Rede von
Dr.
Friedrich
Zimmermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Kollege Corterier, wenn wir auf einen gemeinsamen Wahltermin aller der Gemeinschaft angehörenden Parlamente warten müssen, wird es zu einer Direktwahl europäischer Abgeordneter in dieses Parlament niemals kommen.
Die von Ihnen gestellte Frage führt mich zu dem Verdacht, daß auch hier wieder wie bei der Bestellung von Herrn Tindemans beabsichtigt ist, in dieser Sache auf lange, lange Frist zu spielen und es hinauszuschieben.
Wir müssen Fortschritte machen, sagte ich, wo es möglich ist, und wir müssen in dieser Frage endlich den Teufelskreis durchbrechen, der da lautet: Das Europäische Parlament kann keine größeren Befugnisse erhalten, weil es nicht aus direkt gewählten Abgeordneten zusammengesetzt ist; andererseits kann man die Abgeordneten nicht direkt in das Europäische Parlament wählen, weil das Europäische Parlament noch keine ausreichenden Befugnisse hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es außerordentlich begrüßen, daß der Herr Bundeskanzler zu Gesprächen in den Vereinigten Staaten war, bei dem Verbündeten, der nach wie vor von entscheidender Bedeutung für unsere Sicherheit ist. Ich möchte hinzufügen: Wir hätten es noch mehr begrüßt, wenn der Bundeskanzler nach seiner Amtsübernahme nach Washington gereist wäre, bevor er seinen wichtigen Besuch in Moskau abstattete. Aber die dringend notwendigen Gespräche, die der deutsche Bundeskanzler in Washington zu führen hatte, können doch nur dann erfolgreich sein, wenn die Westpolitik des Bundeskanzlers von seiner ganzen Partei gestützt wird.
Ich habe den Worten von Professor Carstens nichts hinzuzufügen. Diese Gespräche können nur dann erfolgreich sein, wenn der Bundeskanzler selbst eine klare politische Linie verfolgt.
Lassen Sie mich zitieren, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 7. Dezember 1974 hierüber geschrieben hat:
Der Besuch des Bundeskanzlers in Washington
hat einige schmeichelhafte Beweise amerikani-
9242 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1974
Dr. Zimmermann
scher Wertschätzung für die Bundesrepublik, im übrigen aber nichts Aufregendes erbracht. Man habe mit „schonungsloser Offenheit" wirtschaftliche Bilanz gezogen, hat Regierungssprecher Bölling verlautbart. Es sei so ungeheuer offen gewesen wie sonst selbst zwischen befreundeten Ländern nicht üblich. Na gut. Schonungslose volkswirtschaftliche Bilanzen können Staatsmänner relativ gefahrlos aufmachen. Bei politischen Bilanzen sind sie vorsichtiger.
Die beiden großen Themen von Washington waren Energiepolitik und Weltkonjunktur. Präsident Fort hat bei dieser Gelegenheit die Kehrseite des forschen Helmut Schmidt kennengelernt: den leicht von Krisenfurcht befallenen Kanzler. Um die gleiche Zeit des Vorjahres hatte er angesichts des Ölboykotts die fürchterlichsten wirtschaftlichen Folgen prophezeit und damals unvermittelt zu allerlei dirigistischem Unfug geraten . Jetzt sieht er seit kurzem die Weltwirtschaft in einen Abgrund von Depression stürzen und empfiehlt jedem Gesprächspartner sein neues Rezept der Gegensteuerung. Vor vier Wochen war noch vom Durchhalten des Stabilitätskurses die Rede gewesen. Die Amerikaner haben versichert, sich nicht in den Schmidtschen Abgrund stürzen zu wollen; das hat deutscherseits viel Befriedigung ausgelöst. Auch gut.
— Ein sehr guter Kommentar, würde ich auch sagen.
Auch auf dem Gebiet der Energiepolitik scheint es mehr Erwartungen und Hoffnungen als Festlegungen einer gemeinsamen Strategie zu geben. Gerade dies aber wäre angesichts der brisanten Situation im Nahen Osten für unsere Zukunft von entscheidender Bedeutung.
Wenn der Bundeskanzler in Washington erklärte, alle westlichen Industrienationen sollten ihre Politik zur Erhaltung der inneren Stabilität koordinieren, zur Erhaltung einer Stabilität, welche wirtschaftliche, soziale und politische Aspekte aufweist, so können wir diese Absichtserklärung nur begrüßen. Ich muß aber hinzufügen, daß es für uns dann doch erst einmal darum gehen muß, die innere Stabilität auf wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet wiederherzustellen, um die eigenen Worte des Herrn Bundeskanzlers in Washington zu gebrauchen. Der Bundeskanzler hat diese Preis- und Konjunkturpolitik zu verantworten, nicht erst als Bundeskanzler, sondern schon vorher als Bundesfinanzminister.
Wir fügen hinzu: Bei der sozialen Stabilität denken wir an die Arbeitslosenzahlen. Bei der politischen Stabilität müssen wir an den Zustand der eigenen Partei des Herrn Bundeskanzlers denken. Der Herr Kollege Wehner hat dazu heute deutliche Worte gebraucht, und zwar im Zusammenhang mit dem für die morgige Kundgebung herausgegebenen Flugblatt.
Ich darf hier etwas Weiteres zitieren, das unmittelbar mit unserem Beratungsgegenstand von heute zu tun hat. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28. November 1974 stand auf Seite 6 ein Dreispalter zu lesen „Jusos formulieren Kampfansage an die Europäische Gemeinschaft; Hamburger Papier ,zur Strategie der Arbeiterklasse in Westeuropa"'. Da steht zu lesen:
Deshalb werde die Verschärfung der ungleichmäßigen Entwicklung heute auf „friedlichem" Wege vorangetrieben, indem „die stärksten Kapitalgruppen den schwächeren ihre Politik aufzwingen". Konzessionen der Europäischen Gemeinschaft an das amerikanische Monopolkapital hätten innerhalb der Gemeinschaft zum fortschreitenden Verlust der nationalen Unabhängigkeit und zu einer immer stärkeren „Verflechtung mit der weltweiten Strategie der aggressivsten imperialistischen Macht" geführt.
Das ist die Sprache von Kommunisten, das ist nicht mehr die Sprache von Demokraten in diesem Lande.
Wenn das von der leider immer wieder zu zitierenren Jugendorganisation der sozialdemokratischen Partei so geäußert wird, dann ist dies Anlaß für die Opposition, darauf hinzuweisen, daß hier bei der politischen Stabilität der innere Zustand der Sozialdemokraten nach wie vor Sorge machen muß.
Der Herr Bundeskanzler hat sich in Washington voll befriedigt über die Abmachungen von Wladiwostok erklärt. Sie stellen einen großen Schritt vorwärts dar. Ich meine, wir sollten in unserem Urteil etwas zurückhaltender sein. Der Rahmen dieser Vereinbarungen muß erst noch ausgefüllt werden. Ich glaube, das Bild ist hier wichtiger als der Rahmen. Gewiß, wir können es begrüßen, daß der Komplex der in Westeuropa lagernden amerikanischen Atomwaffen aus dieser SALT-Vereinbarung ausgeklammert wurde.
Es ist auch beruhigend, gerade in diesen Tagen zu erfahren, daß der amerikanische Verteidigungsminister Schlesinger im Frühjahr dieses Jahres vor zwei Senatsunterausschüssen erklärt hat, daß die amerikanischen Atomwaffen in Europa im gegenwärtigen Umfang erhalten bleiben müßten, da die sowjetischen konventionellen und nuklearen Streitkräfte nach wie vor verstärkt würden. Es spricht jedoch nicht unbedingt für eine positive Wertung der Abmachungen von Wladiwostok, wenn sich Verteidigungsminister Schlesinger als Konsequenz dieser Vereinbarungen zu der Forderung genötigt sieht, daß die Vereinigten Staaten mehr als die zehn geplanten Unterseekreuzer „Trident" bauen müßten.
Das deutet leider auf eine weitere Eskalation des Wettrüstens hin.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1974 9243
Dr. Zimmermann
Besonders großen Wert legt die CDU/CSU darauf, von der Bundesregierung ausführlich über die Gespräche informiert zu werden das wird im Auswärtigen Ausschuß sicherlich geschehen —, die der Bundeskanzler und der Außenminister in Washington und Paris über die Fortsetzung der KSZE-Verhandlungen geführt haben.
Ich möchte hier ausdrücklich auf die Ausführungen, die meine Freunde und ich vor einigen Wochen anläßlich der Debatte über die KSZE gemacht haben, sowie auf den von meiner Fraktion eingebrachten Resolutionsentwurf, Bezug nehmen.
In den für Deutschland entscheidenden Fragen, insbesondere in der friedlichen Änderung der Grenzen, darf es nicht zu gegensätzlich auslegbaren Formelkompromissen kommen.
Schließlich möchte ich es ausdrücklich begrüßen, daß der Herr Bundeskanzler zwei deutsche Gewerkschaftsvorsitzende mit nach Washington genommen hat, um hiermit einen Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen dem DGB und dem amerikanischen Gewerkschaftsbund AFL/ CIO zu leisten. Es ist sehr zu begrüßen, wenn führende deutsche Gewerkschaftsfunktionäre bei die-
ser Gelegenheit von der klaren Haltung des amerikanischen Gewerkschaftsvorsitzenden George Meany, gerade auch zur Frage der Ostpolitik, Kenntnis nehmen. George Meany hat nämlich vor wenigen Wochen, am 1. Oktober dieses Jahres, eine bemerkenswerte Erklärung vor dem Auswärtigen Ausschuß des amerikanischen Senats abgegeben. Lassen Sie mich wenige Sätze daraus zitieren:
Wir sind für eine wirkliche Entspannung. Wir sind für eine Entspannung, in der die Sowjetunion ihren ideologischen Krieg gegen den Westen stoppt. Wir sind für eine Entspannung, in der die Sowjetunion den ehrlichen Willen zur Umkehr des Wettrüstens und zum Abgehen von ihrem Ziel militärischer Überlegenheit in den SALT-II-Verhandlungen zum Ausdruck bringt. Wir sind für eine Entspannung, in der der Strom westlicher Hilfe in den Osten ergänzt wird durch eine Freizügigkeit von Menschen und Ideen in Osteuropa und der Sowjetunion.
Gleichlautend mit unseren Vorschlägen.
Wir sind für eine Entspannung, in der die Sowjetunion aufhört, die Friedensbemühungen im Nahen Osten zu sabotieren. Solch eine Entspannung, eine wirkliche Entspannung,
— fährt Meany fort —würde von der amerikanischen Arbeiterschaft,
dem amerikanischen Volk und allen Völkern
der Welt begrüßt werden. Aber das ist nicht
das, was wir heute haben. Wir bauen keine dauernden Gebäude des Friedens, sondern Burgen auf Sand, auf unsicherem Grund, auf Wunschvorstellungen, Unverantwortlichkeiten und Ignoranz. Die Unfähigkeit, die Welt zu sehen, wie sie ist, und die Feinde der Freiheit zu erkennen, ist heute tatsächlich die große Gefahr für den Frieden. Diese Gefahr ist nirgends deutlicher erkennbar als in der Selbsttäuschung, die wir Entspannung nennen.
Mit diesen Worten beendet der amerikanische Arbeiterführer George Meany seine Erklärung vor dem Auswärtigen Ausschuß des amerikanischen Senats. Ich habe dem nichts hinzuzufügen und möchte nur wünschen, daß die Vertreter der deutschen Arbeitnehmer die außenpolitischen Gefahren genauso klar sehen wie ihr amerikanischer Kollege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend noch einige wenige Bernerkungen zur Deutschlandpolitik machen. Wir werden ja in wenigen Tagen Gelegenheit haben, darauf näher einzugehen. Wir sind durch eine verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung in eine Situation geraten, in der wir mit unserem Geld — auch mit dem Geld, das wir verleihen sorgsam umgehen müssen. Aber man erwartet von uns überall, daß wir zahlen. An Italien haben wir Milliardenkredite vergeben, die britische Wirtschaft möchte über den europäischen Regionalfonds saniert werden. Wir haben Verständnis für diese Wünsche, wollen aber auf eine sorgsame Handhabung dieses Fonds achten. In Amerika möchte man einen internationalen Energiefonds von 25 Milliarden Dollar einrichten, zu dem auch wir beitragen sollen. Und nach Osten sollen deutsche Ostkredite der kommunistischen Mißwirtschaft auf die Beine helfen.
Herr Bundeskanzler, hier hört unser Verständnis auf! Europäische Solidarität und atlantische Zusammenarbeit ja, Finanzierung kommunistischer Planwirtschaften mit 30 Jahre langen Krediten und praktisch ohne Zinsen, also geschenktes Geld, nein.
Entwicklung von Sizilien ja, Entwicklung von Sibirien mit unserem Geld nein.
Zu diesen Krediten gehört de facto auch der hinter dem Rücken des SPD-Bürgermeisters Schütz von dieser Regierung zugesagte Überziehungskredit zugunsten Ost-Berlins. Man möchte es nicht für möglich halten, daß der Regierende Bürgermeister ganz offensichtlich über diesen Schritt nicht informiert war. Sonst hätte er die von Herrn Professor Carstens gelesene, außerordentlich dezidierte und scharfe Erklärung einen Tag vorher niemals abgeben können, und sonst wäre er nicht in die peinliche Lage geraten, von dem offiziellen Organ des SED- Regimes einen Tag später so abgebürstet worden zu sein, wie das geschehen ist.
9244 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1974
Dr. Zimmermann