Rede:
ID0718304000

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    6. Dr.: 1
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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 183. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. Juli 1975 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Josten 12797 B Erklärung der Bundesregierung betr. KSZE Genscher, Bundesminister AA . . . . . 12797 B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Marx CDU/CSU . . . . . . . . 12803 C Brandt SPD 12812 B Hoppe FDP 12816 D Stücklen CDU/CSU . . . . . . . . 12819 D Schmidt, Bundeskanzler 12825 C Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU . . 12830 B Pawelczyk SPD 12834 B Dr. Bangemann FDP . . . . . . . . 12839 A Oxfort, Bürgermeister von Berlin . . . 12843 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 12845 B Mattick SPD 12850 A Dr. Schröder (Düsseldorf) CDU/CSU . . 12854 A Wehner SPD . . . . . . . . . . 12859 C Strauß CDU/CSU 12862 A Genscher, Bundesminister AA . . . . 12869 D Namentliche Abstimmungen . . . . . 12872 A Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 12875* A Anlage 2 Nichtanwendung des § 48 Absatz 2 BAföG durch einige Hochschulen SchrAnfr B 59 06.06.75 Drs 07/3737 Engholm SPD ErgSchrAntw StSekr Dr. Jochimsen BMBW 12875* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Juli 1975 12797 183. Sitzung Bonn, den 25. Juli 1975 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 181. Sitzung, Seite 12684 D ist statt „Gerstl (Passau) (CDU/CSU) " zu lesen „Gerstl (Passau) (SPD) ". 181. Sitzung, Seite 12726 C: Die Zeile 22 mit den Worten „was nun die Rechtsgrundlage sein soll," ist zu streichen. Einzufügen sind die Worte ,;Rechte dort habe". Vier Zeilen weiter ist hinter dem Wort „soll" ein Komma zu setzen. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt für Alber 25. 7. Dr. Bayerl 25. 7. Dr. Böger 25. 7. von Bothmer 25. 7. Breidbach 25. 7. Prof. Dr. Burgbacher 25. 7. Burger 25. 7. Bühling 25. 7. Dürr 25. 7. Dr. Enders 25. 7. Geldner 25. 7. Gerster (Mainz) 25. 7. Gewandt 25. 7. Gierenstein 25. 7. Graaff 25. 7. Haase (Fürth) 25. 7. Dr. Häfele 25.7. Handlos 25. 7. Hölscher 25. 7. Horn 25. 7. Horstmeier 25. 7. Dr. Hupka 25. 7. Hussing 25. 7. Jaunich 25. 7. Kater 25. 7. Dr. Kiesinger 25. 7. Lange 25. 7. Dr. Klepsch 25. 7. Dr. Köhler 25. 7. Krampe 25. 7. Lattmann 25. 7. Leicht 25. 7. Lücker 25. 7. Dr. Luda 25. 7. Lüdemann 25. 7. Prof. Dr. Möller 25. 7. Opitz 25. 7. Pieroth 25. 7. Dr. Riede 25. 7. Rollmann 25. 7. Rommerskirchen 25. 7. Prinz zu Sayn-Wittgenstein 25. 7. Prof. Dr. Schäfer (Tübingen) 25. 7. Prof. Dr. Schellenberg 25. 7. Schmidt (Kempten) 25. 7. Dr. Starke 25. 7. Stommel 25. 7. Vogel (Ennepetal) 25. 7. Abgeordnete(r) beurlaubt für Volmer 25. 7. Walkhoff 25. 7. Dr. Walz 25. 7. Dr. Wex 25. 7. Wischnewski 25. 7. Dr. Wörner 25. 7. Prof. Dr. Zeitel 25. 7. Anlage 2 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Jochimsen auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Engholm (SPD) (Drucksache 7/3737 Frage B 59, 178. Sitzung, Seite 12552*, Anlage 75) : Ihr Hinweis auf die ab 1. August 1975 geltende Neufassung des § 48 BAföG dürfte sich vermutlich nicht auf die Absätze 1 und 2, sondern auf Absatz 1, Nrn. 1 und 2 beziehen. Das Rundschreiben des Rektors der Universität Bonn an die Dekane der einzelnen Fakultäten befaßt sich, worauf Sie mit Recht hingewiesen haben, nur mit Absatz 1 Nr. 1. Insoweit gibt das Rundschreiben die in der ab 1. August 1975 geltenden Neufassung des Absatzes 1 Satz 1 enthaltenen beiden Möglichkeiten des Gesetzes zum Eignungsnachweis nicht erschöpfend wieder. Das ist auch die Auffassung des Ministers für Wissenschaft und Forchung des Landes Nordrhein-Westfalen als oberster Landesbehörde für Ausbildungsförderung. Aus der Tatsache, daß das Rundschreiben die neue Rechtslage nicht vollständig wiedergibt, wird man allerdings nicht auf eine beabsichtigte restriktive Handhabung der neuen Vorschriften durch die Universität Bonn und andere Hochschulen schließen können. Um jeden Zweifel auszuschließen, hat der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen den Hochschulen des Landes in einem Runderlaß die dazu von der Bundesregierung nach vorausgegangenen eingehenden Beratungen mit den obersten Landesbehörden beschlossenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 48 Abs. 1 übermittelt und gebeten, beide Alternativen des § 48 Abs. 1 Satz 1 sowie insbesondere Tz 48.1.1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu beachten. Die gesamte allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BAföG liegt zur Zeit dem Bundesrat vor, der darüber nach der Sommerpause beraten wird.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Kurt Mattick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich glaube, darüber müßten wir lange diskutieren.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    — Was gibt es denn dabei zu lachen? Ich will Ihnen etwas sagen: Sie sind ja immer so erpicht auf den Deutschlandvertrag. Wenn Sie sich jetzt den Deutschlandvertrag mit den drei Westmächten einmal vor Augen halten und Ihre Politik betrachten, dann müssen Sie zu folgender Feststellung kommen: Wir haben die Politik der letzten Jahre mit den Partnern des Deutschlandvertrages entwickelt und sind einen völlig anderen Weg gegangen, als Sie ihn gehen wollten und als Sie ihn mit den Bündnispartnern des Deutschlandvertrages aufgrund Ihrer Politik hätten gehen können.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist keine Antwort!)

    Sie haben uns klargemacht, daß der Deutschlandvertrag die beste Voraussetzung für die Lösung der deutschen Frage ist, und ich möchte am Anfang meiner Bemerkungen eine Frage an Sie stellen. Es gibt so oft in dieser Diskussion die Bemerkung der CDU, daß unsere Politik oder ein Schritt in unserer Politik die Lösung der deutschen Frage hemmt oder der Lösung der deutschen Frage nicht näherkommt oder für die Lösung der deutschen Frage nicht sinnvoll ist. Ich habe das im Auswärtigen Ausschuß mehrmals gehört. Ich würde jetzt gerne einmal eine Frage an Sie stellen: Was haben Sie denn für eine Vorstellung von der Lösung der deutschen Frage? Was heißt die Lösung der deutschen Frage in dieser Zeit? Gibt es für Sie irgendeine Formel, mit der Sie der Lösung der deutschen Frage näherkommen können? Gibt es für Sie irgendeine Vorstellung? Sie haben sie nie geäußert. Man sagt, die Unterschrift unter die Schlußakte der KSZE sei kein Beitrag zur Lösung der deutschen Frage. Wenn ich mich recht erinnere, hat Dr. Schröder das noch verstärkt und gesagt: „hilft uns nicht, sondern schadet der Lösung der deutschen Frage." Ich habe mich immer gefragt: Was ist für Sie die Lösung der deutschen Frage in dieser Zeit?
    Ich komme zu folgendem Ergebnis: Es gibt zur Zeit keine politische Position, die man als Position der Lösung der deutschen Frage bezeichnen könnte. Sie haben keine, es gibt keine Alternative, es gibt nur eine Erkenntnis: Wir leben in einer Zeit, nämlich in der Nachkriegszeit, in der die deutsche Frage durch die Machtverhältnisse und den Entwicklungsprozeß nach 1945 — ich will jetzt nicht über die Versäumnisse des Jahres 1953 sprechen —

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Die Vergewaltigung der Sozialdemokraten in der Zone!)




    Mattick
    unlösbar geworden ist. Es gibt seitdem keine Plattform, keine Möglichkeit, keine Ansatzpunkte, keine Machtverhältnisse, um die deutsche Frage auf den Tisch zu legen, sondern es gibt Machtverhältnisse, die uns zwingen, unter der Spaltung Deutschlands zu leben und uns in dem Sinne mit der Spaltung Deutschlands abzufinden, daß wir eine Politik betreiben müssen, die den Deutschen hilft, auch wenn eine Lösung der deutschen Frage auf unabsehbare Zeit nicht zu erreichen ist.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wenn Sie, Herr Kollege Mertes, von diesem Standpunkt aus Ihre Rede überprüfen, müssen Sie doch zu folgendem Ergebnis kommen: Die KSZE formuliert die Möglichkeiten der Gegenwart zur Entwicklung von mehr Miteinander als Gegeneinander,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Herr Kollege, das ist eine Leerformel!)

    sie formuliert die Möglichkeiten der Gegenwart, und die Möglichkeiten der Gegenwart lassen keine andere Art des Zusammenlebens zu als den Versuch, bei der extremen Gegenüberstellung von Ost und West und bei der Spaltung Europas, mit der wir es zu tun haben, durch schrittweise Politik trotz der Spaltung, trotz der ideologischen Differenz und Spannung Formen zu entwickeln, die Menschen zusammenzubringen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß das Leben in beiden Teilen Europas für die Menschen erleichtert wird, daß sich allmählich ein Zusammenleben entwickelt, daß in diesem Zusammenleben, Herr Kollege Mertes — wobei die Formulierungen in der Schlußakte neue Voraussetzungen schaffen, auf diesem Wege Ordnungen in Europa herzustellen, die auch dann, wenn auf Grund der bestehenden Machtverhältnisse die Lösung der deutschen Frage auf unabsehbare Zeit nicht zu erreichen ist, das Leben erträglich gestalten -, der Frieden so sicher wird, wie es unter diesen Bedingungen nur der Fall sein kann.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ihre eigenen Absichten bezweifle ich gar nicht!)

    Und ich glaube, dem werden Sie nichts entgegensetzen können.
    Ich darf mir erlauben, dazu eingangs mit der Genehmigung der Frau Präsidentin ein Zitat zu bringen:
    Es gibt, so scheint mir, da zunächst einmal zwei Ergebnisse, nämlich das eine, daß der Verhandlungserfolg der nichtkommunistischen Staaten der ist, daß in diesem Dokument Ziele angesprochen sind und für wichtig erklärt werden, die früher tabu waren: freie Bewegung, mehr menschliche Kontakte auch auf individueller und privater Ebene, also nicht nur im Kollektiv. Wenn die Sowjetunion und ihre Freunde dieses Grundsatzbekenntnis unterschreiben werden, dann könnte es zum Abbau von Spannungen beitragen. Voraussetzung ist allerdings, daß sich die vereinigte westliche Welt konsequent darauf konzentriert, daß auch
    wirklich derartige Unterschriften nachher durch Taten eingehalten werden.
    Und das zweite ist unbestreitbar — und das hat auch die Europäische Union der Christlichen Demokraten sehr deutlich gesagt —: daß es ein großer positiver Erfolg ist, daß der Westen fest zusammengestanden hat und daß also nicht die Chance bestand für die Sowjetunion, etwa den einen Staat der freien westlichen Welt gegen einen anderen Staat auszuspielen, zwei etwa voneinander zu trennen.
    Das ist ein Zitat des Herrn Vizepräsidenten von Hassel vom Sonntagvormittag im „Interview der Woche".
    Ich muß sagen, wenn Sie sich dies vor der Debatte zu Herzen genommen hätten, hätten Sie sich mindestens damit auseinandersetzen müssen, nämlich mit der Frage, ob es nicht auch andere Überlegungen gibt, wie wir diese Schlußakte und die Konferenz beurteilen können, als die, die Sie in dieser Diskussion angestellt haben. Ich bedaure, daß Herr von Hassel das, was er dort gesagt hat, hier in der Diskussion nicht wiederholt hat.
    Meine Damen und Herren, ich bedaure den Weg, den die Opposition in dieser heutigen Bundestagssitzung wieder gegangen ist. Denn ich glaube, diese Debatte war eigentlich dazu angetan, mit der Bevölkerung das Gespräch zu führen. Denn Ihre Position war einfach klar, und unsere war auch klar; hier ging es nicht mehr darum, uns gegenseitig zu überzeugen. Herr Mertes, Sie haben das deutlich genug gemacht, daß es darauf gar nicht mehr ankam, sondern daß die Positionen festgelegt waren. Daher wäre es besser gewesen, wir hätten uns Mühe gegeben, darüber zu reden, wie die Bevölkerung unsere Entscheidungen aufzunehmen hat.
    Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zur Diskussion machen, weil ich glaube, einiges muß noch beantwortet werden.
    Herr Dr. Marx hat in seiner Rede, die die erste Rede der Opposition war, einiges gesagt, was meiner Ansicht nach den Rahmen einer vernünftigen Beurteilung, auch wenn sie skeptisch ist, gesprengt hat. Er sprach von den „gleichen Floskeln, die man schon so oft gehört hat". Er sprach davon, daß die Sowjetunion ein wichtiges Etappenziel erreicht habe. Er hat das nicht näher begründet. Wenn ich aber die Position der CDU richtig einschätze, muß ich sagen: Auch Herr Dr. Marx muß doch wissen, daß das Etappenziel, das er meint, nicht durch die KSZE erreicht worden ist, sondern daß dieses Etappenziel ein Ergebnis des zweiten Weltkriegs ist, und daß wir jetzt nach dreißig Jahren, immer noch in dem Wissen, daß unsere Kriegsgegner nicht vergessen haben, was erst dreißig Jahre hinter uns liegt, und daß die Hälfte der Generation davon noch lebt, den Versuch machen, trotz der Dinge, die der zweite Weltkrieg uns hinterlassen hat, Formen zu entwickeln, die geeigneter sind für eine weitere friedliche europäische Entwicklung, die irgendwann mehr zusammenführt und dazu beitragen kann, daß die Deutschen unter Umständen mal unter einem gemeinsamen europäischen Dach leben.



    Mattick
    Nun, meine verehrten Damen und Herren, noch ein paar Bemerkungen zu den Darlegungen des Herrn Dr. Marx. Er nannte die Ergebnisse einen „Supermarkt von Attrappen",

    (Stücklen [CDU/CSU] : Korb 3!)

    — ja, Korb 3 —, und er sagte dann, daß dieser Supermarkt von Attrappen noch hinter der Charta der Menschenrechte der UNO bleibe. Hierzu möchte ich eine Bemerkung machen. Ich glaube, es ist ein Fehler, wenn man den Versuch macht, die Menschenrechtskonvention der UNO hier mit ins Gespräch zu bringen. Vergessen Sie eines nicht: Die Menschenrechte der UNO sind Bedingungen, die als Ziel einer geordneten Welt gedacht sind und nicht in die Gegenwart Verpflichtungen hineinbringen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Geltendes Völkerrecht!)

    Mehr als die Hälfte der Mitglieder der heutigen UNO sind gar nicht imstande, in ihren Ländern nach diesen Menschenrechten Ordnung herzustellen. Außerdem sind die Voraussetzungen in keiner Weise da. Wenn Sie das vergleichen, sage ich Ihnen eines: Diese Formeln, die heute in der Schlußakte stehen, sind zuständig für einen Lebenskreis der Europäer, deren Kultur- und Gesellschaftsstand sich so ähnlich ist, daß man von gleichen Bedingungen der Lebensmöglichkeiten ausgehen kann und auch von gleichen Bedingungen ausgehen kann, wie staatliche Ordnung organisiert werden kann, um diese Menschenrechte wirksam zu machen. Insofern glaube ich, daß es etwas anderes ist.
    Das wird sich — das sage ich jetzt an die Führung der DDR gerichtet — auch die DDR-Führung sehr genau überlegen müssen, wenn sie am 31. die Schlußakte unterschreibt, daß in dem Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR sich nach dieser Unterschrift noch einiges verändern muß. Wir denken so, und wir werden das auch sagen. Wir werden darauf achten, daß die Formeln, die anerkannt werden, schrittweise übergeleitet werden zu Lebensbedingungen auch zwischen beiden Teilen Deutschlands. Dabei gehe ich nicht von der falschen Vorstellung aus, daß das morgen geschieht. Wir wissen, daß es sich auch dabei um einen Prozeß handelt, der seine Zeit braucht, der Schwierigkeiten bringt, der Reibungen bringen wird. Niemand glaubt, daß morgen auf diese Art ein neuer Frühling in Europa ausbricht.
    Sie müssen nur begreifen: Was in der Schlußakte vereinbart ist, hat eine ganz andere Grundlage, eine andere Ausgangsposition und daher auch andere Verpflichtungen zur Folge, als wenn Sie die UNO zum Vergleich heranziehen.
    Ich möchte eine Bemerkung zu Portugal machen, weil diese Frage von mehreren Seiten angesprochen wurde. Meine Damen und Herren, für uns bleibt es immer erstaunlich, daß Ihnen Portugal jetzt so an die Nieren geht — uns geht es an die Nieren —, daß wir aber in der ganzen Zeit, in der Portugal unter einer anderen Herrschaft und unter anderen, schrecklichen Bedingungen gelebt hat, oftmals in den Wind geredet haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Eines sollten wir doch gemeinsam erkennen: Wir haben nach dem Umbruch versäumt, gleich, schnell und vernünftig mitzuhelfen. Daß sich die Kommunisten gegenseitig unterstützen, ist doch nichts Neues. Daß die Kommunisten in den Ländern, in denen Diktaturen herrschen, Untergrundbewegungen aufgebaut haben, ist auch nicht neu.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das behauptet auch niemand!)

    Aber der Westen hat lange gezögert, bevor er diejenigen unterstützt hat, die in Portugal der Unterstützung würdig sind.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Die Bundesregierung hat gezögert!)

    Auch heute zögern wir noch, da, wo es nötig ist, schnelle Hilfe zu leisten. Das sollten wir nicht außer acht lassen und sollten daraus Lehren ziehen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Die Regierung, doch nicht wir!)

    Herr Stücklen hat auf die Bemerkung, die Herr Brandt gemacht hat, daran erinnert, daß der Hitler-
    Stalin-Pakt letztlich vor dem zweiten Weltkrieg geschlossen worden sei. Er wollte damit darauf anspielen, daß das Hitler-Deutschland durch den Stalin-Pakt die sowjetische Politik unterstützt habe. Sie dürfen nicht vergessen, daß der Hitler-Stalin-
    Pakt ein Angebot des Hitler-Regimes an die Sowjetunion war und die Sowjetunion in der Vorstellung lebte, daß sie damit aus einem Krieg herausbleiben könne, der sich unter den westlichen Mächten ab- spiele.

    (Stücklen [CDU/CSU] : Darum haben sie im Geheimprotokoll dazu Polen aufgeteilt!)

    Daher, meine ich, wischen wir damit nichts von dem Weg, Herr Stücklen, was das Dritte Reich für die Welt und für unser heutiges Schicksal bedeutet hat. Das haben wir als Deutsche ganz alleine abzutragen. Daher werden wir auch einsehen müssen, daß wir bei 'der Abtragung noch nicht an dem Punkt sind, an dem wir in dieser Beziehung von der Geschichte sprechen können, wenn wir unsere eigene erlebte Vergangenheit meinen. Wir müssen leider zugeben, daß es für 50 °/o der heute Lebenden noch Gegenwart ist, was sie in den zwölf Jahren des Hitler-Regimes erlebt haben, und dürfen davon ausgehen, daß unsere Position im Kreise der westlichen Partner hervorragend geworden ist. Wir müssen uns dabei darüber im klaren sein, daß die 30 Jahre nicht ausreichen, um das alles vergesen zu machen, was unter deutschem Namen angerichtet worden ist.
    Man muß es daher, meine ich, hoch anrechnen, daß sich das Bündnis der westlichen europäischen Partner in dieser Phase der KSZE in einem so hervorragenden Maße zu einer Einheit entwickelt hat. Man muß hoch anrechnen, daß sich die westliche Einheit in dieser Konferenz in bezug auf die deutsche Frage einschließlich der Berlin-Frage so fest auf unseren Standpunkt gestellt hat. Die Bemerkung, meine Damen und Herren, die hier immer wieder



    Mattick
    hochkommt, daß wir mit dieser Konferenz und der Schlußakte Berlin geschadet hätten, ist eine unglaubliche Behauptung, weil sie einfach nur dazu dienen soll, uns den Vorwurf zu machen, wir achteten nicht genügend auf Berlin.
    Meine verehrten Damen und Herren! Was durch diese Schlußakte für Berlin getan worden ist, ist die absolute Festigung dessen, was die Vier Mächte vereinbart haben.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : In zwei Jahren sprechen wir uns wieder, Herr Kollege!)

    Die Amerikaner haben sich mit der Unterschrift unter diese Schlußakte mit der Berlin-Vereinbarung noch einmal so fest in Europa verankert, daß Sie, wenn Sie die Wahrheit sagen, erkennen müssen und zugeben müssen: Mehr ist überhaupt nicht zu erreichen gewesen. Ich bedauere, daß Ihrerseits immer wieder der Versuch gemacht wird, den Berlinern einzureden, sie gerieten auf diesem. Wege in Gefahr. Es geht Ihnen nur darum, mit den Berlinern Politik gegen die Regierung zu machen, ohne jede Grundlage.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Nein! Das ist objektiv so!)

    Dagegen wehren wir uns.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist an der Zeit, daß man sich über diese Fragen mit Ihnen so auseinandersetzt, daß die Bevölkerung zumindest begreift: Es sind Irreführungen Ihrerseits, weil nicht sein kann, was nicht sein soll, nämlich daß die sozialliberale Koalition Erfolge hat, die auf die Dauer auch für die deutsche Politik von großer Leistung sein werden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Herr Kollege, es ist Ihrer nicht würdig, so etwas zu sagen!)

    Sie bemühen sich dauernd, Berlin in den Schatten zu drängen

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Was heißt: zu drängen?)

    und so zu tun, als wenn hier irgend etwas nicht in Ordnung sei. Mehr Ordnung ist für Berlin überhaupt nicht herzustellen gewesen; das wissen Sie. Wir sind zufrieden als Berliner, daß wir von der Zeit der Mauer bis zum heutigen Tage einen Stand erreicht haben, der es uns möglich macht, in der Gemeinschaft der westlichen Welt und im Rahmen der Entwicklung zwischen Ost und West unseren gesicherten Platz zu haben.
    Meine Damen, meine Herren! Ich möchte noch eine Bemerkung zu der Vorbereitung dieser Konferenz machen. Es hat in dieser Zeit zwei Konferenzen der europäischen Parlamentarier im Rahmen der JPU gegeben. Beide Konferenzen — in Helsinki und in Belgrad — haben sich eingehend mit der Problematik und den Fragen der KSZE beschäftigt, haben eindeutige und einstimmige Beschlüsse in Begleitung der Verhandlungen von Genf gefaßt, und die Beschlüsse haben ihren Niederschlag gefunden. Ich denke, daß es gut wäre, wenn wir als Parlamentarier uns dieser Konferenzen erinnerten und den Versuch machten, die Kontakte fortzusetzen, die auf diesem Wege unter den europäischen Parlamentariern im Rahmen dieser KSZE entstanden sind, weil ich glaube, daß die Parlamentarier angesprochen werden können und angesprochen werden müssen auch in allen anderen Ländern, wenn die Vereinbarungen der KSZE sich nicht so entwickeln, wie wir es uns vorstellen. Es hat auch in der Schlußbestimmung dieser letzten Parlamentarierkonferenz einen Beschluß darüber gegeben, daß die JPU zu jeder Zeit in der Lage sein sollte, eine neue Konferenz einzuberufen. Wir müssen auch als Parlamentarier darauf achten, daß der Prozeß, der mit dieser Schlußakte beginnt, beobachtet wird, forciert wird und daß es in der Entwicklung keinen Stillstand gibt.
    Die Koalition legt dem Haus eine Entschließung vor, in der der Regierung der Dank ausgesprochen wird und in der wir die Regierung auffordern, diese Schlußakte zu unterschreiben in der Erkenntnis, daß bei den Verhandlungen die Zusammenarbeit der westlichen Mächte in eine Entwicklung hineingekommen ist, die wir alle begrüßen und von der wir hoffen, daß sie fortgesetzt wird, daß die Ergebnisse dieser Konferenz einen großen Beitrag für eine friedliche Entwicklung leisten und die Vertiefung der Entspannung in Europa einleiten können. Wir haben die Hoffnung, daß mit dieser KSZE auch für die deutsche Frage eine Entwicklung eintritt, die uns hilft. Der Deutsche Bundestag, heißt es, stellt fest, daß auf der KSZE die deutschen Interessen gewahrt worden sind. Wir verweisen auf den Beschluß des Europäischen Rates, in dem in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Berlin- und Deutschland-Frage eingegangen und deutlich gemacht wird, in welcher Lage die Berlin- und Deutschland-Frage sich in dieser Schlußakte befindet. Ich bitte das Haus, noch einmal zu überprüfen, ob diese Entschließung nicht auch von der Opposition unterstützt werden könnte,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Die Prüfung hat stattgefunden!)

    angesichts dessen, was Herr von Hassel zu dieser Konferenz gesagt hat.
    Meine Damen und Herren, die Konferenz, die heute im Gespräch ist, hat in Europa eine neue Atmosphäre geschaffen. Die Unterschrift wird für europäische Politik zwischen Europa und Nordamerika eine neue Plattform entwickeln, von der aus die Möglichkeit besteht, Friedensverhältnisse in Europa zu schaffen, die stabil sind, Abrüstungsgespräche zu entwickeln, die ins Stocken geraten sind, Beziehungen zwischen den Menschen herzustellen, die schrittweise dazu führen, daß Grenzen anders aussehen, als sie zur Zeit aussehen. Ich bin überzeugt, daß das Gewicht derer, die auf dieser Konferenz mit der Überzeugung wirken konnten, daß sie Politik bereits im Rahmen dieser humanitären Vorstellungen betreiben, groß genug ist, um allmählich auch in dem anderen Teil Europas solche Gedanken zu vertiefen und die Regierenden und die Regierten auf den Weg zu bringen, neue Formen der Zusammen-



    Mattick
    arbeit auch zwischen Ost- und Westeuropa einleiten zu können, weil nur dadurch der Frieden gesichert werden kann und nur darin eine Chance liegt, daß die Deutschen, wenn auch nicht in einem Staat, so doch in einer europäischen Gemeinschaft leben können, in der die Trennung nicht mehr so bitter ist, wie sie jetzt aussieht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schröder.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Schröder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte nähert sich ihrem Ende. Ich glaube, daß sie im großen und ganzen verlaufen ist, ohne die notwendige Kontroverse zwischen Regierung und Opposition unnötig zu verschärfen. Alle, die aus den Ferien hierhergekommen sind, werden sicherlich nachlesen, was gesagt worden ist. Wir haben, scheint mir, die große Aufgabe — diese haben wir alle zusammen, besonders die Opposition —, allen Deutschen klarzumachen; worum es hier wirklich geht.
    Die Frage, die mich heute am meisten bewegt, ist eine Doppelfrage. Erstens: Wie ist die jetzt bevorstehende Konferenz in Helsinki wirklich einzuschätzen? Zweitens: Wie bekommen wir es fertig, jedermann in unserem Lande Inhalt, Auswirkung, Einschätzung und politische Bewertung der Konferenz am besten nahezubringen?
    Ich beginne mit der ersten Frage. Dabei kommt mir der Spottvers des Horaz in den Sinn: Gewaltig kreißen die Berge, zur Welt kommt ein Mäuschen. Wir alle, meine Damen und Herren, kennen die Vorliebe der Kommunisten für überdimensional große, spektakuläre Veranstaltungen. Hier haben sie, wie ich glaube, schon jetzt eine echte Gipfelleistung vollbracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] und Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Wenn Breschnew in diesen Tagen eine Zwischenbilanz aufmacht, kann er, wie mir scheint, in der Tat zufrieden sein.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Eine Konferenz, die von seinen Vorgängern schon seit der Mitte der 50er Jahre verlangt worden ist, hat er zustande gebracht. Und wenn Breschnew in diesen Tagen den Vorsitzenden der SPD, den früheren Bundeskanzler Brandt, in Moskau und in der Sowjetunion gefeiert hat, wie wir es alle gelesen und gesehen haben, dann weiß er genau, warum.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Brandt ist nicht nur für ihn, sondern auch für viele andere der Mann, ohne den es den Vertrag von Moskau im August 1970 nicht gegeben hätte. Brandt ist der Mann, ohne den es auch diese KSZE nicht gegeben hätte. Ich brauche nicht erst lange darzulegen, daß Breschnew das zu würdigen weiß. Und damit ich hier nicht mißverstanden werde, möchte ich betonen, daß ich das ohne Polemik sage, sondern nur als eine — allerdings sehr notwendige,
    geschichtlich notwendige — Feststellung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Brandt war so freundlich, mir das Stenogramm seiner Rede zukommen zu lassen. Deswegen stütze ich mich bei dem, was ich jetzt sage, auf dieses Stenogramm. Er hat gesagt:
    Ich will mich noch mit der Legende auseinandersetzen, die deutsche Politik hätte den Russen gewissermaßen die Sicherheitskonferenz geschenkt.
    Er kommt dann zur Erörterung dessen, was er im Jahre 1969 hier im Hohen Hause und an anderer Stelle gesagt hat.
    Brandt hat schon damals — wir wollen das ganz sachlich und absolut fair behandeln — ausgedrückt, daß er für eine solche Konferenz ein beträchtliches Wohlwollen hat.
    Festgelegt worden ist das schließlich 1970 in Punkt 10 des sogenannten Bahr-Papiers. In der amtlichen Fassung heißt dieses Papier „Bahr-Papier". Ich habe mich immer gefragt, warum es so heißt; aber es heißt nun einmal „Bahr-Papier".
    Damals hat man sich klipp und klar für diese Konferenz ausgesprochen. Die Kontroverse darüber wird irgendwann in der nächsten Zeit sicher noch sehr viel lebhafter werden. Wenn die Regierung der Großen Koalition mit dieser Konferenz sozusagen belastet wird, möchte ich sagen: Als ich zuletzt — damals als Verteidigungsminister — mit dem nachmaligen Bundeskanzler Brandt — damals Bundesaußenminister — in Washington auf der Jubiläumstagung der NATO war, habe ich schon große Sorge darüber gehabt, daß er für ein solches Projekt — Sie erinnern sich an Budapest und die verschiedenen Versionen, die uns vorgetragen worden sind — Vorliebe zeigte. Dagegen habe ich große Bedenken gehabt. Er hat dann das zitiert, was er im März 1969 im Bundestag gesagt hat. Ich will es jetzt nicht im einzelnen wiederholen.
    Aber das zeigt, daß er — und daran führt kein Weg vorbei — sicherlich schon eine positive Einschätzung der Sache gehabt hat, bevor er dann 1970 die Marksteine gesetzt hat, von denen ich gerade sprach.
    Erlauben Sie mir eine weitere Bemerkung zur Vorgeschichte der Konferenz. Es geht mir hier um die von sowjetischer Seite den USA und der Volksrepublik China zugedachten Rollen. Ich mache diese Anmerkung, weil die Sache oft falsch dargestellt wird. Der erste sowjetische Vorschlag wurde von Molotow am 10. Februar 1954 auf der Berliner Außenministerkonferenz gemacht. Der Vorschlag hatte den Abschluß eines „Vertrages über die kollektive Sicherheit in Europa" als Ziel. Damals wurde von der Sowjetunion vorgeschlagen, daß die USA und die Volksrepublik China als Beobachter teilnehmen sollten. Sieben Wochen später, am 31. März 1954, folgte eine Note der Sowjetunion an die Westmächte mit weiteren Vorschlägen zur Schaffung eines gesamteuropäischen kollektiven Sicherheitssystems. Unter anderem „erklärt sich die



    Dr. Schröder (Düsseldorf)

    Sowjetregierung bereit, gemeinsam mit den interessierten Regierungen die Frage der Beteiligung der Sowjetunion am Nordatlantikpakt zu erörtern".
    Meine Damen und Herren, Sie werden glauben, daß Sie sich getäuscht haben; aber es ist wirklich so gewesen. Sie haben richtig gehört.
    Vier Monate später, am 24. Juli 1954, kommen neue Vorschläge der Sowjetunion: eine Konferenz sämtlicher europäischer Staaten und der USA; dazu die Volksrepublik China wiederum als Beobachter. Es folgen weitere Erklärungen der Sowjetunion. Schließlich, am 13. November 1954, folgt eine Note der Sowjetunion an damals 23 europäische Staaten und die USA mit dem Vorschlag der Einberufung einer gesamteuropäischen Konferenz zum 29. November 1954. Meine Damen und Herren, wenn man das nachliest, wenn man diese Daten in sich aufnimmt, dann kann man nur sagen: Welche Beharrlichkeit, welche Zähigkeit der Sowjetunion!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun, meine Damen und Herren, die Gipfelkonferenz von Helsinki mit 35 Staaten als Teilnehmern — wir können auch getrost von „Breschnews Gipfel" sprechen — ist eine Veranstaltung von gewaltiger propagandistischer Wirkung, jedenfalls in den Augen der Sowjetunion und der ihr nahestehenden Mächte. Nun, der große Propagandaerfolg der Sowjetunion ist für sie sehr viel wert, da er einerseits Verwirrung stiften, andererseits Bewunderung erregen wird. Ich habe mich immer ein bißchen darüber gewundert, wenn die Beobachter und Beschreiber der Genfer Diplomatenkonferenz oft betont haben, daß ja keineswegs, wie offenbar mancher erwartet habe, die Sowjets dort in Genf die Szene beherrschten oder zu beherrschen schienen. Meine Damen und Herren, welch eine trügerische, ich möchte sagen, verblendete Auffassung von dem, was wirklich vor sich ging! Für die Sowjetunion war entscheidend, daß diese Konferenz stattfand,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] und Dr. Marx [CDU/CSU]: So ist es!)

    selbst wenn das Programm inhaltlich nur mager sein würde. Und, ich sagte es schon, ich möchte keineswegs geringachten, was die Zusammenarbeit von Diplomaten auf westlicher Seite im Verbunde der Europäischen Gemeinschaft, im Verbunde der NATO an westlicher Abstimmung im Ringen um einzelne Formeln erbracht hat. Sicher hat die deutsche Diplomatie hier eine wichtige. Leistung gezeigt. Das sollte man rückhaltlos anerkennen, wie das heute hier geschehen ist.

    (Vereinzelter Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Kreml aber, meine Damen und Herren, konnte das mit größter Gelassenheit verfolgen. Sicher war dort im Kreml von vornherein klar, daß alles, was die Sowjetunion bisher in zweiseitigen Zusammenkünften und Abmachungen gesagt hatte, von der Konferenz nicht etwa unterdrückt werden könnte. Natürlich würde sich die Sowjetunion im Prinzipien-Teil auf die Formulierungen einlassen, wie sie z. B. im deutsch-sowjetischen Vertrag und darum herum gebraucht worden waren; natürlich würde sie sich auch auf alle anderen Vereinbarungen, z. B. die Viermächtevereinbarung über Berlin, festlegen lassen. Ich unterstreiche aber noch einmal: Dies alles war für sie nicht entscheidend, dies alles waren für sie nicht etwa Konzessionen, sondern das Zustandekommen der großen Propagandaschau selbst war immer ihr Ziel gewesen, und dieses Ziel würde jetzt über Genf zu einer Gipfelkonferenz führen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, um nun die Szenerie, die sich uns heute darbietet, richtig auszuleuchten, erlauben Sie mir ein einziges Breschnew-Zitat vom 15. Juli, also ein Zitat, das erst wenige Tage alt ist. Er hat in einem Telegramm gesagt:
    Die Tatsache, daß trotz positiver Veränderungen in ,der internationalen Situation materielle Kriegsvorbereitungen und Rüstungsaufbau weitergehen, ist eine Angelegenheit, die ernste Besorgnis hervorruft.
    Nach dem Text von TASS habe ich das zitiert, damit nicht irgendwelche Irrtümer aufkommen können. Meine Damen und Herren, hier kann man nur sagen: Welch eiserne Stirn gegenüber der Wahrheit!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und nun die Stimme der DDR. Eine Äußerung des Chefs der politischen Hauptverwaltung der DDR-Streitkräfte, Verner, stammt fast vom gleichen Tage. Er sagt:
    Der Frieden wird in dem Maße stabiler, wie sich auch das militärische Kräfteverhältnis weiter zugunsten des Sozialismus verändert.

    (Hört! Hört! und Lachen bei der CDU/CSU)

    Man muß beide Stimmen auf sich wirken lassen, um zu verstehen, welcher Strategie wir uns gegenübersehen.
    Nun, glaube ich, müssen wir die Frage stellen: Was haben die Sowjets für den Erwerb dieses Propagandainstruments gegeben? Meine Antwort lautet: Sie haben dafür nichts zu tun und zu geben brauchen als vage, jederzeit zurücknehmbare, einengbare Versprechungen zur wohlwollenden Prüfung von Anträgen, wie sie im Kapitel 3 beschrieben werden, Anträge, die sich auf die Zusammenführung von Familien, auf Heiratserlaubnisse, auf Reisebewegungen, auf Tourismus überhaupt und auf freiere Beweglichkeit von Journalisten usw. beziehen.
    Dies überzubewerten wäre ein schlimmer Fehler. Dies etwa, wie das auf Regierungsseite und von anderen Stellen geschieht, als eine Kompensation in der Sache hinzustellen erscheint mir sehr kurzsichtig. Natürlich, man sollte nicht erst sagen müssen, daß wir selbst, die Kritiker dieser Abmachungen, nur zu gerne die Hoffnungen aller jener teilen möchten, die sich von Kapitel 3 eine große humanitäre Entwicklung versprechen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ist es!)




    Dr. Schröder (Düsseldorf)

    Wir glauben aber, daß nach allem, was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, wenig Anlaß dazu besteht, besonders hoffnungsvoll zu sein.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Leider wahr!)

    Wir glauben im Gegenteil, daß hier Hoffnungen erweckt werden, denen bittere Enttäuschungen folgen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen sind wir der Meinung, daß diese Teile der Vereinbarungen oder, sagen wir es richtiger, der Absichtserklärungen sicherlich nachdrücklich verwirklicht werden sollten, daß aber eine skeptische Voraussage eher gerechtfertigt ist als eine optimistische.

    (Stücklen [CDU/CSU] : Leider richtig!)

    Für die praktische Anwendung der in den Augen der Sowjets sicherlich vor allem wichtigen Prinzipien in Teil 1 gibt es gerade aus diesen Tagen ein schönes Beispiel, das uns den weiteren Fortgang in der diplomatischen und politischen Welt ablesen läßt: Der britische Außenminister Callaghan hat einen Besuch in Warschau gemacht, über den u. a. in der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. Juli 1975 berichtet wird. In einer feierlichen Deklaration, die er dort unterschrieben hat, steht folgendes: Die beiden Parteien haben die Absicht, ihre künftigen Beziehungen gemäß den Prinzipienerklärungen in der KSZE-Schlußakte zu gestalten. Ich will mich nicht lange damit beschäftigen, daß es natürlich völlig ungewöhnlich ist, wenn auf eine Vereinbarung Bezug genommen wird, die einstweilen noch gar nicht unterschrieben ist. Aber dieser kleine Vorgang bestätigt, was seit längerer Zeit und ganz sicher seit dem Abschluß des Moskauer Vertrags zu verspüren ist: das Eindringen der östlichen Vertragssprache, beinahe unbemerkt. Ich habe das auch bei der Lektüre der Reden empfunden, die anläßlich des Besuchs des österreichischen Staatspräsidenten Kirchschläger in Warschau gehalten worden sind. Man ist erstaunt, zu lesen, wie sehr — ich sage es noch einmal —, geradezu als ganz selbstverständlich, die östliche Gedankenführung und Terminologie . in die Texte einfließt. Das sehen Sie bitte nicht als eine literarische Absonderlichkeit an. Die Schlußfolgerung lautet vielmehr, daß derjenige, der die Vertragssprache durch die bei ihm gängige Ideologie und Phraseologie weitgehend beeinflußt, damit die Machtstellung demonstriert, die er erworben hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Für mich und meine Freunde gibt es keinen Zweifel daran, daß sich der Einfluß der Sowjetunion auf die europäische Szenerie im ganzen seit dem Moskauer Vertrag vom August 1970 ganz erheblich verstärkt hat.
    Nun, die Mammutveranstaltung in Helsinki, vor den Toren der Sowjetunion, wird in wenigen Tagen stattfinden. Die Sowjets werden dieses Fest feiern, und sie werden sicher nichts unterlassen, was in der Zeit, die vor uns liegt, die propagandistische Ausbeutung angeht.
    Ich sage noch einmal: Hier kommt es nicht auf die interessanten Nuancen dieser oder jener Formulierung an, sondern auf die Schlußakte und den Schlußakt.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: So ist es!)

    Wie aber ist der Vorgang nun einzuschätzen? Ein amerikanischer Diplomat, so nachzulesen in der „International Herald Tribune" vom 2. Juli, hat, nach meiner Meinung zutreffend, bemerkt, der Moskauer Vertrag trage nur die Unterschrift Brandts. Jetzt aber werde ein Nachfolgedokument u. a. vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika unterschrieben. Ich will nicht länger ausmalen, was das im einzelnen bedeutet, ob sich die nichtkommunistischen Teilnehmer nicht doch im Grunde darüber klar sind — diese Frage möchte ich gar nicht erst stellen —, was vor sich geht. Sie suchen — vielleicht — ihren Trost darin, daß ja wirklich nichts mit vertraglicher, völkerrechtlicher Wirkung neu festgelegt werde, daß es sich vielmehr um die Wiederholung und die Deklamation weitgehend geltender völkerrechtlicher Prinzipien handelt und daß — vielleicht, vielleicht — in humanitärer Beziehung ein Fortschritt erreicht werden könnte.
    Es ist gesagt worden, nur bei uns finde eine parlamentarische Behandlung. der Konferenz statt. Das führe möglicherweise dazu, im Ringen zwischen Regierung und Opposition, die Schlußakte von Helsinki bedeutender, bindender und zwingender erscheinen zu lassen. Ich teile diese Sorge nicht, um das klipp und klar zu sagen.
    Ich bin angegriffen worden wegen meiner Meinung, daß die Schlußakte eine Überhöhung bestimmter sowjetischer Positionen bringe.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sie Nahen völlig recht!)

    Es sei doch so, daß völkerrechtliche Neuigkeiten oder völkerrechtliche Bindungen — hinausgehend über das Bisherige — nicht beschlossen worden seien. Nun, worin ich die Überhöhung sehe, habe ich schon klargemacht. Die öffentliche Klarstellung hier ist aber sicherlich nützlich.
    Die Meinung, daß nur bei uns eine parlamentarische Auseinandersetzung über die Schlußakte erfolge, trifft im übrigen nicht zu. Ohne allzuviel internationale Beachtung hat das britische Unterhaus in einer Fragestunde vor wenigen Tagen über dasselbe Thema gesprochen. Dabei ist bemerkt worden, daß nichts in diesem Propagandainstrument stecke, was auch nur die Entlassung eines einzigen Soldaten auf der NATO-Seite rechtfertige. Es wurde hervorgehoben, daß ein einziger Fortschritt auf der etwas in den Windschatten geratenen Wiener Konferenz über ausgewogene Truppenverminderungen — MBFR — wichtiger gewesen wäre als alle Papiere von Helsinki. Genauso liegt es.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der entscheidende Fehler, dessen sich die Bundesregierung schuldig gemacht hat, ist gerade der, nicht der Wiener Konferenz den Vorrang erkämpft zu haben, den sie als eine Konferenz über militärische Sicherheit tatsächlich hätte beanspruchen können.
    Entscheidenden Wert lege ich aber auf das Vorstadium vor Genf. Für dieses Vorstadium gilt: Wenn



    Dr. Schröder (Düsseldorf)

    man den Vorrang der MBFR-Konferenz nicht etablieren konnte, mußte man eben auf das Projekt der KSZE verzichten,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und zwar bis zu dem Tag, an dem es, hoffentlich nach geglückter MBFR-Konferenz, sinnvoll — vielleicht — durchführbar geworden wäre. Durchführbar aber konnte es nur dann sein, wenn hinsichtlich der MBFR konkrete Fortschritte erreicht wären. Das Ergebnis, das wir jetzt vor uns sehen, ist aber dies: Man gibt sich mit einem großen klingenden Spiel zufrieden, nachdem man eine in westlichen Augen vorrangige Sache nicht durchsetzen konnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, nun will ich eine Frage aufnehmen, die uns gestellt ist und gestellt werden wird. Wir werden danach gefragt, warum wir gegen eine Veranstaltung seien, an der sich unsere Freunde und Bundesgenossen doch auch beteiligten. Lassen wir ganz offen, welches die wirklichen Gedanken von vielen der Unterzeichner in der nächsten Woche sein werden. Ein bekannter deutscher Publizist, dessen Namen ich nicht nennen möchte, um keine unnötige Propaganda zu machen, hat vor wenigen Tagen in einer Fernsehdiskussion über die KSZE gesagt, für die Amerikaner stelle die KSZE sozusagen die Abteilung „Sport und Spiele" dar, während ihnen an den zweiseitigen Absprachen mit der Sowjetunion, insbesondere über die Begrenzung strategischer Waffen, in erster Linie gelegen sei. Diese Charakterisierung mag vielleicht etwas frivol klingen; dennoch ist sie richtig. Diejenigen von Ihnen, die Gelegenheit haben, mit amerikanischen Politikern darüber zu sprechen und vielleicht auch den Präsidenten am Sonntag danach fragen können, sollten das ruhig tun. Die Amerikaner machen etwas ganz Richtiges, indem sie SALT zweiseitig vorantreiben und den KSZE-Komplex — ich gebrauche jetzt auch diesen frivolen Ausdruck — als „Sport und Spiele" behandeln.
    Uns wird nun die Gefahr vorgehalten, daß wir isoliert seien und in die Neinsagerecke gestellt werden könnten. Wir wollen über einen Punkt hier jedenfalls miteinander volle Klarheit haben. Von den in Helsinki teilnehmenden Ländern ist nur unser Land — das ist heute hier zweimal gesagt worden — durch die Bundesrepublik Deutschland und die DDR vertreten. In Helsinki tritt also ein geteiltes Deutschland auf. Dieser Tatbestand kennzeichnet die wirkliche Einzigartigkeit der deutschen Situation. Wir brauchen von niemandem isoliert zu werden; unsere Lage ist ganz exzeptionell, ganz außergewöhnlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn wir unsere Stimme gegen diese Veranstaltung erheben, so geschieht das, weil wir meinen, daß das Schicksal des geteilten Landes es von uns gebieterisch verlangt, in diesem Augenblick unsere Stimme zu erheben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, uns ist es aufgegeben,
    an der Überwindung der Teilung unseres Landes zu
    arbeiten. Dazu gehört, daß wir uns mit aller Leidenschaft gegen jede Erschwerung dieser Arbeit wehren. Niemandem ist das in ähnlicher Weise aufgegeben, nur den Deutschen selbst. Wir dürfen unter gar keinen Umständen die Hand dazu reichen, daß dieser Tatbestand der Teilung auch nur von Ferne als verharmlost angesehen werden oder erscheinen könnte, weil eben beide Teile Deutschlands an dieser Mammutveranstaltung beteiligt sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß hier keine in der Sache neuen Vereinbarungen getroffen werden. Es ist aber, um es vereinfacht auszudrücken, so, daß mindestens für die Welt der Anschein erweckt wird, daß zweiseitige Abreden von gestern heute durch Multilateralisierung erhöht oder überhöht werden. Jeder, der einen Sinn für die psychologischen Auswirkungen dieses Tatbestands hat, wird dem zustimmen.
    Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch zwei, drei Worte zum Bundeskanzler zu sagen, der leider nicht mehr da ist.

    (Zurufe von der SPD)

    Aber die Kontroverse wird ja weitergehen. Der Bundeskanzler ist so freundlich gewesen, mir die Niederschrift aus dem Stenogramm seiner Rede zur Verfügung zu stellen.

    (Zuruf von der SPD: Auf Ihre Bitte!)

    — Ja, natürlich auf meine Bitte. Von sich aus würde er das kaum getan haben. Oder hätten Sie das erwartet?
    Der Bundeskanzler hat ein Bild gebraucht, das andere auch gebraucht haben, das Bild von dem Riesen und dem Zwerg. Nun, meine Damen und Herren, ich habe das Bild nie für gut gehalten, egal, wer es gebraucht hat — der Kollege Strauß ist hier, ob es in seinem Buch steht, weiß ich nicht. Wir wollen jetzt einmal offen lassen, ob das Bild zu irgendeiner Zeit richtig gewesen ist: die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich ein Riese und politisch ein Zwerg. Nun, meine Damen und Herren, was den Riesen angeht, so ist allerdings dafür, wie die deutsche Wirtschaft jetzt aussieht, zu einem großen Teil diese Regierung verantwortlich zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber nun zu dem politischen Zwerg: Welche Politik hat dazu geführt, diesen Zwerg wachsen zu lassen? Kompromisse? Die sind in sekundären Fragen sicher möglich. Der Bundeskanzler hat gesagt, ohne Kompromisse könne man überhaupt keine auswärtige Politik machen. Nun, das bedeutet, der auswärtigen Politik zuviel Ehre anzutun. Man kann ohne Kompromisse überhaupt keine Politik machen. Aber seien wir uns darüber einig, in sekundären Fragen geht das, in Lebensfragen geht das unter gar keinen Umständen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Siehe Otto Wels!)

    Ich frage nun, meine Damen und Herren: Wie also
    ist der Zwerg gewachsen? Durch Verzichte, die er



    Dr. Schröder (Düsseldorf)

    ausgesprochen hat? Durch Liquidation, die er vorgenommen hätte? Durch Kapitulation gar? Durch eine Politik des Mitschwimmens? Sie mögen unter diesen Formeln wählen, welche Sie für die richtige halten, ich lasse das im Augenblick einmal offen. Aber glauben Sie denn wirklich, daß die Position des Zwergs ohne Substanzdreingabe hätte erhöht werden können? Nun, ich frage: Welche Substanz ist dreingegeben worden? Ich habe das angedeutet. Ich frage aber nun: Welche Substanz haben Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Vorgängerregierung denn gemehrt, um aus dem Zwerg etwas Größeres werden zu lassen? Die Antwort darauf werden Sie sicher bekommen, und die Kontroverse wird weitergehen.
    Meine Damen und Herren, die Opposition würde ihrer Aufgabe und ihrer Verpflichtung nicht gerecht, wenn sie sich von Opportunismus verleiten ließe, ihre ernsten und schwerwiegenden Vorbehalte gegen eine außenpolitische Entwicklung zu unterdrükken. Niemand darf und niemand sollte uns die Zumutung stellen, für die Interessen unseres geteilten Landes und für alle Deutschen anders als nach unserem besten Wissen und Gewissen einzutreten. Die Opposition nimmt dieses Recht in gleicher Weise in Anspruch, wie das die Regierung tut. Unsere Einschätzung der KSZE verdient den gleichen Respekt wie die anderslautende der Bundesregierung. Diese sollte aber nicht der Versuchung unterliegen, für sich und ihren Standpunkt sozusagen ein höheres Maß an Einsicht und Erkenntnis zu reklamieren.
    Meine Damen und Herren, dies ließe sich aus den Resultaten der seit Herbst 1969 betriebenen Ost- und Deutschlandpolitik bestimmt nicht begründen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wie ich glaube, läßt sich leichter das Gegenteil begründen, denn die Entwicklungen und Erfahrungen in den vergangenen Jahren rechtfertigen gewiß keinerlei Optimismus auf beiden Seiten des hohen Hauses.
    Der Bundesminister des Auswärtigen, der glücklicherweise noch hier ist, hat kürzlich zur KSZE folgendes festgestellt.

    (Zuruf von der SPD: Schon den halben Tag sitzt der Kanzler hier!)

    — Herr Bundeskanzler, ich bitte um Entschuldigung, daß Sie mitten im Publikum sitzen.

    (Heiterkeit — Franke [Osnabrück] [CDU/ CSU] : Er ist gerade erst gekommen!)

    Das Hohe Haus bitte ich um Entschuldigung, wenn sich jemand bei dem Ausdruck „Publikum" getroffen fühlen sollte. Zu dem Publikum gehören wir alle, mal mehr, mal weniger.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    — Ich spreche von dem Bundesminister des Auswärtigen. Er hat in seiner Stellungnahme zur KSZE kürzlich festgestellt — ich zitiere nur einen Satz —: „Die östliche Seite wird ihre Ziele nur unter anderen Bedingungen verfolgen." Er hat dabei sicher etwas sehr Richtiges gesagt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Hier hat der Außenminister recht!)

    Ich möchte diese Ausführung von ihm unterstreichen; so ist es in der Tat.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Manchmal hat er recht!)

    Aber wir haben allen Anlaß zu der Befürchtung, daß diese Bedingungen für die Sowjetunion nach Helsinki günstiger sein werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : In UNO-Fragen zum Beispiel!)

    Wir sehen — meine Damen und Herren, tadeln Sie uns dafür bitte nicht — die Risiken sehr viel stärker als die Bundesregierung, für die die Chancen, die sie zu sehen glaubt, im Vordergrund stehen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist der Unterschied!)

    Wer aber sollte auf die Risiken, deren Vorhandensein niemand bestreiten kann, hinweisen, wer sollte warnend die Stimme erheben, wenn nicht die Opposition? Sie muß zum Ausdruck bringen, was im Interesse unseres Landes an Einwendungen, Vorbehalten und Warnungen vorgebracht werden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die Opposition tut das im Bewußtsein, daß die Lage der Bundesrepublik Deutschland von der aller anderen Länder, die an der Konferenz beteiligt sind, durch die Teilung Deutschlands und die Existenz West-Berlins grundsätzlich verschieden ist.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ist es!)

    Diese spezielle deutsche Situation und die sich daraus ergebenden besonderen deutschen Interessen finden jedoch im Ergebnis der KSZE, wie wir meinen, nicht die Berücksichtigung, die wir für notwendig gehalten hätten.

    (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Sie werden vielmehr schon durch die Veranstaltung als solche beeinträchtigt. Das ist unsere Meinung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Daher ist unser Einwand, meine Damen und Herren, prinzipieller Natur, unbeschadet der berechtigten Kritik an den Einzelheiten der Dokumente. Unser Nein gründet sich auf unsere Bewertung der deutschen Situation in ihrer Besonderheit und der deutschen Interessen, wie ich eben sagte. Unser Nein ist keine Ablehnung der guten Absichten, wie sie insbesondere in den Kapiteln 2 und 3 der KSZE-Dokumente niedergelegt sind. Die Opposition tritt für Verständigung, friedliche Zusammenarbeit und möglichst vielfältige, intensive Kontakte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Staaten Osteuropas einschließlich der Sowjetunion ein. Wirtschaft und Handel, aber auch Wissenschaft und For-



    Dr. Schröder (Düsseldorf)

    schung, Kultur und Sport bieten zahlreiche Möglichkeiten zu Kooperation und Austausch, die nachdrücklich genutzt werden sollten. Dies wäre zum Vorteil aller Beteiligten, würde aber auch das gegenseitige Verständnis fördern und damit dem Frieden dienen.
    Meine Damen und Herren, ich sagte eingangs, es sei der zweite Teil der mich am meisten bewegenden Frage, wie wir jedermann die wirkliche Lage richtig darstellen könnten. Nach meiner Meinung kann das in sieben Punkten zusammengefaßt werden.
    Erstens. Wirkliche Entspannung kann nur dadurch herbeigeführt werden, daß die Ursachen der Spannung gemildert, abgebaut und beseitigt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zur Erreichung dieses Ziels sind die Verbesserung der politischen Atmosphäre und die Schaffung von Vertrauen nützlich, hilfreich und förderlich.
    Zweitens. Die Schlußakte der KSZE beseitigt keine einzige der Spannungsursachen. Wir dürfen uns nichts vormachen, und wir dürfen uns auch nichts vormachen lassen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Drittens. Der Wille zur Entspannung kann durch konkrete Maßnahmen gezeigt werden. Solche Maßnahmen hat der Westen bei den Verhandlungen über die MBFR in Wien vorgeschlagen.
    Viertens. Daher hätte man erst konkrete Fortschritte auf dem Abrüstungsgebiet in Wien herbeiführen sollen, bevor man sich auf das sowjetische Konzept der KSZE einließ.
    Fünftens. Der sowjetische Erfolg liegt im Zustandekommen der KSZE einschließlich des Gipfels in Helsinki. Damit wird ein Eindruck erzeugt, der mit der Wirklichkeit von Mauer, Todeszaun und Minenfeld quer durch Deutschland in schroffem Gegensatz steht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sechstens. In der sowjetischen Sicht liegt der Schwerpunkt der KSZE-Ergebnisse auf dem Prinzipienkatalog. Er bringt der Sowjetunion eine moralisch-politische Überhöhung der Erfolge, die sie in den Moskauer Abmachungen mit der Bundesrepublik Deutschland bereits erreicht hat.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Herr Schröder hat recht!)

    Siebentens. Hoffnungen auf Fortschritte für die Menschen möchten wir gerne teilen. Es wäre aber falsch, sich Illusionen zu machen. Die bisherigen Erfahrungen erlauben keinen Optimismus, sondern zwingen zu äußerster — ich wollte sagen: Skepsis, ich sage lieber: Sachlichkeit und Vorsicht.

    (Zuruf von der SPD: Schwarzmalerei!)

    Wir sind für eine wirkliche Entspannung. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, niemand hier in diesem Hause wünscht eine Pseudoentspannung bis zur endgültigen Einführung des Kommunismus.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)