Ich möchte auf das eben von mir Gesagte zurückkommen, weil ich meine, daß ich diese Zusammenhänge gar nicht deutlich genug herausstellen kann. Die Individualisierung der Ehe und der Funktionsverlust der Familie sind historische Prozesse, die man nicht durch Wertbekenntnisse aus der Welt schafft. Ich sage das auch Ihnen, Herr Mikat, nach Ihrer Rede: Dies sind historische Prozesse, die man nicht durch Wertbekentnisse aus der Welt schafft. Dabei hat der wirtschaftliche Charakter der Ehe an Wirksamweit verloren, denn einer starken Personalisierung der Ehebeziehung von Menschen steht ganz unvermittelt die Funktionalisierung der Sozialordnung gegenüber. Dies sind zwei miteinander konkurierende und rivalisierende Prozesse der Gesellschafts-
und Sozialordnung, die nicht einfach wegleugnen können.
Es ist das große Verdienst dieser sozialliberalen Regierung, daß mit dem neuen Ehe- und Familienrecht und seinem Verfahrensverbund, mit dem neuen Unterhaltsrecht und den Regelungen für den Kindesunterhalt, vor allem aber mit dem neuen Rechtsinstitut des Versorgungsausgleichs, diese gegenläufigen Tendenzen wieder vermittelt werden. Die Solidarhaftung und der Versorgungsschutz des Eheverbandes kommen wieder in das Blickfeld der Ehepartner. Darum ist es ein zentrales rechtspolitisches Ziel dieser Reform, gerade bei langjähriger Ehe die wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkte wieder in den Vordergrund zu stellen und durch den Versorgungsausgleich den Vertrauensschutz der Ehepartner auf die Solidargemeinschaft der Ehebeziehung zu betonen.
Zwischen dem neuen Ehe- und Familienrecht, zwischen Scheidungsreform und Versorgungsausgleich besteht also ein unbedingter und kausaler Zusammenhang, der in dem Solidaritätsgebot der höchstpersönlichen Ehebindung gründet. Dies sagen wir Sozialdemokraten unseren Kritikern, Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, und jenen, die sowohl in diesem Haus wie draußen im Lande in leichtfertiger und unangemessener Polemik uns die Abwertung der Ehe als Institution anhängen wollen, die von der „einseitigen Aufkündigung der Ehe", vom „Verstoßungsprinzip", vom „Kalenderprinzip", ja selbst von der „Aushöhlung des Grundgesetzes" sprechen, um mit dieser gedanklichen
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Kette gegen die sozialliberale Koalition den kardinalen Vorwurf der Wertezerstörung von Ehe und Familie zu schleudern.
Das vorliegende Eherechtsreformgesetz macht derartige Angriffe objektiv gegenstandslos; es macht ihren rein polemischen und irreführenden Charakter offensichtlich.
Denn was ist Ehe nach diesem Gesetz? Ehe ist das, was sie immer war: eine auf Dauer geschlossene, sehr persönliche Beziehung zwischen Menschen, deren Inhalt gesetzlich nicht bestimmt, deren Form aber rechtlich gesichert ist. Wer eine Ehe eingeht, begibt sich in eine Vertrauens- und Solidarbindung. Lösen kann er diese Bindung nur, wenn der andere Ehepartner in seiner sozialen Existenz gesichert ist. So gesehen bedeutet die Einführung des Versorgungsausgleichs allerdings eine sehr ernstzunehmende wirtschaftliche Auffüllung der Ehe als Wirtschafts- und Solidargemeinschaft.
Das heutige Ehescheidungs- und Scheidungsfolgenrecht ist den Ehe- und Lebensverhältnissen unangemessen. Es hat einen Strafcharakter, der inhuman und dazu noch endgültig ist.
Es moralisiert menschliches Verhalten und verdeckt soziale Notstände mit rechtlichen und moralischen Sanktionen, deren Folgen sich vor allem für Frauen skandalös auswirken. Je nach Moralzensur verteilt es einen Scheidungsbonus oder -malus, verteilt die sozialen Risiken ungleich, trifft Frauen und Kinder härter, macht es den Ehepartnern an vielen Stellen zu leicht und an den falschen Stellen viel zu schwer; denn nach dem Prinzip moralischen Verschuldens legt es einen Schuldner fest, demgegenüber ein Geschädigter Versorgungsansprüche geltend machen könnte. Freilich sind dies nur Ansprüche, nicht aber auch eine tatsächliche Versorgung.
Uns Sozialdemokraten geht es also nicht um eine Erleichterung der Ehescheidung, sondern es geht uns darum, die sozialen Folgen der Ehescheidung im Sinne einer ausgewogenen Solidarhaftung und Risikoverteilung neu zu regeln; denn eine Scheidungsfolgenregelung muß es Männern wie Frauen gleichermaßen ermöglichen, sich aus einer zerrütteten Ehe zu lösen und nicht den einen oder anderen Ehepartner wegen der sozialen Folgen an eine zerbrochene Ehe zu ketten.
Meine Damen und Herren, der Versorgungsausgleich steht im Zusammenhang mit der Verwirklichung der ehelichen Partnerschaft im sozialen Bereich. Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet er in der ehelichen Lebensgemeinschaft als einem der in Art. 6 des Grundgesetzes geschützten Strukturprinzipien der Ehe. Der Versorgungsausgleich entspricht auch dem heutigen Verständnis von der Ehe als einer Verbindung zweier gleichberechtigter Ehepartner, denn wenn die Leistungen der Ehegatten auf Grund der vereinbarten Arbeitsteilung als gleichwertig anerkannt werden, beruhen auch die
in der Ehe erworbenen Versorgungsanwartschaften auf der gemeinsamen Lebensleistung beider Eheleute.
Insofern ist es nur folgerichtig, daß beim Zusammenbruch einer Lebensgemeinschaft beide Ehegatten an dieser sozialen Sicherung gleichmäßig zu beteiligen sind.
Mit dem Versorgungsausgleich wird die völlig unzulängliche soziale Sicherung der Frauen im Falle der Scheidung auf festere Füße gestellt. Die Bundesregierung hatte in ihrer ersten Regierungserklärung 1973 herausgestellt, daß sie den Versorgungsausgleich als einen ersten Schritt zu einer langfristigen Neuordnung der eigenständigen sozialen Sicherung der Frau ansieht. Ich halte es für notwendig, diese langfristige gesellschaftspolitische Perspektive des neuen Rechtsinstituts Rentensplitting im Versorgungsausgleich für die vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bis 1984 geforderte Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung
und den Zusammenhang mit einer eigenständigen sozialen Sicherung der Frau noch einmal zu unterstreichen.
— Es geht um Männer und Frauen in dieser Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung.
— Sie verstehen zu wenig davon, Herr Kollege.
Meine Fraktion hat die Problemlage außerordentlich ernst genommen. Sie hat 1973 eigens eine Arbeitsgruppe von Sozialpolitikern und Rechtspolitikern im Arbeitskreis „Sozialpolitik" eingesetzt, deren Beratungsergebnisse Eingang in die Vorlage des Arbeits- und Sozialausschusses gefunden haben. Die Beschlüsse des Arbeitsausschusses sind Grundlage der vom Rechtsausschuß verabschiedeten Regelungen zum Versorgungsausgleich geworden. Sicherlich ist es mir gestattet, nach den gründlichen Beratungen dieser sehr komplizierten Materie festzuhalten, daß in dieses Gesetz einige Anregungen aus dem öffentlichen Hearing im Sommer dieses Jahres, Anregungen der Opposition und auch des Bundesrates Eingang gefunden haben. Dabei wurde die Regierungsvorlage in ihrer ursprünglichen Fassung in vielerlei Hinsicht entscheidend verbessert.
Erstens konnten wir davon absehen, für eine Übergangszeit bis 1980 eine lediglich schuldrecht-
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liche Regelung des Versorgungsausgleichs einzuführen, die zu sehr willkürlichen, ungerechten und
unbilligen Ergebnissen für die Frauen geführt hätte.
Zweitens ist der Versorgungsausgleich jetzt durchgängig öffentlich-rechtlich ausgestaltet.
Drittens sind in dem Bereich, in dem der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich zu wirtschaftlich unbefriedigenden Ergebnissen hätte führen können, unter engen Voraussetzungen Vereinbarungen und Abweichungen von der Regel zugelassen.
Diese Verbesserungen bringen mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Sie werden insgesamt dazu führen, daß der sozial Schwächere — in der Regel noch immer die Frau — erstmals sozial besser gestellt wird und auch im Sozialrecht gerechter behandelt wird. Wir haben es dabei mit zwei Gesetzen zu tun: dem Ersten Eherechtsreformgesetz, das die materiellen Regelungen über den Versorgungsausgleich enthält, und dem Gesetzentwurf zur Änderung beamtenversorgungsrechtlicher Vorschriften, das die beamtenrechtlichen Folgeänderungen wiedergibt.
Nach dem bewährten Zugewinnprinzip werden im Versorgungsausgleich alle von den Ehepartnern in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanwartschaften wegen Alters, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gegenübergestellt, ausgeglichen und die Wertdifferenz dem Ehepartner mit dem geringeren Konto gutgeschrieben. Der Ausgleich findet grundsätzlich in der gesetzlichen Rentenversicherung statt. Wichtig ist dabei, daß alle vor der Eheschließung erworbenen Anwartschaften auf die soziale Sicherung der Ehepartner jedem getrennt verbleiben. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für alle nach der Scheidung erworbenen Anwartschaften.
Durch diese neue Regelung wird erstmals erreicht, daß auch die nicht berufstätige Hausfrau, also vor allem die Mutter, die wegen der Erziehung kleiner Kinder nicht erwerbstätig ist, eigene Ansprüche an die in der Ehe erworbene soziale Sicherung erwirbt, weil die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bei Ehescheidung auseinandergebrochen ist. Im Falle der Scheidung erhält sie also ihr eigenes Rentenkonto. Da Frauen nach der Ehescheidung in weitem Umfang wieder erwerbstätig werden — es sind 84 % der geschiedenen Frauen ohne Kinder und noch über 70 % der geschiedenen Frauen mit kleinen Kindern, die erwerbstätig sind —, trägt diese Sockelsicherung dazu bei, daß aus eigener Erwerbstätigkeit und Versorgungsausgleich eine ausreichende Altersversorgung aufgebaut werden kann. Ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Scheidung hingegen nicht möglich, dann sind die Beiträge für eine Alterssicherung Bestandteil des Unterhaltsanspruches.
Es ist das Verdienst dieser sozialliberalen Bundesregierung, daß dieses Eherechtsreformgesetz mit der sozialen Ungleichbehandlung von Männern und Frauen aufräumt und erstmals Elemente einer eigenständigen sozialen Sicherung der geschiedenen Frauen im Versorgungsausgleich verankert hat.
Denn was wird sich alles ändern? Erstmals ist auch die geschiedene nicht erwerbstätige Frau durch Leistungen im Falle der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit und im Alter geschützt. Erstmals hat sie einen Anspruch auf Rehabilitationsleistungen. Erstmals steht der geschiedenen Frau für die Erziehung waisenrentenberechtigter Kinder eine Erziehungsrente zu, wenn wegen des Todes des geschiedenen Mannes der Unterhalt für die Kinder weggefallen ist. Erstmals wird mit dieser Erziehungsrente eine außerordentlich begrüßenswerte Neuerung eingeführt, die, neben der Halbwaisenrente gewährt, einen zukunftsweisenden Regelungscharakter für eine eigenständige soziale Sicherung der Frau hat. Erstmals wird sich auch die Situation von Halbwaisen gegenüber der Mutter in der Weise verändern, daß sie nach dem Tode der Mutter und aus deren Konto eine eigene Halbwaisenrente beziehen.
Mit der Einführung des Versorgungsausgleichs im Falle der Scheidung wird künftig die abgeleitete Geschiedenenwitwenrente entbehrlich; denn mit dem Versorgungsausgleich sind wir dem langfristigen gesellschaftspolitischen Ziel einer eigenständigen, vom Ehemann unabhängigen sozialen Sicherung der Frau wenigstens im Ehescheidungsfall nähergekommen.
Nun sind gegen den Versorgungsausgleich eine Reihe massiver Vorwürfe erhoben worden, mit denen ich mich jetzt noch etwas auseinandersetzen möchte, nämlich die Einwände, daß der Versorgungsausgleich zur Halbierung von Renten führen werde, daß er im Extremfall Minirenten produziere und insgesamt zu kompliziert und nicht durchführbar sei. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hierzu folgendes feststellen.
Erstens. Heute, nach dem geltenden Recht, nimmt der geschiedene Mann bei einer Scheidung seine volle Altersversorgung mit. Geschiedene Frauen hingegen, die während der Ehe nicht oder nur kurz erwerbstätig waren, sind bei Invalidität und im Alter entweder gar nicht oder nur durch eine kleine eigene Rente geschützt.
Ich frage mich: Wie konnten wir es überhaupt verantworten, daß nur 4 v. H. der Frauen eine abgeleitete Geschiedenenwitwenrente erhalten?
Ich frage mich: Wo ist denn da die von Ihnen, Herr Professor Mikat, zitierte Einzelfallgerechtigkeit gewesen?
Was sind das überhaupt für Renten, wenn im Durchschnitt die kleine Geschiedenenwitwenrente 82 DM und die große Geschiedenenwitwenrente rund 300 DM beträgt? Meine, die sozialdemokratische Fraktion nennt diese Renten Minirenten; das sind nämlich die berüchtigten Minirenten.
— Herr Thürk, das sind und bleiben Minirenten,
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weil den geschiedenen Frauen bei der Berechnung ihres Altersruhegeldes die Ehejahre fehlen.
Dies wird. sich künftig ändern.
Zusätzlich zur Diskriminierung der Frauen in der Berufsausbildung, zur Benachteiligung im Sozialrecht und zum Chancenverlust, den Frauen in ihrer beruflichen Laufbahn durch Haushalt und Kindererziehung erleiden, tritt ihre soziale Diskriminierung bei der Hausfrauenarbeit als einer unbezahlten, nichtversicherungspflichtigen Tätigkeit.
Die soziale Lage geschiedener Frauen konnte also schlimmer gar nicht sein. Ihr Anteil an Sozialhilfeempfängern ist überaus hoch, ihre Alterssicherung höchst mangelhaft, ihre Ansprüche aus langjähriger Ehe sind gleich null, weil das, was in gemeinsamer Lebensleistung von Eheleuten in der Ehe an Ansprüchen auf die Alterssicherung erworben wird, dem Mann in vollem Umfang verbleibt.
Zweitens. Gegenüber dem geltenden Recht führt der Versorgungsausgleich in der großen Mehrzahl der Fälle zu einer erheblichen Verbesserung für die geschiedenen Frauen. Auch dem geschiedenen Ehemann muß die Veränderung des sozialen Besitzstandes mit Blick auf die Aufgabenteilung in der Ehe sozial gerecht und ausgewogen erscheinen. Da zudem der geschiedene Ehepartner, der im Versorgungsausgleich Anwartschaften an den anderen Partner abtritt, das Recht erhält, sein Rentenkonto in alter Höhe wieder aufzustocken, können wir generell davon ausgehen, daß diese Regelung nicht zu Härtefällen führen wird.
Freilich zwingt die Wiederaufstockung des alten Rentenkontos zu vorübergehendem Konsumverzicht. Doch das ist keine Härte angesichts der großen Versorgungsdefizite, die eine nichterwerbstätige Hausfrau und vor allem Mütter im Fall einer Scheidung heute hinnehmen müssen.
Drittens. Durch den Versorgungsausgleich werden Renten auch nicht halbiert, sondern in der Ehe gemeinsam erworbene Anwartschaften auf die Alterssicherung ausgeglichen. Da in der Regel das Arbeitsleben mit der Ehezeit nicht deckungsgleich ist, da in der Regel Männer durch lange Berufsausbildungszeiten, durch lange Versicherungszeiten vor der Ehe über ein dickes Versicherungspolster verfügen, wirkt sich auch der Versorgungsausgleich nicht so erheblich aus, wie so gerne in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Hinzu kommt auch, daß über 50% der Ehescheidungen bereits in den ersten sieben Ehejahren und nur 4 % der Ehescheidungen nach 26 und mehr Ehejahren erfolgen. Dadurch wird der Unterschied zwischen den auszugleichenden Versorgungswartschaften ohnehin vermindert.
Viertens. Lassen Sie mich jetzt noch an einigen dramatisierten Beispielen einige klärende Bemerkungen anknüpfen. Ich greife das Kaltenbachsche Beispiel auf, das im öffentlichen Hearing eine Rolle gespielt hat, wo der Mann gegen den dicken Baum fährt. Also: der Mann verläßt Frau und Kinder, es kommt zur Scheidung und zum öffentlich-rechtlich durchgeführten Versorgungsausgleich. Die Frau hat für ihre Kinder einen Unterhaltsanspruch. Ein Jahr nach der Scheidung wird der Mann Invalide. Es tritt also ein Versorgungsfall mit der Wirkung ein, daß der Mann der nichterwerbstätigen geschiedenen Frau keinen Unterhalt mehr leisten kann.
Mit diesem Fall will wohl die CDU jetzt die Bürger verkohlen, denn unter dem Regenschirm ihrer patriarchalischen Gesinnung
tut sie so, als ob geschiedene Ehemänner ihre geschiedene Ehefrauen bestens versorgen und somit beschützen würden.
— Wir haben im Hearing genügend gehört. — Dies mag sicherlich für einige Fälle zutreffen. Die Realität im Lande sieht aber ganz anders aus: Nur ein Viertel, nämlich 25 °/o aller anspruchsberechtigten Frauen erhalten überhaupt Unterhaltsleistungen. Vom idealtypischen patriarchalischen Versorgungs-
und Alimentierungsdenken sind wir also in der gesellschaftlichen Wirklichkeit sehr weit entfernt. In der Regel stellen sich ja geschiedene Frauen auf den Boden dieser Tatsachen und stehen selbst ihren Mann, wann immer ihnen dies möglich ist. Grundsätzlich ist das normale Arbeitnehmereinkommen eben nicht ausreichend, um davon zwei Familien zu ernähren.
Dies heißt also nichts anderes, ob nun mit Scheidung oder ohne Scheidung: bei der Masse der Arbeitnehmerbevölkerung wird die Frühinvalidität eines Ehemannes zur Erwerbstätigkeit der Frau oder eben zum Sozialamt führen. Dies ist im geltenden Recht so, und dies kann auch im künftigen Recht so sein, allerdings mit sehr veränderten Grundlagen. Auch heute ist kaum zu vermuten, daß ein geschiedener Ehemann bei vorzeitiger Invalidität in der Lage wäre, seiner ersten Familie, der geschiedenen Frau und den Kindern aus erster Ehe, und seiner zweiten Familie Unterhalt zu leisten.
Problematischer kann es für die Frau im Alter von 50 bis 60 Jahren werden, wenn nach der Scheidung, nach Versorgungsausgleich und Wiederheirat der Mann zum Frührentner wird. Hier kann der Fortfall von Unterhalt mangels Leistungsfähigkeit, wie wir es heute bereits unter dem geltenden Recht erleben, in der Tat die geschiedene Frau hart treffen. Aber wieviel besser wird künftig ihre Rechtsposition! Künftig haben diese geschiedenen und unter-
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haltsberechtigten Frauen ihr eigenes Rentenkonto für den Fall der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit und für das Alter. Grundsätzlich wird die ältere Frau damit erheblich bessergestellt und rentenrechtlich besser geschützt. Dabei ist es nur selbstverständlich, daß sie versicherungsrechtlich nicht anders behandelt werden kann als alle anderen Versicherten auch, daß also auch für sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug von Berufs-, Erwerbsunfähigkeitsoder Altersrente gelten müssen.
Lassen Sie mich am Beispiel eines Rentnerehepaares schließlich noch die Wirkungen des Versorgungsausgleichs verdeutlichen. In diesen Fällen wird der Versorgungsausgleich im Verbund mit dem neuen Ehescheidungsrecht dazu führen, daß sich jeder der beiden Ehepartner die ökonomischen Konsequenzen einer Ehescheidung sehr genau überlegt. Eine leichtfertige Scheidung wird es dann gewiß nicht mehr geben.
Merkwürdig in diesem Zusammenhang ist allerdings, daß gerade Kritiker, die so gern von der drohenden Verstoßungsscheidung sprechen, uns in diesem Fall die Wiedereinführung des katholischen Prinzips der Unauflöslichkeit der Ehe unterstellen. An diesem Fall wird freilich die einseitige Privilegierung des Mannes unter heutigem Recht deutlich. Ohne Einbußen an seinen sozialen Besitzständen zu erleiden, kann er den Fluchtweg aus einer langwährenden Ehe, aus einer 30- oder 40jährigen Ehe antreten. Umgekehrt haben alte Frauen unter dem geltenden Recht nur eine Waffe: das Widerspruchsrecht. Sie müssen also, um im Alter wirtschaftlich versorgt zu sein, auch demütigende und menschlich unwürdige Situationen ertragen.
Dies wird nun freilich anders, denn auch die ältere Frau gewinnt durch den Versorgungsausgleich an Freiheit, die bislang nur dem älteren Mann vorbehalten war. An einer sinnentleerten und unwürdigen Ehe muß sie nicht unbedingt festhalten, nur um im Alter versorgt zu sein.
Auch dies ist ein Stück mehr Gleichberechtigung, die es Menschen ermöglichen wird, mit sozial ausgewogeneren Chancen und mit weniger Angst auch im Alter zu leben.
Das ist eine sehr nachdenkliche Rede, Herr Thürk. Sie sollten auch etwas mehr nachdenken.
Meine Damen und Herren, an diesen Beispielen wird deutlich, welche sozialen Probleme dieser Reform zugrunde liegen. Mit der Einführung des Versorgungsausgleichs haben wir einen institutionellen Modernisierungsschritt getan, der die Frauen aus ihrem sozialrechtlichen Schattendasein herausführen wird. Wie irreführend sind da doch die Angriffe
der Opposition gegen diese Reformpolitik der Koalition! Wie irreführend ist auch der Hinweis auf modische Verbeugungen. Die Status-quo-Fixierung Ihrer Argumentation, meine Damen und Herren von der Union, ist unhistorisch, gegenwartsblind und zukunftslos,
denn ohne exakte Darstellung der Strukturbedingungen sozialer Lebensverhältnisse bleibt Ihr Rückgriff auf vermeintlich bedrohte Werte kurzschlüssig und ohne Willen zur Bewahrung durch Veränderung.
Das neue Ehe- und Familienrecht strebt ausgewogene und sozial gerechte Lösungen an, die den Lebensbedingungen unserer Gesellschaft seit der Industrialisierung, also seit rund 150 Jahren, gerecht werden sollen. An die Stelle von Hilfskonstruktionen, Fiktionen und falschen Moralisierungen treten rechtliche Regelungen, die die widersprüchlichen Ordnungsprinzipien unserer Gesellschaft zu vermitteln suchen.
Dies, meine Damen und Herren, ist ein ernstes Gesetz. Wir Sozialdemokraten erwarten von ihm, daß es dem einzelnen Bürger und der Gesellschaft als Ganzes mehr menschliche Würde und mehr soziale Gerechtigkeit gewährt. Diese Reform ist ein Bestandteil des beständigen Modernisierungsprozesses unserer institutionellen Lebensordnung, den die Sozialdemokraten gemeinsam mit den Freien Demokraten durchsetzen werden — auch weiterhin.