Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Jäger, ich nehme Ihnen nicht nur die Frage nicht übel, sondern ich will sie auch beantworten. Sie beruht darauf, daß ich es bisher versäumt habe — und wahrscheinlich werde ich das auch in Zukunft versäumen müssen —, vor Ihnen hier im Plenum des Deutschen Bundestages alle Papiere auszubreiten, die hinüber- und herübergegangen sind.
Wir haben allerdings für ein Stückchen Clausula rebus sic stantibus in Schriftform gesorgt. Nur habe ich keine Lust, das Ganze, was man zustande bringt, durch unnötige Polemik in diesem Plenum zu zerstören.
Ich bin bereit, den Vorsitzenden der CDU/CSU-
Fraktion und meinetwegen auch noch zwei oder drei
andere Personen aus dieser Fraktion sorgfältig zu unterrichten.
Ich bin allerdings nicht bereit, das in einer Atmosphäre zu tun, wie ich sie jüngst in einem Ausschuß des Deutschen Bundestages erlebt habe, in dem die Fragestellung ihrer Formulierung und Natur nach zum Teil geeignet war, das, was sich gerade erst entwickeln sollte, im Ansatz und im Keim zu zerstören.
— Ich nehme an, daß der Zwischenruf von Herrn Reddemann kam; er qualifiziert ihn.
Sodann möchte ich der CDU/CSU-Fraktion eines noch zu bedenken geben; das richtet sich immer noch an die Adresse des Herrn Professor Carstens. Ich muß hier einmal eine geistige Anleihe beim Kollegen Genscher machen dürfen. Wir tauschen manchmal Bemerkungen untereinander aus. Diejenigen übrigens, die Sie, Herr Barzel, gehört haben, war nicht für Sie bestimmt; sie war auch kein Zwischenruf, sondern sie war für Herrn Genscher gemeint und ist ein bißchen zu laut gewesen. Für Sie war sie nicht bestimmt.
Aber wie dem auch sei, ich will mich davor ja nicht drücken; auch Herr Barzel kann ertragen, einmal Quatsch geredet zu haben.
Ich wende mich immer noch an Herrn Carstens. Her Professor Carstens, Sie müssen sich eigentlich wirklich einmal prüfen, welcher Art die Opposition ist, die Sie machen. Herr Genscher hat ein prima Wort dafür gefunden: „Formalopposition". Das heißt: in der Form dagegen, in der Substanz nichts zu bieten.
— Nun hat anschließend Herr Kollege Barzel eingangs seiner Intervention
die Vorläufigkeiten des Herrn Carstens in Schutz genommen und auch legitimiert.
— Na, hören Sie mal, wenn hier drei Leute von Ihnen nacheinander polemisieren, wird man ja wohl
9258 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1974
Bundeskanzler Schmidt
noch einmal zurückschlagen dürfen. Das können Sie ja wohl noch aushalten. Seien Sie doch nicht so empfindlich!
Die Sache ist doch in Wirklichkeit so, daß draußen im deutschen Volk und zumal in Berlin eine erhebliche Befriedigung darüber herrscht, daß nun nach einer Reihe von Monaten eben doch nicht mehr alles stagniert,
sondern doch etwas vorankommt. Sie bemühen sich, diesen positiven Eindruck zu zerstören. Das ist das Anliegen, das Sie heute morgen verfolgen.
Ich komme jetzt zu den Anregungen von Herrn Kollegen Barzel. Zunächst eine als Information gemeinte Richtigstellung.
Herr Kollege Barzel, Sie haben gemeint, die Bundesregierung habe die institutionellen und politischen Anregungen des französischen Präsidenten von hier aus mit Nörgelei begleitet. Ich will mich über das Wort nicht streiten, es kann irgendwo so eine Äußerung gegeben haben, die Sie so aufgefaßt haben. Aber informierend darf ich Ihnen sagen, daß der französischen Präsident und ich nicht nur die Vorschläge, die er dann tatsächlich gemacht hat und die tatsächlich angenommen worden sind, sondern darüber hinaus im Laufe des Sommers eine große Zahl von Vorschlägen und Reformen miteinander besprochen und behandelt haben. Es tut mir leid; Sie zwingen mich beinahe dazu, Gespräche und Briefwechsel offen darzulegen, was man eigentlich nicht tun sollte — im Verhältnis zur französischen Regierung genauso wenig wie im Verhältnis zur DDR. Aber ich bitte, mir abzunehmen, daß der französische Präsident auf Grund sehr sorgfältiger, sehr umfangreicher Ausarbeitungen, in die ich selber viele, viele Stunden eigener Arbeit gesteckt hatte, auf der Grundlage seiner Überlegungen und unseres gemeinsamen Austausches von Gedanken, in die dann inzwischen andere Ministerpräsidenten wie der dänische, der holländische, der belgische, der italienische, der luxemburgische und der englische einbezogen waren — ich gebe zu, daß ich keine Chance hatte, im Laufe des Herbstes mit dem irischen Ministerpräsidenten Cosgrave darüber zu reden, außer in offiziellen Treffen —, dazu seinen Anstoß gegeben hat. Sie irren sich sehr, wenn Sie meinen, wir hätten dazu nicht vieles beigesteuert. Wenn Sie den Eindruck haben, irgend jemand bei uns hätte diese benörgelt, so ist das ein falscher Eindruck; denn vieles von den gestrigen Beschlüssen stand
schon in den Papieren, die im August Bonn verlassen haben und nach Paris gegangen sind.
Aber nehmen Sie es nicht als Vorwurf! — Sie geben mir durch Ihre Geste zu erkennen, Herr Dr. Barzel, daß Sie es nicht anders gewußt haben. Deswegen bitte ich Sie, diese Information anzunehmen.
— Das kommt darauf an. Ich bin sehr gerne bereit, mit dem Führer der Opposition und auch mit seinem Stellvertreter auf informativem Wege zusammenzuarbeiten. Er hat mich bisher nie darum gebeten. Er hat hier im Plenum einmal beanstandet, er werde nicht gehört oder nicht gerufen. Er hat gesagt, es sei ja doch Sache des Bundeskanzlers, ihn zu rufen. Das habe ich dann daraufhin getan. Ich nehme an, daß Herr Kollege Carstens zwar über die Tatsache, aber nicht über den Inhalt des Gespräches in der Fraktionssitzung berichtet hat. Wenn es dabei bleibt, kann es auch in Zukunft solche Informationen geben. Soweit ich allerdings den Deutschen Bundestag insgesamt zu informieren hätte — qua Bundesregierung —,
dann müßte ich es hier tun und nicht in einem Privatgespräch.
— Nein, Sie haben nicht zugehört!
Wenn ich den Bundestag insgesamt auf Grund meiner verfassungsrechtlichen Pflichten zu informieren habe, kann ich es nicht im Zwiegespräch mit dem Oppositionsführer tun. Dennoch gibt es Sachen — das müssen Sie doch jemandem, der seit 21 Jahren hier im Bundestag arbeitet, nicht erst auseinandersetzen —, die wirklich nur der vertraulichen Behandlung zugänglich sind, insbesondere wenn sie in statu nascendi sind.
— Was ist denn nun schon wieder, Herr Reddemann?
— Was hat er denn nun wirklich gesagt?
— Das stimmt, ja. Und halten Sie das für eine Übertreibung oder für eine Untertreibung?
Um noch einmal auf den Punkt der Unterrichtung der Opposition zurückzukommen: Herr Reddemann und der vor ihm sitzende Kollege können nicht da-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1974 9259
Bundeskanzler Schmidt
von ausgehen — niemand kann davon ausgehen —, daß komplizierte und mit Risiken behaftete außenpolitische Entwicklungen in allen Stadien hier im Deutschen Bundestag ausgebreitet werden. Das Normale ist, daß eine Bundesregierung im Plenum des Deutschen Bundestages ausgehandelte Verträge zur Ratifikation vorlegt und sie begründet. Gleichwohl gibt es selbstverständlich die Praxis, in der Zwischenzeit vorher den zuständigen Ausschuß zu unterrichten und ins Vertrauen zu ziehen, aber nicht über alles.
— Entschuldigung, ich möchte den Gedanken zu Ende führen, Herr Präsident. — Es gibt eine Praxis, manche Dinge einem sehr viel kleineren Kreis von urteilskräftigen Menschen vorzulegen.
— Das ist genau das, was ich ausschließen möchte: daß alles in die Presse getragen wird. Sie werden das legitim und notwendig finden, daß sich die Bundesregierung darum bemüht, daß in Bonn nicht alles in den Zeitungen abgedruckt wird.
Ich kann mich nur bemühen, das einzuschränken. Ich habe hier eine Landschaft vorgefunden, die schon viele, viele Jahre zurückreicht. Der „Spiegel" existiert ja nicht erst seit fünf Jahren, den gibt es schon etwas länger, und er ist ja nicht das einzige dieser Organe.
Mir liegt aber daran, den ernsthaften Punkt hier zu klären. Ich habe Sie neulich im innerdeutschen Ausschuß schon einmal hingewiesen auf den Briefwechsel zwischen dem früheren Kollegen von Brentano, der leider verstorben ist, und dem damaligen Bundeskanzler Adenauer. Da ist von ganz großem Interesse eine schwerwiegende, über viele Briefe hin und her geführte Auseinandersetzung zwischen Adenauer und Brentano, der damals Außenminister war. Brentano hatte die Opposition über einen bestimmten Vorgang außenpolitischer Art unterrichtet. Das war auch im Sinne des damaligen Bundeskanzlers gewesen. Nur: Herr von Brentano hatte nicht nur Herrn Ollenhauer, sondern auch Herrn Wehner unterrichtet. Das fand er gehörig; ich übrigens auch. Aber Adenauer machte ihm damals deswegen schwere Vorwürfe: Es sei ein so empfindlicher Vorgang, um den es sich handelte, daß er eigentlich nur dem damaligen Oppositionsführer und niemandem sonst hätte mitgeteilt werden dürfen.
Ich erzähle die Geschichte nicht, um darzutun, daß ich natürlich auch gern bereit bin, so wie damals von Brentano, zwei Herren der Opposition zu unterrichten, sondern ich erzähle das, um darzutun, daß die Staatspraxis in diesem Lande von Anfang an war, in bestimmten Dingen zwar die Opposition zu Rat zu ziehen und ins Bild zu setzen, aber doch nur ihre wirkliche Spitze. Das wird sicherlich auch in Zukunft so bleiben. In jedem Einzelfall kann man sich dann darüber streiten — ein bißchen mehr oder ein bißchen weniger — —
— Hier ruft jemand dazwischen: ,,..., wer die Spitze ist", aber das ist ja durch Wahl innerhalb der CDU/ CSU-Fraktion entschieden.