Rede von
Anton
Pfeifer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, der Sinn einer ersten Lesung ist der, deutlich zu machen, wie wenig ein solches Gesetz in eine solche Landschaft paßt.
Meine Damen und Herren, wir werden nur einem Hochschulrahmengesetz zustimmen können, das die-
sen Kultusministern die Fortsetzung ihrer Politik erlaubt, das Sicherung von Freiheit und Leistung in den Mittelpunkt stellt. Wir werden nur einem Hochschulrechtsrahmengesetz zustimmen können, das in Berlin, Bremen, Hessen und Niedersachsen zur Umkehr in den schwerwiegendsten Fehlentwicklungen führt. Wir werden keinem Hochschulrechtsrahmengesetz zustimmen, das uns die Verhältnisse von Berlin, Bremen, Niedersachsen und Hessen auch noch in Mainz, Freiburg, München, Kiel oder Saarbrücken beschert.
Meine Damen und Herren, ich habe mir beim Formulieren dieser Passagen überlegt, ob eine solche Position nicht letztlich zur Ablehnung dieses Gesetzentwurfes durch die CDU/CSU-Fraktion führen muß. Ich sage das ganz klar: Wir wollen ein Hochschulrechtsrahmengesetz, das unseren Grundsätzen von Freiheit, Leistung, Qualität und Verantwortung entspricht. Dies ist der Maßstab für unsere Zustimmung oder Ablehnung, und dies bedeutet, daß die verfehlten Grundsätze sozialdemokratischer Hochschulpolitik, deren Auswirkungen wir konkret täglich in Berlin, Bremen, Marburg und anderswo erleben, durch dieses Gesetz nicht auf die gesamte Bundesrepublik ausgedehnt werden dürfen.
Sosehr wir ein Scheitern bedauern würden, es würde sich dann eben weiterhin eine unterschiedliche Entwicklung an den Hochschulen der einzelnen Länder fortsetzen. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, daß sich dabei die Hochschulentwicklung in den von der CDU/CSU regierten Bundesländern durch mehr Leistung und mehr Freiheit auszeichnen wird.
Diese unterschiedliche Entwicklung in den einzelnen Ländern wäre jedenfalls eher zu ertragen. Nicht zu ertragen wäre, wenn über dieses Gesetz die Grundsätze einiger sozialdemokratischer Hochschulgesetze in der gesamten Bundesrepublik verbindlich würden.
Ich glaube aber gar nicht, daß diese Positionsbeschreibung, die ich eben dargestellt habe, zum Scheitern dieses Gesetzes führen muß. Denn dieser Gesetzentwurf signalisiert — und das möchte ich anerkennen — doch zum Teil selbst das Desaster der Hochschulgesetze von Bremen, Berlin, Hessen und Niedersachsen. Wenn ich beispielsweise die vorgeschlagenen Bestimmungen zur Studienreform und zur Studienzeitverkürzung in den Hochschulprogrammen der SPD und in den Hochschulgesetzen der eben genannten Länder mit dem vergleiche, was jetzt im Regierungsentwurf für das Hochschulrechtsrahmengesetz steht, dann bin ich von einem überzeugt: hätte die SPD einige dieser Grundzüge dieses Entwurfs bereits früher zum Ausgangspunkt ihrer Hochschulpolitik genommen, ein Teil des Schadens, den die Hochschulen genommen haben und der wahrscheinlich nur schwer wiedergutzumachen sein wird, hätte vermieden werden können. Diese Umkehr, Herr Minister, begrüßen wir. Die Umkehr darf aber nicht auf halbem Wege haltmachen. Deshalb sind Korrekturen dieses Gesetzentwurfes notwendig.
4442 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1973
Pfeifer
Nun versucht der Bundeswissenschaftsminister, uns und der Öffentlichkeit diesen Gesetzentwurf besonders mit dem Hinweis darauf schmackhaft zu machen, daß die mit ihm initiierte Studienreform eine Grundvoraussetzung zur Beseitigung des Numerus clausus sei. Lassen Sie mich hierzu eine Bemerkung vorweg machen. Wir sind mit Ihnen einer Meinung, daß neben der Reform der Personalstruktur die Studienreform das wichtigste Anliegen dieses Gesetzentwurfes ist und daß dazu auch eine Verkürzung überlanger Studienzeiten gehört. Es ist in der Tat unerträglich, wenn Studenten durch überlanges Besetzen von Studienplätzen einen Studienplatz denen nehmen, die vor den Hochschulen auf einen Studienplatz heute .labre warten müssen. Aber was den Zusammenhang von Studienreform und Numerus clausus angeht, muß ich doch vor einem warnen, nämlich davor, daß wir allein mit der Studienreform den Abbau des Numerus clausus versprechen, oder davor -- wie es der Herr Minister bei einer Pressekonferenz einmal getan hat —, daß diese Studienreform und dieses Hochschulrechtsrahmengesetz gar zum Allheilmittel gegen den Numerus clausus hochstilisiert werden.
Wir haben absoluten Numerus clausus in den Fächern Architektur, Biochemie, Biologie, Chemie, Lebensmittelchemie, Medizin, Pharmazie, Psychologie, Tiermedizin und Zahnmedizin. Sagen Sie mir von diesen genannten Fächern - abgesehen von Psychologie — ein einziges Fach, in welchem die Studienreform in den letzten Jahren versäumt worden wäre und in welchem es nicht so etwas wie eine Regelstudienzeit gibt! Trotz dieser positiven Ergebnisse der Studienreform hat sich wegen der zunehmenden Zahl der Bewerber in allen diesen Fächern der Numerus clausus von Jahr zu Jahr verschärft. Dies zeigt, daß die Studienreform in gewissen Grenzen dazu beitragen kann, daß sich der Numerus clausus nicht weiter verschärft. Aber die vorn Wissenschaftsminister angekündigte Wunderwaffe gegen den Numerus clausus ist sie nicht. Zur Minderung des Numerus clausus sind meines Erachtens andere Maßnahmen erforderlich. Wir haben sie am letzten Donnerstag genannt. Sie haben unseren Antrag leider abgelehnt. Ohne dies alles noch einmal wiederholen zu wollen, möchte ich doch auf zwei Punkte besonders hinweisen. Für mich gehört zu den entscheidendsten Ursachen des Numerus clausus nicht die Expansion im Sekundarschulbereich und die damit zusammenhängende Steigerung der Abiturientenquoten. Diese halte ich nach wie vor für notwendig und gerechtfertigt. Aber entscheidende Ursache für den Numerus clausus war und ist, daß diese Expansion im Sekundarbereich fast ausschließlich, nämlich zu 95 %, auf die Spitze der Bildungspyramide, auf die Universitäten zugeleitet wird, statt, wie es in anderen europäischen Ländern der Fall ist, den Abiturienten attraktive Berufswege neben dem Hochschulstudium und vor allem ein breites Angebot kürzerer und praxisorientierter Studiengänge im Fachhochschulbereich anzubieten.
Das Fachhochschulstudium ist für Absolventen der
Sekundarstufe II einfach nicht attraktiv, solange
beispielsweise Besoldungsstrukturen immer wieder zementiert werden, welche dem Absolventen der Fachhochschule in einem langen Berufsweg allenfalls einen Aufstieg in die Besoldungsgruppe erlauben, in welcher der Universitätsstudent nach dem Studium überhaupt erst beginnt, und dies, obwohl sich beispielsweise heute schon in vielen Ingenieurbereichen die Funktion und der Verantwortungsbereich des Fachhochschulingenieurs in nichts mehr von der Funktion und dem Verantwortungsbereich des Diplomingenieurs unterscheiden. -- Diese Bundesregierung trägt die Verantwortung für die Verschärfung des Numerus clausus nicht zuletzt deshalb, weil sie sich seit Jahren als absolut unwillig in der Entwicklung moderner, dem Fortschritt der Bildungsreform angepaßter Berufs- und Besoldungsstrukturen erwiesen hat.
Meine Damen und Herren, die Parole in diesem Gesetzentwurf heißt statt Durchlässigkeit im Beruf Durchlässigkeit im Studium durch integrierte Studiengänge, mit dem Ergebnis, daß sich nur noch mehr Bewerber um die wenigen Plätze an der Spitze der Bildungspyramide streiten werden. Solange Sie, wie in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen, die Durchlässigkeit über integrierte Studiengänge forcieren und gleichzeitig die bestehenden Berufs- und Besoldungsstrukturen zementieren, so lange trägt dieser Hochschulrechtsrahmengesetzentwurf nicht zur Minderung, sondern zur Zementierung des Numerus clausus und zur Etablierung eines neuen Numerus clausus innerhalb der integrierten Gesamthochschulen bei.
Eine zweite Ursache für den Numerus clausus nachdem Sie, Herr Minister, hier darauf eingegangen sind, muli ich es doch etwas ausführlicher machen, als ich es ursprünglich vorgehabt hatte und für andere Erscheinungen der gegenwärtigen Hochschulmisere sehe ich darin, daß mit dem Ausbau der bestehenden Hochschulen zu Mammutgebilden von 15 000, 20 000 oder 25 000 Studenten diese immer unüberschaubarer, immer mehr zu reformunfähigen „Sauriern" geworden sind. Während in Frankreich die Sorbonne in 13 Teiluniversitäten geteilt worden ist, während man sich in England, Skandinavien und anderswo bemüht hat, Universitäten möglichst nicht über 8 000 bis 12 000 Studenten anwachsen zu lassen, und, statt bestehende Universitäten auszubauen, lieber neue Universitäten gegründet hat, entstanden bei uns riesige Universitäten, in denen mehr als ein Student dem Hochschullehrer, der ihn prüft, zum erstenmal in der Prüfung in einem Gespräch direkt gegenübersitzt und in denen man mit der Errichtung von Parallellehrstühlen unter Etablierung eines neuen Mittelbaus den in der Lehre dargebotenen Lehrstoff erheblich ausgeweitet und dadurch die Studienzeiten verlängert hat.
Statt hier konsequent gegenzusteuern, legt die Bundesregierung jetzt einen Gesetzentwurf vor, der noch größeren, noch weniger überschaubaren und noch unbeweglicheren Hochschulorganismen das Wort redet; denn die integrierten Gesamthochschulen sind doch im Grunde genommen nur noch gigan-
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tischere, aber sicher nicht effizientere Bildungseinrichtungen.
----- Wir reden hier nicht über Zwergschulen, sondern wir reden über Modelle, die sich in Frankreich, England und anderen europäischen Ländern bewährt haben.
Meine Damen und Herren, dies alles zeigt: die Regelstudienzeit dieses Gesetzentwurfs ist nur eine und dazu nicht einmal die wichtigste Maßnahme zur Minderung des Numerus clausus. Dennoch teilen wir das Anliegen der Bundesregierung, durch die Studienreform eine kürzere Studienzeit zu erreichen. Uns ist dabei wesentlich, daß die jungen Menschen früher aus dem Studium heraus in den Beruf finden, damit sich nicht zunehmend mehr junge Menschen in unserem Land mit einem wesentlichen Teil ihres kreativen Lebensabschnitts im Studium verzetteln oder verlieren. Wir wünschen, daß der kreative Lebensabschnitt des 25- bis 35jährigen Akademikers wieder verbunden wird mit dem Hineinwachsen in die Verantwortung des Berufs, in die Verantwortung für den Staat und die Gesellschaft und damit der Selbstverwirklichung seines eigenverantwortlichen, individuellen Lebensweges nutzbar wird.
Dies ist der Grund, warum wir für kürzere Studienzeiten sind.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß des Kapitels Regelstudienzeit noch einen Appell an die Bundesregierung richten; denn der Beschluß, den die Bundesregierung gestern zum Bundesausbildungsförderungsgesetz gefaßt hat, ist völlig inakzeptabel. Ich halte es für unmöglich, wenn die Bundesregierung auf der einen Seite der Verkürzung des Studiums über Regelstudienzeiten das Wort redet und auf der anderen Seite durch die Verweigerung der Anpassung der Ausbildungsförderung an die inflationäre Entwicklung täglich mehr Studenten zur Ferienarbeit zwingt. Heute sind es bereits fast 50 °/o der Studenten. Solange die Bundesregierung ihrer sozialen Verantwortung gegenüber den Studenten so wenig gerecht wird, wie dies im Augenblick der Fall ist, so lange ist der Wille zur Studienzeitverkürzung wenig glaubwürdig. Ich appelliere deshalb an die Bundesregierung, die Ausbildungsförderung endlich der inflationären Entwicklung anzupassen und nicht Regelstudienzeiten einführen zu wollen, ohne gleichzeitig den Studenten die sozialen Voraussetzungen für ein geregeltes Studium zu erhalten bzw. wieder zu verschaffen.
Im übrigen halten wir die Regelung des Entwurfs über die Berufung und Zusammensetzung der Studienreformkommission für unbefriedigend. Mein Kollege Dr. Schäuble wird zur Studienreform noch einiges hinzufügen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung stellt die Studienreform seit Monaten als Kernstück ihres Gesetzentwurfes heraus. Dies bestärkt uns in unserem Eindruck, daß dieser Entwurf in erster Linie aus den Belangen der Lehre heraus formuliert worden ist und daß er die Belange der Forschung zuwenig im Auge behalten hat. Wir meinen demgegenüber, daß gerade die Belange der Forschung wieder in den Vordergrund der Hochschulgesetzgebung treten müssen, zumal die Qualität der Lehre immer durch die Qualität der Forschung bestimmt wird und nicht umgekehrt. Qualität der Forschung und damit Qualität der Lehre setzen aber in erster Linie Erhaltung von Leistung, Wettbewerb und Konkurrenz in den Hochschulen voraus. Wo Leistung, Konkurrenz und Wettbewerb an den Hochschulen abgebaut werden, wird Mittelmaß zum dominierenden Moment der Hochschulentwicklung. Mittelmaß können wir uns in Deutschland aber unter keinen Umständen leisten, zumal man sich überall in Europa und in der Welt — ich verweise hier ganz bewußt auf Osteuropa jede nur erdenkliche Mühe gibt, um das Leistungsniveau der Hochschulen zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf hat an vielen Stellen den Abbau von Leistung, Konkurrenz und Wettbewerb zum Inhalt. Würde er Gesetz, so wären Niveauminderung und Niveauverlust die Folge. Dies ist ein harter Vorwurf, den ich in vier Punkten begründen will.
Erstens. Nach diesem Entwurf soll künftig nur noch ein Drittel der Studienplätze auf Grund der Leistung in der Sekundarstufe vergeben werden, zwei Drittel dagegen nach anderen Kriterien wie Wartezeit oder soziale Stellung des Elternhauses. Bei aller Berechtigung der Diskussion über die Relation von Abiturnoten und Studienerfolg eine solche Abwertung des Abiturs und der in der Sekundarstufe erbrachten Leistungen werden wir nicht mitmachen.
Dies steht im übrigen auch in eindeutigem Gegensatz zu dem von der Bundesregierung nach Verabschiedung des Hochschulrechtsrahmengesetzes unterschriebenen Inhalt des Bildungsgesamtplans.