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ID0721821000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 218. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1976 Inhalt: Nachruf auf den früheren Abg. und Vizepräsidenten Schoettle . . . . . . . 15081 A Erklärung der Bundesregierung Schmidt, Bundeskanzler 15081 D Beratung des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Materialien zum Bericht zur Lage der Nation 1974 — Drucksachen 7/2423, 7/4158 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung — Drucksache 7/4616 — in Verbindung mit Beratung der Empfehlungen und Entschließungen der Nordatlantischen Versammlung bei ihrer 21. Jahrestagung vom 21. bis 26. September 1975 in Kopenhagen — Drucksache 7/4241 — Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU . . . 15094 A Wehner SPD 15103 D Hoppe FDP 15109 B Genscher, Bundesminister AA . . . . 15129 B Dr. Marx CDU/CSU 15135 C, 15213 C Mattick SPD 15145 C Dr. Bangemann FDP 15151 A Dr. Abelein CDU/CSU . . . . . . . 15157 B Höhmann SPD . . . . . . . . . . 15163 A Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . . . 15168 A Franke, Bundesminister BMB . . . . 15171 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . 15178 D Mischnick FDP . . . . . . . . . . 15181 B Barche SPD .. . . . 15186 C Dr. Gradl CDU/CSU 15189 B Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . . . 15192 D Wohlrabe CDU/CSU . . . . . . . . 15195 C Grimming SPD . . . . . . . . . . 15199 A Kunz (Berlin) CDU/CSU . . . . . . 15202 C Böhm (Melsungen) CDU/CSU 15205 D Jäger (Wangen) CDU/CSU 15208 D Dr. Arndt (Hamburg) SPD . . . . . . 15211 C lI Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1976 Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kreutzmann, Barche, Büchler (Hof), Zebisch, Niegel, Böhm (Melsungen), Hösl, Dr. Warnke, Wolfgramm (Göttingen) und Genossen betr. Förderung des Zonenrandgebietes — Drucksachen 7/4117, 7/4422 —in Verbindung mit Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über den erweiterten Verkehrswegeplan für das Zonenrandgebiet hier: Bericht des Bundesministers für Verkehr 1974 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes — Drucksachen 7/2992, 7/4471 — 15215 A Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament betr. allgemeine unmittelbare Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments Drucksachen 7/3366, 7/3768 — Dr. Kempfler CDU/CSU . . . . . . . 15215 C Fragestunde — Drucksache 7/4632 vom 23. 1. 1976 — Verhalten des Staatsministers Moersch in der Fragestunde des Deutschen Bundestages MdlAnfr A93 23.01.76 Drs 07/4632 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw PStSekr Frau Schlei BKA 15115 D, 15116A, B, C, D, 15117 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 15116 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 15116 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 15116 C ZusFr Freiherr von Fircks CDU/CSU . . 15116 C ZusFr Niegel CDU/CSU 15116 D ZusFr Seiters CDU/CSU 15117 A Lieferung von Schützenpanzern durch die Firma Rheinstahl über ihre belgische Zweigniederlassung an Saudi-Arabien sowie Genehmigung der Ausfuhr MdlAnfr A96 23.01.76 Drs 07/4632 Hansen SPD MdlAnfr A97 23.01.76 Drs 07/4632 Hansen SPD Antw StMin Moersch AA . . . . 15117 B, C, D, 15118A, B, C, D, 15119 B ZusFr Hansen SPD . . . . 15117 C, D, 15118 B ZusFr Ey CDU/CSU . . . . . . . . . 15118 B ZusFr Haase (Kassel) CDU/CSU . . . 15118 C, D ZusFr Dr. Kliesing CDU/CSU 15119 A Einstellung der Bundesregierung zu den Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz MdlAnfr A99 23.01.76 Drs 07/4632 Dr. Hupka CDU/CSU MdlAnfr A100 23.01.76 Drs 07/4632 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Moersch AA . . . . 15119 B, C, D, 15120 A, B, C, D, 15121 C, D, 15122 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . 15119 C, D, 15120 D, 15121 B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 15119 D, 15122 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU . . 15120 A, 15121 D ZusFr Freiherr von Fircks CDU/CSU . . . 15120 B Höhe der aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" und den Konjunkturprogrammen nach Ostfriesland seit 1970 vergebenen Mittel MdlAnfr A46 23.01.76 Drs 07/4632 Tietjen SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . 15122 C, 15123 B ZusFr Tietjen SPD . . . . . . . . 15123 A, B Umfang der Exporte von wirtschaftlichen Gütern in osteuropäische Länder seit 1970 MdlAnfr A47 23.01.76 Drs 07/4632 Tietjen SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . 15123 C, 15124 A, B ZusFr Tietjen SPD . . . . . . . . . 15123 D ZusFr Ey CDU/CSU . . . . . . . . . 15124 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 15124 A ZusFr Stahl (Kempen) SPD 15124 B Zweckmäßigkeit nur eines Werkstattyps für Behinderte sowie Untersuchung des Zusammenbringens von geistig Behinderten und geistig nicht Behinderten MdlAnfr A51 23.01.76 Drs 07/4632 Burger CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA . 15124 C, 15125 A ZusFr Burger CDU/CSU . . . . 15124 D, 15125 A Wegfall von Waisenrente, Krankenversicherung und Kindergeld für Abiturienten ohne Studien- oder Ausbildungsplatz MdlAnfr A55 23.01.76 Drs 07/4632 Rollmann CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA 15125 B, D, 15126 A ZusFr Rollmann CDU/CSU . . . . . . 15125 D Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1976 III Einsetzung für die Anerkennung der witterungsbedingten Arbeitsausfälle an den als deutsches Hoheitsgebiet geltenden Baustellen der Staustufe Iffezheim auf französischem Boden MdlAnfr A56 23.01.76 Drs 07/4632 Dr. Hauser (Sasbach) CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA . . . . . 15126 A Anerkennung von nicht über die vorgeschriebene Mindestzahl von Plätzen verfügende Werkstätten für Behinderte, damit die hier tätigen Behinderten in den Genuß des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter kommen MdlAnfr A57 23.01.76 Drs 07/4632 Geisenhofer CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA . 15126 C, 15127 A ZusFr Geisenhofer CDU/CSU . . . . . . 15127 A Darstellung der Zwangskollektivierung der Bauern in der DDR im Kalender „Blick in die DDR" MdlAnfr A69 23.01.76 Drs 07/4632 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Herold BMB 15127 B, D, 15128 A, B, C ZusFr Eigen CDU/CSU . . . . . . . . 15127 D ZusFr Frau Berger (Berlin) CDU/CSU . . 15128 A ZusFr Stahl (Kempen) SPD 15128 B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 15128 B ZusFr Dr. Marx CDU/CSU . . . . . . 15128 C Verweigerung der Aufnahme illegal Polen verlassender Deutscher in der DDR MdlAnfr A83 23.01.76 Drs 07/4632 Freiherr von Fircks CDU/CSU MdlAnfr A84 23.01.76 Drs 07/4632 Freiherr von Fircks CDU/CSU Antw PStSekr Herold BMB . 15128 D, 15129 A, B ZusFr Freiherr von Fircks CDU/CSU . . . 15129 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 15216 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 15217* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1976 15081 218. Sitzung Bonn, den 29. Januar 1976 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 216. Sitzung, Seite 14998 D, Zeile 9 von unten ist zu lesen: „Das nehmen Sie . . ."; Seite 14999 D, Zeile 9 von unten ist statt „abzulenken" zu lesen: „abzulehnen" ; Seite 15000 B, Zeile 12 ist statt „zukunftweisend" zu lesen: „zukunftsweisend" ; Seite 15001 B, Zeile 17 ist statt „Teufelskeis" zu lesen: "Teufelskreis". Anlage Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Adams * 30. 1. Ahlers 30. 1. Dr. Achenbach * 30. 1. Dr. Ahrens ** 30. 1. Dr. Aigner * 30. 1. Alber ** 30. 1. Dr. Artzinger * 30. 1. Amrehn ** 30. 1. Dr. Bayerl * 29. 1. Behrendt * 30. 1. Blumenfeld * 29. 1. Frau von Bothmer ** 30. 1. Brandt 30. 1. Breidbach 30. 1. Büchner (Speyer) ** 30. 1. Christ 29. 1. Dr. Dollinger 13. 2. Dr. Enders ** 30. 1. Entrup 13. 2. Prof. Dr. Erhard 30. 1. Fellermaier * 30. 1. Dr. Früh 30. 1. Flämig * 30. 1. Gerlach (Emsland) * 30. 1. Dr. Geßner ** 30. 1. Dr. Gölter ** 30. 1. Haase (Fürth) ** 30. 1. Dr. Holtz ** 30. 1. Hussing 30. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 1. Kater 30. 1. Dr. Kempfler " 30. 1. Dr. Klepsch ** 30. 1. Dr. Kreile 30. 1. Kroll-Schlüter 30. 1. Lagershausen ** 3,0. 1. Lange * 30. 1. Lautenschlager * 30. 1. Lemmrich ** 30. 1. Lenzer ** 30. 1. Liedtke 30. 1. Lücker * 30. 1. Marquardt ** 30. 1. Mattick ** 30. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Memmel * 30. 1. Dr. Mende ** 30. 1. Dr. Müller (München) ** 30. 1. Mursch * 30. 1. Frau Dr. Orth 30. 1. Pawelczyk ** 30. 1. Pieroth 30. 1. Richter ** 30. 1. Dr. Schäuble ** 30. 1. Prof. Dr. Schellenberg 30. 1. Schmidt (Kempten) ** 30. 1. Schmidt (München) * 30. 1. Schonhofen 21.2. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 1. Dr. Schwencke ** 30. 1. Dr. Schwörer * 30. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 30. 1. Seibert 30. 1. Sieglerschmidt '* 30. 1. Springorum * 30. 1. Dr. Starke (Franken) * 30. 1. Stücklen 30. 1. Strauß 30. 1. Suck * 30. 1. Tönjes 30. 1. Dr. Vohrer ** 30. 1. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 21. 2. Walkhoff * 30. 1. Walther ** 30. 1. Frau Dr. Walz * 30. 1. Weber (Heidelberg) 30. 1. Wende ** 30. 1. Dr. Wörner 30. 1. Frau Dr. Wolf ** 30. 1. Wolf 30.1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Die schriftlichen Antworten auf die in der Fragestunde nicht mündlich beantworteten Fragen werden als Anlagen zu den Stenographischen Berichten über die 219. bzw. die 220. Sitzung abgedruckt.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hermann Barche


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte von dem sprechen, was in der Deutschlandpolitik durch die sozialliberale Koalition an Positivem geschehen ist, im Gegensatz zu den Ausführungen des Vorsitzenden des innerdeutschen Ausschusses, Herrn Olaf von Wrangel, der nur von dem gesprochen hat, was nicht geschehen ist. Ich könnte mir vorstellen, daß der Vorsitzende dieses Ausschusses, ohne Schaden an seiner politischen Seele zu nehmen, auch von dem hier hätte sprechen können, was dieser Ausschuß an Erleichterungen der mitmenschlichen Beziehungen in all den Jahren gemeinsam mit dem zuständigen Ministerium erreicht hat. Herr von Wrangel, Sie haben aber auch insbesondere die Sozialdemokraten und den Minister für innerdeutsche Fragen, den wir stellen, dazu ermahnt, mehr als bisher an die Vertretungspflicht für ganz Deutschland zu denken. Ich möchte Ihnen dazu dies sagen, Herr von Wrangel: Wenn wir nicht nur die Zeit von 1969 bis heute betrachten, sondern auch einmal in die Geschichte unseres Volkes bis zum Jahre 1918 oder, wenn Sie wollen, noch davor zurückgehen, stellen wir fest, daß es seit der Gründung der Sozialdemokratischen Partei keine Partei in diesem Lande gibt, die in jeder 1 schwierigen Situation dieses Volkes stärker und mehr an Deutschland und an seine Menschen gedacht hat, als die Sozialdemokraten es getan haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich meine, auch das einmal im Laufe dieser Diskussion sagen zu sollen.
    Ich möchte das Folgende besonders an die Adresse jener Kollegen dieses Hauses richten, die gleich mir aus der Generation kommen, die die Weimarer Zeit und den Niedergang der Weimarer Zeit erlebt hat und die Ursachen hierfür am eigenen Leibe mit erfahren hat. Auch damals, in der Zeit von 1918 bis 1933, in der Zeit bis zum Tod dieser ersten deutschen Republik wurde von deutschnationalen und faschistischen Kräften systematisch — ähnlich wie heute — systematisch versucht, die Sozialdemokraten in eine Ecke, in eine kommunistische Ecke zu drängen, was letzten Endes mit dazu geführt hat, daß der Niedergang der Weimarer Republik beschleunigt wurde.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ist albernes Gerede!)

    Ich warne Sie davor, dieses Spiel weiter zu treiben, mit dem heute der Auftakt zu dem bevorstehenden Bundestagswahlkampf gegeben worden ist. Es könnte für uns alle ein schreckliches Ende nehmen.

    (Beifall bei der SPD — Abg. Baron von Wrangel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage — Glocke des Präsidenten)




    Barche
    — Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu; die Zeit ist schon zu weit fortgeschritten!

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Nein, er hat doch seine auswendig gelernte Rede!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte über das sprechen, was ich anfangs genannt habe, und möchte mich eigentlich nicht noch einmal auf den Altbundeskanzler Adenauer berufen; aber ich muß es tun, um Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, daran zu erinnern, was Sie im Geiste von Konrad Adenauer in Ihrer Deutschlandpolitik von 1949 bis 1969 versäumt haben.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Wir haben darauf gewartet, daß gerade Sie uns das sagen!)

    Ich will auch nicht an die Zitate von Konrad Adenauer aus den frühen fünfziger Jahren erinnern, die belegen, daß er gegenüber westlichen Politikern wegen seiner Politik der Westintegration auf eine Wiedervereinigung Deutschlands verzichtet hat. Ich will aber daran erinnern, daß er, wenn es um die Menschen im anderen Deutschland ging, mahnte, nicht nur an die Grenzprobleme zu denken, sondern an die Menschen, daß er zum Ausdruck brachte, daß das Deutschlandproblem eine menschliche Frage ist, und daß er in seiner Stellungnahme zu Berlin und zu den Brüdern und Schwestern, wie er sich ausdrückte, in der Zone ebenfalls davon sprach, daß menschliche Überlegungen für ihn eine größere Rolle spielten als nationale. Ich glaube, das sollten sich einige Herren, die meinen, diese Politik kritisieren zu müssen, ins Stammbuch schreiben. Ähnliches hat man auch von Ludwig Erhard anläßlich seiner Reise und seines Aufenthaltes in den USA gehört. Lassen Sie mich aber auch an die Regierungserklärung vom 12. April 1967 betreffend die Erleichterung der Lebensverhältnisse erinnern. In dieser Regierungserklärung wird zum Ausdruck gebracht, wie sich damals die Regierung der Großen Koalition unter dem Kollegen Kiesinger die Politik vorstellt. Dort wird von verbesserten Reisemöglichkeiten, vor allem für Verwandte, mit dem Ziel der Entwicklung eines normalen Reiseverkehrs gesprochen, von einer Passierscheinregelung in Berlin und zwischen den Nachbargebieten beider Teile Deutschlands, von einer Erleichterung des Zahlungsverkehrs durch innerdeutsche Verrechnung und beiderseitige Bereitstellung von Reisezahlungsmitteln, von der Erleichterung des Empfangs von Medikamenten und Geschenksendungen und von der Ermöglichung der Familienzusammenführung, insbesondere der Kinderrückführung. Das war im Jahre 1967.
    Dies alles, meine Damen und Herren, was ich eben bewußt zitiert habe, war von jeher die Meinung der SPD in der Deutschlandpolitik und ist insbesondere seit 1969 zur Basis für die Deutschlandpolitik der sozialliberalen Bundesregierung und der sie .tragenden Parteien SPD und FDP geworden. Humanität und Menschlichkeit sind für Sozialdemokraten noch nie leere Lippenbekenntnisse gewesen; sie sind echte Postulate unserer Politik — und das seit mehr als 110 Jahren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ja, das wollen Sie wahrscheinlich nicht hören. Diese Begriffe sind für Sie fremd. Sie sind auch bestimmend für unsere Deutschlandpolitik, insbesondere wenn es darum geht, das Schicksal und die Lebensverhältnisse der im anderen Teil Deutschlands lebenden Menschen zu erleichtern.
    Meine Damen und Herren, es geht letzten Endes darum, die Lebenslage derjenigen zu erleichtern, die als Folge einer inhumanen und unmenschlichen Politik des deutschen Faschismus nicht nur vom übrigen deutschen Volk getrennt, sondern dadurch auch ausgesperrt von dem freiheitlich-demokratischen Teil Deutschlands, unter einem kommunistischen Zwangssystem leben müssen. Für diese Deutschen und für unsere 2,1 Millionen Westberliner betreiben wir diese Deutschlandpolitik der menschlichen Erleichterungen.
    Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß wir gerade mit dieser Politik einen wertvollen Beitrag zur Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftssysteme und zur Bewahrung des Friedens in Europa leisten. Die Opposition dieses Hauses sieht seit 1969, seitdem ihr durch die aktive Deutschlandpolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt ihr Versagen auf diesem Gebiet täglich demonstriert wird, ihre Aufgabe darin, alles, was an positiver Entwicklung geschehen ist, madig zu machen und herunterzureißen.
    Was hat unser Volk von den ehemaligen Kanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger gehört? — Schöne Deklarationen und Regierungserklärungen zu dieser Frage, die teilweise die Unterstützung des ganzen Hauses gefunden haben. Im übrigen aber — in der praktischen Politik für menschliche Erleichterungen, für die Verstärkung der mitmenschlichen Beziehungen zwischen den in der Bundesrepublik, insbesondere im Zonengrenzraum, und den in der DDR lebenden Deutschen — haben die CDU und die CSU als in der Regierungsverantwortung stehende Parteien von 1949 bis 1969 sehr wenig getan. Das ist noch milde ausgedrückt. Das wird auch nicht dadurch abgeschwächt, daß in der Deutschlandpolitik und in unserer Politik der mitmenschlichen Erleichterungen von einem Teil Ihrer Fraktion eine andere Haltung eingenommen wurde. Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal an das erinnern, was ich eben aus der Regierungserklärung von 1967 zitiert habe. Ich muß Sie deshalb, auch wenn es teilweise heute schon einige Male angeklungen ist, mit den nüchternen Zahlen strapazieren, was seit 1969 bis zum heutigen Tag geschehen ist.
    Im Telefonverkehr gab es beispielsweise zwischen dem Bundesgebiet und der DDR bis 1970 nur 34 handvermittelte Leitungen. Im April 1975 waren es 278, zum Teil vollautomatisch; zwischen Berlin (West), der DDR und Berlin (Ost) bis 1970 keine, April 1975 411, überwiegend vollautomatisch. Nun können Sie sagen: Was soll das? Aber welche



    Barche
    Bedeutung das Telefonieren für den mitmenschlichen Bereich hat, erleben wir ja in diesen Tagen

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Beim Streit um den Zeittakt!)

    — bei den Diskussionen in unserem Lande über den Zeittakt, Herr Dr. Marx!

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Aber Herr Barche, wir haben die früheren Telefonleitungen ja nicht von unserer Seite abgeschnitten! Das müssen wir auch festhalten!)

    Aus der Bundesrepublik gab es an Personenverkehr in die DDR 1967 1 423 738; 1975 waren es 3 132 491.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Was hat das Ministerium wieder fleißig gearbeitet, um den Abgeordneten mit Material zu versorgen!)

    — Herr Dr. Marx! Die Materialien haben auch Ihre Kollegen aus dem Innerdeutschen Ausschuß, nur werden sie geflissentlich nicht auf den Tisch gelegt. Im Personenverkehr nach Berlin (West) waren es 1967 3 997 386; 1975 mehr als eine Verdoppelung auf 7 196 798! Reisen von West-Berlin nach Ost-Berlin und in die DDR: An Gesamtreisen nicht nur von West- nach Ost-Berlin, sondern auch in die DDR: 1967 keine, von Ostern 1972 bis zum 15. Dezember 1975 10 007 374. Sie können sich Ihre eigenen Gedanken darüber machen. Die Rentnerbesuche aus der DDR in die Bundesrepublik waren allerdings schon seit 1964 möglich. Sie sind von 1967 mit 1 072 000 auf 1 330 000 im Jahre 1975 gestiegen. Reisen von DDR-Bewohnern in die Bundesrepublik, die noch nicht im Rentenalter sind: 1967 keine, 1975 40 442.
    Meine Damen und Herren! Wer wie ich als Zonengrenzwahlkreisabgeordneter unmittelbar seit Jahren und täglich mit den Sorgen der Menschen an der Grenze konfrontiert wird, weiß, was es bedeutet, wenn nach Abschluß des Grundlagenvertrages im grenznahen Verkehr allein 1975 463 190 Bürger aus der Bundesrepublik diese Möglichkeit benutzen konnten, um unmittelbaren Kontakt mit ihren Verwandten im geteilten Deutschland aufnehmen zu können, oder aber auch aus touristischen Gründen in die DDR gereist sind und bei dieser Gelegenheit dazu beigetragen haben, daß die bedrohliche Entwicklung des Auseinanderlebens während des kalten Krieges beendet wurde.
    Nach dem Inkrafttreten des Verkehrsvertrages hat sich der Reiseverkehr von der Bundesrepublik in die DDR weit mehr als verdoppelt. 1969 waren es 1 107 077 Reisen, 1975 3 123 491. Seit Inkrafttreten des Transitabkommens, also seit 43 Monaten, haben insgesamt etwa 48,9 Millionen Westdeutsche und Westberliner die Transitwege benutzt.
    Auf dem Gebiet der Familienzusammenführung — sicher ein Problem, das uns alle am Herzen liegt — konnten auf Grund des Art. 7 des Grundlagenvertrages im ersten Halbjahr 1975 2 500 Erwachsene unterhalb des Rentenalters und 400 Kinder mit ihren Familienangehörigen in der Bundesrepublik bzw. Berlin (West) zusammengeführt werden; von 1964 bis 1969 waren es lediglich 1 904 Personen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    — Ich verstehe Sie nicht, Herr Dr. Marx; Sie müssen lauter reden.
    Seit 1970 konnten 11 500 Personen auf dem Wege der Familienzusammenführung aus der DDR in die Bundesrepublik ausreisen. Ebenfalls seit 1970 konnte für 5 829 politische Häftlinge die Entlassung aus Gefängnissen in der DDR erreicht werden; zu dem menschlichen Problem dieser letzten Zahl hat heute morgen mein Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner die notwendigen Ausführungen gemacht.
    Zu den menschlichen Erleichterungen gehört auch — weil auch Maßnahmen der Infrastruktur damit verbunden sind — die Arbeit der Grenzkommission. Wesentliche Verbesserungen im Gesundheitswesen sind erreicht worden, aber auch eine nicht unwesentliche Verbesserung des Versands und der Mitnahme von Geschenken in die DDR.

    (Vors i t z : Vizepräsident Frau Funcke)

    Meine Damen und Herren, es ist nicht möglich, im Rahmen dieser Debatte noch auf die weiteren Verbesserungen einzugehen, die erreicht worden sind. Aber wie sieht dies alles aus der Sicht eines deutschlandpolitischen Experten der Opposition aus? Der Saarländische Rundfunk hatte mit Herrn Professor Abelein ein Interview und stellte ihm folgende Frage:
    Herr Professor Abelein, Sie können doch nicht in Abrede stellen, daß diese Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung es zumindest dahin gebracht hat, daß die Begegnungen zwischen Deutschen in beiden Teilen Deutschlands größer geworden sind, daß der Reiseverkehr zunimmt, daß die Menschen sich näherkommen?
    Darauf antwortete Herr Abelein:
    Ich habe immer anerkannt, daß diese Deutschlandpolitik nicht nur Nachteile gebracht hat. Es gibt eine Reihe von Punkten, die die Opposition und selbst ein so harter Kritiker der Bundesregierung, wie ich es bin, anerkannt hat. Die Zahlen auf den Transitwegen sind gestiegen, die Zahlen des Besucherverkehrs von West nach Ost sind gestiegen.
    Aber dann, meine Damen und Herren, kommt wieder der Pferdefuß, kommen wieder die übliche Negation und das Herunterreißen all dessen, was geschehen ist. Und Herr Professor Abelein erhebt den Vorwurf — nicht mit diesen Worten, in denen ich es sage, aber sinngemäß —, daß die Bundesregierung in der Deutschlandpolitik noch nicht die Sterne vom Himmel geholt hat

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Daß sie noch nicht einmal den Dreck herausgekriegt hat aus den Gräben, wo Wehner doch gesagt hat, er wolle ihn mit den Händen herauskratzen!)

    und daß die in der Zeit des kalten Krieges erstellte
    unmenschliche Grenze noch nicht beseitigt ist. —



    Barche
    Herr Dr. Marx, wenn Sie einmal an die Regierung kommen, wünsche ich Ihnen, daß Sie uns dann demonstrieren, wie Sie alles das, was wir heute noch nicht erreicht haben, erreichen werden.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Herr Barche, wir werden den Mund nicht so voll nehmen!)

    Dazu wünsche ich Ihnen viel Glück! Und ich glaube, Herr Dr. Marx, Sie unterschätzen das System auf der anderen Seite.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Keineswegs!)

    — Das tun Sie auf jeden Fall; sonst würden Sie wahrscheinlich den Leistungen der sozial-liberalen Koalition auf diesem Gebiet der Deutschlandpolitik und auf diesem Gebiet der menschlichen Erleichterungen eine höhere Anerkennung zuteil werden lassen, als Sie es seit Jahren und auch heute tun.
    Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben bisher noch nicht bewiesen, daß Sie die uns alle bedrückenden Probleme der Deutschlandpolitik mit mehr Menschlichkeit und besserem politischen Sachverstand lösen können, als es die sozial-liberale Koalition seit 1969 mit Erfolg versucht und getan hat. Wir Sozialdemokraten und die von uns geführte Regierung erbringen keine Vorleistungen für ein Gesellschaftssystem, das nicht das unsere sein kann. Wer uns das unterstellt, dem muß man bewußte Demagogie vorwerfen. Wir machen eine Politik für die Menschen, die mit uns das Schicksal des geteilten Deutschlands teilen müssen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gradl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johann Baptist Gradl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsident! Meine verehrten Kollegen! Das Urteil über den Verlauf der heutigen Debatte wird draußen wie hier im Hause sicher sehr unterschiedlich sein. Aber eines wage ich in der Annahme, daß mir die meisten zumindest hier zustimmen werden, doch zu sagen: So, wie die Debatte gelaufen ist, entspricht sie nicht dem, was sich die Erfinder der Idee von einem Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland darunter gedacht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ist wohl wahr!)

    Es steht mir nicht zu, hier Schuldanteile oder Zensuren zu verteilen; diese Absicht habe ich auch nicht. Das Unglück fing schon mit dem Bericht des Bundeskanzlers an; denn in diesem Bericht des Bundeskanzlers waren alle politischen Probleme, welche die Bundesrepublik und uns hier ständig bewegen, eingefügt. Das, was eigentlich der Gegenstand sein sollte, nämlich die Wirklichkeit der deutschen Teilung, die Chancen und Hindernisse ihrer Überwindung, die Wirkung auf die Menschen — alles das trat dadurch dann natürlich auch in der Debatte in den Hintergrund. Ich kann Ihnen nur sagen: In diesem Falle stimme ich dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt völlig zu. Er hat nämlich am 14. Januar 1970, als er den ersten Bericht zur Lage der Nation als Kanzler erstattete, gesagt: „Dieser
    Bericht muß sich vorrangig mit dem Problem der Teilung beschäftigen". Dies ist es, was uns heute in der Hauptsache hätte beschäftigen müssen. Vielleicht hätten wir dann auch alle gar nicht so viel zu sagen gewußt; das ist möglich, denn das Thema ist ja, so, wie die Fronten hart sind, nicht gerade sehr entfaltungsfähig.
    Nun gut, es ist alles ganz anders gelaufen. Wir sollten uns aber gemeinsam für die nächste Debatte über den Bericht zur Lage der Nation vornehmen, daß wir es besser machen.
    Dieser Vorbemerkung möchte ich eine zweite anfügen. Der Bundeskanzler hat heute einleitend in seinem Bericht bis 1966 zurückgeblickt. Ich habe mich ein bißchen gewundert, daß in diesem Bericht heute nicht viel weiter zurückgeblickt wurde, nämlich um 30 Jahre. Ich verstehe, daß die Bundesregierung aus taktisch-diplomatischen Überlegungen heraus vielleicht eine Hemmung hat, dies alles sehr deutlich auszusprechen. Ein Hinweis aber hätte gegeben werden können; denn es ist tatsächlich so, daß fast auf den Monat genau vor 30 Jahren das eigentliche Elend der deutschen Spaltung angefangen hat.
    Auf den Monat genau ist vor 30 Jahren im sowjetischen Besatzungsbereich durch den Eingriff der Besatzungsmacht die demokratische Freiheit der gerade erst entstehenden deutschen demokratischen Parteien zutiefst erschüttert worden. Ich erinnere daran — es war im Dezember 1945 —, als zum erstenmal die Vorsitzenden einer der drei Parteien, nämlich der CDU, durch die sowjetische Besatzungsmacht abgesetzt wurden — Hermes und Schreiber, zwei Jahre später Kaiser und Lemmer —; die Partei wurde dann gleichgeschaltet. Ich erinnere mich daran — das ist auch genau 30 Jahre her —, daß die Sozialdemokratische Partei im sowjetischen Besatzungsbereich unter massivem Druck stand und der List, Tücke und Gewalt ausgeliefert war, mit der die Zwangsfusion mit den Kommunisten betrieben wurde. Dies soll man sich doch — zumal, wenn es sich so jährt — mit dem Blick auf die geteilte Nation gelegentlich in Erinnerung rufen; nicht nur, aber auch deshalb, weil wir alle in diesem Hause — CDU, SPD und die frühere LDP bzw. jetzige FDP — Grund haben, auch an die zu denken, die damals für die deutsche Demokratie und Selbstbestimmung eingestanden haben unter Aufopferung ihrer Freiheit und nicht selten ihres Lebens. Das verdient unser aller Gedenken, unsere Achtung und unseren Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

    Ich habe noch einen anderen Grund, weshalb ich darauf hinweise. Ich erinnere daran, weil immer neue Jahrgänge in die Verantwortung für die deutsche Zukunft hineinwachsen. Diese können keine unmittelbare Erfahrung von dem haben, was damals geschehen ist und zur deutschen Spaltung geführt hat. Ich wiederhole: Damals fing die deutsche Spaltung an, nicht bei späteren wirklichen oder vermeintlichen Versäumnissen. Was damals geschehen ist, müssen wir immer aufs neue den Heranwachsenden und Nachwachsenden, die Verantwortung für



    Dr. Gradl
    unser Volk und Land übernehmen, gegenwärtig und bewußt machen, damit sie wissen, daß die deutsche Aufgabe, die Überwindung der Teilung nicht eine gestorbene Sache ist, hinter dem geschichtlichen Horizont untergegangen, sondern daß dies eine bleibende menschliche und nationale Pflicht ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber nun zur Sache, zu dem, was mich beim Überlegen meines Beitrages zum Bericht zur Lage der Nation bewegt hat. Es ist die harte Wirklichkeit, in der die Menschen im anderen Teil Deutschlands leben müssen. Der Bericht, der heute erstattet worden ist, gibt dazu keinen eigentlichen Einblick. Ich will darüber nicht rechten. Regierung ist Regierung, und sie ist in besonderer Situation. Aber einiges hätte doch gesagt werden können. Der Herr Bundeskanzler hat hingewiesen auf die materielle Situation, wie sie sich in der DDR entwickelt hat. Natürlich ist das wichtig. Es ist wichtig für das Leben der Menschen dort. Aber wichtiger, meine ich, ist die bedrückende Atmosphäre, in der die Menschen drüben zu leben gezwungen sind. Darüber, wie gesagt, findet sich in dem Bericht nichts und damit fehlt Wesentliches.
    Ich will dies etwas verdeutlichen, weil ich meine: Wenn wir es hier nicht aussprechen — die Menschen drüben können es nicht —, wer sonst soll es denn aussprechen? Und vielleicht kann man es aussprechen, ohne in den Verdacht zu kommen, man sei ein Prediger des kalten Krieges.
    Bei einer Versammlung, die ich im vergangenen Herbst abhielt, trat am Schluß ein junges Paar auf mich zu; es war aus der DDR gekommen. Der Mann war Ingenieur. Beide sagten mir einiges, und daraufhin habe ich sie gebeten, mir ihre Eindrücke und das, was sie in ihrer Erinnerung mitgebracht haben, aufzuschreiben. In dieser Darstellung war eine der zentralen Feststellungen diese: Die DDR-Bürger werden mit höchster Intensität politisch und ideologisch bearbeitet, kontrolliert und überwacht. Die Erwerbstätigen werden durch eine geschickte Kaderpolitik in den Betrieben und Institutionen in völlige Abhängigkeit gebracht. Und dann heißt es in der Darstellung wörtlich — ich bitte, das verlesen zu dürfen, Frau Präsident —:
    Die personelle Besetzung und Tätigkeit der sogenannten Kaderabteilungen in Betrieben und sonstigen Einrichtungen der DDR, in denen Menschen arbeiten, lernen oder studieren, hat auffallende Veränderungen erfahren. Die Kaderleitstellen werden über die Kreisleitungen der SED immer häufiger mit betriebsfremden, zwar fachlich meist nicht qualifizierten, aber politisch unbedingt zuverlässigen Genossen besetzt. Diese Genossen kommen jetzt vielfach aus der Nationalen Volksarmee, die ihr Offizierskorps verjüngt und vornehmlich solche Offiziere entläßt, die sich aus Altersgründen nicht mehr für eine weiterführende oder höhere Ausbildung eignen. Die immer stärker gesellschaftspolitisch orientierten Kaderakten, für deren ordnungsgemäße Führung der Kaderleiter verantwortlich ist, werden jährlich mit einer Beurteilung über jeden Kollegen eines Betriebes vervollständigt.
    So weit das wörtliche Zitat! Nun muß man dabei bedenken, daß die Aussagen der Kaderakten ungemein wichtig sind, nicht zuletzt deshalb, weil ja viele Dinge nur noch mit Zustimmung des Betriebes möglich sind, ob es um die Aufnahme eines Studiums geht oder um die schnellere Beschaffung einer Wohnung oder um die beschleunigte Beschaffung eines Telefonanschlusses oder um die Verschickung zur Kur, oder was es auch immer sein mag. Immer spielen diese Kaderakten eine wesentliche Rolle.
    Dies, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist der eine Einwirkungskomplex, unter dem die Menschen drüben leben. Aber neben der systematischen Einflußnahme der Organe am Arbeitsplatz, an der Arbeitsstelle im weitesten Sinne, steht das allgemeine Beobachtungsnetz, das alle Bürger zu kontrollieren vermag; neben dem SSD stehen die Hauswarte, die Hausbuchführer, die Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei, die Vorsitzenden der Hausgemeinschaftsleitung, der Wohnparteiorganisationen und so weiter.
    „Natürlich" — so heißt es dann in dieser Darstellung hierzu — „kann nicht jeder Bürger unentwegt überwacht werden." Das wissen die Menschen drüben auch. „Aber" — so heißt es dann weiter —„schon die Existenz dieses Beobachtungsnetzes, das Wissen darum bewirkt Druck, Unfreiheit und zwingt zumindest zu scheinbarem Wohlverhalten."
    Dies, meine ich, muß man sich vergegenwärtigen, und nicht nur sich selber, denn dies ist harte Wirklichkeit. Jedem, der dies beiseite schieben will, muß ich folgendes sagen: Jeder von uns, der dies auf sich wirken läßt, muß sich doch fragen, ob er selbst unter einem solchen System leben will.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sicher nicht, aber daraus ergeben sich doch dann auch Pflichten für uns.
    Ein Anderer, der jüngst aus der DDR kam, hat mir das Verhältnis des DDR-Staates zu seinen Bürgern auf andere Weise deutlich gemacht. Er hat nämlich nichts weiter getan, als alle die Parolen, denen die Menschen drüben ständig ausgeliefert sind, zusammenzustellen. Dadurch entsteht dann das Bild, das sich die DDR-Führung von ihrem Idealbürger macht. Dieses Bild sieht für sie etwa so aus:
    Er baut mit hohem sozialistischem Bewußtsein die sozialistische Gesellschaft auf;
    er stellt jederzeit seine persönlichen Interessen und Wünsche zurück;
    er sieht in der SED die alleinige Führungskraft des werktätigen Volkes;
    er wertet die Dokumente der SED-Parteitage und der SED-Führungsgremien gründlich — und natürlich richtig — aus;
    er erzieht seine Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten;



    Dr. Gradl
    er tritt täglich dem Klassenfeind klassenbewußt entgegen;
    er spornt ständig zu neuen Taten in der Produktion an;
    er grenzt sich zur Bundesrepublik hin ab, und er glüht in heißer Liebe zur Sowjetunion.
    Dies sind in etwa die Ansprüche, die gestellt werden. Man könnte diesen Katalog noch sehr verlängern, meine verehrten Kollegen; er ist, ich wiederhole es, nicht von mir zusammengestellt — ich möchte mich nicht mit fremden Federn schmücken, sofern dies überhaupt Federn sind —, sondern von Menschen, die noch bis in das vergangene Jahr hinein drüben gelebt haben. Wenn man diesen Katalog auf sich wirken läßt, dann wirkt er in einer tragischen Weise komisch. Aber lachen kann darüber ja wohl niemand von uns; lachen könnten doch höchstens die Betroffenen, denn Lachen kann ja auch Ausdruck höchster Verzweiflung sein.
    Es ist nicht so, daß es drüben nichts gibt, über das wir positiv nachdenken müßten. Es gibt drüben zum Beispiel nicht eine solche schamlose Verwilderung der Moral in Dingen der Sexualität und der Abartigkeit, wie sie sich bei uns in aller Offentlichkeit vollzieht. Wenn Sie einmal Menschen hören, die von drüben herüberkommen, dann können Sie oft feststellen, daß sie über das, was sich bei uns in dieser Hinsicht tut, zutiefst erschüttert sind.
    Ich bin nun nicht so naiv zu meinen, daß man beides gegeneinander aufrechnen könnte; keineswegs! Aber auch in diesem Bereich, meine verehrten Kollegen, muß der innerdeutsche Wettbewerb um die Zustimmung der Nation gewonnen werden. Aber dies nur nebenbei!
    Eine so harte kritische Darstellung der DDR-Wirklichkeit, wie ich sie eben gegeben habe, wird gern als kalter Krieg abgewertet. Ich wiederhole jedoch: Jeder der genannten Ansprüche wird tagtäglich über die Funktionäre und Medien unmittelbar und mittelbar an die Bevölkerung gestellt, und die Überwachungsapparatur ist offen erkennbar. Im übrigen aber nimmt es die andere Seite unter der zwielichtigen Parole friedlicher Koexistenz als ganz selbstverständlich für sich in Anspruch — hier bei uns und in ihrem eigenen Bereich —, den ideologischen, systempolitischen und klassenbestimmten Kampf gegen die Bundesrepublik zu führen. Sie kann das bei uns sogar mit ihr nahestehenden Organisationen und Hilfstruppen tun. Insofern brauchen wir uns nach meiner Meinung also nicht zu scheuen und dürfen uns auch nicht scheuen, bei einer Beurteilung der deutschen Gesamtsituation über die harte DDR-Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt „Lage der Nation" deutlich zu sprechen. Wenn man es zusammenfassen will, muß man sagen: Die Situation der Menschen drüben ist gegenüber dem Staats- und Parteiapparat exakt — im krassen Sinne — die Situation von Untertanen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU] : Ausgeliefert! — Dr. Jaeger [CDU/CSU] : Hört! Hört! — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Leider, leider wahr!)

    Frau Präsident, man hat mir gesagt, ich hätte eine halbe Stunde Redezeit. Aber ich sehe, hier leuchten schon Lampen.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU] : Es sind erst 15 Minuten vergangen!)