Rede von
Prof. Dr.
Carl-Christoph
Schweitzer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte zwar ursprünglich 25' Minuten beantragen lassen, aber angesichts der fortgeschrittenen Zeit und insbesondere angesichts der Tatsache, daß wir von der SPD-Fraktion noch eine abendliche Sitzung durchführen wollen, möchte ich mich kurz fassen. Ich sage dies gleich zu Anfang zu der großen Gemeinde meiner Fraktionsfreunde, die sicherlich, genüßlich in ihren Zimmern sitzend, über die Lautsprecheranlage hier zuhören werden.
Wir Redner zum Punkt 14 der Tagesordnung sind jetzt wohl mehr oder weniger zusammen mit unseren unmittelbaren Sympathisanten unter uns, wenn ich das einmal so formulieren darf. Daß unser eigener unermüdlicher Fraktionsvorsitzender noch anwesend ist, bedarf eigentlich kaum einer Erwähnung.
Ich möchte nun aber vorab namens meiner Fraktion nochmals ausdrücklich dem zuständigen Minister und seinem seit Monaten strapazierten Mitarbeiterstab ein Lob spenden für die geleistete Arbeit, nicht zuletzt für eine gedankliche und sprachlich glänzende Begründung zu diesem Entwurf. Ich sage dies um so lieber, weil ich sogleich hinzufügen möchte, was an sich selbstverständlich ist, aber doch offenbar immer wieder falsch ausgelegt wird, daß natürlich auch von unserer Fraktion zu einzelnen Punkten in den Ausschußberatungen Änderungsanträge gestellt werden. Ich habe gar nicht verstanden, wie der Kollege Pfeifer hier aus solchen Intentionen und anderen Äußerungen konstruieren konnte, daß innerhalb der SPD-Fraktion oder innerhalb der SPD
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überhaupt Meinungsverschiedenheiten größeren Ausmaßes vorherrschen.
Ich kann Ihnen versichern, daß wir hier im Deutschen Bundestag, Herr Kollege Gölter, dieses Gesetz mit den Koalitionsparteien bis zum Sommer 1974 verabschieden werden. Jeder, der glaubt annehmen zu müssen, daß das nicht so laufen würde, wird sich ganz gewaltig irren.
Mich persönlich hat, wenn ich das sagen darf, die Art und Weise, wie die maßgeblichen Sprecher der Opposition hier vor acht Tagen und auch heute die Debatte angelegt haben, ein wenig enttäuscht. Die Opposition stellte offensichtlich mit ihrer ganzen Argumentationslinie immer wieder parteitaktische Erwägungen über die Sache selber. Dies ist zwar in gewissem Umfang das Recht jeder Opposition, weil sie ja versuchen muß, in der Bevölkerung insgesamt einen Stimmungsumschwung zu ihren Gunsten herbeizuführen
mit dem Ziel, die jeweils amtierende Regierung abzulösen. Die Staatsraison sollte aber meines Erachtens solchen Versuchen immer wieder enge Grenzen setzen. Herr Kollege Probst, ich muß auch wirklich sagen, Ihre und des Kollegen Pfeifer Vergangenheitsbewältigung in Sachen Hochschulrahmengesetz heute führt eigentlich, davon bin ich überzeugt, in der Sache, die hier ansteht, nicht weiter; das möchte ich einmal ganz eindeutig betonen.
Ich persönlich, meine Damen und Herren, bin davon überzeugt,
— das kommt gleich —, daß die Hunderttausende von Mitbürgern, die vom Thema unserer heutigen Debatte berührt werden, das Sie im wesentlichen gar nicht angesprochen haben, kein Verständnis mehr für engstirnige Regional- und Parteipolitik bei der Regelung der anstehenden Probleme aufbringen würden.
Deshalb meine ich, daß von allen Seiten dieses Hauses spätestens in den Ausschußberatungen der ernsthafte Versuch gemacht werden müßte, in dieser für unser Volk lebenswichtigen Frage zu einer echten Verständigung zu kommen.
— Ihre Äußerung, Herr Kollege Gölter, zum Numerus clausus vor acht Tagen war auch nicht gerade dazu angetan, uns einer solchen Verständigung näherzubringen.
— Diese abschließende Abstimmung zu Ihrem Resolutionsentwurf damals war nur die Folge davon, daß seinerzeit mit völlig falschen Argumenten — völlig falsch programmiert von dem Kollegen Gölter — in die Debatte eingetreten worden war.
Ich spreche hier von Verständigung, meine Damen und Herren. Auch der Kultusminister des Landes Rheinland-Pfalz hat ja in seinem Beitrag dankenswerterweise diese Vokabel ein wenig anklingen lassen. Verständigung kommt bekanntlich von Verstand, und ich glaube wirklich, der Verstand, die Vernunft zwingt uns im Interesse der Sache, um die es geht, ganz unabhängig von einem völlig gerechtfertigten Vertrauen in gesicherte Abstimmungsverhältnisse in diesem Bundestag auf der einen Seite und von den verfassungsrechtlich sehr komplizierten Problemen des Ausmaßes an Zustimmungsbedürftigkeit eines solchen Gesetzes durch den Bundesrat auf der anderen Seite zu der Erkenntnis, daß Bundestag und Bundesrat in der Tat gemeinsam — Herr Kollege Vogel, so habe ich es hier auch stehen — zum Erfolg oder Mißerfolg in dieser Sache verurteilt sind.
Ich möchte auch namens unserer Fraktion die beiden anwesenden Vertreter des Bundesrates, die beiden Kultusminister von der Seite der CDU, ansprechen und sagen: Nach unserer und meiner ganz persönlichen Überzeugung wird gerade das Abstimmungsverhalten des Bundesrates im Sommer zeigen, ob diese unsere zweite Kammer in der Lage ist, über parteitaktische Schatten zu springen, deren Existenz allen grundgesetzlichen Zielvorstellungen zum Trotz immer wieder behauptet wird.
— Jawohl, beide. Sie haben den Bundestag angesprochen, und ich erlaube mir, das zurückzugeben,
weil die Vertreter des Bundesrates anwesend sind.
Wir sollten uns, meine Damen und Herren, bei dieser ersten Lesung des Hochschulrahmengesetzes in Form einer Grundsatzdebatte gemeinsam fragen, was der Deutsche Bundestag mit einem solchen Gesetzesvorhaben von den Zielvorstellungen her eigentlich erreichen will. Ohne mich bei meinen weiteren Ausführungen auf einen Prioriätenkatalog festlegen zu wollen und nicht zuletzt auch motiviert von dem Versuch, einen bei der ganzen Auseinandersetzung bisher immer wieder zutage tretenden teutonischen Dogmatismus und Fanatismus zu vermeiden, möchte ich in diesem Zusammenhang auf einige solcher Zielvorstellungen hinweisen.
Für entscheidend halte ich erstens das Erfordernis einer größtmöglichen Bundeseinheitlichkeit hochschulgesetzgeberischer Regelungen. Ich habe von dieser Stelle aus schon einmal auf die Gefahren aufmerksam gemacht, daß unsere Hochschulen, in welchem Bundesland auch immer, bei einem weiteren Ausbleiben klarer bundeseinheitlicher Regelungen der anstehenden Fragen von Chaos bedroht sind, vom Chaos unterschiedlicher politischer Einfärbun-
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gen, unterschiedlicher Anforderungen, Berufungspraktiken und Prüfungsverfahren und nicht zuletzt auch vom Chaos eines sich möglicherweise selbst aufgebenden Pluralismus, d. h. der Vielfalt wissenschaftlicher Ansätze und Aussagen, die nun einmal zum Kern unserer geistig-politischen Kultur gehört. Um dem zu begegnen, wird der Deutsche Bundestag versuchen müssen, hier ein Höchstmaß an Bundeseinheitlichkeit zu verwirklichen. Um dem zu begegnen, werden möglicherweise einzelne Länder ganz unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung Abstriche von eigenen hochschulpolitischen Zielvorstellungen machen müssen.
Zweitens sollte es uns gemeinsam darum gehen, die bedrohte Effizienz und Funktionstüchtigkeit unserer Hochschulen zu stärken, sie von überholten Fesseln des 19. Jahrhunderts zu befreien und dazu zu befähigen, die Aufgaben. des ausgehenden 20. Jahrhunderts besser zu bewältigen. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Pfeifer, habe ich überhaupt kein Verständnis gehabt für Ihre Äußerungen; ich habe sie geradezu als unseriös empfunden. Ich muß wirklich sagen: Der Entwurf des Bundeswissenschaftsministeriums ist ja gerade in der Qualifikationsfrage außerordentlich eindeutig, wenn Sie z. B. an die sehr hohen Anforderungen denken, die an den künftigen Assistenzprofessor gestellt werden.
- Doch, davon bin ich überzeugt. Wir werden uns im Ausschuß darüber noch weiter aussprechen können, Herr Dr. Probst.
Das werden wir dann klären können.
Drittens erfordern eben diese Aufgaben einen besseren, auf jeden Fall aber einen deutlicheren Praxisbezug in der wissenschaftlichen Ausbildung unserer Studenten. Unter solchen Gesichtspunkten ergibt sich die entscheidende Bedeutung des Abschnitts über die Studienreform im Gesetzentwurf. Darauf ist hier schon wiederholt hingewiesen worden.
An dieser Stelle muß ich auch einflechten, daß die Presseerklärung des Kollegen Pfeifer zu Beginn der vorigen Woche mit ihrer indirekt an den Bund gerichteten Forderung, sich um eine möglichst schnelle Verwirklichung der Studienreform zu bemühen, Fachleute außerordentlich seltsam anmuten mußte. Schließlich waren für ein Ausbleiben von durchschlagenden Studienreformen bisher vor allem die Länder verantwortlich, die erst in allerjüngster Zeit durch Novellierungen ihrer Hochschulgesetzgebung dem Beispiel gefolgt sind, das der Bund schon mit seinem Entwurf für ein Hochschulrahmengesetz in der vorigen Legislaturperiode gegeben hatte. Besonders grotesk werden solche Forderungen natürlich dann, wenn dem Bund gleichzeitig die Kompetenzen für gesetzliche Regelungen auf diesem Gebiet immer wieder bestritten werden. Wir halten Inhalt und Begründung der Bestimmungen des Regierungsentwurfs zur Studienreform für ein
Glanzstück der Gesetzesinitiative der Bundesregierung.
Der Minister verdient das ungeteilte Lob dieses Hauses für den Mut, mit dem er das Problem der sogenannten Regelstudienzeiten angegangen ist und mit dem er an dieser Konzeption trotz der massiven Kritik festgehalten hat, die sofort einsetzte. Ich freue mich, daß sich diesem grundsätzlichen Lob auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz angeschlossen hat. Auf diese Weise werden wir auch einen, wie ich glaube, notwendigen Druck auf die Hochschulen ausüben können, endlich ihrerseits mit der überfälligen Studienreform ernst zu machen.
Es wird ferner an dem Gedanken festzuhalten sein, daß Studiengänge nicht verbindlich geplant werden können, ohne in die Planungen auch die Prüfungen, d. h. sowohl die hochschuleigenen als auch die staatlichen, einzubeziehen. Daß entgegen allen bisherigen Erfahrungen gerade diese Konzeption von gewisser Seite im Bundesrat kritisiert worden ist, ist mir unverständlich. Ich darf in diesem Zusammenhang allerdings dem anwesenden Kultusminister des Landes Rheinland-Pfalz eine gewisse, von uns natürlich sehr begrüßte Fortschrittlichkeit attestieren.
Viertens gilt es, die Härten, ja die Absurditäten des derzeitigen Zulassungsverfahrens unter dem Gesichtpunkt einer noch besseren Chancengleichheit zu beseitigen, andererseits aber durch eine stärkere Integration und Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung von der Oberstufe der Gymnasien bis hin zu den Hochschulen selber neue Berufsfelder zu entwickeln. Von hier aus ergeben sich unsere sozialdemokratischen Forderungen nach integrierten Gesamtschulen und integrierten Gesamthochschulen. Letztere, meine Damen und Herren von der Opposition, sind, wie auch die Bundesregierung festgestellt hat, für uns ein bildungspolitisches Mittel, jedoch kein Selbstzweck. Schon gar nicht ist ihre zeitliche Verwirklichung für uns ein Dogma. Wir sollten gerade dieses wichtige Problem pragmatisch angehen und es getrost dem Urteil der Geschichte in den nächsten Jahren überlassen, wer hier mit seinen Zielvorstellungen recht behält: die Reigerungsparteien oder die Oppositionsparteien. Wir sind deswegen sehr zuversichtlich, weil schließlich auch aus anderen Ländern genügend positive Erfahrungen in dieser ganzen Frage vorliegen.
Ich glaube auch, daß der Minister mit seinem Hause ein weiteres Lob für den Mut und für die Initiative verdient, erstmalig neue Auswahlkriterien für die Zulassung zum Studium entwickelt zu haben, die sich im Ausland seit Jahrzehnten bewährt haben. Das sollte man nicht vergessen.
Fünftens geht es um das so entscheidende Problem des Hochschullehrernachwuchses, das von der Personalstruktur her neu zu regeln ist. Die entsprechenden Abschnitte des Regierungsentwurfes dürften in den Ausschußberatungen besonders kontrovers sein, wie ich das sehe. Ich gestehe ganz ehrlich, nachdem die Frau Kollegin Schuchardt dies ebenfalls angesprochen hat, daß auch nach meiner
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Auffassung ,dem Ministerium an dieser Stelle der große Wurf noch nicht gelungen ist. Ich kann nur hoffen, daß er uns von der Legislative her gelingen wird.
Den derzeitigen Lösungsvorschlag in Sachen Personalstruktur halte ich auch unter sozialen Gesichtspunkten nicht unbedingt für befriedigend, da ja ein Assistenzprofessor mit sehr hohen Qualifikationen geschaffen werden soll, ohne daß er gleichzeitig eine relative Sicherheit hat, endgültig in den Hochschuldienst übernommen zu werden. Das Berliner Beispiel, obwohl nicht in allen Punkten auf den Entwurf des Ministeriums anwendbar, sollte hier schrecken.
— Jawohl. — Hinter der vorgehaltenen Hand sagen einem viele Hochschulexperten in der Bundesrepublik, daß der künftige Assistenzprofessor so nicht konzipiert werden kann. Wir werden also darüber sicherlich noch eingehend beraten.
Schließlich geht es sechstens und abschließend um das Stichwort von der notwendigen weiteren Demokratisierung der Hochschulen, das von den einen zu einem absoluten Wert hochstilisiert, von den anderen verteufelt wird. Unser gelegentlicher teutonischer Übereifer verbaut uns offensichtlich auch in dieser Beziehung immer wieder den klaren Blick hin zur Mitte. Einerseits müssen, darüber dürften sich alle einig sein, keine überholte hierarchische und standespolitische Strukturen und Ordnungsvorstellungen an unseren Hochschulen weiter abgebaut und Lernprozesse ermöglicht werden, die die jungen Menschen unserer Zeit dazu befähigen, die Probleme von Staat und Gesellschaft kritisch zu durchdenken und sich von einem geschulten Engagement her zur Bewältigung theoretischer und praktischer Aufgaben in Teamarbeit zu üben. Andererseits dürfen wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und meinen, Entscheidungsstrukturen an den Hochschulen auf der Basis von Gleichheitsmodellen für Mitbestimmung schaffen zu können, die in unseren Betrieben mehr als überfällig sind, sich aber auf den Hochschulbereich in Reinkultur nicht in jeder Weise anwenden lassen. Eine solche Naivität könnte dann geradezu gefährlich werden, wenn wir uns Kräften gegenübersehen, die unter der Flagge der Hochschulreform das Schiff der Bundesrepublik Deutschland in einen ganz anderen verfassungsrechtlichen Hafen einfahren wollen.
Dies werden wir alle gemeinsam zu verhindern wissen, Herr Kollege Probst, gemeinsam!
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unsere gemeinsame Beurteilung des kommunistischen Studentenbundes, des KSV, zu dem sich gestern auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz in einer Form geäußert hat, die auch meine Fraktion nur voll unterstreichen kann. Andererseits müssen sich aber diejenigen, die, vom anderen Ende der Skala her operierend, echte Reformansätze durch ein Hochstilisieren von Radikalismusgefahren zu verhindern
trachten, ins Stammbuch schreiben lassen, daß uns Politiker und Hochschullehrer wie die überwältigende Mehrheit aller Bürger dieses Landes kleine extreme Minderheitengruppen nicht in unserem freiheitlich-demokratischen Selbstvertrauen erschüttern konnten und, Herr Kollege Probst, auch nicht erschüttern werden.
In diesem Lichte, Herr Kollege Probst, ist der mehrheitlich gefaßte Beschluß unseres Ausschusses zu sehen, auch diejenigen einzuladen, die an den Hochschulen von der studentischen Seite her im Augenblick den maßgeblichen Einfluß ausüben. Sie sollten, Herr Kollege Probst, ganz abgesehen von den verfahrensrechtlichen Problemen, zusammen mit Ihrer gesamten Fraktion mehr Gelassenheit an den Tag legen und die Dinge so ausführen, wie das mehrheitlich beschlossen worden ist.
In Amerika,— das darf ich eben noch sagen — wäre das vollkommen selbstverständlich.
Ich bin sofort fertig; aber wenn Sie noch eine Zwischenfrage stellen wollen, lasse ich sie gern zu.