Rede von
Dr.
Carl Otto
Lenz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege, darauf komme ich sowieso noch zu sprechen.
Die Frau wird jetzt fragen, Herr Kollege Emmerlich: Wer schützt mich gegen die Untreue meines Mannes? Die Koalitionsparteien antworten ihr: Treue ist kein gesetzlicher Bestandteil der ehelichen Lebensgemeinschaft.
Die Frau wird fragen: Wer hilft mir gegen das Eindringen einer fremden Frau in die Ehe? Die Koalitionsparteien werden ihr antworten: Niemand kann dir da helfen.
Die Frau fragt: Steht denn nicht auch meine Ehe nach dem Grundgesetz unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung? Die Koalitionsparteien antworten ihr: Deine Ehe ist gescheitert. Gescheiterte Ehen genießen nicht den Schutz des Gesetzes. Sie können geschieden werden, wenn es ein Ehegatte beantragt.
Meine Damen und Herren, so sieht Ihr „humanes" Scheidungsrecht aus.
Glauben Sie wirklich, Herr Bundesminister der Justiz, daß diese Ehe mit einem Maximum an Anstand, ohne Gerichtskomödie und mit einem Mini-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1975 14435
Dr. Lenz
mum an Bitterkeit geschieden wird, vor allen Dingen dann, Herr Bundesminister der Justiz, wenn die Frau im Nachgang erfährt, daß sie auch noch die Hälfte der Kosten des Scheidungsverfahrens zu tragen hat?
Die Frau sagt nun: Wenn ich schon meine Ehe nicht retten kann, dann möchte ich wenigstens Unterhalt haben. Ich habe meinem Mann zuliebe gearbeitet, um meiner Familie einen besseren Lebensstandard zu ermöglichen. Deshalb habe ich die doppelten Belastungen von Beruf und Hausarbeit auf mich genommen und habe auf mein Kind weitgehend verzichtet. Jetzt, wo ich auf meinen Mann verzichten muß, möchte ich nicht mehr auf mein Kind verzichten. Ich möchte wissen, ob ich Unterhalt bekommen kann. — Die Antwort der Koalitionsparteien lautet: Unterhalt kannst du nur bekommen, wenn von dir wegen der Erziehung oder Pflege eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. In diesem Fall kann von dir Erwerbstätigkeit erwartet werden wie bisher. Du hast sogar mehr Zeit, wo du keinen Mann mehr hast.
Meine Damen und Herren, auch nach dem geltenden Recht sind solche Entscheidungen vorgekommen, obwohl die Frau grundsätzlich ein Recht hat, sich ganz den Kindern zu widmen, und sich auch der Mann nicht darauf berufen kann, daß die Frau daneben noch eine Erwerbstätigkeit haben könnte.
— Herr Kollege Arndt, die Feinheiten dieses Gesetzes sind Ihnen bei den Beratungen offenbar entgangen. Das liegt zum Teil auch an der „glasklaren" Formulierung; daran werden unsere Gerichte und Anwälte noch viel Spaß haben, wenn sie die Paragraphen in der Länge von fünf Schreibmaschinenseiten sehen.
Nun, meine Damen und Herren, streben der Bundesjustizminister und die Koalitionsparteien mehr Gerechtigkeit durch den Versorgungsausgleich an. Wer immer strebend sich bemüht, den soll man wenigstens loben, auch wenn manchmal die Bemühungen nicht sehr erfolgreich sind. Der Herr Bundeskanzler hat uns neulich ja erklärt, es komme gar nicht auf das Bemühen, sondern nur auf die objektiven Ergebnisse an. Schauen wir uns nun die objektiven Ergebnisse einmal an!
Ich bleibe immer noch bei meinem Arbeiterehepaar. Durch die Halbierung der während der Ehe erworbenen Rentenansprüche — so sagt der Bundesminister der Justiz — wird die Frau jetzt endlich so behandelt, als hätte sie mitverdient. Unser Facharbeiter hatte seine Rentenansprüche während der Ehe — er ist ja noch sehr jung, 25 Jahre, und nur kurz verheiratet, nämlich vier Jahre — um 87 DM steigern können. Diese Steigerung wird nach dem neuen Recht halbiert: Er kriegt die Hälfte und sie kriegt die Hälfte, jeder, auf den Pfennig ausgerechnet, 43,50 DM. Diese 43,50 DM, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden der Frau ausgezahlt, wenn sie selber einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder normalerweise wegen Alters hat. Die Frau, die in unserem Beispiel 22 Jahre alt ist, muß also noch zweimal so lange warten, bis sie alt wird, bis sie in den Genuß dieses „großen" Fortschritts kommt. Meine Damen und Herren, ob sie das sehr trösten wird, wage ich zu bezweifeln.
Frau Kollegin Lepsius, verglichen mit diesen Beträgen ist das, was Sie heute morgen als Minirente apostrophiert haben, nämlich 83 DM, das glatte Doppelte, und danach wären diese Renten ja wohl kaum mehr als Taschengeld zu qualifizieren, die Sie hier als soziale Sicherheit im Alltag auswerfen.
Meine Damen und Herren, nach geltendem Recht steht die Frau viel besser da. Sie braucht sich nämlich auf die Scheidung überhaupt nicht einzulassen. Sie konnte hoffen — und jetzt komme ich zu Ihrem Punkt, Kollege Emmerlich —, daß ihr Mann zu ihr und zu ihrem gemeinsamen Kind zurückkehrt. Kein Gericht konnte und durfte ihr diese Hoffnung rauben. Diese Frau hatte auch einen Anspruch auf Unterhalt
und hätte nach dem Tode des Mannes Anspruch auf 60 % seiner Rente gehabt. Das sind nach meiner Rechnung ungefähr 580 Mark. Jetzt bekommt sie 43,50 DM pro Monat. Wie sagte doch der Herr Bundesminister der Justiz: Dadurch wird die Hausfrau so behandelt, als hätte sie mitverdient.
Natürlich wird man mir antworten, sie hätte vor der Ehe gearbeitet, während der Ehe gearbeitet und müßte auch nach der Ehe noch arbeiten und habe daher einen eigenen Rentenanspruch erworben, der nun um 43,50 DM aufgestockt werde. Meine Damen und Herren von der Koalition, das mag so sein, aber in diesem Falle war sie auf die 43,50 DM nicht angewiesen, und sie wird den Eindruck haben, als wäre ihre Liebe und Mühe und Treue mit gar zu kleiner Münze vergolten worden.
Herr Bundesminister der Justiz, was ich hier geschildert habe, ist kein Extremfall. Das ist ein statistischer Häufigkeitsfall.
— Herr Kollege Emmerlich, das können Sie in den uns vorliegenden Statistiken nachschauen.
Der Fall zeigt genau, worauf es heute ankommt. Dieses neue Gesetz gibt dem treuen Ehegatten keinen Schutz. Es gibt den Kindern keinen Schutz vor Scheidung. Ein Ehegatte allein bestimmt, ob die Ehe dauern soll oder nicht. Kein Gericht und kein Ehegatte kann sich dem länger als dreieinhalb Jahre widersetzen. Die Ehe wird eine unverbindliche leicht scheidbare Gelegenheitsgesellschaft, die den ehetreuen Ehegatten weit weniger schützt als das Mietrecht den vertragstreuen Mieter.
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Da das Ihre Aufmerksamkeit so stark erregt hat, will ich zu dem Punkt doch noch einige Sätze sagen, die nicht in meinem Manuskript stehen.
— Ich sage Ihnen, Herr Kollege Emmerlich, die Produktion von Holzschrauben durch zwei Personen oder der Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes sind nach diesem Gesetz auf eine festere rechtliche Grundlage gestellt als die Pflege und Erziehung von Kindern. Daß das human, gerecht und familienfreundlich ist, können Sie erzählen, wem Sie wollen, aber uns nicht.
Ich komme auf den Punkt noch einmal zurück. Nehmen wir ein anderes Beispiel.
— Das Wort „katholisch" ist bisher nur von den Rednern der Koalition in den Mund genommen worden. Wir haben es nicht nötig, so häufig Bischöfe zu zitieren wie Sie.
Ein Ehepaar ist 24 Jahre verheiratet. Auch derartige Ehen werden noch geschieden, nicht so häufig wie die vorgenannten Fälle, aber doch auch noch in einer großen Häufigkeit. Nehmen wir an, er ist 59, sie ist 45. Sie verläßt ihn, um mit einem anderen Mann zu leben. Nach drei Jahren reicht sie die Scheidung ein. Die Ehe wird geschieden, weil die dreijährige Trennung unwiderlegbar die Vermutung des Scheiterns der Ehe begründet. Es kommt gar nicht darauf an, was der Mann dazu sagt; es wird geschieden. Nehmen wir an, er hat es im Laufe seiner langen Berufsjahre als Verwaltungsbeamter vom Assistenzanwärter bis zum Verwaltungsrat gebracht; nehmen wir an, er hat im Augenblick der Scheidung 45 Berufsjahre, davon 27 Jahre als Verheirateter und 18 als Unverheirateter, seine Frau war nicht berufstätig; nehmen wir an, er hat sich eine Pension von rund 2 100 DM erarbeitet: Jetzt wird seine Pension um 591 DM pro Monat gekürzt.
— Ja, darüber reden wir ja gerade, Herr Kollege Arndt. Das heißt, von einer normal zu erwartenden Pension von rund 2 100 DM erhält er noch rund 1 500 DM — und dies, Herr Kollege Dr. Arndt, obwohl er seiner Frau keinerlei Anlaß gegeben hat, ihn zu verlassen; sie ist einem anderen Mann nachgegangen.
— Lassen Sie mich weiterreden. Außerdem muß er ihr bis zum Eintritt des Rentenfalles Unterhalt zahlen, denn nach den Verhältnissen des Ehegatten und mit Rücksicht auf ihr Alter braucht die Frau nicht zu arbeiten.
Nach den Anträgen der CDU/CSU brauchte der Mann keinen Unterhalt und keinen Versorgungsausgleich zu zahlen, weil das grob unbillig wäre. Auch nach dem geltenden Recht hätte er seine Frau zwar nicht festhalten können, aber er hätte ihr weder Unterhalt zahlen noch einen Versorgungsausgleich gewähren müssen. Es entspricht diesem erbarmungslosen Recht, daß er auch noch die Hälfte der Kosten des Verfahrens zahlen muß. Glauben Sie wirklich, sehr geehrter Herr Minister, daß dieser Mann die Weisheit des Gesetzgebers begreifen wird und mit einem Minimum an Bitterkeit geschieden wird?
Durch die Regelung der Scheidungsfolgen ohne Rücksicht auf die Scheidungsursachen kommt ein nicht abwendbares finanzielles Risiko in die Ehe, das Schuldige wie Unschuldige gleichermaßen trifft.
Alles in allem wird dieses neue Recht zu einer Lockerung der Familienbeziehungen führen. Die Ehegatten wechseln die Partner, die Kinder wechseln die Eltern.
Die Bundesregierung spricht in diesem Zusammenhang von einer Verletzung des Erzeugerprinzips und prognostiziert, daß in der Zukunft Eltern in abnehmendem Maße leibliche Eltern sind. Kinder würden ihre Eltern nicht mehr ganz und gar selbstverständlich durch Geburt finden. Die Zahl der Stiefeltern, so wird gesagt, werde steigen. Das kann man im Familienbericht der Bundesregierung nachlesen.
Meine Damen und Herren, wir können nur hoffen, daß die Stiefeltern gute Stiefeltern sind — nicht böse Stiefeltern wie im Märchen — und daß sie sich um ihre Stiefkinder kümmern und sie nicht vernachlässigen. Sonst könnte die Folge der Entwicklung sein — meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß Sie dies wollen, aber die objektiven Tatsachen zählen —, daß eine steigende Zahl von Kindern in Kinderheimen aufwächst, daß mehr und mehr Jugendliche ohne ausreichende Betreuung aufwachsen und dann in Jugendstrafanstalten landen und mehr und mehr alte Leute vereinsamen und in Altersheimen leben, weil ihre Partner sie verlassen haben, um in den ungestörten Genuß der halbierten Rente zu kommen. Wir alle hoffen zweifellos, daß diese Entwicklung nicht eintritt, aber die Gefahr einer solchen Entwicklung ist nach dem Gesetz nicht von der Hand zu weisen.
Ich komme zum Schluß. Unsere Beispiele zeigen: Dieses Gesetz ist frauenfeindlich. Dieses Gesetz ist männerfeindlich. Dieses Gesetz ist familienfeindlich. Dieses Gesetz ist volksfeindlich. Deshalb darf es nicht in Kraft treten.