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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 204. Sitzung Bonn, Freitag, den 28. November 1975 Inhalt: Nachruf auf den früheren Abgeordneten und Bundesminister Storch 14133 A Erweiterung der Tagesordnung 14133 D Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 14134 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . . 14134 B Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Einsetzung eines Sonderausschusses — Drucksache 7/4333 14135 A Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau — Drucksache 7/4334 — Waltemathe SPD 14135 B Dr. Jahn (Münster) CDU/CSU 14136 C Beratung des Ersten Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (Haushaltsstrukturgesetz) — Drucksache 7/4359 — Höcherl CDU/CSU 14138 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. April 1959 zur Errichtung der Interamerikanischen Entwicklungsbank — Drucksache 7/4315 — 14139 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes — Drucksache 7/4179 —, Bericht und Antrag des Innenausschusses — Drucksache 7/4347 — 14139 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Grundsätze der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik der Bundesregierung — Drucksachen 7/3656, 7/3805, 7/3907 — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1975 Beratung des Zweiten Berichts der Bundesregierung zur Entwicklungspolitik und der zweiten Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption — Drucksache 7/4293 — Wawrzik CDU/CSU . . . . . . . . . 14139 D Dr. Holtz SPD 14142 B Schleifenbaum FDP . . . . . . . . 14145 B Roser CDU/CSU 14150 B Stahl (Kempen) SPD 14153 B Werner CDU/CSU 14156 D Bahr, Bundesminister BMZ . . 14159 D, 14185 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU . . . 14166 A, 14186 A Schluckebier SPD 14172 C Zywietz FDP 14174 D Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU . . . 14177 D Peiter SPD . . . . . . .. . . . . 14182 A Wehner SPD 14185 D Reddemann CDU/CSU 14186 B Präsident Frau Renger 14186 C Nächste Sitzung 14186 D Anlagen Anlage I Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 14187* A Anlage 2 Herkunft sogenannter Kohlezuschüsse und deren Rückstellung durch die Preussag MdlAnfr A63 21.11.75 Drs 07/4322 Westphal SPD MdlAnfr A64 21.11.75 Drs 07/4322 Westphal SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . . 14187* D Anlage 3 Verlängerung der Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen ausländischer Arbeitnehmer in der deutschen Gastronomie MdlAnfr A75 21.11.75 Drs 07/4322 Rollmann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Buschfort BMA . . . . 14188* B Anlage 4 Gutachten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft über die künftige Entwicklung der Arbeitsplätze in der Elektrotechnik, der Feinmechanik und der Schuh- und Textilindustrie SchrAnfr B30 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Schwörer CDU/CSU SchrAnfr B31 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Schwörer CDU/CSU SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . . 14188* C Anlage 5 Meldungen über finanzielle Stützungsmaßnahmen der Ruhr-Kohle AG sowie Bereitschaft der Bundesregierung zur Gewährung steuerlicher Erleichterungen auch für die übrige Wirtschaft SchrAnfr B33 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Schwörer CDU/CSU SchrAnfr B34 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Schwörer CDU/CSU SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . . 14189* B Anlage 6 Milderung der gesundheitlichen Auswirkungen des Zigarettenrauchens bei filterlosen Zigaretten SchrAnfr B59 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Blüm CDU/CSU SchrAntw PStSekr Zander BMJFG . . . . 14189'D Anlage 7 Konsequenzen aus den Untersuchungen über das Absinken der Sterblichkeit durch Herz- oder Kreislaufversagen bei Ansteigen des Wasserhärtegrades SchrAnfr B60 21.11.75 Drs 07/4322 Schröder (Wilhelminenhof) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Zander BMJFG . . . . 14190* A Anlage 8 Thema, Auflage und Kosten der Publikation des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit als Beilage der „Münchener Post" SchrAnfr B61 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Wittmann (München) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Zander BMJFG . . . . 14190* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1975 14133 204. Sitzung Bonn, den 28. November 1975 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Prof. Dr. Abelein 28. 11. Dr. Achenbach * 28. 11. Adams * 28. 11. Dr. Ahrens ** 28. 11. Dr. Aigner * 28. 11. Alber ** 28. 11. Amrehn 28. 11. Anbuhl 28. 11. Dr. Artzinger * 28. 11. Dr. Bayerl 28. 11. Dr. Becher (Pullach) 28. 11. Behrendt * 28. 11. Dr. von Bismarck 28. 11. Blumenfeld *** 28. 11. Prof. Dr. Burgbacher 28. 11. Dr. Corterier * 28. 11. Frau Däubler-Gmelin 28. 11. Dr. Dollinger 28. 11. Entrup 28. 11. Dr. Eppler 28. 11. Dr. Evers 12. 12. Fellermaier * 28. 11. Frehsee * 28. 11. Gewandt 12. 12. Gerlach (Emsland) 28. 11. Graaff 12. 12. Dr. Gradl 28. 11. Handlos 28. 11. Härzschel * 28. 11. Höcherl 28. 11. von Hassel 28. 11. Huonker 28. 11. Dr. Jahn (Braunschweig) * 28. 11. Dr. Kempfler 28. 11. Kiechle 28. 11. Dr. Klepsch *** 28. 11. Köster 28. 11. Freiherr v. Kühlmann-Stumm 28. 11. Krall * 28. 11. Dr. Lohmar 28. 11. Lücker * 28.11. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 28. 11. Müller (Mülheim) * 28. 11. Orgaß 28. 11. Frau Dr. Orth 28. 11. Pawelczyk 28. 11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. RiChter ** 28. 11. Schmidt (München) * 28. 11. von Schoeler 28. 11. Dr. Schröder (Düsseldorf) 28. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schwabe 28. 11. Dr. Schwörer * 28. 11. Seibert 28. 11. Seefeld * 28. 11. Simon 28. 11. Springorum * 28. 11. Dr. Starke (Franken) 28. 11. Tillmann 28. 11. Vahlberg 28. 11. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 12. 12. Walkhoff * 28. 11. Dr. Wallmann 28. 11. Walther 5. 12. Frau Dr. Walz * 28. 11. Dr. Warnke 28. 11. Dr. von Weizsäcker 4. 12. Dr. Wex 28. 11. Dr. Wittmann (München) 5. 12. Frau Dr. Wolf ** 28. 11. von Wrangel 28. 11. Wurbs 28. 11. Wuttke 28. 11. Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Westphal (SPD) (Drucksache 7/4322 Fragen A 63 und 64) : Welche „Kohlezuschüsse" sind gemeint, wenn die Preussag in ihrem Bericht von der Hauptversammlung 1975 schreibt: „Von den vereinnahmten Kohlezuschüssen von 60 Millionen DM haben wir 58,5 Millionen DM für den Ausgleich zukünftiger Kohleverluste zunächst in einen Sonderposten mit Rücklageanteil eingestellt, um den Selbstbehalt der Preussag, der von den Zuschußgebern ausbedungen worden ist, bereits im Jahr 1974 zu realisieren." (Preussag-Zeitschrift Nr. 53/1975, Seite 9)? Ist es mit der Bundeshaushaltsordnung und einschlägigen Richtlinien für die in diesem Fall betroffenen „Kohlezuschüsse" vereinbar, daß die Preussag beträchtliche öffentliche Mittel nicht im Jahr der Bewilligung verausgabt, sondern diese in einen Sonderposten mit Rücklageanteil einstellt, so daß ihr dadurch Zinsgewinne zuwachsen, die dem öffentlichen Zuwendungsgeber entgehen? Zu Frage A 63: Um den Weiterbetrieb der Steinkohlenbergwerke Ibbenbüren zu ermöglichen, hat die Bundesregierung der Preussag AG im Oktober 1974 einen bedingt rückzahlbaren Zuschuß von 60 Millionen DM gewährt, von denen 1974 40 Millionen DM ausgezahlt wurden. Das Land Nordrhein-Westfalen gewährte einen Zuschuß von weiteren 30 Millionen DM und zahlte hiervon 1974 20 Millionen DM aus. Diese Zuschüsse sind zum teilweisen Ausgleich der Verluste bestimmt, die der Preussag AG in den Jahren 1974-1977 durch den Weiterbetrieb der Steinkohlenbergwerke Ibbenbüren, insbesondere infolge der für diesen Weiterbetrieb notwendigen erheblichen Investitionen, entstehen. Die über die Zuschüsse hinausgehenden Verluste hat die Preussag AG selbst zu tragen; mindestens jedoch 48,9 Millionen DM. Eine endgültige Abrechnung erfolgt nach Ablauf des Jahres 1977. 14188* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1975 Zu Frage A 64: Die von der Preussag AG gewählte bilanztechnische Verbuchung der 1974 gezahlten Zuschüsse der öffentlichen Hand ändert nichts daran, daß im Jahre 1974 in Ibbenbüren beträchtliche Verluste entstanden sind und in Zukunft entstehen werden. Die in der Zeit bis 1977 insgesamt zu erwartenden Verluste werden im übrigen sogar noch weitaus höher sein, als bei der Zuschußgewährung angenommen. Die Bilanzierung als solche sagt noch nichts darüber aus, inwieweit der Preussag AG im Zusammenhang mit der Gewährung der Zuschüsse Zinsvorteile zuwachsen. Zinsvorteile können nur dann entstehen, wenn der in einem Kalenderjahr ausgezahlte Zuschuß höher ist als die in diesem Jahr eingetretenen Verluste in Ibbenbüren. Da derartige Zinsvorteile bei der Bemessung der Höhe des Gesamtzuschusses berücksichtigt worden sind, steht die Zuschußgewährung mit den Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung in Einklang. Die Zuschüsse sind nicht aufgrund eines allgemeinen Förderprogrammms im Rahmen von Richtlinien, sondern als Einzelmaßnahme aufgrund eines gesonderten Haushaltstitels zugesagt worden. Zweckbestimmung und Erläuterungen dieses Titels wurden beim Erlaß des Zuwendungsbescheides voll eingehalten. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Rollmann (CDU/CSU) (Drucksache 7/4322 Frage A 75) : Ist es richtig, daß selbst dann die Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen von ausländischen Arbeitnehmern in der deutschen Gastronomie wegen der herrschenden Arbeitslosigkeit nicht verlängert werden, wenn die Gastronomen zur Verlängerung der Arbeitsverträge für diese ausländischen Arbeitnehmer bereit sind und nach wie vor kaum deutsche Arbeitskräfte für das gastronomische Gewerbe bekommen können? Nach § 19 des Arbeitsförderungsgesetzes bedürfen Ausländer zur Ausübung einer Beschäftigung im Bundesgebiet grundsätzlich einer Arbeitserlaubnis. Diese wird nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles erteilt. Arbeitserlaubnisfrei sind Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften. Ausländischen Arbeitnehmern, die ununterbrochen fünf Jahre lang eine unselbständige Tätigkeit rechtmäßig im Bundesgebiet ausgeübt haben oder mit einem Deutschen verheiratet sind, wird die Arbeitserlaubnis unabhängig von der Arbeitsmarktlage erteilt. Bei der Verlängerung einer Arbeitserlaubnis haben die Arbeitsämter nach den Weisungen des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit die Verhältnisse des einzelnen Falles verstärkt zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ohne Unterbrechung des bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses fortsetzen will. Nach Auskunft des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit wird die Arbeitserlaubnis verlängert, wenn die Versagung zu einem ungedeckten Arbeitskräftebedarf führen würde. Dies gilt auch für das Hotel- und Gaststättengewerbe. Sollten Ihnen konkrete Einzelfälle aus dem Gaststättengewerbe bekannt sein, in denen abweichend von dieser Praxis entschieden worden ist, bin ich gern bereit, der Angelegenheit nachzugehen. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Schwörer (CDU/CSU) (Drucksache 7/4322 Fragen B 30 und 31) : Teilt die Bundesregierung die Ansicht eines Gutachtens des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, das im Auftrag des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit erstellt worden ist, daß noch bis zu 600 000 Arbeitsplätze in der Elektrotechnik, der Feinmechanik, der Schuh- und Textilindustrie verlorengehen sollen, wobei man in der Textilindustrie mit dem Verlust eines Drittels der Arbeitsplätze rechnet? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, wenn diese Angaben zutreffen, um dieses gefährliche Ergebnis einer liberalen Außenhandelspolitik zu vermeiden oder wenigstens zu verlangsamen, und ist die Bundesregierung bereit, die Umstrukturierung vor allem durch Verbesserung der Investitionsmöglichkeiten und der Forschung zu unterstützen, besonders dann, wenn diese Gebiete nicht bereits in regionalen Förderungsprogrammen enthalten sind? Das im Auftrag des BMZ vom Institut für Weltwirtschaft, Kiel, erstellte Gutachten „Die Auswirkungen vermehrter Einfuhren aus Entwicklungsländern auf ausgewählte Branchen in der Bundesrepublik Deutschland" prognostiziert bis zum Jahre 1985 eine Einbuße von 300 000 bis maximal 600 000 Arbeitsplätzen für den gesamten Bereich der Verarbeitenden Industrie, nicht allein schon für die vier in Ihrer Anfrage aufgeführten Branchen (vgl. a. a. O. S. 109 Tabelle 8). Dem stellen die Verfassser die Erwartung gegenüber, daß aufgrund vermehrter Ausfuhren von Industriegütern 200 000 Arbeitsplätze zusätzlich entstehen werden. Als erheblich von den prognostizierten Freisetzungen betroffen nennt das Gutachten die lederverarbeitende und die Schuhindustrie sowie die Bekleidungs- und einzelne Fertigungen aus der Textilindustrie. Die wirtschaftswissenschaftlichen Instituten erteilte Genehmigung zur Veröffentlichung von Auftragsgutachten bedeutet nicht, daß die Bundesregierung die in solchen Gutachten geäußerten Ansichten teilt oder sich ihre Ergebnisse zu eigen macht. Grundsätzlich können wirtschaftswissenschaftliche Gutachten Anhaltspunkte zur Beurteilung möglicher struktureller Entwicklungen liefern. Die Prognosen dieses Gutachtens unterliegen allerdings zahlreichen methodischen Vorbehalten und Prämissen, auf die die Verfasser zum Teil selbst hinweisen (a. a. O. Tz. 143 ff.). Dies gilt z. B. für die Annahme, die Einfuhren aus den Entwicklungsländern würden sich bis 1985 mit derselben Zuwachsrate entwickeln wie in der Vergangenheit. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß sie nicht zuletzt aufgrund der großen Außenhandels- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1975 14189* abhängigkeit der Bundesrepublik weiterhin eine liberale Außenhandelspolitik verfolgen wird. Hierbei darf jedoch nicht vergessen werden, daß Entscheidungen darüber nur noch gemeinsam mit den EG-Partnern getroffen werden können, deren Vorstellungen zum Teil erheblich von der liberalen Haltung der Bundesrepublik abweichen. Die Bundesregierung hat in ihrer Außenhandelspolitik stets darauf geachtet, bruchartige Rückwirkungen auf die Binnenwirtschaft zu vermeiden. So konnten große Liberalisierungsfortschritte in den fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahren ohne schwerwiegende Beschäftigungseinbrüche erreicht werden. Darauf wird die Politik der Bundesregierung auch künftig ausgerichtet sein. Was die Bekleidungs- und Textilindustrie im besonderen angeht, so hat die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort vom 6. November 1975 auf eine Anfrage des Abgeordneten Gerlach (Obernau) — BT-Drucksache 7/4242 — darauf hingewiesen, daß die Europäische Gemeinschaft durch Selbstbeschränkungsabkommen, die sie im Rahmen des Welttextilabkommens mit wichtigen Ausfuhrländern abgeschlossen hat bzw. abschließen wird, das Wachstum von Einfuhren in diesem Bereich abbremsen wird. Im übrigen hat die Bundesregierung bereits mehrfach ihre Ansicht zum Ausdruck gebracht, daß sich die deutsche Wirtschaft entsprechend den Entwicklungen in der Weltwirtschaft einem laufenden Strukturwandel stellen und in einigen Bereichen Anpassungsprozesse durchlaufen muß. Zur Erleichterung solcher Anpassungsprozesse hat die Bundesregierung bereits seit langem ein breit gefächertes Instrumentarium zur Verfügung gestellt, dessen Einzelheiten in der Antwort vom 25. September 1975 auf Ihre Anfrage — BT-Drucksache 7/4024 — dargestellt worden sind. Dort sind auch die Möglichkeiten für besondere regionalpolitische Fördermaßnahmen genannt. Die Mehrzahl der in dem Kieler Gutachten genannten Regionen, in denen die erwarteten Freisetzungen besonders starke Auswirkungen haben sollen, zählen zu den Fördergebieten im Sinne der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretars Grüner auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Schwörer (CDU/CSU) (Drucksache 7/4322 Fragen B 33 und 34) : Treffen Meldungen zu, daß die Bundesregierung zur Zeit umfangreiche finanzielle Stützungsmaßnahmen der Ruhrkohle AG vorbereitet, um diesem Unternehmen die Schwierigkeiten zu erleichtern, die sich aus der konjunkturell bedingten Absatzkrise ergeben? Ist die Bundesregierung bereit, zur Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auch für die übrige Wirtschaft endlich Steuererleichterungen zuzulassen, die eine Überwindung der Krise, besonders im mittelständischen Bereich, ermöglichen soll, dies besonders durch Reduzierung und Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer, durch Änderung der Abschreibungsbedingungen und durch den Verlustrücktrag, alles Maßnahmen, die für die Erhaltung von Millionen Arbeitsplätzen notwendig sind? Zu Frage B 33: Die Bundesregierung hat am 26. November 1975 beschlossen, die in der ersten Fortschreibung des Energieprogramms ab 1977 vorgesehene Steinkohlenreserve vorzuziehen und bereits ab 1976 anzulegen. An dem Aufbau dieser Reserve werden alle Unternehmen des deutschen Steinkohlenbergbaus und nicht nur die Ruhrkohle AG beteiligt. Die Steinkohlenreserve dient der Sicherung unserer Energieversorgung; die Kohle soll im Bedarfsfalle insbesondere zur Subvention von Öl herangezogen werden, wie dies auch während der Energiekrise 1973/74 geschehen ist. Es ist sinnvoll, die Steinkohlenreserve schon jetzt zu bilden, weil die Haldenbestände der Bergbauunternehmen stark angewachsen sind. Zu Frage B 34: Der vorgezogene Aufbau der Steinkohlenreserve bringt im gegenwärtigen Zeitpunkt eine gewisse Entlastung für die Bergbauunternehmen. Die Bildung der Steinkohlenreserve zur Sicherung unserer Energieversorgung kann jedoch mit Steuererleichterungen für die Wirtschaft — zu der auch die Unternehmen des Steinkohlenbergbaus gehören — nicht verglichen werden. Anläßlich der Beschlußfassung über Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur hat die Bundesregierung bereits am 10. September 1975 die gesetzgebenden Körperschaften gebeten, am fristgerechten Inkrafttreten der Körperschaftsteuerreform zum 1. Januar 1977 festzuhalten. Die Frage eventueller weiterer steuerlicher Maßnahmen zur mittelfristigen Stützung der Investitionstätigkeit der Wirtschaft wird von der Bundesregierung zur Zeit eingehend geprüft. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Zander auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Dr. Blüm (CDU/CSU) (Drucksache 7/4322 Frage B 59) : Welche Möglichkeiten werden von der Bundesregierung genutzt, um die gesundheitlichen Auswirkungen des Zigarettenrauchens bei filterlosen Zigaretten zu mildern? Nach Auffassung der Bundesregierung ist Rauchen generell gesundheitsschädlich. Sie hat diese Auffassung in den Antworten auf zwei Kleine Anfragen aus dem Deutschen Bundestag — Bundestagsdrucksachen 7/2070 und 7/3597 — im einzelnen belegt. Der von ihr vertretenen Auffassung ist auch aus Fachkreisen nicht widersprochen worden. Bei dieser Grundauffassung wäre es schwer vertretbar, im Rahmen der gesundheitlichen Aufklärung die lediglich graduellen Unterschiede der Gefährlichkeit einzelner Tabakerzeugnisse zum Anlaß zu nehmen, für einzelne Gruppen besondere Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten. Obwohl nicht zu verkennen ist, daß filterlose Zigaretten, die teil- 14190* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 204. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1975 weise gegenüber Filterzigaretten Tabake mit hohen Nikotin- und Kondensatwerten enthalten, das größere gesundheitliche Risiko darstellen, ist das Rauchen von Filterzigaretten jedoch keineswegs gesundheitlich unbedenklich und kann sogar zur Änderung der Rauchgewohnheit, d. h. zur Konsumerhöhung verführen. Ziel der gesundheitlichen Aufklärung ist es, der Bevölkerung bewußt zu machen, daß jede Art von Rauchen gesundheitsschädlich ist und daß zum Rauchen die gesundheitsgerechte Alternative nur das Nichtrauchen darstellen kann. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Zander auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU) (Drucksache 7/4322 Frage B 60) : Sind dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Untersuchungen in mehreren Staaten bekannt, die laut Angaben des Bundesverbands der Innungskrankenkasse bewiesen haben, daß bei einem Ansteigen des Wasserhärtegrades die Sterblichkeit durch Herz- oder Kreislaufversagen sinkt, und gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls Konsequenzen daraus zu ziehen? Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit verfolgt seit Jahren die Veröffentlichungen in der internationalen wissenschaftlichen Literatur über einen möglichen Zusammenhang zwischen Wasserhärte und bestimmten Herz-Kreislaufkrankheiten. Das Bundesgesundheitsamt ist beauftragt worden, in einer institutsübergreifenden Arbeitsgruppe die vorhandenen Unterlagen auszuwerten. Ferner wurde der Bundesgesundheitsrat gebeten, die Frage zu beantworten, ob angesichts der vorhandenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen eine Enthärtung unseres Trinkwassers zu verantworten sei. Sein Votum liegt noch nicht vor. Angesichts der Schwierigkeiten der Materie muß jedoch mit einer längeren Beratungsdauer gerechnet werden. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat die Bevölkerung im Juli 1975 durch eine Presseveröffentlichung auf diese Fragen hingewiesen und Zurückhaltung bei der Nachbehandlung des von der öffentlichen Wasserversorgung gelieferten Trinkwassers empfohlen. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Zander auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) (Drucksache 7/4322 Frage B 61) : Welche Publikation des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit hat der Zeitung „Münchner Post", Ausgabe November 1975, Nr. 37, in welcher Auflage und zu welchen Kosten tatsächlich beigelegen? Der „Münchner Post", Ausgabe November 1975, Nr. 37, lag eine sechsseitige Information des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit zu verschiedenen gesundheitspolitischen Fragen und Themen der Gesundheitserziehung in einer Auflage von 250 000 Exemplaren bei. Die Kosten für Gestaltung, Druck und Vertrieb der Beilage betrugen 53 526,42 DM.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans Roser


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident, ich habe genau 15 Minuten Redezeit zur Verfügung. Ich will die Sache nicht verzögern. Ich habe das Recht, jetzt nein zu sagen. Die Sache ist mir so wichtig, daß ich in meinen Ausführungen fortfahren möchte.

    (Wehner [SPD] : Sehr gut, fahren Sie fort! — Weiterer Zuruf von der SPD: Aber schnell!)

    Mich wundert es jedenfalls angesichts dieses Zahlenwerks, das uns in der mittelfristigen Finanzplanung vorgelegt wurde,

    (Stahl [Kempen] [SPD] : Wer hat denn die Zahl in New York genannt?)

    durchaus nicht, daß sich Bundeskanzler Schmidt
    — er war ja vorher Finanzminister — in seiner Regierungserklärung vom Mai 1974 zu Fragen der Entwicklungspolitik vollständig ausgeschwiegen hat. Dieses Schweigen — es hat dann zu bestimmten Konsequenzen geführt; Sie waren damals noch im Amt, Herr Minister Bahr — war ein Schweigen der Verlegenheit. Dieses Schweigen kann auch nicht übertüncht werden durch die Klausurtagung von Gymnich. Lieber würde ich sagen: durch den Gag von Gymnich; denn diese Klausurtagung — es war die erste ihrer Art — ist zum nationalen Ereignis hochstilisiert worden.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Nach Ablauf eines Jahres werden die Fahnen gehißt!)




    Damit kann man aber nicht überkleistern, überdecken, was wir an Defiziten im Bereich der Entwicklungspolitik aufzuweisen haben, insbesondere nicht überkleistern, daß es der Bundeskanzler bei seiner ersten Regierungserklärung nicht für nötig gehalten hat, zur Entwicklungspolitik als eigener Aufgabe auch nur eine Silbe zu verlieren. Dazu wollen wir Ihre Meinung hören.
    Im übrigen ist es — in dem Zusammenhang muß es gesagt werden — auch unbegreiflich, daß Bundesaußenminister Genscher auf der 29. Generalversammlung der Vereinten Nationen erklären konnte, die Bundesregierung werde in den nächsten Jahren die Entwicklungshilfe stärker erhöhen — noch einmal: stärker erhöhen — als den nationalen Haushalt. Das stimmt einfach nicht.

    (Stahl [Kempen] [SPD] : Natürlich stimmt das!)

    — Hören Sie doch einmal die Zahlen, und lassen Sie mich ausreden! — In den Jahren 1975 bis 1978, Herr Kollege Stahl, wird der Einzelplan 23 eine Verringerung um 4,7 % erfahren, während der Bundeshaushalt insgesamt, durchschnittlich gerechnet, eine Steigerung von 14,8 % erfährt. Da stimmt doch etwas nicht! Diese Doppelgesichtigkeit der entwicklungspolitischen Aussagen auch und vor allem im finanziellen Bereich, um den es letztlich geht, prangern wir an. Wir sind nicht bereit, da mitzumachen und womöglich diese Verpflichtungen in dieser Form zu übernehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das sind Bahrsche Wahrheiten!)

    Was man nicht halten kann, soll man einfach nicht
    versprechen. Wir sind nicht bereit, eine derartige
    Belastung unserer internationalen Glaubwürdigkeit
    — hier liegt das eigentliche Problem — mitzumachen.

    (Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])

    Wir können nicht schweigen.
    Im übrigen, Herr Minister Bahr, habe ich immer so die Leichtigkeit vor Augen, mit der Sie sich bisher über unsere diesbezügliche Kritik hinweggesetzt haben. Ich werde dabei den Eindruck nicht los — es fällt mir gar nicht so leicht, das auszusprechen, aber es muß eben doch gesagt werden —: Hier ist der alte Bahr am Werk, zwar in einem neuen Auftrag, aber eben im alten Stil. Sie sagen uns immer wieder, es sei alles in Ordnung. In Wirklichkeit ist doch gar nichts in Ordnung. Vor allem stimmen die Finanzzusagen, die wir zur Entwicklungspolitik gemacht haben, nicht. Ich bin der Meinung, daß das dem Ganzen schadet: Das schadet dem Ansehen unseres Landes nach außen, und das schadet auch der Glaubwürdigkeit einer Regierung im Inneren dieses Landes. Oder sind Sie dabei, lieber Herr Minister Bahr, auch die Entwicklungspolitik zur Politik der Kompromisse, in diesem Fall der faulen Kompromisse werden zu lassen?
    Wie werden Sie sich, frage ich zusätzlich die Bundesregierung, hinsichtlich der Beschlüsse der 7. Sondergeneralversammlung bei den bevorstehenden



    Roser
    multinationalen Konferenzen verhalten? Wir verlangen jedenfalls eine klare Aussage darüber, wie Sie sich die Gestaltung des Weltwirtschaftssystems künftig vorstellen. Wir meinen, es darf nicht dazu kommen, wie es sich nach Ihrem entscheidenden Schweigen bei der 7. Sondergeneralversammlung, wo ja die Beschlüsse der 6. Sondergeneralversammlung aufgenommen wurden, darstellt. Wir wissen nicht, was gilt. Gilt nun die Rede des Bundesaußenministers zu Beginn dieser 7. Sondergeneralversammlung in New York, oder gilt das Verhalten der Bundesregierung bei der entscheidenden Abstimmung am Ende? Wie sehen Ihre Vorbehalte in diesem Zusammenhang aus?

    (Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])

    Auf Dauer, so meine ich jedenfalls, kommt die Bundesregierung mit dem Bemühen um fragwürdige Formelkonsensusregelungen nicht zurecht. Ich habe im Zusammenhang mit dem Wort „Formelkonsensus" noch das Wort vom „Formelkram" deutlich in den Ohren. Oder wollen Sie, Herr Minister Bahr — auch diese Frage muß man hier stellen —, tatsächlich die bedenklichen Prinzipien und Verfahrensweisen der — hier muß ich sagen: Ihrer — Koexistenzpolitik — das war doch wohl die „neue Ostpolitik" — auf die Politik der weltwirtschaftlichen Zusammenarbeit übertragen?
    Was meinten Sie eigentlich, als Sie kürzlich in einem Vortrag — in einem Vortrag, wohlgemerkt, nicht in einem der zahlreichen Interviews — erklärten: „Wir müssen ins Auge fassen: die wirtschaftliche Koexistenz ist der politischen Koexistenz hinzuzufügen"? Was meinten Sie eigentlich mit diesem Satz?

    (Wehner [SPD] : Lernen Sie Ihre Zitate erst mal auswendig, wenn Sie sie anderen an den Kopf werfen wollen!)

    Den gleichen Verbalismus, von dem ich soeben sprach, kritisieren wir übrigens auch im Zusammenhang mit der europäischen Politik.

    (Stahl [Kempen] [SPD]: Sie kritisieren nur! —Wehner [SPD] : Das ist doch kein Kritisieren!)

    Zu Ihrem entwicklungspolitischen Bericht wird des langen und breiten vom Abkommen von Lomé berichtet. Aber Sie schweigen sich über eines aus: Sie schweigen z. B. vollständig über das Scheitern der EG-Verhandlungen, der Ratsverhandlungen, Mitte Oktober in Luxemburg. Sie scheiterten doch an der Haltung der Bundesregierung. Wir fordern jedenfalls die Bundesregierung erneut auf, in der Europäischen Gemeinschaft die Abstimmung der nationalen Entwicklungspolitiken wie die Schaffung einer weltweit orientierten europäischen Entwicklungspolitik entschiedener, entschlossener, energischer, auch intensiver, voranzutreiben.
    Wir fordern Sie zugleich auf, sich von der Fessel zu lösen, Herr Bundesminister Bahr, die Sie sich selbst in den 25 Thesen angelegt haben, wo Sie festlegen — das ist auch beim „Gag von Gymnich" geschehen —, daß 30 % der deutschen öffentlichen Hilfeleistungen multilateral vergeben werden, inklusive — und das ist der Punkt — der europäischen Leistungen. Warum legen Sie sich eine solche Fessel an, wenn es Ihnen mit der Europäisierung der Entwicklungshilfe ernst ist, was doch möglicherweise und in der Finalität ganz sicher den Verzicht auf bilaterale Leistungen zugunsten europäischer Entwicklungspolitik zur Folge hat? Darüber wollen wir eine Aussage haben. Wir fordern Sie auf, diese 30-Prozent-Fessel abzustreifen, und zwar so schnell wie möglich.

    (Zurufe von der FDP)

    Natürlich wissen wir, daß es schwer ist, Europa zu schaffen. Aber wir brauchen Europa. Wir brauchen es im übrigen, Kollege Holtz, auch um des Wachstums unserer eigenen Wirtschaft willen, von dem Sie sprachen. Wir brauchen es deswegen, weil wir nur so die notwendigen Wachstumsraten erreichen, um in der Lage zu sein, unsere Weltverantwortung im Bereich der Entwicklungspolitik wahrzunehmen.
    Wenn das aber so ist, dann müssen wir auch zur Schaffung der europäischen Währungs- und Wirtschaftsunion mehr tun und dürfen nicht immer die Konditionen so hoch hängen, daß Europa einfach nicht zustande kommen kann. Auch hier liegt ein Problem der Glaubwürdigkeit dieser Regierungspolitik, Herr Minister Bahr.

    (Wehner [SPD] : Liegt das etwa an uns? Wollen Sie sagen, das liege an uns? Dann muß man das Wort niedriger hängen!)

    Deswegen fordern wir Sie auf, intensiver als bisher für Europa einzutreten.
    Wir freuen uns, daß Sie — freilich etwas verspätet — erkannt haben, daß die Harmonisierung und Koordinierung der verschiedenen Entwicklungspolitiken der Mitgliedstaaten nötig ist. Nur, wir haben schon im Juni 1971 einen Stufenplan zur Europäisierung der Entwicklungshilfe vorgelegt. Wir sind froh darüber, daß es nach langem Zögern endlich dahin gekommen ist, daß die Bundesregierung — es war noch die Regierung Brandt — diesen Vorschlag übernommen hat. Aber sie hat ihn halbherzig und nur halb übernommen. Deswegen haben wir heute die Misere. Damals, im Oktober 1972, kam es dann zu den großen Sprüchen von Paris — der Pariser Gipfel paßte damals gerade in die deutsche Wahllandschaft —, wo man sagte: Die Entwicklungshilfe soll europäisiert werden. Aber was ist inzwischen herausgekommen? Man war nicht folgerichtig genug, man war inkonsequent. Dies ist der Punkt, den wir kritisieren und wo wir meinen, daß allerdings in Zukunft mehr geschehen müßte.
    Herr Bundesminister Bahr, lassen Sie mich noch eine letzte Sache ansprechen.

    (Wehner [SPD] : Das wäre ein Ding!)

    Es wird landauf und landab die Sorge geäußert, der Einfluß der Entwicklungspolitik, ihre Bedeutung innerhalb der Politik dieser Bundesregierung könnte unter Minister Bahr geringer werden. Die schrumpfenden Leistungen sind nicht zu verkennen. Lassen Sie mich hier sehr deutlich sagen: Wir wol-
    Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 204. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1975 14153
    Roser
    len nicht haben, daß Sie zum Exekutor der Entwicklungspolitik werden. Die Schrumpfung der Leistungen, vor allem wenn man die entwicklungspolitisch sicher nicht gerechtfertigte Hilfe an Jugoslawien abzieht, ist allerdings besorgniserregend.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Wir betonen mit Nachdruck, Herr Minister Bahr, daß wir in einer eigenständigen Entwicklungspolitik im Gesamtsystem der Koordinaten unserer auswärtigen Beziehungen einen bedeutsamen, langfristig den entscheidenden Beitrag für die Wahrung von Frieden und Freiheit in der Welt sehen. Deswegen setzen wir uns gegen alle Tendenzen zur Wehr, an den beiden Säulen zu rütteln, zuzulassen, daß die beiden Säulen ausgelaugt werden, auf denen Entwicklungspolitik steht, nämlich Klarheit, auch international erkennbare, gewahrte, gesicherte Klarheit der eigenen Konzeption und internationale wie nationale Glaubwürdigkeit. Hier haben wir allerdings unsere Zweifel. Es wäre gut, wenn Sie versuchten, diese Zweifel zu zerstreuen.
    Ich habe jedenfalls den Eindruck, daß Minister Bahr, kaum daß er begonnen hat, das entwicklungspolitische Latein zu buchstabieren, mit diesem Latein am Ende ist, und fürchte, daß da nichts mehr zu erwarten ist. Dies bedaure ich im Hinblick auf die Bedeutung der Entwicklungspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Ihre Rührung ist genauso wahr wie Ihre Kritik! — Zuruf von der FDP: Legen Sie doch einmal ein Konzept vor!)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Stahl (Kempen).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erwin Stahl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, die Debatte wieder auf das zurückzuführen, Herr Kollege Roser, was heute in diesem Hause eigentlich besprochen werden soll, und zwar auf die drei Punkte, die auf der Tagesordnung stehen. Der erste Punkt ist Ihre Anfrage, der zweite Punkt die Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption, und der dritte Punkt ist der zweite entwicklungspolitische Bericht, den die Bundesregierung diesem Haus vorlegt.
    Zu dem ersten Punkt ist die SPD-Fraktion der Meinung, daß er heute eigentlich überflüssig ist. Damit will ich nichts gegen das Recht sagen, das jede Fraktion in diesem Hause hat, Große Anfragen einzubringen. Allerdings. meine Damen und Herren von der Opposition, waren die Fragen, die Sie in Ihrer Großen Anfrage gestellt haben, doch längst in den Beratungen des Ausschusses durch die Bundesregierung ausführlich beantwortet. Weiterhin haben Sie doch in diesem Hause in mündlichen Anfragen dieses Feld der Politik weitgehend abgegrast, und die Bundesregierung hat das Problem hier in aller Offenheit dargestellt und Ihnen Antworten erteilt.
    Um die Bundesregierung zu den von Ihnen verlangten zusätzlichen Rechenaufgaben zu veranlassen, hätte eigentlich ein Telefonanruf im Bundesministerium genügt. Deshalb hat ja der Sprecher der Opposition, als die Antwort auf die Große Anfrage kam, in seinen immer „sehr netten" Art in der deutschen Öffentlichkeit gesagt, er sei mit der Antwort und dieser Bundesregierung nicht zufrieden.

    (Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] : Da stand noch ein bißchen was dabei!)

    Ich meine, derartige allgemeine negative Formulierungen in Sachen Entwicklungspolitik sollten unterbleiben.
    Inzwischen ist Ihre Anfrage, meine Damen und Herren — das hat Herr Kollege Wawrzik eben klar dargestellt —, auch überholt. Er hat sich zwar sehr bemüht, die Begründung noch darzulegen, aber die Zeit ist wohl darüber hinweggegangen.
    Die neueren Beziehungen zwischen den Industriestaaten und der Dritten Welt haben Probleme aufgeworfen, denen sich die Opposition in der Großen Anfrage nicht gestellt hat. Dies muß man noch einmal feststellen. Bundesregierung und SPD-Fraktion haben dies zügig und ohne Verzug getan.
    In der zweiten Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption, die dem Hause vorliegt, gibt die Bundesregierung Antworten auf brennende Fragen der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Hier wird auch Gymnich mit aufgeführt. Herr Kollege Roser, Sie sollten die 25 Thesen tatsächlich einmal lesen und dabei etwas durchdenken.

    (Roser [CDU/CSU] : Hören Sie mal, wir haben doch darüber diskutiert, auch im Ausschuß!)

    Dazu wird heute noch ausführlich gesprochen werden. Die Bundesregierung hat angemessen und ausgewogen auf die Bemühungen der Dritten Welt, sich nach der politischen Unabhängigkeit nun auch wirtschaftlich zu emanzipieren, reagiert. Sie bemüht sich, die Entwicklungspolitik auf dem aktuellen Stand zu halten, der notwendig ist. Sie hat mit dieser Fortschreibung verstärkt die Konsequenzen aus der Erkenntnis gezogen, daß Entwicklungspolitik nicht mehr auf Entwicklungshilfe im klassischen Sinn beschränkt sein darf, sondern daß die Fragen der Hilfe zur Selbsthilfe, der Bevölkerungszunahme, der Weltwirtschaft, der Weltwährung, des Welthandels ebenso berücksichtigt werden müssen wie Fragen einer vorausschauenden Strukturpolitik in unserem Lande selbst. Dazu ist in der vorliegenden fortgeschriebenen Konzeption das Notwendigste in Kürze gesagt. Viele Punkte sind in den Ausschüssen beraten und angeregt worden. Es ist erfreulich, daß das in dem Konzept zu erkennen ist. Der entwicklungspolitische Bericht, den die Bundesregierung nun zum zweiten Mal vorlegt, ist für sich allein eigentlich schon eine Debatte im Plenum dieses Hauses wert.
    Unsere Entwicklungspolitik hat in den letzten beiden Jahren tiefgreifende Veränderungen durchgemacht. Darüber, Herr Kollege Roser und meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie in diesem Hause auch einmal sprechen. Der organisatorische Bereich ist verändert und neuen Gegebenheiten angepaßt worden. In ihm schlägt sich die Erkenntnis nieder, daß noch mehr als bisher Entwick-



    Stahl (Kempen)

    lungspolitik Zusammenarbeit mit den Ländern in der Dritten Welt im weiteren Sinne bedeutet. Noch in jüngster Zeit haben wir gesehen, daß Handelsrestriktionen der Industriestaaten für die Dritte Welt wesentlich mehr Verluste bedeuten, als die Entwicklungshilfe im engeren Sinne jeweils wettzumachen vermag. Ich erinnere nur an den Rindfleischeinfuhrstopp der Europäischen Gemeinschaft.
    Wie gesagt, die Beziehungen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern haben sich grundsätzlich geändert. Man kann die derzeitige Lage ihrem politischen Range nach durchaus mit der am Ende der 50er bzw. Anfang der 60er Jahre vergleichen, als die meisten Kolonien ihre politische Unabhängigkeit erhielten. Die Länder der Dritten Welt haben in der Zwischenzeit erkannt, daß politische Unabhängigkeit allein nicht genügt, um die Rolle als souveräner Staat tatsächlich voll ausfüllen zu können. Dazu müssen die wirtschaftliche Partnerschaft und Anerkennung treten. Ich spreche bewußt nicht von wirtschaftlicher Unabhängigkeit, weil es heute kaum einen Staat gibt, dessen wirtschaftliches Wohlergehen nicht von dem anderer abhängig ist. Das muß aber noch mehr verdeutlicht werden. Es wird künftig Aufgabe der Bundesregierung sein, auch diesen Punkt, im besonderen bei Verhandlungen mit Entwicklungsländern, zu berücksichtigen.
    Zwanzig Jahre Erfahrung mit der Entwicklungspolitik haben gezeigt, daß sie allein nicht in der Lage ist, die Lücke zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern in nahezu allen Bereichen des Lebens zu schließen. Indien beispielsweise hat seit seiner Unabhängigkeit ungefähr 50 Milliarden DM Entwicklungshilfe insgesamt aus der Welt erhalten. Trotzdem bestimmen weiterhin Not und Elend das Tagesgeschehen der Menschen. Wenn man diese Aufwendungen und ihre Erfolge z. B. mit dem Resultat des Marshallplans vergleicht, in dessen Rahmen damals für Europa ungefähr die gleiche Summe ausgegeben wurde, kann man klar sehen, daß andere Faktoren als Entwicklungspolitik im engeren Sinne für die Entwicklung eines Landes mehr als wichtig sind.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Z. B. atomare Sprengmittel in Indien!)

    Deshalb ist es doch verständlich, daß Entwicklungsländer in der heutigen Weltwirtschaftsordnung zu kurz kommen. Es wird notwendig, die internationale Wirtschaftsordnung dahin gehend zu ändern, daß sie den Bedürfnissen der Entwicklungsländer verstärkt entgegenkommt.
    Das bedeutet nicht, daß Entwicklungshilfe im klassischen Sinne durch die Umstrukturierung der Weltwirtschaft ersetzt werden kann. Der Dritten Welt wird es an Kapital und vor -allem an technischem Wissen, an qualifizierten Arbeitskräften und an erfahrenen Führungskräften noch lange, lange mangeln. Hier, bei der Bereitstellung von Wissen, technischem Know-how und Kapital, wird in Zukunft verstärkt die Möglichkeit unserer Privatindustrie liegen, ihren Anteil zur Entwicklung der Länder beizutragen. Es wird weiterhin notwendig sein, einen angemessenen Anteil des Bruttosozialprodukts für
    die Entwicklungspolitik im engeren Sinne aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung zu stellen.
    Lassen Sie mich hier auch dazu einmal ein klares Wort sagen. Das, was wir für diesen Bereich zur Zeit aufwenden, kann tatsächlich nicht als ausreichend angesehen werden. Ich hoffe nur, daß das bei einer verbesserten Wirtschaftslage in unserem Land die Erkenntnis aller Verantwortlichen sein wird, auch die Erkenntnis der Opposition. Auch das muß man einmal sagen. Ein weiteres Nachlassen bei den finanziellen Leistungen zugunsten der Dritten Welt könnte so verstanden werden, daß wir über die Abgabe von gut klingenden Erklärungen nicht hinaus wollen.

    (Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] : Das wird auch so verstanden!)

    Wenn wir nicht langfristig unseren eigenen Interessen Schaden zufügen wollen, muß nach Verbesserung unserer derzeitigen Wirtschaftslage die Geldbörse wieder weiter geöffnet werden. Hierzu gab es ja schon zustimmende Erklärungen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Im Bereich der Entwicklungspolitik im engeren Sinne hat die Opposition gezeigt, daß sie in vielen Fragen der technischen Abwicklung der Entwicklungshilfe keine grundlegenden Meinungsunterschiede zur Regierung und zur Koalition pflegt. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten sich tatsächlich noch einmal überlegen, was einige Ihrer Redner hier gesagt haben. Im Ausschuß sieht das nämlich ganz anders aus.

    (Roser [CDU/CSU] : Das müssen Sie belegen, Herr Kollege Stahl!)

    — Ach natürlich, Herr Kollege Roser. Sie wissen doch, was Sie im Ausschuß sagen und was Sie vorhin dem Herrn Bundesminister alles vorgeworfen haben, z. B. das 0,7-Prozent-Ziel.

    (Roser [CDU/CSU] : Unerhört! — Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] : Das ist eine Verleumdung, Herr Stahl!)

    Die entwicklungspolitischen Leitlinien der CDU lehnen sich in den meisten Bereichen eng an die entwicklungspolitische Konzeption der Bundesregierung an, und sie sind von uns in der Erwartung begrüßt worden, daß sich hier endlich eine Möglichkeit zu mehr gemeinsamer sachlicher Zusammenarbeit bieten würde. Dies hat sich inzwischen leider als Fehlschluß erwiesen. Die Opposition hat sich in letzter Zeit zunehmend — bitte nehmen Sie mir nicht übel, daß ich dieses Wort einmal in aller Offenheit sage — auf Effekthascherei beschränkt. Auf ihrem eigenen entwicklungspolitischen Kongreß mußte sie in aller Deutlichkeit von ausländischen und nicht nur von ausländischen Gästen hinnehmen und sich vorhalten lassen, daß sie zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung keine ernst zu nehmende Alternative hat.

    (Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] : Wo stand denn das? Wer hat das denn gesagt?)

    Die verbalen Eskapaden Ihres entwicklungspolitischen Sprechers stehen nicht selten in groteskem
    Widerspruch zu Ihren Leitlinien. Aber er persönlich



    Stahl (Kempen)

    hat ja wohl eine spezielle Grunderkenntnis: Entwicklungspolitik ohne Widerspruch gibt es in unserem Lande nicht, Herr Dr. Todenhöfer.

    (Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] : Das stammt von Herrn Böll, und der ist Ministerialdirektor bei Minister Bahr!)

    Dies ist Ihre Erkenntnis, und in dieser Art sind Ihre laufenden Presseerklärungen. Dies müssen Sie sich auch von hier aus einmal sagen lassen.
    Ich frage deshalb, welche Grundsätze und welche Aussagen, die oftmals in der Öffentlichkeit im Namen der CDU/CSU-Fraktion und im Namen der Entwicklungspolitik präsentiert werden, die Alternative der Union sind. Welche werden eingehalten? Um nochmals auf Widersprüchlichkeiten zurückzukommen: In den Leitlinien der CDU heißt es z. B. die Weltwährung müsse mit dem Ziel reformiert werden, daß bei der Schaffung internationaler Liquidität Stabilitätsgesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Später wütet der Sprecher gegen den von der Bundesregierung mitgetragenen Beschluß der 7. Sondergeneralversammlung, der die aufgeführten Kriterien berücksichtigt. Dies, Herr Kollege Roser, haben Sie doch auch teilweise in Ihrer Rede angesprochen.
    Oder: Im Juli 1973 wendet er sich gegen deutsche Kapitalhilfe für Chile.