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ID0724103300

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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 241. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 16929 A Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung — Drucksache 7/5142 — Kleinert FDP . . . . . . . . . . . 16929 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 (Haushaltsgesetz 1976) — Drucksachen 7/4100, 7/4629 —, Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 7/5036 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 7/5054 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 7/5056 — Liedtke SPD 16930 A Dr. Dregger CDU/CSU 16933 C Kleinert FDP 16945 B Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 16949 D, 16979 A Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 16959 D Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 16965 C Dr. Wendig FDP 16969 B Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . . 16974 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 7/5037 — Simon SPD 16983 A Dürr SPD 16984 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . 16987 C Engelhard FDP . . . . . . . . . . 16993 B Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . 16997 C Schmidt, Bundeskanzler . . . 17002 C, 17018 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Dr. Wallmann CDU/CSU . . . . . . . 13011 D Spitzmüller FDP . . . . . . . . . . 17015 D Wehner SPD . . . . . . . . . . . 17016 C Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 17017 A Frau Funcke, Vizepräsident . . . . . . 17011 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 7/5040 — Löffler SPD . . . . 17019 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 17019 C Peters (Poppenbüll) FDP . . . . . . 17022 A Ertl, Bundesminister BML . . . . . . 17023 A Dr. Ritz CDU/CSU . . . . . . . . 17026 D Gallus FDP 17029 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 7/5046 — 17029 C Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 7/5047-17029 C Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 7/5049 — 17029 D Nächste Sitzung 17029 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17031* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 16929 241. Sitzung Bonn, den 12. Mai 1976 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Achenbach * 14. 5. Adams * 14. 5. Dr. Aigner * 14. 5. Dr. Artzinger * 14. 5. Dr. Bangemann * 14. 5. Dr. Bayerl * 14. 5. Behrendt * 14. 5. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld * 14. 5. Frau von Bothmer ** 13. 5. Prof. Dr. Burgbacher * 14. 5. Christ 12. 5. Dr. Enders ** 13. 5. Dr. Eppler 12. 5. Entrup 14. 5. Fellermaier * 14. 5. Flämig * 14. 5. Frehsee * 14. 5. Dr. Früh * 14. 5. Gerlach (Emsland) * 14. 5. Gewandt 14. 5. Härzschel * 14. 5. Hussing 21.5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 14. 5. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kempfler 14. 5. Dr. Klepsch * 14. 5. Krall * 14.5. Dr. Kreile 12. 5. von Kühlmann-Stumm 12. 5. Lange * 14. 5. Lautenschlager * 14. 5. Lenzer ** 13. 5. Lücker * 14. 5. Memmel * 14. 5. Mick 14. 5. Müller (Mülheim) * 14. 5. Müller (München) ** 13. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 14. 5. Dr. Narjes 14. 5. Pfeifer 12. 5. Rosenthal 14. 5. Seibert 21. 5. Schmidt (München) * 14. 5. Dr. Schulz (Berlin) * 14. 5. Schwabe * 14. 5. Dr. Schwörer * 14. 5. Seefeld * 14. 5. Springorum * 14. 5. Dr. Starke (Franken) * 14. 5. Suck' 14. 5. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 21. 5. Walkhoff * 14. 5. Walther 14. 5. Frau Dr. Walz * 14. 5. Dr. Warnke 14. 5. Wende 21.5. Zeyer 14. 5.
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    Rede von Detlef Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Trotz des zweifellos ernsten Gegenstandes hatte ich an sich die Absicht, die Sache etwas heiterer zu nehmen. Wenn Herr Dregger allerdings anfängt, sich z. B. auf Grund von Zwischenreden vom Manuskript zu lösen, bleibt einem jede Heiterkeit weg. Dann merkt man, wie mühsam hier trotz allem, was wir vom Manuskript her gehört haben, das zurückgehalten wurde, was noch weit über das Manuskript hinausgeht. Da ist kein Platz mehr für Heiterkeit.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Unterstellungen!)

    Wir haben uns in den letzten Wochen daran gewöhnen müssen, daß Sie das angesichts Ihrer Bekenntnisse zur Demokratie geradezu abenteuerliche Wagnis unternehmen, den kommenden Wahlkampf mit der ungewöhnlich heuchlerischen, mit der für diese Demokratie ungewöhnlich verderblichen und selbstverständlich völlig falschen und unlogischen Alternative „Freiheit oder Sozialismus" zu bestreiten. Wir haben uns gefragt, woher Sie den Mut dazu nehmen.
    Aus der Tatsache, daß Herr Dregger hier reichlich mit dem Wort „Freiheit" um sich geworfen hat, und aus der Tatsache, daß Herr Dregger hier von Ihrer
    Fraktion zu diesem wichtigen Thema unserer inneren Sicherheit als Hauptredner heraufgeschickt worden ist, schließen wir, daß er in besonderem Maße als Symbolfigur für das gelten kann, was Sie unter Freiheit verstehen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir halten das für eine ungewöhnlich wichtige Entscheidungshilfe, weniger für uns als für die Bürger, die am 3. Oktober wählen sollen,

    (Erneuter Beifall bei der FDP und der SPD — Erneuter demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU)

    die auf diese Weise wissen, was Sie unter Freiheit verstehen. Damit sind wir als Liberale auch schon sehr beruhigt. Von dieser Art Freiheit sind wir nicht tangiert.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Schöne Liberale!)

    Herr Dregger, Hunger und Durst kann man für eine gewisse Zeit durch stramme Haltung und markige Sprechweise ersetzen, aber nicht die mangelnde Konkretheit, nicht die mangelnden Sachkenntnisse und nicht die mangelnde Fähigkeit, auf irgendeinen Sachverhalt einzugehen, wenn man weit über eine Stunde anderen Leuten Schwammigkeit in ihren Auffassungen, Weichheit und Unklarheit in der Wahrnehmung ihres Ministeramtes und dergleichen Dinge vorwirft. Es ist von Ihnen überhaupt kein Faktum gekommen.

    (Widerspruch und Zurufe von der CDU/CSU)

    Was interessant war, das war die Art Ihres Vortrages. Sie steht in einer langen und großen Tradition seit Marc Antons berühmter Grabrede für Julius Cäsar. Neuere Beispiele aus der Zeit vor etwa 30 Jahren zu nennen, verbietet mir die Tatsache, daß wir nach wie vor entschlossen sind, den kommenden Wahlkampf etwas sachlicher zu führen als Sie.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Sie, Herr Dregger, haben zunächst einmal damit begonnen, bei zwei zweifellos sehr stimmstarken Bevölkerungsgruppen um Sympathie zu werben: Sie haben die Beamten angesprochen, und Sie haben dann insonderheit die Polizeibeamten innerhalb dieser Gruppe angesprochen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Dregger [CDU/CSU])

    Das ist als Versuch sehr zu verstehen, aber es dürfte Ihnen insofern mißlungen sein — und das meine ich mit der mangelnden Einsicht in die Tatsachen —, als gerade diese Bevölkerungsgruppen, die Beamten und unter ihnen die Polizeibeamten, ganz dicht an dem waren, was seit 1969 von der liberalsozialen Koalition und innerhalb dieser von dem verantwortlichen Bundesinnenminister für diese Bevölkerungsgruppen getan worden ist. In einer ganz klaren und anschaulichen Weise hat jeder einzelne Beamte sich davon überzeugen können, daß er einen Dienstherrn hatte, der in vollstem Umfange sich vor ihn gestellt hat, der dafür gesorgt hat, daß eine Fülle von Ungereimtheiten z. B. im Bereich der Besoldung und



    Kleinert
    der Beförderung beseitigt worden sind, die auf uns aus den Jahren überkommen sind, in denen die CDU den Innenminister gestellt hat. Auch ist insgesamt die Stellung aller Beamten im Verhältnis zueinander gerechter geworden und in der Wertung gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen besser eingeordnet worden.

    (Beifall bei der FDP)

    Da jeder einzelne Beamte das genau an seinen persönlichen Unterlagen und seinem persönlichen Schicksal in den letzten Jahren verfolgen konnte und mit Sicherheit auch verfolgt hat, halte ich es für einen untauglichen Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt, daß Sie hierhergehen und meinen, die Beamten würden das, was sie bei Hans-Dietrich Genscher und in Fortsetzung seiner Bemühungen bei Herrn Maihofer als Innenminister gehabt haben, etwa weggeben wollen für das, was Sie, Herr Dregger, in ebenso wolkigen wie unbestimmten Worten ihnen hier versprechen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD) Das werden diese Beamten nicht tun.

    Sie haben uns hier gesagt, die Gesetzesvermehrung sei schuld an der Beamtenvermehrung. An dieser Gesetzesvermehrung ist die Fraktion der CDU/ CSU beteiligt. Beim Geldhergeben haben Sie die Mitverantwortung sofort willig an sich gerissen, beim Gesetzemachen wollten Sie sie heute, weil es Ihnen gerade so paßte, nicht mittragen. Fast alle Gesetze sind mit Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag oder schließlich mit Zustimmung des Bundesrates nach den Beratungen im Vermittlungsausschuß einmütig angenommen worden.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Herr Kleinert, sind wir denn nun Ja-Sager oder NeinSager? Da müssen Sie sich entscheiden!)

    — Herr Vogel, haben Sie von mir schon mal gehört, daß Sie ewige Nein-Sager wären?

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Aber von Ihren Genossen drüben!)

    — Also, ich habe erstmal überhaupt keinen Genossen, sondern Koalitionsfreunde.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Außerdem habe ich noch Parteifreunde, die stehen mir übrigens näher. — Aber Sie haben das von mir noch nicht gehört. Ich kenne diese Verabschiedungsstatistik. Ich kenne einige wichtige Dinge, auf die ich, wenn Sie das gern hätten, noch einmal andeutungsweise zu sprechen kommen will, in denen Sie allerdings ganz andere Ansichten hatten als wir.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Die werden im wesentlichen verschieden sein!)

    Das hat seinen Grund in unterschiedlichen Standpunkten. Aber all die Gesetze, die zu einem weiteren Ausbau unseres Sozialstaates geführt haben, all die Gesetze, die auch wesentlich zu einem weiteren Ausbau im Bereich der inneren Sicherheit führen sollten, sind von der CDU/CSU mit beschlossen worden, somit, Herr Dregger, auch die Ursache für die notwendige Vermehrung von Beamtenstellen. Da
    hilft es gar nichts, daß Sie sich hier aufbauen und ausgerechnet der Bundesregierung Vorwürfe machen, zumal der überwältigende Teil der Stellenvermehrung in den Länderbereich fällt und die Statistiken der SPD/FDP- und CDU/CSU-regierten Länder insofern kaum signifikante Unterschiede ausweisen. Was soll es also? Nach außen hin soll denjenigen, die sich damit nicht näher befaßt haben, der Eindruck suggeriert werden, hier werde schlecht gewirtschaftet und Sie würden das besser tun. In diesem Punkt schon mal mit Sicherheit Fehlanzeige.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Sie haben die ungewöhnlich eindrucksvolle Forderung erhoben, es sollten Stellen ausgeschrieben werden; eine der wenigen konkreten Forderungen zu dem Aktionsprogramm von Herrn Professor Maihofer. Diese Stellenausschreibung hätten Sie einmal in den langen Jahren bis 1969 einführen und durchhalten sollen, ohne Ansehen weniger des Parteials des Gesangbuches. Dann wäre die Koalition nicht in Verlegenheit gewesen, noch den einen oder anderen Beamten in Staatsstellen holen zu müssen, damit man jemanden im Hause hat, auf den man sich

    (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : Seien Sie vorsichtig!)

    in seiner eigenen Richtung einigermaßen stützen kann. Das gehört nun einmal dazu.

    (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : Gucken Sie sich mal im Innenministerium um!)

    Ich streite das keinem CDU-Minister ab, ich nehme es aber logischerweise auch keinem Minister der sozialliberalen Koalition übel, wenn er sich in seinem engeren Bereich mit Männern oder Frauen seines Vertrauens umgibt. Wenn man die Sache aber in früheren Jahren überzogen hat, ist die logische Folge, daß so etwas zu Stellenvermehrungen führt. Nicht von einem bösartigen Sozial- oder Freien Demokraten, sondern von Konrad Adenauer stammt das Wort, seit wann denn Zufall im Bereich der Personalpflege mit „CV" geschrieben wird. Das darf man vielleicht einmal wieder in Erinnerung rufen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Herr Stücklen hat sich vorhin besonders für die Ausschreibungsvorschläge von Herrn Dregger eingesetzt. Sie haben gesagt, dann könnten wir endlich nicht mehr mit dem Parteibuch usw. Ich hatte Ihnen vorhin schon über die Bänke etwas zugerufen. was bei Ihnen, weil es Plattdeutsch war, vielleicht nicht ganz richtig angekommen ist. Darf ich ausnahmsweise Plattdeutsch verwenden? Bei uns sagt man: Dat ick en Dösbüdel bin, dat argert mi nich; dat en Dösbüdel mi dat seggt, dat argert mi.

    (Heiterkeit)

    Das gilt in diesem Bereich in ganz besonderem Maße.

    (Stücklen [CDU/CSU] : Wenn Sie das auf hochdeutsch wiederholen, bekommen Sie einen Ordnungsruf!)

    — Ich wiederhole es gerne auf hochdeutsch. Natürlich ist die Wiedergabe, wie bei all diesen Dingen,
    nur ungefähr möglich; sonst bräuchte man ja auch



    Kleinert
    nicht das Idiom. Es heißt in etwa: Daß ich ein Döskopp bin, das ärgert mich nicht; daß ein Döskopp mir das sagt, das ärgert mich.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Das ist das Problem beim Übersetzen. Das ist an
    dieser Stelle aber schon mehrfach behandelt worden.
    Das war mir bewußt. Ich habe das gleich einbezogen.

    (Stücklen [CDU/CSU] : Das ist typisch Kleinert, und das stört nicht!)

    Wir kommen nun, Herr Dregger, zu dem Bereich der Verbrechensbekämpfung. Ihre Ausführungen gipfelten in der Feststellung — ich versuche ja nur, Ihnen darzulegen, wo es meiner Ansicht nach bei Ihnen an Konkretheit gefehlt hat, um nicht meinem eigenen Vorwurf zu unterliegen, ich wäre nun wiederum zu wenig konkret —, Herr Professor Maihofer hätte zwar Geld angefordert und das Geld dann ausgegeben; das wäre aber kein Kunststück. Wenn Sie das nun überhaupt als Vorwurf verstanden wissen wollten, hätten Sie doch sagen müssen, er habe es falsch ausgegeben, insbesondere sein Vorgänger im Amte, Herr Genscher, habe es falsch ausgegeben. Tatsache ist vielmehr, daß man überlegt hat: Was fehlt alles?, daß man dann einen Plan für den sorgfältigen und überlegten weiteren Ausbau insbesondere des Bundeskriminalamtes gemacht und daß man nach diesen Planungen die notwendigen finanziellen Mittel für die so — und zwar in Zusammenarbeit mit den zuständigen Fachleuten und nicht einfach irgendwie errechneten, benötigten, personellen und sachlichen Mittel — für letztere in besonderem Maße — angefordert hat. So ist das gelaufen.
    Die Folge ist, daß sich heute Kommissionen von Kriminalisten aus der ganzen Welt in Wiesbaden die Türklinke in die Hand geben, um sich dort zeigen zu lassen, wie eine der modernsten Kriminalpolizeizentralen der Welt eingerichtet ist und wie sie funktioniert. Dieser Strom von interessierten Fachleuten, die sich das gern einmal ansehen und nicht irgendwie räsonieren wollen, reißt nicht ab. Das ist, so meine ich, ein bemerkenswertes Qualitätssiegel an einer Behörde, in der vor sieben Jahren — das ist mir von Augenzeugen sehr plastisch geschildert worden — in den Gängen die Kisten mit wichtigen Karteien herumstanden, die gar nicht mehr bearbeitet werden konnten, weil dafür Raum und Personal fehlten, und die erst im Laufe der Zeit wieder der Bearbeitung zugeführt und dem regelmäßigen Zugriff nutzbar gemacht worden sind. Es mag sein, daß die Auswirkungen der Spannungen der 60er Jahre unsere Polizei erst zu Beginn der 70er Jahre belastet haben, also während der Amtsperioden dieser Regierung. Aber das ist noch lange kein Grund, ein wichtiges kriminalpolizeiliches Instrument, wie das Bundeskriminalamt, unter den Vorgängern unserer Innenminister so verkommen zu lassen, daß die Beamten lieber Däumchen gedreht haben, als den ohnehin aussichtslosen Versuch zu unternehmen, in diesem Durcheinander irgend etwas zu tun, was dann notwendigerweise rein zufällig hätte sein müssen. Sie wollten doch wohl nicht sagen, daß dieser Zustand des Bundeskriminalamts der seinerzeitigen Lage angemessen gewesen sei. Er war keiner Lage angemessen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Insofern bin ich also schon in der Lage, Ihnen dazu einige konkretere Dinge vorzutragen.
    Früher sei die Kriminalität geringer gewesen; wahrscheinlich wegen Ihrer besonders klaren Auffassungen in den wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen. Zwischen dem klerikalsozialistischen und dem eher zum National-... — Nachwort geschenkt — neigenden Flügel besteht Ihre Klarheitsbreite. Und das hat die Kriminalität verhindert. Na, dann danke schön.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich glaube nicht, daß Sie ohne weiteres zur Verdeutlichung gerade Ihrer gesellschaftspolitischen Positionen in der Lage sind, daß Sie in der Lage sind, Ihren Wählern, den willigen Wählern, auch denen, die sich eher durch das äußere Bild gewinnen lassen, die besondere Position von Herrn Biedenkopf in der Spannungsbreite beispielsweise zwischen den Herren von Bismarck und Blüm zu verdeutlichen. Dazwischen liegt allerhand, und der arme Herr Biedenkopf muß, wenn er hier auf zweien reiten will, schon breite Beine haben.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Möllemann und Kleinert! — Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU]: Wieviel liegt denn zwischen Ihnen und Frau Schuchardt? — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Zwischen Möllemann und Kleinert ist ja auch ein kleiner Unterschied!)

    „Verbrecher werden von dieser Koalition mit dem Heiligenschein von Sozialreformern umgeben." Dazu führt das dann. Sie sollten die Kriminalstatistik freundlicherweise einmal im einzelnen lesen. Die Quellen sind übrigens — das entspricht der Pflicht des Bundesinnenministers, seine Tätigkeit transparent zu machen — die Mitteilungen des Bundesministers des Innern zur inneren Sicherheit. So sieht das aus. Das können Sie sich einmal besorgen lassen. Darin steht all das, was Sie nicht gelesen haben. Dann sehen Sie nämlich, daß — dies ist im einzelnen untersucht worden — eine Reihe von Straftaten in den letzten Jahren in ihrer Bedeutung wesentlich zurückgegangen ist.
    Damit bin ich bei einem Punkt, Herr Vogel, über den wir uns allerdings im Gegensatz zu vielen anderen in den letzten Jahren sehr gestritten haben. Nehmen Sie z. B. einmal die Sparte betreffend

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Mundraub!)

    den Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dann werden Sie in den letzten zwei Jahren einen dramatischen Rückgang bei all diesen Delikten finden,

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Aber warum denn wohl, Herr Kleinert?)

    und zwar — ich kenne schon Ihren Einwand — weil darin auch etliches enthalten ist, was gar nicht mehr bestraft wird, so daß das naturgemäß hier herausfallen muß. Warum sage ich Ihnen das? Ich sage das,



    Kleinert
    weil Herr Dregger ja meint, wir sollten nicht durch zu viele Gesetze die Beamtenstellen vermehren, sondern durch gescheite Gesetze die Beamten besser zur Wirkung kommen lassen. Man kann an diesen Zahlen ablesen, daß wir das getan haben. Wir hetzen jetzt nämlich nicht mehr die Polizeibeamten und die Staatsanwälte hinter jedem angeblichen Porno her, sondern lassen sie sich mit den eigentlich sozialschädlichen Delikten befassen, auch wenn dann dem einen oder anderen der Lesestoff ausgehen sollte.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Herr Kleinert, können Sie denn einmal sagen, wann der letzte Polizist hinter Pornos hergejagt worden ist?)

    — Die Ereignisse sind zu meinem Bedauern selbst in meiner Heimatstadt — es handelt sich um einen Einzelfall — gar nicht so lange zurück. Wenn Sie Ihre Freunde so heißt das wohl bei Ihnen — von der CSU danach fragen, werden Sie feststellen, daß dies dort bis zum bitteren Ende betrieben worden ist. Die Beamten können sich jetzt nützlichen Tätigkeiten zuwenden, und das halten wir einen nützlichen Nebeneffekt einer ohnehin vernünftigen Reformgesetzgebung.
    In diesem Bereich der Gesetzgebung hat uns übrigens die CDU/CSU immer wieder verfolgt. Hier in diesem Hause haben wir zu diesem Thema seit November 1974 mindestens vier Debatten etwa mit dem Wunsche gehabt, z. B. die Strafprozeßordnung, aber auch das Strafgesetzbuch aufs neue zu ändern. Da liegt allerdings unsere konservative Komponente: Wenn etwas einmal liberal geregelt ist, dann wollen wir es auch so liberal belassen. Das ist eine durchaus konservative Verhaltensweise,

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    während bei Ihnen dann die so oft beklagte wilde Herumreformiererei ansetzt. Kaum daß einmal eine Änderung der StPO beschlossen ist, kommt von Ihnen, einerseits von der Bundestagsfraktion, andererseits vom Bundesrat, das nächste Bündel von Änderungswünschen, damit sich die ohnehin geplagten Richter nur ja nicht auf das neue Recht einrichten können, womit sie dann ihrer Aufgabe naturgemäß nicht gewachsen sind.

    (Zuruf des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/ CSU])

    Lassen Sie sich da doch einmal von unserer gelassenen konservativen Haltung in diesen Fragen bestimmen, die darauf beruht, daß wir das, was liberal und rechtsstaatlich geregelt ist, auch so erhalten möchten.

    (Beifall bei der FDP und Abgeordneten der SPD)

    Soviel zu diesem speziellen Bereich, zu dem die CDU/CSU wirklich nichts beigetragen hat.
    Zu den Demonstrationen habe ich schon des öfteren gesagt, weil es so anschaulich ist: Jeder Bürger, der in den Jahren 1965 bis 1969 immer öfter auf seinem Weg zur Arbeitsstätte oder zum Einkauf behindert worden ist, weiß in den meisten
    Städten dieser Republik, daß er seit einigen Jahren von sogenannten unfriedlich verlaufenden Demonstrationen überhaupt nicht mehr belästigt wird. Wir führen das auf unser ganz spezielles Verständnis von der richtigen Einstellung zu den Leuten zurück, die Sie Politrabauken genannt haben, die wir ohne zu zögern ebenfalls so oder auch anders nennen. Wer glaubt, diese Leute zusammenprügeln oder so zackig anfassen zu können, wie Sie sich das vorstellen, würde dadurch die Sympathiesantenszene dramatisch vergrößern. Wir haben die Sympathiesantenszene gerade mit Blick auf den harten Kern systematisch eingeengt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    So bedauerlich die Vorgänge der letzten Tage insbesondere in Frankfurt gewesen sind und sosehr wir natürlich selbstverständlich genauso wie Sie all denen danken, die dabei ihre Pflicht getan haben, insbesondere denen danken, die dabei schwere Verletzungen davongetragen haben, sosehr muß man aber doch an dieser Stelle weiterhin das große Ganze sehen. Man darf nicht nur Reizpunkte herausgreifen, und man muß auch sagen, daß in den drei oder vier Jahren davor ein derartiges Ereignis wie der Selbstmord von Frau Meinhof in fast allen größeren Städten dieser Republik zu Unruhen geführt hätten, an denen sich selten weniger als 1 000 Personen beteiligt hätten. Das ist größenordnungsmäßig überhaupt nicht zu bestreiten, wenn man die Dinge aufmerksam verfolgt hat. Das bedeutet, daß Sie absolut falsch liegen und durch harte Tatsachen widerlegt sind, wenn Sie glauben, dieser Regierung sagen zu können, sie hätte nicht nur nichts getan, sondern zu einer Verschlimmerung der Zustände beigetragen. Das Gegenteil ist offenkundig:

    (Zuruf des Abg. Haase [Kassel] [CDU/CSU])

    Weil sie etwas getan hat, und zwar in vernünftiger und gelassener Weise, haben sich die Dinge an einem so dramatischen Punkt wie dem, der am Sonntag gesetzt worden ist, in einem Rahmen gehalten, wie er zu Ihren Zeiten nicht denkbar gewesen wäre

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    und im akuten Fall unter einem Innenminister Dregger mit Sicherheit noch verschärft worden wäre. Das ist meine feste Überzeugung.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das ist allerdings kein Faktum, sondern ein Eindruck, den ich aus Ihrem Auftreten und nach allen Erfahrungen, die im Laufe der letzten 30 Jahre in diesem Bereich von erfahrenen Kriminalisten gesammelt worden sind, gewinnen muß.
    Dann kommen Sie, um noch einmal zu Marc Anton zurückzukehren und um auch dies etwas anschaulicher zu machen, daher und argumentieren gegen den Polizeipräsidenten von Frankfurt, weil er, noch während seine Leute im Einsatz gewesen seien — dieser Zeitpunkt spielt unter Ihrem Blickwinkel überhaupt keine Rolle, denn die Polizisten werden mit Sicherheit das dpa-Interview zu der Zeit nicht zur Kenntnis haben nehmen können; das



    Kleinert
    ist also ein unwichtiges Detail, das lediglich der Emotionalisierung dienen kann , erklärt habe, weil einer der Polizisten vor den Augen seiner Kameraden wie eine Fackel aus seinem Wagen habe herausgezogen werden müssen, hätten sich vielleicht einige der Beamten über die von den Regeln gebotene Haltung im konkreten Einsatzfall hinaus treiben lassen. Ich sehe das als eine rechtsstaatlichen Verhältnissen angemessene Form seitens des Polizeipräsidenten an, sich vor seine Beamten zu stellen, als nichts anderes.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der Mann hat gleichzeitig gesagt: Vielleicht ist hier etwas nicht ganz so gelaufen, wie es laufen sollte. Es ist seine rechtsstaatliche Pflicht, darauf zu achten. Dann hat er sich mit der Entschuldigung und mit der Begründung aus dem konkreten Fall vor seine Leute gestellt. Wie sollte er das vernünftiger, rechtsstaatlicher gleich von Anfang an tun? Das ging gar nicht besser. Das war vernünftig. Ich sage Ihnen auch zu diesem Punkt: Die Herren von der Polizei werden das ganz genau wissen, die werden das auch in Frankfurt wissen. Die kennen ihre Vorgesetzten und ihre Verhaltensweisen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Allerdings!)

    Wir haben auch insofern keine Bedenken hinsichtlich des Wahltages. Sie haben sich da ein etwas falsches Feld ausgesucht. Ich könnte Ihnen Versammlungen und anzusprechende Personenkreise empfehlen, in denen Sie auf diese Art besser ankommen könnten. Aber Sie haben sich ja das Thema so gewählt, und Sie haben sich auch die anzusprechenden Kreise so ausgesucht.
    Der Mann hat also sehr richtig gehandelt. Dann haben Sie sich zu dem gesteigert, was Ihrer Ansicht nach — falls die Pressesituation es erlaubt —morgen in die Schlagzeilen kommen soll. Sie haben gesagt: Der Polizeipräsident wird abgesetzt, der sich nicht voll und ganz und bedingungslos so haben Sie gesagt --- vor seine Leute stellt. Das ist das Aha-Moment, wo jeder sagt: Das ist mal ein zackiger Mann! Was Sie leise als Ausweg für die „albernen Rechtsstaatler" noch so nachgesungen haben, wird nicht mehr gedruckt; das haben Sie nur vorsichtshalber gesagt. Da haben Sie nämlich gesagt: sofern sich herausstellen sollte, daß das so gewesen ist. Später haben Sie dann gesagt, Herr Maihofer solle doch einmal nach Frankfurt fahren, um seinem Innenminister und dessen Polizeipräsidenten beizustehen.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Ja!)

    Das ist genau das gleiche System; jetzt kommt wieder Marc Anton, Herr Haase: sofern das als nötig erscheint. Dieser Duktus, dieser sogenannte DreggerDuktus, findet sich auch an anderen Stellen, auch da, wo Herr Dregger sagt: Für die Grundhaltung im Staat muß etwas getan werden, für die Einstellung zur Verfassung muß etwas getan werden; aber bei dieser sozialliberalen Koalition geschieht das nicht. Nachdem Herr Dregger das markig genug gesagt hatte, erklärte er jedoch: Herr Maihofer, Ihnen mache ich natürlich keinen Vorwurf; Sie haben das gar nicht gewollt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat Herr Dregger nicht gesagt! — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er hat viele Vorwürfe gemacht!)

    — Das hat er an dieser Stelle gesagt. Das Protokoll wird es erweisen. Auch meine Notizen erweisen es. Die Vorwürfe gegen Herrn Maihofer kamen ganz zu Anfang; das war die Stelle mit dem Geld und dem Ausgeben. Das alles ist gar nicht so. Wer weiß, wie schwierig es sogar in diesem Hohen Haus ist, jemandem Geld abzugeben, selbst wenn es sich um größere Summen handelt, der weiß auch, daß einiges dazu gehört hat, die Ausgaben für unsere innere Sicherheit so zu verstärken, wie es notwendig ist.
    Zu dem Verfassungsteil mag ich, zumal da Herr Dregger inzwischen das Haus verlassen hat,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er kommt gleich wieder!)

    nicht Stellung nehmen. Diese Ausführungen über das Verfassungsverständnis waren weit ausschweifend und sehr verschwommen; all diese Eigenschaften, die Herr Dregger uns vorwirft, sind ihm da zu bescheinigen.
    Wir wollen Herrn Dregger dazu nur eines sagen. Der Versuch, zwischen Freiheit und Sozialismus, zwischen Ihrer Union und den beiden in diesem Haus vertretenen anderen Parteien einen Trennungsstrich zu ziehen, ist der überzeugendste Versuch, der bisher gegen diese — von Herrn Dregger mit Recht so genannte — freiheitlichste Demokratie oder zumindest eine der freiheitlichsten Demokratien der Welt von Ihrer Seite unternommen worden ist.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Glücklicherweise wird dieser Versuch — das hat gestern die Rede von Herrn Carstens gezeigt — in einer Weise vorgenommen, daß es Ihres vollen Einsatzes, Herr von Weizsäcker, bedürfen wird, in der Bevölkerung auch nur einen Teil der dadurch gesetzten negativen Momente wegzubekommen.
    Aber auch Ihr Einsatz wird nicht genügen, in der Bevölkerung den Eindruck hervorzurufen, die Freiheit habe ihre Verfechter auf Ihrer Seite und nicht vielmehr bei denen, die nach wie vor mit großer Besonnenheit, anständig im Ton und unter voller Einbeziehung der Union als einer der drei demokratischen Parteien dafür sorgen wollen, daß in diesem Land auch im Bereich des Innern sich die Verhältnisse weiter so, wie es in den letzten sieben Jahren geschehen ist, bessern. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und SPD)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort
hat der Herr Bundesminister des Innern, Professor Dr. Maihofer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Maihofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Auseinandersetzungen am gestrigen Tag um die sogenannten Grundwerte — die ich zunächst aufnehmen möchte —, also um die jeweiligen obersten Ziele, an denen die demokratischen Par-



    Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
    teien dieses Hauses sich in ihrer Politik orientieren, hat zunächst erstaunliche, zumindest verbale Übereinstimmung ergeben. Von seiten der SPD wie der CDU/CSU wurden übereinstimmend die schon in ihren beiderseitigen Grundsatzprogrammen enthaltenen Bekenntnisse zu Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität als den drei obersten Grundwerten hier auch in die Debatte dieses Parlaments eingeführt. Näher besehen nichts anderes als zeitgemäße Umschreibungen jenes großen Dreiklangs der liberalen Postulate: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! — mit denen jene demokratischen Revolutionen in Amerika und Frankreich anheben, deren geistige Erben wir heute alle sind, die wir uns als Demokraten im Sinn der damit heraufgeführten freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie unserer westlichen Welt bekennen. Ob wir uns nun als liberale, als soziale oder als christliche oder als christlich-soziale Demokraten bezeichnen.
    Daß es sich bei diesen drei großen Forderungen nach einer gesellschaftlichen Ordnung und staatlichen Verfassung der Freiheit, aber auch der Gleichheit und der Brüderlichkeit nicht um drei nebeneinanderstehende und voneinander unabhängige Grundwerte, sondern um einen vom ersten und obersten Grundwert der Freiheit her bestimmten Gesamtzusammenhang handelt, dürfte heute ebenso Gemeingut aller demokratischen Parteien in unserem Lande sein. Für die es nicht einfach nur um Freiheit an sich geht, sondern auch um Gleichheit in Freiheit oder, wie sie beide sagen, um Gerechtigkeit in Freiheit — und eben nicht um zwangsweise Gleichmacherei —; und ebenso um Brüderlichkeit oder, wie sie beide sagen, um Solidarität in Freiheit — und eben nicht um eine erzwungene Brüderlichkeit nach dem Satz: Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag' ich dir den Schädel ein! —, wie gestern gerade der Bundeskanzler noch einmal eindrucksvoll unterstrichen hat.
    Was so die drei demokratischen Parteien, die sozialer, liberaler und christlicher Demokraten, in unserem Lande unterscheidet, ist, wie ich meine, einzig und allein der unterschiedliche Rang, den wir den einzelnen Grundwerten im Falle eines Widerstreits, eines Konflikts dieser Prinzipien geben, ebenso wie der verschiedenartigen Begründung der inhaltlichen Ausfüllung dieser Grundwerte, bald aus christlichen, bald aus humanistischen Traditionen. Daß wir liberalen, wir freien Demokraten hier in einem Widerstreit der Grundwerte kompromißlos vom unbedingten Vorrang der Freiheit ausgehen, die in keiner Gleichheit, etwa der Bildungs- und Berufschancen, aufgehoben ist, die von keiner noch so gut gemeinten Brüderlichkeit, also aktiver Solidarität in Fürsorge und Nächstenhilfe, verschlungen werden darf, sagt schon unser Name. Im Zweifel für die Freiheit heißt deshalb auch im Konflikt dieser Prinzipien unsere liberale Devise.
    Wie man bei dieser hier noch einmal erinnerten Ausgangslage gemeinsamer, wenn auch verschieden gewichteter und verschiedenartig ausgefüllter Grundwertüberzeugungen dazu gelangen kann, die von sozialen und liberalen Demokraten getragene Regierung und die von christlichen und christlich-
    sozialen Demokraten getragene Opposition dem Wähler 1976 unter der politischen Alternative „Freiheit oder Sozialismus" vorzustellen, erscheint auch mir wirklich ein abenteuerliches Unterfangen,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    das bei allen denkenden Menschen — darüber sollten Sie sich durch die scheinbare regionale Resonanz dieser Wahlmasche nicht täuschen lassen — auf die Urheber dieser schrecklichen Vereinfachung zurückfallen wird.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Damit kündigen Sie mutwillig und grundlos den unsere freiheitliche Demokratie über alle Interessenprioritäten und Weltanschauungsunterschiede hinaus tragenden Konsens der Demokraten auf.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Sie machen sich damit — ich sage es scharf und klar — einer Verketzerung und Verhetzung zwischen den demokratischen Parteien schuldig, mit Mitteln einer Demagogie, die zwischen Demokraten auch in närrischen Zeiten eines Wahlkampfes nicht erlaubt sind,

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Marx [CDU/CSU] : Gehen Sie mit Ihrem Koalitionspartner! — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU] : Sie sprechen von Brandt, nehme ich an!)

    wie uns die erschreckenden Erfahrungen ein für allemal gelehrt haben sollten, die zum Untergang der ersten freiheitlichen Demokratie in unserem Lande geführt haben.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Er spricht vom „Sicherheitsrisiko"! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich komme schon zu diesem Thema.

    (Rawe [CDU/CSU] : Bauen Sie doch keinen Buhmann auf! Wer hat uns denn als „Sicherheitsrisiko" bezeichnet?! — Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Ihre Kritik ist einseitig und damit unglaubwürdig, Herr Minister!)

    Statt dessen scheuen Sie noch nicht einmal davor zurück, die Volksfrontkampagne, mit der Sie die diese Regierung tragenden Parteien im Wahlkampf überziehen wollen, auch auf das Feld der inneren Sicherheit zu tragen,

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Ist das an den Universitäten so oder nicht?)

    wo doch die Bewahrung der Gemeinsamkeit, etwa bei der gemeinsamen Verteidigung der Demokratie gegen den Extremismus, eine besonders wichtige Sache ist oder jedenfalls wäre.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Konrad [SPD] : Das sind bei denen nur Lippenbekenntnisse!)

    Ich kann es deshalb — nicht anders als gestern der Bundesaußenminister — nur als politische Brunnenvergiftung bezeichnen,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)




    Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
    wenn der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Carstens, sich in seiner gestrigen Rede zu der Behauptung versteigt, daß SPD und auch FDP — ich zitiere wörtlich — „sich für die Übernahme von Kommunisten in den Staatsdienst einsetzen."

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Das haben doch Ihre Hamburger Freunde getan!)

    Das ist doch, wie Sie genau wissen, die schlichte Unwahrheit.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD — Rawe [CDU/CSU] : Erzählen Sie doch keine Märchen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Das ist doch durch mich schon ein halbes dutzend Mal — auch in meiner Rede im Bundesrat — klar- und richtiggestellt worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, das ist nicht richtiggestellt! — Rawe [CDU/CSU] : Sie haben zwar dahergeredet, aber die Fakten nicht weggeschafft!)

    — Aber reden Sie doch nicht! Das Ganze ist eine ungeheuerliche Verleumdung der sozialen und liberalen Demokraten in unserem Lande.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Rawe [CDU/CSU] : Warum haben Sie denn Ihren eigenen Gesetzentwurf geändert?)

    Alles werden Sie gebührend beantwortet bekommen. Wenn Sie nur einmal in Ruhe zuhören könnten!

    (Rawe [CDU/CSU] : Warum haben Sie denn Ihren eigenen Gesetzentwurf geändert? Geben Sie doch darauf einmal eine Antwort! — Zuruf von der CDU/CSU: Wann kriegen wir denn die Antwort? Hoffentlich bald! — Rawe [CDU/CSU] : Das haben Sie uns seit Monaten versprochen! — Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Werden Sie doch einmal konkret!)

    Ich wiederhole: Es ist eine ungeheuerliche Verleumdung der sozialen und liberalen Demokraten in unserem Lande,

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Ihr Quatsch wird durch Wiederholungen nicht richtiger, Herr Minister!)

    die ich nicht für eine zufällige Entgleisung von Herrn Carstens, sondern für eine zwischen CDU und CSU verabredete Hetzkampagne gegen die sozialliberale Koalition unter der Volksfrontmasche ansehen muß.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Konrad [SPD] : Das ist auch das einzige, was sie können!)

    Daß es so ist,

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Ist das das einzige, was Ihnen heute einfällt?)

    bestätigt sich nicht nur in der unter gleichen Vorzeichen stehenden Rede des innenpolitischen Sprechers der CDU, Herrn Dregger, heute, sondern auch in den verleumderischen Angriffen, die auf dem letzten Wahlkongreß der CSU am 8. Mai 1976 unter
    dem Motto „1976 Deutschland vor der Entscheidung — Freiheit oder Sozialismus" von Herrn Stücklen vorgetragen worden sind. Da wird unter dem Thema „Sozialismus in Bonn — die Praxis seit 1969" genau so schlicht und einfach behauptet, daß — ich zitiere —
    der oberste Hüter unserer Verfassung, Bundesinnenminister Maihofer, mit Einverständnis seines Kanzlers, seiner Regierung und der diese Regierung tragenden Parteien die von ihm selbst als verfassungsfeindlich eingestufte DKP in selbstmörderischer Weise begünstigt.
    Und er fährt fort:
    Maihofer und mit ihm die Bundesregierung wollen nach der verantwortungslosen Aufkündigung des sogenannten Radikalenerlasses den in den Staatsdienst drängenden DKP-Mitgliedern nicht etwa die Tür weisen,

    (Stücklen [CDU/CSU]: So ist es!)

    wie es ihre verfassungsmäßige Pflicht wäre, sondern ihnen sage und schreibe einen „Vertrauensvorschuß" gewähren.

    (Zurufe von der SPD: Unverschämtheit! Schlimm!)

    Das ist sage und schreibe eine einzige große Irreführung, die den wahren Sachstand geradezu auf den Kopf stellt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Rawe [CDU/CSU] : Haben Sie eigentlich gar nicht gehört, was Herr Liedtke eben gesagt hat?)

    Wie ist die wahre Lage? Der Grundsatz, daß Extremisten — gleich ob von rechts oder von links — im öffentlichen Dienst keinen Platz haben, ist unbezweifelbare, gemeinsame Grundüberzeugung aller Demokraten in unserem Lande.

    (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Leider nicht! Deswegen haben Sie den Rückzug gemacht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Das können Sie in den Grundsatzerklärungen aller Parteien, nicht zuletzt auch in den Wiesbadener Beschlüssen der FDP von 1973, wortwörtlich nachzulesen.

    (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Wo ist denn der Beschluß von 1972? — Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Die Praxis ist aber eine andere!)

    — Das ist doch die reine Unwahrheit.

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU — Glocke des Präsidenten)

    — Wenn Sie doch nur einmal zuhören könnten! Aber Sie können Ihre Vorurteile offenbar einer kritischen Diskussion nicht aussetzen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Warum haben Sie Ihren Gesetzentwurf geändert, Herr Maihofer?)

    — Ich komme gleich darauf, mein Gott.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er kommt immer!)




    Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
    Sie kommen auf Ihre Rechnung. Das werden Sie gleich sehen.
    „Der freiheitlich demokratische Rechtsstaat kann und darf sich nicht in die Hand seiner Zerstörer begeben",

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    hat dazu nun auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 22. Mai vergangenen Jahres mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit erklärt.
    In der Öffentlichkeit erstaunlich wenig bekannt ist indessen die Tatsache, daß dieser Grundsatz seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland geltendes Recht ist. Beamter, Richter und — seit Bestehen der Bundeswehr — Soldat darf nur werden, wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten,

    (Stücklen [CDU/CSU]: Jawohl!)

    also erforderlichenfalls — denn darum handelt es sich -- den unabänderlichen und unverzichtbaren Kernbestand unserer freiheitlichen Verfassung, das, was wir freiheitlich demokratische Grundordnung nennen — in § 92 StGB in den einzelnen Prinzipien enumeriert —, kämperisch zu verteidigen. Keine der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien hat je auch nur im entferntesten daran gedacht, diesen Grundsatz des geltenden Rechts einzuschränken, auszuhöhlen oder gar umzustoßen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Doch, doch! — Das ist auch nicht wahr! — Aber auch nicht daran, ihn anzuwenden!)

    Die Frage, um die es in den letzten Jahren sachlich allein ging und noch geht, lautet: Wie muß das Verfahren gestaltet sein, in dem darüber entschieden wird, ob jemand, der sich um Aufnahme in den öffentlichen Dienst bewirbt, diese Gewähr der Verfassungstreue bietet? Oder anders gewendet: Wie ist in rechtsstaatlich unangreifbarer Weise einerseits zu gewährleisten, daß keine Verfassungsfeinde in den öffentlichen Dienst eindringen, ohne daß andererseits von der Vielzahl der jährlichen Bewerber für den öffentlichen Dienst bei Gemeinden, Ländern und Bund jemand, der im übrigen alle Qualifikationen für den öffentlichen Dienst mitbringt, zu Unrecht aus politischen Motivationen von der erstrebten Berufswahl ausgeschlossen wird?
    Alle hierfür möglichen Lösungen lassen sich bei näherem Zusehen auf zwei Alternativen zurückführen: Zum einen auf die Möglichkeit, dabei auf pauschal feststellbare Merkmale abzuheben. Und hier bietet sich in der Tat die Mitgliedschaft eines Bewerbers in Parteien oder Organisationen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, als das Nächstliegende an.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Warum machen Sie es dann nicht?)

    — Ich sage Ihnen gleich, warum: weil es im Widerspruch zum geltenden Recht steht, wie Sie gleich hören werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Die andere Alternative: Bei der Entscheidung über die Einstellung von Bewerbern wird jeweils, vom Einzelfall ausgehend, gefragt, ob der Betreffende nach allen bekanntgewordenen — wie es in unserem Gesetzentwurf heißt , „in der Person des Bewerbers liegenden Umständen" die Gewähr des Eintretens für die freiheitlich demokratische Grundordnung bietet oder ob begründete Zweifel an seiner Verfassungstreue bestehen.
    Nun, die erste Alternative vermag gerade den praktischen Politiker — das ist zuzugeben — auf den ersten Blick durchaus einzunehmen, wie etwa Herr Dregger jetzt wiederum sagt: Es spricht zunächst durchaus etwas dafür, sich zu überlegen, ob man nicht das objektive Merkmal der Parteimitgliedschaft zum Maßstab des Verfahrens macht.

    (Stücklen [CDU/CSU]: Sehr richtig!) So haben Sie sich eben gerade ausgedrückt.


    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das haben Sie doch in Ihrem Gesetzentwurf ursprünglich vorgeschlagen!)

    Aber nein!

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Aber sicher!)

    – Hören Sie doch zunächst einmal zu;

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Wenn er in eine Partei eintritt, denkt er sich doch etwas dabei! Er bekennt sich doch zu ihr!)

    Sie kommen auf Ihre Kosten; ich sage es Ihnen nochmals.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Weil Sie um cien Brei herumreden, kommen wir nicht auf unsere Kosten!)

    Man hat hier also ein scheinbar objektives Kriterium, das vermeintlich saubere Entscheidungen gewährleistet und das Einstellungsverfahren insgesamt erleichtert und beschleunigt.
    Nun, selbst wenn nach einer derartigen Regelvermutung in vielleicht sogar 90% der zur Entscheidung stehenden Fälle auch das sachlich richtige Ergebnis getroffen würde, müssen jene übrigen 10% der Fälle

    (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Woher nehmen Sie denn so einen Prozentsatz?)

    --- oder auch nur 5 °!o, wenn Sie wollen —,

    (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Nicht einmal 5 %!)

    in denen die Sicherheit des Rechtsstaates auf dem Rücken der Bewerber gewährleistet wird —

    (Zustimmung bei der SPD)

    dann schauen Sie sich die Gerichtsurteile der letzten Zeit an —, den rechtsstaatlich Denkenden jedenfalls beunruhigen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Warum sind die Leute wohl in einer kommunistischen Partei?)

    Der Rechtsstaat gäbe sich selber preis, wenn er bereit wäre, solche auch nur gelegentlichen Fehlent-
    Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, cien 12. Mai 1976 16953
    Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
    scheidungen bei einem solchen objektiven Automatismus einfach in Kauf zu nehmen, obwohl Verfahrensregelungen getroffen werden können, die größere Einzelfallgerechtigkeit verbürgen.

    (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das ist der reine Irrsinn! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Das versteht kein Mensch! — Das gibt's doch nicht!)

    So hat sich denn auch das Bundesverfassungsgericht und nun würde ich Sie freundlichst bitten, wenigstens einen Augenblick nicht mir, sondern der Ausführung des Bundesverfassungsgerichts zuzuhören —

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wir hören auch Ihnen zu!)

    in einem grundlegenden Beschluß zur Frage der Fernhaltung von Extremisten vom öffentlichen Dienst eindeutig und uneingeschränkt für die zweite Alternative ausgesprochen und ausgeführt, daß einem am Ende des Einstellungsverfahrens sich ergebenden Zweifel der Einstellungsbehörde, der Bewerber biete nicht die Gewähr der Verfassungstreue, ein — ich zitiere jetzt wörtlich — „prognostisches Urteil über die Persönlichkeit des Bewerbers" zugrunde liegen müsse, das nur den Einzelfall im Auge hat und sich jeweils — wiederum Zitat — auf „eine von Fall zu Fall wechselnde Vielzahl von Elementen und deren Bewertung" gründet.

    (Richtig! bei der CDU/CSU)

    Zu diesen Beurteilungselementen rechnet das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich — ich zitiere —,,Äußerungen, Teilnahme an Demonstrationen, politische Aktivitäten, Zugehörigkeit zu irgendwelchen Gruppen, Vereinigungen oder politischen Parteien", und zwar ohne jede Hervorhebung des Vorrangs oder gar Übergewichts eines dieser Elemente, auch nicht des Elements „Zugehörigkeit zu einer Partei".

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das spricht alles für uns! — Gegenruf von der SPD: Nein!)

    Auch diese steht in einer Reihe und auf einer Ebene mit anderen — wie hier gesagt wird Tatsachen. Sie steht sogar am Ende der hierzu im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts enthaltenen Aufzählung.
    Darüber hinaus schränkt das Gericht den Entscheidungswert aller solcher Einzeltatsachen -darum handelt es sich — ausdrücklich ein, wenn es betont, daß es bei der Verfassungstreue um ein Gesamturteil über die Bewerberpersönlichkeit und — ich zitiere wiederum — „nicht lediglich um die Feststellung" solcher Einzelelemente gehe. Damit nicht genug: Das Bundesverfassungsgericht verdeutlicht dies in Hinsicht auf die Parteimitgliedschaften ausdrücklich nochmals in zwei weiteren Schritten. Es sagt — und auch diesen Schlüsselsatz will ich wörtlich zitieren —:
    Ein Stück des Verhaltens, das für die hier geforderte Beurteilung der Persönlichkeit des Bewerbers erheblich sein kann, kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, unabhängig davon, oh ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht.

    (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Na, dann sagen Sie das doch!)

    Auch die Parteimitgliedschaft wird hier ausdrücklich als ein „Stück" des Verhaltens — aber nicht als das Ganze des Verhaltens - bezeichnet, das für die Persönlichkeitsbeurteilung erheblich sein kann, aber nicht sein muß.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    - Sie sehen doch genau, wo ihre Argumentation
    hinzielt: Die Prozedur, ausschließlich jenes scheinbar objektive Kriterium der Parteimitgliedschaft und nichts sonst zu fixieren.

    (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Wir fordern doch — wie Sie auch — eine Einzelfallprüfung!)

    — Dann können Sie doch nicht so argumentieren, wie Sie es tun.
    Im Regelfall kommen zumindest der persönliche Eindruck hinzu, den die Einstellungsbehörde vom Bewerber im Einstellungsverfahren gewonnen hat, und vor allem --- hier liegt für das Bundesverfassungsgericht der Schwerpunkt des Prognoseurteils
    — das Bild, was sich die Verwaltung über den Anwärter während des Vorbereitungsdienstes bzw. in der Probezeit aus unmittelbarer Beobachtung gemacht hat. Auch das ist in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ja ausdrücklich ausgeführt.
    Nur auf die Gesamtbewertung dieser Gesamterkenntnis darf sich das prognostische Urteil gründen, ob der Bewerber die Gewähr der Verfassungstreue bieten wird oder nicht. Keinem einzelnen Beurteilungselement kann danach, auch nicht im Wege gesetzlicher Vermutungen, Beweislastregeln oder gar Beweislastvermutungen, wie gesagt wird, ein Vorrang oder Übergewicht. eingeräumt werden.
    Ich komme so zu folgendem Ergebnis. Die Rechtslage ist nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig. Sie geht bei jedem Bewerber, der ein Staatsbürger dieser unserer freiheitlichen Demokratie ist — damit komme ich auf Ihr Thema, Herr Stücklen, zu sprechen , von der Ausgangsvermutung seiner Verfassungstreue aus, ohne daß es dazu bestimmte Erklärungen oder Bekenntnisse bedürfte. Dies ist jener von Herrn Stücklen diffamierte, für jeden Liberalen allerdings selbstverständliche Vertrauensvorschuß, den jeder unbescholtene Bürger in unserem freiheitlichen Staat genießt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Stücklen [CDU/CSU]: Auch die Mitglieder der DKP?)

    — Lieber Herr Stücklen, diese vermutete Verfassungstreue eines Bürgers kann nun durch Zweifel erschüttert werden, die sich aus einer Gesamtwürdigung aller in der Person des Bewerbers liegenden Umstände ergeben,