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ID0721800700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 218. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1976 Inhalt: Nachruf auf den früheren Abg. und Vizepräsidenten Schoettle . . . . . . . 15081 A Erklärung der Bundesregierung Schmidt, Bundeskanzler 15081 D Beratung des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Materialien zum Bericht zur Lage der Nation 1974 — Drucksachen 7/2423, 7/4158 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung — Drucksache 7/4616 — in Verbindung mit Beratung der Empfehlungen und Entschließungen der Nordatlantischen Versammlung bei ihrer 21. Jahrestagung vom 21. bis 26. September 1975 in Kopenhagen — Drucksache 7/4241 — Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU . . . 15094 A Wehner SPD 15103 D Hoppe FDP 15109 B Genscher, Bundesminister AA . . . . 15129 B Dr. Marx CDU/CSU 15135 C, 15213 C Mattick SPD 15145 C Dr. Bangemann FDP 15151 A Dr. Abelein CDU/CSU . . . . . . . 15157 B Höhmann SPD . . . . . . . . . . 15163 A Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . . . 15168 A Franke, Bundesminister BMB . . . . 15171 C Baron von Wrangel CDU/CSU . . . . 15178 D Mischnick FDP . . . . . . . . . . 15181 B Barche SPD .. . . . 15186 C Dr. Gradl CDU/CSU 15189 B Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . . . 15192 D Wohlrabe CDU/CSU . . . . . . . . 15195 C Grimming SPD . . . . . . . . . . 15199 A Kunz (Berlin) CDU/CSU . . . . . . 15202 C Böhm (Melsungen) CDU/CSU 15205 D Jäger (Wangen) CDU/CSU 15208 D Dr. Arndt (Hamburg) SPD . . . . . . 15211 C lI Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1976 Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kreutzmann, Barche, Büchler (Hof), Zebisch, Niegel, Böhm (Melsungen), Hösl, Dr. Warnke, Wolfgramm (Göttingen) und Genossen betr. Förderung des Zonenrandgebietes — Drucksachen 7/4117, 7/4422 —in Verbindung mit Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über den erweiterten Verkehrswegeplan für das Zonenrandgebiet hier: Bericht des Bundesministers für Verkehr 1974 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes — Drucksachen 7/2992, 7/4471 — 15215 A Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament betr. allgemeine unmittelbare Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments Drucksachen 7/3366, 7/3768 — Dr. Kempfler CDU/CSU . . . . . . . 15215 C Fragestunde — Drucksache 7/4632 vom 23. 1. 1976 — Verhalten des Staatsministers Moersch in der Fragestunde des Deutschen Bundestages MdlAnfr A93 23.01.76 Drs 07/4632 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw PStSekr Frau Schlei BKA 15115 D, 15116A, B, C, D, 15117 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 15116 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 15116 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 15116 C ZusFr Freiherr von Fircks CDU/CSU . . 15116 C ZusFr Niegel CDU/CSU 15116 D ZusFr Seiters CDU/CSU 15117 A Lieferung von Schützenpanzern durch die Firma Rheinstahl über ihre belgische Zweigniederlassung an Saudi-Arabien sowie Genehmigung der Ausfuhr MdlAnfr A96 23.01.76 Drs 07/4632 Hansen SPD MdlAnfr A97 23.01.76 Drs 07/4632 Hansen SPD Antw StMin Moersch AA . . . . 15117 B, C, D, 15118A, B, C, D, 15119 B ZusFr Hansen SPD . . . . 15117 C, D, 15118 B ZusFr Ey CDU/CSU . . . . . . . . . 15118 B ZusFr Haase (Kassel) CDU/CSU . . . 15118 C, D ZusFr Dr. Kliesing CDU/CSU 15119 A Einstellung der Bundesregierung zu den Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz MdlAnfr A99 23.01.76 Drs 07/4632 Dr. Hupka CDU/CSU MdlAnfr A100 23.01.76 Drs 07/4632 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Moersch AA . . . . 15119 B, C, D, 15120 A, B, C, D, 15121 C, D, 15122 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . 15119 C, D, 15120 D, 15121 B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 15119 D, 15122 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU . . 15120 A, 15121 D ZusFr Freiherr von Fircks CDU/CSU . . . 15120 B Höhe der aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" und den Konjunkturprogrammen nach Ostfriesland seit 1970 vergebenen Mittel MdlAnfr A46 23.01.76 Drs 07/4632 Tietjen SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . 15122 C, 15123 B ZusFr Tietjen SPD . . . . . . . . 15123 A, B Umfang der Exporte von wirtschaftlichen Gütern in osteuropäische Länder seit 1970 MdlAnfr A47 23.01.76 Drs 07/4632 Tietjen SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . 15123 C, 15124 A, B ZusFr Tietjen SPD . . . . . . . . . 15123 D ZusFr Ey CDU/CSU . . . . . . . . . 15124 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 15124 A ZusFr Stahl (Kempen) SPD 15124 B Zweckmäßigkeit nur eines Werkstattyps für Behinderte sowie Untersuchung des Zusammenbringens von geistig Behinderten und geistig nicht Behinderten MdlAnfr A51 23.01.76 Drs 07/4632 Burger CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA . 15124 C, 15125 A ZusFr Burger CDU/CSU . . . . 15124 D, 15125 A Wegfall von Waisenrente, Krankenversicherung und Kindergeld für Abiturienten ohne Studien- oder Ausbildungsplatz MdlAnfr A55 23.01.76 Drs 07/4632 Rollmann CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA 15125 B, D, 15126 A ZusFr Rollmann CDU/CSU . . . . . . 15125 D Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1976 III Einsetzung für die Anerkennung der witterungsbedingten Arbeitsausfälle an den als deutsches Hoheitsgebiet geltenden Baustellen der Staustufe Iffezheim auf französischem Boden MdlAnfr A56 23.01.76 Drs 07/4632 Dr. Hauser (Sasbach) CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA . . . . . 15126 A Anerkennung von nicht über die vorgeschriebene Mindestzahl von Plätzen verfügende Werkstätten für Behinderte, damit die hier tätigen Behinderten in den Genuß des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter kommen MdlAnfr A57 23.01.76 Drs 07/4632 Geisenhofer CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA . 15126 C, 15127 A ZusFr Geisenhofer CDU/CSU . . . . . . 15127 A Darstellung der Zwangskollektivierung der Bauern in der DDR im Kalender „Blick in die DDR" MdlAnfr A69 23.01.76 Drs 07/4632 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Herold BMB 15127 B, D, 15128 A, B, C ZusFr Eigen CDU/CSU . . . . . . . . 15127 D ZusFr Frau Berger (Berlin) CDU/CSU . . 15128 A ZusFr Stahl (Kempen) SPD 15128 B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 15128 B ZusFr Dr. Marx CDU/CSU . . . . . . 15128 C Verweigerung der Aufnahme illegal Polen verlassender Deutscher in der DDR MdlAnfr A83 23.01.76 Drs 07/4632 Freiherr von Fircks CDU/CSU MdlAnfr A84 23.01.76 Drs 07/4632 Freiherr von Fircks CDU/CSU Antw PStSekr Herold BMB . 15128 D, 15129 A, B ZusFr Freiherr von Fircks CDU/CSU . . . 15129 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 15216 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 15217* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1976 15081 218. Sitzung Bonn, den 29. Januar 1976 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 216. Sitzung, Seite 14998 D, Zeile 9 von unten ist zu lesen: „Das nehmen Sie . . ."; Seite 14999 D, Zeile 9 von unten ist statt „abzulenken" zu lesen: „abzulehnen" ; Seite 15000 B, Zeile 12 ist statt „zukunftweisend" zu lesen: „zukunftsweisend" ; Seite 15001 B, Zeile 17 ist statt „Teufelskeis" zu lesen: "Teufelskreis". Anlage Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Adams * 30. 1. Ahlers 30. 1. Dr. Achenbach * 30. 1. Dr. Ahrens ** 30. 1. Dr. Aigner * 30. 1. Alber ** 30. 1. Dr. Artzinger * 30. 1. Amrehn ** 30. 1. Dr. Bayerl * 29. 1. Behrendt * 30. 1. Blumenfeld * 29. 1. Frau von Bothmer ** 30. 1. Brandt 30. 1. Breidbach 30. 1. Büchner (Speyer) ** 30. 1. Christ 29. 1. Dr. Dollinger 13. 2. Dr. Enders ** 30. 1. Entrup 13. 2. Prof. Dr. Erhard 30. 1. Fellermaier * 30. 1. Dr. Früh 30. 1. Flämig * 30. 1. Gerlach (Emsland) * 30. 1. Dr. Geßner ** 30. 1. Dr. Gölter ** 30. 1. Haase (Fürth) ** 30. 1. Dr. Holtz ** 30. 1. Hussing 30. 1. Dr. Jahn (Braunschweig) * 30. 1. Kater 30. 1. Dr. Kempfler " 30. 1. Dr. Klepsch ** 30. 1. Dr. Kreile 30. 1. Kroll-Schlüter 30. 1. Lagershausen ** 3,0. 1. Lange * 30. 1. Lautenschlager * 30. 1. Lemmrich ** 30. 1. Lenzer ** 30. 1. Liedtke 30. 1. Lücker * 30. 1. Marquardt ** 30. 1. Mattick ** 30. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Memmel * 30. 1. Dr. Mende ** 30. 1. Dr. Müller (München) ** 30. 1. Mursch * 30. 1. Frau Dr. Orth 30. 1. Pawelczyk ** 30. 1. Pieroth 30. 1. Richter ** 30. 1. Dr. Schäuble ** 30. 1. Prof. Dr. Schellenberg 30. 1. Schmidt (Kempten) ** 30. 1. Schmidt (München) * 30. 1. Schonhofen 21.2. Dr. Schröder (Düsseldorf) 30. 1. Dr. Schwencke ** 30. 1. Dr. Schwörer * 30. 1. Dr. Schulz (Berlin) * 30. 1. Seibert 30. 1. Sieglerschmidt '* 30. 1. Springorum * 30. 1. Dr. Starke (Franken) * 30. 1. Stücklen 30. 1. Strauß 30. 1. Suck * 30. 1. Tönjes 30. 1. Dr. Vohrer ** 30. 1. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 21. 2. Walkhoff * 30. 1. Walther ** 30. 1. Frau Dr. Walz * 30. 1. Weber (Heidelberg) 30. 1. Wende ** 30. 1. Dr. Wörner 30. 1. Frau Dr. Wolf ** 30. 1. Wolf 30.1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Die schriftlichen Antworten auf die in der Fragestunde nicht mündlich beantworteten Fragen werden als Anlagen zu den Stenographischen Berichten über die 219. bzw. die 220. Sitzung abgedruckt.
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    Rede von Herbert Wehner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Versuch einer Antwort des Oppositionsführers auf die Regierungserklärung unseres Bundeskanzlers zur Lage der Nation hat das Thema verfehlt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei
    Deutschlands im Deutschen Bundestag dankt dem



    Wehner
    Bundeskanzler für seine Darlegung der tatsächlichen Lage der Nation.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies war ein Bericht über die Lage der Nation im Gesamtzusammenhang der Politik. Herrn Carstens Versuch, die Feststellungen des Bundeskanzlers in ein schiefes Licht zu bringen, war untauglich. Das zeigt seine mißglückte Improvisation in der Sache soziale Sicherheit. Alles andere war ja vorfabriziert. Ehrlich gestanden — Herr Carstens möge mir das entschuldigen —:
    Sie haben mir heute leid getan.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Berufung darauf, das Netz der sozialen Sicherheit sei durch die Union geschaffen worden: Herr Carstens, was soll denn das?

    (Dr. Jenninger CDU/CSU: Das stimmt auch!)

    — Herr Jenninger, auch Sie können doch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers nachlesen, falls Sie sie nicht ganz mitbekommen haben. Sie werden dann sehen, daß dies wirklich umfassend dargestellt worden ist. Da stoßen Sie z. B. auf ein solches „Phänomen", hätte ich beinahe gesagt, wie den Lastenausgleich, den wir damals alle zusammen gemacht haben.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Sie haben ihn abgelehnt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Heute morgen haben Sie eines verstorbenen verdienten langjährigen Kollegen gedacht. Ich könnte
    Ihnen einige nennen, die noch nicht verstorben sind,

    (Zuruf des Abg. Dr. Jenninger [CDU/CSU])

    denen Sie, wenn sie dann gestorben sein werden, auch zugestehen werden, daß Sie sich verdient gemacht haben. Dann werden Sie feststellen, worin die Positionen der Sozialdemokraten beim Zustandebringen solcher notwendigerweise umstrittenen Stücke dessen, was man heute zusammenfassend das soziale Netz nennt, bestanden hat. Erfahrene Parlamentarier wissen ganz genau, daß da Opposition und jeweilige Regierungsseite, wenn sie ihre wechselseitigen Rollen richtig verstehen und auch aufnehmen, durchaus Verdienst an dem haben, was am Ende dabei herauskommt. Das ist eben das Manko an der jetzigen Opposition, daß sie sich dieser Möglichkeiten nicht zu bedienen versteht.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich hatte gesagt, Herr Carstens hat mir heute leid getan. Ich bitte ihn für diese Feststellung um Entschuldigung. Natürlich kann man heute das, was das Netz der sozialen Absicherung bedeutet, nicht mehr bestreiten. Es ist ja in einer Bewährungsprobe. Es lockt mich, z. B. einiges aus Debatten der vorigen Woche herauszugreifen, um das deutlich zu machen. Ich unterdrücke das aber. In einer Situation, in der sich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse wieder ändern, sind Sie natürlich in einer schwierigen Lage. Nein, nein, dieses Netz ist nur aus dem erklärbar, was der Bundeskanzler auch im Rückblick auf das Ringen in der Bundesrepublik Deutschland um soziale Sicherung und Sicherheit dargestellt hat. Es ist gar nicht notwendig, daß Sie das als Ihr Patent ausgeben wollen oder müssen. Alle haben daran ihren Anteil, nur lassen wir der Regierung, die seit 1969 in einigen Folgen die Verantwortung für alles getragen hat, was dazugekommen ist, was zum Teil neu gemacht wurde, was zum Teil an unzulänglich Gewordenem ersetzt worden ist, lassen wir uns dieses von Ihnen nicht bestreiten.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wir haben ja mitgewirkt!)

    Nein, nach diesem untauglichen Versuch, Herr Kollege, muß ich noch einmal betonen, daß wir besser als die anderen vergleichbaren Industrienationen mit den Problemen einer sich dramatisch verändernden Weltwirtschaft fertig werden, daß wir eine gleichgewichtige und gerechte Gesellschaft aufbauen, daß wir Freiheit und demokratische Teilhabe aller Bürger vermehren und endlich: daß wir zu einem Aktivposten der Friedenssicherung in Europa geworden sind. Diese Feststellungen sind richtig, treffen genau das, worum es geht. Und bitte, versuchen Sie, sich etwas Besseres einfallen zu lassen.
    Ich unterstreiche die Bedeutung dessen, was der Bundeskanzler hervorgehoben hat, als er sagte: Vieles an unserer gemeinsamen Aufbauleistung ist sicher beispielhaft, weil wir eine erfolgreiche Verständigungspolitik betreiben — die Sie gerade wieder dabei sind, herabsetzen zu wollen —, weil unser Land über eine außerordentlich hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, weil unser dicht geknüpftes Netz der sozialen Sicherheit zu einer einzigartigen sozialen Stabilität geführt hat, weil wir eine konsequente Politik stetiger Reformen betreiben, weil wir es mit innergeselischaftlicher Solidarität und realer Freiheit des einzelnen ernst meinen.
    Wir haben ja gesagt — der Bundeskanzler hat das
    in seiner Erklärung auch gesagt —: Wir gestehen ehrlich zu, daß manches noch nicht so ist, wie wir uns das vorstellen. Aber hier liegt dann der große Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir sagen es — und der Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung betont —: Der Ausbau des Sozialstaates bleibt unser Auftrag ebenso wie die Bewahrung der liberalen Bürgerrechte. Unsere Demokratie verträgt und braucht keine Gesinnungsschnüffelei, die doch nur zu Opportunismus führt. Der Sozialstaat und das, was dazu gesagt worden ist, gehören zusammen, passen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland zusammen, auch in der Wechselwirkung der damit verbundenen Notwendigkeiten.
    Bei Ihnen aber dieses schlimme, bewußt herabsetzende Wort „Gratifikationen" für das, was soziale Sicherung ist. Das ist doch das Wort, das der große Vorsitzende der kleineren Unionsschwester, als er seinen 60. Geburtsmonat feiern ließ, in der Tageszeitung „Die Welt" hat niederschreiben lassen: „Gratifikationen".

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD)

    Und dann: „die Grenzen des Sozialstaates müssen
    enger gezogen werden". Das ist aber keine Speziali-



    Wehner
    tät des CSU-Vorsitzenden. Das habe ich auch schon
    von dem „Großen Klaren aus dem Norden" gehört,

    (Heiterkeit bei der SPD)

    als er sogar dazu gesagt hat, bei uns bestehe vielerorts schon der Eindruck, „als würden die Fleißigen von den Faulen ausgebeutet". Wenn Sie wissen wollen, wo Sie das nachlesen können: Das ist von ihm selber gesagt und in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nach dem knappen Wahlerfolg geschrieben worden, den er im vorigen Frühjahr errungen hat. Also „die Fleißigen würden von den Faulen ausgebeutet".
    Nein, weil es bei uns so ist, daß wir in der Frage des Ausbaus des Sozialstaates und ebenso der Bewahrung der liberalen, freiheitlichen Bürgerrechte unseren Auftrag sehen, weil unsere Demokratie keine Gesinnungsschnüffelei, die doch nur zum Opportunismus führt, brauchen kann — man merkt jetzt bei einigen Auftritten, auch in Landtagswahlkämpfen, wie gefährlich diese Dinge werden —, hat es für uns auch eine andere Gewichtigkeit, wenn wir hören, wie in diesem Bericht zur Lage der Nation betont wird: „Es darf nicht dabei bleiben, daß Humanität nur auf Papier geschrieben wird", und wenn dann an die Adresse des anderen Teils Deutschlands und der Menschen, die im anderen Teil des getrennten Deutschland leben, gesagt wird: „Viele Menschen, jedenfalls die Deutschen in der DDR, setzen ihre Hoffnung auf die Verwirklichung dessen, was in der Schlußakte von Helsinki steht." Sie wollen,, daß die Menschenrechte und die Grundfreiheiten hergestellt und geachtet werden: Sie wollen, daß die Bundesregierung darin fortfährt, mit der DDR Vereinbarungen herbeizuführen, die zwar gewiß nichts von der Härte der ideologischen Gegensätze vermindern, die aber das Leben der Menschen im geteilten Deutschland erleichtern.
    Aber nun haben Sie, sehr verehrter Herr Oppositionsführer, hier eine Einlage zu geben versucht, als ob Entspannungspolitik eine Art Tribut an Kommunisten und an den Kommunismus sei oder als ob hier eine besondere Unzulänglichkeit im Umgang mit diesen nachweisbar sei. Aber wie man andernorts darüber denkt und auch spricht, erlaube ich mir unter Berufung auf einen sicher auch von Ihnen kaum direkt abzuwertenden Zeugen zu definieren. Der französische Staatspräsident Giscard
    d Estaing wurde vom „Figaro" in bezug auf Helsinki, die Entspannung und den Verkehr der Menschen und der Gedanken zwischen Ost und West gefragt, ob er wirklich an bedeutende Ergebnisse in dieser Richtung glaube. Er antworte darauf — ich beziehe mich da auf die amtliche Übersetzung
    aus dem Französischen—:
    Nein. Man muß schon offen sein, um das zu sagen. Die Einzelheiten dieser Situation müssen genau betrachtet werden. Es besteht ein sozialistisches System mit einer Gruppe von Ländern, die zu ihm in Osteuropa gehören. Man muß in dieser Hinsicht ehrlich sein. Der Zweck der Entspannung liegt nicht darin, zu versuchen, diese Systeme zu ändern. Ihr Zweck ist vielmehr, normale und friedliche Beziehungen mit
    ihnen zu ermöglichen. Es könnte uns zwar in den Sinn kommen, daß diese Systeme sich mit der Entspannung entwickeln könnten. Doch man darf nicht den Hintergedanken hegen, daß die Entspannung ein Instrument, ein strategisches Ziel ist, um Entwicklungen zu beschleunigen, welche die sozialistischen Länder nicht wünschen.
    Ebenso darf die Entspannung nicht bezwecken, ihnen zu ermöglichen, daß wir bei uns eine unerwünschte Entwicklung hinnehmen.
    Das sind also ziemlich klare Feststellungen über Entspannung, denen Sie schwerlich, verehrter Herr Vorredner, das anhängen können, was Sie uns hier anhängen möchten. Doch darauf komme ich noch einmal zurück.
    Derselbe französische Staatspräsident Giscard d'Estaing hat auf die Frage, wie denn die Kraftlinien der Politik von ihm gesehen würden, in der gleichen Zeitung gesagt:
    1. Das ist der Wille zur Unabhängigkeit unserer Außenpolitik,
    2. das ist der Wille zum Aufbau Europas,
    3. das ist unsere Entschlossenheit zu einer Politik der Entspannung — soweit sie natürlich auf beiden Seiten praktiziert wird — statt zur Konfrontation, und schließlich
    4. unser Wunsch, eine Politik der Zusammenarbeit mit den Staaten der Welt zu betreiben und besonders mit den Entwicklungsländern, d. h. der Wunsch nach einer gewissen, zu schaffenden und zu organisierenden Solidarität.
    Nun ist der französische Staatspräsident — Sie werden das zugeben — kein Sozialdemokrat, und schon gar kein deutscher Sozialdemokrat.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wir sind ja einverstanden mit ihm!)

    Sie sagen, Sie seien ja einverstanden mit ihm.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun gut, dann wäre ich froh, wenn er hier das Rederecht hätte. Aber das hat er natürlich nicht.
    Hier hat der Herr Carstens gesagt — und das war ja doch wohl ein ziemlich unbedachtes Wort, wenn es auch aus tiefem Grunde kam —, Helsinki sei kein Ruhmesblatt für den Westen. Ich habe eben einen der renommiertesten Staatsmänner des Westens zitiert, und die Gemeinschaft der Neun hat übrigens in einer Erklärung des Europäischen Rates über die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gesagt:
    Der Punkt 3: Die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten in Europa, die vor allem durch den Abschluß des Viermächteabkommens über Berlin und des Vertrags zwischen beiden deutschen Staaten gefördert worden ist, hat die Einberufung der Konferenz ermöglicht. Jedoch hat diese Verbesserung die Unterschiede in den Ideologien und den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systemen nicht ausgeräumt. Diese Unterschiede sind bei



    Wehner
    den Diskussionen auf der Konferenz zutage getreten. Sie waren auch der Grund dafür, daß es in einigen Fällen, insbesondere im Bereich der Freizügigkeit von Menschen, Ideen und Informationen, nicht möglich war, weiterzugehen. Es ist aber von großer Bedeutung, daß über zahlreiche Aspekte der Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten eine eingehende Diskussion eingeleitet werden konnte und daß es möglich war, hinsichtlich aller dieser Aspekte gemeinsame Verhaltensgrundsätze aufzustellen, sowie die Absicht der Staaten, so konkret wie möglich zum Ausdruck zu bringen, überall in Europa, also auch in Berlin, die Entwicklung der Zusammenarbeit, des Austauschs und der Kontakte zu ermöglichen und zu fördern, wobei die Menschen eine wichtige Rolle spielen.
    Wie wollen Sie solche Vorsätze in den Wind schlagen oder damit abtun, daß das ganze Helsinki kein Ruhmesblatt für den Westen sei?! Bitte sehr, ich werde mich selbst an ein Blatt klammern, wenn damit etwas erreichbar ist, Sie überlegener Stratege!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dann nehme ich mir noch etwas vom Herrn Bundeskanzler, der gesagt hat, es handle sich um Verhaltensregeln, welche die Sicherheit vergrößern. Er hat dann in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß wir in Wien auch mit daran arbeiten, das, was es dort an militärischen Sicherheits-, Rüstungsbegrenzungs-, Truppenverminderungsbemühungen im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen gibt, mit zu bewirken.

    (Zuruf des Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU])

    Ja sicher! Da ertappen Sie mich doch nicht bei einem Lapsus, verehrter Herr Beckmesser. Nein, nein, wir sind eingebunden in unsere Bündnisverpflichtungen und wissen, daß wir ohne sie genauso-wenig wie ohne die Vorbehaltsrechte, unter denen die Bundesrepublik Deutschland steht, nicht die Ausmaße politischen Wirkens hätten entfalten können, die für ein Land, das getrennt und das weit entfernt davon ist, einen Friedensvertrag für Deutschland als Ganzes zu bekommen, notwendig sind.
    Aber noch ein Zeuge! Da ist Ende November letzten Jahres in Paris dieses europäische Symposium ehemaliger Kriegsteilnehmer über die Abrüstung gewesen. Da haben die Europäische Vereinigung der ehemaligen Kriegsteilnehmer, die Internationale Vereinigung der ehemaligen Kriegsgefangenen, der Internationale Verband der Widerstandskämpfer und der Weltfrontkämpferverband, die sagen, sie vertreten 30 Millionen ihrer Mitglieder, bei der Feststellung ihrer Prinzipien erklärt, daß sie mit Genugtuung feststellen, daß diese ihre Prinzipien — Frieden, Abrüstung usw. — einen ersten Niederschlag in der diplomatischen Praxis durch die Schlußakte der Konferenz von Helsinki über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gefunden haben. Sie erachten es als eine ihrer vordringlichen Aufgaben, dahin gehend zu wirken, daß alle Festlegungen von Helsinki von allen Signatarmächten voll beachtet
    werden. — Das ist doch die Sprache der Vernunft,
    das ist auch die Sprache der Gutwilligen. Aber Sie können sich doch nicht von allen, die Vernunft haben und gutwillig sind, distanzieren wollen, verehrte Damen und Herren von der Fraktion der CDU CSU.
    Das hat bei Ihnen einen ganz anderen Zweck, daß Sie so rangehen. Das gehört, Herr Professor Carstens, zu der Einpeitscherrolle, die Ihnen zugedacht ist. Das Drehbuch hat der Vorsitzende der CSU geschrieben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das ist alles.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Na bitte sehr! Sie kommen hierher und sagen, der Vorsitzende der SPD und der Bundeskanzler trieben ein Doppelspiel, und meinen, Sie hätten etwas besonders Schlimmes festgestellt. Sie reden von undurchsichtigen Annäherungen an kommunistische Parteien.

    (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Ja, so ist es doch!)

    Das kann an Ihren Augen liegen. Ich bitte um Entschuldigung, gehen Sie mal zum Optiker.

    (Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

    Aber undurchsichtig ist nichts bei dem, was wir machen, nein!
    Und was ist mit dem Drehbuch? Es kommt Ihnen gar nicht darauf an, was Brandt oder Schmidt meinen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was Wehner tut!)

    - Oder auch Wehner, bitte schön, mit dem gehörigen Abstand; ich bin weder der Vorsitzende der SPD noch Bundeskanzler, jeder nach seinem Rang. Nein, nein, der große Vorsitzende der kleineren Unionsschwester hat doch gesagt und geschrieben und jetzt noch einmal bestätigt: „Da muß man die anderen immer identifizieren damit, daß sie den Sozialismus und die Unfreiheit repräsentieren, daß sie das Kollektiv und die Funktionärsherrschaft repräsentieren und daß ihre Politik auf die Hegemonie der Sowjetunion über Westeuropa hinaus läuft!"
    - Das ist das Drehbuch und nichts anderes. Danach
    bewegen Sie sich, verehrter Herr Kollege Carstens. Das ist zwar eine Ehrenrolle, die Ihnen hiermit zugedacht ist, weil der andere gerade eine Abmagerungskur macht und nicht selbst hier sprechen kann,

    (Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

    aber Sie sind hier nicht Autor, Sie sind nur Ausstaffierer, und das ist ja auch schon etwas.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

    Aber bitte, im Ernst: Das Schlimme an dieser Art von Strategie, wie man heute modisch sagt,

    (Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    ist die Semantik, dem anderen alles Schlimme anzuhängen, was es nur gibt, um ihn dann abräumen lassen zu können.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das sagen Sie!)




    Wehner
    Das ist alles, was hinter dieser angeblichen Strategie steckt. Was aber daran so verwerflich ist, meine Damen und Herren, und das werden auch Sie, was auch sonst noch passieren wird, eines Tages zu bereuen haben: Sie zerren jene ideologischen Gegensätze, die es in der Welt mit ihren Schwierigkeiten verhindern, daß man völlig eindeutig, wenn von Entspannung die Rede ist, und völlig eindeutig, wenn von solchen Punkten wie in Helsinki die Rede ist, sagen kann: da meinen alle dasselbe! —, Sie zerren diese Gegensätze hinein in unsere innerdeutsche, bundesrepublikanische politische Auseinandersetzung! Und es ist Ihr schweres Vergehen,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    daß es Ihnen nicht genügt, kalten Krieg zu machen, sondern daß Sie ihn auch noch nach hierhin transponieren. Das ist schlimm, und das werden auch Sie eines Tages als einen schweren Fehler derer, die Sie dazu verleitet haben und denen Sie gefolgt sind, weil Sie sich nicht in die Rolle einer konstruktiven Opposition haben bequemen wollen, ansehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind ein Super-Beckmesser!)

    Herr Carstens, Sie haben hier in einer Weise, die mich nicht mehr aufregt, weil das so zu Ihnen gehört,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    von „Verleumdung" gesprochen, daß ich es Ihnen einmal zurückgeben muß. Ich lese aus „Quick" vom 13. März 1975 folgendes wörtliche Zitat, von Franz Josef Strauß signiert — — merken Sie sich das Datum und lassen Sie sich das Zitat beschaffen —:
    In der SPD sympathisieren weite Teile mit den Thesen und Methoden der Anarchisten. Die Stunde der Abrechnung mit der Regierung ist jetzt da. Sie hat Angst, wegen des Falles Lorenz mit Baader-Meinhof in Zusammenhang gebracht zu werden. Dabei ist das Letztere für die Entführung von Lorenz ursächlich.

    (Pfui-Rufe bei der SPD und der FDP)

    Dies ist eine Ungeheuerlichkeit! Wenn Sie sich das vorlegen lassen und es einmal selbstkritisch durchlesen — ich verlange doch von Ihnen gar keine öffentlichen Sündenbekenntnisse —, dann werden Sie finden, dies war schlimm. Daß die SPD nicht aufgeheult hat, erklärt sich daraus, daß wir schon ganze Jahrzehnte lang, wenn es Ihnen gepaßt hat, von Ihnen und von denen, die es bei Ihnen gelernt haben, so gebraten und gebrüht worden sind, daß wir nicht mehr aufheulen. Diese vier Sätze aus „Quick" sind ungeheuerlich. Sie sind von Franz Josef Strauß, erschienen am 13. März 1975, signiert.

    (Zuruf von der SPD: Das ist „deutsche Freiheitstradition" !)

    Ich muß schon sagen, mir tut Jean Paul leid, denn er gehört zu den vielen meiner Lieblingsschriftsteller; Sie lesen ihn mir vor, und ich muß Ihnen dann so etwas aus der Wirklichkeit entgegenhalten, nämlich diese vier Sätze.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn es Ihnen darum geht, meine Damen und Herren: Die Entscheidung für den demokratischen Sozialismus ist für uns, für die Sozialdemokraten, die Entscheidung für Grundforderungen, die in einer menschenwürdigen Gesellschaft erfüllt sein müssen, und dazu gehören — und ich nenne sie —: Alle Völker müssen sich einer internationalen Rechtsordnung unterwerfen, die über eine ausreichende Exekutive verfügt. Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Alle Völker müssen die gleiche Chance haben, am Wohlstand der Welt teilzunehmen. Entwicklungsländer haben Anspruch auf die Solidarität der anderen Völker. Und: Wir streiten für die Demokratie; sie muß die allgemeine Staats- und Lebensordnung werden, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Dem stimmen wir zu!)

    — Sie stimmen dem doch nicht zu! Das ist ja unser Grundsatzprogramm. Dem können Sie ja nicht zustimmen; dann könnten Sie doch nicht in der Partei mit dem „C" sein. Aber bitte sehr, es ist jedem erlaubt, umzulernen, nur nicht nach rückwärts. Lesen Sie einmal nach; das alles finden Sie wörtlich in diesem Programm. Und nun passen Sie das einmal aneinander — zu dem Drehbuch, in dessen Sinne hier heute der Herr Professor Dr. Carstens hat auftreten müssen.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Ich sage hier — und ich berufe mich dabei auf des Bundeskanzlers Bericht zur Lage der Nation —, daß unsere eigene Politik gegenüber dem anderen deutschen Staat klar in vier Punkten besteht: Erstens. Unsere Politik beruht auch gegenüber der DDR auf den Normen und Wertvorstellungen des Grundgesetzes. Zweitens. Deshalb können und werden wir die bestehenden Gegensätze weder beschönigen noch verschleiern. Drittens. Wir werden uns, wo immer dies möglich ist oder wo immer wir es ermöglichen können, um Vereinbarungen bemühen, die den Menschen hüben und drüben helfen. Viertens. Wir tun dies in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten und auf der Grundlage der geschlossenen Verträge.
    Hier ist die Rede gewesen von der Verletzung elementarer Menschenrechte. Der Bundeskanzler hat in seinem Bericht die Fälle der auf der anderen Seite angewendeten Verfahren in Verfügungen über Kinder, deren Eltern entweder in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet sind oder haben fliehen wollen, angeführt.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Zwangsadoption!)

    — Ja, in diesem Fall war das und ist das Zwangsadoption, wenn es Ihnen auf dieses Wort ankommt, Herr Vogel. Sie müssen doch nicht annehmen, daß ich mich um Worte streite. Worum ich gegebenenfalls auch mit ihnen streite, ist folgendes: daß es nicht die Lautstärke macht, in der man „Menschenrechtsverletzung" skandiert, sondern die Beharrlichkeit in den Bemühungen, solche, wenn schon nicht



    Wehner
    gleich zu verhindern, so wieder zu reparieren und sich dabei nicht abschrecken zu lassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Da wäre es besser, als unser gegenwärtiger Zustand ist und es auch zuläßt — bei diesem Ihrem Drehbuch ist das ja gar nicht drin; Sie können nicht, wir können nicht, sondern da ist dann das, was „Konfrontation" genannt wird —, über jede Sorge — das sage ich Ihnen — auch miteinander zu reden und nach Möglichkeiten der Lösung zu suchen.
    Ich habe z. B. Anfang dieser Woche — er kam am Dienstag an und war am ersten Werktag dieser Woche geschrieben worden — einen Brief bekommen:
    Sehr geehrter Herr Wehner!
    Mit der beigefügten Petition wende ich mich an Sie in der Sache von Herrn ...,
    — dann folgt der Name —einem ehemaligen Mitgefangenen in der DDR. Ihre zahlreichen Bemühungen um menschliche Erleichterungen in den innerdeutschen Beziehungen sind der Anlaß dafür, daß ich hoffe, in dieser Sache bei Ihnen Verständnis zu finden. Ich bitte Sie deshalb, wenn Sie diese Petition an die Bundesregierung weiterleiten, sich persönlich für das Anliegen dieser Solidaritätsaktion einzusetzen. Für Ihre bisherigen Schritte zur Freilassung politischer Häftlinge in der DDR — ich selbst
    — so schreibt er —
    verdanke diesen Bemühungen auch meine Freiheit — möchte ich Ihnen an dieser Stelle danken.
    Und dann kommt eine Petition, unterschrieben — die Unterschriften im Original — von einer ganzen Reihe der ehemaligen Mitgefangenen eines Gefangenen, dessen Namen ich hier nicht genannt habe und nenne, und dann von solchen, die nicht direkt seine Mitgefangenen, aber auch Gefangene waren. Und dann wird in dieser, wie sie es nennen, Petition an die Bundesregierung gesagt:
    Wir, die Unterzeichner dieser Petition, sind in der DDR zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Wir verdanken fast alle unsere Freiheit den besonderen Bemühungen der Bundesregierung für politische Häftlinge in der DDR. Wir sind uns daher der Problematik bewußt, die für die Bundesregierung darin besteht, einerseits staatspolitische Interessen und menschliche Erleichterungen, andererseits aber auch einzelne Menschenschicksale gegeneinander abzuwägen.
    In diesem Sinne möchten wir die Bundesregierung mit dieser Petition in ihrem Streben unterstützen, die Verhältnisse im geteilten Deutschland erträglicher zu machen. Wir wenden uns daher in der Angelegenheit eines Haftkameraden in der Strafvollzugsanstalt . . .
    — die wird dann genannt, der Name des Häftlings wird auch genannt —
    an die deutsche Bundesregierung.
    Dann kommen seine Daten, weshalb er sitzt, wie lange er schon sitzt, weswegen sie sich für ihn einsetzen, weswegen sie ihn auch menschlich schätzen gelernt haben. Da gibt es die unter Gefangenen typischen Merkmale: Der ist in dieser und auch in jener Beziehung, die in einer Gefangenschaft besonders schwierig ist, ein guter Mann oder ein guter Junge, wie immer man das will. Dieser Mann ist zu 13 Jahren verurteilt, er ist einer von diesen sogenannten Fluchthelfern.
    So gibt es Fälle noch und noch. Ich habe gesagt: Über jede Sache sollten wir miteinander reden können. Dies wird und ist zum Teil schon jetzt nicht mehr möglich, weil Sie aus jeder Sache eine Anklagesache gegen die machen, die solche Verträge mit einem solchen Staat geschlossen haben. Dabei sind Verträge überhaupt die Möglichkeit, mit den anderen über Dinge zu reden. Heute ist auch von Herrn Carstens gesagt worden, früher seien z. B. aus Polen soundso viele ohne Verträge gekommen. Ich bin schon darauf gefaßt, daß Sie sagen: Überhaupt alles, was man herausholen will, geht nur ohne Verträge. Da werden Sie bald noch weitere Purzelbäume schlagen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Über so etwas können Sie selbst doch nur lachen!)

    — Natürlich muß ich lachen über Ihre Clownhaftigkeit in einer todernsten Angelegenheit.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Sie wissen doch, daß das Unsinn ist!)

    Dasselbe gilt für das Spiel um die Zahlen. Ich will Sie und die anderen nicht langweilen. Ich stütze mich, was die Deutschen betrifft, die aus Polen umsiedeln wollen, auf die konkreten Aussagen des gegenwärtigen stellvertretenden Generalsekretärs des Deutschen Roten Kreuzes, die ich bei mir auf dem Tisch habe. Da können Sie doch nicht mit solchen Sachen kommen, die Sie unseren Kollegen anhängen, wo Sie sagen: Zahlen werden gefälscht. Das ist ein ganz klarer Fall, der hier vorliegt. Man kann nicht über 280 000 wie ein Dogma streiten, während in Wirklichkeit in dieser Beziehung noch vieles zu untersuchen ist und das Deutsche Rote Kreuz mit gutem Grund sagt, es läßt sich nicht länger und immer und immer wieder auf bestimmte Zahlen festlegen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Der Außenminister hat gesagt: Möglicherweise sind es mehr!)

    Das wollte ich hier nur gesagt haben.
    Meine Damen und Herren, es ließe sich über vieles reden. Ich komme noch einmal auf den Bericht zurück, den der Bundeskanzler zur Lage der Nation gegeben hat. Gerade dieser Bericht hat so viele Punkte, auch einladende Punkte zum MiteinanderReden, zum Diskutieren, zum Den-Dingen-auf-denGrund-Gehen, zum Hart-miteinander-Ringen in bestimmten Sachen, daß es betrüblich ist, daß er eine so schwache Erwiderung von dem Führer der Opposition erfahren hat. Aber das werden die anderen nachholen; es soll ja lange diskutiert werden, und alle werden heute ihr Bestes tun.



    Wehner
    Ich wollte am Schluß meiner eigenen Ausführungen nur noch besonders danken für die klare Feststellung, die auch aus dem Munde des Bundeskanzlers Berlin betreffend getroffen worden ist: Den Status und die Sicherheit dieser Stadt verbürgen unsere Verbündeten, die USA, Großbritannien und Frankreich; für die Aufrechterhaltung und Kräftigung der Bindungen zu uns zu sorgen ist unsere eigene Sache. Das ist ein Gelöbnis, das ist zugleich eine Verpflichtung, auch hei allem, was es dabei an Ärgerlichem gibt, auch mit dem anderen Staat im getrennten Deutschland an Ärgerlichem gibt in bezug auf jene Abkommen und Verabredungen, die heute hier in ihrer Bedeutung, in ihrer Essenz in einer schönen und überzeugenden Art und Weise noch einmal dargelegt worden sind. Es ist für uns ein Auftrag, immer daran zu denken: Für den Status und die Sicherheit der Stadt bürgen unsere Verbündeten, aber für die Aufrechterhaltung und Kräftigung der Bindungen zu uns zu sorgen, das ist und bleibt unsere eigene Sache. Wir sollten uns von niemandem rügen und auch von keinem übertreffen lassen.
    Ich danke Ihnen für diese Geduld.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Carstens hat sich heute zunächst ein weiteres Mal als Wirtschaftspolitiker versucht. Ich fürchte, es bleibt leider nur ein weiterer erfolgloser Versuch auf diesem Gebiet zu registrieren übrig. Meine Damen und Herren, die Behauptung von einer „bewußten Inflationspolitik" der SPD/FDP-Koalition ist doch so abwegig, daß es sich wirklich nicht lohnt, auch nur mit einem Wort auf diese Unterstellung einzugehen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU]: „Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit" !)

    Auch Ihr anschließender Ausflug in die Haushaltspolitik, verehrter Herr Professor Carstens, hat dann doch nur das ganze Dilemma der Opposition offenbaren können. Der gute Jahresabschluß der Haushaltswirtschaft 1975, meine Damen und Herren, vermasselt der Opposition ihr ganzes so schönes Katastrophenkonzept.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Wohlrabe [CDU/CSU] : Träume sind das! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber, meine Damen und Herren, bis zu den Debatten über den Jahreswirtschaftsbericht und über den Haushalt 1976 bleibt Ihnen ja noch Zeit, Ihre Argumentationskette neu zu knüpfen. Heute, so glaube ich, können wir das Thema mit gutem Gewissen verlassen.
    Der Rückblick in die Geschichte, Herr Professor Carstens, war sicher ein — wie mir scheint, besonders für die Mitglieder der Opposition — nützliches Repetitorium über Persönlichkeiten, Ideen und Entwicklungen. Niemand wird sich unserer Geschichte und den daraus resultierenden Verpflichtungen entziehen wollen. Dies gilt — so hoffen wir — insbesondere für jene Aufgaben, die ein schrecklicher Krieg für unsere Generation hinterlassen hat. Aber, meine Damen und Herren, die Beschwörung der Geschichte vermag in der Gegenwart noch keine Politik zu ersetzen. Und hier haben wir Liberalen im Bündnis mit den Sozialdemokraten tatsächlich liberale Gesinnung im Interesse der Menschen praktizieren können. Meine Damen und Herren, eben das war in den vergangenen Jahren mit einer verkrusteten CDU, die dazu noch im Schlepptau der CSU hing, nicht möglich.

    (Wohlrabe [CDU/CSU]: Haben Sie auch mal eine neue Platte?)

    Meine Damen und Herren, es ist offenbar nach den Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden über die Ost- und Deutschlandpolitik auch heute noch nicht möglich. Durch die starre Position, die Sie im Bereich dieser Politik einnehmen, versagt sich die CDU/CSU selbst jeglicher Zusammenarbeit mit einer anderen Fraktion dieses Hauses.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD)

    Gerade deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich mich nun dem Thema und der Problematik, die in dem Bericht über die Lage der Nation steckt, zuwenden.
    Verehrter Herr Professor Carstens, über die Lage meiner Partei brauchen Sie sich keine besonderen Sorgen zu machen. Die Lage ist schon ganz gut. Aber eine Bemerkung muß ich an dieser Stelle machen dürfen: Kein Mitglied meiner Partei und schon gar nicht der Fraktionsvorsitzende der FDP hat sich jetzt oder zu irgendeiner Zeit gegen geheime Wahlen gewandt, und das gilt auch für die Szenerie in Niedersachsen.

    (Beifall bei der FDP)

    Aber, verehrter Herr Professor Carstens, damit ist noch gar nichts ausgesagt über das Verhältnis, das jeder einzelne Abgeordnete, dort im Lande Niedersachsen, hier im Bundestag und anderswo, in seinem Innenverhältnis zu seiner Freundes-, Kampf-und Fraktionsgemeinschaft herstellen muß, und da darf dann allerdings wohl auch Fairneß und Anstand im Umgang miteinander erwartet werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, wenn es im Deutschen Bundestag um die Lage der Nation geht, dann bedeutet das in der Tat vornehmlich eine Bilanzierung der Deutschlandpolitik, eine Pflicht, in der sich das Haus eigentlich das ganze Jahr über übt. Dieser Bereich unserer Politik — so scheint mir — ist im letzten Jahr nicht nur insgesamt erfreulicher, sondern er ist auch farbiger geworden. Mit einfachen Schwarzweißmalereien wird man der tatsächlichen Lage deshalb heute nicht mehr gerecht. Wir sollten uns daher alle davor hüten, lediglich aus dem jeweiligen Rollenverständnis von Koalition oder Opposition herausargumentieren zu wollen.

    Hoppe
    Auch in der Deutschlandpolitik sind allerdings Licht und Schatten gleichmäßig verteilt.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Gleichmäßig?)

    Aber es mutet doch etwas krampfhaft an, wenn die Opposition darauf mit der totalen Verneinung der Deutschlandpolitik reagiert. Und doch, meine Damen und Herren, genauso verhält sich die Opposition!
    Mir scheint, dies ist immer noch die Folge eines nicht verwundenen Traumas des Jahres 1972. Damals hat der Wähler für den Grundlagenvertrag und für die Deutschlandpolitik gestimmt. Die Bundesregierung hat damals die Entscheidung bewußt gesucht. Sie hat ihre Ost- und Deutschlandpolitik in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung gestellt, sie hat um Zustimmung gerungen, und sie hat diese Zustimmung gefunden.
    Meine Damen und Herren, Sie von der Opposition haben es damals nicht gewagt, dieser politischen Aussage mit einer ablehnenden Entscheidungskonzeption entgegenzutreten. Dies, so meine ich, hat zu Ihrem gestörten Verhältnis in der Deutschlandpolitik geführt. Meine Damen und Herren! Es werden zwar von der Opposition die juristischen Dimensionen immer wieder neu analysiert, aber die politischen Realitäten bleiben dabei völlig außer acht. Selbst wenn die Opposition inzwischen die Verträge formal bejaht, fällt es ihr immer noch schwer, sich auf den Boden dieser Verträge zu stellen, die daraus resultierenden Verpflichtungen endlich zu begreifen und danach zu handeln. Und doch haben wir trotz der heraufziehenden Wahlkämpfe die Pflicht, die Lage unserer Nation unter dem Aspekt sachlicher Nützlichkeit zu behandeln. Wir dürfen und wollen dabei keine Gegensätze verkleistern; der notwendige Streit — so meine ich —
    sollte aber offen und fair miteinander ausgetragen werden können.
    Meine Damen und Herren, zur Bilanzierung gehört eine nüchterne Aufstellung der Aktiv- und Passivpositionen. Ich gehöre bestimmt nicht zu denen, die vorhandene Schwierigkeiten unter den Tisch kehren, aber ich werde andererseits auch die unbestreitbaren Fortschritte in der Deutschlandpolitik nicht und von niemandem zerreden lassen. Schon in der Aussprache vom 30. Januar 1975 sind die positiven Fakten deutlich geworden.
    Die Entwicklung und Fortschreibung in das Jahr 1976 ist stark von der KSZE überlagert. Seit Ende des zweiten Weltkrieges war dies der umfassendste Versuch einer Kooperation zwischen Ost und West. Die neue Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel hatte dazu den notwendigen deutschen Beitrag geleistet.
    Diese Politik hat aber nicht nur die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa überhaupt zum Konferenzthema werden konnten. Nein, die Veränderungen in Deutschland und in Osteuropa durch die Vertragspolitik dieser Bundesregierung führten zu jener Verlagerung der Schwerpunkte in den Konferenzergebnissen, die für das kommunistische Lager eine unangenehme Überraschung gebracht haben. Von den gemeinsamen Prinzipien der Schlußakte werden plötzlich als fast sensationell und wirklich überraschend nur noch die Thesen des Korbes 3 empfunden. Meine Damen und Heren, die Ostpolitik der Bundesregierung hat dies maßgebend bewirkt. Leonid Breschnew und die kommunistischen Parteien sind im Augenblick mit der Diskussion über diese Qualitätsänderung vollauf beschäftigt. Ein operatives Plus für den Westen wird hierin deutlich. Die Opposition sollte dies endlich zur Kenntnis nehmen.
    Kann die KSZE das Klima zwischen Ost und West tatsächlich verbessern — und die Kommunisten behaupten dies , dann wird dies nicht ohne Wirkung auf die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten bleiben können!
    Helsinki gab die Gelegenheit für einen Meinungsaustausch zwischen dem Bundeskanzler und dem Ersten Sekretär der SED und half damit, jene Entscheidung vorzubereiten, die zu einem Aktivposten in der Deutschlandpolitik des Jahres 1975 geworden ist. Es ist die Vereinbarung über die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse vom 19. Dezember 1975. Mit dem vorgesehenen Ausbau der wichtigsten Transitverbindung auf der Autobahn Helmstedt Berlin und dem Berliner Ring, mit der Verkürzung der Eisenbahnstrecke zwischen Berlin und Hamburg über den neuen Grenzübergang Staaken konnte ein Jahr mühevoller Deutschlandpolitik mit einem Schritt nach vorn beendet werden. Die Vereinbarung führte zu einer Stärkung der Position Berlins. Die Bindung der Stadt an die Bundesrepublik wird durch die eindeutige Verbesserung der Verkehrsverhältnisse auf der Straße und auf der Schiene in dem entscheidenden Punkt und in entscheidender Weise gefestigt.
    Nun erhebt die Opposition immer wieder den Vorwurf der Doppelzahlung unter Hinweis auf die Erhöhung der Transitpauschale. Was dies angeht, meine Damen und Herren, so sollten wir am besten die Fakten sprechen lassen. Die tatsächliche Lage auf den Verbindungswegen von und nach Berlin als Ergebnis unserer Nachkriegspolitik war nämlich nicht so schön, wie manche es glauben machen möchten. Selbstverständlich bleibt richtig, daß die DDR hier ein weiteres Mal Ölscheichmentalität offenbart. Auf der anderen Seite aber steht fest, daß die DDR vor dem Viermächteabkommen von den Benutzern der Durchfahrtswege individuelle Gebühren kassiert hat, ohne diese Leistungen zweckgebunden für die Instandhaltung der Verkehrswege zu verwenden oder verwenden zu müssen.
    Meine Damen und Herren, mit dem Viermächte-abkommen mußte sich die DDR nicht nur fehlende Souveränität auf den Transitwegen bescheinigen lassen, sie mußte sich auch noch bereit finden, einer Pauschalierung der Gebühren zuzustimmen. Eine Vereinbarung über die Beschränkung der Verwendbarkeit der bis dahin frei verfügbaren Mittel war in diesem Augenblick nicht zu erreichen. Es war deshalb von Anfang an ein hoffnungsloses Unterfangen, diesen Schritt im Jahre 1975 nachholen zu wollen. lm übrigen sollte es sich gerade für die Opposition verbieten, ausgerechnet die pauschale Abgeltung für



    Hoppe
    Gebühren und Abgaben zu kritisieren und zu attackieren.
    Meine Damen und Herren, was nun die Erhöhung der Transitpauschale betrifft, so ist diese die Konsequenz eines um rund 80 % angestiegenen Verkehrs. Nachdem der Güter- und Personenverkehr tatsächlich auf eine einfache und schnelle Weise abgewickelt wird, sind die Transitstraßen zum bevorzugten Verkehrsweg geworden. Es wäre, so scheint mir, fatal, müßte sich die Bundesregierung dafür entschuldigen, daß sie dieses Ergebnis für Berlin zustande gebracht hat

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    und daß es dabei gelungen ist, zum erstenmal eine Vereinbarung über die Zugangswege nach Berlin zu erreichen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, besonders erfreulich ist die im gleichen Rahmen vereinbarte Öffnung eines zusätzlichen Übergangs zur DDR im Norden Berlins. Niemand wird den inneren Zusammenhang übersehen, und niemand sollte deshalb eine weitere Öffnung in der Mauer geringschätzen.
    Bedeutungsvoll ist auch die Tatsache, daß über den Neubau der Autobahnverbindung Berlin–Hamburg und über die Öffnung des Teltowkanals für die Binnenschiffahrt neu verhandelt werden soll. Hier wird deutlich, daß sich mit dem ersten Schritt der Durchbruch für eine umfassende Normalisierung der Verkehrsprobleme abzuzeichnen scheint. Es bleibt zu hoffen, daß die nächsten Schritte schneller getan werden können.
    Zu registrieren bleibt weiter das am 1. Januar 1976 in Kraft getretene Gesundheitsabkommen. Es regelt die kostenlose Behandlung im Krankheitsfall bei Besuchen in der Bundesrepublik und in der DDR und sichert einen umfassenden Informationsaustausch auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Dies ist ein Stück angewandter Humanität im Interesse der Menschen in den beiden deutschen Staaten.
    Zu erinnern ist ferner an das Übereinkommen über den nichtkommerziellen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr. Die nahtlose und selbstverständliche Einbeziehung Berlins in die getroffenen Regelungen hat diese Ergebnisse ermöglicht.
    Es steht jetzt fest, daß in Kürze als nächste Folgevereinbarung das Post- und Fernmeldeabkommen und dies ebenfalls mit einer befriedigenden Berlin-Regelung — abgeschlossen werden kann.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, mit Erleichterung und Genugtuung ist auch der Briefwechsel über die Hilfsmaßnahmen an der Sektorengrenze zwischen dem Senat von Berlin und der DDR zur Kenntnis genommen worden. Ein Stück Unmenschlichkeit ist dort gemildert worden.
    Bedauerlich ist, daß die Kulturverhandlungen bisher auf der Stelle treten. Hier wird sich die DDR an den Gedanken gewöhnen müssen, daß die Stiftung Preußischer Kulturbesitz kein Verhandlungsgegenstand ist. Auch der Rechtshilfeverkehr wird für eine weitere Zeit ohne Abkommen funktionieren müssen. Offen ist ferner eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei Wissenschaft und Technik.
    Zu den positiven Punkten gehört die Entwicklung der innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen im Jahre 1975. Die Lieferung in und die Bezüge aus der DDR sind gestiegen. Die DDR ist darüber hinaus 1975 endlich auf den von der Bundesregierung seit langem beharrlich vorgetragenen Vorschlag eingegangen, die Wirtschaftsbeziehungen durch Kooperationsabsprachen zu vertiefen. So konnte bereits Ende des vergangenen Jahres ein erstes Kooperationsprojekt realisiert werden. 1976 dürften weitere folgen. Diese Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen erfolgt mit dem Ziel, über bloße Kompensationsgeschäfte hinaus eine langfristige, stabile Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten und den unmittelbar beteiligten Unternehmen zu entwickeln.
    Meine Damen und Herren, zu den Störfaktoren dagegen rechne ich das Verhalten der DDR bei familienrechtlichen Entscheidungsfällen. Die Eingliederung von Kindern geflüchteter Eltern gegen den Willen der Erziehungsberechtigten in eine neue Familie bleibt auch unter Berücksichtigung eines kommunistischen Rechts- und Verfassungsverständnisses — ein Verstoß gegen die Völkerrechtsprinzipien. Die DDR ist hier mit Nachdruck auf die übernommenen internationalen Verpflichtungen, nicht zuletzt auch als Folgewirkung der KSZE, hinzuweisen. Die DDR muß erkennen, daß sie vor der Weltöffentlichkeit bestimmte Grenzen nicht mehr überschreiten kann.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, eine exzessive Anwendung des Familienrechts der DDR als politische Sanktion gegenüber Kindern geflüchteter Eltern darf nicht zur Gerichtspraxis werden. Eine dahin gehende regierungsamtliche Empfehlung sollte die DDR deshalb schleunigst korrigieren.

    (Beifall)

    Bei diesem Appell an die DDR möchte ich mich allerdings nicht jener Form der Polemik bedienen, die sich am Stichwort der Zwangsadoption entzündet hat, denn diese Form der Auseinandersetzung erscheint durch die bekanntgewordenen Einzelfälle kaum gerechtfertigt.

    (Wehner [SPD] : Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, auch die Strafjustiz der DDR sollte sich vom Gesichtspunkt der Gerechtigkeit leiten lassen und nicht zum blindwütigen Handlanger kommunistischer Propaganda werden. Wir werden stets respektieren, welche Rechte und Pflichten sich für alle Beteiligten aus dem Transitabkommen ergeben. Wir werden auch der DDR die daraus resultierenden Befugnisse nicht bestreiten. Aber: Wer mit drakonischen Strafen Fluchtwillige und Fluchthelfer abschrecken will, darf nicht übersehen, daß er selbst mit der Einmauerung seiner Bürger



    Hoppe
    für das nach seinem Rechtsverständnis jetzt strafwürdige Verhalten ursächlich gewesen ist.

    (Beifall bei der FDP und SPD)

    Meine Damen und Herren, ebenso hat die DDR den Mißgriff der Ausweisung des „Spiegel"-Korrespondenten erst noch aus der Welt zu schaffen. Es muß ferner auch klar sein, daß bei der Höhe des Zwangsumtausches für die Besucher der Berliner in die DDR immer noch ein Stück Rechtsbruch der DDR übriggeblieben ist, wie denn überhaupt, meine Damen und Herren, an dem Ort, der in besonderer Weise als Entspannungsbarometer für Europa gilt, seit geraumer Zeit der Durchzug von Störfronten zu verzeichnen ist. Die DDR und die Sowjetunion üben sich neuerdings in Fehlinterpretationen des Viermächteabkommens über Berlin. Beim Abschluß des Abkommens ging es vornehmlich auch um die Frage der Zuordnung Berlins zur Bundesrepublik. Heute wie damals wissen wir, daß es sich bei diesem Teil praktischer Politik nicht um endgültige Lösungen handeln kann, sondern daß es eine Zwischenlösung im Interesse Berlins ist. Endgültig kann die Berlin-Frage nur im Zusammenhang mit der deutschen Frage gelöst werden.

    (Zustimmung bei der FDP und der SPD)

    Der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, hat gerade wohl deshalb einmal so formuliert:
    West-Berlin ist an das Schicksal der Bundesrepublik gebunden; aber das Schicksal Gesamtdeutschlands bleibt an Berlin gebunden.

    (Wehner [SPD] : Sehr wahr!)

    Dieses Wort hat bis zur Stunde seine Gültigkeit bewahrt.
    Meine Damen und Herren, die deutschlandpolitische Situation ist im Augenblick vom Streit über Berlin betreffende Fragen überschattet. Der sowjetische Botschafter in der DDR meinte, die Schlüsselstelle des Viermächteabkommens sei die Festlegung, daß Berlin nicht zur Bundesrepublik Deutschland gehöre und nicht von ihr regiert werden dürfte. Die DDR versuchte da natürlich sofort mitzuhalten. Die Brandt-Breschnew-Formel von der „strikten Einhaltung und vollen Anwendung" wird von ihr flugs halbiert, und es wird nur noch vo der „strikten Einhaltung" des Viermächteabkommens gesprochen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Nur eines Teils!)

    Die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Bindungen zwischen der Bundesrepublik und Berlin ist aber gerade nach dem Inkrafttreten des Abkommens zu einer Aufgabe von hervorragender politischer Bedeutung geworden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies im Grundvertragsurteil ausdrücklich hervorgehoben. Zu diesen Bindungen gehört die Einbeziehung Berlins in alle völkerrechtlichen Übereinkünfte, die von der Bundesrepublik geschlossen werden oder denen sie beitritt, soweit nicht im Einzelfall die Vorbehaltsrechte der drei Westmächte dem entgegenstehen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß der einheitliche Rechtszustand in der Bundesrepublik und in Berlin auch künftig gewahrt bleibt.
    Die Sowjetunion hat dazu im Viermächteabkommen erklärt, daß sie unter der Voraussetzung der Nichtberührung von Angelegenheiten der Sicherheit und des Status ihrerseits keine Einwendungen gegen die Ausdehnung völkerrechtlicher Vereinbarungen und Abmachungen haben würde. In der Anlage IV B ist diese Zusage nachzulesen. Mit der Formel „Sicherheit und Status" soll hier offenbar das zurückgenommen werden, was an klarem politischen Zugeständnis vorher eingeräumt worden ist. Im Augenblick sind so drei Verträge notleidend, Verträge, von denen im Augenblick so viel geschrieben und geredet wird: das Rechtshilfeabkommen, das Abkommen über die wissenschaftlichtechnische Zusammenarbeit und die Zweijahresregelung zum Kulturabkommen. Der bloße Wortlaut des Viermächteabkommens macht deutlich, in welchem Maße die Sowjetunion hier hinter den Vereinbarungen und Absichten aller Signatarmächte und der beteiligten Staaten zurückfällt.
    Meine Damen und Herren, es bleibt deshalb zu hoffen, daß die Absage des Berlin-Besuchs der sowjetischen Bürgermeister nicht zu einem negativen Modell einer härteren Gangart der sowjetischen Berlin- und Deutschlandpolitik wird.

    (Wohlrabe [CDU/CSU]: Hoffentlich haben Sie recht!)

    Die Sowjetunion sollte jedenfalls endlich aufhören, mit der Dreistaatentheorie eine politische Leiche des kalten Krieges wieder zum Leben erwecken zu wollen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wenn sie ihre Entspannungsbeteuerungen nicht Lügen strafen will, muß sie die Zuordnung Berlins zur Bundesrepublik und die Außenvertretung der Stadt durch die Bundesregierung endlich so praktizieren, wie es im Viermächteabkommen vereinbart worden ist. Die Sowjetunion täte gut daran, ihr Verhältnis zu Berlin zu entkrampfen, was ihr und ihren Diplomaten im übrigen auch den Umgang mit Berliner Bundestagsabgeordneten außerordentlich erleichtern würde.
    Die Rückbesinnung auf das Viermächteabkommen könnte die Wahl zum Europäischen Parlament auch für die Berliner Abgeordneten zu einer konfliktfreien Selbstverständlichkeit werden lassen. Schließlich gilt der EG-Vertrag von Anbeginn ohne Einwände in Berlin; Beanstandungen hat es auch später dazu nicht gegeben. Berlin genießt als Teil der EG die Vorteile des Regionalfonds ebenso wie die des Sozialfonds. Die Wahl zum Europäischen Parlament wird dennoch nicht Anlaß zu einem Kraftakt sein müssen. Ebensowenig aber darf bei dieser Gelegenheit die bislang ungeschmälerte Stellung Berlins in der EG angetastet werden. Wenn es in Berlin auch keine Direktwahl geben wird, so sollte es die Zugehörigkeit Berlins zum Rechts-, Wirtschafts- und Finanzsystem des Bundes andererseits rechtfertigen, die Berliner Abgeordneten aus der Kompetenz des Bundestages nach Europa zu entsenden. Damit würde sich auch die Frage nach der Stellung der Berliner Abgeordneten im Europäischen Parlament erst gar nicht auftun.



    Hoppe
    Für die im Augenblick zu spürende verhärtete Haltung der sowjetischen Regierung mag es Erklärungen geben.

    (Wohlrabe [CDU/CSU] : Das war vor einem Jahr genauso, Herr Hoppe!)

    Wahlen und Parteitage lassen die Politik nicht nur in den USA und bei uns unbeweglicher werden. In der Sowjetunion hat dies ganz gewiß noch viel stärkere Wirkungen. Aber nicht nur die Ergebnisse der KSZE mögen die Forderungen nach einer Überprüfung der Westpolitik in der UdSSR auf den Tisch gebracht haben. Die ökonomischen Schwierigkeiten wie die Mißernten des letzten Jahres haben die innerpolitischen Auseinandersetzungen dort ganz gewiß weiter verschärft. Ernüchterung mag sich darüber eingestellt haben, daß die mit der Öffnung nach Westen angestrebte Problematisierung der Beziehungen der westeuropäischen Staaten zueinander in der EG und innerhalb des Atlantischen Bündnisses ausgeblieben ist. Nicht die Auflösung, sondern die Stärkung der Gemeinschaft ist festzustellen. Im Bündnis sind trotz nicht zu leugnender Schwierigkeiten und nicht zu übersehender Probleme an der Südflanke letztlich Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungskraft gewachsen. Dies dürfte den Kritikern Auftrieb gegeben haben und könnte die Forderung nach einer neuen Standortbestimmung des kommunistischen Lagers begreiflich machen. Sicher ist dies aber ein Grund dafür, daß die Sowjetunion mit Macht außenpolitische Erfolge an anderen Plätzen sucht und sich deshalb verstärkt im Nahen Osten und in Afrika engagiert. Die freie Welt wird alles in ihrer Macht Stehende tun müssen, um eine Gefährdung des Weltfriedens hier auszuschließen.
    Meine Damen und Herren, für die DDR ergeben sich andere, aber dabei sehr unmittelbare Probleme für den eigenen Bereich. Der Vorschlag des Programmentwurfs der SED rechtfertigt einen Rückblick auf die Deutschlandpolitik der SED, die sich in einem ideologischen Rösselsprung vollzog: Jahrelang hatte sich die SED für gesamtdeutsche Gespräche und für die Einheit der Nation eingesetzt. Noch in ihrem Programm von 1963 hat die SED geschrieben, sie kämpfe um die Überwindung der Spaltung der Nation, sie halte an der Wiederherstellung der Einheit der Nation fest, und sie wolle dem unerträglichen, feindseligen Gegenüberstehen von zwei deutschen Staaten ein Ende bereiten. Solange eine starre antikommunistische und gegen die DDR gerichtete Politik betrieben wurde, trat die SED als Vertreterin einer Entspannungspolitik auf.
    Die beweglichere Ostpolitik und hier vor allem die realistische und flexible Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition hat die SED dann in Schwierigkeiten gebracht. Sie hatte nun kein Interesse mehr an gesamtdeutschen Gesprächen, die auf das Gebiet der DDR hätten übergreifen können. Ihr Ziel war es, die Diskussion auf die Bundesrepublik zu beschränken. Wir erinnern uns, wie erschreckt die DDR von dem Echo war, das der Besuch von Bundeskanzler Brandt in Erfurt fand.
    Meine Damen und Herren, die erfolgreichen Verhandlungen der Bundesregierung über die Ostverträge hat die SED zwar positiv bewerten müssen; sie hat sich jedoch schärfstens gegen die These von innerdeutschen Verhandlungen und Vereinbarungen gewehrt. In der Verfassung von 1968 wurde die DDR zwar noch als „Staat deutscher Nation" bezeichnet. Dennoch behauptete die SED später, die Einheit der Nation sei zerstört, es gebe keine deutsche Nation mehr, die DDR sei ein deutscher Nationalstaat. Mit der Politik der sozialliberalen Koalition wurde der DDR auch die These entwunden, die Bundesrepublik wolle sich die DDR einverleiben, und von draußen drohe die Gefahr eines neuen Faschismus. Unsere Politik paßte nicht mehr in die Ulbrichtschen Klischeevorstellungen. Reaktionäre in Ost und West konnten nicht mehr eskalieren. Der Moskauer Vertrag machte der DDR bewußt, daß die Sowjetunion dabei sogar von ihrer alten Forderung abgerückt war, erst nach völkerrechtlicher Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik ihr Verhältnis zu Bonn zu normalisieren.
    Meine Damen und Herren, so ist die Einheit der Nation zum offenen Streitpunkt zwischen den beiden deutschen Staaten geworden. Die DDR ist auf harten Gegenkurs gegangen. Den ersten wichtigen Schritt hat sie 1974 mit einer Verfassungsänderung getan. Mit starker Außenwirkung unternahm sie hier den Versuch, ihre Eigenstaatlichkeit rechtlich zu untermauern. Sie bezeichnete sich schlicht als „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern". Mit dem Freundschaftsvertrag zwischen der Sowjetunion und der DDR vom 7. Oktober 1975 hat die DDR dann den zweiten Schritt getan. In diesem Vertrag wird von der „gesamten sozialistischen Staatengemeinschaft" und der „weiteren Annäherung der sozialistischen Nationen" gesprochen. Die DDR hat sich mit diesem Vertrag an die Sowjetunion gebunden, um durch deren machtpolitisches Gewicht ihre Eigenstaatlichkeit auf Dauer garantieren zu lassen.
    Mit dem Programmentwurf setzt die SED jetzt ihre Bemühungen fort, den zweiten deutschen Staat von der Bundesrepublik Deutschland abzugrenzen und auf Dauer abzutrennen. Die SED will sich in einer Großnation der sozialistischen Gesellschaftsordnung ansiedeln und löst sich von den Kriterien des überkommenen Nationenbegriffs.
    Meine Damen und Herren, wir haben gleichwohl guten Grund, an der Definition der Nation als einer Gemeinschaft gleicher Kultur festzuhalten. Sie weist darauf hin, daß es keineswegs nur der Staat ist, der eine bestimmte Bevölkerung, nämlich seine Untertanen oder Bürger, zur Nation macht. Es gibt Nationen, die sich ihrer Einheit über Staatsgrenzen hinweg sehr bewußt sind oder sich lange Epochen hindurch bewußt waren, wie etwa die Juden und die Polen.
    Auch den Deutschen ist 1848, 1871 und 1918 die Gründung eines alle Deutschen umfassenden deutschen Nationalstaates mißlungen. Verständlich, daß die lebendig empfundene Einheit als die einer Kulturnation definiert wurde. Wir werden uns jedoch permanent mit dem Versuch der DDR auseinandersetzen müssen, sich in einer Großnation sozialisti-



    Hoppe
    scher Gesellschaftsordnung anzusiedeln. Aber die DDR wird dabei erkennen, daß papierne Deklarationen über die Einheit der Nation nicht entscheiden, egal, ob es eine Verfassung, ein Vertrag oder ein Parteiprogramm ist. Entscheidend sind der Wille und das Bekenntnis der Menschen in beiden deutschen Staaten. Unsere Aufgabe ist und bleibt es daher nach wie vor, alle jene Elemente der Bewußtseinsbildung zu nutzen und zu stärken, die diesen Willen in beiden deutschen Staaten bewahren. Deshalb ist alles an Austausch, Begegnung von Menschen, Meinungen und Informationen zu fördern, was der Pflege der gemeinsamen Sprache, der gemeinsamen Kultur und dem gemeinsamen Geschichtsbewußtsein dient.
    Bei unseren Bemühungen um die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten werden wir in den ideologisch bestimmten Auseinandersetzungen noch einen langen Marsch vor uns haben. Seien wir dafür gerüstet, lassen wir uns durch die Aggressivität unserer politischen Gegner nicht schrecken, und bewahren wir uns vor Resignation durch Enttäuschungen, die sicher auch in Zukunft nicht ausbleiben werden! Für eine überschaubare Phase deutscher Politik wird nicht so sehr Wandel durch Annäherung die zutreffende Beschreibung der Szene sein, sondern krampfhafte Abgrenzung der Kommunisten wird den Prozeß der Normalisierung begleiten.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Da hat einer ein bißchen gelernt!)

    Sie wollen und müssen ihr System vor jenen Gefahren bewahren, die sich aus ihrer Sicht durch die Vermehrung der Kontakte zur freien Welt ergeben. Dies gilt in gesteigertem Maße für die Führer der DDR, die trotz der immer wieder beteuerten Eigenstaatlichkeit und des so häufig beschworenen Staatsbewußtseins der DDR-Bürger ihre Unsicherheit nicht verbergen können und deshalb nur eine sehr rationierte und kontrollierte Öffnung zur Bundesrepublik zulassen.
    Meine Damen und Herren, dennoch führt an dem Zwang zur Fortsetzung des Dialogs zwischen den beiden deutschen Staaten kein Weg vorbei; denn dieser Zwang zur Normalisierung und Entspannung ist und bleibt Teil eines weltweiten Konzepts. Mag man daran aus Überzeugung oder auch nur widerwillig als einziger Alternative zur Selbstzerstörung festhalten; jedenfalls ist das innerdeutsche Problem Teilaspekt der Entspannungspolitik, die auch in diesem Jahre von zentraler Bedeutung bleiben wird.
    Unsere Deutschlandpolitik werden wir daher, wie die Entspannungspolitik überhaupt, als Bestandteil unserer Außenpolitik nicht im Alleingang, sondern im Verbund mit der Neunergemeinschaft Europas und den Partnern im Atlantischen Bündnis fortsetzen. Es ist ein erfreuliches und ermutigendes Zeichen, daß sich in der Europäischen Gemeinschaft die Bereitschaft und die Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln spürbar verstärkt hat. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit für die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und bei den Abrüstungsgesprächen haben dieses positive Ergebnis gefördert, und wir haben Grund, mit Genugtuung und Erleichterung zu vermerken, daß es dabei möglich war, die Deutschlandpolitik zu einem integrierten Teil der Politik der Europäischen Gemeinschaft und des Atlantischen Bündnisses zu machen. Eine Alternativposition zu dieser Politik gibt es nicht. Auch die Opposition hat sie bis zur Stunde nicht formulieren können. Sie erschöpft sich deshalb in der Kritik von Randerscheinungen oder in der Behauptung, daß das alles noch sehr viel schöner und besser zu machen sei.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU] : Genau so ist es!)

    Meine Damen und Herren, völlig unverständlich wird die Haltung der Opposition für mich aber immer dann, wenn sie die Bundesregierung dort attakkiert, wo ein mit den europäischen Freunden in der Gemeinschaft gemeinsam erarbeitetes Konzept nach außen vertreten wird. Dies ist aber in jüngster Zeit gleich mehrfach geschehen. Zunächst hat sich die Opposition mit Macht gegen den Beitrag der Bundesregierung am Zustandekommen der Ergebnisse von Helsinki gewehrt. Nach Meinung der Opposition hätte sich die Bundesrepublik als einziges Land der Mitwirkung an der Formulierung der Prinzipien der KSZE entziehen müssen. Alleingang und Isolation waren die Empfehlung der Opposition.
    Dasselbe hat sich dann im Zusammenhang mit den Ergebnissen der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen wiederholt. Gerade dort, wo die Bundesregierung durch ihren Beitrag den Weg für das Gespräch mit den Staaten der Dritten Welt öffnen konnte, dort, wo es gelang, die Konfrontation zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern zu vermeiden, ist die Bundesregierung von der Opposition kräftig gescholten worden. Auch hier hat die Opposition offenbar übersehen oder will nicht erkennen, daß es nicht mehr möglich ist, isolierte nationale Politik zu treiben, sondern daß man die deutschen Interessen nur in die Gesamtinteressen der Europäischen Gemeinschaft einfügen kann, einer Gemeinschaft, der sich sonst auch die Opposition, jedenfalls in ihren Erklärungen, sehr verbunden fühlt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : In einer 20jährigen Politik!)

    Auch hier war der Kompaß der Opposition in die falsche Richtung — auf Alleingang — gestellt.
    Dieser Vorgang hat sich dann wiederholt, als die Bundesregierung im Rahmen des atlantischen Verteidigungsbündnisses den Abrüstungsvorschlägen in Wien zustimmte, einer Entspannungskonzeption, die im Einvernehmen mit den Partnern formuliert wurde. Im übrigen dürfte hier eine Verhandlungsstrategie entwickelt worden sein, die, wie die Informationen der letzten Tage zeigen, so erfolglos, wie die Opposition behauptet, offenbar nicht zu sein scheint. Die Opposition aber hat um den Preis der Kritik willen auch diesen Schritt gemeinsamer politischer Aktionen verurteilt.
    Meine Damen und Herren, bei der anstehenden Entscheidung über die Polen-Vereinbarungen ist



    Hoppe
    die Opposition offenbar entschlossen, ihre Neinsagerrolle konsequent weiterzuspielen. Die zweite Lesung und die Schlußabstimmung über das Rentenabkommen werden Gelegenheit geben, sich in der Sache noch einmal gründlich mit den Argumenten der Opposition auseinanderzusetzen. Aber schon hier und heute sei so viel gesagt: daß eine gescheiterte Vertragspolitik mit Polen die Bundesrepublik außenpolitisch unglaubwürdig, wenn nicht verhandlungsunfähig machen müßte.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Die Bundesregierung!)

    Die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat sollte deshalb sorgfältig prüfen, ob sie der Bundesregierung aus innenpolitischen Gründen tatsächlich ein Bein stellen will. Innenpolitisch aber würde eine solche Haltung die bestehenden Gegensätze verschärfen; ja, politische Gegnerschaft könnte in Feindschaft umschlagen. Was wir mit der konstruktiven Politik der Aussöhnung an schlimmer Vergangenheit in unseren außenpolitischen Beziehungen überwinden wollen, könnte uns dann für unsere innenpolitische Zukunft unheilvoll bevorstehen.
    Es bleibt also zu beklagen, daß die Opposition zwar kritisieren und nein sagen kann, aber keine in sich geschlossene politische Gegenkonzeption anzubieten vermag.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist aber schon origineller gesagt worden!)

    Meine Damen und Herren, wie wäre es um die Bundesrepublik heute bestellt, würde die Bundesregierung den Empfehlungen der Opposition folgen oder würde diese Bundesrepublik heute von der Opposition regiert,

    (Zustimmung bei der FDP und der SPD)

    und Sie würden, was kaum zu glauben ist, dann das tun, was Sie anderen raten? Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik wäre in Europa isoliert;

    (Zustimmung bei der FDP)

    in der Europäischen Gemeinschaft und im atlantischen Bündnis wäre sie als Störenfried ins Abseits geraten, und von dem Dialog mit der Dritten Welt, der den Nord-Süd-Konflikt überwinden soll, hätte sie sich selbst ausgeschlossen.
    Vor einer solchen Politik der Überschätzung der eigenen Möglichkeiten gilt es die Bundesrepublik zu bewahren. In die Isolierung dürfen wir uns durch eine an den Tagesinteressen orientierte Politik der Opposition nicht abdrängen lassen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sie meinen: der Regierung!)

    Nüchtern, realistisch und geduldig müssen wir Politik in Deutschland treiben — gerade wegen der Situation in unserem geteilten Land. Realpolitik ja, Isolationspolitik nein! Gerade für jene, die in der Opposition das Erbe Konrad Adenauers beschwören, sollte eine Erkenntnis endlich Geltung gewinnen, Geltung gewinnen für alle und damit auch für die Opposition selbst, jene Erkenntnis nämlich, nach der der erste Bundeskanzler dieser Republik
    zu handeln bereit war: Nichts ist gefährlicher für unser geteiltes Volk, für unser Land, als isoliert dazustehen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Böhm [Melsungen] [CDU/CSU] : Als Ihre Illusionen!)