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    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 183. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. Juli 1975 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Josten 12797 B Erklärung der Bundesregierung betr. KSZE Genscher, Bundesminister AA . . . . . 12797 B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Marx CDU/CSU . . . . . . . . 12803 C Brandt SPD 12812 B Hoppe FDP 12816 D Stücklen CDU/CSU . . . . . . . . 12819 D Schmidt, Bundeskanzler 12825 C Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU . . 12830 B Pawelczyk SPD 12834 B Dr. Bangemann FDP . . . . . . . . 12839 A Oxfort, Bürgermeister von Berlin . . . 12843 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 12845 B Mattick SPD 12850 A Dr. Schröder (Düsseldorf) CDU/CSU . . 12854 A Wehner SPD . . . . . . . . . . 12859 C Strauß CDU/CSU 12862 A Genscher, Bundesminister AA . . . . 12869 D Namentliche Abstimmungen . . . . . 12872 A Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 12875* A Anlage 2 Nichtanwendung des § 48 Absatz 2 BAföG durch einige Hochschulen SchrAnfr B 59 06.06.75 Drs 07/3737 Engholm SPD ErgSchrAntw StSekr Dr. Jochimsen BMBW 12875* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Juli 1975 12797 183. Sitzung Bonn, den 25. Juli 1975 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 181. Sitzung, Seite 12684 D ist statt „Gerstl (Passau) (CDU/CSU) " zu lesen „Gerstl (Passau) (SPD) ". 181. Sitzung, Seite 12726 C: Die Zeile 22 mit den Worten „was nun die Rechtsgrundlage sein soll," ist zu streichen. Einzufügen sind die Worte ,;Rechte dort habe". Vier Zeilen weiter ist hinter dem Wort „soll" ein Komma zu setzen. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt für Alber 25. 7. Dr. Bayerl 25. 7. Dr. Böger 25. 7. von Bothmer 25. 7. Breidbach 25. 7. Prof. Dr. Burgbacher 25. 7. Burger 25. 7. Bühling 25. 7. Dürr 25. 7. Dr. Enders 25. 7. Geldner 25. 7. Gerster (Mainz) 25. 7. Gewandt 25. 7. Gierenstein 25. 7. Graaff 25. 7. Haase (Fürth) 25. 7. Dr. Häfele 25.7. Handlos 25. 7. Hölscher 25. 7. Horn 25. 7. Horstmeier 25. 7. Dr. Hupka 25. 7. Hussing 25. 7. Jaunich 25. 7. Kater 25. 7. Dr. Kiesinger 25. 7. Lange 25. 7. Dr. Klepsch 25. 7. Dr. Köhler 25. 7. Krampe 25. 7. Lattmann 25. 7. Leicht 25. 7. Lücker 25. 7. Dr. Luda 25. 7. Lüdemann 25. 7. Prof. Dr. Möller 25. 7. Opitz 25. 7. Pieroth 25. 7. Dr. Riede 25. 7. Rollmann 25. 7. Rommerskirchen 25. 7. Prinz zu Sayn-Wittgenstein 25. 7. Prof. Dr. Schäfer (Tübingen) 25. 7. Prof. Dr. Schellenberg 25. 7. Schmidt (Kempten) 25. 7. Dr. Starke 25. 7. Stommel 25. 7. Vogel (Ennepetal) 25. 7. Abgeordnete(r) beurlaubt für Volmer 25. 7. Walkhoff 25. 7. Dr. Walz 25. 7. Dr. Wex 25. 7. Wischnewski 25. 7. Dr. Wörner 25. 7. Prof. Dr. Zeitel 25. 7. Anlage 2 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Jochimsen auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Engholm (SPD) (Drucksache 7/3737 Frage B 59, 178. Sitzung, Seite 12552*, Anlage 75) : Ihr Hinweis auf die ab 1. August 1975 geltende Neufassung des § 48 BAföG dürfte sich vermutlich nicht auf die Absätze 1 und 2, sondern auf Absatz 1, Nrn. 1 und 2 beziehen. Das Rundschreiben des Rektors der Universität Bonn an die Dekane der einzelnen Fakultäten befaßt sich, worauf Sie mit Recht hingewiesen haben, nur mit Absatz 1 Nr. 1. Insoweit gibt das Rundschreiben die in der ab 1. August 1975 geltenden Neufassung des Absatzes 1 Satz 1 enthaltenen beiden Möglichkeiten des Gesetzes zum Eignungsnachweis nicht erschöpfend wieder. Das ist auch die Auffassung des Ministers für Wissenschaft und Forchung des Landes Nordrhein-Westfalen als oberster Landesbehörde für Ausbildungsförderung. Aus der Tatsache, daß das Rundschreiben die neue Rechtslage nicht vollständig wiedergibt, wird man allerdings nicht auf eine beabsichtigte restriktive Handhabung der neuen Vorschriften durch die Universität Bonn und andere Hochschulen schließen können. Um jeden Zweifel auszuschließen, hat der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen den Hochschulen des Landes in einem Runderlaß die dazu von der Bundesregierung nach vorausgegangenen eingehenden Beratungen mit den obersten Landesbehörden beschlossenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 48 Abs. 1 übermittelt und gebeten, beide Alternativen des § 48 Abs. 1 Satz 1 sowie insbesondere Tz 48.1.1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu beachten. Die gesamte allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BAföG liegt zur Zeit dem Bundesrat vor, der darüber nach der Sommerpause beraten wird.
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    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man zu einer angemessenen Beurteilung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kommen will, dann darf man sich nicht von Wunschvorstellungen, auch nicht von Vorurteilen leiten lassen.

    (Beifall bei der SPD und demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU)

    Und man darf, meine verehrten Anwesenden und auch mein sehr geschätzter Herr Vorredner, nicht eine kurzatmige, geradezu geschichtslose Betrachtung hier zugrunde legen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Mit der Konferenz von Helsinki wird ganz gewiß kein goldenes Zeitalter anbrechen. Die innereuropäischen Gräben werden nicht zugeschüttet, Mauern noch nicht abgetragen, hochgerüstete — —

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ja, ich sage „noch". Als ob nicht auch Sie hofften, daß es „noch" heißen muß und nicht heißen soll: „überhaupt nicht" !

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Hochgerüstete Armeen werden weiter einander gegenüberstehen, der Streit zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen und weit voneinander abweichenden Grundwerten geht weiter.
    Und doch werden wir es mit einem wichtigen Datum zu tun haben,

    (Strauß [CDU/CSU] : Diese Wertneutralität, die er immer an den Tag legt!)

    wenn Kardinalstaatssekretär Villot, Herr Kollege Strauß, am kommenden Mittwoch in der finnischen Hauptstadt der ersten Sitzung der Staats- und Regierungschefs präsidieren wird.
    Um sich die Bedeutung dieser Konferenz klarzumachen,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    muß man sich — ich komme auf meinen zweiten Satz zurück, ob er Ihnen gefällt oder nicht — des geschichtlichen Zusammenhangs erinnern. Und dazu gehört, ob es uns allen miteinander gefällt oder nicht, meine Damen und Herren, in dieser Stunde der schonungslose Hinweis auf den Zustand, in dem Hitler und seine Gehilfen vor 30 Jahren jenes Europa hinterließen, das zu unterwerfen sie sich vorgenommen hatten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Strauß [CDU/CSU] : Zu den Gehilfen gehörte Stalin! — Weiter Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Damen und Herren, warten Sie doch einen Augenblick! Mein nächster Satz lautet nämlich: Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewalt und Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs sind ursächlich miteinander verbunden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir haben dann erlebt, wie die Allianz zwischen den Westmächten und der Sowjetunion den zweiten Weltkrieg nur knapp überlebte, wie der Kalte Krieg in den fünfziger Jahren und noch zu Beginn der sechziger Jahre auch in unserem Teil der Welt mehr als einmal bis hart an die, Grenze einer neuen militärischen Konfrontation führte.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wie kam es dazu?)

    Wir haben erlebt, wie die beiden Supermächte schon vor Jahren bei aller weiterwirkenden Rivalität darangingen, die Gefahr einer nuklearen Konfrontation zu verhindern, sie nach Möglichkeit unter Kontrolle zu bringen. Auch in anderen Bereichen — und nicht allein auf die Weltmächte bezogen — haben wir gesehen, wie sich Elemente von Konfrontation und Kooperation miteinander vermengten.
    Meine Damen und Herren, ich meine, die weitreichenden Veränderungen der politischen Weltkarte gehören mit zu dem, was wir uns in diesem Augenblick bewußt machen sollten. Aber auch aus Europa ist wieder etwas anderes und schon wesent-



    Brandt
    lich mehr geworden als ein in russische und amerikanische Einflußzonen geteilter Kontinent.
    Dies und anderes, meine ich, gilt es vor Augen zu haben, wenn man die bevorstehende Konferenz in Helsinki richtig einordnen will. Die Tatsache selbst, daß sich — mit Ausnahme Albaniens — alle europäischen Staaten, die westlichen und die östlichen, die bündnisfreien und neutralen, und dazu die beiden nordamerikanischen Staaten zusammenfinden, hat allein ihr Gewicht. Vor zwanzig, vor zehn Jahren wäre das nicht möglich gewesen.
    Auch wenn man an die Grundsätze, die Leitlinien und Absichtserklärungen, die in der nächsten Woche in Helsinki verabschiedet werden, mit noch so viel Skepsis herangeht, auch wenn man sie auf Grund bitterer Erfahrungen oder aus welchen Gründen auch immer mit noch so vielen Fragezeichen versieht, — das Schlußdokument der europäischen Konferenz, an dem zweieinhalb Jahre gearbeitet wurde, bleibt ein Dokument von besonderem Rang. Ich habe jedenfalls vor, mich bei passenden Gelegenheiten darauf zu berufen, und ich vermute, ja, ich befürchte, daß es an Gelegenheiten nicht fehlen wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn man sich klarmacht, meine Damen und Herren, wie mühsam um die Texte gerungen werden mußte, da sie in weiten Teilen ja nur auf dem Wege des Kompromisses zustande kommen konnten, ist es eigentlich überraschend, wieviel Substanz — neben den wohl unvermeidlichen Füllseln — zu Papier gebracht werden konnte. Vor zehn, auch vor fünf Jahren wäre das so nicht möglich gewesen.
    Wir haben nun gehört, was die Texte, unter die der Bundeskanzler am kommenden Freitag seinen Namen setzen wird, alles nicht bedeuten: daß sie nicht neues Völkerrecht begründen, daß sie Berlin nicht ausklammern, daß sie uns nicht daran hindern, mit friedlichen Mitteln für unsere nationalen Interessen einzutreten, daß sie es den Westeuropäern nicht erschweren, sich in einer Union zusammenzuschließen. Alle diese Feststellungen haben ihre Bedeutung und ihr Gewicht.
    Und doch möchte ich, daß wir an diesem Tage die andere Seite der Bilanz nicht ignorieren, daß wir sie nicht übersehen, daß wir also die Chancen nicht übersehen, die mit dem Vorgang von Helsinki verbunden sein können. Ich meine damit, die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa — um den genauen Titel noch einmal zu nennen — könnte ein Ausgangspunkt sein, durch den mehr Zusammenarbeit stimuliert werden kann, von dem aus einiges mehr als bisher geschehen kann, damit Menschen in Europa einander begegnen und Ideen aneinander gemessen werden können und damit immer noch vorhandenes Mißtrauen abgebaut werden kann, ein Ausgangspunkt hoffentlich auch, um zügige Fortschritte bei den Verhandlungen über den beiderseitigen ausgewogenen Abbau von Truppen und Rüstungen zu erreichen.
    Wenn mir Kollegen aus der Opposition hier entgegenhielten, sie würden es gern schon mit sehr viel mehr als Hoffnungen zu tun haben, so würde ich ihnen nicht widersprechen. Wenn die Kollegen der
    Opposition sagten, in den Texten für Helsinki sei der Ansatz zu dem, was man „vertrauensbildende Maßnahmen" nennt, eher bescheiden ausgefallen, so würde ich dem auch nicht widersprechen.

    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen)

    Wenn Sie, die Kollegen der Opposition, mit uns in einen Dialog eintreten wollten, durch den die vielfache Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen Lage beleuchtet würde, so könnte das vielleicht sogar manchem in unserem Volk weiterhelfen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das tun wir doch ständig!)

    Meine Damen und Herren, Rivalität und partieller Ausgleich, Rüstung und Entspannung nebeneinander, spektakuläre Kooperation im Weltraum bei besorgniserregender Konfrontation auf den Meeren, sich ausweitender Handel bei mangelnder Verständigung über Maßnahmen gegen den Hunger in der Welt, Bekenntnisse zur ideologischen Koexistenz bei unterentwickelter Bereitschaft zur eigentlichen geistigen Auseinandersetzung — nein, nicht nur der Normalbürger hat es schwer, sich in einem solchen Nebeneinander widerstreitender Tendenzen zurechtzufinden.
    Aber so ist die Welt, in der wir leben. Sie ist noch komplizierter geworden in den Jahren, die hinter uns liegen. Sie birgt Gefahren, aber auch Chancen.
    Diejenigen, die für die Opposition in diesem Hause das Wort führen, machen es sich und anderen unnötig schwer, wenn sie die Widersprüchlichkeiten des internationalen Geschehens beklagen — um nicht zu sagen: bejammern —, vor dem geschichtlichen Prozeß davonlaufen und sich mit allzu einfachen, zumeist engen und deshalb wenig hilfreichen Fragen zufriedengeben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    So schön, meine verehrten Kollegen, war der Kalte Krieg nicht, daß man ihm nachtrauern müßte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    So einfach sind auch die deutschen Fragen nicht, daß man sie allein mit Rechtsvorbehalten, durch Sondervoten oder gar durch nationale Isolierung beantworten könnte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nun habe ich den Eindruck, die Kollegen von der Opposition haben sich vor allem anderen vorgenommen, hier einheitlich aufzutreten. Das ist verständlich. Aber man muß befürchten — gestatten Sie mir die Bemerkung —, daß der Einheitlichkeit ein höherer Rang eingeräumt wird als dem Inhalt der Aussagen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    Ich fürchte, wenn ich mir die Erörterung der letzten Wochen anschaue — es ist manches gesagt und geschrieben worden —: Hier wird nicht viel zu überzeugen sein.

    (Stücklen [CDU/CSU] : Die Befürchtung haben wir auch!)




    Brandt
    Trotzdem will ich den Versuch machen, einiges zurechtzurücken. Da gibt es einmal die Zwangsvorstellung, die Sowjetunion sei mit einer Forderung durchgedrungen, die sie vor 20 Jahren erhoben habe. So einfach ist das nun wirklich nicht. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten forderten ursprünglich — so auch noch auf der Bukarester Konferenz des Jahres 1966 — die Auflösung der, wie sie sagten, Militärblöcke und die Entfernung der Amerikaner aus Europa.
    Inzwischen hat sich die realistische Auffassung durchgesetzt, daß man von den bestehenden Bündnissystemen ausgehen muß, wenn man sich an das wichtige Thema und Aufgabengebiet der Bedingungen für beiderseitige Truppenreduzierungen — eine westliche Initiative, wenn ich daran erinnern darf — heranarbeiten will. Es ist inzwischen von jedermann anerkannt worden, daß die Vereinigten Staaten und Kanada Partner der europäischen Konferenz sind, d. h., daß der sicherheitsmäßige Zusammenhalt zwischen Westeuropa und Nordamerika bestätigt wird. Das heißt weiter, daß die Amerikaner auf eine neue Weise, zusätzlich zu Siegerrechten und NATO-Bindungen, mit unserem Kontinent verbunden sind und ihm verpflichtet bleiben. Dazu ist es doch nicht von alleine gekommen! Ich kann mich noch gut genug an Unterhaltungen erinnern, in denen von den einen bestritten, von den anderen bezweifelt wurde — was ich wohl verstehen konnte —, was jetzt als selbstverständlich hingenommen wird.
    Und etwas anderes: Als wir 1970 den Moskauer Vertrag unterzeichnet hatten, da wurde ich hier bedrängt, ob denn nicht der Weg zur europäischen Einigung, zum westeuropäischen Zusammenschluß verbaut worden sei. Ich habe damals gesagt — der eine oder andere wird sich daran erinnern —, auch an die Realität der Europäischen Gemeinschaft werde man sich gewöhnen. Inzwischen hat sich die politische Zusammenarbeit der Westeuropäer gerade im Vorfeld von Helsinki bewährt. Der Vorsitzende des italienischen Ministerrats wird die Schlußakte zugleich als amtierender Ratspräsident der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnen. Auch das war bis vor kurzem noch keine Selbstverständlichkeit.
    Dann gibt es, meine verehrten Damen und Herren, die gewissermaßen fixe Idee vom Festschreiben der bestehenden Zustände, also weithin — gerade auch aus deutscher Sicht — unbefriedigender Zustände. Darüber haben wir bei den Verträgen von Moskau, von Warschau, von Prag, bei dem gesamten ostpolitischen Bemühen der letzten Jahre, lange und immer wieder gesprochen. Neue Argumente haben sich seitdem nicht ergeben. Ich bin unverändert davon überzeugt, daß es nur durch ein geduldiges Ringen um den Abbau von Spannungen, das auch weiterhin von Störungen und Rückschlägen nicht frei sein wird, gelingen kann, die Lage in Europa mit friedlichen Mitteln zum Besseren zu wenden.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Eine Binsenwahrheit!)

    Die Lage in Europa ist, wenn wir ehrlich sein wollen, schon etwas weniger schlecht als vor einigen Jahren.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Siehe Portugal! — Wohlrabe [CDU/CSU]: Jetzt geht's wieder los! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Es gibt keine vernünftige Alternative zu dem mit Wachsamkeit beschrittenen Weg der Entspannung und Zusammenarbeit.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP)

    Man mußte und muß von den gegebenen Verhältnissen ausgehen, um auf sie einwirken und sie verbessern zu können.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein [CDU/CSU] : Eine Binsenwahrheit!)

    Und auch dies in aller Offenheit: Man dient nicht den Interessen des eigenen Landes, sondern man schwächt sie, wenn man von anderen Interpretationen und Behauptungen übernimmt, die tatsächlich oder vermeintlich gegen uns gerichtet sind. Herr Kollege Marx, wer betreibt denn hier die Sache der anderen Seite?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich will mich, meine verehrten Damen und Herren, noch mit der Legende auseinandersetzen, die deutsche Politik hätte den Russen gewissermaßen die Sicherheitskonferenz geschenkt. Ebenso abwegig ist, unsere Verbündeten und das eigene Parlament seien überfahren worden. Demgegenüber muß eine deutliche Sprache erlaubt sein. Ich sage deshalb: Die Opposition will sich nicht daran erinnern, also muß sie daran erinnert werden, daß sie — ich komme darauf gleich zurück — hier wie auf anderen Gebieten sogar hinter das zurückfällt, was in der Großen Koalition gemeinsam vertreten worden ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Protokolle weisen aus: Nachdem die Budapester Konferenz der Warschauer-Pakt-Staaten vom Frühjahr 1969 andere Akzente setzte als die voraufgegangenen Tagungen von Bukarest und Karlsbad, bin ich als damaliger Außenminister hier vor dem Bundestag am 19. März 1969 auf den stark modifizierten Konferenzvorschlag vorsichtig positiv eingegangen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie lautet das Zitat?)

    Die Akten weisen weiter aus: Auf der Ministerkonferenz der NATO in Washington im April 1969 habe ich für die damalige Bundesregierung erklärt — und darüber ist exakt berichtet worden —, daß wir wie andere Verbündete nicht a limine gegen eine gesamteuropäische Konferenz seien, sondern ich habe dargelegt, unter welchen Voraussetzungen wir dafür sein würden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Bitte vorlesen!)




    Brandt
    Eine solche Konferenz müsse sorgfältig vorbereitet sein. Sie werde zustandekommen, wenn die Zeit dafür reif sei. Das war dann auch die Haltung, die sich das Bündnis und auch die europäischen Partner zu eigen machten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

    Um es ganz deutlich zu sagen: Über die westliche Haltung zum Konferenzprojekt ist durch den Ministerrat der NATO entschieden worden und nicht durch Bahr in Moskau oder Brandt in Oreanda.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Mertes [Gerolsteim] [CDU/CSU] : Geschichtlich falsch! — Zuruf von der CDU/ CSU: Schiefe Betrachtungsweise!)

    Was sollen eigentlich unsere Verbündeten davon halten, wenn sie auf der ganzen Linie — von Jalta bis Helsinki, wie ich lese, in einem Wochenblatt besonders betont — der Unzuverlässigkeit und Nachgiebigkeit geziehen werden?

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Damit führt man nicht nur, meine verehrten Kollegen, ein Nachhutgefecht gegen unsere Ostpolitik — das könnte ich ja verstehen —, sondern man verläßt in Wirklichkeit auch die Bahnen Adenauerscher Westpolitik.

    (Anhaltende lebhafte Zustimmung bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/ CSU: Total überzogen!)

    Mich interessiert jedenfalls nun vor allem, was geschehen soll und geschehen kann, wenn die Konferenz in Helsinki vorüber ist. Ich begrüße es, daß der Vorschlag aufgegriffen wurde, 1977 durch hohe Beamte — Vertreter aller beteiligten Regierungen — in Belgrad, wie inzwischen vereinbart wurde — eine Art Zwischenbilanz zu ziehen. Ich meine, die Völker Europas haben dann einen Anspruch darauf, zu erfahren, was mit den Texten geschieht, die so mühsam ausgehandelt wurden. Was tun — so wird von jetzt an die Frage lauten — die einzelnen Regierungen, um in der Praxis, gerade auch im Kleinen, im Alltäglichen dem gerecht zu werden oder — wenn nicht gerecht zu werden — doch dem nahezukommen, was in den Grundsätzen, Leitlinien und Absichtserklärungen niedergelegt wurde? Das werden wir wissen wollen. Viele andere in vielen anderen Ländern Europas werden es auch wissen wollen.
    Was wird aus den vertrauensbildenden Maßnahmen? Was wird aus den menschlichen Kontakten, der Information, der Zusammenarbeit und dem Austausch in den Bereichen Bildung und Kultur? Welche Verbesserungen, und seien es zunächst auch nur bescheidene, werden sich zeigen? Welche werden sich zeigen, wo es um die Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit geht?
    Um ein Beispiel zu nennen: ich habe die Frage aufgeworfen, nicht nur im eigenen Land, wie man eine gesamteuropäische Struktur für Jugendbegegnungen entwickeln kann. Dies interessiert, wie ich weiß, viele junge Menschen in West und in Ost.
    Aber meiner Meinung nach dürfen wir auch das nicht gering achten, was mit den wirtschaftlichen Beziehungen und dem technisch-wissenschaftlichen Austausch zusammenhängt. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, nur die östliche Seite sei daran interessiert. Ich sage nicht erst jetzt — unter dem Eindruck der weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten —, sondern ich habe schon als Außenminister von diesem Platz aus gesagt, daß wir am Osthandel ein erhebliches Eigeninteresse haben. Das gilt auch für Möglichkeiten eines Energieverbunds. Es gilt auch für die gemeinsame Bekämpfung der Umweltgefahren.
    Wenn die Konferenz von Helsinki vorüber ist, dann werden Russen und Amerikaner, Amerikaner und Russen zunächst miteinander versuchen, ein neues Abkommen über die Begrenzung der strategischen Nuklearwaffen zustande zu bringen. Das wäre vernünftig. Die Aussichten dafür scheinen auch nicht schlecht zu sein. Aber viele von uns hier in Europa erwarten, daß man sich mit größerem Ernst als bisher dem Thema zuwendet, zu dem noch wenig ergiebige Vorverhandlungen in Wien geführt worden sind: der beiderseitigen und ausgewogenen Reduzierung von Truppen und Rüstungen in der Mitte unseres Kontinents. Dort hat sich ein Zerstörungspotential angesammelt, wie es hier in einer gewiß leidvollen Geschichte noch nie angehäuft war.
    Es gibt wichtige Teilgebiete, denen wir ebenfalls unsere Aufmerksamkeit widmen sollten. Da gibt es die Studie über die Schaffung nuklearwaffenfreier Zonen, die der 30. Vollversammlung der Vereinten Nationen zugeleitet wird, nachdem sie unter der Mitwirkung unserer Regierung zuvor den Genfer Abrüstungsausschuß beschäftigt hat. Da gibt es die langjährige Diskussion über ein Verbot der C-Waffen, der chemischen Massenvernichtungsmittel. Ich begrüße es — auch wenn davon bisher nicht viel geredet worden ist, aber es muß hier mal gesagt werden —, daß die Bundesregierung hierzu eine Initiative ergriffen hat, zu der wir auch legitimiert sind, weil die Bundesrepublik Deutschland schon vor 20 Jahren auf die Herstellung atomarer, bakteriologischer und chemischer Waffen verzichtet hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Stücklen [CDU/CSU] : Wie haben die anderen denn reagiert?)

    Es gibt übrigens auch Vorschläge, wie Rüstungsexporte —auch dies ist ein wichtiges Thema — in der heutigen Welt eingegrenzt werden könnten. Wir sollten uns nicht entmutigen lassen, alle vernünftigen, halbwegs realistischen Bemühungen um konkrete Schritte im Bereich der Rüstungsverminderung nachdrücklich zu unterstützen. Aber mindestens so wichtig ist, was — zumal auf kürzere Sicht — geschehen kann, um auf die Krisengebiete rund um das Mittelmeer mit Mäßigung und Weitblick einzuwirken. Es hieße den Kopf in den Sand stecken, wollte man über den Texten von Helsinki vergessen, daß die uns unmittelbar benachbarte Region voller Gefahren steckt.
    Nun kommt der Kollege Marx und sagt „Portugal". Ich sage dazu jetzt nur so viel: Geben wir uns bitte keiner Vereinfachung hin, die der Sache



    Brandt
    nicht dient und niemandem hilft! Portugal trägt schwer an seinem unglücklichen Erbe. Mit Belehrungen aus der bundesrepublikanischen Loge ist denen wenig geholfen, die sich an Ort und Stelle — sei es innerhalb der Militärbewegung, sei es innerhalb der Parteien — um einen rechtsstaatlichen demokratischen Kurs bemühen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Um es ganz klar zu sagen: Ich war und ich bin dagegen, daß man Portugal abschreibt,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    statt ihm die Perspektive konstruktiver europäischer Zusammenarbeit deutlich zu machen. Es ist schon viel Zeit ins Land gegangen. Ich habe das früher gesagt und sage es heute wieder.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Haben Sie es Breschnew gesagt?)

    Im Vorfeld dieser Debatte — ich will auch das nicht übergehen; ich gebe damit auch Kollegen die Gelegenheit, ihrerseits darauf einzugehen, wenn sie es möchten — war viel von dem Gespenst, dem, wie ich meine, Schreckgespenst eines sozialistischen Europa die Rede. Auch die Schlagworte einer Volksfront oder Einheitsfront wurden ins Spiel gebracht. Was das letztere angeht, so soll jeder wissen — ich sage es noch einmal —, daß sich dieses Thema für uns, für meine politischen Freunde und mich, nicht stellt. Die deutschen Sozialdemokraten sind entschiedene Gegner solcher Verbindungen in unserem Lande.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer wollte jedoch bestreiten, daß die Dinge in manchem anderen Land sehr viel komplizierter liegen? Vielleicht erkundigen sich die interessierten Kollegen der Union einmal bei ihren Freunden von der Democrazia Cristiana.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nun ein Wort zu den Warnungen vor einem sozialistischen Europa. Die innenpolitische Absicht eines solchen Geredes ist durchsichtig. Manche wollen hier etwas auf einen Nenner bringen, was sich nicht auf einen Nenner bringen läßt. Taktik und Vorurteile ändern jedoch nichts daran — das wissen doch auch die Repräsentanten der Union —, daß Sozialdemokraten, demokratische Sozialisten in zahlreichen Ländern des nichtkommunistischen Europa Regierungen führen, an Regierungen beteiligt sind oder sonst über erheblichen Einfluß verfügen. Man will uns doch nicht etwa von diesen Ländern trennen? Man will doch hoffentlich auch nicht einen Keil in die Reihen derer treiben, die miteinander Stützen des freiheitlichen Europa sind? Das kann doch nicht, das könnte doch nicht eine vernünftige deutsche Politik sein. Es ist schon bedenklich genug, daß die große Opposition dieses Hauses mit ihrem — ich muß es so nennen — Eifern gegen die europäische Konferenz auf einem europäischen Abstellgleis gelandet ist. In der Tat, mit der Haltung der Unionsparteien zu Helsinki stünde die Bundesrepublik Deutschland isoliert da, und dies durfte nicht eintreten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wo landet man denn anders als auf dem Abstellgleis, wenn man mit dem Osten nicht zusammenarbeiten will, weil er zu gefährlich ist,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wer sagt das denn?)

    und wenn man sich gleichzeitig vom Westen isoliert, weil man ihn für zu schlapp erklärt oder für zu sozialistisch hält?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten uns nicht von dem Weg abbringen lassen, den die Außenminister Scheel und Genscher beschritten haben, als sie in den letzten drei Jahren mit ihren Mitarbeitern die Vorarbeiten zur Konferenz von Helsinki so betrieben und beeinflußt haben, daß wir ja dazu sagen können. Wir möchten den Bundeskanzler wissen lassen, daß jedenfalls die Mehrheit dieses Bundestages eindeutig hinter ihm steht,

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    wenn er in Helsinki für die Bundesrepublik Deutschland spricht und unterzeichnet.
    Lassen Sie mich mit ein paar Sätzen abschließen, die ich übrigens kürzlich so auch in der Hauptstadt der Sowjetunion gesagt habe: Ein gesamteuropäisches Gespräch über die große Trennungslinie von 1945 hinweg ist möglich geworden. Die, wie man sagt, ideologische Abgrenzung zwischen West und Ost bleibt bestehen, aber in mehr als einem Teil der Welt beginnen manche sich der Einsicht zu beugen, daß der Friede, die Arbeit an ihm, mit anderen Worten die Organisierung des Friedens, höher stehen muß als alle Ideologie. Der Friede wird die große Bewährungsprobe sein, auch für die Wirklichkeitsmacht der Ideologien und Überzeugungen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Bundeskanzler Schmidt begibt sich zu Abg. Brandt [SPD] und beglückwünscht ihn — Fortgesetzter starker Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Marx hat seine Rede mit einem Zitat von Solschenizyn geschlossen. Darin werden Idealvorstellungen für Gesellschaftssysteme und ihre innere Ordnung auf unserem Erdball beschrieben. Es sind Ziele, die zu verwirklichen alle Demokraten aufgerufen sind. Genauso begreifen wir den Inhalt unserer Politik. Wir stellen uns dieser Aufgabe, die Opposition aber weicht ihr aus.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)




    Hoppe
    Meine Damen und Herren, die Opposition begnügt sich mit der Beschreibung einer unvollkommenen Wirklichkeit, die Lösung der Probleme überläßt sie anderen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — van Delden [CDU/CSU] : Das Ergebnis der KSZE ist keine Lösung!)

    Im übrigen hört man aus dem Debattenbeitrag des Herrn Kollegen Marx immer wieder nur das Nein der Opposition zur Ost- und Deutschlandpolitik

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Hören Sie doch mal richtig zu! Was soll das?)

    und zum Entspannungskonzept der Bundesregierung. Nun darf, nein, nun muß die Opposition in der parlamentarischen Auseinandersetzung kritische Positionen einnehmen, Gegenpositionen beziehen, aber, meine Damen und Herren, sie müssen doch realistisch und glaubhaft sein. Ich frage mich, ob die Opposition diese Abseitsstellung in Europa, auch abseits vom Heiligen Stuhl, ebenfalls dann einnehmen würde, wenn sie in der Regierungsverantwortung wäre.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Marx [CDU/CSU]: Lachen Sie doch mal!)

    Meine Damen und Herren, diese Frage beantwortet sich dann aber von selbst. Über den „Vorwärts" möchte ich in diesem Zusammenhang genausowenig sprechen wie über den „Bayernkurier".

    (Zurufe des Abg. Dr. Barzel [CDU/CSU] und des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    Meine Damen und Herren, die Darstellung der KSZE-Beratungen und die Würdigung der Ergebnisse, wie sie der Außenminister soeben für die Bundesregierung hier vorgetragen hat, finden die volle Zustimmung der Fraktion der Freien Demokraten. Diese Haltung meiner Fraktion darf ich mit einigen Bemerkungen kurz erläutern.
    Über Sinn und Zweck der zweijährigen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit wird sicher noch lange debattiert und gestritten. Gestritten wird ja auch über das Mißverhältnis zwischen der politischen Substanz ihrer Schlußakte und der hochkarätigen Versammlung von Staats- und Regierungschefs, mit der in Helsinki ein demonstrativer Schlußpunkt unter die langen Verhandlungen gesetzt werden soll. Über diese Fragen mag man in der Tat streiten, ja, sie werden eine gesicherte Antwort tatsächlich erst viel später finden; denn was die KSZE für die beteiligten Länder und für den Frieden in Europa wirklich bedeutet, wird erst die Zukunft erweisen.
    Die in der Schlußakte formulierten Grundsätze und Absichtserklärungen zeigen politische Richtpunkte auf und schaffen selbst Bindungswirkungen aus übernommenen Pflichten. In jedem Fall bedürfen die festgehaltenen Prinzipien und erklärten Absichten aber der Konkretisierung durch die praktische Politik. Erfolge werden uns dabei auch künftig nicht in den Schoß fallen. Der Prozeß der Entspannung wird ein mühsames Ringen mit den Staaten des Otsblocks um mehr Menschlichkeit bleiben.
    Zähigkeit und Geduld werden unsere Anstrengungen auf diesem Weg gleichermaßen begleiten müssen. Die Aufgabe dürfen wir aber anpacken in dem Bewußtsein einer gestärkten Europäischen Gemeinschaft. In der Zusammenarbeit in der KSZE hat sich die Europäische Gemeinschaft in ihrer politischen Handlungsfähigkeit bewährt, ja sie hat sichtbar an Profil gewonnen. Wie in der Erklärung des Europäischen Rates sichtbar geworden, wird uns diese Geschlossenheit auch bei der Lösung der deutschen Probleme zugute kommen. Dieser Unterstützung bedürfen besonders die Deutschen in ihrer prekären Lage. Wir sollten deshalb dankbar dafür sein, daß sie uns in diesem Entspannungsprozeß zuteil wird.
    Meine Damen und Herren, was nun allerdings diese Sondersitzung des Deutschen Bundestages betrifft, so will sie mir im Grunde genauso unnötig erscheinen wie fast alle Sondersitzungen, zu denen dieses Parlament aus den Ferien zusammengerufen wurde.

    (Stücklen [CDU/CSU] : Sprechen Sie das einmal mit dem. Kanzler ab!)

    Die parlamentarische Behandlung eines rein exekutiven Vorgangs, der keiner Ratifizierung bedarf, ja überhaupt keiner Ratifizierung fähig ist, schafft völlig überflüssigerweise ein politisches Klima mit Quasi-Ratifizierungscharakter.
    Aber die Regierung konnte auf diese Sitzung nicht mehr verzichten, nachdem die Opposition ihre ablehnende Haltung im Auswärtigen Ausschuß mit der Behauptung zu rechtfertigen versuchte, das Ergebnis der KSZE sei für die nationalen deutschen Interessen schädlich. Es ist schon ein sehr widerspruchsvolles Verhalten: Auf der einen Seite befürchtet die Opposition, ja bejammert und beklagt sie, daß die Sowjetunion ganz sicher versuchen werde, das Ergebnis der KSZE in den Rang des Völkerrechts hineinzudiskutieren — eine Interpretation, die die Dinge in der Tat auf den Kopf stellen würde.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Herr Kollege, das tut die Gegenseite! Wir machen nur darauf aufmerksam!)

    Auf der anderen Seite wird dem Vorgang die größtmögliche politische Bedeutung eben dadurch verschaft, daß die Opposition durch den Inhalt ihrer Kritik und eine bereits seit langem angekündigte Entschließung die parlamentarische Behandlung geradezu erzwingt. So leisten wir uns denn — abweichend von allen beteiligten 35 Ländern — eine höchst bedenkliche und, wie ich meine, überflüssige Demonstration, und das auch noch zur Sommerzeit.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : War das ernstgemeint?)

    Meine Damen und Herren, nun ist es ja keineswegs abwegig, nach dem „cui bono?" zu fragen. Schließlich war es ein erklärtes Ziel der sowjetischen Politik, durch die Konferenz die territoriale Lage, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa entstanden war, bestätigen zu lassen und so ihre machtpolitischen Interessen abzusichern.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Und die politischen Veränderungen!)




    Hoppe
    Sie hätte der Konferenz deshalb am liebsten den Charakter einer Friedeskonferenz beigemessen. Aber genau das ist der Sowjetunion nicht gelungen. Es handelt sich eben um keine Friedenskonferenz, es wird kein Staatsvertrag abgeschlossen, und es entsteht kein neues Völkerrecht, auch kein regionales.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Hier hat Herr Hoppe recht! — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Er redet uns nach!)

    Erfreulicherweise werden nach Unterzeichnung der Schlußdokumente daraus auch die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Die Übersendung der Schlußakte an das Sekretariat der Vereinten Nationen erfolgt mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß die Ergebnisse nach Art. 102 der Charta der Vereinten Nationen dort nicht registrierbar sind.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das haben Sie richtig erkannt!)

    Dies kann das Parlament natürlich nicht von der Pflicht entbinden, die Ergebnisse dennoch zur Kenntnis zu nehmen und politisch mit Sorgfalt zu würdigen und zu werten.

    (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Also doch eine Sondersitzung!)

    Der Vorgang hätte sich aber doch wohl so nüchtern und distanziert abspielen müssen, daß nicht die den Verhandlungsergebnissen fehlende Vertragsqualität durch eine besondere politische Qualität ausgeglichen wird.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Jetzt reden Sie das herbei!)

    Es will mir so scheinen, als würde hier ungewollt mitgeholfen, Inhalt, Grenzen und Verantwortlichkeiten zu verwischen.
    Meine Damen und Herren, offensichtlich braucht die Opposition diesen Vorgang für ihre innenpolitische Selbstdarstellung. Auf dem Gebiet der Außen- und Entspannungspolitik hat sie nun einmal einen Nachholbedarf, den sie bei dieser Gelegenheit gern decken möchte. Die CDU/CSU hat es auf diesem Felde offenbar nötig, ihr Ansehen zu verbessern. Zugleich erfüllt sie professorale Strategiekonzeptionen und bayrische Forderungen, wenn sie sich von der Stimmenthaltung, dem bisherigen Generalnenner der außenpolitischen Gemeinsamkeiten, jetzt zu einem geschlossenen Nein aufschwingt.

    (Beifall bei der FDP)

    Das Objekt, an dem die Opposition diesen Gestaltungsprozeß vollzieht, scheint mir dafür allerdings völlig ungeeignet. In einer Welt m it zahlreichen Krisenherden und fortbestehenden Konflikten, in einer Welt voller Spannungen ist Entspannungspolitik noch eine zu zarte Pflanze und das Ringen um gemeinsame Verhaltensnormen noch zu mühevoll, als daß man sie bereits als taktisches Mittel für innerparteiliche Auseinandersetzungen einsetzen dürfte.

    (Beifall bei der FDP)

    Und doch darf der Dialog zwischen Regierung und
    Opposition nicht abreißen, gerade jetzt nicht. Wie
    könnten wir vor den internationalen Aufgaben bestehen, wenn es uns nicht gelänge, die aufgerissenen Gräben im nationalen Bereich zu überwinden?
    Was nun aber die Sache selbst angeht, so werden wir uns bemühen, die verbale Forderung der Opposition auch tatsächlich zu erfüllen. Wir werden uns hüten, die Konferenzergebnisse zu überschätzen. Wir überbewerten sie nicht, aber wir schätzen sie auch nicht gering.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch nicht!)

    Nach unserem Verständnis werden in der Schlußakte Positionen für die Zusammenarbeit im internationalen Maßstab dokumentiert; es werden damit Prinzipien als gemeinsam verpflichtend bestätigt, die bereits an anderer Stelle, wie z. B. in der UNO oder in zweiseitigen internationalen Verträgen, festgelegt und angewandt werden. Damit versuchen die 35 Teilnehmerstaaten in der Schlußakte die Summe der größtmöglichen Gemeinsamkeiten zum Ausgangspunkt ihrer zukünftigen Politik zu machen. Skeptiker werden sagen, es sei ein sehr geringes Maß an Gemeinsamkeit, das bei dem bestehenden Ideologiekonflikt auch noch der Gefahr unterschiedlicher Auslegung ausgesetzt sein werde. Und doch sollten wir das Erreichte nicht negieren. Zu Recht ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß Amerika und Kanada Teilnehmerländer sind. Nicht daß die Sowjetunion die Beteiligung überhaupt akzeptieren mußte, ist wichtig, entscheidend ist vielmehr, daß damit die Kompetenz der Vereinigten Staaten anerkannt worden ist, in und für Europa zu handeln, jetzt und in der Zukunft.

    (Beifall bei FDP und SPD)

    Die gemeinsame Verantwortung der Vier Mächte für Deutschland und Berlin als Ganzes hat damit eine bedeutungsvolle Entsprechung gefunden.
    Neben den wirtschaftlichen Prinzipien ist die Summe der Absichtserklärungen zur Verbesserung des Austauschs von Menschen und Meinungen von besonderem Gewicht. Gewiß sind hier nur Absichten formuliert, gewiß wird niemand übersehen, in wie viele Wenn und Aber das alles eingebettet ist. Und doch liegt in diesen Absichtserklärungen gerade für die Staaten des Ostblocks eine politische Bindung, die hoffnungsvoll stimmen sollte. Und hoffnungsvoll stimmt sie auch die Menschen in diesen Ländern.
    Meine Damen und Herren! Wir werden nicht müde werden, die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts hier immer wieder beim Wort zu nehmen.
    Verehrter Herr Kollege Marx, in diesem Zusammenhang von einem Supermarkt von Attrappen zu sprechen, ist leider wohl mehr als nur ein bedauerliche Ausrutscher.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Machen Sie doch mal diese Dosen auf, dann sehen Sie, daß nur Luft drin ist.)

    Für Berlin, meine Damen und Herren, bringt das Ergebnis von Genf nicht die Lösung der staatsrechtlichen Problematik. Die staatsrechtliche Sonderstellung, die durch den alliierten Vorbehalt zu Art. 144



    Hoppe
    des Grundgesetzes entstanden ist, und die nach dem Viermächteabkommen so fortbesteht, wird von dem Ergebnis der KSZE nicht berührt und schon gar nicht verändert.
    Mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Art. 23 unseres Grundgesetzes und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1951, wonach Berlin Teil der Bundesrepublik ist, und den alliierten Vorbehalten sowie dem Viermächteabkommen, wonach Berlin kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik ist, müssen wir in unserer Tagespolitik nun einmal fertig werden. Wir sind allerdings davon überzeugt, daß dies nach den Ergebnissen der KSZE leichter möglich wird, als es in der Vergangenheit der Fall war.
    Bei dieser Sachlage ist es unnötig und zeugt nicht von politischer Klugheit, die Berlin-Frage ausgerechnet im Zusammenhang mit der KSZE in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu rücken.

    (van Delden [CDU/CSU] : Die andern tun das aber!)

    Es trägt fast schon masochistische Züge, in diesem Augenblick eine Berlin-Debatte vom Zaun zu brechen.

    (Na, na! bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das sagt ein Berliner!)

    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat auf die von der Opposition aufgeworfene Frage, inwieweit die Konferenzergebnisse auch für Berlin wirksam werden, eine allseits befriedigende Auskunft gegeben. Wir sollten es damit genug sein lassen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] und Dr. Marx [CDU/CSU]: Nicht allseits!)

    Die KSZE ist in der Tat der umfassendste Versuch einer Kooperation zwischen Ost und West, den es seit dem Ende des zweiten Weltkrieges gegeben hat. Die von der Regierung Brandt/Scheel 1969 eingeleitete neue Ostpolitik hat dazu den notwendigen und längst überfälligen deutschen Beitrag geleistet. Nicht zuletzt durch den Abschluß der Verträge von Moskau und Warschau sowie des Viermächteabkommens über Berlin hat die Bundesregierung die Voraussetzungen dafür mit schaffen helfen, daß die Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zum Konferenzthema wurden. Sie hat auf diese Weise mit Erfolg die Bemühungen der Sowjetunion vereitelt, die Konferenz zu einer Konferenz über Deutschland und Berlin zu machen. Wir sollten die erfolgreich abgewehrten Bestrebungen der Sowjetunion jetzt nicht nachträglich wieder beleben.
    Auch bei der prinzipiell positiven Beurteilung der auf dem Feld der Entspannungspolitik in einem zweijährigen Ringen zutage geförderten Ergebnisse darf die in der Welt tatsächlich fortbestehende Bedrohung nicht aus den Augen verloren werden. Die Konferenz kann die Verteidigungsbereitschaft und die Verteidigungsanstrengungen des Atlantischen Bündnisses nicht ersetzen. Wir haben deshalb nicht die Absicht, uns durch die Konferenz oder durch ihren glanzvollen Abschluß blenden zu lassen. Uns kann man nicht schlaftrunken machen, und wir haben schon gar nicht vor, an der Zerstörung unserer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung mitzuwirken. Solange die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Paktes ihre Rüstung in dem unerhörten Ausmaß vorantreiben, wie das gegenwärtig geschieht, leisten auch wir unseren Beitrag zur Friedenspolitik, ohne in unseren Verteidigungsanstrengungen im mindesten nachzulassen. Wir werden deshalb unsere Bündnisverpflichtungen erfüllen und dabei darauf achten, daß das Bündnis seine Schlagkraft bewahrt und dadurch seine abschreckende Wirkung behält.
    Meine Damen und Herren, es wäre allerdings gut, wenn sich dieser seltsame Wechselschritt von Entspannung und Rüstung in seinem Widersinn überall auf der Welt endlich auflösen lassen könnte. Erst wenn der Entspannung und der Friedenspolitik tatsächlich Vorrang vor der Rüstung eingeräumt wird, kann Entspannungspolitik glaubwürdig werden.

    (Beifall bei der FDP)

    Vielleicht bringen das Ergebnis von Genf und die Schlußakte von Helsinki die Bemühungen der Staaten auf diesem Weg der Vernunft einen Schritt weiter. Es wäre jedenfalls zu wünschen, daß die Beteuerung des Willens zur Entspannung mehr ist als nur ein gruppendynamischer Vorgang zur Selbstbestätigung der Staats- und Regierungschefs.
    Die Abrüstungsgespräche in Wien werden hier für die beteiligten Länder sehr bald zur Nagelprobe. Wir können es uns jedenfalls nicht leisten, die Verbindung zwischen politischer und militärischer Sicherheit aus dem Auge zu verlieren. Erst praktische Ergebnisse bei den MBFR-Verhandlungen über ausgewogene Truppenverminderungen in Europa können die Voraussetzungen dafür schaffen, daß ein Zustand gegenseitigen Vertrauens in Europa erreichbar wird. Die bloße Wiederholung von Entspannungsabsichten auf Redner-Olympiaden wird uns diesem Ziel keinen Schritt näherbringen. Dazu sind vielmehr vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich. Die Minderung der Rüstung muß Schritt für Schritt durchgeführt und für die Menschen auf unserem Kontinent zur greifbaren Wirklichkeit werden.

    (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Wenn dieser Zustand einmal tatsächlich erreicht sein sollte, werden sich auch mehr Menschen in unserem Lande unter Entspannungspolitik konkret etwas vorstellen können.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)