Rede von
Jürgen W.
Möllemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ja, dieser Hinweis ist richtig.
— Ich kann doch ohne weiteres hier zugeben, daß dies richtig ist und daß ich dies auch weiß. Vielleicht hätte ich mich präziser ausdrücken sollen. Ich meine: kein Mitglied des Parlaments in seiner Eigenschaft als Abgeordneter. Ich weiß natürlich, daß ein Innenminister dies tun könnte. Das ist bislang aber nicht erfolgt. Und da dies nicht erfolgt ist — aus den bekannten Gründen —, kann dies auch nicht auf dem Weg einer Ersatzvornahme durch den Herrn Vorsitzenden unseres Ausschusses geschehen. Das war das, was ich sagen wollte.
— Ich weiß nicht, ob ich jetzt noch weiter auf Ihre Argumente eingehen soll. Ich wollte eigentlich fortfahren. Ich bitte dafür Verständnis zu haben.
Die Öffentlichkeit sollte nur in Sonderfällen und mit qualifizierter Mehrheit ausgeschlossen werden können. Nichtöffentlichkeit sollte lediglich im Bereich des Persönlichkeitsschutzes sowie bei Bau- und Grundstücksangelegenheiten bestehen.
Beim Wahlmodus halten wir die Urnenwahl für sinnvoll. Generelle, d. h. ausschließliche Briefwahl verursacht nach unseren Erfahrungen einen riesigen Personal- und Mittelaufwand, erzielt aber nicht die gewünschte Wirkung einer spürbar höheren Wahlbeteiligung. Der Grund für die bei Hochschulwahlen oft sehr niedrige Wahlbeteiligung zwischen 35 und 50 % liegt meines Erachtens in der relativen Häufigkeit von Wahlen, in der unterschiedlichen Einschätzung der Bedeutung der Gremien und ihrer Arbeit sowie nicht zuletzt darin, daß die Hochschulangehörigen ihr, wenn ich so sagen darf, normales Wahlverhalten nur schwer auf die Hochschule übertragen können. Das hat seinen Grund in der politischen Zielsetzung der Gruppen, die bei solchen Wahlen kandidieren. Der RCDS steht weit rechts.
— Sehen Sie, ich kam in der vergangenen Woche in meinen Wahlkreis und las dort die Ankündigung, daß der RCDS-Vorsitzende sprechen werde. Da habe ich mir gedacht: Herr Langguth wird einen bildungspolitischen Vortrag halten. Weit gefehlt! Die Meldung lautet: „Gerd Langguth spricht vor dem Wirtschaftsrat der CDU zum Thema ,Universität — Kaderschmiede oder Revolutionäre'."
Kein Mensch an den Universitäten würde der Feststellung, daß der RCDS weit rechts steht, widersprechen. Ich verstehe aber Ihr Mißfallen.
SHB und Spartakus stehen weit links. Die große Mitte, wie ich sie sehe, ist weitgehend verwaist, wenn ich einmal vom LHV, dem Liberalen Hochschulverband, absehe, der aber noch zu schwach ist.
— Der Trend kann auch für den LHV, wie für unsere Partei, unaufhaltsam nach oben gehen. Wer weiß? Hier liegt jedenfalls eine Aufgabe für die sozialliberale Koalition, insbesondere für unseren Koalitionspartner, der sich konsequenterweise vom SHB getrennt, die Lücke, die dadurch entstanden ist, aber noch nicht wieder geschlossen hat.
Da wir nun schon bei den studentischen Organisationen sind, möchte ich gleich einige Gedanken zum Thema Studentenschaft anfügen. Wir begrüßen mit Nachdruck den Willen der Bundesregierung, die uneingeschränkte Aufrechterhaltung der unabhängig verfaßten Studentenschaft als Teilkörperschaft der
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1973 4453
Möllemann
Hochschule zu sichern. Im Hinblick auf die Beitragsregelung des Entwurfs erscheint es uns allerdings sinnvoll, wie bislang meist praktiziert, den Einzug der Studentenschaftsbeiträge bei der Einschreibung durch die Hochschulverwtaltung vornehmen zu lassen.
Nun haben die CDU/CSU-Länder im Bundesrat mit Unterstützung Berlins in ihrer Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf deutlich gemacht, daß sie die Absicherung der verfaßten Studentenschaft in diesem Entwurf nicht wollen; dies übrigens im Gegensatz zur CDU in Nordrhein-Westfalen, die unlängst extra ein Gesetz zu diesem Thema eingebracht hat und die Studentenschaft absichern will. Aber diese Diskussion gibt es zu anderen Themen auch in anderen Parteien. Kultusminister Maier aus Bayern hat in seinem Land auch bereits gesetzliche Konsequenzen gezogen. Die Frage nach den Motiven für diese Haltung lohnt sich, wie ich glaube. Wer einmal in einer studentischen Selbstverwaltung gearbeitet hat, wer die breite Palette der Gegenstände kennt, die in den Studentenparlamenten behandelt, die von den Allgemeinen Studentenausschüssen bearbeitet werden, der weiß, daß die Beibehaltung und Absicherung dieser studentischen Selbstverwaltungsorgane durchaus notwendig ist, jedenfalls im Interesse der Studenten.
Was ist denn der eigentliche Grund für diesen und andere Versuche, die Studentenschaften abzuschaffen? Entscheidender Grund ist doch wohl die Tatsache, daß sich diese studentischen Organe in der Hochschule und auf zentraler Ebene im Verband Deutscher Studentenschaften auch mit Fragen befassen, deren unmittelbarer Bezug auf die Hochschulen kaum erkennbar ist, Fragen, die allgemeinpolitischer Natur sind. In diesem Zusammenhang wird als Begründung für den Stopp von Beitragszahlungen, als Begründung für darüber hinausgehende Maßnahmen bis hin zur Auflösung der verfaßten Studentenschaft diese Inanspruchnahme eines politischen Mandats genannt, und dies, obwohl niemand in der Lage ist, den Grenzbereich etwa zwischen der Hochschulpolitik und der Sozialpolitik oder aber zwischen diesen beiden und der Haushalts- und Wirtschaftspolitik halbwegs genau zu markieren, dies, obwohl Studentenschaften sich zu allen Zeiten mit Fragen politischer Natur befaßt und ihre Meinung dazu artikuliert haben, dies, obwohl sie von Politikern aller Couleurs dazu immer wieder aufgefordert wurden, und dies auch, obwohl diese studentischen Organe alle durch demokratische Wahlen auf der Grundlage durchweg politischer Programme zustande gekommen sind.
Lassen Sie mich mit einem weiteren Zitat darlegen, warum es meines Erachtens falsch ist, dieses politische Engagement abzublocken, und welchem Irrtum Leute wie Herr Maier aufsitzen, wenn sie diese Haltung vertreten. Ich darf zitieren:
Eine Hochschule, so meinen sie,
— die Leute, die die verfaßte Studentschaft abschaffen wollen —
die sich mit Politik befasse, müsse daran zugrunde gehen. Nicht umsonst sei gerade Berlin
zum Ausgangspunkt der späteren linksextremen Politisierung der deutschen Universitäten geworden. Eine solche Auffassung übersieht, daß die abendländische Universität in allen Etappen des Kampfes um die geistige und politische Freiheit eine unersetzliche Rolle gespielt und damit einen spezifischen Beitrag zu der einzigartigen Dynamik des Westens geleistet hat. Sie übersieht die unumstrittene Tradition politischer Debatte und damit demokratischer Einübung in den Student Unions der angelsächsischen Universitäten.
Sie übersieht vor allem, daß der studierenden Jugend das Bedürfnis natürlich ist, über die fachliche Ausbildung hinaus sich in Gesellschaft und Staat zu orientieren und den Zusammenhang der eigenen künftigen Berufswahl mit dem gesellschaftlichen Ganzen
— die Relevanz des Fachstudiums also —
zu erfassen. Wenn die Heranführung der Studenten an die akademische, d. h. sachliche, kritikoffene und tolerante Diskussion politischer Fragen ein Wagnis ist, das scheitern kann, so ist der Versuch, sie während der wichtigsten formativen Jahre auf reines Fachstudium zu beschränken, eine künstliche Einengung, die scheitern muß.
Dieses Zitat stammt von Professor Richard Löwenthal, der an der Freien Universität in Berlin tätig
und Mitglied im Bund Freiheit der Wissenschaft ist.
Vielleicht ist es wirklich angebracht, auch zu verdeutlichen, was denn der wirkliche Grund für die von mir vorhin dargelegte Ablehnung des politischen Engagements der Studentenschaft ist. Der wirkliche Grund liegt doch wohl darin, daß mehr und mehr Studentenparlamente, Allgemeine Studentenausschüsse und infolgedessen auch der Verband Deutscher Studentenschaften mehrheitlich von linken, linksextremen und chaotischen Gruppen besetzt werden.
Dieses Novum in der Geschichte der Hochschule, das seit einigen Jahren mit geringen Akzentverschiebungen zu verzeichnen ist, hat natürlich Konsequenzen für Art und Inhalt der mehrheitlich vertretenen Meinungen, die in aller Regel von den hier im Parlament vertretenen Parteien kaum akzeptiert werden können. Nur ist es eben ein absoluter Trugschluß, zu glauben, man könne politisch verlorenes Terrain an den Hochschulen etwa mit administrativen Maßnahmen zurückgewinnen.
Im Prinzip ist es sogar noch mehr. Es ist eine Bankrotterklärung, die verdeutlicht, daß man es offenbar für unmöglich hält, mit der Überzeugungskraft besserer Argumente unter den mehr als 700 000 Studierenden andere Mehrheiten zu schaffen. Dies ist um so erstaunlicher, als diese Haltung einer Partei, nämlich der CDU/CSU, eigen ist, zu deren Wählerkreis der größere Teil jener Mittel-
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und Oberschichten zählt, aus denen mit erwiesenermaßen mehr als 80 % der größte Anhängerkreis der linken und linksextremen Gruppen stammt. Sollte die Abschaffung der verfaßten Studentenschaft vollzogen werden, wäre meines Erachtens eine allgemeine Radikalisierung die Folge, wie sie heute nur partiell und in kleinem Rahmen auftritt. Dies sollten wir im positiven Sinne verhindern.
Mit einigen Überlegungen zum Verhältnis von Hochschule und Staat möchte ich meine Ausführungen hier beschließen. Meine Kollegin, Frau Schuchard, wird zu weiteren, noch nicht angesprochenen Detailbereichen in der nächsten Runde Stellung nehmen.
Die Gesamthochschule als offene Hochschule kann unseres Erachtens ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn ihr eine weitgehende Autonomie eingeräumt wird und bleibt. Die Einheitlichkeit der Entwicklung des Hochschulwesens wird dabei durch die Zusammenarbeit der Hochschulen in Bundes- und Landeshochschulkonferenzen zu gewährleisten sein. Wir begrüßen es also, daß auch in diesem Entwurf die Aufsicht des Staates auf die Rechtsaufsicht beschränkt bleibt, da unseres Erachtens die Sachkompetenz für Angelegenheiten der Hochschulen vorwiegend bei deren Mitgliedern liegt. Darüber hinaus verbietet auch das Grundrecht auf Freiheit von Forschung, Lehre und Studium hier ein Eingreifen des Staates.
Da die derzeitige Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Hochschulwesen und darüber hinaus für das Bildungswesen nicht ausreicht, um die Bundesländer auf ein ausreichendes einheitliches Konzept für das Hochschulwesen in der Bundesrepublik zu verpflichten sowie eine Bundeshochschulkonferenz ins Leben zu rufen, fordern wir erneut die konkurrierende Gesetzgebung für den Bund im Hochschulbereich.
Wenn ich sagte, daß wir die Einengung der staatlichen Einflußnahme auf die Rechtsaufsicht begrüßen, so gilt das auch für den bewußt vorgenommenen Verzicht auf ein Ordnungsrecht. Ich hätte mir sogar eine Bestimmung gewünscht, die diesen Verzicht auch für die Ländergesetzgebung verbindlich macht. Vielleicht können wir das noch einbauen.
— Herr Präsident, ich bitte, diesen Gedanken zu Ende führen zu dürfen.