Rede von
Prof. Dr.
Peter
Glotz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Kollegen, die sich in den letzten Jahren in diesem Haus um Filmgesetze gekümmert haben, gleichgültig von welcher Fraktion, standen vor der gleichen Schwierigkeit, die auch der Berichterstatter, Herr Schmidhuber, mit dem Begriff „Graue Zone zwischen Film und Kultur" hervorgehoben hat. Mir hat im Wirtschaftsausschuß, als wir diskutierten — zwei Stunden, drei Stunden — einer der Kollegen so dazwischen gesagt: Die Zeit, die Ihr zum Film braucht, — da steuern wir eine ganze Konjunktur! Das zeigt das Interesse, auf das — wie ich sogar gut verstehe — das Thema Film bei den Fachleuten etwa im Wirtschaftsausschuß treffen muß. Das zeigt auch unsere Kompetenzprobleme, die wir alle miteinander haben, wenn wir ein solches Filmgesetz machen; das Interesse ist gering.
Trotzdem sollte man in diesem Haus jetzt in der dritten Beratung darauf hinweisen: Film ist — wie Fernsehen, wie Literatur — eines der Medien, in denen sich Gesellschaft ausdrückt, in denen sich diese deutsche Gesellschaft ausdrücken sollte und mit denen auch auf diese Gesellschaft eingewirkt wird. Wir sollten nicht zulassen, daß dieses Medium durch unsere Schuld, vielleicht durch ein falsches Förderungssystem, statt der deutschen Wirklichkeit nichts anderes als eskapistische Tagträume, nichts anderes als das Profitinteresse der jeweiligen Produzenten oder nichts anderes als einen heruntergekommenen Begriff von Unterhaltung spiegelt.. Das dürfen wir nicht zulassen.
Dabei anerkennen wir: dies ist ein Wirtschaftsgesetz, mit diesem Instrumentarium müssen wir jetzt noch arbeiten. Wir sollten künftig unsere Filmpolitik aber auf zwei Beine stellen, sollten also gemeinsam versuchen, die Länder dazu zu gewinnen -- worauf der Kollege Haase hingewiesen hat —, nun auch eine kulturelle Filmförderung einzuleiten.
Lassen Sie mich nur zwei Feststellungen dazu treffen. Die erste: nicht nur durch die Länder, sondern auch durch die Kommunen insgesamt werden über 600 Millionen Mark im Jahr an Theatersubventionen ausgegeben. Das, was von allen Seiten für den Film ausgegeben wird, ist, verglichen damit, beschämend gering.
Eine zweite Feststellung. Manchmal hatten wir in den Gesprächen mit den Ländern — wahrscheinlich über die Fraktionen hinweg — den Eindruck, daß die Länder zwar auf ihre kulturellen Kompetenzen pochen, wenn es um den Film geht, daß sie aber, wenn man ihnen sagt: ihr habt die Kompetenzen, nun macht etwas damit, fördert den Film!, erwidern: das wollen wir nicht!, oder: das können wir nicht! — Auch das sollte nicht ewig so bleiben.
Wir sollten also gemeinsam versuchen, die Länder dazu zu bewegen, sozusagen ein zweites „Bein' für die Filmförderung zu schaffen und im Laufe der nächsten fünf Jahre, in denen dieses Wirtschaftsgesetz noch gilt, dafür zu sorgen, daß neben die wirtschaftliche Förderung, die ruhig beibehalten werden kann, eine kulturelle Förderung gesetzt wird. Nur dann haben wir eine international vergleichbare Förderung in Italien und in Frankreich wird viel mehr gefördert als bei uns —, und nur dann können wir wieder einen international wirklich konkurrenzfähigen deutschen Film bekommen, was wir uns sicherlich alle wünschen.
Ich stelle noch einmal nachdrücklich fest, Herr Kollege Wohlrabe -- Sie werden ja gleich für Ihre Fraktion sprechen —: die Projektförderung ist für uns eine wirtschaftliche Frage und nicht ein kulturelles Instrument in einem wirtschaftlichen Instrumentarium. Das, was wir hier an Projektförderung treiben, ist wirtschaftliche Projektförderung. Aus diesem Grunde sehen wir verfassungsrechtliche Bedenken oder rechtliche Bedenken überhaupt, wie sie Herr Kollege Waigel vorgetragen hat, nicht.
Allerdings begrüßen wir — das sage ich deutlich — dieses Instrument, weil es uns die Möglichkeit gibt, gezielt und überlegt zu fördern und nicht nur mit der großen Gießkanne der automatischen Grundförderung Geld über diejenigen Filme auszugießen, die einen bestimmten Kassenerfolg gehabt haben. Die Rechnung, Herr Kollege Wohlrabe, die manch einer aufgemacht hat und die da lautete: die 5 Millionen DM, die wir in die Projektförderung stecken wollen, müssen wir eben vom Fernsehen bekommen; alles Geld, das aus den Kinokassen kommt, muß in den großen Topf der Grundförderung
nach dem Kassenerfolg fließen!, haben der Bundes-
4388 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1973
Dr. Glotz
tag und auch diese Bundesregierung nie mitgemacht, und daran wollen wir uns auch künftig nicht beteiligen. Das, was ich immer wieder von der Filmindustrie gehört habe, nämlich wir müßten die Besitzstandswahrung gewährleisten, hat mich ein wenig skeptisch gemacht.
Ich bin damit einverstanden, meine Damen und Herren, wenn wir miteinander versuchen — wir haben es schon versucht —, weil es sich um Geld, um eine parafiskalische Abgabe aus der Filmwirtschaft handelt, uns mit ihr so weit wie möglich zu einigen. Alle Fraktionen sollten aber auch feststellen, daß wir nicht die Urkundsbeamten der Filmwirtschaft und nicht gezwungen sind, in einem solchen Gesetz jeden Wunsch jedes kleinen Verbandes zu erfüllen. Das sollte auch einmal gesagt werden.
— Das gilt für diesen genauso wie für irgend jemand anders.
— Soll ich einmal fragen, wer Sie maßgeblich beeinflußt hat, Herr Wohlrabe?
— Ich will Ihnen nur folgendes sagen. Was mich — und vielleicht auch Sie — erstaunt hat, ist die Tatsache, daß diese kleine Industrie — es handelt sich dabei ja wirklich nicht um eine potente, starke Industrie, sondern um eine international bedeutungslose Industrie — eine ungeheuer mächtige Lobby auf allen Seiten entfalten konnte, um dieses Gesetz nach ihren Maßstäben zu reglementieren. Das war verwunderlich und manchmal einer Kritik würdig.
Jetzt noch ein paar Sätze zu der Frage, warum wir den Verwaltungsrat in dieser Weise geändert haben. Lassen Sie mich einen Satz aus einer Protestschrift zitieren, die uns erst gestern noch einer der Verbände auf den Tisch gelegt hat, nämlich der Kinobesitzerverband oder ein Teil desselben; der Präsident dieses Verbandes hat diese Petition jedenfalls nicht unterschrieben, sondern nur sein Stellvertreter.
— Ja, Herr Kollege Zimmermann, das ist wieder einmal eine echte Begründung!
— Dann muß man den Verband fragen, warum er den Präsidenten gewählt hat, Herr Kollege Zimmermann. Das ist doch nicht das Problem des Bundestages! Ich stelle nur fest, daß es offensichtlich auch in diesem Verband Streit darüber gibt; denn sein
Präsident, der ihn bisher immer vertreten hat, hat diese Petition nicht unterschrieben.
Das ist eine Tatsache, an der auch Sie nicht vorbeikommen, Herr Zimmermann.
Jetzt möchte ich Ihnen einen Satz aus dieser wunderbaren Petition, die Sie so sehr verteidigen, Herr Zimmermann, vorlesen. Dieser Satz lautet, daß das jetzige Gesetz die Förderung von Filmen befürchten läßt — jetzt zitiere ich wörtlich —, „die weitgehend am Geschmack elitärer und politisch engagierter Cineasten orientiert ist". Wenn ein Kinobesitzerverband gegen eine elitäre Haltung argumentiert — nun gut! Herr Kollege Benz, wir sollten allerdings die Resolution eines Kinobesitzerverbandes, in der der Begriff „politisch engagiert" so gewertet wird, wie es hier geschieht, in der also einer, der Filme macht und dabei politisch engagiert ist, negativ gewertet wird, gemeinsam ablehnen. Ich glaube, daß Sie von der Opposition doch ebenso wie wir von SPD und FDP, daß also wir alle darauf angewiesen sind, daß draußen in dieser Gesellschaft politisches Engagement vorhanden ist. Wir sollten den Verbänden raten, sich keine Ghostwriter anzuschaffen,
die politisches Engagement als etwas Negatives betrachten.
Nun noch ein paar Bemerkungen zu dem, was der Herr Kollege Wohlrabe zu diesem Thema schon vorweg veröffentlicht hat. Ich gehe dabei auf die kleinen Bosheiten von Ihnen, Herr Wohlrabe, nicht ein. Aber ich habe auch gar nichts gegen diese Bosheiten, denn dann kann man immer schön Gegenbosheiten äußern. Herr Kollege Wohlrabe, Sie schreiben am Anfang Ihrer Presseerklärung den schönen Satz:
Wer bisher annahm, Film habe
— jetzt kommt eine Begriffskette von Ihnen —
etwas mit Erbauung, Entspannung, Harmonie und Unterhaltung zu tun, der wurde eines Besseren belehrt.
Herr Kollege Zimmermann, ich habe nie daran gezweifelt, daß Sie als Konservativer Harmonie automatisch und a priori für etwas Gutes halten. Wir allerdings halten auch vom Konflikt etwas. Davon sollten Sie auch etwas halten. Wir treiben hier gerade Konflikt, der eingeplant ist und den wir doch offensichtlich alle wünschen.
— Aber Herr Kollege Zimmermann, das sollten Sie nach dem, was der Herr Strauß in Oberbayern und Fürstenfeldbruck leistet, doch wirklich nicht uns entgegenhalten.
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Wenn wir einen Parteivorsitzenden hätten, der seine eigenen Minister so fertigmacht, wie das Herr Strauß bei der CSU tut, würden wir uns schön umgucken.
Lassen Sie mich zum Film und auf die vier Begriffe, auf die Sie, Herr Wohlrabe, Ihre Kritik aufbauen, zurückkommen. Ich will diese Begriffe gar nicht von vornherein negativ bewerten. Auch das, was diese Begriffe umschreiben, ist etwas, was im Film zum Ausdruck kommen soll: Erbauung, Harmonie usw. Herr Kollege Wohlrabe, man könnte allerdings genauso sagen: Film sollte beispielsweise etwas mit Konflikt zu tun haben, vor allem aber mit Realität, mit Kritik, vielleicht sogar mit Katharsis. Auch das wäre denkbar. Ich warne davor, die Beurteilung von Filmen ausschließlich von den vier Begriffen, den Erbauungs- und Harmoniebegriffen, die Herr Wohlrabe in seiner Presseerklärung zitiert hat, abhängig zu machen.
Ich sage: Selbstverständlich ist Unterhaltung legitim, und auch dieses Filmförderungsgesetz muß unterhaltende Filme fördern. Ich füge allerdings hinzu, Herr Kollege Wohlrabe: Es gibt Unterhaltung, die Entspannung und Anregung bietet, ohne von den wirklichen Problemen abzulenken. Wir wollen keine Filme machen, in die man den Arbeitnehmer abschiebt, damit er in zwei Stunden billiger Illusion möglicherweise vergißt, was ihm in seinem Leben widerfährt, was er an einem möglicherweise unzureichenden Arbeitsplatz erlebt. Diese Art von Illusionsfilmen wollen wir nicht.
Vernünftige Unterhaltung ist deshalb gleichzeitig Erweiterung des Erfahrungshorizonts und Information. Dafür gibt es Beispiele: die Stummfilmgrotesken der 20er Jahre, der italienische Neorealismus und vieles andere. Ich sage: wir müssen ein Filmförderungsgesetz schaffen, das diesem Begriff von guter, vernünftiger Unterhaltung Rechnung trägt. Das ist unsere Aufgabe.
Deswegen glauben wir den Verwaltungsrat um einige wenige Leute ergänzen zu müssen. Wir glauben, daß die alte Besetzung des Verwaltungsrates, in dem sicher viele vernünftige und kompetente Leute sitzen, aber eben auch viele Interessenten,
diesem neuen Begriff von Film und Unterhaltung, wie ich ihn gerade dargestellt habe, nicht gerecht werden kann. Deswegen haben wir diesen Verwaltungsrat geändert, und deswegen war das auch notwendig.
Herr Kollege Wohlrabe, ein weiteres. Es gibt keine unpolitische Unterhaltung. Auch und gerade die billigste Klamotte, in der das Wort „Politik" überhaupt nicht vorkommt, macht Politik. Sie bestätigt konservative Gesellschaftsbilder. Deswegen
will Herr Wohlrabe den Verwaltungsrat nicht geändert haben. So ist es.
Das haben wir erkannt. Deswegen sind Ihre Scheinargumente gegen die Ergänzung des Verwaltungsrats von uns abgelehnt worden.