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ID0724102900

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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 241. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 16929 A Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung — Drucksache 7/5142 — Kleinert FDP . . . . . . . . . . . 16929 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 (Haushaltsgesetz 1976) — Drucksachen 7/4100, 7/4629 —, Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 7/5036 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 7/5054 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 7/5056 — Liedtke SPD 16930 A Dr. Dregger CDU/CSU 16933 C Kleinert FDP 16945 B Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 16949 D, 16979 A Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 16959 D Dr. Schäfer (Tübingen) SPD 16965 C Dr. Wendig FDP 16969 B Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . . 16974 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 7/5037 — Simon SPD 16983 A Dürr SPD 16984 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . 16987 C Engelhard FDP . . . . . . . . . . 16993 B Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . 16997 C Schmidt, Bundeskanzler . . . 17002 C, 17018 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 Dr. Wallmann CDU/CSU . . . . . . . 13011 D Spitzmüller FDP . . . . . . . . . . 17015 D Wehner SPD . . . . . . . . . . . 17016 C Dr. Freiherr von Weizsäcker CDU/CSU . . 17017 A Frau Funcke, Vizepräsident . . . . . . 17011 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 7/5040 — Löffler SPD . . . . 17019 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 17019 C Peters (Poppenbüll) FDP . . . . . . 17022 A Ertl, Bundesminister BML . . . . . . 17023 A Dr. Ritz CDU/CSU . . . . . . . . 17026 D Gallus FDP 17029 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 7/5046 — 17029 C Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 7/5047-17029 C Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 7/5049 — 17029 D Nächste Sitzung 17029 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17031* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 241. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1976 16929 241. Sitzung Bonn, den 12. Mai 1976 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Achenbach * 14. 5. Adams * 14. 5. Dr. Aigner * 14. 5. Dr. Artzinger * 14. 5. Dr. Bangemann * 14. 5. Dr. Bayerl * 14. 5. Behrendt * 14. 5. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld * 14. 5. Frau von Bothmer ** 13. 5. Prof. Dr. Burgbacher * 14. 5. Christ 12. 5. Dr. Enders ** 13. 5. Dr. Eppler 12. 5. Entrup 14. 5. Fellermaier * 14. 5. Flämig * 14. 5. Frehsee * 14. 5. Dr. Früh * 14. 5. Gerlach (Emsland) * 14. 5. Gewandt 14. 5. Härzschel * 14. 5. Hussing 21.5. Dr. Jahn (Braunschweig) * 14. 5. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kempfler 14. 5. Dr. Klepsch * 14. 5. Krall * 14.5. Dr. Kreile 12. 5. von Kühlmann-Stumm 12. 5. Lange * 14. 5. Lautenschlager * 14. 5. Lenzer ** 13. 5. Lücker * 14. 5. Memmel * 14. 5. Mick 14. 5. Müller (Mülheim) * 14. 5. Müller (München) ** 13. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 14. 5. Dr. Narjes 14. 5. Pfeifer 12. 5. Rosenthal 14. 5. Seibert 21. 5. Schmidt (München) * 14. 5. Dr. Schulz (Berlin) * 14. 5. Schwabe * 14. 5. Dr. Schwörer * 14. 5. Seefeld * 14. 5. Springorum * 14. 5. Dr. Starke (Franken) * 14. 5. Suck' 14. 5. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 21. 5. Walkhoff * 14. 5. Walther 14. 5. Frau Dr. Walz * 14. 5. Dr. Warnke 14. 5. Wende 21.5. Zeyer 14. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Schäfer, Sie müssen es schon meiner Beurteilung überlassen, ob
    ich es vorziehe, in Ihrem Ausschuß — in der Minderheit befindlich — von Ihnen überstimmt zu werden

    (Zurufe von der SPD)

    oder das, was ich für richtig halte, draußen im Lande zu vertreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD — Abg. Dr. von Bülow [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Nachher, Herr von Bülow! Erst muß ein bißchen Ruhe eintreten.


Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bülow nicht zu?

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    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Zur Zeit nicht, Frau Präsidentin.
    Zurück zur Personalkostenentwicklung. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Sie findet ihre Erklärung nicht im Einkommensanstieg des einzelnen öffentlich Bediensteten, sondern in der Ausweitung der Aufgaben der Verwaltung und der damit verbundenen Personalvermehrung.
    Herr Kollege Börner, der Bundesgeschäftsführer der SPD, hat im vergangenen Sommer durch eine Studie, die mit seinem Namen verbunden ist, und durch einige öffentliche Erklärungen den gegenteiligen Eindruck zu erwecken versucht. Er sprach in diesem Zusammenhang von den „Privilegien im öffentlichen Dienst". Diese Formel, meine Damen und Herren, war und ist im Hinblick auf die Einkommensentwicklung falsch.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nach den Zahlen, die der Bundesinnenminister nicht aus eigener Initiative — was eigentlich seine Schutzpflicht geboten hätte —, sondern auf Grund einer Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vorgelegt hat, stieg der Durchschnittsaufwand je Beschäftigten im öffentlichen Dienst in zwölf Jahren ziemlich genau parallel zum allgemeinen Anstieg der Löhne und Gehälter in unserem Land, bei den Beamten etwas unterdurchschnittlich und bei den Arbeitern im öffentlichen Dienst etwas überdurchschnittlich. Ich wäre dankbar, wenn die falsche Formel des Herrn Börner endgültig aus dem Verkehr gezogen würde, da sie geeignet ist, die öffentliche Diskussion zu vergiften und von den eigentlichen Ursachen der Fehlentwicklung, die in der Regierungstätigkeit liegen, abzulenken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Statt den öffentlichen Dienst mit unseriösen Beschuldigungen madig zu machen, wäre es angemessener, einmal anzuerkennen, daß er im internationalen Vergleich nach wie vor einen ausgezeichneten Ruf genießt, und das mit Recht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die alten deutschen Beamtentugenden, die keineswegs auf Preußen beschränkt waren, Beamtentugenden, um die uns die Welt beneidet — Treue, Unbestechlichkeit, Pünktlichkeit und Pflichterfüllung —, sind keineswegs erloschen. Es ist die Aufgabe der



    Dr. Dregger
    politischen Führung, sie lebendig zu erhalten und zu diesem Zweck vor allem zu verhindern, daß in unserem Bildungs- und Erziehungswesen sogenannte progressive Reformer mit ihren teilweise gemeingefährlichen Rahmenrichtlinien diese alten Tugenden zerstören.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ein Wort zur Reform des öffentlichen Dienstrechts. Der Herr Bundesinnenminister hat auf diesem Gebiet zwar nichts zustande gebracht, aber dafür hat er ein Papier vorgelegt, das die dynamische Aufschrift „Aktionsprogramm" trägt. Von Aktion kann aber bei Herrn Maihofer nicht die Rede sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es wurden, meine Damen und Herren, weder gesetzesreife noch sonst realisierbare Vorschläge angeboten. Gegenüber dem Bericht der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, der schon seit Mai 1973 vorliegt, bedeutet dieses sogenannte Aktionsprogramm einen Rückschritt. Statt aus dem Bericht Folgerungen zu ziehen und konkrete Durchführungsvorschläge zu machen, werden in diesem sogenannten Aktionsprogramm unbestrittene Prinzipien und vage Absichtserklärungen verkündet. Dieses Aktionsprogramm hat die Diskussion nicht weiter-, sondern in die Irre geführt. Warum? Wenn der Bundesinnenminister in einem offiziellen Regierungspapier z. B. das Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst als Reform verkündet, dann muß das den falschen Eindruck erwecken, das sei etwas völlig Neues und noch nie Dagewesenes.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Dabei liegt dieses Leistungsprinzip unserer gesamten Gesetzgebung zugrunde. Und dort, wo es in der Praxis beeinträchtigt ist, handelt es sich um Mißstände, die auszumerzen sind. Dazu sollte ein Aktionsprogramm aber mehr anbieten als allgemeine Bekenntnisse.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD])

    Zur Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts: Ich habe Verständnis dafür, daß wir in dieser Grundsatzfrage einer sogenannten großen Lösung nicht nähergekommen sind. Dazu sind die Gegensätze zwischen den Anhängern einer öffentlich-rechtlichen und den Anhängern einer teilweise arbeitsrechtlichen Lösung zu groß.
    Zur Grundsatzfrage möchte ich folgendes sagen. Wir von der CDU/CSU sind nicht bereit, die Grundsätze des Berufsbeamtentums in Frage stellen zu lassen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    nicht nur weil sie in der Verfassung verankert sind — die könnte in diesem Punkt geändert werden —, sondern weil die richtig sind. Der Staat braucht Diener, die sich Pflichten unterwerfen, die dem Beamtenrecht eigen sind, Pflichten, die ein normaler Arbeitnehmer in der Regel nicht zu übernehmen bereit ist, Pflichten — und auch das sei betont —, ohne die die Rechte der Beamten zu Privilegien entarten
    würden. Wir halten an beidem fest, an den Pflichten und an den Rechten der Beamten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Um die Aufblähung der Verwaltung zu beenden — und das ist eine Aufgabe von allergrößtem Gewicht —, ist es nicht notwendig, das Berufsbeamtentum abzuschaffen. Dafür ist es notwendig, eine Politik zu beenden, die in den letzten Jahren allzu unbesonnen, allzu stümperhaft und allzu unsolide gewesen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Wenn schon eine sogenannte große Lösung in den Fragen des Dienstrechts nicht durchsetzbar ist, dann ist es um so notwendiger, an der Verbesserung im einzelnen zu arbeiten. In den Vorlagen des Bundesinnenministers findet sich leider kein Ansatz, der in das Nebeneinander von Beamten und Angestellten schrittweise Ordnung bringen würde. Auch sonst hat es an der Kraft zu Entscheiden gefehlt.
    Einige Beispiele! Die Studienkommission hatte vorgeschlagen, alle Beförderungsstellen ausschreiben zu lassen — eine gute Sache, wie ich meine. Das würde Objektivität, Transparenz und Gerechtigkeit fördern

    (Zuruf des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/ CSU])

    und dem Leistungsprinzip mehr Rechnung tragen als allgemeine Bekenntnisse.

    (Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU])

    Der Bundesminister des Innern hat dazu geschwiegen. Warum?

    (Kleinert [FDP] : Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen!)

    Es ist vorgeschlagen worden, in Zukunft die Beurteilung mehrerer Beschäftigter durch mehrere Vorgesetzte gleichzeitig stattfinden zu lassen. Die Regierung? — Sie schweigt.
    Der Vorschlag, bestimmte Spitzenpositionen nur auf Zeit zu besetzen, hat Gründe für und gegen sich. Die Studienkommission hat diesen Vorschlag angeführt.

    (Zuruf des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/ CSU])

    Nach drei Jahren hätten wir erwarten können, daß die Regierung sich zu dieser Frage eine Meinung bildet und diese Meinung mitteilt. Die Regierung schweigt.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Haben Sie eine?)

    — Wir sind doch nicht die Regierung, wir werden es demnächst sein, Herr Schäfer, und dann kommen die Vorlagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zur funktionsgerechten Besoldung sind uns zwar umfangreiche Modelle vorgelegt worden. Aber von dem einzigen Weg, der sich bald praktizieren ließe
    — der Funktionszuweisungsverordnung nach der Neufassung des Besoldungsgesetzes —, sieht und hört man nichts.



    Dr. Dregger
    Lassen Sie mich abschließend zum Bereich des öffentlichen Dienstes folgendes sagen. Die Vermehrung der Zahl der Staatsdiener zu beenden und ihre Leistung zu steigern ist die wichtigste Aufgabe der nächsten Legislaturperiode. Regierung und Gesetzgebung müssen dazu beitragen, indem sie überflüssige Vorschriften abschaffen, die verbleibenden vereinfachen und neue nur mit größter Zurückhaltung einführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eine umfangreiche Berufsbildungsbürokratie, Planungswertausgleichsbürokratie und Investitionslenkungsbürokratie ist auch — allerdings nicht nur — aus diesem Grunde abzulehnen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Ressort- und Verwaltungschefs haben darauf zu achten, daß es nicht nur zur Ausweitung des Personalbestandes kommt, wenn neue Aufgaben hinzutreten, sondern daß er auch überall dort vermindert wird, wo alte Aufgaben wegfallen. Eine 14jährige Verwaltungspraxis hat mir gezeigt, daß auch auf diesem Felde Reserven vorhanden sind, die aktiviert werden müssen.

    (Dr. von Bülow [SPD] : Sind Sie aber vielseitig!)

    Um das, was notwendig ist, zu bewirken, sind keine Aktionsprogramme à la Maihofer erforderlich, sondern Ubersicht, Entscheidungsfreude und Durchsetzungsvermögen. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode dieser Aufgabe unsere Aufmerksamkeit mit Nachdruck widmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zweites Aufgabengebiet: Verbrechensbekämpfung.

    (Zurufe von der SPD: Ach ja!)

    Schon seit der Zeit des Bundesinnenministers Genscher — und sein Nachfolger folgt ihm hier aufs Wort — hören wir als Leistungsausweis der Regierung immer folgendes: Als wir das Bundeskriminalamt übernahmen, reichte es nicht aus;

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Das stimmt auch!)

    wir haben Personal, Material und Geld bereitgestellt. Das ist Ihr „Leistungsausweis".

    (Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen])

    — Herr Schäfer, abgesehen davon, daß wir Geld und Personal gemeinsam bereitgestellt haben — niemand hat das abgelehnt —,

    (Zurufe von der SPD: Aha! — Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Jetzt auf einmal wollen Sie dabei sein! — Zurufe von der FDP)

    kann ich nur folgendes sagen. Noch schneller als die Mittelzuführung an das Bundeskriminalamt ist die Zahl der Verbrechen gestiegen.

    (Zurufe von der SPD: Ach!)

    — Nicht „ach", ich nenne Ihnen gleich die Zahlen.
    Worauf sind Sie unter diesen Umständen eigentlich stolz, Herr Maihofer?

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Im Lande Baden-Württemberg hat sich die Kriminalstatistik verschlechtert!)

    Geld anzufordern und auszugeben, wo es notwendig ist, ist doch kein politisches Verdienst, dessen man sich rühmen könnte.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Aber es zu unterlassen, ist ein Grund zum Vorwurf an die Adresse Herrn Filbingers, der es nicht getan hat!)

    — Lieber Herr Schäfer, Sie müssen auch einmal zuhören.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Herr Schäfer ist der einizige, der alles weiß!)

    Hören Sie doch auch einmal auf die „Welt der Arbeit" ; die lesen Sie doch wahrscheinlich wie ich. Schon vor Jahr und Tag hielt die „Welt der Arbeit" der Bundesregierung vor, die Argumentation mit den steigenden Aufwendungen für die Verbrechensbekämpfung unter der sozialliberalen Koalition sei Chuzpe; schließlich hätten die Bundesregierungen unter Adenauer keinen Anlaß zu solchen Ausgaben gehabt, weil die Kriminalität damals ungleich geringer gewesen sei. Ein überzeugendes Argument, finde ich.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Auch hier wäre es, Herr Innenminister, verdienstvoller gewesen, wenn Sie sich nicht auf Mittelzuführung und Selbstlob beschränkt, sondern den geistigen und politischen Hintergrund der Verbrechensentwicklung aufgezeigt hätten.

    (Dr, Schäfer [Tübingen] [SPD] : Das ist aber ein dolles Ding!)

    Schauen wir uns zunächst die Zahlen an, die Herrn Schäfer offenbar nicht bekannt sind.

    (Dr. von Bülow [SPD] : Zunächst die Exhibitionisten! — Weiterer Zuruf von der SPD: Kalauer!)

    Von 1964 bis 1974 nahm die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland um rund 6,5 % zu. Die Zahl der angezeigten Straftaten nahm im selben Zeitraum um rund 57% zu. Stärker nahmen Mord und Totschlag zu — um über 80% —,

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

    Raubtaten — um über 160 % —, Diebstahl unter erschwerten Bedingungen — um 227 % — —

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Alles in Bonn? Oder in den Ländern?)

    — In der Bundesrepublik Deutschland.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : So, na also! Und wer ist für die innere Sicherheit verantwortlich? Doch die Länder! — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Ach Gott, Herr Schäfer!)

    — Meine Damen und Herren, haben Sie das gehört? Wir reden hier über Dinge, für die wir gar nicht zuständig sind, sagt uns ausgerechnet der Herr Schäfer; und der ist Professor.

    (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Dregger
    Warum beantragen Sie denn nicht, die Abteilung „Innere Sicherheit" aus dem Bundesinnenministerium auszugliedern und abzuschaffen, wenn sie nicht zuständig ist?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU] : Nach Tübingen ins Elysium! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Zahl der Rauschgiftdelikte stieg um 2 613 %. 1964 waren es 992, und 1974 waren es 26 909.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : „Und schuld daran ist ist nur die SPD" !)

    Das ist die Bilanz.
    Ist der Frieden denn nun sicherer geworden? Nach innen genauso wenig wie nach außen. Dazu kommt der Terror der Politgangster, auch eine zweifelhafte Errungenschaft der letzten Jahre: 11 Morde, rund 100 Mordversuche, 85 Sprengstoff- und Schußverletzte, 13 Geiselnahmen heißt es in dem mir vorliegenden Papier, das aber inzwischen schon überholt ist. Meine Damen und Herren, was will ich damit sagen?

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Ja, das ist die Frage!)

    Diese Zahlen belegen, daß Leistungsbilanzen, die sich nicht am Ergebnis, sondern am Aufwand ausrichten, einfach lächerlich sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Worin liegen die Ursachen der zunehmenden Kriminalität? Die von Herrn Maihofer angekündigte Ursachenforschung in Sachen Gewaltkriminalität ist ausgeblieben. Warum? Wäre etwa der Irrglaube der Sozialisten widerlegt worden, Verbrechensbekämpfung sei im Grunde eine Sache sozialer Reformen? So etwas Ähnliches war auch bei Herrn Liedtke soeben hörbar. Mit dieser Argumentation, meine Damen und Herren, sollten Sie recht vorsichtig sein, weil sonst auch unter diesem Aspekt Ihre Reformtätigkeit in den letzten Jahren eine schreckliche Widerlegung erführe.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Kurt Sontheimer, sicherlich kein Rechter, hat diesen unter Sozialisten offenbar unausrottbaren Aberglauben mit Recht kritisiert: Reformen, die die Lage verbessern — das war zugegebenermaßen in den letzten Jahren nur selten der Fall —, insbesondere im Bereich der sozialen Sicherheit, tragen ihren Wert in sich. Sie mit dem Schutz vor Verbrechen motivieren bedeutet nicht, die Verbrechen zu bekämpfen, sondern ihnen den Boden zu bereiten, weil diese Argumentation die Verbrecher mit dem Heiligenschein von Sozialreformern ausstattet.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Miltner [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Das haben wir im Zusammenhang mit dem Terrorismus in den letzten Jahren doch immer wieder erlebt, mit katastrophalen Folgen insbesondere für die akademische Jugend. Möglicherweise ist auch Ulrike Meinhof diesem Irrglauben zum Opfer gefallen.
    Was erklärt nun die Zunahme der Kriminalität?

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Nun wollen wir mal hören!)

    Die Ursachen der Verbrechensentwicklung müssen tiefer erforscht werden.

    (Dr. Schweitzer [SPD] : Tun Sie das mal!)

    Es gibt sicherlich viele; ich will nur einige nennen.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Aber nicht mit Ihren Platitüden, Herr Dregger!)

    Erstens. Das Schwinden religiöser und ethischer Wertbindungen spielt sicherlich eine Rolle. Meine Damen und Herren, das ist zwar keine linke Vorstellung, aber dafür eine richtige.
    Zweitens. Ursächlich ist auch eine Schul- und Hochschulpolitik, die in einigen sozialistisch regierten Ländern, wie z. B. in Hessen, nicht darauf ausgerichtet war, junge Menschen zu Toleranz, Gemeinsinn, Pflichtgefühl gegenüber Heimat und Familie zu erziehen,

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Na, na!)

    sondern zu Konfliktbereitschaft und zu Klassenkampf.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Stücklen [CDU/ CSU] : So ist es! — Dr. Emmerlich [SPD] : Dann müßte das in Bayern doch alles besser sein!)

    Dazu kommen die Verharmlosung und die Entschuldigung des Verbrechens: „Nicht der Täter ist schuld, die Gesellschaft ist schuld."

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wie enthemmend sich diese frei Haus gelieferte Entschuldigung auf potentielle Täter auswirken muß, liegt doch auf der Hand.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Herr Dregger, ist es denn in Bayern anders mit der Kriminalität?)

    Oder: „Eigentum ist Diebstahl." Wenn diese marxistische These gepredigt und geglaubt wird, kann die Zahl der Diebstähle nicht zurückgehen. Dazu kommt die Verhöhnung des Staates und seiner Institutionen. Polizeibeamte werden als „Bullen" beschimpft, Richter als „Vertreter der Klassenjustiz", und mancher politisch Verantwortliche hat dazu geschwiegen.
    Dieses Gemisch aus bürgerlicher Libertinage und marxistischer Ideologie ist eine der entscheidenden Ursachen für die Zunahme der Kriminalität in unserem Lande. Davon bin ich überzeugt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Verantwortlich dafür sind nicht die Justiz und Polizei, sondern Politiker, Publizisten, Pädagogen und auch Theologen, alle diejenigen, die diese Entwicklung gefördert oder toleriert, sich ihr jedenfalls nicht mit Entschiedenheit entgegengestemmt haben.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Dieser ideologischen Fehlentwicklung entgegenzuwirken, wäre die politische Aufgabe des Sicherheitsministers gewesen.

    (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Sehr gut!)




    Dr. Dregger
    Ein Zweites ist nicht weniger wichtig: Der Innenminister sollte bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Polizeibeamten moralisch den Rücken stärken, und zwar nicht nur theoretisch, abstrakt auf Festakten, sondern praktisch, konkret, in Krisensituationen. Meine Damen und Herren, nicht nur politisch Verantwortliche, auch parteipolitisch weichgeklopfte Polizeipräsidenten haben in dieser Hinsicht versagt.
    Ein neues Beispiel: Ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin eine dpa-Meldung über die Vorgänge in Frankfurt, wo vorgestern abend 600 Politrabauken der Polizei in Frankfurt eine der schlimmsten Straßenschlachten geliefert haben. dpa berichtet folgendes:
    Der Frankfurter Polizeipräsident Knut Müller

    (Zuruf von der CDU/CSU: SPD!)

    hat am Montagabend in einer Bilanz nach der brutalen Auseinandersetzung mit Demonstranten zugegeben, daß die Polizei auf eine so gewaltsame Auseinandersetzung nicht vorbereitet gewesen sei.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Vor Journalisten sagte der Polizeipräsident, auf Grund der Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre sei die Polizei davon ausgegangen, daß sich mögliche Ausschreitungen gegen Objekte der Justiz, aber nicht in erster Linie gegen Polizeibeamte richten würden.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Stücklen [CDU/CSU] : Das ist ja sehr „beruhigend"! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Die schweren Vorfälle hätten jedoch gezeigt, daß die Demonstranten nicht nur aus Trauer um Ulrike Meinhof auf die Straße gegangen seien, sondern um eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei zu suchen.
    Das hat den Herrn Müller überrascht, meine Damen und Herren, in Frankfurt, wo diese Aktionen seit den Osterunruhen des Jahres 1968 in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Wie naiv, zu glauben, daß diese Leute, die man doch nicht Demonstranten nennen kann — das sind Politrabauken —,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß diese Politrabauken fein säuberlich zwischen Objekten der Justiz und den Objekten der Polizei Unterschiede machen würden!

    (Zuruf des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/ CSU])

    Aber es kommt noch schlimmer. Ich fahre im Zitat fort:
    Müller wies darauf hin, daß sieben Beamte verletzt wurden, wobei zwei schwere Verbrennungen davontrugen. Der 24 Jahre alte Polizeiobermeister Jürgen Weber erlitt lebensgefährliche Verbrennungen, als ein Brandsatz in seinen Streifenwagen geschleudert wurde und er, so sein Dienstvorgesetzter, Hauptkommissar Horst Bräunig, wie eine lebende Fackel aus dem Wagen gezogen werden mußte. Dieses Ereignis, so meinte Knut Müller, Polizeipräsident,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: SPD!)

    sei vielleicht auch dafür ausschlaggebend gewesen, daß bei der anschließenden gewalttätigen Konfrontation die Beamten vielleicht nicht immer so handelten, wie es in ihren Dienstvorschriften steht.

    (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! Unerhört! — Dr. Miltner [CDU/ CSU] : Genosse Polizeipräsident! — Dr. Schweitzer [SPD]: Pure Demagogie! — Gegenruf von der CDU/CSU: Das ist eine dpaMeldung! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Meine Damen und Herren, während einer seiner Beamten mit dem Tode ringt, ein anderer ebenfalls von den Brandsätzen der Linksextremisten schwer verletzt ist, zahllose Polizisten von ihren Einsätzen noch nicht zurückgekehrt sind, hält es dieser Polizeipräsident

    (Zurufe von der CDU/CSU: SPD!)

    für richtig, öffentlich und vorsorglich an seinen Beamten Kritik zu üben.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! Unglaublich! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Warum vorsorglich, meine Damen und Herren?

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Der ist durch imperatives Mandat ins Amt gekommen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Die Verantwortung trifft nicht allein den Herrn
    Müller. Vorsorglich deshalb, weil Polizeipräsidenten
    in Frankfurt mit ihrer Entlassung zu rechnen haben,

    (Rawe [CDU/CSU] : Das ist es!)

    wenn sie sich in derartigen Konfliktsituationen wie es ihre Pflicht ist, auf die Seite ihrer Beamten stellen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Herr Schäfer, was sagen Sie denn dazu?)

    Auch hier die Tatsachen; ich sage nichts ohne Begründung. Der Amtsvorgänger des Herrn Müller, der Polizeipräsident Dr. Littmann, wurde gegen den ursprünglichen Widerstand des Magistrats mit diesem Vorwurf entlassen, weil der Bezirksparteitag der SPD das beschlossen hatte. Frankfurt ist eine sozialistisch regierte Stadt; noch ist Frankfurt eine sozialistisch regierte Stadt, aber nicht mehr lange!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Fall Littmann, aus dem jetzt der Fall Müller geworden ist, ist leider kein Einzelfall. Er ist die Folge des jahrelangen Versagens mancher für Recht und Ordnung, d. h. für den inneren Frieden politisch Verantwortlicher. Viele dieser Verantwortlichen haben jahrelang die übelsten Beschimpfungen der Polizeibeamten und der Richter hingenommen, die doch nichts anderes tun, als nach Recht und Verfas-



    Dr. Dregger
    sung die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger dieses Landes zu garantieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mit den Richtern und Polizeibeamten wurden die Politiker beschimpft, die sich dieser skandalösen Entwicklung entgegengestellt haben.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Bis an die Spitze wurden sie beschimpft!)

    Ich erinnere an die Juso-Erklärung, die unter Mitwirkung unseres Kollegen Gansel abgefaßt wurde,

    (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : „Kollege" ?)

    in der es hieß, führende Politiker der Union — Sie kennen ihre Namen — seien „gefährlicher für die Demokratie als einige wildgewordene Kleinbürger vom Format der RAF" .

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Das trifft auch Dregger!)

    Es war der Kollege Wehner, der einem dieser Beschuldigten in der Bundestagsdebatte zur Verteidigung dieser skandalösen Juso-Erklärung entgegenhielt: „Sie, Herr Strauß, sind ein geistiger Terrorist!".

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Und diese Lümmeleien werden hier wiederholt!)

    Ich meine, es ist jetzt genug Leid geschehen, und es sollte jetzt endgültig mit der Wegbereitung des Terrorismus in unserem Lande zu Ende sein.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Das ist unverschämt!)

    Ich möchte formulieren, was wir erwarten. Wir erwarten erstens, daß sich in Konfliktfällen die politische Führung rückhaltlos vor die Polizei stellt,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    was nicht ausschließt, daß, wenn die Auseinandersetzung zu Ende ist, wenn wirklich Übergriffe stattgefunden haben sollten, diese dann sorgfältig untersucht werden, wobei der Konfliktsituation Rechnung zu tragen ist; denn auch Polizeibeamte sind keine Roboter.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir erwarten ferner von der dafür zuständigen politischen Führung, daß sie einen Polizeipräsidenten zur Verantwortung zieht, der am Ende eines heißen Einsatztages seinen Polizeibeamten nicht dankt für ihren Mut, für ihre Tapferkeit und für ihren Einsatz, sondern sie mit der Kritik wegen angeblich nicht eingehaltener Dienstvorschriften empfängt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundesminister, verzichten Sie auf größere Ausführungen über die Millionen für das Bundeskriminalamt. Ich schlage Ihnen vor: Fahren Sie nach Frankfurt, helfen Sie dem hessischen Innenminister, der Ihrer Partei angehört, und nehmen Sie unsere Polizeibeamten in Frankfurt gegen ihren eigenen Polizeipräsidenten in Schutz, wenn es nötig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich erkläre jedenfalls für die CDU/CSU: Wir danken der Polizei in unserem Lande, nicht nur der Frankfurter Polizei.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir solidarisieren uns mit ihr und werden sie auch in Konfliktsituationen nie im Stich und nie in der Isolierung lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ein Wort zum Bundesgrenzschutz. Er feiert in diesen Tagen seinen 25. Geburtstag. Das ist Veranlassung, auch den Grenzschutzbeamten für Einsatzbereitschaft, Leistung und Haltung zu danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Fraktion hat dem Gesetzentwurf zur Strukturverbesserung mit großer Mehrheit zugestimmt, weil wir die Lage der Grenzschutzbeamten verbessern wollten — was dieses Gesetz ermöglicht. Unsere Bedenken richten sich gegen bestimmte Tendenzen, deren Durchsetzung dieser Gesetzentwurf erleichtert, aber keineswegs erzwingt. Wie sich der Bundesgrenzschutz entwickelt, hängt daher letztlich von der politischen Führung ab.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Unsere Position ist folgende: Der Bundesgrenzschutz ist eine Verbandspolizei. In anderen demokratischen Ländern ist diese der Armee unterstellt, in Frankreich zum Beispiel als Gendarmerie, in Italien als Karabinieri. In Deutschland ist es anders. Es sollte hier so bleiben. Denn der Bundesgrenzschutz hat keine militärische, sondern eine polizeiliche Aufgabe zu erfüllen, eine polizeiliche Aufgabe allerdings, die nicht nur im Einzeldienst, sondern auch im Verband zu erfüllen ist.
    Dieser Einsatz im Verband — ich bitte Sie, jetzt genau zuzuhören — erfordert die Beachtung von Prinzipien, die auch für den Verbandseinsatz der Armee gelten. Das sollte unvoreingenommen und vorurteilsfrei gesehen und beurteilt werden, d. h. ohne antimilitaristischen Komplex, der ja wie jeder Komplex eine geistige Verklemmung bedeutet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Niemand kann ausschließen, daß es zu Grenzüberschreitungen nicht operativen Charakters kommt, in die wir die Armee nicht verwickelt sehen möchten, und niemand kann ausschließen, daß es zu organisierter Bandentätigkeit im Innern kommt.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Wer diese Möglichkeiten aus ideologischen Gründen aus seiner Vorstellung streicht und daher glaubt, den Bundesgrenzschutz geistig und waffenmäßig abrüsten zu können, ist ein politischer Narr, der unsere Sicherheit gefährdet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Disziplin, Haltung und Ausrüstung des Grenzschutzes müssen seinem Charakter als Verbandspolizei und seinen besonderen Aufgaben entsprechen. Die in dem neuen Strukturgesetz vorgesehene



    Dr. Dregger
    Doppelausbildung zum Verbandsdienst und zum Einzeldienst stellt an den einzelnen Beamten und an den Verband ungewöhnliche Anforderungen. Der Wechsel von der einen Einsatzart zur andern bedeutet auch mentalitätsmäßig eine erhebliche Umstellung. Die Doppelaufgabe kann die Ausbildung so zeitraubend werden lassen, daß die Einsatzbereitschaft in nicht vertretbarer Weise darunter leidet.
    Wir legen Wert darauf, daß der Grenzschutz in dem jetzt beginnenden Abschnitt seiner Geschichte seinen Charakter nicht verliert, daß seiner Aufgabe als Verbandspolizei weiterhin Priorität eingeräumt bleibt und daß er nach Ausbildung, Ausrüstung und Haltung für jeden denkbaren Fall wie bisher gewappnet ist.
    Nun zur dritten, vornehmsten Aufgabe des Innenministers : zum Schutz der Verfassung. Das ist mehr als das, was dem Verfassungsschutz als Institution aufgetragen ist.
    In einem freiheitlichen Gemeinwesen ist Schutz der Verfassung schwieriger und zugleich wichtiger als in sozialistischen oder faschistischen Staaten; schwieriger, weil die Grund- und Freiheitsrechte des Menschen, die unser System auszeichnen, zugleich Einfallstor für jene sind, die sie abschaffen wollen; wichtiger, weil die besonderen Gründe für die Gefährdung unseres Systems, die gleichzeitig seine Qualität ausmachen, mehr erfordern als Macht, Justiz, Polizei und Administration.
    Schutz unserer Verfassung heißt auch und vor allem geistige und politische Führung. Vom derzeitigen Verfassungsminister ist sie in der Verfassungs- und Sicherheitspolitik nicht ausgegangen. Herr Maihofer hat es vorgezogen, von der sogenannten sozialliberalen Koalition als einem historischen Bündnis zu schwärmen. Er hat gemeint, daß die geistigen Kräfte, die ihm zugrunde lägen, im 19. Jahrhundert auf der gleichen Seite der Barrikade gestanden hätten und daß es nunmehr gelte, das liberale Bürgertum und die sozialistische Arbeiterschaft zusammenzuführen. Diese Sicht ist rückwärts gerichtet und voller Geschichtsklitterung. Sie übersieht die neue soziale und liberale Qualität, die in diesem Land in der Nachkriegszeit unter Führung der Unionsparteien geschaffen worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Barzel hat gestern darüber gesprochen.
    Aber, was schlimmer ist, diese Sicht verdunkelt zugleich die Gefahr, die unserer freiheitlichen Demokratie heute droht. Es ist daher kein Wunder, daß dieser Minister und diese Koalition außerstande waren, diese Gefahren in das allgemeine Bewußtsein zu heben und ihnen in angemessener Weise zu begegnen.
    Was waren die Folgen? In der Amtszeit des derzeitigen Innenministers ist die Rechtseinheit von Bund und Ländern in der Freihaltung des öffentlichen Dienstes von Verfassungsfeinden vollends verloren gegangen. Warum, Herr Kollege Maihofer? Weil Ihre eigene Partei, die FDP, und die SPD die Grundlage verlassen haben, die nach dem
    Kriege die gemeinsame Grundlage aller demokratischen Parteien gewesen ist,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    eine Grundlage, die es noch 1972 ermöglichte, daß der damalige Bundeskanzler Brandt mit den Ministerpräsidenten aller Länder eine Vereinbarung abschloß, die sicherzustellen hatte, daß die gleichen Vorschriften überall gleich angewandt werden. Das haben Sie, Herr Maihofer, nicht zu verhindern vermocht; ja, Sie haben selbst dazu beigetragen. Die Abwehrkraft unseres demokratischen Gemeinwesens ist dadurch erheblich geschwächt worden. Seinen Gegnern ist es dadurch erleichtert worden, in den öffentlichen Dienst, d. h. aber auch in das Erziehungswesen, in die Sicherheitsorgane, in die Schaltstellen unseres komplizierten und hochempfindlichen Gemeinwesens einzudringen. Die Folgen werden um so schwerwiegender sein, je länger der sich ständig beschleunigende Marsch durch die Institutionen andauert. Schon heute sind die Ergebnisse gerade im Bildungswesen, das für das Verfassungsverständnis der jungen Generation so entscheidend ist, erschreckend. An der Universität Bremen z. B. stimmten 1975 84 von 263 Hochschullehrern für die der KPD und dem KBW, also den sogenannten Chaoten, nahestehenden Listen, von den Anhängern der orthodoxen Kommunisten ganz zu schweigen.
    Unsicherheit, Unklarheit und Unentschlossenheit der für unseren Staat zur Zeit Verantwortlichen haben außerdem dazu geführt, daß Kommunisten in aller Welt, aber auch Gutgläubige im In- und Ausland dabei sind, die deutsche Demokratie, die freiheitlichste der Welt, der Gesinnungsschnüffelei und der Berufsverbote zu bezichtigen. Daß Kommunisten, Anhänger eines Systems, das den Archipel Gulag hervorgebracht hat, das überall dort, wo es herrscht, seinen Gegnern nicht nur die Berufsfreiheit, sondern jede Freiheit nimmt,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    das tun können, ohne daß die Welt in Gelächter ausbricht, ist nur möglich, weil Angehörige der Regierungsparteien mit den Kommunisten in ihrer verlogenen Berufsverbotskampagne gemeinsame Sache gemacht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Pfui-Rufe)

    Herr Maihofer, Sie haben das nicht gewollt, Sie haben das auch abgelehnt; aber ich meine, das reicht nicht, das entlastet Sie nicht. Sie waren zu schwach, dieser Kampagne in der eigenen Partei und Koalition und in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit überzeugend entgegenzuwirken.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das darf er nicht!)

    Gesinnungsschnüffelei — das sei an die Adresse der in- und ausländischen Kritiker gesagt — lehnen wir ab.

    (Zuruf von der SPD: Verbalismus!)

    Wir fürchten uns nicht vor Gesinnungen. Die Gesinnungen sind frei und müssen frei bleiben!

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Dregger
    Wir lehnen es ab, Jugendsünden zum Ausschließungsgrund für den öffentlichen Dienst zu machen.

    (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Jeder, der sich heute und in Zukunft zu den Grund- und Freiheitsrechten unserer Verfassung bekennt und willens ist, diesen demokratischen Staat gegen seine Gegner zu verteidigen, ist unter diesem Aspekt auch geeignet, sein Diener zu sein, unabhängig davon, was er früher einmal gedacht und gewollt hat. Das ist die Position der CDU/CSU.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer aber, objektiv feststellbar, diesen demokratischen Staat ablehnt, wer unsere freiheitliche Ordnung durch eine totalitäre ersetzen will und das durch die Mitgliedschaft in einer kommunistischen oder faschistischen Partei nicht nur dokumentiert, sondern auch noch betätigt, der ist ungeeignet, Beamter des Staates zu sein, den er zerstören will.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist so klar, so einfach und vor allem so rechtsstaatlich,

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Aha!)

    daß es daran nichts zu deuteln gibt, Herr Schäfer.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Die Theorie ist gut, aber die Praxis!)

    Wenn die Koalition es ablehnt, dieses objektive Merkmal der Parteimitgliedschaft

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Und bestätigt!)

    zum Maßstab der Entscheidung machen

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Vorher haben Sie etwas anderes gesagt!)

    — Sie müssen besser zuhören, lieber Herr Schäfer; ich pflege sehr präzis zu sprechen, bin aber, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, gern bereit, es für Sie zu wiederholen —, dann wird die Absicht, unseren öffentlichen Dienst von Verfassungsfeinden freizuhalten, entweder zur Farce, oder es wird das heraufbeschworen, was Sie verhindern wollen, nämlich Gesinnungsschnüffelei, die wir ablehnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir werden, wenn die Wähler am 3. Oktober die Bundesratsmehrheit der Union durch eine Bundestagsmehrheit ergänzen, die Verteidigungsfähigkeit dieses Staates auch auf diesem Felde voll wiederherstellen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Unser vornehmstes Ziel aber wird es sein, die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger, ihre Meinungs- und Koalitionsfreiheit, ihre Rede- und Pressefreiheit zu schützen. Denn die Freiheit des Menschen auch gegenüber dem Staat und den mächtigen gesellschaftlichen Gruppen ist das Qualitätsmerkmal unseres Systems, das es grundlegend von allen kommunistischen und faschistischen Systemen unterscheidet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich sage deshalb noch einmal: Gesinnungen sind frei, Meinungen sind frei. Ich füge hinzu: Auch die Verfassung und die Verfassungspraxis sind weder der Kritik noch der Veränderbarkeit entzogen. Das gilt erst recht für den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Zustand, der in gar keiner Weise von der Verfassung geschützt ist, sondern Änderungen offensteht, die von der Mehrheit gewollt werden. Wir werden jeden Versuch, die politische und gesellschaftliche Gestaltungsfreiheit zu überwinden — und das ist das Ziel der Kommunisten nach ihrem Sieg —, abwehren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Keine Gestaltungsfreiheit kann es aber gegenüber dem von den Kommunisten und ihren Hilfstruppen angegriffenen Kernbestand unserer Verfassung geben, wie er vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der KPD im Jahre 1956 umrissen worden ist.

    (Zuruf von der SPD: Er spricht von Spanien!)

    — Ich verstehe nicht, daß Sie jetzt von Spanien reden. Wir reden von Deutschland, denn dafür sind wir vor allem verantwortlich, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Es war notwendig, das zu sagen!)

    Der Kernbestand der Verfassung — ich hoffe, daß Sie alle dem zustimmen — muß der Änderung entzogen bleiben, weil seine Änderung künftige Änderungen ausschließen würde, weil mit seinem Wegfall die Freiheit wegfallen würde. Das ist unsere Position.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, neben der Intaktheit des öffentlichen Dienstes ist die Funktionsfähigkeit der freien Presse ein unverzichtbares Grundrecht.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Ich will mich zu Streik und Aussperrung in der Druckindustrie nicht äußern, soweit die Mittel des Arbeitskampfes im Rahmen der Verfassung und des Tarifrechts angewandt worden sind. Eines muß aber klar gesagt werden — und der Verfassungsminister hätte es mit Entschiedenheit tun müssen —: Streik zur Durchsetzung einer Zensur ist unzulässig und verfassungswidrig.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Gedanken sind frei, die Meinungen sind frei, die Presse ist frei. Wer in unseren Zeitungen weiße Flecken erzwingt, gefährdet die Freiheit in Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir appellieren an die Gewerkschaften, deren Arbeit wir anerkennen, und an die gesamte deutsche Öffentlichkeit, auf diesem Felde den Anfängen in Solidarität gemeinsam zu wehren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, es gibt andere Felder, auf denen wir ein klares Wort des Verfassungsmini-



    Dr. Dregger
    sters vermißt haben. Er hat es zugelassen, daß über Inter Nationes Landkarten an die deutschen Auslandsvertretungen verteilt wurden, die den Eindruck erwecken, Deutschland ende an der sogenannten Oder-Neiße-Linie und die innerdeutsche Grenze von Lübeck bis Hof sei eine normale Staatsgrenze. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seinem Urteil zum innerdeutschen Grundvertrag vom 31. Juli 1973 ausgeführt — und für den Verfassungsminister ist das ein verbindlicher Auftrag —:
    Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland darf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben, alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken — das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Innern wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten — und alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln würde.
    In derselben Untätigkeit verharrte der Verfassungsminister, als der Kalender 1976 „Blick in die DDR" vom Gesamtdeutschen Institut speziell zur Verteilung an unseren Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen herausgegeben wurde. Dieser Kalender wird in keiner Weise dem Auftrag gerecht, den Willen zu einem einigen Deutschland in Freiheit wachzuhalten.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Das kann er nicht, weil er die Anormalität des geteilten und in seinem östlichen Teil unterdrückten Deutschland nicht als solche ins Bewußtsein ruft und damit in den Rang der Normalität erhebt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Damit wird die Wirklichkeit des SED-Regimes verzeichnet, woran einzelne kritische Bemerkungen nichts ändern.
    Der für unsere Schulen und Bildungseinrichtungen bestimmte Kalender verschweigt die sowjetische Fremdherrschaft über Mitteldeutschland, den Zwangscharakter des SED-Staates, insbesondere an seinen Grenzen, die Unfreiheit des kommunistischen Lebens, die sich auch im äußeren Bild des Alltags der DDR zeigt, die Versuche der SED, der Bevölkerung Mitteldeutschlands ihren nationalen Charakter zu nehmen, um sie zum willfährigen Instrument sowjetischer Machtausübung zu machen.

    (Dr. von Bülow [SPD]: Devisenschleuse!)

    Meine Damen und Herren, solchen Fehlleistungen sollte gerade der Verfassungsminister entgegentreten. Und er sollte es mit der moralischen Kraft tun, die sich aus der Legitimität des Auftrags unserer Verfassung ergibt. Wer heute für Deutschland eintritt, tritt für die Freiheit und die Menschenrechte ein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Heute sind Freiheit, Menschenrechte und Deutschland voll zur Deckung gebracht. In der tragischen Geschichte unseres Volkes war es nicht immer so, und in Mitteldeutschland ist es auch heute nicht so.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Ich habe selten so große Worte gehört!)

    — Das sind nicht große Worte, sondern das ist die Lebenswirklichkeit der Menschen drüben, die darunter leiden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich [SPD]: Wortblasen!)

    Das verpflichtet uns, nicht nur im nationalen, sondern auch im Menschheitsinteresse zu jeder Stunde für die Freiheit und Einheit ganz Deutschlands einzutreten. Die Unterschiede zwischen der personalen Freiheit hier und der personalen Unfreiheit drüben dürfen nicht verwischt werden. Der anormale Zustand sowjetischer Fremdherrschaft über einen Teil Deutschlands und sozialistischer Zwangsherrschaft der Kommunisten über die Mehrheit der Bevölkerung in der DDR darf nicht verwischt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wer dagegen angeht, ist kein kalter Krieger, sondern ein Demokrat, der für die Freiheit und die Menschenrechte eintritt.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Frau Präsidentin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir gestatten würden, meine Rede noch zu Ende zu bringen.
    Es ist so, meine Damen und Herren: Die große Alternative unseres Jahrhunderts, die große Alternative für Deutschland und für Europa ist die zwischen Freiheit und Sozialismus.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Nur ein politisch Blinder kann das ernsthaft bestreiten.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: So ist das!)

    Die Zielsetzung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken — sie nennen sich „sozialistisch"; wollen Sie ihnen etwa diesen Namen streitig machen? — und die Zielsetzung ihrer Satelliten, zu denen das Regime der Sozialistischen Einheitspartei in der DDR gehört — auch sie nennt sich „sozialistisch" — ist auch im Zeitalter der Entspannung und der Koexistenz offensiv geblieben. Diese sozialistischen Kräfte wollen den Sozialismus ihrer Vorstellung in ganz Deutschland und in ganz Europa durchsetzen. Und es kann auch gar kein Zweifel daran sein, daß die kommunistischen Parteien in Westeuropa einschließlich der DKP dieses Ziel in gleicher Konsequenz verfolgen. Wir können doch diese Tatsache, die für unsere Freiheit eine tödliche Bedrohung darstellt, nicht einfach verschweigen. Wir müssen sie doch beim Namen nennen. Wir können sie doch nicht einfach deshalb verschweigen, weil Sie sonst in Interpretationsschwierigkeiten kommen, meine Damen und Herren von der SPD.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Keiner zwingt Sie, sich den sozialistischen Stiefel anzuziehen. Wenn Sie es tun, ist es doch Ihre eigene Sache.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie nennen sich demokratische Sozialisten. Was ist das? Doch sicherlich nicht das, was Professor Schäfer meinte. Herr Kollege Schäfer, ich nehme an,



    Dr. Dregger
    es war ein Lapsus linguae, als Sie gestern sagten: Wer für Freiheit ist, muß für Sozialismus sein.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Schlimm war das!)

    Ich unterstelle, daß Sie das nicht so gemeint haben.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Er hat den Stiefel an! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

    Inhaltlich bedeutet das, daß diese Vorstellung vielleicht volksdemokratisch ist, aber doch nicht demokratisch.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn demokratischer Sozialismus dasselbe wie Sozialdemokratie ist, wie mir Herr Ehmke in einem Fernsehgespräch versichert hat, muß ich fragen, warum Sie denn nicht den stolzen Begriff „Sozialdemokratie", auf den nicht nur Sie, sondern unsere ganze deutsche Geschichte stolz sein können, in den Vordergrund stellen. Gerade dieser Begriff ist doch geeignet, die Trennungsgrenze zur sozialistischen Gesellschaftsordnung drüben ganz deutlich zu machen. Warum haben Sie es vorgezogen, in den letzten Jahren immer mehr den verschwommenen Begriff „demokratischer Sozialismus" in den Vordergrund treten zu lassen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn es Ihnen immer schwererfällt, die Unterschiede zwischen diesen Sozialismen deutlich zu machen — vor allem in Ihrer eigenen Parteijugend,

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Nicht nur in der Jugend!)

    wie die zahlreichen sozialistischen Volksfrontbündnisse Ihrer Mitglieder mit Kommunisten, insbesondere an deutschen Hochschulen, zeigen —, mag das zunächst Ihr Problem sein. Wenn dies aber mit dem Bestreben einhergeht, den Terror des sozialistischen Zwangssystems in der DDR möglichst zu verschweigen und die aggressiven Ziele der Kommunisten hier und drüben zu verharmlosen, dann geht das nicht nur Sie, sondern auch uns etwas an. Dann geht es uns alle etwas an!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die zunehmende Verschwommenheit Ihrer Position, die es vor zehn Jahren nicht gab, hat sich insbesondere bei Ihrer Parteijugend verheerend ausgewirkt. Heute sind es die Juso-Hochschulgruppen, die dem verfassungsfeindlichen Spartakusbund der DKP zu Mehrheiten in vielen Allgemeinen Studentenausschüssen verhelfen. Auf der Kölner VDS-
    Versammlung wurde ganz deutlich, daß erst die Koalitionsbereitschaft der Juso-Hochschulgruppen und des Liberalen Hochschulbundes es ermöglichte, daß es Mehrheiten für diese Spartakisten gibt. Beide Studentenverbände, die den Regierungsparteien nahestehen, ziehen es vor, mit Kommunisten statt mit einem verfassungstreuen Studentenverband wie dem RCDS zu koalieren. Das ist doch die Wirklichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Bundeskanzler Schmidt nur den Amerikanern erklärt, er sei kein Sozialist, sondern Sozialdemokrat, dies hier in Deutschland aber nicht sagt — warum tut er das hier wohl nicht?; hier wäre es doch viel nötiger; in Amerika gibt es keinen großen Sozialismus —, dann ist es doch kein Wunder, wenn junge SPD-Leute der Meinung sind, wenn der Sozialismus und nicht die Demokratie die Hauptsache sei, müßten sie sich mit den anderen Sozialisten, mit den kommunistischen Sozialisten nämlich, und nicht etwa mit den Christdemokraten verbünden, um gemeinsam die Demokratie zu verteidigen. Das sind die Folgen dieser verschwommenen Position, und die müssen wir doch an das Licht bringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Parteivorsitzende der SPD, Herr Kollege Brandt, der heute leider fehlt, wird diese Kritik wieder in geübter Weise mit einem Griff in die große Geschichte der SPD zurückweisen. Er wird auf Schumacher und auf Wels hinweisen. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur eines sagen: Unsere Kritik gilt nicht den früheren SPD-Führungen, sondern der heutigen SPD-Führung.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Tote und totgeschlagene Sozialdemokraten können gut genannt werden!)

    — Nein, das ist nicht das Problem, lieber Herr Wehner. Das ist viel zu ernst, und dem müssen Sie sich stellen. So einfach ist das nicht.

    (Zurufe von der SPD — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Diese Ablenkungen!)

    Herr Wels hat noch 1933 gesagt: Kommunisten und Nationalsozialisten sind Brüder. Wenn ich mich an Ihre Reden im Sächsischen Landtag erinnere, Herr Wehner, dann finde ich das bestätigt.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU — Wehner [SPD] : Und Herr Wels hat gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt, als alle Ihre Vorgänger-Parteien zustimmten!)

    Ich würde mich freuen, wenn heutige SPD-Führer eine so klare Aussage machen würden, wie Wels sie im Jahr 1933 gemacht hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der russische Patriot, Freiheitskämpfer und Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn hat in seiner im britischen Rundfunk ausgestrahlten Ansprache zum Schluß folgendes wörtlich gesagt — Herr Wehner, hören Sie einmal zu, das ist sehr wichtig für Sie —:
    Wir, die unterdrückten Völker Rußlands, die unterdrückten Völker Osteuropas, beobachten mit Herzensangst die tragische Schwächung Europas. Wir bieten Ihnen die Erfahrung unserer Leiden. Wir wünschen, Sie machten sich diese Erfahrung zunutze, damit Sie nicht den gewaltigen Preis von Tod und Sklaverei zahlen müssen, den wir gezahlt haben.
    In dieser Lage Europas tragen wir Demokraten in Deutschland eine besondere Verantwortung wegen der Stärke unseres Landes auf bestimmten Gebieten und wegen der tragischen Geschichte unseres



    Dr. Dregger
    Volkes, das bereits einmal unter entgegengesetzten Vorzeichen ein solches System verwirklicht hat. Wir haben nicht das Recht, uns mit den Fehlern unserer Verbündeten zu entschuldigen. Gerade weil wir auf einigen Feldern stärker sind als sie, dürfen wir nicht auf ihre angeblichen Schwächen hinweisen. Wir können und müssen unsere Verbündeten aus der bitteren Erfahrung, die wir 1933 gemacht haben, warnen. Aber wir verhalten uns menschlich und politisch töricht, wenn wir von außen her angebliche innenpolitische Fehler unseren Verbündeten kritisieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, statt der Schulmeister Europas zu sein, sollten wir unsere Kraft ohne Kraftmeierei in den Dienst Europas stellen. Wir können Deutschland als einem Kernland Europas durch nichts einen besseren Dienst tun.
    Voraussetzung für diesen unseren Einsatz ist, daß unsere Demokratie selbst stark ist, geistig, moralisch, politisch, sozial und wirtschaftlich. Wir dürfen daher der kommunistischen Gefahr im eigenen Land keinen Raum geben, auch nicht durch Vernebelung ihrer Absichten und durch Verwischung der Unterschiede, auch nicht durch Duldung der Unterwanderung unserer Institutionen. Nur wer innerlich gesund ist, kann nach außen stark sein. Wir müssen stark sein, damit die Freiheit in Deutschland und Europa bleibt.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)