Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Pfeifer hat, wie nicht anders zu erwarten war, das Lied vorn Bund Freiheit der Wissenschaft gesungen und dabei seine Aussagen mit einer Reihe von Fabeln angereichert,
die mich an eine andere fabelhafte Geschichte erinnert haben und mich beinahe wie den Lehrer in der „Feuerzangenbowle" hätten rufen lassen: „Pfeifer, setzen Se sich, Se sind ein öbler Schöler." Aber dies nur vorweg.
Ihre Argumentation, Herr Pfeifer, und die der CDU überhaupt in bildungspolitischer Hinsicht erinnert mich in letzter Zeit sehr häufig fatal an Gina Lollobrigida: sie ist ziemlich kurvenreich, aber von Tag zu Tag leider weniger hinreißend.
--- So ist eben, Herr Wörner, alles sehr relativ. Wir werden uns darüber noch einigen können, was Sie und was ich attraktiv finden.
Der vorliegende Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes verdeutlicht das Bemühen der sozialliberalen Koalition, zu einer bundeseinheitlichen Regelung für eine strukturelle und inhaltliche Reform des Hochschulwesens zu gelangen. Meine Fraktion begrüßt es, daß die komplexe Gesetzesvorlage so schnell erarbeitet wurde und daß sie nunmehr auch in den Fraktionen dieses Hauses erörtert werden kann. Sie dankt dem Minister und seinen Mitarbeitern für den kooperativen Stil der bisherigen Zusammenarbeit.
Im folgenden möchte ich den Versuch unternehmen, darzulegen, worin wir die besondere Notwendigkeit, zentrale Anliegen und auch für uns noch offene Fragen einer mit diesem Gesetz zu beschleunigenden Hochschulreform sehen. Dabei möchte ich in einigen Schwerpunkten auf die Voten des Bundesrates, der Opposition hier im Hause sowie maßgeblicher betroffener Gruppen und Organisationen aus dem Hochschulbereich eingehen, wobei ich mir sicher bin, Herr Kollege Dr. Probst, daß unter „maßgeblichen Gruppen" wir beide sehr Unterschiedliches verstehen; Sie haben dafür ein schlagendes Beispiel geliefert.
Es darf durchaus als eine kritische Einstellung nicht nur zur Opposition verstanden werden, wenn ich meine, daß dieser neue Versuch, den Erfordernissen einer echten Reform des Hochschulwesens auch bundesweit Rechnung zu tragen, gemessen an den tatsächlichen Entwicklungen in unserem Hochschulwesen spät kommt, dies selbst unter der Voraussetzung, daß es im kommenden Halbjahr zu einer Verabschiedung kommt. Der Opposition kommt hierbei trotz gegenteiliger Beteuerungen lediglich das besondere Verdienst zu, in der letzten Legislaturperiode das Wirksamwerden dieses Reformgesetzes verhindert zu haben.
Wenn ich die Voten der CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat, wenn ich die Ausführungen der CDU durch Herrn Pfeifer jetzt hier im Bundestag richtig verstanden habe, bin ich mir aber gar nicht so sicher, ob nicht auch dieser Anlauf der sozialliberalen Koalition von Ihnen zu Lasten des Hochschulwesens gestoppt werden soll. Ihre Aussagen, Herr Pfeifer, bestätigen für mich nur die ebenso un-
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erfreuliche wie dauerhafte Tatsache, daß edite Hochschulreform mit dieser Opposition nicht zu machen ist.
Schon an dieser Stelle möchte ich klarstellen: Wenn Gemeinsamkeit mit der Opposition zwecks beschleunigter Beratung und Verabschiedung des Gesetzes nur über faule Kompromisse oder über das Akzeptieren illiberaler bildungspolitischer Vorstellungen zu erreichen sein sollte, dann wird die Koalition eben die anderen sich bietenden Möglichkeiten ergreifen müssen.
Wir werden dieses Gesetz, das viele positive Neuerungen enthält, jedenfalls nicht zum Verschnitt bayerischer Prägung machen lassen, und wir werden auch dafür Sorge tragen, daß reformerische Ansätze in fortschrittlichen Bundesländern weiterentwickelt werden können.
Wenn ich vorhin feststellte, daß dieser Reformansatz, gemessen an den Entwicklungen im Hochschulwesen, relativ spät kommt, dann gehe ich von der Tatsache aus, daß die wesentlichen Grundzüge einer inhaltlichen und strukturellen Veränderung, wie wir sie wollen, schon seit langem vorgezeichnet sind, daß Forderungen, Vorschläge und Anregungen immer wieder formuliert und mit mehr oder weniger Geschick und Überzeugungskraft der Öffentlichkeit vorgetragen worden sind. Sicherlich landeten sie auch kiloweise auf den Tischen der Abgeordneten hier im Bundestag, im wesentlichen beginnend wohl mit der 4. Legislaturperiode, ohne daß dies im Bund besondere Konsequenzen gehabt hätte. Dafür war meines Erachtens zunächst insbesondere der Mangel an Bundeskompetenz verantwortlich, der auf liberales Drängen hin zum Teil beseitigt wurde. Wir werden hier auch weiter drängen.
Danach war es der Versuch der Konservativen in diesem Land, wieder einmal mit allen Mitteln überfällige Reformen zu verhindern, wie sie z. B. im Entwurf eines Hochschulgesetzes der FDP im Jahre 1968 vorgesehen waren.
Daß hierbei die Konservativen und Reaktionäre in Politik und Hochschule eng kooperierten, war nichts Neues und dafür haben wir auch heute wieder einmal ein schlagendes Beispiel erlebt. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft kennzeichnet diesen Gesamtzusammenhang treffend, wenn er im allgemeinen Teil der Begründung ausführt — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:
Nicht zuletzt das Unvermögen der alten Universitäten gegenüber den Anforderungen einer
demokratischen Gesellschaft und Versäumnisse
des Staates bei einer diesen Anforderungen ge-
recht werdenden organisatorischen Gestaltung
und Finanzierung der Hochschulen haben diese
trotz unbetrittener Leistungen — zu einem Krisenherd werden lassen; ...
— Herr Kollege Probst, ich bin gerne bereit, die Diskussion mit Ihnen intensiver zu führen; wir werden gleich noch Gelegenheit dazu haben.
Schon 1966 stellte Margherita von Brentano in einer Analyse für den Bereich der Hochschulreform vereinfachend und typisierend drei Tendenzen fest, die mir mit gewissen Veränderungen auch heute noch gegeben zu sein scheinen und die ich deshalb kurz wiedergeben will: erstens eine konservativ-reformatorische Tendenz, deren Motto „Bewahren und Ergänzen" lautet — sie wurde und wird im wesentlichen von den Universitäten selbst, jedenfalls von deren offiziellen Organen und der Mehrzahl ihrer Professoren, vertreten —, zweitens eine funktionalistische Tendenz, die die Universitäten leistungsfähig für die bestehende Gesellschaft haben und primär auf diese Leistung verpflichten will; diese Tendenz wurde und wird im wesentlichen von der Wirtschaft, aber auch von Politikern vertreten; quer zu diesen drittens eine radikal-progressive Tendenz, Wissenschaft und Hochschulen sowohl selbst zu demokratisieren als auch aus ihrer Verantwortung für die Demokratisierung, Humanisierung und Rationalisierung der Gesamtgesellschaft zu begreifen und zu erneuern. Sie wurde vor allem von studentischen Gruppen, aber auch von Hochschullehrern und Politikern befürwortet.
Wenn in diese dritte These die positiven Elemente der beiden ersten aufgenommen werden, wenn gewährleistet wird, daß unter ihrer Zielsetzung nicht die Freiheit von Forschung, Lehre und Studium durch eine neue Unfreiheit unter den Zeichen von Intoleranz und totalitärem Machtanspruch sozusagen neuer Art beseitigt wird, dann scheint mir dieser Ansatz für die Hochschulreform am ehesten geeignet zu sein.
Gestatten Sie mir, von dieser allgemeinen Vorbemerkung ausgehend unsere Überlegungen zur Zielsetzung und zu den einzelnen Schwerpunkten des Gesetzes darzulegen.
Die Freien Demokraten begrüßen die im Gesetz formulierte allgemeine Zielsetzung und leiten aus ihr auch die Ansprüche an die Einzelregelungen ab. Dabei erscheint es uns notwendig, auf einige Gesichtspunkte hinzuweisen, die bei den Auschußberatungen besonders berücksichtigt werden sollten.
Erstens: Struktur der Hochschule.
Bildungspolitik in der demokratischen Gesellschaft hat von dem Grundsatz des Bürgerrechts auf Bildung auszugehen. Die Hochschulreform muß daher zu einer Struktur der Hochschule führen, die jedem Bürger eine von Einkommen und Bildungsgrad der Eltern unabhängige, seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Bildungs- und Berufschance eröffnet.
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So heißt es im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung; wir stimmen dem voll zu. Denn eine Grundforderung liberaler Politik besteht darin, daß Wissenschaft sowohl der Selbstverwirklichung des einzelnen als auch der Demokratisierung der Gesellschaft dienen muß. Eine wissenschaftliche Ausbildung ohne Sackgassen, flexible Studiengänge mit horizontaler und vertikaler Durchlässigkeit sowie individuelle Schwerpunktsetzungen, die zu verschiedenen Abschlüssen führen können, sind Voraussetzungen für eine optimale Förderung des einzelnen und den Aufbau kritischen Reflexionsvermögens.
Wenn Forschen, Lehren und Studieren in der Verantwortung für die Entwicklung der Gesellschaft geschehen, dann ist die dauerhafte Verbindung mit der Praxis eine wichtige Voraussetzung. Dementsprechend muß, wie im Entwurf geschehen, das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis dahin gehend verändert werden, daß der Praxisbezug des Lehrangebots deutlicher erkennbar ist, andererseits aber eine ausschließliche Orientierung an der praktischen Verwertbarkeit verhindert wird. Oder anders ausgedrückt: Die stärkere Hinwendung zur Berufsbezogenheit darf Zielsetzungen wie Kritikfähigkeit, Mündigkeit und Wissenschaftlichkeit nur ergänzen, nicht aber verdrängen.
Diese Position, Herr Kollege Pfeifer, ist es, die unseres Erachtens die Einführung der integrierten Gesamthochschule zwingend notwendig macht; dies um so mehr, als es heute in allen Berufsfeldern Tätigkeiten gibt, die wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen und wissenschaftlicher Arbeits- und Verhaltensweisen bedürfen. Dabei ist die Qualität wissenschaftlicher Betätigung nicht von Berufsfeldern abhängig. Insofern sind unseres Erachtens grundsätzlich alle Studiengänge gleichrangig, unterschiedliche Hochschultypen nicht gerechtfertigt.
Wesentliche Schwerpunkte bei der Strukturreform in Richtung auf die integrierte Gesamthochschule sind der durchgängige Forschungsbezug in Lehre und Ausbildung, eine einheitliche Lehrkörperstruktur, eine einheitliche Studentenschaft, eine aufgabengerechte Organisationsstruktur unter Überwindung überlieferter Organisations- und Rechtsunterschiede verschiedener Hochschultypen sowie eine einheitliche Selbstverwaltung in allen Gesamthochschulen unter Beteiligung aller Mitgliedsgruppen.
Wir glauben — im Gegensatz zur Opposition bzw. zu den CDU/CSU-regierten Ländern —, daß diese Zielpunkte richtig sind und sich nur im System der integrierten Gesamthochschule, nicht aber in dem der kooperativen Gesamthochschule dauerhaft erreichen lassen; auch der Gesetzentwurf geht letztlich hiervon aus. Allerdings ist zu prüfen, ob nicht noch deutlicher gemacht werden muß, daß Zielvorstellungen allein die integrierte Gesamthochschule und nicht irgendein anderes Gebilde ist.
Zweitens: Studium und Lehre. Aufgabe der Lehre an ,der integrierten Gesamthochschule als einer offenen Hochschule, wie wir sie uns vorstellen, ist es, Grundlagen, Methoden und Ergebnisse der Forschung zu vermitteln sowie wissenschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge darzustellen.
Durch die Notwendigkeit der Darstellung, durch Diskussion und Kritik wirkt die Lehre auf die Forschung zurück. Aufgabe des Studiums ist es unseres Erachtens, auf diejenigen Tätigkeiten in allen Berufsfeldern vorzubereiten, die der wissenschaftlichen Erfahrung und des wissenschaftlichen Verhaltens bedürfen. Dabei gehen wir von Prinzip des forschenden Lernens aus, in dem die Studenten frühzeitig eigene Initiativen entwickeln und in Projektgruppen mitarbeiten sollen, die an der Forschung orientiert sind. Denn es geht natürlich nach unserer Auffassung beim Studium nicht nur um die Vorbereitung auf eine Tätigkeit in einem Berufsfeld, sondern auch um die Möglichkeit, kritisches Bewußtsein, gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse, zu bilden und zu verstärken.
Im bildungspolitischen Programm meiner Partei — hierauf muß und will ich mich beziehen heißt es:
Die offene Hochschule
— die integrierte Gesamthochschule —
ermöglicht jedem Studierenden, seinen Studiengang bis zu jedem gewünschten Abschluß selbständig zusammenzustellen. Eine umfassende und individuelle Beratung hilft ihm, seine Fähigkeiten auf diese Weise optimal zu entfalten und zu nutzen. Neben herkömmliche Verfahren von Zwischen- und Abschlußprüfungen sollen in der Offenen Hochschule neue Methoden der Leistungsmessung treten, die erprobt werden müssen. Dabei ist insbesondere an den wiederholten Nachweis erfolgreicher Mitarbeit in Forschungsprojektgruppen und speziellen Informationsveranstaltungen zu denken. Kollektive Prüfungen sind nur dann möglich, wenn die individuellen Anteile erkennbar sind. Ob die für den Studienabschluß nachzuweisenden Kenntnisse und Fähigkeiten in der Offenen Hochschule erworben sind, ist nicht ausschlaggebend. Die Anforderungen an einen ersten berufsfähigenden Studienabschluß sind in einem Katalog verbindlicher Mindestleistungen zu definieren. Darüber hinaus ist das erforderliche Leistungsniveau in selbstgewählten Schwerpunktbereichen zu bestimmen.
Diese Aussagen verdeutlichen ebenso wie der Gesetzentwurf die Notwendigkeit einer Studienreform. Der Gesetzentwurf räumt diesem unbestrittenen Reformziel seinen notwendigen zentralen Platz ein und trägt damit der Auffassung Rechnung, daß der inhaltlichen Neugestaltung eine ebenso große Bedeutung zukommt wie der strukturellen.
Bedauerlicherweise muß man allerdings heute feststellen, daß von allen Reformansätzen in der Hochschule der der Studienreform trotz weniger begrüßenswerter Initiativen am wenigsten entwikkelt ist. Dafür gibt es unseres Erachtens zwei Gründe: einmal die lange Zeit stark hierarchische Struktur der Hochschule und andererseits das mangelnde Instrumentarium. Daß das Beharrungsvermögen der Hochschulen gerade gegenüber den immer wieder artikulierten Notwendigkeiten einer Studienreform
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stärker war als alle Verbesserungsvorschläge, war wohl zunächst nur möglich durch die OrdinarienUniversität, durch die durch nichts zu rechtfertigende Privatmacht des einzelnen Ordinarius. Da diese Gruppe sich zu erheblichen Anteilen auch gegen andere Ansätze einer demokratischen Hochschulreform ständig sperrte, erscheint die nachfolgend zitierte Feststellung der „Deutschen Universitätszeitung" vom Juli 1968 durchaus verständlich:
Wenn je ein mit Sachverstand, besonderen Funktionen oder besonderer Verantwortung begründbarer moralischer Anspruch auf elitärautoritäre Alleinführung der Hochschulen durch die Ordinarien bestanden hätte, mit ihrer Unfähigkeit, über den Schatten der eigenen Interessen springend die überfälligen Reformen zu betreiben, mit ihrem Versagen gegenüber den Problemen der Gegenwart hätten die Ordinarien diesen Anspruch verwirkt.
Professor Schelsky, der neuerdings als Protagonist der CSU zu sehen ist,
— freuen Sie sich nicht zu früh! — umschreibt diesen Sachverhalt wie folgt:
Das Versagen der Professoren kann man auf die Begriffe Verwaltungsunfähigkeit, Reformunfähigkeit und Politikunfähigkeit bringen.
Dem möchte ich zustimmen.
Schon deshalb muß der Staat eine Veränderung der Rahmenbedingungen und Entscheidungskompetenzen vornehmen, die eher die Gewähr für die Erreichung der notwendigen Verbesserungen bietet. Damit wird nicht für einen Eingriff des Staates in die inhaltliche Kompetenz der Hochschulen plädiert, auch nicht bei der Studienreform. Wir sprechen uns strikt gegen jede Fachaufsicht aus.
Deshalb meinen wir mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, daß als Grundlage jeder Studienreform die inhaltliche Neubestimmung der Curricula und die didaktische Reform von Lehre, Studienarbeit und Studienorganisation Vorrang haben müssen.
— Daß Sie das nicht wissen, Herr Probst, erstaunt mich gar nicht. — Daher erscheinen vorherige globale organisatorische und rationalisierende Maßnahmen so problematisch, und daher spricht vieles dagegen, daß die Festlegung von Studienzeiten und Studiengängen generell vor der Neufestsetzung von Ausbildungs- und Lernzielen, Qualifikationsschwerpunkten und Studieninhalten geschieht.
Wir treten dafür ein, daß an die Stelle der verhältnismäßig starren Regelstudienzeiten — mit der Konsequenz der Zwangsexmatrikulation bei Überschreiten der Höchststudiendauer — Richtstudienzeiten treten, die nach der Studienreform festgelegt werden, die empfehlenden Charakter haben und die sich vor allem an den Ergebnissen der inhaltlichen Studienreform orientieren.
Die von uns in der vergangenen Woche hier angesprochene positive Wirkung der Studienreform auf die durchschnittliche Verweildauer — die wir ja nicht absolut gesetzt haben und von der wir auch nicht behauptet haben, sie sei ein Allheilmittel — wird meines Erachtens dadurch nicht verhindert, da der Großteil der Studierenden in aller Regel ohnehin bemüht ist, so bald wie möglich das Examen zu erreichen. Im Hinblick auf die Ausbildungsförderung wird die endgültige Festlegung in Sachen Regelstudienzeiten jedenfalls Auswirkungen haben, die wir bei der Novellierung des BAFÖG berücksichtigen müssen; da stimme ich Ihnen zu. Wir gehen mit dem Wissenschaftsminister davon aus, daß Studienreform in erster Linie Aufgabe der Hochschulen ist, die diese in ihren Fach- oder Studienbereichen zu leisten haben.
Wir begrüßen darüber hinaus die geplante Errichtung von Studienreformkommissionen. Hierbei wird insbesondere deren Zusammensetzung und Entstehungsmodus im weiteren Verlaufe der Beratungen zu prüfen sein. Für mich ist einerseits die Frage, ob Vertreter des Staates — und wenn ja, wie viele
— in diesen Kommissionen stimmberechtigt mitwirken sollen, noch nicht überzeugend beantwortet; zum anderen spricht auch vieles dafür, die Kommissionen bei Landes- bzw. Bundeshochschulkonferenzen sozusagen anzubinden. Auf jeden Fall wollen wir verhindert wissen, daß auf dem Wege über die Studienreformkommissionen doch die Fachaufsicht des Staates etabliert wird.
Drittens: Forschung. Nach Meinung der Freien Demokraten ist es die Aufgabe der Forschung in der integrierten Gesamthochschule, die wissenschaftliche Erkenntnis zu vermehren und zu vertiefen, aber auch die Erscheinungsformen der Gesellschaft kritisch zu analysieren und Innovationen anzuregen. Wir gehen davon aus, daß alle Wissenschaftsbereiche in der Gesamthochschule Forschung betreiben, wobei diese die traditionelle Abgrenzung der Fächer überschreitet und enge Bezüge zur Praxis herstellt.
Zum Fragenkomplex der Drittmittelforschung möchte ich bemerken, daß wir prüfen wollen, ob nicht doch die Fachbereichsgremien über die Durchführung von Forschungsprogrammen und -projekten dann entscheiden sollen, wenn sie die dem einzelnen für seine Forschungen eingeräumte Arbeitszeit und die zur Verfügung gestellten Sachmittel überschreiten. Im Rahmen solcher Projekte würden die Fachbereichsgremien dann auch die Verwendung von Mitteln kontrollieren, die von Dritten zur Verfügung gestellt wurden.
Nun meinte zwar der Kollege Dregger, der sich zu besseren Zeiten noch des öfteren mit Hochschulfragen befaßt hat, damit zitiere man sozusagen — ich zitiere das — „Wissenschaftler vor Tribunale roter Revolutionäre, um sie dann moralisch und physisch zu vernichten." Und weiter: Schon die Informationspflicht sei gleichbedeutend mit der Einführung der Inquisition.
— Diese Auffassung ist nicht nur unwahr, wie Sie, Herr Kollege Probst, richtig feststellen, sondern sie
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ist unserer Meinung nach ditch nicht überzeugend,
und das nicht nur deshalb, weil die Tribunale der
Inquisition nicht rot, sondern schwarz gewesen sind.
Das, worum es uns eigentlich geht, ist, folgendes deutlich zu machen: Forschung im Auftrag Dritter kann natürlich die Arbeit der Hochschule in verschiedener Hinsicht bereichern — allerdings nicht nur die Arbeit. Diese Drittmittelforschung darf jedoch weder die Freiheit wissenschaftlicher Arbeit noch die Erfüllung der Aufgaben der Hochschule oder die sinnentsprechende Verwendung der ihr gewährten Finanz-, Sach- und Personalmittel beeinträchtigen. Unseres Erachtens liegt hier eine der wesentlichen Kompetenzen der demokratisch legitimierten Selbstverwaltungsorgane.
Zu weiteren spezifischen Fragen der Forschung wird gegebenenfalls mein Kollege Hoffie noch Stellung nehmen, der der Sprecher unserer Fraktion für diesen Problembereich ist.
Viertens: Zugang zur Hochschule. Die FDP begrüßt es, daß der Staatsvertrag über den Hochschulzugang durch die rahmengesetzliche Regelung dieses Bundesgesetzes abgelöst werden soll. Wir haben bereits in der vergangenen Woche verdeutlicht, daß wir aus verfassungsrechtlichen und politischen Überlegungen etwas dagegen haben, daß Entscheidungen in unserem Lande in sogenannten grauen Zonen der Demokratie getroffen werden, in denen die gewählten Vertreter kaum Einflußmöglichkeiten haben. Angesichts der Tatsache, daß hinter der Aussage, das Parlament entscheide stellvertretend für das Volk in allen politisch relevanten Fragen, ohnehin ziemlich dicke Fragezeichen stehen, sollten wir alles dafür tun, daß wenigstens dieser Mißstand bald beseitigt wird. Das geht eben nur über klare Kompetenzverteilungen.
Daneben habe ich in der vergangenen Woche eine Frage angeschnitten, die hier noch einmal aufgegriffen werden muß, insbesondere deshalb, weil sich der Kollege Pfeifer hier, wie ich meine, unzutreffend geäußert hat. Die Frage war: Wie sollen Studienplätze da vergeben werden, wo Engpässe bestehen? Der Regierungsentwurf nimmt eine Drittelung vor: Notenschnitt, Wartezeit und soziale Aspekte. Die beiden letzteren sind voll vertretbar, insbesondere die Koppelung der Wartezeit mit einer dem gewünschten Studium verwandten Berufstätigkeit. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Minister diese neue Perspektive eingebracht hat.
Die Verteilung der Studienplätze nach Notenschnitten erscheint allerdings äußerst fragwürdig. Ich muß noch einmal das aufgreifen, was der Bundesminister hier schon gesagt hat. Nicht nur, daß jeder weiß auch Sie, Herr Pfeifer, wissen es ja , wie sehr von Lehrer zu Lehrer, von Schule zu Schule und von Land zu Land die Leistungsanforderungen und Beurteilungen mit Noten differieren — nein, jedermann ist auch bewußt, wie wenig der Notenschnitt über die Qualifikation zum Studium bestimmter Fächer aussagt. Wer von Ihnen kann denn die Frage schlüssig beantworten, welche
Durchschnittsnote et was über die Qualifikation eines künftigen Arztes, Lehrers oder Juristen aussagt? Eine überzeugende Antwort darauf habe ich nicht gehört.
Darüber hinaus führt dieses Verfahren in der Tat zu einem unerträglichen und dem Ziel kritikfähiger Bildung abträglichen Leistungsdruck, der zur Aneignung reinen Paukwissens zwingt. Bei der Setzung der Abiturnoten bringt es darüber hinaus die Lehrer in schwere Konfliktsituationen. Es entsteht ein Klima, das rezeptives Aufnehmen geratener erscheinen läßt als kritisches Lernen, ein Klima, das ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern nicht begünstigt. Professor Roellecke, der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, hat am Montag in der „Frankfurter Rundschau" in einer sehr kritischen Stellungnahme zum Hochschulrahmengesetzentwurf im Hinblick auf dieses Thema Leistungsdruck formuliert — ich möchte das hier aufnehmen :
Ich bin der letzte, der etwas gegen das Leistungsprinzip hat. Aber ich habe sehr viel dagegen, daß das Leistungsprinzip so unmittelbar auf das platteste Nützlichkeitsdenken bezogen wird, daß der primitivste Egoismus legalisiert wird, daß Kategorien wie Wahrheit, Sportlichkeit und Dienst an der Sache keine Rolle mehr spielen.
Aufbauend auf dieser Überlegung plädiere ich dafür, daß wir in der weiteren Beratung des Gesetzes einen Weg suchen, der dieser Problematik gerecht wird.
Zum Abschluß meiner Überlegungen zu diesem Punkt möchte ich anmerken, daß wir uns für die Streichung des Schulgutachtens einsetzen werden, da dieses nicht nur eine Überforderung der Schule darstellt, sondern eher noch unsachgemäßen Kriterien Tür und Tor öffnet.
Fünftens: Mitgliedschaft und Mitwirkung, die Mitbestimmung in den Hochschulen. Die nach demokratischen Prinzipien sich vollziehende Mitwirkung aller Hochschulangehörigen an den ihren Arbeitsbereich betreffenden Entscheidungsprozessen ist .das zweite zentrale Anliegen dieses Gesetzes. „Wir können nicht zulassen, daß sich in unserem demokratischen Staatswesen Bereiche bilden, in denen dessen Prinzipien außer Kraft gesetzt werden", erklärte der Kollege Dregger zum Thema Hochschulreform, als sich sein segensreiches Wirken noch im hessischen Landtag vollzog.
Wir Freien Demokraten stimmen dem voll zu, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, von dem ich hier spreche.
Die Freien Demokraten, Herr Kollege Pfeifer, sind in dem von mir bereits erwähnten Gesetzentwurf von 1968 in der Tat von einer nahezu durchgängigen Drittelparität ausgegangen. In unserem Programm heißt es jetzt:
Die Vertreter der Mitgliedsgruppen wirken an
allen Entscheidungen der Fach- und Gesamtgremien gleichberechtigt mit. Dabei können die
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Gremien verschiedener Ebenen je nach ihrer Aufgabe verschieden zusammengesetzt sein. Wahl und Funktionsausübung dieser Gremien vollziehen sich nach den Regeln der parlamentarischen Demokratie.
Die FDP wäre dementsprechend sicherlich bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfs für die Drittelparität in den meisten Organen eingetreten, wenn dieser Weg nicht durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum niedersächsischen Vorschaltgesetz unmöglich gemacht worden wäre. Wir respektieren dieses Urteil, wir halten uns daran. Dennoch möchte ich deutlich machen, wie problematisch uns die Konsequenzen erscheinen. Ich halte auch nichts davon, hier jetzt einen Gedanken so schlankweg zu verteufeln, der lange Zeit sehr ernsthaft diskutiert worden ist und in dessen Zeichen sehr viele Mitglieder der Hochschulen sehr ernsthafte Arbeit geleistet haben.
Gestatten Sie mir bitte eine persönliche Zwischenbemerkung. Ich selbst habe zu einem Zeitpunkt als AStA-Vorsitzender gearbeitet, als Studenten in den Hochschulgremien nur Gäste sein konnten. Ich habe den längeren Weg von diesem Nullpunkt bis hin zur vollen Drittelparität mitgemacht, und zwar in Münster. Diese Drittelparität hat funktioniert, und zwar nicht nur so, daß die Hochschule sehr wohl weiterhin ihren Aufgaben nachkam, nein, sie erfüllte zusätzlich auch die wesentliche Aufgabe, die Erörterung und Entscheidungsfindung über alle relevanten Fragen in die Arbeit der Hochschulgremien zu integrieren. Da alle Gruppen an der Entscheidungsfindung gleichberechtigt beteiligt waren, gab es auch nicht den bei eindeutigen Unterparitäten eher verständlichen Versuch, Entscheidungen dieser Gremien auf Nebenkriegsschauplätzen zu revidieren oder außer Kraft zu setzen.
Der Senat der Hochschule in Münster, dem nun wahrlich nicht nur Linke oder gar Linksradikale, sondern, wie man manchmal fast annehmen möchte, eher mehr zur anderen Richtung tendierende Mitglieder angehören, hat unter dem Eindruck dieser positiven Entwicklung, an der Rechte wie Linke, Bund Freiheit der Wissenschaft wie Bund demokratischer Wissenschaftler, RCDS wie Spartakus ihren Anteil hatten, folgende Stellungnahme zu den Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts abgegeben. Ich darf noch einmal zitieren, weil mir dieses wesentlich erscheint:
Die PH Westfalen-Lippe hat während der vergangenen drei Jahre im Rahmen ihrer demokratischen Verfassung konstruktive Arbeit in Forschung nud Lehre geleistet. Die drittelparitätische Zusammensetzung ihrer Selbstverwaltungsgremien förderte eine rationelle und sachlich geführte Auseinandersetzung in allen wesentlichen Fragen. Die gleichberechtigte Mitarbeit der Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Beteiligung der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter in allen Angelegenheiten haben das Verantwortungsbewußtsein der Mitglieder der Hochschule für deren Aufgaben und Probleme erheblich gesteigert. Die PH Westfalen-Lippe ist in ihrer hochschulpolitischen und wissenschaftlichen Praxis von den Regelungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zentral betroffen. Der Senat bedauert diese durch das rechtsverbindliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts unabwendbare Entwicklung. Er befürchtet, daß die Reduzierung der Mitbestimmungsrechte von wissenschaftlichen Mitarbeitern, Studenten und nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern die Hochschulreform erschwert und zu einer Polarisierung führt, die bislang — nicht zuletzt auf Grund der geltenden Paritätenregelung — vermieden werden konnte.
Ich teile diese Auffassung und füge hinzu, daß mir persönlich die Argumentation des Minderheitenvotums des Bundesverfassungsgerichts schlüssiger erscheint. Ich weiß, Herr Kollege Klein, daß es unterschiedliche Entwicklungen an unterschiedlichen Hochschulen gegeben hat. Wenn man das weiß, ist es aber, wie ich glaube, nicht sehr sinnvoll, für jene unterschiedlichen Entwicklungen diese Regelung verantwortlich zu machen, denn ich mache ja diese Regelung auch nicht dafür verantwortlich, daß die Hochschule, die ich zitiert habe, so positive Entwicklungen durchgemacht hat.
Nun, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Mitbestimmung ist ein Rahmengesetz, von dem die Paritätenregelung eindeutig auszugehen hat. Wir setzen uns für die völlige Ausschöpfung der Möglichkeiten ein, die uns das Urteil läßt. Deshalb werden wir wiederum im Gang des Gesetzgebungsverfahrens festzulegen haben, ob hierfür die vorgeschlagene Regelung des vorliegenden Entwurfs, eine Modifizierung dieses Entwurfs oder aber doch die Fixierung einer drittelparitätischen Regelung mit Entscheidungsquoren analog den Festlegungen des Urteils besser geeignet ist. In dieser Frage nehmen wir eine Festlegung erst vor, wenn das Anhörungsverfahren zu Beginn des nächsten Jahres gelaufen ist.
Lassen Sie mich allerdings darauf hinweisen, daß unseres Erachtens Hochschulgremien durchweg öffentlich tagen sollten,
um jedem Hochschulangehörigen die Möglichkeit zu geben, sich über Entscheidungsprozesse und über die Arbeit der gewählten Vertreter zu informieren.
— Ja, Herr Kollege Probst, Sie sagen jetzt: Spartakus und der KSV müssen dazukommen. Der Minister hat in dankenswerter Klarheit zum KSV Stellung genommen. Ich hatte nicht vor, das hier zum Gegenstand der Erörterung zu machen. Aber jetzt muß ich es einfach mal tun. Ich halte es für einen bedauerlichen Vorgang, daß Sie als Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft sich weigern, einen Mehrheitsbeschluß dieses Ausschusses durchzuführen, der besagt, daß wir schriftliche Unterlagen und Stellungnahmen aller im Hochschulbereich tätigen Organisationen anfordern wollten. Dazu zählen in der Tat nach unserer Auffassung
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auch der Verband der Deutschen Studentenschaften, der SHB und der Spartakus, und von den dreien war hier die Rede. Ich kann mich inhaltlich ganz anders von diesen Gruppen absetzen, als Sie es durch diese organisatorische Maßnahmen für nötig halten. Ihr Demokratieverständnis jedenfalls ist in einem sehr eigentümlichen Licht, wenn ich das dazu sagen darf.