Kontinuität der Rechtsentwicklung wurde teilweise gebrochen und die Kooperation mit Bundesrat und Opposition durch Konfrontation ersetzt.

    (Zuruf des Abg. Dr. Emmerlich [SPD])

    Dies zeigte sich gleich bei einem der ersten wichtigen Gesetzgebungsvorhaben der Koalition, die in der Amtszeit der derzeitigen Koalition verabschiedet wurden, nämlich der fragwürdigen Reform der Straftaten wider die öffentliche Ordnung und wider die Staatsgewalt. An diesem Gesetz kann man eigentlich wie in einem Brennglas die Fehler der derzeitigen Rechtspolitik erkennen. Es wurde nicht an die Ergebnisse der 5. Wahlperiode angeknüpft, sondern um jeden Preis etwas Neues versucht. Man versuchte, den Bundesrat auszumanövrieren, in seinen Rechten zu beschneiden, wogegen sich damals der hessische Ministerpräsident protestierend wandte. Man setzte die Konzeption gegen alle Bedenken, von wem auch immer, durch. Die gleichzeitig erlassene Amnestie für Straßenkämpfer rundet das Bild ab. Das Ganze



    Dr. Lenz (Bergstraße)

    ging im Schlagschatten der neuen Ostpolitik relativ unbemerkt über die Bühne.
    Die damals erprobte Taktik wird bis heute fortgesetzt. In politisch wichtigen Fragen werden an die Opposition im Bundestag keine Konzessionen gemacht. Falls man sich überhaupt dazu entschließt, welche zu machen, spart man sie sich bis zum Bundesrat auf, und auch dann macht man sie nur, wenn sonst die Verabschiedung des Gesetzes gefährdet ist. Zwei typische Fälle hierfür sind die Reform des Scheidungsrechts und des Abtreibungsparagraphen 218. Beim Scheidungsrecht kam es zu echten Kompromißverhandlungen, weil die Union ihren Sachanliegen mit dem Hinwies auf die nicht ausgeräumte Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes Nachdruck vergleihen konnte. Beim Abtreibungsparagraphen 218 war dies leider nicht möglich. Deswegen setzte die Koalition ihren politischen Willen durch, ohne in ernsthafte Kompromißverhandlungen überhaupt einzutreten — und dies, obwohl das neue Recht doch nicht nur für diese Wahlperiode und nicht nur für die Anhänger dieser Koalition, sondern für unser gesamtes Volk auf Dauer gelten soll.

    (Zuruf des Abg. Dr. Arndt [Hamburg] [SPD])

    Wir haben manchmal den Eindruck, als wäre Bundesjustizminister Vogel bereit, einen anderen Kurs zu steuern, aber er kann sich hier anscheinend sowenig durchsetzen wie in seiner Partei in München.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Der darf nicht! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Die Strafprozeßordnung ist der beste Beweis!)

    So wurde die Rechtspolitik gerade bei den im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehenden Fragen eher zu einem Schlachtfeld der Auseinandersetzungen statt zu einem Acker der Zusammenarbeit. Bei den weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehenden Fragen prägte gerade unter Justizminister Vogel, aber auch unter seinem Vorgänger, eine sachliche Zusammenarbeit den Stil der Beratungen. Es ist zu bedauern, daß sich diese Zusammenarbeit nicht bis in die wichtigen rechtspolitischen Grundfragen hinein erstreckte.
    Lassen Sie mich das an zwei Fällen beispielhaft darstellen. Die energische Bekämpfung von Verfassungsfeinden und von kriminellen Elementen ist nach Überzeugung der Union notwendig für die Sicherung unserer freiheitlichen Staatsordnung. Unser Volk würde es nicht verstehen, wenn unser Staat kriminellen Elementen nicht mit allem Nachdruck entgegentritt, und unser Volk würde es nicht verstehen, wenn sich unser Staat von verfassungsfeindlichen Elementen infiltrieren läßt. Wenn wir auf diesem Gebiet nicht erfolgreich sind, wird unser Volk das Vertrauen zu seinem Staat verlieren.
    Nach meiner Überzeugung hat die Bundesregierung weder in der letzten noch in dieser Wahlperiode auf diesem Gebiet die notwendige Energie gezeigt. Ich will nicht mehr auf die jahrelange Verschleppung unserer Gesetzesanträge zur Verschärfung des Haftrechts eingehen, die erst unter dem Eindruck der Bombenexplosionen der Baader-Mein-
    hof-Bande verabschiedet werden konnten. Ich muß aber darauf hinweisen, daß die notwendigen Regelungen für den Ausschluß von Strafverteidigern eineinhalb Jahre verzögert wurden, obwohl der Bundesregierung dieses Problem sowohl als Rechtsproblem als auch als tatsächliches Problem seit langem bekannt war.

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Sie haben die Zeilen verwechselt!)

    Ich muß weiter darauf hinweisen, daß es dem Herrn Bundesminister der Justiz nicht gelungen ist, für den Kabinettsbeschluß der Bundesregierung über die Überwachung des Verteidigerverkehrs die Unterstützung der Koalitionsfraktionen zu finden.

    (Zuruf des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/ CSU])

    Sie haben das zwar vorgeschlagen, aber die Koalitionsfraktionen haben es fallengelassen. Sie haben sich dann vor dieses Haus gestellt und die kopierte Regelung ohne jegliche Verteidigerüberwachung als „ausreichend" bezeichnet.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Sogar als besser!)

    — Als besser bezeichnet, jawohl, Herr Kollege Vogel.

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Verteidigerausschluß!)

    — Zu diesem Ausschluß, Herr Kollege Arndt, werde ich auch noch kommen.
    Mittlerweile schlagen Sie uns selbst eine Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs vor. Außerdem sind Sie dann hingegangen, Herr Minister, und haben die beschlossenen Ausschlußvorschriften während eines schwebenden Verfahrens und ohne Not einschränkend und verunsichernd ausgelegt. Die Arbeit der Stammheimer und Karlsruher Richter haben Sie damit nicht gerade erleichtert.

    (Kunz [Berlin] [CDU/CSU] : Das kann man wohl sagen!)

    Auch bei den noch ausstehenden Strafprozeßordnungsregelungen ist es der Bundesregierung, d. h. Ihnen, Herr Bundesjustizminister, noch nicht gelungen — vielleicht besteht noch Hoffnung —, alle Ihre Vorstellungen in den Koalitionsfraktionen durchzusetzen. Ich denke dabei z. B. an die Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs, der jetzt von Ihnen vorgeschlagen und von den Koalitionsfraktionen aber noch nicht gebilligt worden ist.

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Stimmt ja gar nicht!)

    — Noch nicht, Herr Kollege. Dem ist überhaupt nicht zu widersprechen; denn noch haben wir es nicht verabschiedet. Wenn ich mich hier täuschen sollte, Herr Kollege, wird sich ja in kürzester Zeit die Gelegenheit ergeben, darüber in diesem Hause anhand der dann beschlossenen Texte zu reden,

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : In der Tat!)

    obwohl dieser Vorschlag, Herr Minister Vogel, nach unserer Auffassung ohnedies nicht zureichend ist.



    Dr. Lenz (Bergstraße)

    Meine Damen und Herren, manche in unserem Lande — jetzt wende ich mich an Herrn Bundesminister Maihofer — scheinen die Auffassung zu vertreten, Sicherheit und Freiheit seien Gegenstände und im Zweifel müsse man sich für die Freiheit entscheiden.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Sie haben heute morgen nicht richtig aufgepaßt!!)

    Für uns christliche Demokraten sind Sicherheit und Freiheit keine Gegensätze. Freiheit von Not und Freiheit von Furcht sind unabdingbare Voraussetzungen für Freiheit. Freiheit von Not ist ohne das, was wir innere und äußere Sicherheit nennen, nicht denkbar. Deshalb ist die Sicherung des Lebens, von Freiheit und Eigentum eine unverzichtbare Aufgabe des freiheitlichen Rechtsstaats.

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD]: Des Eigentums auch, Herr Lenz!)

    — Leben, Freiheit und Eigentum hatte ich vorgelesen.

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Das gilt auch für Plakate, Herr Lenz! — Zuruf des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU])

    — Aber nicht für Notwehrhandlungen, Herr Kollege, gegen Handlungen, durch die meine Fraktion und ich persönlich verleumdet worden sind. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen. Wenn Sie glauben, Sie könnten hier eine Arbeitsverteilung einführen, bei der wir Amboß und Sie Hammer sind, werden Sie sich bei dieser Union getäuscht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich [SPD]: Herr Lenz, seit wann heißt Faustrecht „Notwehr"? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Deswegen war die Schaffung und Erhaltung eines leistungsfähigen Netzes der sozialen Sicherheit einschließlich seiner notwendigen Verankerung in einer leistungsfähigen Volkswirtschaft stets ein zentrales Anliegen unserer Politik. Ich habe zu meiner Freude gelesen, daß sich auch Sozialdemokraten nicht von der falschen Alternative „Freiheit oder Sicherheit" verleiten lassen. Freiheit und Sicherheit, so heißt es im neuen Regierungsprogramm, seien keine Gegensätze; sie bedingten einander. Vielleicht muß man diesen Punkt noch vor den nächsten Wahlen zum Gegenstand von Koalitionsverhandlungen machen, damit Sie, Herr Bundesminister Maihofer, das Bestehen auf sozialer Sicherheit von seiten ihrer sozialdemokratischen Koalitionspartner nicht als freiheitsbeschränkende Tendenz auslegen.

    (Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Das steht gar nicht im Manuskript, Herr Lenz!)

    Nach unserem Verständnis gilt für das Verhältnis dieser Begriffe zueinander der Satz „Recht sichert die Freiheit".
    Der zweite Schwerpunkt liegt nach unserer Überzeugung auf dem Mangel an Respekt vor der Autorität des Rechts. Hierzu muß man sich freilich gegenüber der SPD differenziert äußern. Der frühere Hamburger Regierungschef Weichmann sagte:
    Unsere Gesellschaft muß auf der Respektierung des gesetzlichen Rechts wie auch des Vertragsrechts bestehen, solange es eben geltendes Recht ist.
    Aber die Koalitionspolitiker äußern sich anders. Für den früheren Bundeskanzler ist die Weltgeschichte eben kein Amtsgericht;

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Ist die Weltgeschichte denn ein Amtsgericht?)

    für den Kollegen Wehner ist der Rechtsstaat ein verknorpelter Begriff; und für den Kollegen Jahn war die Forderung nach Amnestie für Straßenkämpfer gerechtfertigt, weil der Kern ihres Anliegens begründet war.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Das sind die Helfershelfer!)

    Vor dem Hintergrund eines solchen Rechts- und Verfassungsverständnisses ist es erklärlich, daß man sich die Ostpolitik nicht von acht Richtern in Karlsruhe kaputtmachen lassen wollte und deshalb den Grundvertrag mit der DDR in Kraft setzte, ohne die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierüber abzuwarten. Es lohnt, noch einmal im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu lesen, was es selber von dieser Umgehung seiner Zuständigkeit hält.

    (Dr. Müller-Emmert [SPD]: Träumerei!)

    — Es mag sein, Herr Kollege, daß Sie die Aussprüche des Bundesverfassungsgerichts für Träumerei halten. Wir halten sie für verbindliches Recht in unserem Land. Deswegen stehen wir auf dem Boden der Verfassung. Bei Ihnen ist das offenbar nur ein schöner Traum.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Notwehr!)

    Bei der mißglückten Änderung des Abtreibungsparagraphen durch die sogenannte Fristenlösung setzte sich die Mehrheit des Hauses über die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesjustizministeriums hinweg und verabschiedete die Fristenregelung, die dann von Karlsruhe aufgehoben wurde.