Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ehe und Familie sind entscheidende Grundlagen unserer Lebens- und Gesellschaftsordnung. Sie gehören zu den Grundwerten, die in diesem Hause zwischen den demokratischen Parteien nicht streitig sind und nicht streitig werden dürfen. Daher bedaure ich so sehr, daß heute von der Opposition der Versuch gemacht wurde, in ihren Beiträgen diese Grundauffassung in Frage zu stellen.
Ich bedauere auch, daß der von mir sonst so sehr geschätzte Herr Kollege Mikat mit seinem merkwürdigen und offensichtlich auch nicht von ihm stammenden Wortspiel von der Kündbarkeit der Ehe und der Unkündbarkeit der Mieten das Niveau verlassen hat, das ihn ansonsten auszeichnet.
Er hatte allerdings auch eine schwierige Aufgabe, und sein Nachredner, der Kollege Lenz, hat das besonders deutlich werden lassen, nämlich die recht große Spannweite zwischen den Auffassungen innerhalb der Opposition durch seine Rede zu überbrücken. Und so hat er denn eine Sowohl-als-auchRede gehalten, bei der immer wieder versucht wurde, das eine Postulat mit der Berücksichtigung auch der anderen Erwägungen auszugleichen. Wo es dann aber nun wirklich hingehen sollte, hat der Herr Kollege Lenz mit seiner geschmacklosen Schlußapotheose deutlich gemacht, indem er sagte, dieses Gesetz sei — wie hieß es da? — frauenfeindlich, männerfeindlich, jugendfeindlich, volksfeindlich, und was noch? Meine Herren und Damen, dies ist unter dem Niveau dieses Hauses.
Wir sollten uns in dieser ernsten Materie nicht in solcherlei martialischen Ausdrücken ereifern.
Herr Kollege Mikat hat sehr wohl eine wichtige Problematik aufgezeigt: Wie können Gesetze moralisch normative Kraft mit gewissermaßen Unabdingbarkeit haben und auf der anderen Seite zugleich den persönlichen Bedürfnissen entsprechen? Darin
liegt ein echter Widerspruch. In solchem Widerspruch bezieht die Opposition leicht die Position, in dem Gesetz auf jeden Fall und um alles in der Welt zunächst einmal ein Sittenlehrbuch zu sehen, um durch Postulate die Jugend entsprechend zu unterweisen. Doch wird das problematisch, wenn sie gleich im selben Gesetz die Ausnahmen regelt und Abweichungen von dieser Norm legalisiert. Sehen Sie nicht, daß damit das von Ihnen aufgestellte normative Postulat moralischen Inhalts sofort wieder relativiert wird? Frau Kollegin Lepsius hat heute schon darauf hingewiesen.
Ein sehr wichtiger Beitrag schien mir der Hinweis von Herrn Mikat, daß unabhängig davon, was der Staat in seinen Gesetzen über die Ehescheidung zuläßt, die Frage nach der persönlichen Schuld der Ehepartner an der Ehescheidung bleibt und daß das nicht verwischt werden sollte mit dem Hinweis auf zufällige Schicksalhaftigkeit. Meine Herren und Damen, das ist sicherlich richtig, aber glauben Sie im Ernst, daß die bisherige Regelung, daß der Richter eine Schuld festsetzte, wirklich dem Bewußtsein persönlicher Schuld gerecht geworden ist?
Im Gegenteil; wir haben doch alle viele Briefe von denjenigen, die sich deswegen total unschuldig am Scheitern ihrer Ehe fühlen, weil sie vom Gericht nicht schuldig gesprochen worden sind, und das mitunter — das hat Herr Lenz ja mit schöner Offenheit eben gesagt —, weil man sich vorher über die Schuldfrage innerhalb der Ehe geeinigt hat. Wenn man die staatliche Gesetzgebung zum Maßstab des Gewissens macht, dann bringt das doch mit sich, daß der, der nun einmal nicht schuldig gesprochen worden ist, mit sehr großer Selbstrechtfertigung vor dem anderen steht und einklagt, was er glaubt, da einzuklagen zu haben.
Ich glaube, daß es der moralischen Wertung von Schuld gerechter wird, wenn wir sie nicht in die Hände von Richtern legen, die dabei gleichzeitig noch soziale Gesichtspunkte, nämlich des Unterhaltes, im Auge behalten müssen. Darum sollten wir trennen — das hat Herr Mikat ja richtig ausgesprochen — zwischen dem, was der Staat an normativer Bestimmung setzt, und dem, was wirklich nur zwei Menschen wissen können: wie sie nämlich in ihrem Leben miteinander auskommen. Wenn zwei Menschen so eng beieinander wohnen und alles miteinander tragen und auch gegeneinander auszuhalten haben, meine Damen und Herren, dann kann man nachher nicht fragen: Wer ist allein oder vorrangig schuld, wer hat angefangen mit der Zerrüttung oder mit dem Scheitern der Ehe? Da greift vieles ineinander: Schuld und Nichtschuld, Schicksal und äußere und innere Umstände. Meine Damen und Herren, wir wollen es nicht mehr in die Hände weltlicher Gerichte legen, darüber zu entscheiden und den einen frei und den anderen schuldig zu sprechen.
Ich hatte eigentlich nach der Rede von Herrn Mikat gemeint, daß dieses Verständnis bei der Opposition weitgehend Eingang gefunden hätte,
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1975 14459
Frau Funcke
im Gegensatz zu den Zeiten noch vor einigen Jahren, wo das sehr viel weniger der Fall war. Aber die Rede von Herrn Kollegen Lenz hat mich doch daran erheblich zweifeln lassen, denn er brachte eigentlich all das an Argumenten, was man auch vor fünf Jahren hier in diesem Hause bezüglich des formalen Rechtsinstituts der Ehe vorgebracht hat. Ist denn Ehe wirklich nichts anderes als eine Rechtskonstruktion,
an der man festhalten muß, weil es nun einmal eine Rechtskonstruktion ist? Oder ist Ehe nicht wirkliche Ehe nur dadurch, daß sich zwei Menschen verstehen, daß sie sich im Schicksal verbunden wissen und daß sie auch in schlechten Zeiten und wenn es einmal schwierig wird, versuchen, beieinander zu bleiben? Wenn das nicht mehr der Fall ist und über drei Jahre keine Gemeinschaft mehr besteht, meine Damen und Herren, dann hilft uns die rechtliche Klammer überhaupt nichts, und sie hilft schon gar nicht den Kindern.
Herr Lenz ist gerade gekommen. Schauen Sie, Herr Lenz, daß Kinder in einer zerrütteten Ehe, aus der ein Elternteil herausbricht, der andere aber einer Scheidung widerspricht, glückliche Kinder sind, das kann doch nun bei Gott kein Mensch behaupten. Im Gegenteil, die Gefahr ist doch — und wer von uns wüßte das nicht —, daß gerade in solchen Fällen der Ehegatte, der aus der Ehe heraus will, alle Mittel, die ihm nützlich zu sein scheinen, auch die seines Elternrechts über die Kinder, ausnutzt, um den Partner endlich zu dem gewünschten Ja zur Scheidung zu bringen. Wir kennen doch eine Menge von tragischen Fällen, wo die Kinder die Leidtragenden der ständigen Kämpfe der Eltern sind. Wenn Sie nun den Gesetzestext dahin abändern wollen, daß nicht das Scheitern der Ehe maßgeblich sein soll, sondern die „heillose Zerrüttung" der Ehe, meine Damen und Herren, dann zwingen Sie doch geradezu denjenigen, der die Scheidung will, sich so zu verhalten, daß das Verhältnis der beiden Ehegatten immer schlimmer wird. Sie zwingen ihn geradezu dazu, die „Heillosigkeit" herzustellen.
Was es für Kinder bedeutet, wenn sich die Eltern so heillos zerstritten haben, daß sie nicht mehr in ein vernünftiges Verhältnis miteinander kommen können — das scheint mir allerdings eine Frage zu sein, die das Familienverständnis betrifft. Nicht das auf dem Papier formal niedergelegte Verbundensein von Vater, Mutter und Kindern, nicht die Tatsache, ob der Trauschein formal noch gilt, sondern allein das menschliche Verhältnis zueinander und der Umgang der Familienglieder miteinander entscheiden über Nestwärme und Geborgenheit für das Kind.
Es ist doch unsere Sorge im Sinne der Familie: daß sie selbst dann noch Familie bleiben kann, wenn sie rechtlich nicht mehr verbunden ist. Wer kennt denn nicht die vielen Fälle, in denen die Eltern nachträglich um der Kinder willen zu einem vernünftigen Verhältnis zueinander finden, um den Zwiespalt ihrer Kinder so klein wie möglich zu halten? Das ist doch die Frage, um die es geht.
Ich glaube, wir sollten die Frage nach der Ehe nicht unter dem Gesichtspunkt des formalen Rechts oder des Gebots: du sollst, sondern allein unter dem Gesichtspunkt sehen: Wie sichern wir am besten das unmittelbare Zusammenleben der Eltern mit den Kindern? Das, was der Bundesjustizminister heute morgen, wie ich meine, sehr gut und überzeugend zu der Frage, was Familie für ein Kind bedeutet, gesagt hat, bleibt alles und wird von uns voll und ganz unterstrichen. Aber das kann doch alles seine Wirkung nur haben, wenn die innere Atmosphäre in der Ehe so ist, wie wir uns das als Voraussetzung für die Erziehung des Kindes vorstellen mögen. Diese Voraussetzung ist aber dort nicht gegeben, wenn täglich gestritten wird, um endlich den Tatbestand zu erfüllen, der die Scheidung begründet.
Herr Kollege Lenz hat uns nun eine sehr schön konstruierte oder besser: eine wenig schöne Geschichte erzählt. Da ging es um junge Eheleute, von denen der Mann auszieht und geschieden werden will, um möglichst schnell eine neue Familie zu gründen. Das klang sehr rührselig; wir waren auch sehr beeindruckt. Nur, Herr Lenz, mit der Lebenswirklichkeit stimmt sie doch nicht überein. Gerade weil wir sagen, nach drei Jahren ist der Tatbestand der Zerrüttung erfüllt, vermeiden wir, daß erst noch andere Zerrüttungstatbestände hergestellt werden, um endlich vor Gericht die Zerrüttung erkennbar und nachweisbar machen zu können. Gerade das, was Sie als einen formalen Tatbestand ansehen — nach einem Jahr gehe man her und mache die Zerrüttung bei Gericht aktenkundig, und dabei gebe ein Wort des andere —, entspricht ja nicht der Wirklichkeit. Der zeitliche Ablauf verhindert das, was Sie vermuten;
denn dann wird der Ehegatte eben die erforderliche Zeit warten, um die mit dem Nachweis der Zerrüttung vor dem Gericht verbundenen Unannehmlichkeiten zu vermeiden.
Im übrigen: Allein der Tatbestand, daß man eine Freundin hat, reicht nach unserer Vorstellung innerhalb der ersten drei Jahre für den Zerrüttungstatbestand wirklich nicht aus.
Auf Grund dieses Umstandes wird der Mann nicht geschieden, und deshalb wird er das auch gar nicht erst probieren; denn dazu müßten schon mehr Tatbestände dargelegt werden. Der Mann kann die Scheidung allerdings nach einer dreijährigen Trennung erreichen, d. h. unter Ausschaltung des unangenehmen und unzulänglichen Weges, der darin besteht, daß die Parteien ihren Streit vor dem Gericht austragen.
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