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ID0710206800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 102. Sitzung Bonn, Dienstag, den 21. Mai 1974 Inhalt: Amtliche Mitteilung . 6683 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Arendt, Bundesminister (BMA) . . 6683 B Katzer (CDU/CSU) . . 6688 C Rohde, Bundesminister (BMBW) . 6695 D Strauß (CDU/CSU) 6700 C Dr. Vogel, Bundesminister (BMJ) . 6712 A Dr. Friderichs, Bundesminister (BMWi) 6713 D Dr. Ehrenberg (SPD) 6719 D Kirst (FDP) 6722 B Dr. von Bismarck (CDU/CSU) . . 6726 A Genscher, Bundesminister (AA) . 6731 A Mandatsniederlegung des Abg. Dr. Nölling und Eintritt des Abg. Dr. Arndt (Hamburg) in den Bundestag als Nachfolger . . 6733 D Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1974 (Haushaltsgesetz 1974) (Drucksachen 7/1100, 7/1504); Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses — Zweite Beratung — Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksache 7/1911) 6734 A Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksache 7/1912) Frau Renger, Präsident 6734 B Wohlrabe (CDU/CSU) 6736 A Dr. Bußmann (SPD) 6737 D Engelhard (FDP) 6739 B Gansel (SPD) 6740 C Collet (SPD) 6742 C Dr. Sperling (SPD) 6744 A Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksache 7/1913) 6745 B Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksache 7/1914) Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . 6745 C Esters (SPD) 6749 A Schmidt, Bundeskanzler 6749 B Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) 6752 C Wehner (SPD) . . . . . . . . 6756 B Dr. Apel, Bundesminister (BMF) . 6757 C Stücklen (CDU/CSU) 6758 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 6759 D Namentliche Abstimmung . . . . . . 6760 B II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 21. Mai 1974 Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksache 7/1915) Picard (CDU/CSU) 6762 A Dr. Bußmann (SPD) 6763 A Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern (Drucksache 7/1916) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksache 7/1936) Möller (Lübeck) (CDU/CSU) . . . 6764 B Walther (SPD) . . . . . . . . 6764 B Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . . 6768 C Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister (BMI) 6771 C Dr. Miltner (CDU/CSU) 6772 D Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 6774 C Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz (Drucksache 7/1917) Simon (SPD) . . . . . . . . . 6775 B Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft (Drucksachen 7/1919, 7/2047) Röhner (CDU/CSU) 6777 A Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 6778 B Dr. Graff Lambsdorff (FDP) . . . . 6779 C Höcherl (CDU/CSU) 6781 D Dr. Ehrenberg (SPD) 6784 A Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 7/1920) Röhner (CDU/CSU) 6785 C Löffler (SPD) . . . . 6788 B Gallus (FDP) . . . . . . 6791 D Dr. Ritz (CDU/CSU) 6794 D Ertl, Bundesminister (BML) . . . . 6797 D Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (Drucksache 7/1921) Krampe (CDU/CSU) . . . . . . 6802 B Grobecker (SPD) . . . . . . . . 6803 D Arendt, Bundesminister (BMA) . . 6805 C Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (Drucksache 7/1922) Ollesch (FDP) 6805 D, 6812 B Dr. Jenninger (CDU/CSU) . . . . 6808 A Müller (Nordenham) (SPD) 6809 C, 6811 D Vehar (CDU/CSU) . . . . . 6810 C Milz (CDU/CSU) 6811 B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 7/1923) 6812 D Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksache 7/1924) Hauser (Bonn-Bad Godesberg) (CDU/CSU) 6813 A Würtz (SPD) 6815 A Schulte (Unna) (SPD) 6816 B Namentliche Abstimmung . . . . . . 6819 C Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit (Drucksache 7/1925) Kroll-Schlüter (CDU/CSU) . 6816 C Dr. Sperling (SPD) . . . . . . . 6818 B Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . 6819 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksache 7/1926) 6820 D Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksache 7/1927) Blank (SPD) 6821 A Frau Pieser (CDU/CSU) 6822 B Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksache 7/1928) Josten (CDU/CSU) 6823 C Esters (SPD) 6824 B Picard (CDU/CSU) 6824 D Dr. Holtz (SPD) 6825 C Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) . . . . 6826 D Hoppe (FDP) 6828 B Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 6826 D, 6829 A Leicht (CDU/CSU) 6830 B Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6830 C, 6831 C Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 6831 C Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksache 7/1929) Simpfendörfer (SPD) . . . . . 6832 A Kleinert (FDP) 6833 B Niegel (CDU/CSU) 6833 D, 6834 A Wehner (SPD) . 6833 D Leicht (CDU/CSU) 6834 B Frau Funcke, Vizepräsident . . . 6834 C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 21. Mai 1974 III Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen (Drucksache 7/1930) Dr. Dübber (SPD) 6834 D Wohlrabe (CDU/CSU) 6835 C Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie (Drucksache 7/1931) Dr. Stavenhagen (CDU/CSU) . . . 6836 B Dr. von Bülow (SPD) . . . . . . 6837 C Frau Funcke, Vizepräsident (Erteilung eines Ordnungsrufs) . . 6839 A Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 6839 B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (Drucksachen 7/1932, 7/2056) . . . . 6839 B Einzelplan 33 Versorgung (Drucksache 7/1934) 6839 C Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksache 7/1935) 6839 C Nächste Sitzung 6839 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6841* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 21. Mai 1974 6683 102. Sitzung Bonn, den 21. Mai 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 21.5. Dr. Aigner * 22. 5. Dr. Artzinger * 22. 5. Bahr 22. 5. Batz 22. 5. Dr. Becher (Pullach) 22.5. Behrendt * 21. 5. Blumenfeld 21. 5. Brandt 6. 6. Fellermaier * 21. 5. Ferrang 22. 5. Flämig " 21.5. Dr. Freiwald 22. 5. Gerlach (Emsland) * 21.5. Gewandt 19. 6. Dr. Gölter *** 22. 5. Dr. Gradl 10. 6. Dr. Haenschke 31. 5. Härzschel * 23. 5. Handlos 22. 5. Jäger (Wangen) 1. 6. Dr. Jahn (Braunschweig) * 22. 5. Kahn-Ackermann *1* 21. 5. Dr. Klepsch *** 22. 5. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Freiherr von Kühlmann-Stumm 22. 5. Lagershausen 22.5. Lampersbach 22.5. Lange * 21.5. Lemmrich *** 22.5. Lenzer *** 22. 5. Dr. Lohmar 22. 6. Lücker * 26.5. Memmel * 22. 5. Dr. Mende *** 21. 5. Müller (Mülheim) * 21. 5. Dr. Müller (München) *** 21. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 22. 5. Frau Dr. Orth * 21. 5. Pawelczyk *** 22. 5. Dr. Probst 22.5. Richter *** 22. 5. Schlaga *** 22. 5. Schmidt (Kempten) *** 22. 5. Schröder (Wilhelminenhof) 22. 5. Dr. Schwencke *** 22. 5. Dr. Schwörer * 22.5. Seefeld * 21.5. Dr. Slotta 21. 5. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim 24. 5. Springorum * 21. 5. Dr. Starke (Franken) 23. 5. Vogel (Ennepetal) 22. 5. Dr. Vohrer *** 21. 5. Walkhoff " 22.5. Frau Dr. Walz * 22. 5. Wienand 22. 5. Dr. Wörner 21.5. Zeyer 8. 6.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine so eigenartige Aussprache über eine, wie man sagt, „Regierungserklärung" haben wir in der 25jährigen Geschichte dieses Parlaments noch nicht erlebt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Schon allein der letzte Redner ist ein sprechendes Beispiel dafür. Zuerst mußte man der Meinung sein, daß er seine Umsetzung aus dem Arbeits- in das Bildungsministerium gar nicht richtig mitbekommen hat.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Bundesarbeitsminister — er ist im Augenblick offensichtlich nicht anwesend — hat ja eine eindrucksvolle Rede, wie er meinte, gehalten. Warum sein früherer Staatssekretär glaubte, ihn herauspauken zu müssen, ist vielleicht außer seiner engsten Umgebung nicht einmal dem Beglückten verständlich.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. Zuruf von der SPD: Kommen Sie doch zur Sache!)

    Ja, zur Sache werde ich Ihnen heute noch einiges sagen.
    Wenn aber Herr Bundesminister Rohde über Bildungsprobleme spricht, dann möchte ich bei diesem Anlaß nicht die Debatte über die Berufsausbildung fortsetzen. Darüber ist schon einiges gesagt worden

    (Zuruf von der SPD)

    und wird in diesem Hause noch vieles gesagt werden müssen. Wir hätten aber dann von diesem Bundesminister einmal eine Klärung erwartet, eine Klarstellung der Probleme, die mit dem Stichwort Rah-



    Strauß
    menrichtlinien in sozialdemokratisch regierten Ländern entstanden sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

    Wir hätten von ihm erwartet, daß er einmal zu dem Problem Konsensus und Konflikt in unserer Gesellschaft Stellung nimmt;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    denn der Zusammenhalt einer demokratischen Gesellschaft setzt den Konsensus voraus.

    (Zuruf von der SPD.)

    Wir bejahen den sozialen Konflikt, denn der soziale Konflikt ist ein natürliches Entwicklungselement der Menschheit und ihrer Gesellschaft. Wenn der soziale Konflikt aber die demokratischen Formen nicht sprengen soll, muß er auf dem Boden einer gemeinsamen Wertordnung, auf dem Boden des Konsensus stattfinden. Hier hätte gerade die Regierung Helmut Schmidt mit diesem neuen Wissenschafts- und Bildungsminister eine Chance gehabt, eine Aktion Neubeginn zu machen und den Schutt wegzuräumen, den sozialdemokratische Bildungspolitik in einer Reihe von Ländern angerichtet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Leider ist das nicht geschehen.

    Zum anderen war ich gestern allmählich der Auffassung, daß der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU eigentlich eine Regierungserklärung abgegeben habe, weil sich nämlich die folgenden Redner der Regierungsparteien mit seiner „Regierungserklärung" befaßt haben, aber nicht mit der eigenen, wenn ich den Ablauf der Debatte richtig sehe.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Redner der SPD der eine sicherlich aus Absicht und der andere mangels Masse — haben nichts oder wenig zu den Sachproblemen beigetragen. Die Redner der FDP haben sich redlich in dem ihnen eigenen Stile bemüht. Die Beiträge der Kollegen Wehner und Friedrich sind hier aber auf einem sonst bei der Aussprache über Regierungserklärungen nicht üblichen Niveau gestaltet worden.

    (Abg. Leicht: Sehr gut!)

    Wenn ich Herrn Wehner nicht so lange kennen würde, würde ich nicht das sagen, was ich hier als meine Meinung wiedergebe, nämlich daß Wehner die Debatte absichtlich fast ins Läppische hat abgleiten lassen,

    (Abg. Leicht: Sehr gut!)

    um damit dieser ganzen Aussprache über die Regierungserklärung den Charakter der Ernsthaftigkeit zu nehmen. Ich glaube, daß Sie infolge Ihrer jahrzehntelangen politischen Erfahrung auch noch genügend Briefe haben, die Sie mit Redaktionen gewechselt haben, um damit in Zukunft filibustern zu können.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Der Kollege Friedrich muß sich sagen lassen, daß er allmählich, wenn er hier in diesem Hause reden will, zumindest die Ansprüche des Bezirkstages von Mittelfranken erfüllen müßte.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Vilshofen!)

    Sein Plädoyer für die sozialdemokratischen Marxisten zeugt von der Zerrissenheit der SPD und ihrer politischen Schizophrenie. Es war erst vor wenigen Tagen, als auf dem außerordentlichen Landesparteitag der SPD in München ein auch von seinen politischen Gegnern hoch anerkannter und respektierter Politiker der SPD mit einer langen Lebens- und Parlamentserfahrung sagte:
    Als wir, eine Handvoll Sozialdemokraten, im Jahre 1945 die Partei wieder begründeten, wollten wir einen neuen Anfang machen. Damals haben wir nicht daran gedacht, daß im Jahre 1974 von einem Anfang vom Ende gesprochen werden könnte, wie es heute leider der Fall ist.
    So Wilhelm Hoegner nach der wörtlichen Niederschrift seiner Ausführungen. Er sagt dann:
    Marx ist überholt, seine Verelendungstheorie ist überholt, und seine Idee des historischen Materialismus hat vor der Wahrheit nicht standgehalten. Sie ist überholt. Ein Vermächtnis, das mir der Genosse Dr. Hilferding, der letzte große Theoretiker unserer Partei, auf die Seele gebunden hat, ist, daß der historische Materialismus nicht mehr bewiesen werden könne.

    (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Hört! Hört!)

    Darum hätten wir auch vom Herrn Bundeskanzler erwartet, daß er die Position der Regierung, der Regierungspolitik und die Position seiner Partei zu den Fragen, die gestern von den Rednern der Union unter dem Stichwort „Neomarxismus" angeschnitten worden sind, hier geklärt hätte. Das wäre auch eine Aktion Neubeginn gewesen, wenn es wirklich einen Neubeginn gäbe. Aber es gibt ja keinen Neubeginn, sondern Kontinuität, wie mit Recht gesagt worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Geisenhofer: Brandt mit anderem Namen!)

    Ich komme noch darauf zu sprechen. Die Wahl der Formulierungen „Kontinuität" und „Konzentration", die auch Herr Wehner gestern so unterstrichen hat, beleuchtet ja, worum es sich hier eigentlich handelt.
    Wenn ich mir die Regierungserklärung vor Augen halte, weiß ich nicht, warum wir überhaupt eine Regierungserklärung brauchten und warum es überhaupt zu einer neuen Regierung gekommen ist. Als im Herbst 1966 aus den auch in dieser Debatte schon angeschnittenen Gründen der damalige Bundeskanzler Erhard zurücktrat — und zwar nicht, weil hier ein Drehbuchautor auf seiten der Unionsparteien vorhanden war, sondern weil der Koalitionspartner damals eine Rolle spielte, die er jetzt nicht mehr spielen kann, was nicht heißt, daß seine Rolle einfacher geworden ist —, hat sein Nachfolger, der von der Fraktion der CDU/CSU und dem Koalitionspartner SPD gewählte Bundeskanzler Kiesinger in seiner Regierungserklärung in einer Darstellung, in



    Strauß
    einer Formulierung, die die Grenzen der Ehrlichkeit ausschöpfte, ja, wie manche sogar meinten, fast überschritt, von einer lange schwelenden Krise gesprochen, die eine Neubildung der Regierung erforderlich machte und die auch — das war mit etwas Wehmut gesagt— seinen Umzug von Stuttgart nach Bonn, den er nie ganz verwunden hat, erzwang. — Ich meine das jetzt humorvoll, Herr Bundeskanzler. — Die Vorgänge, die damals zu einer Umbildung der Koalition und zu der Neuwahl eines Bundeskanzlers auf dem Hintergrund eines leichten wirtschaftlichen Rückschlages und nicht tragischer finanzieller Störungen geführt haben, stehen doch in keinem Verhältnis zu dem, was jetzt die Umbildung dieser Regierung herbeigeführt und die Wahl eines neuen Kanzlers erzwungen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Davon haben wir gar nichts gehört. Hier war nicht einmal im Ansatz die Spur Nüchternheit oder Ehrlichkeit zu spüren, von der man sonst immer so gerne spricht.
    Deshalb darf ich auch, nachdem der Herr Kollege Friedrich gestern darauf zu sprechen gekommen ist, den berühmten Artikel des Herrn Kollegen Wehner erwähnen. Es wäre besser gewesen, Herr Kollege Friedrich hätte sich darüber ausgeschwiegen; denn wenn ausgerechnet der Kollege Wehner im Zusammenhang mit dem Rücktritt des Bundeskanzlers Willy Brandt von einem kalten Staatsstreich gesprochen hat, wenn dann noch im Lande die Rede davon war — gerade von denen, die zum Sturze Brandts sehr viel beigetragen haben , daß es sich hier um ein Komplott zwischen den Unionsparteien, den Nachrichtendiensten und — natürlich darf das nicht fehlen — dem Großkapital handele, dann bin ich damit in fataler Weise an bestimmte Zusammenhänge in früheren Jahrzehnten erinnert worden, wo so geheime, dunkle, unterirdische, hintergründige Mächte und Kräfte die holden Lichtgestalten der jeweils Regierenden bedrängt hatten, um sie zu Fall zu bringen. Da kommt das Loki-Motiv der alten germanischen Heldensaga wieder zum Vorschein.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Ich habe nicht ohne Humor z. B. in einem bekannten Wochenmagazin gelesen, daß Willy Brandt am 18. Februar 1974 gesagt hat — jedenfalls ist das gedruckt worden —:
    Bin ich eigentlich der Chef einer pleite gegangenen Firma? Ich muß mich fragen, ob ich das noch verantworten kann. Ihr laßt mich alle allein.
    Und er empfahl dann damals schon, nun den Mann vorzusehen, der — wahrscheinlich war er traurig darüber — als stärkster Mann im Kabinett gelte. Aber wenn er selbst die Frage stellt: „Bin ich eigentlich der Chef einer pleite gegangenen Firma?", dann ist es doch merkwürdig, daß der Hauptbuchhalter dieser Firma nunmehr die Chefposition übernommen hat.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn ich mir die abschließende Wertung der Regierungspolitik vor Augen halte, wie ich sie aus dem Munde des heutigen Bundeskanzlers am Ende seiner Regierungserklärung vernommen habe — wie gut bei uns alles ist —, dann frage ich mich eigentlich, warum die Figuren überhaupt gewechselt haben. Denn wenn alles so ist, wie es in der Schlußdarstellung heißt, war dieser Rücktritt doch völlig überflüssig. Hier ist die Methode „Haltet den Dieb", die Kunst der Spurenverwischung in zu peinlicher Weise angewandt worden; denn es gibt doch nicht den leisesten Zweifel, daß der ehemalige Bundeskanzler zurückgetreten ist, weil er infolge des unerträglichen Widerspruches zwischen Anspruch und Erfüllungsmöglichkeit, zwischen Optik und Wirklichkeit, zwischen Attrappe und Inhalt, auch zwischen der Verantwortung, die ein Kanzler hat, und der Unerfüllbarkeit dieser Verantwortung angesichts der politischen Umstände in seinen eigenen Reihen, das Handtuch geworfen hat und aus keinem anderen Grunde.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe in einer der Debatten Ende letzten Jahres oder Anfang dieses Jahres die „Neue Zürcher Zeitung" zitiert, daß der Unterschied zwischen der Einschätzung und der Wirklichkeit noch niemals so groß gewesen sei. Darum sollte von seiten der SPD mit diesem brunnenvergiftenden Gerede von einem Komplott der Nachrichtendienste, der Unionsparteien und des Großkapitals aufgehört werden. Dieser Gruselstory sollte nunmehr endgültig nicht nur ein Ende gemacht werden, sondern ihr sollte hier im Interesse eines Mindestmaßes an normaler gegenseitiger demokratischer Ansprechbarkeit endgültig mit einer ganz klaren Gegenerklärung der Garaus gemacht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es hat ja fast keinen Sinn, für diejenigen, die denken können, hier noch mit logischen Argumenten zu operieren; denn alle drei Dienste haben an ihrer Spitze sozialdemokratische Manager. Ich brauche nicht über den Bundesnachrichtendienst zu reden, in dem der Präsident eine weniger bedeutende Rolle spielt als der Vizepräsident, der ehemalige SPD-Landesgeschäftsführer von Hamburg, Herr Dieter Bloetz, über dessen Tisch alle Akten gehen, der alle Vorgänge kennt, der im Auftrag des damaligen Bundesministers Ehmke auch' das ganze Haus sozusagen unionsfrei gesäubert hat — wie er glaubte.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Lachen und Hört! Hört! bei der SPD.)

    Da sind einige Pannen passiert, aber die liegen daran,

    (erneute allseitige Heiterkeit)

    daß auch einige Gesinnungsgänger zu Unrecht hier in den falschen Dunstkreis gekommen sind. Oder denken Sie an das Bundesamt für Verfassungsschutz, an dessen Spitze doch auch ein bewährter Mitarbeiter und jahrelanger treuer Diener und ergebener Anhänger der SPD steht, Herr Nollau, oder an das Bundeskriminalamt mit der Sicherungsgruppe, an dessen Spitze der ehemalige Polizeipräsident von Nürnberg steht, ohne Zweifel ein hochqualifizierter Fachmann, aber auch mit dem richtigen Parteibuch



    Strauß
    in der Tasche. Das wäre merkwürdig: die haben anscheinend alle im Auftrage ihrer politischen Spitzen gegen ihren eigenen Bundeskanzler gearbeitet? Mit der Story sollten Sie Schluß machen. Der Wahrheitsgehalt ist Null.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dadurch werden nur Mythen gezüchtet, und wir können nicht Mythen brauchen.
    Damit komme ich zu dem Fall, über den so viel geredet wird und über den in Zukunft nichts anderes geredet werden soll als die volle Aufklärung der Hintergründe, der Vorgeschichte, der Zusammenhänge, überhaupt des ganzen Ausmaßes. Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern gesagt — wenn Worte natürlich als ehrliche Absicht genommen werden dürften, dann wäre das sehr erfreulich —, daß im Vertrauensmännergremium volle Auskunft erteilt wird, mit Ausnahme dessen, was die Bundesanwaltschaft zu sagen nicht bereit ist. Nun, niemand wird von der Bundesanwaltschaft verlangen, daß sie Auskünfte erteilt, deren Weiterleitung auch an die Mitglieder dieses kleinen Gremiums etwa den Gang der Ermittlungen stören oder den Erfolg der Ermittlungen beeinträchtigen könnte. Das wünscht niemand. Aber ich darf Sie als den damals noch nicht Verantwortlichen fragen: Warum hat man denn in der ersten Sitzung des Vertrauensmännergremiums den Mitgliedern dieses Gremiums in der Hoffnung, den wirklichen Umfang geheimhalten und vertuschen zu können, Auskünfte gegeben, für die der Ausdruck „läppisch" nicht sehr zutreffend ist, weil sie regelrecht mit Absicht falsch erteilt worden sind, nämlich mit der Behauptung, daß der Herr G. keinen Zutritt zu Geheimakten gehabt, Geheimsachen nicht bearbeitet habe und deshalb nur mit untergeordneten Funktionen beschäftigt gewesen sei? Ein Stück Lebensqualität; denn wenn er 4 500 Mark für untergeordnete Funktionen kriegt, ist das ungefähr der Standard, an dem in Zukunft die materielle Lebensqualität gemessen werden könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte hier aus jahrelanger eigener und nicht immer leidfreier Amtserfahrung folgendes sagen.
    Erstens. Es ist das gute Recht eines Kanzlers, eines Ministers, in seiner engeren Arbeitsumgebung Personen seines politischen Vertrauens zu haben. Niemand macht daraus einem Kanzler oder einem Minister einen Vorwurf. Das heißt noch lange nicht, daß deshalb der Parteibuchprotektionismus dominierendes Prinzip der Personalpolitik werden sollte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nur, angenommen, der Herr G. wäre kein Agent gewesen, angenommen, die Legende, mit der er angetreten ist, wäre richtig gewesen, dann frage ich mich eigentlich: Hatte denn die SPD in dem reichhaltigen Reservoir ihrer Mitarbeiter niemanden anderen als einen Würstchenverkäufer, Gelegenheitsfotografen, Inhaber einer Rucksack-Fotokopieranstalt und treuen Parteidiener, der in der Lage war, im Range eines Ministerialrats in der Nähe des Kanzlers, vorher in der Nähe des Kollegen Ehrenberg, sozusagen als ein Mann des inneren Kreises
    mit offenen Augen und offenen Ohren alles mitzukriegen? Hatten die wirklich denn niemanden anders?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hätte man dafür die normalen Maßstäbe ministerieller Laufbahn angelegt — die brauchte man gar nicht kleinlich anzuwenden, gar nicht kleinlich, nur die normalen Maßstäbe —, dann wäre das Risiko schon erheblich geringer gewesen.

    (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : So ist es!)

    Ich sage auch noch ein zweites, zur Entlastung und zur Belastung, weil alles andere Heuchelei wäre. Niemand ist sicher davor, daß er in seiner Dienststelle, in seinem Parteiapparat, in seiner Umgebung einen Mann hat, einen Mitarbeiter hat, der, auf diese oder jene Methode eingeschleust, dann im Dienste der anderen Feldpostnummer steht, wenn ich mich so ausdrücken darf. Davor ist niemand sicher. Aber warum nimmt man jemanden, der nicht die berufliche Qualifikation hat? Das heißt: er hätte die schon gehabt, aber das durfte ja nicht wahrgenommen werden. Die Qualifikation, die er hatte, reichte nicht aus für die Stelle, die er hatte. Die Qualifikation, die er hatte, hätte verhindert, daß er die Stelle jemals hätte einnehmen dürfen. Das ist es doch. Warum nimmt man für eine solche Stellung nicht jemanden, dessen Lebenslauf völlig überschaubar ist? Es geht hier nicht um die Frage, ob man jemanden aus rechtsstaatlichen Gründen nicht benachteiligen darf. Wenn man glaubt, einen verdienten alten Kämpfer der eigenen Partei unterbringen zu müssen, weil er eineinhalb Jahrzehnte treue Dienste geleistet hat, dann verfügt die Regierung mit ihren vielen Positionen im wirtschaftlichen Bereich und verfügen ihre Freunde in Riesenorganisationen unserer Wirtschaft heute über so viele Möglichkeiten, daß sie sehr wohl jemanden, auch wenn man ihm am Anfang individuell nicht alles nachweisen kann, aus dieser Umgebung hätte fernhalten können. Das ist der zweite Teil dessen, was ich Skandal nenne. Er besteht nicht in der Tatsache, daß ein Spion dort hingekommen ist, sondern in der Nichtbeachtung der Tatsache, daß die Wahrscheinlichkeit, das verhindern zu können, bei Anwendung normaler Maßstäbe hundertmal größer gewesen wäre.
    Im Jahre 1955/56 sind doch die ersten Erkenntnisse aufgetaucht. Bei der geplanten Einstellung hat doch der Präsident des Bundesnachrichtendienstes gewarnt. Wer mit diesen Problemen nur ein bißchen zu tun hat, weiß, daß der Verlag „Volk und Wissen" eine getarnte Spionageeinrichtung ist, daß alle Mitarbeiter dieses Verlages grundsätzlich unter dem Verdacht gesehen werden müssen — gleichgültig, welche Fluchtlegende sie mitbringen —, daß sie im Dienste des MfS stehen.

    (V o r sitz: Vizepräsident von Hassel.)

    Es wird behauptet, hier hätten die Dienste eben versagt. Da muß ich einmal mit zwei Märchen aufräumen. Ich weiß nicht, ob ich damit Herrn Genscher jetzt Unrecht tue, ob ich ihm schade oder nütze. Aber es ist absolut verfehlt, wenn in gewissen so-
    6704 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 102. Sitzung, Bonn, Dienstag, den 21. Mai 1974
    Strauß
    zialdemokratischen Kreisen so getan wird, als ob Herr Genscher ein Art Fouché gewesen sei. Davon kann keine Rede sein. Man kann auch von dem Chef des Innenministeriums nicht verlangen, daß er bei allen einzelnen Vorgängen der Überprüfung die persönliche Verantwortung bis ins letzte Detail trägt. Die Frage, ob es richtig war, den Bundeskanzler selber mit der Überwachung des Lockspitzels noch weiterhin zu beauftragen, um ihn in Sicherheit zu wiegen, kann ich nicht beurteilen. Darüber wird hoffentlich einmal an anderer Stelle fachkundiger geurteilt werden können.
    Aber wenn die Dienste so vorsichtig reagiert haben — der Brief von Herrn Wessel ist so eigenartig abgefaßt —, dann doch deshalb, weil man diese Dienste schon längere Zeit verunsichert hatte, weil sie vor kommenden personellen Eingriffen Angst hatten, weil sie nicht den Mut hatten, bewährte Parteifunktionäre verdächtigen zu dürfen. Deshalb haben sie sich so vorsichtig wie möglich ausgedrückt.

    (Abg. Dr. Dregger: Sehr richtig!)

    Hätte man die Dienste in voller Sicherheit arbeiten lassen, hätte man die Sicherheitsüberprüfung nicht ;auf sechs Wochen beschränkt, sondern auf die Zahl der Monate ausgedehnt, auf die sie normalerweise selbst bei Bürgern der Bundesrepublik, die hier geboren sind, erstreckt wird, dann wäre die Sicherheit, diesen Fall zu verhindern, hundertmal größer gewesen als bei der Methode, die hier angewandt worden ist. Das ist das Problem.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage es nicht, um einen Ausgeschiedenen zu belasten. Aber hier müssen zwei Dinge geklärt werden. Das eine ist die Behauptung, daß die Dienste mehr Aufmerksamkeit auf die Aufklärung von Vorgängen aus dem privaten Bereich verwendet hätten als auf die Überführung von Spionen. Das darf so nicht im Raum stehenbleiben. Hier muß der neue Bundeskanzler dazu eine unmißverständliche Erklärung abgeben. Sollte dieser Vorwurf gegen die Dienste zutreffen, dann muß diesem Treiben ein Ende gemacht werden. Es ist unerträglich, daß in Demokratien anscheinend nicht kontrollierte Machtapparate eine solche Tätigkeit ausüben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Jeder von uns hat einen Anspruch darauf. Den Anspruch hat der ehemalige Bundeskanzler, hat der neue Bundeskanzler, hat jeder Minister, hat jedes Mitglied dieses Hauses, ja, ich möchte sagen, jeder Bürger dieses Staates.
    Nun zu dem zweiten, was geklärt werden muß. Der ausgeschiedene Bundeskanzler hat gesagt, er habe nicht hinnehmen können, daß seine persönliche und politische Integrität zerstört werde. Was bedeutet „Zerstörung der politischen Integrität"? Ist es ein im Zorn gesprochenes Wort, das man vergessen kann? Dann sollte man es vergessen. Dann sollte es aber auch als solches bezeichnet werden, nämlich als aus der Leidenschaft oder der Verbitterung heraus gesprochen; das kann jedem unterlaufen. Deshalb sollte man darüber nicht lange nachgrübeln. Steckt dahinter aber etwas, was wirklich gemeint war — was ist dann damit gemeint? Das ist die Frage. Und hier, Herr Bundeskanzler, bitte ich Sie, das, was Sie gestern gesagt haben, im Interesse Ihrer Stellung, Ihrer Person, unserer Zusammenarbeit, des Mindestmaßes, das an Vertrauen zwischen Opposition und Regierung in einer funktionierenden Demokratie erforderlich ist, rückhaltlos aufzuklären und Auskunft zu geben — und wenn es öffentlich nicht geschehen kann, im Vertrauensmännergremium —: Inwiefern bestand Gefahr der Zerstörung der politischen Integrität? Was ist damit gemeint? Ich glaube, die Frage darf die Opposition in diesem Lande wohl noch stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich darf hier in diesem Zusammenhang vielleicht einige Hinweise geben. Herr Bundeskanzler, stimmt es, daß amerikanische und französische Stellen während der Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin wiederholt vorstellig geworden sind, weil ihre Verhandlungspartner — an der Spitze Herr Abrassimow — zu viel wußten, und ist der Vorwurf berechtigt, den ich am Beginn der Angelegenheit erhoben habe — dafür bin ich von dem damaligen, in der Zwischenzeit ausgeschiedenen Sprecher der Bundesregierung der Diffamierung bezichtigt worden —, daß die aus dem Bundeskanzleramt an die andere Seite übermittelten Informationen während der Vier-Mächte-Verhandlungen wertvolle Hinweise auf die jeweils nächste Verhandlungsphase gegeben haben?
    Dasselbe gilt natürlich auch für den Grundlagenvertrag. Die Tatsache, daß Herr Guillaume erst später Persönlicher Referent des Kanzlers geworden ist, ist demgegenüber irrelevant. Wer zum „inneren Kreis" gehört, erfährt dort so viel auf verschiedenen Wegen und verschiedenen Stationen, daß er hier sehr wohl wichtige Hinweise geben kann. Denn die Meldung von Radio Leipzig, man danke dem Helden an der stillen Front, weil er durch seine Tätigkeit geholfen habe, im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Grundlagenvertrag Schaden von der DDR abzuwenden, ist doch zur Beurteilung der Qualität dieser von Ihnen wieder so gelobten Verträge von entscheidender Bedeutung. Und hier haben wir doch ein Recht darauf, Auskunft darüber zu verlangen, was denn aus dieser Quelle an die andere Seite geliefert worden ist.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das ist doch etwas, was im Interesse aller Parteien dieses Hauses und aller politischen Gruppierungen liegen müßte. Denn militärische Spionage ist heutzutage fast uninteressant; da gibt es so viele Quellen, um sich hier alle Informationen technischer und organisatorischer Art zu verschaffen. Die politische Aufklärung ist heute viel wichtiger als die militärische Einzelaufklärung. Wir leben sowieso nicht in der militärischen Phase der Auseinandersetzung — das ist nur die Druckkulisse —, sondern wir leben in der politischen Phase der Auseinandersetzung. Und hier Bescheid zu wissen, was der andere will, was er denkt, was er plant, wie weit entgegenzukommen er bereit ist, wo die Stelle ist, wo man Verhandlungen abbrechen würde — das zu wissen ist



    Strauß
    ein ungeheures Kapital, ist ein ungeheurer Vorsprung, den ein Verhandlungspartner hat. Und für unsere Beurteilung dieser Verträge, bei der wir ja nichts zurückzunehmen haben, ist es von entscheidender Bedeutung, weil wir immer der Meinung waren, daß sie liederlich vorbereitet, schlampig und dilletantisch ausgehandelt und übereilt — zum Teil unter selbstgesetztem Terminzwang; siehe Wahltermine, z. B. letzte Bundestagswahl — dann abgeschlossen worden sind. Auch das muß hier in diesem Hause gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte hier jetzt zwar nicht in weitere Einzelheiten gehen -- es gibt die Erklärung Neubauer 1, Neubauer 2; das ist sehr interessant. Es gibt die Erklärung Nollau 1, Nollau 2; dazwischen liegen anscheinend Interventionen —, aber ich möchte noch zwei Kennzeichnungen machen. Was sich hier abgespielt hat, ist angesichts der Bedeutung, die die andere Seite der Durchsetzung ihrer strategischen Ziele beigemessen hat, nämlich weltweite Anerkennung der DDR trotz gegenteiliger Behauptungen und juristischer Konstruktionen, d i e spionagetechnische Meisterleistung dieses Jahrhunderts. Aber damit ist die Angelegenheit noch nicht abgetan.
    Die Eingeweihten werden wissen, was ich meine, wenn ich sage, daß ein Zeitungsartikel „Der Spion kontrollierte Bonn—Moskau" von Heinz Lathe, erschienen am 9. Mai 1974, besondere Hinweise gibt. Wer die jahrzehntelange Korrespondententätigkeit des Herrn Lathe in Moskau verfolgt hat, der weiß, daß er zu dem kleinen Kreise gut eingeweihter in Moskau tätiger Journalisten gehört. Wenn man damit jetzt die Meldung in Verbindung bringt, daß der Ministerpräsident der DDR, Herr Sindermann, mit einem ganzen Stab von MfS-Leuten nach Moskau gereist ist, dann gibt es natürlich darüber nicht nur veröffentlichte Texte, die nichts sagen, sondern dann gibt es hier auch zwingende Zusammenhänge. Hier galt es einiges auszuräumen, denn Herr G. hat für die DDR gearbeitet. Moskau wußte offensichtlich über seine Tätigkeit Bescheid, aber Moskau hat nicht alles erfahren, was Herr G. seinen unmittelbaren Auftraggebern mitteilte. So sind Herr Honecker und Herr Stoph in der Lage gewesen, über die Gespräche zwischen Bonn und Moskau sich jeweils ihrerseits aus erster Hand so zu informieren, daß sie von ihrer Seite aus die Steuerung dieser Vorgänge niemals verloren haben. Das ist auch bewiesen worden, weil sie sich rechtzeitig immer wieder durch Interventionen in das Gespräch Bonn—Moskau eingeschaltet haben.

    (Abg. Mattick: Sie müssen ja noch einen besseren Agenten in Frankfurt sitzen haben!)

    — Mir fehlt nur die Zeit, Herr 'Kollege Mattick. Ich würde an Ihrer Stelle nicht lachen. Das Thema ist viel zu ernst, und ich habe mich sehr zurückhaltend ausdrückt. Wenn ich die Zeit hätte, diesen Artikel zu verlesen, um den es geht, dann würden Sie sehen, daß dieser mindestens so interessant ist wie Ihre Korrespondenz mit dem Chefredakteur des „Spiegel", Herr Kollege Wehner. Die fortgerückte Zeit
    hindert mich, diesen Artikel zu verlesen, aber ich nenne ja die Quelle. Es ist die „Allgemeine Mainzer Zeitung" vom Donnerstag, dem 9. Mai 1974. Der Artikel heißt: „Der Spion kontrollierte Bonn-Moskau. Die Rolle Guillaumes / Diskussionen und Kombinationen auf dem diplomatischen Parkett der SowjetHauptstadt." Er stammt von Heinz Lathe. Auf den Inhalt dieses Artikels wird man bei der Aufklärung dieses Falles zurückgreifen müssen. Ich wollte es nur heute gesagt haben, weil die Opposition nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, auf solche Vorgänge und ihre Bedeutung hinzuweisen. Wo wären wir denn überhaupt?!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Bundeskanzler hat von einer schweren Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern im Zusammenhang mit diesem Fall gesprochen. Herr Kollege Carstens hat dazu schon Stellung genommen. Das „goldene Ohr" Herrn Honeckers im Kanzleramt hat ohne Zweifel größere Bedeutung gehabt als große militärische Apparate oder als große diplomatische Aktionen. Aber warum, Herr Bundeskanzler, reden Sie ich meine es nicht beleidigend, wenn ich das sage — so naiv von einer schweren Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern? Man weiß doch, daß Agententätigkeit und Spionage zu den Hauptinstrumenten auch kommunistischer Diplomatie und kommunistischer internationaler Umgangsmethoden gehören. Die Panne ist nicht drüben passiert, weil sie ein „goldenes Ohr" untergebracht haben und damit sozusagen gegen Treu und Glauben gehandelt haben; die Panne ist passiert, weil er aufgeflogen ist. Das war doch der Arger. Ich glaube, niemand kann mir ernsthaft widersprechen, wenn ich das wiederhole, was ich vor ein paar Tagen sagte, daß die DDR doch nicht mit dem Herrn Guillaume ihre Augen und Ohren in der Bundesrepublik verloren hat. Denn wer einen nach oben durchbringen will, der muß auf großer Breite mit zahlreichen Personen an vielen Stellen ansetzen, damit er die statistische Wahrscheinlichkeit hat, daß oben dann auch einer einmal an interessante Stellen kommt. Darum ist gerade die Aufklärung dieses Falles und die Wachsamkeit gegenüber allen anderen Fällen ein Gebot von staatspolitischer Bedeutung höchster Ordnung.

    (Beifall 'bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte jedermann davor warnen, etwa uns das Motiv der Schadenfreude hier zu unterstellen, denn Schadenfreude kann man nicht haben, wenn der Ast abgesägt wird, auf dem man selber sitzt, außer man ist ein Dummkopf, und das sind wir bestimmt nicht. Wir empfinden dabei eine tiefe Sorge, weil man allmählich in der Verharmlosung der anderen Seite und ihrer Methoden, im Glauben, man habe mit dem Übergang von der Konfrontation zur Kooperation eine gemeinsame Basis gefunden, die Öffentlichkeit irregeführt und damit dem Staate und unserer Gesellschaft einen schweren Schaden zugefügt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben von einer ernsten Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern gesprochen und haben den Geist der Ver-



    Strauß
    träge beschworen. Nun, zum Geist von Verträgen gehören immer zwei, die den gleichen Geist haben. Es gab z. B. einmal den Geist von Locarno. Der Geist von Locarno zwischen Briand und Stresemann war der Geist der Franzosen und der Deutschen jener Zeit, die in der Fortsetzung der Erbfeindschaft mit wiederkehrenden Kriegen keinen Sinn mehr sahen und die ein endgültiges Ende setzen wollten. Damit kam der Geist von Locarno; ich denke an die endgültige Festlegung der Westgrenze und an die damit eröffnete neue Ara, die zu den Vereinigten Staaten von Europa hätte führen können, wenn dann nicht die bekannten Ereignisse — die Weltwirtschaftskrise und die Massenarbeitslosigkeit, wie sie Herr Schmidt richtig dargestellt hat — der europäischen Geschichte einen anderen Verlauf aufgezwungen hätten.
    Schon Golo Mann — ein vorsichtiger Bewunderer des bisherigen Bundeskanzlers, wenn auch nicht so sehr ein Bewunderer seines Sonderbotschafters Bahr — hat ja bei der Kennzeichnung dieser Verträge vom „Knabenwerk" des "Ost-Locarno" gesprochen. Was heißt denn „der Geist dieser Verträge"? Ich kann mir vorstellen, was der Geist der Bundesregierung ist. Den habe ich gekennzeichnet: Illusionsbereitschaft, Naivität, viel guter Wille und der Versuch, die Wirklichkeit den eigenen Absichten anzupassen statt umgekehrt.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Das ist sicherlich ein rührender Zug. Aber es gibt doch keinen gemeinsamen Geist, den beide Partner beim Abschluß dieser Verträge etwa durch diese Verträge hätten dokumentieren wollen.

    (Abg. Carstens [Fehmarn] : So ist es! Leider wahr!)

    Das ergibt sich doch allein schon aus der total unterschiedlichen Auslegung dieser Verträge!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Während der Partner sagt: diese Verträge sind die völkerrechtliche Besiegelung der endgültigen Teilung der Nation Deutschland, es gibt zwei Nationen, eine kapitalistische und eine sozialistische, es gibt zwei deutsche Staaten, es gibt unverrückbare, mit keinerlei Mitteln mehr zu ändernde Grenzen, das, was hier vollzogen worden ist, ist die völkerrechtliche Anerkennung von zwei deutschen Staaten — so sagt der Partner, und so glauben es viele in der Welt —, verwahrt sich die Bundesregierung. Die Bundesregierung spricht von Brunnenvergiftung und Diffamierung, wenn man ihr das vorhält und ihr etwa unterstellen wollte, sie verbinde mit diesen Verträgen die gleiche Auslegung.
    Jetzt frage ich Sie einmal, Herr Kollege Schmidt, wo Sie doch als pragmatischer, rationaler Managertyp bekannt sind, als Mann, bei dem — wie Ihnen ja Ihre Freunde sagen — das Hirn noch schneller funktioniert als der Mund — und auch umgekehrt gelegentlich —:

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Wo ist der gemeinsame Geist dieser Verträge angesichts des von mir in knappen Worten geschilderten Sachverhalts?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Bezeichnend ist, daß die Seite 33 des Manuskripts Ihrer Rede die einzige ist, auf der das Wort „Geist" vorkommt. Und da kommt es gleich dreimal vor; dreimal wird auf dieser Seite vom „Geist der Verträge" gesprochen.

    (Zuruf von der SPD: Aber nicht vom gemeinsamen!)

    Aber auf keiner anderen von den 79 Seiten kommt das Wort „Geist" noch einmal vor. Und auch Ihre Anschlußredner, Herr Bundeskanzler, haben es — wenn ich an den bisherigen Ablauf der Debatte denke — nicht verstanden, diesen Eindruck abzuschwächen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie haben, Herr Bundeskanzler, von dem Schüren von Angstgefühlen gesprochen. Nun, Sie hätten in Ihrer Regierungserklärung einmal etwas über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft sagen sollen.

    (Genau! bei der CDU/CSU.)

    Das sind doch die grundlegenden geistigen Probleme: Staat und Gesellschaft in ihrem Verhältnis zueinander, in ihrer gegenseitigen Ergänzung, aber auch in ihrem gegenseitigen Spannungsverhältnis. Der ehemalige Bundeskanzler hat davon viel gesagt. Es waren Annäherungsversuche, die aber nach unserer Auffassung von einem falschen Weltbild getragen waren. Wir haben ihn ja politisch bekämpft; wir haben natürlich seinen Rücktritt gewünscht, weil wir wußten, daß seine Politik gescheitert ist. Wir lassen uns nicht das Märchen aufzwingen, das jetzt in Sowjet-Gedichten zum Ausdruck kommt, daß hier das Rechtskartell und finstere Mächte etwa diese Lichtfigur der deutschen Politik gestürzt hätten. Er hat es gar nicht verdient, so behandelt zu werden, wie er dann behandelt worden ist — aber aus den eigenen Reihen! Wir haben ja hier gesagt, was wir gegen ihn haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber Sie hätten das doch in Ihrer Form vorführen sollen, Herr Kollege Schmidt. Wir wollen von Ihnen über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, über die Demokratie in 'Staat und Gesellschaft etwas wissen. Wo liegen die Identitäten? Wo liegen die Spannungen? Wo liegen Vergleichbarkeiten? Wo liegen Gegensätze? Sie leisten einerseits einen Beitrag zur Vergesellschaftung des Staates und jammern andererseits über den Verfall der Staatsautorität. Hier muß doch vom Bundeskanzler ein geistig richtungweisendes Wort erfolgen, nicht bloß eine Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten, Halbwahrheiten, Unwahrheiten, nichtgelösten, halbgelösten oder verschobenen Problemen, wie es in dieser Aneinanderreihung zum Ausdruck kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie haben sich in Leerformeln wie „Kontinuität" und „Konzentration" geflüchtet. Wenn ich das hu-



    Strauß
    morvoll nehme, dann heißt „Kontinuität" : es bleibt alles so, wie es war. Dann versteht man darunter, daß bei uns nichts anders geworden ist. Und „Konzentration" heißt, daß das, was war, nichts getaugt hat;

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    denn es muß dann doch geändert werden.
    Der Bundeskanzler sagte: „Wir haben kein Verständnis, wenn die Opposition ...", so steht es im Text; in seinen mündlichen Ausführungen ist er vorsichtiger geworden. Da heißt es: „ ... einzelne Sprecher der Opposition diese berechtigten Sorgen zu einer Kampagne ausnutzen, die nur die Angst schüren soll." Da kommt wieder das Motiv. Auch der alte Bundeskanzler sagt: „Mit dem Schüren von Angstgefühlen hilft man niemandem. Und ich sage mit Nachdruck: Laßt euer Land nicht von der Angst regieren."

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn die Opposition mit Engelszungen reden könnte — das kann sie sowieso nicht, weil sie dazu nicht in der Lage ist —, es würde ihr angesichts der wohlwollenden Unterstützung der ehemaligen Regierung Brandt /Scheel und der heutigen Regierung durch den größten Teil der veröffentlichten Meinung nie gelingen, in unserem Volke ein Angstgefühl zu erwecken, wenn nicht Regierung, Regierungsparteien und ihre vormarschierenden radikalen Flügel und die Politik dieser Regierung diese Angst im Volke erzeugt hätten.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Quelle für mich: Helmut Schmidt. Studie für die SPD- Spitze, veröffentlicht unter dem 17. Mai 1972: „Wir dürfen den Unternehmern keine unnötigen Ängste machen; denn ihre Investitionen setzen Vertrauen in ihre Zukunft voraus."
    Haben Sie hier als Politiker der Opposition oder als stellvertretender Parteivorsitzender der SPD gesprochen? „Wir dürfen den Unternehmern keine Angst machen." Ich rede hier nicht im Interesse der Unternehmer oder der Bauern oder der Arbeitnehmer. Aber Sie sagen: „Wir dürfen den Unternehmern keine Angst machen." Ich frage: Wer macht denn Angst?
    Es geht aber weiter: „Wir dürfen auch den Arbeitnehmern keine unnötigen Ängste machen."

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Hätten Sie doch das zum Gegenstand Ihrer Regierungserklärung gemacht!

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie wissen ja nicht, welche Chance Sie damit versäumt haben. Sie wären doch damit tief in die Reihen der Opposition eingebrochen.

    (Lachen bei der SPD.)

    — Im Lachen erkennt man manchmal einen Geisteszustand, der nicht unbedingt eine Qualifikation für ein parlamentarisches Mandat darstellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Statt dessen sagen Sie in Ihrer Leistungsbilanz: „Unsere wirtschaftliche Lage ist gut. Unser Volk lebt in sozialer Sicherheit und in Freiheit." Ich hätte lieber gehört: Bevölkerung. Denn das Volk heißt das ganze deutsche Volk, und davon lebt nur ein Teil in Sicherheit und Freiheit, und ein beträchtlicher Teil nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    „Der innere und äußere Frieden sind gefestigt" und so weiter. Ja, warum gehen Sie denn einfach an der Tatsache vorbei, daß die Politik der letzten beiden Bundesregierungen ein gesellschaftliches Reizklima geschaffen hat? Und warum? Weil man zu viel versprochen, zu viel an Erwartungen erweckt, zu viel an Enttäuschungen geschaffen und mit der dadurch hervorgerufenen Inflation des Geldes den Verteilungskampf erheblich verschärft hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Inflation des Geldes geht doch immer eine Inflation der Versprechungen voraus, Inflation der Erwartungen, Inflation der Forderungen.

    (Zurufe bei der SPD.)

    Woher kommt es denn, daß trotz hohen Beschäftigungsstandes, daß trotz einer zwar nicht immer proplemfreien, aber guten sozialen Stellung der Bevölkerung ein Gefühl der Unruhe, der Unsicherheit, des Unheimlichen in unserem Lande Platz greift? Woher kommt denn das? Das kommt doch daher, daß man das Sozialprodukt seit dem Jahr 1970 Jahr für Jahr überfordert hat. Man hat doch immer mehr zur Verteilung versprochen, als überhaupt erarbeitet werden konnte. Die Differenz zwischen dem, was man verteilen wollte und zur Verteilung versprochen hatte, und dem, was man erarbeiten konnte, hat sich in der Inflationsrate ausgedrückt. In dieser inflationären Entwicklung verschärft sich automatisch der Verteilungskampf, weil alle vorhalten müssen.
    Graf Lambsdorff, wie oft soll ich es Ihnen noch sagen: Verbreiten Sie doch nicht einfach die Unwahrheit! Wir haben niemals die Forderungen Klunckers unterstützt, niemals. Ich habe bei der Besprechung im Bundeskanzleramt — einige Zeugen sind ja hier — gesagt: Herr Bundeskanzler, unter elf Prozent kommen Sie nicht weg!
    Das war meine feste Überzeugung.

    (Zuruf von der SPD.)

    — Ich kann gern mit Ihnen darüber reden; aber jetzt habe ich dazu zu wenig Zeit.
    Ich habe nur eines gesagt — das wiederhole ich auch hier —: Man kann von der Gewerkschaftsführung nicht verlangen, daß sie weniger fordert als vollen Ausgleich der Geldentwertung plus Ausgleich der zusätzlichen, auf Grund der Steuerprogression eintretenden Steuermehrbelastungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das habe ich in meiner Berliner Rede gesagt, und zwar vor lauter Arbeitgebern; das habe ich bei unzähligen Gelegenheiten im Lande wiederholt, und ich sage es hier wieder, weil es einfach illusionär, utopisch, irreal wäre, von einer Gewerkschaftsfüh-



    Strauß
    rung, die ja auch ihre Probleme in der Tiefe der Betriebe hat, zu erwarten, daß sie angesichts der ungeheuren Versprechungen von der Erhöhung der Lebensqualität und angesichts der dadurch gezüchteten Erwartungen sagt „Ihr müßt im nächsten Jahr mit weniger zufrieden sein als im letzten Jahr". Das kann man doch nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen machen, und dann ist es sehr bedauerlich und erfordert für eine Regierung oder eine Gewerkschaftsführung beinahe den Mut zum Selbstmord, so etwas der Öffentlichkeit zuzumuten. Das ist doch das Problem.
    Im übrigen: Ich habe die Opposition nie heroisiert; alle, die wie sie hier sitzen, haben in viereinhalb Jahren dem Ansehen der Regierung nicht soviel Schaden zufügen können, wie es der Herr Kluncker in drei Wochen fertiggebracht hat, indem er sich durchsetzte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber das ist doch nicht unser Problem.
    Ich habe jetzt das Telegramm gelesen, in dem die Solidarität zwischen der kommunistischen Jugendorganisation SDAJ und den Jungdemokraten erwähnt ist, und es heißt in diesem Telegramm, man verfolge den Kongreß mit großer Aufmerksamkeit und sei sich einig in der Abwehr reaktionärer Bestrebungen; man sehe darin die Möglichkeit zur Zusammenarbeit auf einer Reihe von Gebieten.
    Lesen Sie das Telegramm! Beschimpfen Sie nicht den Boten, der es Ihnen hier gesagt hat, wenn Sie es nicht kennen. Das haben im Altertum die Tyrannen gemacht, daß sie die Boten hingerichtet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Heiterkeit.)

    Ich denke an das, was von seiten der Jungsozialisten vertreten worden ist. Ich denke an den Tritt,
    den Sie, Herr Bundeskanzler, schon von der Präsidentin oder der Vorsitzenden der Jungsozialisten
    wie heißt die? —, Wieczorek-Zeul, bekommen
    haben. Sie hat Ihnen in ihrem Artikel in diesem
    Magazin „der da" oder „das da" viel mehr Unfreundlichkeiten gesagt, als es die Opposition in
    ihren ganzen bisherigen Reden fertiggebracht hat.
    Mit dieser gefährlichen Methode der Anprangerung und Verteufelung soziologischer Minderheiten, um sich damit bei den Mehrheiten bessere wahlpolitische Chancen ausrechnen zu können, muß in diesem Lande Schluß gemacht werden. Es genügt nicht, daß man ein paar gute Worte an die Adresse der Arbeitgeber oder Hausbesitzer oder Lehrlingsausbilder richtet von der Notwendigkeit der Erträge usw. Das soll an anderem Ort geschehen und gründlicher geschehen. Diese volkswirtschaftlichen Selbstverständlichkeiten sind auch für dieses Parlament beinahe schon eine Überflüssigkeit, um es noch gelinde auszudrücken.
    Das gesellschaftliche Reizklima ist durch die Überforderung unseres Sozialprodukts in der Kette Versprechungen — Hoffnungen — Erwartungen — Forderungen und Unmöglichkeit der Verwirklichung

    (Abg. Dr. Dregger: Enttäuschungen!)

    und daher Überlastung des Sozialprodukts entstanden. Hier spielt auch die Verteufelung soziologischer Minderheiten eine Rolle. Von wem stammt denn diese Aktion „Gelber Punkt",

    (Abg. Dr. Dregger: Sehr richtig!)

    mit der man damals wiederum versucht hat, die Schuldigen für die Inflation ausfindig zu machen?
    Herr Bundeskanzler, eine Zeitlang haben Sie den Vietnamkrieg gebraucht, um für die Inflation eine Erklärung zu haben. Das war 1971/72. Dann sind vorübergehend die Unternehmer eingesprungen. Da kann man nur sagen: Da kann nur die Verstaatlichung helfen; man sollte endlich Bahn und Post verstaatlichen, damit auch dort einmal eine bessere Preiskontrolle stattfindet.

    (Heiterkeit bei der CSU /CSU.)

    Ich könnte hier auch fragen: Wenn man jetzt bei einem vom Bund und einem Land beherrschten und bestimmten Betrieb, dem Volkswagenwerk, das Kartellamt als Preiskommissar einsetzt, wobei der Bund hier gegen den Bund vorgeht — ein völlig neues Bund-Gefühl —,

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    dann möchte ich wissen: Warum wird denn das Kartellamt nicht tätig bei einem reinen Monopol, wie es die Bundespost darstellt,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    wo der Bürger hilflos der Gebührenerhöhung ausgeliefert ist,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und auch das Parlament dabei kaum mitzureden hat? Nachdem das Unternehmen „Gelber Punkt" ein Reinfall wurde, ist es jetzt wieder das böse Ausland, das die Inflation in unserem Lande nährt. Es wäre gut, mit diesen Dingen hier aufzuräumen.
    Es gibt sicherlich eine importierte Inflationskomponente. Wie weit wir aber durch unser Verhalten diese importierte Komponente selber herbeigeführt haben, darüber schweigt sich des Sängers Höflichkeit aus. Und über die hausgemachte wird sowieso der Schleier gebreitet, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Statt dessen dieses gesellschaftliche Reizklima, Verschärfung des Verteilungskampfes und die Verteufelung soziologischer Minderheiten.
    Keine Demokratie kann funktionieren, wenn sie nicht auf einem gesellschaftlichen Gleichgewicht beruht. Macht braucht Gegenmacht, Gewicht braucht Gegengewicht. Und wenn man hier versucht, Minderheiten und Mehrheiten gegeneinander auszuspielen — in der sicherlich richtige Annahme, daß die Mehrheiten nun einmal durch die gegebenen technisch-wirtschaftlichen Verhältnisse so sind, wie sie sind, und sich vielleicht in der gleichen Richtung noch weiterentwickeln —, dann dient das nicht dem inneren Frieden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der innere Friede setzt Partnerschaft und Bewußtsein der gegenseitigen soziologischen Notwendigkeit in einer funktionierenden Gesellschaft voraus.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)




    Strauß
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute lese ich die „Süddeutsche Zeitung". Da sehe ich, daß die selbständigen Unternehmer skeptisch sind, die Sie, Herr Bundeskanzler, so gut angesprochen haben. Da heißt es:
    Aus dem Blickwinkel der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer . . . erscheint das Bundeskabinett Schmidt /Genscher positiv — allerdings nur deshalb, „weil es guterdings nicht schlechter sein könne als das voraufgegangene Kabinett Brandt /Scheel".
    Man nimmt ja die Komplimente, wie man sie braucht.
    Hier spreche ich, weil ich gerade das Wort „Unternehmer" gesprochen habe, etwas Besonderes an: Alles, was Sie bisher der Wirtschaft an Belastungen zugemutet haben, kann von der Großwirtschaft — mit einigen Ausnahmen — relativ leicht verkraftet werden. Jedenfalls wird die Großwirtschaft damit fertig. Die Großwirtschaft kann auch ihre Steuerungsinstrumente leichter austauschen: von der Privatwirtschaft zur Gemeinwirtschaft oder zur Vergesellschaftung. Die Schichten, um die es geht, Herr Bundeskanzler, haben Sie angesprochen. In diesen Schichten herrscht eine tiefe, tiefe Zukunftsangst. Das sind die Schichten des selbständigen Mittelstandes, der kleinen und mittleren Unternehmer, Dienstleistungsgewerbe, Produktionsgewerbe. Dafür ist nicht nur die wachsende Zahl der Konkurse bezeichnend, über die ich mich schon mit Herrn Friderichs einmal unterhalten habe, was ich aber hier nicht wiederholen will. Die Zahl der Konkurse wird ja in diesem Jahr noch steigen. Herr Friderichs meinte — das fand ich sehr gut; deshalb darf ich es doch wiederholen —, daß die Zahl der Konkurse kein Maßstab sei, denn am wenigsten Konkurse habe es im „Dritten Reich" gegeben. Da möchte ich umgekehrt sagen: Wenn es lauter Konkurse gibt, müßte ja die Wirtschaftspolitik dann anscheinend am besten sein. Beide Standpunkte sind gleich dämlich; das muß ich ausdrücklich dazusagen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Zahl der Konkurse nimmt auch in diesem Jahre noch zu. Noch größer als die Zahl der Konkurse ist aber die Zahl derer, die zu Resignation neigen, sich mit Aufgabegedanken tragen oder bereits aufgegeben haben. Ich fühle mich, wie ich hoffe, auch über die Reihen der Unionsparteien hinaus, mit dem einen oder anderen in diesem Hause einig, daß gerade die Schicht des selbständigen Mittelstandes eine tragende Schicht unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung immer war, heute noch ist — aber in bedrohten Verhältnissen — und es durch eine Politik der Vernunft und des Ausgleichs wieder werden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Gerade diese kleine und mittlere Schicht, um die es uns mehr geht als um das „big business" — wenn ich einmal diesen Ausdruck gebrauchen darf — oder um das sogenannte und immer so anonym zitierte Großkapital, gewährleistet Partnerschaft, Fortschritt, Wachstum, Leistungsfähigkeit, Innovationsfähigkeit und funktionierenden Wettbewerb. Diese Schicht ist
    sowohl aus materiellen als auch aus psychologischen Gründen durch die letzten vier Jahre Regierungspolitik in Bedrängnis geraten. Sie ist materiell und auch innerlich in ihrer Zukunftserwartung in schwerster Weise verunsichert worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Das muß wiedergutgemacht werden.

    Es ist doch eine Anmaßung,

    (Abg. Mattick: Ja!)

    eine Verdrehung der Tatsachen, wenn der neue Bundeskanzler zu der Feststellung kommt, daß unsere soziale und wirtschaftliche Lage gut sei.

    (Abg. Dr. Ehrenberg: Ist sie das nicht?)

    In seiner Studie sagt er es ganz anders. Wenn Sie die Studie, die Sie für Ihre Partei erarbeitet haben oder haben erarbeiten lassen, dem Hause in einer für eine Regierungserklärung geeigneten Form vorgelegt hätten, hätten Sie wirklich eine große Chance gehabt, Herr Bundeskanzler. Aber dieses erneute Auseinanderklaffen zwischen der Phase einer weitgehenden Ehrlichkeit zur Disziplinierung der eigenen Reihen und der Propagandaattrappe, die hier in diesem Hause aufgebaut worden ist, macht Ihre Politik nicht glaubwürdig, läßt Ihre Politik weiterhin in dem Dunstkreis, daß auch bei Ihnen zwischen Wirklichkeit auf der einen Seite und Propaganda auf der anderen Seite ein nicht deckbarer und nicht überbrückbarer Widerspruch besteht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ihr ehemaliger Parteifreund Wilhelm Hennis — ich hätte Sie beinahe in Schutz genommen, wenn ich es könnte —, der ebenfalls aus dem Bereich der Jungsozialisten und des SDS kommt, inzwischen aber aus Ihrer Partei ausgeschieden ist, ein bekannter Professor mit wissenschaftlichem Ruf

    (Abg. Dr. von Bülow: Er ist jetzt bei der CDU!)

    — bei der CDU ist er auch gut aufgehoben;

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    auch wir von der CSU würden ihn selbstverständlich nehmen —, hat gesagt:
    Helmut Schmidt fehlt fast alles, was der Mann haben müßte, zu dem das Volk neu Vertrauen fassen könnte.
    Er schreibt dann weiter:
    Die bundesdeutsche Öffentlichkeit trieft in diesen Tagen nur so von Wehmut, Betroffenheit und Larmoyanz. Wenn schon Gefühle,
    — so schreibt er —
    so wäre blanker Zorn eine viel angemessenere Reaktion. Nicht wegen Guillaume. Sondern wegen der Lage, in die man das politische System der Bundesrepublik hat hineinschlittern lassen.

    (Abg. Dr. Marx: So ist es! — Abg. Dr. von Bülow: Das ist Herr Hennis!)




    Strauß
    — Das ist Herr Hennis, ja,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    und der kommt ja aus einem „Stall", der ihn befähigt, dieses Urteil zu fällen.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU. — Abg. von Alten-Nordheim: Sehr wahr! — Zurufe von der SPD.)

    Ich möchte jetzt nicht über die Zusammensetzung der Bundesregierung sprechen. Wir werden ja die Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder im Laufe der Zeit kennenlernen. Bis jetzt haben wir nur einen Vorgeschmack von dem bekommen, was auf uns zukommt, wenn ich an die Rede des Bundeskanzlers gestern denke, wo er nunmehr Mitgliedern dieses Hauses verweigern wollte,

    (Zuruf von der SPD: Die war gut, nicht?)

    Äußerungen wiederzugeben, die in sämtlichen Tageszeitungen — damals ohne jeden Widerspruch — erschienen sind. Aber wir sind in diesem Punkt ja nicht verwöhnt und sind auf allerlei gefaßt.

    (Zuruf von der SPD: Zur Sache! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Wenn ich noch zu drei Punkten, Herr Bundeskanzler, Stellung nehmen darf —

    (Abg. Wehner: Bitte, bitte!)

    — Ich bedanke mich für die Genehmigung; sie erfolgt vorläufig noch auf freiwilliger Basis, Herr Wehner.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Eines habe ich in Umrissen bereits angedeutet. Auch Sie haben in Ihrer Darstellung das Problem der Inflation, ihres Zustandekommens und ihrer Auswirkungen wiederum bagatellisiert, wiederum verharmlost. Herr Bundeskanzler, Sie sollten endlich einmal einsehen und zugeben, daß alle Argumente, die von Ihrer Seite, der Seite Ihrer Freunde, gebraucht werden, am Wesentlichen vorbeigehen. Der Hauptfehler der Konjunkturpolitik und der Stabilisierungspolitik dieser Bundesregierung liegt darin, daß sie einerseits eine expansive Haushaltspolitik herbeigeführt hat und heute aus diesen Geleisen nicht mehr herauskommt und daß sie andererseits durch eine restriktive Geldpolitik, die als Folge einer expansiven Haushaltspolitik die notwendige Kompensation darstellt, im privatwirtschaftlichen Bereich bereits ernsthafte Schäden hat aufkommen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sind darüber enttäuscht — ich sage das nicht, weil ich hier eine rührselige Äußerung tun müßte —, daß man das wohlüberlegte, treffend formulierte und mit der gesamten Fraktion abgestimmte Angebot des Vorsitzenden der Oppositionsfraktion einfach beiseite geschoben hat, als er gestern vorschlug, alle ausgabewirksamen Anträge, die bisher von der Opposition gestellt worden sind, zu überprüfen, und in Verbindung damit die Bereitschaft bekundete, sie zurückzustellen, wenn von seiten der Regierung ein ernst zu nehmendes Stabilitätskonzept auch auf dem Gebiet der Haushaltspolitik vorgelegt werde.

    (Abg. Dr. von Bülow: Trick 17, Seite 69!)

    — Wenn Sie sagen: „Trick 17, Seite 69", beweist das, mit welcher bodenlosen Leichtfertigkeit Sie dieses Problem behandeln.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe eine gewisse Legitimation, das zu sagen, weil ich von 1969 bis 1972 im Bundestag mehrmals im Auftrag der Fraktion und in Übereinstimmung mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden für die Fraktion die gleiche Bereitschaft bekundet habe, aber nicht unter der Voraussetzung, daß wir dieses Konzept vorlegen, es dann von der Regierung in der Öffentlichkeit zerreißen lassen, und sie dann mit unserem Konzept in Wahlkämpfe zieht, um zu sagen, was wir alles dem Volke zumuten würden.

    (Lachen und Widerspruch bei der SPD.)

    — Das haben wir doch mit der Steuersenkungszusage vom Jahre 1969 erlebt, die bis heute nicht eingehalten worden ist, wo noch in diesem Hause der Trick aufgeführt worden ist — gut, daß Sie mich daran erinnern —, daß man im Finanzausschuß in der Woche vor den Landtagswahlen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland die Steuersenkungen im Ausschuß gegen unsere Stimmen beschlossen und in der Endphase des Wahlkampfes der Öffentlichkeit die feste Absicht bekundet hat, nunmehr diese Steuersenkungen vorzunehmen. Und in der Woche nach der Wahl hat dann der damalige Wirtschaftsminister gesagt: Das kommt gar nicht in Betracht, das ist stabilitätswidrig.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD. — Gegenruf des Abg. Leicht.)

    Warum haben Sie denn erzwungen, daß in der Woche vor der Niedersachsenwahl Ihre sogenannte Steuerreform mit der angeblichen Dauerentlastung der unteren und mittleren Einkommen noch durchgepeitscht werden muß? Doch nur, weil Sie dieses Werk, das kaum eine vorübergehende Entlastung, geschweige denn eine Reform darstellt, noch für Zwecke des Wahlkampfes verwenden wollen. Das ist doch wieder die gleiche Methode.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Leicht: Nach dem Wahlkampf ziehen sie es wieder zurück, weil sie nicht können!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte angesichts der Zeit nur noch zu einem Problem Stellung nehmen, das gestern der Bundeskanzler angeschnitten hat. Es wird im Laufe der Haushaltsdebatte die Möglichkeit geben, eine Reihe von Sachproblemen, die im Zusammenhang mit der Regierungserklärung angeschnitten werden müßten, zu behandeln, auch die Frage der Mitbestimmung und die Frage der Vermögensbildung. Ich möchte aber dem Hause eines nicht vorenthalten. In dem Leistungsbericht für die Bundestagswahl 1972 steht unter der Überschrift „Arbeiter" : „Politik für Arbeitnehmer — unsere Leistung" u. a. „Noch bis 1973 geplant: Verbesserte Vermögensbildung, Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, durch Überläufer verzögert".

    (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn]: Ja, ja!)




    Strauß
    Durch welche Überläufer ist denn jetzt die Vermögensbildungspolitik verzögert worden, Herr Bundeskanzler?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das weiß der Herr Rohde!)

    Sie haben gestern etwas gesagt, Herr Bundeskanzler, worauf ich in meinen Schlußworten eingehen muß. Sie haben davon gesprochen, daß die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts der Bundesrepublik im Ausland Schaden zugefügt habe. Auch wenn ein Teil meiner Freunde damals aus gutem Grund andere Meinung war — nicht über die rechtliche Qualität des Antrages, sondern über die politische Zweckmäßigkeit in der damaligen Situation —, muß ich es aber doch — und ich glaube, von allen Mitgliedern der Fraktion getragen zu sein — mit aller Deutlichkeit zurückweisen, daß man uns, der bayerischen Staatsregierung und der sie tragenden Regierungspartei in Bayern, unterstellt, wir hätten im Ausland mit der Anrufung des Verfassungsgerichts und der Durchführung dieses Prozesses der Bundesrepublik Schaden zugefügt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Unglaublich! — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Ein erster schwerer Mißgriff war das! — Zurufe von der SPD.)

    Ich brauche keine Rechtsausführungen zu machen; das können andere besser als ich. Aber wenn ein zuständiges Organ, eine Landesregierung, das zuständige Gericht in einem zulässigen Verfahren in rechtlich einwandfreien Formen anruft, um die rechtliche Klärung einer Frage herbeizuführen, in der die Bundesregierung zu dem Weiß-SchwarzSpiel, zu der Grauzone erheblich beigetragen hat, ist das nicht ein Schaden für die Bundesrepublik, sondern ein Dienst an der Demokratie, ein Dienst 'an unserem Land und ein Dienst an unserer Nation!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Durch die Begründung des Karlsruher Urteils ist der Bundesregierung bei allen Folgeverträgen eine enge Grenze sowohl für die Auslegung der bisherigen Verträge wie für den Abschluß neuer Verträge gesetzt.

    (Abg. von Alten-Nordheim: Gottlob!)

    Ich weiß, daß mit diesem Prozeß auch ein politisches Risiko verbunden war. Es ist nicht meine Absicht, hier zu dem Urteil Stellung zu nehmen. Aber die Begründung dieses Urteils ist ein historisches Dokument, das allen Versuchen, diese Ostpolitik in sowjetische Westpolitik umzufunktionieren, ein Ende setzt, wenn wir dieses Dokument gemeinsam ausnutzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit sind die Fragen der Einheit unseres Staates, der Einheit unserer Nation, der Zugehörigkeit Berlins zur Bundesrepublik und auch die Frage unserer unerschütterlichen, unverrückbaren Rechtsposition durch das oberste zuständige Organ ein für allemal geklärt worden. Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, den Vorwurf, daß man der Bundesrepublik damit
    im Ausland Schaden zugefügt habe, zurückzunehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer bestimmt denn darüber, ob die Bundesrepublik im Ausland Schaden erlitten hat oder nicht?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wehner!)

    Nicht immer, wenn deutsche Interessen, die von uns vertreten werden müssen und deren Wahrnehmung wir nicht von anderen in größerem Maße verlangen können, als wir sie selbst wahrnehmen, von uns wahrgenommen werden, fällt uns das Ausland gleich liebevoll um den Hals und lobt uns. Uns respektiert aber niemand mehr in der Welt, wenn wir unsere eigenen Interessen nicht selbst wahrnehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Angesichts der Vorgeschichte dieser Verträge, angesichts ihrer merkwürdigen Begleitumstände, von denen ich heute in meinen Ausführungen gesprochen habe, angesichts des Inhalts dieser Verträge, angesichts der Doppeldeutigkeit und Gegensätzlichkeit ihrer Auslegung ist dieses Urteil nunmehr eine Urkunde, die in Zukunft einen Meilenstein darstellen wird, an dem die Deutschlandpolitik einer jeden Bundesregierung gemessen werden kann. Darum, Herr Bundeskanzler, ist es so bedauerlich, daß Sie in Ihrer Regierungserklärung auf den Auftrag, der in der Begründung steht — die Vertretung des Wiedervereinigungsanspruchs nach außen und die Wachhaltung dieses Anspruchs nach innen ist für alle Bundesorgane ein gesetzlicher Auftrag, ein Verfassungsauftrag —, nicht mit einem einzigen Wort — Gott sei es geklagt — eingegangen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ihre Regierungserklärung stellt keinen Neubeginn dar. Sie enthält weder die geistige Fundierung einer Politik noch ist sie in der Lage, den Schutt wegzuräumen, der sich in den vergangenen vier Jahren angehäuft hat. Sie sind mit dieser Mannschaft und diesem Programm nur ein Übergangskanzler, der obendrein noch vor den eigenen Reihen und in der Öffentlichkeit mit doppelter Zunge spricht.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Vogel.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat von dieser Stelle zunächst zu Beginn Zensuren über die gestrige Debatte ausgeteilt. Er hat rücksichtsvollerweise die Zensuren auf die Sprecher der Koalition beschränkt. In bezug auf seine eigenen Freunde hat er ausgeführt, Herr Carstens habe eine Regierungserklärung abgegeben. Wenn das wahr ist, dann hat Herr Kollege Barzel gestern als neuer Oppositionssprecher innerhalb der Union das Wort ergriffen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU. — Unruhe.)