Rede von
Hans-Dietrich
Genscher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
— Ich war ja noch nicht am Ende mit dem Satz. Verehrter Herr Kollege Carstens, wenn Sie mich hätten zu Ende reden lassen, hätte ich auch das Dritte noch gebracht, aber ich wagte — im Gegensatz zu Ihnen — nicht, Sie zu unterbrechen. —... und der Stand der innerdeutschen Beziehungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer die Ausführungen des Kollegen Carstens und des Kollegen Zimmermann gehört hat, der hat festgestellt, daß die Opposition sich schwertut in ihrer Stellungnahme zu diesen Ereignissen, weil die positiven Ergebnisse auch für die deutsche Politik unbestreitbar sind.
Ich finde, wenn hier von vermeintlichen Widersprüchen innerhalb der Regierungskoalition die Rede war, so hat die deutsche Öffentlichkeit und hat das Hohe Haus einen Anspruch darauf, daß auf einen anderen Widerspruch hingewiesen wird. Ich meine jetzt nicht Widersprüche innerhalb der CDU/CSU, sondern ich meine den Widerspruch in der Beurteilung der Außen- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung bei ihren Partnern und durch die Opposition in diesem Hohen Hause.
Ich finde, Herr Kollege Carstens, daß es natürlich Zustimmung verdient, wenn Sie hier den Bundeskanzler gegen den unqualifizierten Angriff eines Unterhausabgeordneten nach seiner Rede vor dem Labour-Parteitag in Schutz genommen haben, und ganz gewiß war die Unruhe im Regierungslager nicht darauf zurückzuführen, daß die Kollegen darüber anders dachten. Vielmehr glaube ich, daß diese Unruhe eher darauf zurückzuführen war. daß die Kollegen der Regierungskoalition meinten,
außer der Kritik an diesem Vorwurf gegen den Bundeskanzler wäre noch etwas mehr zu dieser Rede vor dem Parteitag der englischen Regierungspartei zu sagen gewesen.
Es wäre nämlich zu bemerken gewesen, was diese Rede für die europäische Einigung in der Sache bewirkt hat
und daß manche Ergebnisse der Gipfelkonferenz in Paris nicht denkbar gewesen wären ohne diesen gar nicht einfachen Einsatz vor einem solchen Gremium in London.
Meine Damen und Herren, bevor ich zu den Themen komme, die heute hier Gegenstand der Debatte sein sollen, möchte ich doch noch ein Wort zu der Kritik des Kollegen Carstens an der Nahostpolitik der Bundesregierung und der neuerlichen Erwähnung des Abschlußkommuniqués nach unserer Reise in die Sowjetunion sagen. Ich habe damals schon gesagt, daß der Hinweis auf die Entschließungen der Vereinten Nationen eben die Position der Bundesregierung wiedergibt, die man als eine ausgewogene zu bezeichnen hat, nämlich die Position, die sich in der Anerkennung sicherer Grenzen und in der Anerkennung des Existenzrechts für Israel ausdrückt. Aber wir alle wissen, daß in diesen Entschließungen jener Punkt nicht erwähnt ist, der inzwischen Bestandteil der Aussagen aller unserer Verbündeten ist, nämlich die legitimen Rechte der Palästinenser. Deshalb ist das über die Erwähnung der Entschließung hinaus gesagt worden.
Eines steht fest, meine Damen und Herren, und ich möchte das hier noch einmal ganz unmißverständlich vor dem Deutschen Bundestag sagen: Es bleibt bei der Position der Bundesregierung. Wir stehen zum Existenzrecht Israels, und wir lassen nicht deuteln an seinem Anspruch auf anerkannte und sichere Grenzen bei jeder Regelung, die im Nahen Osten notwendig sein wird.
Ich denke, daß wir dabei beachten sollten, daß sich alle Erklärungen vor den Vereinten Nationen — übrigens auch die des deutschen UNO-Botschafters — auf die gemeinsame Position der Neun aus dem Herbst 1973 und auf die Entschließungen der Vereinten Nationen gründen.
Meine Damen und Herren, dennoch sei hier ein Wort zu der Situation der Vereinten Nationen angemerkt, wie sie sich in diesen Wochen darstellt. Niemand in diesem Hohen Hause wird darüber Befriedigung empfinden. Das ist übrigens der Grund dafür, daß die Bundesregierung beantragt hat, bei der nächsten Zusammenkunft der Außenminister im Rahmen der europäischen politischen Zusammenarbeit das Thema „Verhalten in den Vereinten Nationen, Entwicklung einer Strategie in den Ver-
9246 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1974
Bundesminister Genscher
einten Nationen zur Verdeutlichung unserer Positionen" zu einem bevorzugten Thema zu machen.
Wir haben das gleiche auch mit unseren amerikanischen Verbündeten behandelt. Wir befinden uns hier in voller Übereinstimmung. Nur finde ich, Herr Kollege Zimmermann, das ist nicht allein ein Problem der Bundesregierung, sondern das ist ein Problem, dem sich im Grunde alle Industrienationen in den Vereinten Nationen im Augenblick ausgesetzt sehen. Was wir dabei leisten können, ist die Herbeiführung einer eindeutigen Position und die Erkennung unserer Möglichkeiten in der Generalversammlung; denn wir alle sind daran interessiert, daß nicht durch Mehrheitsbeschlüsse, die auch über Satzungsregeln hinweggehen, die Bedeutung, die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen herabgesetzt wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zu dem Ergebnis der Gipfelkonferenz machen. Ein Mitglied unserer Delegation, Herr Kollege Schmidt, wird nachher noch einen Bericht über die Beratungen in Washington geben. Ich möchte den Schwerpunkt auf die Würdigung des Ergebnisses der Gipfelkonferenz setzen und dabei an die Rede des Bundeskanzlers vor dem Parteitag der englischen Arbeiterpartei anknüpfen, weil sich gezeigt hat, daß wir gerade hinsichtlich der Position Großbritanniens einen ganz wesentlichen Fortschritt auf der Konferenz in Paris zu verzeichnen hatten.
Meine Damen und Herren, wir sollten es als ein politisches Datum von hohem Rang werten, daß dort die britische Delegation erklärt hat, sie habe nicht die Absicht, unter dem Thema Neuverhandlungen die Römischen Verträge zur Diskussion zu stellen, sondern sie wolle innerhalb der Verträge die Interessen, die sie glaube wahrnehmen zu müssen, vertreten.
Wir sehen darin eine wichtige Entscheidung. Der konstruktive Beitrag der Bundesregierung besteht an diesem Punkte auch darin, daß sie durch ihre Haltung zur europäischen Regionalpolitik der britischen Regierung ihr Verbleiben in der Gemeinschaft erleichtern will. Wir alle kennen doch innenpolitische Probleme, und wir alle wissen, daß niemand Großbritannien die Entscheidung über sein Verbleiben abnehmen kann. Wir alle wissen aber, wir können etwas dazu beitragen, um denjenigen, die in Großbritannien Verantwortung tragen und die dieses Verbleiben in der Europäischen Gemeinschaft wollen, den Weg dorthin zu erleichtern. Das ist unsere Position in Paris gewesen.
Meine Damen und Herren, deshalb muß man auch würdigen, daß wir uns bereitgefunden haben, dafür einzutreten, daß innerhalb des Rates — auch durch die Kommission, die dafür eine Ermächtigung erhält — Vorschläge für die Erörterung der Probleme gemacht werden, die Großbritannien innerhalb der Gemeinschaft sieht. Wir werten diese Wendung der britischen Politik, die eine Voraussetzung für das
Verbleiben Großbritanniens in der Europäischen Gemeinschaft schaffen soll, als einen Erfolg der Zusammenkunft in Paris, und wir glauben, daß wir daran als Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf das gemeinsame Ziel, Großbritannien in der Gemeinschaft zu halten, einen nicht geringen Anteil haben.
Meine Damen und Herren, nun komme ich zu den sogenannten institutionellen Fragen, nämlich den Fragen nach der Stärkung der europäischen Organe, nach der Stärkung der Verhandlungsfähigkeit der Gemeinschaft. Herr Kollege Carstens hat gemeint, das Kommuniqué sei auch hier unklar, wie er überhaupt davon sprach, das Kommuniqué habe schwache Stellen. Nichts ist vollkommen auf dieser Welt, Herr Kollege Carstens, aber lieber ein paar schwache Stellen im Kommuniqué als ein Kommuniqué der starken Worte ohne jegliche sachliche Substanz.
Kollege Bangemann hat schon darauf hingewiesen, in Ziffer 3 des Abschlußkommuniqués ist klar festgelegt — ich darf dies hier verlesen, weil es wirklich bedeutsam ist —:
Die Regierungschefs haben daher beschlossen, dreimal jährlich und jedesmal ... als Rat der Gemeinschaft und im Rahmen der Politischen Zusammenarbeit zusammenzutreten.
Damit ist eine wichtige Entscheidung gefallen, nämlich die wichtige Entscheidung für die Stärkung des Rates als eines Organs der Gemeinschaft und gegen die Bildung eines neuen Gremiums außerhalb der von den Gemeinschaftsverträgen vorgesehenen Organe. — Bitte schön, Herr Kollege!