Rede von
Dr.
Klaus
von
Dohnanyi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, daß ich zu so später Stunde doch noch einmal das Wort ergreife. Es ist hier aber eine Reihe von Bemerkungen gemacht worden, die ich an diesem Abend nicht unbeantwortet lassen kann.
Zunächst zu Ihhnen, Herr Kollege Hahn. Wenn meine sozialdemokratischen Kollegen aus den Ländern heute nicht hier sind, so deswegen, weil sie Vertrauen in die Mehrheit dieses Hauses hatten.
4474 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1973
Bundesminister Dr. von Dohnanyi
Das hatten Sie offenbar nicht; deswegen mußten Sie kommen.
— Herr Gölter, können Sie nicht einmal jemanden hier ausreden lassen. Ich weiß, daß Sie nicht in der Lage sind, zuzuhören, aber vielleicht können Sie es heute abend doch einmal versuchen.
Zu einer zweiten Legende, die sich hier eventuell bilden könnte und die man gleich widerlegen muß: Herr Hahn, es ist nicht richtig, daß wir Versprechungen im Hinblick auf eine Schönwetterperiode gemacht hätten. Lesen Sie einmal nach, was ich in der Debatte im Januar 1970 gesagt habe. Ich habe damals darauf hingewiesen, daß wir die Probleme nicht bewältigen werden, wenn wir nicht das ganze Bildungswesen im Auge haben. Jetzt sagen Sie, wir hätten alles falsch gemacht; wir müßten beginnen, über alles neu nachzudenken. Ich finde, es ist eine gute Öffnung, Herr Kollege Hahn, daß Sie das endlich einsehen. Es war offenbar Ihre Schönwetterperiode, nicht unsere. Wir haben die Gefahren gesehen.
Die dritte Legende ist die von der Bedrohung durch die angeblich kollektivistische Formulierung „in der Verantwortung vor der Gesellschaft". Herr Kollege Vogel, wir gehen nicht davon aus, daß allein diese Formulierung die Probleme der Einbettung der Hochschule in ihre gesellschaftliche Verantwortung regelt. Wir gehen aber davon aus, daß eine solche Formulierung eine bestimmte Richtung zum Ausdruck bringen sollte. Wenn das Gesetz im übrigen an allen Stellen diese Richtung zum Ausdruck bringt, ist diese Formulierung bestimmt nicht der essentielle Teil.
In diesem Zusammenhang möchte ich gern an Ihre Adresse, Herr Kollege Probst, eine Berner-kung machen. Man sollte mit bestimmten Feststellungen doch sehr vorsichtig sein. Sie haben behauptet, die Bundesregierung hätte festgestellt, daß der VDS verfassungsfeindlich sei. Diese Formulierung ist nicht richtig. Die Formulierung lautet: Die Bundesregierung muß weiterhin. erhebliche Zweifel daran haben, daß die Zielsetzung des VDS mit den Prinzipien der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu vereinbaren ist. Die Bundesregierung hat also die Verfassungsfeindlichkeit als solche nicht festgestellt; sie hat lediglich gewisse Zweifel in dieser Hinsicht festgestellt.
Ein weiterer Punkt, Herr Kollege Vogel, der Sie nachdenklich machen sollte: Das Bundesverfassungsgericht hat den VDS zu Anhörungen, z. B. im Zusammenhang mit dem Mitbestimmungsurteil, eingeladen, hat von ihm eine Stellungnahme erbeten und hat diese Stellungnahme offenbar auch mit verarbeitet.
— Wenn Sie jetzt davon ausgehen, Herr Kollege Probst, daß nun auch der Präsident Benda in das Zwielicht gerät, in Kooperation mit Verfassungsfeinden tätig zu sein, ist das natürlich sehr bedauerlich. Sie sollten hier aber nicht so leichtfertig mit unseren Auffassungen von Demokratie umgehen.
Die nächste Legende ist die von den Mammutuniversitäten, die sich als Gesamthochschule bilden.
Ich möchte Ihnen kurz einmal sagen, wie die Planung aussieht. Die integrierten Gesamthochschulen Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen haben für 1977 Planungen in der Größenordnung zwischen 5 000 und knapp 10 000 Studenten. Die Universität München hat 'heute etwa 35 000 .Studenten und ist keine Gesamthochschule. Was soll also die Legendenbildung, daß die Gesamthochschule notwendigerweise besonders groß werden müsse?
Die vierte Legende ist das Märchen von der Niveausenkung. Das Abitur als entscheidendes Instrument für die Zulassung zur Hochschule wirft gewisse Leistungsminderungsprobleme in den Schulen selber auf. Wenn man mit Schülern heute spricht, die keine Hoffnung haben, die Numerus-claususGrenze zu erreichen, dann merkt man, daß sie häufig völlig aufgeben. Sie sagen: Was soll das Ganze; das alles zählt ja doch nicht mehr; was hier für mich übrigbleibt, ist eigentlich ur noch mitzumachen; denn diese Barriere kann ich sowieso nicht nehmen!
Das pädagogische Niveau wird natürlich nicht dadurch besser, daß man die Schüler auf das bloße Lernen bimst.
Hier möchte ich zu den Kollegen Vogel und Hahn bemerken: Es ist eine Legende, wenn Sie sagen, daß wir in dem Entwurf zum Hochschulrahmengesetz die Schule von der Beteiligung am Urteil in der Hochschulzulassung ausschließen wollten
schuleingangsverfahren wird die Schulen ausdrücklich einbeziehen. Aber wir wollen tun, was die Bund-Länder-Kommission beschlossen hat und was im Bildungsgesamtplan steht: Daß nämlich in den Fällen, in denen wir eine begrenzte Zahl von Studienplätzen haben, auch andere Voraussetzungen erfüllt sein müssen als nur die notwendige Bedingung der Studienberechtigung durch das Abitur. So steht es im Bildungsgesamtplan. Das werden wir ja beraten können.
Das gleiche gilt bezüglich der angeblichen Niveausenkung beim Hochschullehrer und beim Hochschulpräsidenten. Hier möge mal einer eine Formulierung finden, Herr Kollege Pfeifer! Das ist in der letzten Legislaturperiode versucht worden: Wir haben dann festgestellt, daß ein Mann wie Präsident Fischer-Apellt gar nicht als Präsident hätte zugelassen werden können.
Die fünfte Legende ist die von dem angeblichen Trick, mit dem wir hier versucht hätten, das Bun-
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Bundesminister Dr. von Dohnanyi desverfassungsgerichtsurteil in der Frage der Mitbestimmung zu umgehen. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir uns in diesem Zusammenhang ganz klar auf das Urteil selber stützen können. Nach dem Urteil, Herr Kollege Gölter, sind z. B. Privatdozenten Hochschullehrer. Das Verfassungsgericht sagt ausdrücklich: Hochschullehrer sind auch solche, die keine Habilitation haben. Das Gericht läßt ganz deutlich und ganz unbestreitbar Dozenten, die nicht promoviert sind, als Hochschullehrer an Pädagogischen Hochschulen zu. Wenn das der Fall ist, dann können wir nicht einsehen, warum der nach unserer Ansicht hochqualifizierte Assistenzprofessor nicht auch unter dieser Kategorie zugelassen werden kann. Hier ist also kein Trick versucht worden, sondern hier haben wir das Urteil sachkundig interpretiert.
Die sechste Legende ist die von der angeblichen Widersprüchlichkeit zwischen Regelstudienzeit und unserer Politik mit dem Ausbildungsförderungsgesetz. Eines muß man doch wenigstens festhalten: Die Regelstudienzeiten würden auch nach unserer Vorstellung zum erstenmal für die Studienanfänger von 1976 gelten. Zwischen dem, was wir für 1974 bisher nicht leisten können, aber für 1975, — so wie die Dinge heute stehen, gilt das dann auch 1976 —, zu leisten bereit sind, sollte man keine künstlichen Widersprüche herstellen.
Meine Damen und Herren, ich bin nach dem Verlauf der Debatte besorgt, daß gegenseitige Fehleinschätzurigen der Positionen und auch der Möglichkeiten entstehen könnten, die es hier im Hause wirklich gibt. Die Gegenäußerung, die die Bundesregierung vorgelegt hat, Herr Kollege Vogel, war nicht ein Versuch, den Bundesrat zu brüskieren,
sondern sie entstammt der konsequenten Konzeption, mit der wir das Gesetz entworfen haben. Erst die Verhandlungen im Ausschuß und dann die Verhandlungen im Bundesrat werden zeigen. können, was sich ändern läßt.
Ich möchte hier den Appell des Kollegen Vogel zur Notwendigkeit ,gemeinsamer Entscheidungen unterstreichen. Aber, meine Damen und Herren, das kann natürlich nicht nur an eine Seite gerichtet sein. Herr Vogel, Sie müssen diesen Appell ganz ausdrücklich auch an Ihre Parteikollegen hier im Hause richten.
Herr Pfeifer sagte zu Beginn dieser Debatte: Wir machen ein Gesetz, das unseren Grundsätzen entspricht, und sonst keines. So geht es natürlich nicht. Die Mehrheit hier muß doch mindestens so viel Beachtung finden wie die Mehrheit im Bundesrat, eigentlich sogar ein wenig mehr; denn im Bundesrat sind es eigentlich sechs Länder, von denen das eine nicht mitstimmen kann, die auch ihre Erfahrungen aus der Länderpolitik einbringen; aber die Mehrheitsverhältnisse sind in diesen Fragen, wie Sie wissen im Bundesrat anders. Zweitens. Dieses Hochschulrahmengesetz ist eben im Grunde nicht
zustimmungspflichtig. Auch das muß man berücksichtigen.
— Das muß man feststellen.
Deswegen noch einmal: Der Kompromiß, der notwendig ist, muß von beiden Seiten eingegangen werden. Deswegen habe ich Ihnen, Herr Pfeifer, vorhin gesagt: Sie müssen auch sagen, wo Sie bereit sind, mit uns den Weg zur möglichen Reform zu gehen.
Wir müssen jetzt weg von den Gerüchten und Legenden und von den Anwürfen, die heute zum Teil gemacht worden sind. Die Arbeit, die vor uns liegt, darf nicht daran scheitern, daß Positionen bezogen wurden, die — Herr Kollege Gölter, das gebe ich zu —aufzugeben für manchen schwer sind. Aber wir müssen diese Arbeit durchstehen; denn wenn wir mit diesem neuen Entwurf scheitern, dann scheitert nicht die Regierung, sondern unsere Demokratie.