Rede von
Dr.
Hermann
Schmitt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Staatsminister Hahn vom Land Baden-Württemberg.
Dr. Hahn, Minister des Landes Baden-Württemberg: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihre Mahnung, mich jetzt zum Schluß dieser langen Debatte kurz zu fassen, will ich wirklich beherzigen; ich habe infolgedessen mein wohlvorbereitetes Konzept beiseite gelegt und will nur einige wenige Punkte herausgreifen,
die mir doch wichtig erscheinen. Mein Kollege Vogel und ich sind hierhergekommen als Kultusminister aus den Ländern, weil in der Tat die Länder am stärksten von dem betroffen werden, was hier im Bundestag beschlossen wird. Denn nicht der Bund hat Hochschulen, sondern die Länder haben die Hochschulen, und die Länder haben die unmittelbare Verantwortung. Sie haben auch die größten Erfahrungen. Sie müssen infolgedessen auch das, was dann beschlossen wird, wirklich ausbaden.
Wir haben uns in den Ausschüssen des Bundesrats — und dann natürlich auch im Bundesrat selbst
gründlich mit der Vorlage befaßt. Wenn wir beide hierhergekommen sind, so möchte ich damit zum Ausdruck bringen, daß wir zur Kooperation bereit sind, allerdings unter der Voraussetzung, daß es zu einem echten Gespräch zwischen dem Bund und den Ländern in dieser Frage kommt und daß auch die Bedenken der Länder wirklich ernst genommen werden. Wenn es gerade zwei CDU-Kultusminister sind, die hierhergekommen sind, die nun sehr deutlich das zum Ausdruck bringen, was sie meinen, und wenn die SPD-Kultusminister weggeblieben sind, so dürfte ich wohl sagen, daß sie wahrscheinlich mit einer gewissen Distanz diesen ganzen Fragen in dem Gespräch gegenüberstehen, weil sie auch über mehr Erfahrungen als der Bund verfügen und weil sie die Schwierigkeiten kennen, die gerade bei den Vorschlägen, die hier gemacht werden, für die Länder bei der Durchführung nachher auftreten.
Daß ,die FDP ¡den langen Prozeß nicht mitgemacht hat, das haben die beiden Sprecher sehr deutlich gezeigt. Die FDP .hat ja auch keine Kultusminister, nur in Hamburg einen, der aber von der FDP selbst nicht mehr mit getragen wird, weil er die unmittelbaren Erfahrungen hat und infolgedessen kritisch zu der Situation an den Hochschulen steht. 'Das ist natürlich eine Situation, mit der wir einmal rechnen müssen.
Wir stehen an sich vor einer völlig neuen Lage. Die Schönwettersituation ist 'vorbei, in der man die ganzen schönen Träume an die Wand malen konnte. Ich habe von dieser Stelle in den vergangenen Jahren, am deutlichsten im Jahr 1970 nach der Vorlage des Bundesbildungsberichts, hier Kritik daran geübt, daß man in dieser Schönwetterperiode allen die größten Versprechungen machte und gesagt hat, was nun an Träumen in Erfüllung gehen würde, und den Erwartungshorizont bis zum letzten aufgerissen hat. Nun stehen wir vor der Situation, daß diese Erwartung erfüllt werden müßte. Jetzt, wenn die Schönwetterperiode vorbei ist, wird das nicht mehr möglich sein. Wir werden vor den ganz großen Schwierigkeiten stehen, wenn wir jetzt erfüllen sollen, was da gewesen ist. Allein die Tatsache, wer alles vor den Hochschulen 'steht, ist klar. Der Realismus ist ganz dringend notwendig. Zu diesem Realismus kehren wir zurück. Ich darf auch Ihnen, Herr Kollege von Dohnanyi, bescheinigen, daß Sie einen großen Schritt auf uns zugegangen sind, nämlich zum Realismus. Der Entwurf 'des Hochschulrahmengesetzes I war sehr viel unrealistischer als das, was wir jetzt heute 'hier sehen. Sie Sind uns ein großes Stück entgegengekommen. Sie haben vieles daraus gelernt, aber, ich glaube, noch nicht genug gelernt, und Sie werden noch mehr auf den Boden der Tatsachen kommen müssen. Wenn wir uns auf dem Boden der Tatsachen finden, arbeiten wir selbstverständlich mit; denn wir haben gemeinsam die Verantwortung für die Hochschulen und damit für ein großes Stück der Zukunft unseres Landes.
Meine Damen und Herren, nur zu wenigen Punkten einige Stichworte; denn ich will es wirklich kurz machen. Zunächst einmal zu der Frage der Zulassung. Wir sind keineswegs der Meinung, daß das, was im Staatsvertrag gefunden worden ist, etwas Ideales wäre. Aber wenn man alles auslotet, was es an Vorschlägen hierzu gibt, müssen wir feststellen, daß es relativ unendlich viel besser ist als das, was in diesem völlig unausgereiften, unausgegorenen Vorschlag hinsichtlich der Zulassungsbedingungen vorgelegt worden ist. Ich glaube, jeder, der mit diesen Dingen täglich — vielleicht sogar seit Jahrzehnten — zu tun hat, wird Ihnen sagen, daß es so, wie es in dem vorliegenden Entwurf des Hochschulrahmengesetzes vorgeschlagen ist, jedenfalls nicht geht; denn dieser ist, wie gesagt, nicht ausgereift. Das Abitur ist keineswegs so aussagekräftig, daß es allein die erforderlichen Maßstäbe setzen könnte. Gerade die Kultusminister haben ständig dafür gekämpft, daß die Zulassung, die lediglich auf die Abitursnote abstellt, möglichst eingeschränkt werden sollte und andere 'Kriterien von seiten der Hochschulen in den Vordergrund gerückt werden sollten.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1973 4473
Landesminister Dr. Hahn
Gerade Sie hatten doch den Wunsch, die Alleinverwaltung der Hochschulen so weit wie möglich auszudehnen. Es sind aber ,die Hochschulen gewesen, die das Abitur ständig in den Vordergrund gerückt haben, und zwar als einziges Zulassungskriterium. Auf der anderen Seite ist aber jede Hochschuleingangsprüfung eine punktuelle Prüfung,
bei der man den einzelnen überhaupt nicht kennt. Sie wird durch die Assistenten durchgeführt, durch Leute, die noch keinerlei pädagogische Erfahrung haben. Dabei wird der Student unendlich viel schlechter wegkommen, als es heute der Fall ist.
Ich kann es bei dieser kurzen Bemerkung hierzu bewenden lassen.
Ein Wort zum Ordnungsrecht. Meine Damen und Herren, der große geistige, politische Prozeß, der an unseren Hochschulen im Gange ist, läßt sich selbstverständlich nicht durch ein Ordnungsrecht in Ordnung bringen.
Das ist ein geistiger Prozeß, der von uns allen durchgekämpft werden muß. Eines gehört aber bestimmt dazu, nämlich daß man endlich mit den Beschwichtigungen und mit der nur verbalen Bekämpfung des Radikalismus aufhören muß.
Man muß die Gefahr, die von 'unseren Hochschulen ausgeht, wirklich so sehen, wie sie ist.
Aber, meine Damen und Herren, auf der anderen Seite gilt für das Ordnungsrecht — ich habe wirklich Erfahrungen damit —
— ja, ich habe Erfahrungen damit — folgendes: man muß die Schwelle des Risikosgegenüber den Randalierern höher setzen. Hier ist mehrfach Heidelberg erwähnt worden. Seit wir durch die Novellierung des baden-württembergischen Hochschulgesetzes ein neues Ordnungsrecht haben, halten sich die Hauptrandalierer, die „Hauptkommunisten", zurück, weil sie wissen, daß ,es sie etwas kosten kann. Bisher kostete eis sie gar nichts;
sie konnten jedes Grundrecht mißachten und verachten. Es geht doch in der Tat um nichts ,anderes als darum, daß die Grundrechte an unseren Hochschulen wieder geachtet werden müssen.
Ein Gesetz, das ,der Bund, der die Verantwortung für unsere Hochschulen mit trägt, erläßt, muß diese Grundrechte sichern helfen. Das gehört zu den allerwichtigsten Dingen.
Noch ein dritter Punkt, den ich als letzten erwähnen will. — Nein, zuvor darf ich noch einen ande-
ren einschalten. Ich mache es ganz kurz. Ich glaube die beiden Punkte werden Sie noch anhören.
Die Bundesrahmenhochschulkonferenz, meine Damen und Herren, bedeutet nichts anderes, als daß Sie einen staatsfreien, parlamentarisch nicht kontrollierten Raum schaffen, und zwar für ein Standesparlament, das nur aus eigenen, egoistischen Gesichtspunkten heraus
Fragen der Hochschulen klären möchte. (Abg. Dr. Gölter: So ist es!)
Genau das wird damit geschaffen. Das widerspricht der Verfassung unseres 'Staates und der demokratischen Kontrolle, die in allen Bereichen unseres Lebens notwendig ist.
Der vierte Punkt ist die Frage der Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung. Wo es um die berufliche und allgemeine Bildung geht, wo die volle Integration vertreten worden ist, wie es vorhin auch Herr von Dohnanyi getan hat, ist dies auf Kosten der beruflichen Bildung geschehen.
Jetzt noch ein kurzes Wort zu den Prinzipien, nach denen sich unsere !Bildungsdebatten und unsere Bildungsreformen in Zukunft richten müssen. Bisher haben wir nur einen einzigen Weg gekannt, nämlich die vertikale Durchlässigkeit zu den Hochschulen und möglichst zu einem akademischen Grad zu schaffen. Wir haben damit alle praktischen Berufe vor allen Dingen im Sozialprestige abgewertet. Infolgedessen gibt es nur einen Trend nach oben, nämlich zum Akademiker. Dies ist eine absolut unsoziale Situation, die wir geschaffen haben. Es muß wieder zu einer horizontalen Durchlässigkeit kommen, d. h. wir müssen das ganze Bildungswesen zu gleicher Zeit auf die beruflichen Qualifikationen und auf die viel frühere Hineinführung in die praktischen Berufe ausrichten. Wir müssen all das völlig neu durchdenken. Meine Damen und Herren, dies ist die Stunde, in der das Schönwetter zu Ende geht, in der wir die gesamte Bildungspolitik der letzten Jahre neu durchdenken müssen und zu neuen Lösungen kommen müssen.