Rede:
ID0702602400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Leicht.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 26. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. April 1973 Inhalt: Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . 1219 A Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1973 (Haushaltsgesetz 1973) (Drucksache 7/250) in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1972 bis 1976 (Drucksache 7/370), mit Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973 (Druckache 7/419) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol (Drucksache 7/422) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Zweites Bundesbesoldungserhöhungsgesetz) (Drucksachen 7/411, 7/442) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes über die Sechzehnte Rentenanpassung und zur Regelung der weiteren Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache 7/427) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Fünftes Anpassungsgesetz — KOV) (Abg. Geisenhofer Dr. Althammer, Ziegler, Dr. Schulze-Vorberg, Dr. Riedl [München], Dr. Waigel, Maucher, Burger, Dr. Götz, Müller [Remscheid], Dr. Blüm und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache 7/315) — Erste Beratung —Strauß (CDU/CSU) . . . . . . . 1220 D Haehser (SPD) . . . . . . . . 1232 D Kirst (FDP) . . . . . . . . 1241 A Leicht (CDU/CSU) 1246 B Dr. von Bülow (SPD) 1252 B Gallus (FDP) . . . . . . . . 1254 B Hermsdorf, Parl. Staatssekretär (BMF) 1255 D Schmidt, Bundesminister (BMF) . . 1260 B Dr. Kreile (CDU/CSU) . . 1261 A Porzner, Parl. Staatssekretär (BMF) 1264 A Offergeld (SPD) 1265 C Dr. Vohrer (FDP) 1267 D Nächste Sitzung 1269 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 1271* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. April 1973 1219 26. Sitzung Bonn, den 4. April 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 15.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 7. 4. Adams * 7. 4. Dr. Aigner * 7. 4. Dr. Artzinger * 7. 4. Dr. Bangemann * 7. 4. Dr. Becher (Pullach) 6. 4. Behrendt * 7. 4. Blumenfeld 7. 4. Buchstaller 6. 4. Dr. Burgbacher * 4. 4. Buschfort 6. 4. Dr. Corterier * 7. 4. Frau Däubler-Gmelin 6. 4. Dr. Dregger ** 16. 4. Fellermaier * 8. 4. Flämig * 7. 4. Frehsee " 7. 4. Dr. Früh * L1. Früh 7. 4. Gerlach (Emsland) * 7. 4. Gewandt 7. 4. Härzschel * 7. 4. Hofmann 6. 4. Dr. Jaeger 6. 4. Dr. Jahn (Braunschweig) * 7. 4. Kahn-Ackermann ** 7. 4. Kater 30. 4. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Kirst 6. 4. Dr. Klepsch * 7. 4. Lange * 7. 4. Lautenschlager * 6. 4. Frau Dr. Lepsius 7. 4. Löffler 6. 4. Lücker * 7. 4. Dr. Martin 7. 4. Memmel * 7. 4. Mikat 6. 4. Müller (Mülheim) * 6. 4. Mursch (Soltau-Harburg) * 6. 4. Dr. Oldenstädt 6. 4. Frau Dr. Orth * 7. 4. Picard 7. 4. Richter ** 7. 4. Dr. Riedl (München) 18. 4. Ronneburger 4. 4. Frau Schleicher 6. 4. Schmidt (München) * 7. 4. Schmidt (Wattenscheid) 7. 4. Frau Schuchardt 8. 4. Dr. Schulz (Berlin) " 7. 4. Schwabe * 7. 4. Dr. Schwencke ** 7. 4. Dr. Schwörer * 7. 4. Seefeld * 8. 4. Spillecke 6. 4. Springorum * 7. 4. Dr. Starke (Franken) * 7. 4. Walkhoff * 7. 4. Frau Dr. Wex 6. 4. Frau Dr. Wolf ** 6. 4. Wrede 7. 4.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Victor Kirst


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Absicht, diese erste Lesung des Bundeshaushalts 1973 einmal zu grundsätzlichen Ausführungen über unsere Haushaltspolitik, über die Situation der Haushaltspolitik in diesem Lande und in diesem Hause zu benutzen — ich habe das neulich schon einmal angekündigt —, ist durch die Rede des Kollegen Strauß, wie ich sagen möchte, nur notwendiger geworden und durch die Ausführungen des Kollegen Haehser erleichtert worden, weil er vieles oder fast alles an positiver Betrachtung der beiden Vorlagen, über die wir hier ja wohl zunächst debattieren, verständlicherweise vorweggenommen hat. Ich werde mich also bis auf wenige abschließende Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Strauß heute einmal mit grundsätzlichen Überlegungen zur Situation der Haushaltspolitik befassen.
    Nur so viel noch vorweg: Der Kollege Strauß hat bemängelt, wenn ich das richtig verstanden habe, daß die sechs Tagesordnungspunkte, die auf der Tagesordnung dieser Woche stehen, in einer verbundenen Debatte behandelt werden. Er hat das nicht nur bemängelt, er hat das bedauert. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen, einmal die, daß er möglicherweise hier sechsmal diese Platte ablaufen lassen wollte,

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien)

    vielleicht nicht unbedingt immer in eigener Person. Es kann natürlich auch sein, daß es da Probleme des innerfraktionellen Ausgleichs gibt, die einen solchen Wunsch nahelegen.

    (Erneute Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Ich meine, ein Mann, der, wenn er hier oben steht, so viel wirtschaftliches Verständnis vorgibt, sollte auch etwas von der Arbeitsökonomie halten. Ich glaube, die Verbindung dieser Debatten ist doch als arbeitsökonomisch im Sinne unseres Hauses anzusehen.
    Ich würde gern anknüpfen — ohne das hier wiederholen zu wollen — an das, was ich gesagt habe, als ich zum erstenmal vor gut drei Jahren hier in einer ersten Lesung eines Haushaltsplanes sprach. Das, was ich damals über die Grenzen der Möglichkeiten einer antizyklischen Haushaltspolitik gesagt habe, hat sich durch die Erfahrungen der letzten drei Jahre mehr als bestätigt. Dabei müssen wir die Grenzen in doppelter Hinsicht sehen, nämlich die Grenzen der Wirkungen und die Grenzen der Möglichkeiten. Beides berührt sich zum Teil, beides überschneidet sich zum Teil.
    Lassen Sie mich diese begrenzten Möglichkeiten einmal an einem Gedankenspiel, an einer Modellrechnung — oder wie immer Sie es nennen wollen — verdeutlichen. Ich möchte dabei an ein sehr richtiges Wort anknüpfen, das der Kollege Strauß bei der Debatte über die Regierungserklärung gesagt hat, von dem nur in seiner heutigen Rede absolut nichts zu spüren war. Herr Strauß hat damals gesagt, als er sich, sozusagen prohibitiv, gegen beabsichtigte Steuererhöhungen wandte, das sei ja nun sicher keine Konjunkturpolitik, denn das sei konjunkturpolitisch nicht wirksam, es sei denn, man lege sie still, denn — und das ist der entscheidend wichtige Satz — Nachfrage sei Nachfrage, von wem immer sie ausgeübt werde, ob von privater Seite, ob von der Wirtschaft oder vom Staat. Ich glaube, das ist eine entscheidende Feststellung, die wir immer an die Spitze unserer Überlegungen über die Möglichkeiten und Grenzen einer antizyklischen Haushaltspolitik stellen müssen.
    Wenn wir uns nur gedanklich — ich bitte, das nicht falsch zu verstehen — einmal vorstellten, wir würden in der gegenwärtigen Situation die Steuern um 10 Milliarden DM erhöhen, dann hätten wir ein Haushaltsvolumen von 130 Milliarden DM zur Verfügung. Damit könnten wir sicher viele gute Sachen machen. Die private Nachfrage würde um 10 Milliarden DM geringer sein. Per Saldo würde die Gesamtnachfrage durch diese Transaktion überhaupt nicht beeinträchtigt.
    Umgekehrt: wenn wir uns einmal die Vorstellung leisten, wir würden die Steuern um 10 Milliarden DM senken, dann hätten wir ein Haushaltsvolumen von nur 110 Milliarden DM. Das würde nach Lage der Dinge überhaupt nicht ausreichen. Die private Nachfrage hätte 10 Milliarden DM mehr. Aber auch hier derselbe Effekt einer unveränderten Gesamtquantität der Nachfrage, und auf die kommt es konjunktur- und preispolitisch an. Diese beiden Operationen würden unter diesem Gesichtspunkt jeweils plus minus Null ausgehen.
    Ich sage das, um hier noch einmal den gewiß schwierigen Versuch zu unternehmen, aus den Debatten des Hauses über die Haushaltspolitik den „Zuwachsratenfetischismus", wie ich es vor kurzem hier bezeichnet habe, herauszubringen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Zumindest sollten wir uns von der rein quantitativen Betrachtung lösen, die haushaltspolitisch nur in die Wüste führen kann. Nicht die quantitative Betrachtung ist entscheidend, sondern die qualitative. Da liegt der entscheidende Punkt.
    Ich darf das hier wiederum an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn die Regierung im Rahmen des zitierten Prgramms z. B. den Satz für die Investitionszulagen von 10 % auf 7,5 % zu senken vorschlägt, dann schlägt dies, weil hier der bekannte Multiplikatoreffekt zum Ausdruck kommt, viel mehr durch, als wenn ich Hunderte von Millionen für normale Staatsausgaben nicht ausgebe. Ich glaube, das ist der Fehler in der Betrachtungsweise, dem wir vielleicht alle in den vergangenen Jahren erlegen sind, nämlich daß wir die Dinge immer wieder nur rein quantitativ und nicht qualitativ gesehen haben. Wir sollten, wenn wir Konjunkturpolitik über Haushaltspolitik machen, versuchen, so viele solcher qualitativ interessanten, mit Multiplikatorwirkung verbundenen Posten wie möglich zu ermitteln; denn die reine Umverteilung zwischen privater und öffentlicher Nachfrage ist eben prak-



    Kirst
    tisch — ich berufe mich hier wieder auf den Kollegen Strauß — konjunkturpolitisch neutral. Ich meine, daß die ganze Auseinandersetzung, von der wir heute in der Rede des Kollegen Strauß wieder einen mehr oder weniger erfreulichen Höhepunkt erlebt haben, ins rechte Licht gesetzt werden kann,

    (Zuruf des Abg. Stücklen)

    wenn wir uns, Herr Kollege Stücklen, einmal ganz nüchtern und sachlich über diese Grundlagen unterhalten und nicht alles hinter einer Nebelwand — ich hätte beinahe ein hartes Wort gebraucht — verbergen.
    Lassen Sie mich das noch an einem anderen Beispiel verdeutlichen, damit es plastisch wird. Für das Land, die Konjunktur und die Preisentwicklung ist es praktisch gleich, ob — wahrscheinlich sind es zum großen Teil sogar noch dieselben Werke — eine Summe X für den Bau von Panzern für die Bundeswehr oder von Lastwagen für die Wirtschaft ausgegeben wird. Das muß man einmal sehr deutlich sehen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, daß selbst eine weit über dem nominellen Wachstum des Bruttosozialprodukts liegende Zuwachsrate des Haushalts auch dann noch konjunkturpolitisch vertretbar ist, wenn innerhalb dieser Gesamterhöhung eine ganze Reihe entscheidender Punkte mit Multiplikatorwirkung negativ behandelt, d. h. gekürzt oder gestrichen werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haehser: Sehr gut!)

    Die falschen Vorstellungen über die Möglichkeit der konjunkturellen Einflußnahme durch Haushaltspolitik stammen zudem doch wohl aus einer Zeit, wo wir es mit der genau umgekehrten Situation zu tun hatten, nämlich mit der Rezession. Es wäre eine historische Fleißaufgabe, sich die damaligen Konjunkturhaushalte, von denen es vielleicht einen zuviel gegeben hat — ich will das jetzt nicht untersuchen —, noch einmal anzusehen, wo in der Tat mit der Summe X durch die Multiplikatorwirkung das Mehrfache von X erreicht werden konnte.
    Dieses falsche Verständnis der Möglichkeiten der antizyklischen Haushaltspolitik, diese falsche rein quantitative Betrachtung und diese falschen Schlüsse aus einer umgekehrten Situation, als sie jetzt besteht, haben doch zu dem geführt, was ich als einen Zustand bezeichnen möchte, in dem sich die Konjunkturpolitik, so wichtig und nötig und richtig sie ist, immer mehr zur Geisel der Haushaltspolitik entwickelt hat oder umgekehrt die Haushaltspolitik in Gefahr geraten ist, eine bloße Funktion der Konjunkturpolitik zu werden. Die eigentliche Fragestellung, um die es bei einer Haushaltsdebatte gehen sollte, wird dabei völlig verwischt, ich meine die Frage nach der Größenordnung — unabhängig von der konjunkturpolitischen Situation — des öffentlichen Bedarfs und der Form seiner Deckung. Das ist, wenn ich es so formulieren darf, die klassische Fragestellung der Haushaltspolitik, über die zu debattieren wir jederzeit bereit sind.
    Die heutige Betrachtungsweise, die auch in den Ausführungen des Kollegen Strauß wieder ihren Ausdruck gefunden hat, ist eben einfach das Ergebnis der jahrelangen Verketzerung der Aufgabe und der Funktion der öffentlichen Haushalte als Inflationsquelle.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Das hat begonnen, als Sie im Herbst 1969, ohne es zunächst richtig begreifen zu können, auf die Bänke der Opposition gerieten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Warum machen Sie dann überhaupt noch Stabilitätspolitik?)

    — Herr Kollege Jenninger, darüber werden wir auch noch reden.
    Der Herr Kollege Barzel bemüht bei jeder passenden und manchmal wohl auch unpassenden Gelegenheit das Wort von der Solidarität der Demokraten in diesem Hause. Ich meine, wir stoßen hier an einen Punkt, wo es auch um Solidarität gehen müßte, nämlich um die Solidarität der für die Erfüllung der Aufgaben des Staatswesens „Bundesrepublik" Verantwortlichen — und das sind wir alle, nicht nur die Regierung und die Koalitionsparteien.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mit anderen Worten: Solidarität der Demokraten in diesem Hause bedeutet eben auch einmal den Verzicht auf Solidarisierung mit jenen, die vielleicht aus berechtigter Interessenlage heraus, aber doch meist in unqualifizierter Art Funktion und Aufgaben nicht nur der Regierung und der Mehrheit in diesem Hause, sondern des gesamten Parlaments, der gesamten Bundesrepublik mit ihrer Verketzerung der Aufgaben der öffentlichen Hände in Frage stellen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das gilt auch für den Bereich der Finanzierung eines Teils der öffentlichen Aufgaben über Kredite. Ich will hier gar nicht all das wiederholen, was ich in den vielen Auseinandersetzungen über den Haushaltsplan 1972 zur Frage der öffentlichen Kredite gesagt habe. Die Bundesregierung hat für das Jahr 1973 einen Anspruch in Höhe von 3,8 Milliarden DM an den Kapitalmarkt angemeldet; das sind nicht mehr als 3 % der gesamten Haushaltssumme. Bei einem Haushaltsvolumen von 120 Milliarden DM ist, wie ich glaube, ein Schuldendienst von etwa 4 Milliarden DM eine sehr solide Basis. Auch in diesen Zahlen kommt zum Ausdruck, wie richtig es ist, daß wir von den Koalitionsparteien ebenso wie die Regierung immer wieder betonen, daß wir solide Finanzen haben. Wir wissen ja auch, wie die Entwicklung in den Jahren 1970, 1971 und 1972 gewesen ist. 1970 betrug die Nettokreditaufnahme 1 Milliarde DM bei einem Haushaltsvolumen von 90 Millionen DM. 1971 belief sie sich bei einem Haushaltsvolumen von 100 Milliarden DM auch nur auf 1 Milliarde DM. Dazu wurden noch Steuereinnahmen in der gleichen Größenordnung bei der Bundesbank freiwillig stillgelegt. 1972 betrug die Nettokreditaufnahme allerdings 3 Milliarden DM, dies aber nur auf Grund der beiden berechtigten und vernünftigen Transaktionen, auf die Herr Kollege Haehser eben schon hingewiesen hat.



    Kirst
    Diese Begrenzung des Anspruchs an den Kapitalmarkt — wir Freien Demokraten gehen allerdings davon aus, daß sie nicht nur auf dem Papier stehen sollte; eine weitere Begrenzung dankt uns niemand, sondern andere nehmen sich ihren noch größeren Teil vom Kuchen —

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    ist nur konjunkturpolitisch und nicht finanzpolitisch zu erklären. Finanzpolitisch könnten wir, um es einmal sehr drastisch zu sagen, viel mehr hinlangen. Das muß man hier, glaube ich, berücksichtigen.
    Ich möchte die Gelegenheit benutzen, an dieser Stelle etwas zu dem gewiß heiklen Punkt der Mineralölsteuererhöhung zu sagen. Herr Kollege Strauß hat ein ganzes Bataillon FDP-Stimmen zu möglichen Steuererhöhungen zitiert.

    (Abg. Strauß: Man möchte nicht glauben, daß es so viele gibt!)

    — Wenn es darauf ankommt, gibt es immer noch genug, Herr Strauß. Ich möchte ganz deutlich folgendes sagen. Die Aussage von uns — einige von uns sind hier ja zitiert worden —, daß für den Haushalt 1973 Steuererhöhungen nicht nötig sind, war immer nur rein finanzpolitisch gemeint. Diese Aussage war so richtig, ist so richtig und bleibt so richtig.

    (Abg. Strauß: Jetzt wissen wir es!)

    Meine Damen und Herren, ich wage aber eine Prophezeiung. Welcher Finanzminister auch immer mit einem Kreditanspruch in Höhe von nicht nur 3,8 Milliarden DM, sondern 5 Milliarden DM gekommen wäre — die gleichen Kritiker, die heute die Erhöhung der Mineralölsteuer kritisieren, wären wegen dieser Maßnahme wie die Geier über ihn hergefallen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Denjenigen Verbandsfunktionären, die heute leidenschaftliche Reden gegen diese Steuererhöhung halten, würde ich empfehlen, doch einmal ihre eigenen Reden zur konjunkturpolitischen Situation in den letzten drei Jahren nachzulesen. Dann würden sie vielleicht feststellen, daß sie selber nicht unerheblich zu einem Klima beigetragen haben, in dem eine andere Möglichkeit als diese, die wir sehr bedauern, nicht übriggeblieben ist. Das muß einmal im Interesse der intellektuellen Redlichkeit auch in dieser Frage gesagt werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Unabhängig davon, meine Damen und Herren, bleiben unserer Aussagen, die wir hier zu Möglichkeiten der öffentlichen Verschuldung gemacht haben, richtig. Ich könnte mir vorstellen: Je mehr es gelingt, die Haushaltspolitik wieder selbständig zu machen, um so mehr ist es auch möglich, diese Aussagen dann zu verwirklichen. Denn es stellt sich natürlich die Frage: Wann kann man in diesem Land etwas finanzpolitisch Richtiges eigentlich noch verwirklichen? Haben wir die Hochkonjunktur wie heute, dann geht das angeblich nicht, weil wir dadurch — ich bestreite, daß es so ist — die Inflation anheizen. Haben wir eine Rezession, dann wird vermutlich nicht das Kapital am Kapitalmarkt sein, das der Bund dann ganz gern aufnehmen möchte.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Die Situation ist also immer so, daß irgend etwas im Wege steht.
    Die Sachverständigen haben in ihrem Bericht gemeint — das ist in diesem Zusammenhang ganz interessant; ich habe darüber bei der abschließenden Beratung des Haushalts 1972 im Dezember, glaube ich, schon gesprochen —, einen Hauptteil der Verantwortung für die 1972 eingetretenen, bei der Erstellung des Berichts so gut wie absehbaren Preissteigerungen der Zunahme der öffentlichen Kredite zuschreiben zu müssen. Nun ist natürlich interessant, folgendes Ergebnis festzustellen: Die öffentlichen Hände Bund und Länder haben im Jahre 1972 weit weniger öffentliche Kredite aufgenommen, als die Sachverständigen damals bei ihren Berechnungen angenommen haben. Aber der Preisanstieg war exakt so hoch, wie sie ihn angenommen haben. Da kann doch irgend etwas in der Folge von Ursache und Wirkung nicht stimmen. Hier müßte doch wirklich einmal sehr gründlich untersucht werden, wie diese Zusammenhänge sind.
    Ich will es einmal sehr vorsichtig ausdrücken: Vielleicht schleppen wir hier irgend etwas von Autoritätsfurcht oder Autoritätsduselei noch mit uns herum, daß wir an das alles, was aus zwei bestimmten Quellen kommt — die eine habe ich genannt, die andere will ich höflicherweise nicht nennen —, als nahezu von Gott gegebene Autorität empfinden, darüber zu diskutieren aufhören und es einfach hinnehmen. Ich glaube da machen wir es uns als Parlament doch etwas zu leicht. Wir sollten auch selber über diese Dinge nachdenken und nicht alles für bare Münze nehmen, was uns dazu von solchen Stellen sachverständiger oder unabhängiger Art gesagt wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das wäre der Sinn dieser Ausführungen zum Haushalt 1973: hier einen Beitrag völlig jenseits der Parteifronten und insofern grundsätzlich zu leisten, der dazu dient, daß wir uns jedenfalls in begrenztem Maße auf die Notwendigkeit einer souveränen Haushaltspolitik besinnen. Das würde uns das makabre Spiel ersparen, das .wir sicher auch in dieser Debatte wieder spielen müssen. Wenn ich nämlich einmal unterstelle, daß das, was ich sage, falsch, und das, was die CDU sagt, richtig wäre, dann müßten wir zu Recht sagen: Von den öffentlichen Haushalten entfallen ja überhaupt nur gut 40 % auf den Bund; das andere sind Mittel der Länder und Gemeinden. Es beginnt das Spiel, das man so kennzeichnen kann: Haust du unseren Schmidt, dann hauen wir deinen Stoltenberg; und haut ihr unseren Kühn, dann hauen wir euren Kohl. Das wäre vielleicht anderen ganz angenehm. Man kann auch Goppel sagen, um die Symmetrie des Prestiges in der Union herzustellen. Das könnten wir uns damit ersparen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    1244 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 4. April 1973
    Kirst
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auch noch ein paar Worte zur Analyse, wenn Sie so wollen, des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern und — damit im Zusammenhang stehend — natürlich Gemeinden, Minister Schmidt hat völlig recht mit dem, was er gestern in dieser Deutlichkeit gesagt hat: Die heute sichtbare Finanzmasse — so ungefähr war es formuliert — erlaubt zusätzliche Abgaben insbesondere im Bereich der Mehrwertsteuer an die Länder nicht. Das ist eine ganz nüchterne Feststellung, und das entspricht eigentlich dem, was der Kollege Strauß immer fordert, daß die Regierung rechtzeitig die Wahrheit sagt. Man könnte noch ergänzen: Außer einer möglichen Steuererhöhung für die Länder könnten, wenn wir viel Glück hätten, natürlich besonders hohe Steuereingänge, die wir heute noch nicht abzuschätzen wagen, dies teilweise abdecken. Aber beides ist unbefriedigend. Es wäre sowohl unbefriedigend, daß wir diesen Zuwachs dann nicht für Prioritäten im Bundeshaushalt verwenden könnten, und es ist und bleibt unbefriedigend, daß sich der Bund — und, so wie Sie sich bisher benommen haben, eben nur die im Bund Verantwortung tragenden Kräfte — als Steuereintreiber der Länder betätigen muß. Das ist die Crux, mit der wir es hier zu tun haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Das steht doch im Grundgesetz!)

    Ich erinnere an die Neuregelung 1972 mit den 5 % und den Ergänzungszuweisungen. Was haben wir dafür gemacht? Wir haben die Branntweinsteuer und die Tabaksteuer erhöht.
    Ich stelle an die Regierung diesmal allerdings die Frage: Ist es nicht doch gesetzestechnisch möglich, diese Dinge, wenn es so kommt, einmal so miteinander zu verzahnen, daß es der CDU-Opposition nicht möglich ist, als feiner Mann der Änderung des Beteiligungsschlüssels zuzustimmen, sich aber bei den dann erforderlichen Steuererhöhungen zu drücken?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin dafür, das einmal so zu verzahnen, daß man hier wirklich einmal Farbe bekennen muß.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Daran ließen Sie schon mal eine Koalition platzen!)

    — Ach, das waren damals ganz andere Voraussetzungen, Herr Kollege Müller-Hermann.

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Die Mühe ist vergeblich, Herr Kirst!)

    — Gut, dann werden Sie eben nicht den Anspruch erheben können, etwas für die Verbesserung der Finanzverhältnisse der Länder getan zu haben. Das ist Ihr Problem.
    Diese Zusammenhänge sollten uns eigentlich einen Moment auch einmal Veranlassung geben, die Finanzverfassung und das Verhältnis von Bund und Ländern etwas grundsätzlich zu sehen. Die Finanzminister der Länder spielen in dieser Situation eine, man kann nun sagen: glückliche, man kann auch sagen: makabre Rolle. Das ist nun einmal eine etwas seltsame Art von Finanzministern, die denen, von denen sie gewählt werden, überhaupt nur für die Ausgaben und nicht für die Einnahmen verantwortlich sind. So ist es doch. Das muß man dabei doch einmal sehen. Es kompliziert diese Dinge politisch natürlich um so mehr, wenn sich nicht die Finanzminister, sondern im allgemeinen die Ministerpräsidenten dann noch bemüßigt fühlen, nachdem der arme Teufel seine Schuldigkeit getan und für die Länder die Steuern erhöht hat, ihm in allen. möglichen politischen Fragen, wo Länderinteressen überhaupt nicht zur Debatte stehen, Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen weist nicht nur die Situation der Länderfinanzminister, sondern überhaupt die der Länderregierungen und der Länderparlamente diese etwas schwierige Konstruktion auf, wobei ich als Hamburger natürlich genau weiß, daß das in den Stadtstaaten jedenfalls etwas anders ist, weil hier immerhin ein gewisses Maß an Finanzhoheit der Gemeinde mit Gewerbesteuersätzen und Grundsteuerhebesätzen gegeben ist.
    Aber die Frage ist doch zu stellen, als Denkanstoß — und ich meine, wir sollten eine solche erste Lesung auch einmal dazu benutzen, uns gegenseitig etwas zum Denken aufzugeben, und uns nicht immer nur gegenseitig schlecht machen —: Kann auf die Dauer auf die Identität zwischen denen, die für die Einnahmen, und denen, die für die Ausgaben verantwortlich sind, in einem solchen Ausmaß verzichtet werden? Und eine weitere Frage: Wer garantiert denn dem Bund, daß in den Ländern die Mittel vernünftig, d. h. nach Prioritäten, ausgegeben werden?

    (Abg. Stücklen: Wir haben ja auch Länderparlamente!)

    — Sicher, aber ich sagte eben, Herr Kollege Stücklen, die Länderparlamente — dem werden Sie nicht widersprechen können — sind bis auf die Stadtstaaten mit den Ausnahmen, die ich eben zitierte, in der eigenartigen Situation, daß sie gegenüber ihren Bürgern, von denen sie gewählt werden, zwar für die Ausgaben verantwortlich sind, aber nicht für die Einnahmen. Denn ich kenne keine Steuereinnahme, über deren Höhe die Länderparlamente entscheiden. Das ist das Problem, auf das wir hier immer wieder stoßen; dessen müssen wir uns bewußt sein.
    Nun konnte natürlich der Vorwurf der gescheiterten Reformpolitik im Rahmen einer solchen Haushaltsdebatte — schon außerhalb des Hauses, aber auch hier heute — vom Kollegen Strauß nicht ausbleiben. Ich habe seit Herbst 1970 — wie ich meine, mit einigem Erfolg für die Sprachregelung innerhalb der Regierung und der Koalition — vor der fatalen Gleichung zwischen Geldausgeben und Reform gewarnt. Denn darüber müssen wir uns im klaren sein: Nicht alles, was Geld kostet, verdient den Namen „Reform" ; aber auch nicht alles, was Reform ist, kostet entscheidend Geld.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, wer die Aktivitäten von
    Koalition und Regierung gerade in den letzten Tagen



    Kirst
    und Wochen sieht, der kann bei Gott nicht behaupten, daß die Reformpolitik irgendwie gestrandet ist. Im Gegenteil, sie läuft auf Hochtouren, und das werden Sie in der Arbeit in den Bundestagsausschüssen in den nächsten Wochen und Monaten noch feststellen.
    Ich will hier keinen Wiederholungskurs für Sitzengebliebene oder Dazugekommene veranstalten. Aber wir Freien Demokraten haben hier immer sehr deutlich gezeigt, wie wir die finanzwirksamen Reformen finanzieren wollen, nämlich in vier Stufen, von denen die nächste immer nur angesetzt werden soll, wenn die vorhergehenden nicht ausreichen: 1. Zuwachs auf Prioritäten. Das geschieht in diesem Haushalt, wenn ich an den Bereich Bildung und Forschung denke, bevorzugt. 2. Umschichtung. Auch das geschieht, mit der Einschränkung von Steuervergünstigungen. Ich habe vorhin auch auf die besondere Rolle der Investitionszulagen hingewiesen. 3. Mehr Kredite. Das ist aus den Gründen, die ich vorhin angesprochen habe, nur in begrenztem Maße möglich. Und nur wenn das alles nicht reicht: 4. Steuererhöhungen. Wer behauptet, die Reformpolitik dieser sozialliberalen Regierung sei gescheitert oder stagniere, der ist entweder blind und taub oder böswillig oder beides zusammen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch einige wenige Gedanken des Kollegen Strauß aufnehmen. Zunächst mußte ich den Eindruck gewinnen, daß er die heutige Debatte, die Erste Lesung des Haushalts 1973 — ich darf das einmal der Ordnung halber sagen —, in eklatanter Weise mit der Lesung des Jahreswirtschaftsberichts 1973 verwechselt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich muß die Frage stellen: Wo ist denn das Stabilitätsprogramm der Opposition? Es ist noch immer ein Vexierbild. Das wollen wir einmal nach dreieinhalb Jahren solcher Debatten ganz eindeutig feststellen.

    (Abg. Dr. Ritz: Viel schlimmer ist, daß die Regierung keines hat! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Regierung behauptet ja nicht, daß sie in der von uns gemeinsam errichteten und — davon gehe ich aus — gemeinsam bejahten freiheitlichen marktwirtschaftlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung den Zauberstab zur Stabilität in der Hand habe, unabhängig von den außenwirtschaftlichen Zusammenhängen. Die Regierung sagt nicht mehr, als daß sie ihren in den bescheidenen Grenzen möglichen stabilitätspolitischen Beitrag über Haushaltsund Steuermaßnahmen leistet. Sie verleugnet aber nicht, wie Sie es aus taktischen Gründen tun, daß die entscheidenden Voraussetzungen für mehr Stabilität sich überhaupt jeder Entscheidung, jeder Einflußnahme der Regierung in unserem Wirtschaftssystem entziehen. Ich möchte doch dem Kollegen Strauß empfehlen, diese markigen Reden, die er hier immer hält — wir haben weiß Gott genug davon gehört —, doch einmal vor Gewerkschaften und Unternehmern zu halten;

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) denn da werden die Weichen für die Konjunktur- und Preisentwicklung gestellt.


    (Abg. Stücklen: Das ist doch Ihre Aufgabe!)

    Diese bösen Worte von der „Inflationsregierung" waren ja die Parolen, mit denen Sie 1969 die Konfrontation begonnen haben. „Inflation" und „Ausverkauf", das waren die Parolen, die zur Verhärtung der politischen Situation in diesem Lande geführt haben. Damit haben Sie gearbeitet, noch ehe die Regierung ihren Amtseid geleistet hatte. Sie haben gar nicht erst abgewartet, wie das läuft. Sie haben das von vornherein unterstellt.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Diese böse Behauptung von der Inflationsregierung ist auf andere Art und Weise die Dolchstoßlegende der 60er und 70er Jahre. Das muß man einmal sehr deutlich sagen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Franke [Osnabrück]:: Wir haben leider recht behalten! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Haben wir denn keine Inflation?— Sie ist doch eingetreten!)

    — Wenn Sie nur einmal in der Lage wären, ruhig zuzuhören und nicht immer wie ein Apparat, ohne das Vorhergehende gehört zu haben, bestimmte Parolen in Ihre Fragen und Zwischenrufe hineinzubauen! Aber offenbar sind Sie es nicht; denn ich habe ja auf die wahre Verteilung der Zuständigkeit für Geld und Konjunktur, Konjunktur und Preise in diesem Lande hingewiesen. Das müssen Sie endlich einmal begreifen, sonst können wir nicht miteinander diskutieren.
    Das Stillhalteabkommen: Ich dachte, das wäre nun wirklich einmal zu den Akten gelegt. Das war doch ein Abkommen mit doppeltem Boden. Herr Barzel ist hierhergekommen und hat gesagt: Wir bieten Ihnen an, keine ausgabewirksamen Beschlüsse zu fassen. Das hat er mit der einen Hand getan.

    (Abg. Dr. Jenninger: Sie haben das doch zurückgewiesen!)

    Aber mit der anderen Hand hat Ihre Fraktion massenhaft — ich drücke das heute einmal vornehm aus — einen ausgabewirksamen Antrag nach dem anderen produziert. Sie wollten also ein Spiel mit doppeltem Boden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Keine Geschichtsklitterung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Sie waren damals, glaube ich, noch nicht da.
    Sie wollten hier den feinen stabilitätspolitischen Apostel spielen, aber draußen im Lande natürlich bei jeder Gruppe, auf die es ankommt, sagen: Aber ja, die CDU/CSU beantragt mehr Kindergeld, mehr das, mehr das und mehr das. So kann man natürlich keine Stabilitätspolitik machen.

    (Abg. Franke [Osnabrück] : Aber, Herr Kirst, keine Stabilitätspolitik auf Kosten der sozial Schwachen!)




    Kirst
    Ich muß sagen: Die Form, die Art und Weise, wie nicht nur Herr Strauß, sondern Sie alle der Regierung und der Koalition mit falschen Beschuldigungen bezüglich der gewiß nicht zu verniedlichenden Situation — kein Mensch hat das getan; weder der Bundeskanzler noch der Finanzminister noch irgendein Sprecher unserer Fraktion oder der sozialdemokratischen Fraktion hat die Geldwertentwicklung verniedlicht — eine Verantwortung — ich kann schon einfach nicht mehr sagen: aus Unwissenheit, sondern muß sagen: wider besseres Wissen — anlasten wollen, die ihr nicht zukommt, hätte Ihnen im zivilen Bereich längst gerichtliche Schritte eingebracht. So argumentieren Sie jetzt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Sie sind ein Witzbold! Das ist doch nicht zu glauben!)

    — Ich weiß natürlich, daß wir uns nicht im zivilrechtlichen Bereich befinden.
    Nun, dann wird gesagt, wir würden die Inflation als Garantie für Vollbeschäftigung sehen. So ist das nicht. Nur umgekehrt — da sind wir uns allerdings einig —: Wir sehen eine Rezession nicht als das geeignete Mittel an, dieser Probleme Herr zu werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Davon redet keiner!)

    Wenn man diese Reden hört, muß man sich doch nur immer wieder fragen, in welcher Welt die Leute, die solche Reden halten, eigentlich leben.
    Noch eine allerletzte Bemerkung. Das Thema Schattenhaushalte, Herr Leicht, wird ja sicherlich auch noch vertieft.

    (Abg. Leicht: Fürchten Sie sich?)

    Im Zusammenhang mit der Zuwachsrate — unabhängig von der grundsätzlichen Frage des Zuwachsratenfetischismus — ist das Thema zumindest für dieses Jahr ja verbraucht. Denn ich würde sagen: die entscheidenden Positionen der sogenannten Schattenhaushalte waren auch 1972, zum Teil schon 1971 vorhanden. Wenn wir Ihren Ratschlägen 1972 gefolgt wären, hätten wir eine ganz andere Ausgangsbasis für Vergleichsrechnungen. Was soll das also noch?
    Lassen Sie mich zum Schluß der ersten Runde der ersten Lesung folgendes sagen. Ein noch so lautes Getöse des Starsprechers der Opposition kann die Wahrheit nicht verschleiern. Diese Wahrheit ist, daß heute auf der Grundlage solider Finanzen ein solider Haushalt als Ausdruck einer in jedem Bereich soliden Politik der sozialliberalen Regierung vorliegt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Albert Leicht


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kirst, ich befürchte nicht, daß Herr Strauß nicht auch in der Lage und, wenn dazu aufgefordert, auch dazu gewillt ist, das Thema, das er heute hier behandelt hat, vor Gewerkschaften zu behandeln. Nur gehe ich davon aus, daß er dort wahrscheinlich auf ein höheres Verständnis stoßen, unter Umständen auch auf seine Argumentation bessere Aussagen bekommen wird als hier.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Dann soll er doch einmal hingehen!)

    Eine zweite Bemerkung zu dem, was Sie sagten. Ein Stabilitätspaktangebot war hier gegeben worden; es wurde von Ihnen zurückgewiesen. Sie können von der Opposition nicht verlangen, daß sie sich daran hält, während Sie, die Sie Verantwortung tragen, sich nicht daran halten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine dritte Feststellung. Allmählich werden hier in diesem Hause die Fronten verkehrt. Hier sitzt doch die Regierung, und die Regierung trägt die Verantwortung, Herr Kirst. Sie trägt auch die Verantwortung für Wirtschaftspolitik, Preissteigerungsraten, Finanzpolitik. Das müssen Sie zugestehen. Die Frage an die Opposition nach Alternativen stellt sich erst in dem Augenblick

    (Zuruf von der SPD: Die war nötig!)

    — sie hat sich 1972 bei den Wahlen gestellt , wenn
    1976 erneut zu den Wahlen gegangen wird oder wenn diese Regierung nicht mehr in der Lage wäre, die Verantwortung zu tragen. Dann ist die Stunde der Alternativen der Opposition da.

    (Zurufe von der SPD.)

    Soll ich Ihnen jetzt zitieren, was Herr Möller zu dieser Frage gesagt hat, was Herr Schmidt noch im Jahre 1965 hier verkündet hat, was Oppositions- und was Regierungsrolle ist? Ich möchte Sie damit verschonen.
    Zur Inflationsrate habe ich schon gesagt, daß man natürlich auch dafür die Verantwortung tragen muß, wenn man die Regierung innehat. Sie können das nicht auf die verschiedensten Gruppen abwälzen, weil man selbst nicht in der Lage war — diejenigen nämlich, die die Verantwortung tragen —, die entsprechenden Maßnahmen rechtzeitig einzuleiten.
    Nun lassen Sie mich nach den harten Auseinandersetzungen der letzten Monate, wobei es auch um Ordnung oder Unordnung, um Krisen oder nicht Krisen in der öffentlichen Finanzwirtschaft gegangen ist, feststellen, daß die Vorlage, die der Herr Bundesfinanzminister gestern diesem Hohen Hause vorgelegt hat, nach meiner Beurteilung nicht der eigentlich zu erwartende, solide fundierte, mit Zahlenwerken ausgestattete Bundeshaushalt ist. Er ist den Beweis, wenn Sie so wollen, schuldig geblieben. Das hat er auch mit der gestrigen Rede bewiesen.
    Von Mackenzie King stammt das Wort: „Die Versprechungen der Parteien von gestern sind die Steuern von heute." Diese Erkenntnis ist ein zweites Mal unter der sozialliberalen Koalition für den Steuerbürger und hier insbesondere für den Autofahrer bittere Wirklichkeit geworden. Notwendig und für die künftige Auseinandersetzung sicherlich hilfreich wäre eine genauere Definition dessen, was



    Leicht
    unter der Gefährdung der Staatsfinanzen insgesamt, bei Bund, Ländern und Gemeinden, verstanden werden soll. Es ist natürlich eine Frage, ob ein angeblich armer Staat bei angeblich privatem Reichtum seiner Bürger logisch überhaupt denkbar ist. Natürlich kommt eine Regierung immer zu ihrem Recht. Jede Regierung hat die Macht und den Apparat dazu. Sie kann also, um es deutlich auszudrücken, jederzeit, wenn sie will, sich die nötigen Einnahmen verschaffen, Steuern erhöhen. Jedenfalls wird uns die Frage der laufenden Steuererhöhungen ständig begleiten. Schließlich war es doch diese Regierung — es ist gut, wenn man auch das erwähnt —, die einmal unter Reformen auch Steuererleichterungen verstand und mehr Stabilität verlangte, damit aber kläglich — zumindest der jetzige Stand sagt das aus — gescheitert ist.
    Der Haushalt 1973 hat seine Wiege in der Vergangenheit. Insofern hat Herr Haehser recht, wenn er auch über den Haushalt 1972 gesprochen hat. Das wirtschaftlich und finanziell solide Fundament des Jahres 1969 ist, wie ich meine, durch eine Versprechenspolitik verspielt worden. Diese Versprechenspolitik erreichte 1971 mit dem Mammuthaushalt einen Höhepunkt. Gleichzeitig signalisierte dieser Haushalt 1971 das Ende. Denn allein die Schwierigkeiten seiner Fortschreibung bewogen den ersten Finanzminister der Regierung Brandt/ Scheel — er sitzt vor mir — zum Rücktritt, weil er von „Solidität und Stabilität" der Staatsfinanzen, wie er es nannte, eine andere Vorstellung hatte als die meisten seiner Kabinettskollegen.
    Die Folgen der Versprechens- und Reformpolitik zeigten sich schon bald in Gestalt gewaltiger Dekkungslücken, weniger zunächst beim Bund als viel mehr damals schon bei Ländern und Gemeinden, weil diese die Hauptlast der Reformpolitik zu tragen hatten, und bei Post und Bahn, die nicht an den Segnungen der Steuerprogression teilhatten.
    Der Bundeshaushalt zog dann aber schnell nach und offenbarte das ganze Dilemma, in das sich die Bundesregierung binnen nur drei Jahren hineinmanövriert hat. Der Haushalt 1972 liegt in seinem Abschluß vor. Er ist in der Tat, Herr Haehser — insofern vertrete ich eine andere Meinung als Sie —, kein Ruhmesblatt erfolgreicher Haushaltspolitik. In der Gesamtbeurteilung ist zweifelsfrei, daß der Haushaltsablauf 1972 den stabilitätspolitischen Anforderungen in keiner Weise entspricht. Das bestätigt übrigens auch die Bundesbank; das sagt nicht nur die Opposition. Die Ausgabensteigerung des Bundes betrug nach den offiziellen Zahlen 12 v. H. und war damit in höchstem Grade inflationsfördernd, weil sie erheblich über dem Wachstum der Gesamtleistungen unserer Volkswirtschaft lag.
    Entgegen der erklärten Absicht der Bundesregierung waren die Ausgaben des Jahres 1972 höher als die Gesamtausgaben.

    (Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!)

    Sie haben als Grund die besonderen Zuwendungen an die Bundesbahn genannt. Aber da muß man dann auch fragen: Warum war es notwendig geworden, der Bundesbahn im Jahre 1972 7,2 Milliarden DM,
    glaube ich, an Zuschüssen des Bundes zu geben? Auch diese Frage muß man dann stellen.
    Sie haben darauf hingewiesen, daß man großartig gefahren sei. Nun müssen wir aber auch feststellen, daß der Haushalt 1972 erst am 18. Dezember hier verabschiedet worden ist, daß also praktisch ein Jahr lang nach den Regeln des Nothaushaltsrechts — Art. 111/112 GG — gefahren werden mußte und von da her praktisch der Zwang — der gute Zwang, wie ich meine — gegeben war, die Haushaltsführung sparsam zu betreiben. So viel zur Ausgabenseite.
    Wie sieht es auf der Erfolgsseite aus? Zweifelsfrei ist, daß trotz der stabilitätswidrigen Ausgabensteigerung wegen des mangelndes Mutes der Regierung zur Prioritätensetzung in der Finanzpolitik und wegen der immer fühlbarer werdenden Inflationsfolgen wichtige Staatsaufgaben nur unzureichend erfüllt werden. Beispielsweise werden bei der Bundesbahn trotz der überplanmäßigen Ausgaben von 1,2 Milliarden — Herr Haehser, das hätten Sie sagen müssen —

    (Richtig hei der CDU/CSU) die Defizite immer größer.

    Unter dem Schlagwort von der Verbesserung der Lebensqualität hat sich die Regierung den ver- stärkten Ausbau der öffentlichen Einrichtungen — wie Straßen, Schulen, Sportstätten usw. — zum Ziel gesetzt. Bereits nach den offiziellen Zahlen für die ersten neun Monate des Jahres 1972 sind jedoch, auch wenn Sie es immer wieder anders sagen, die Bundesausgaben für derartige Sachinvestitionen gegenüber dem Vorjahr sowohl real wie auch nominal zurückgegangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    An diesem Bild wird sich, wenn wir das gesamte
    Jahr nehmen, sicherlich nichts Wesentliches ändern.
    Von daher wird man auch die Frage nach der Gefährdung der Staatsfinanzen insgesamt stellen müssen.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)

    Denn trotz konjunkturwidriger hoher Ausgabensteigerungen, trotz Steuererhöhungen, trotz Tariferhöhungen bei Post und Bahn, trotz inflationsbedingter gewaltiger Steuermehreinnahmen trägt der Staat nicht mehr, sondern weniger als früher zur Verbesserung der Lebensqualität seiner Bürger bei.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage das zum besseren Verständnis des vorgelegten Haushaltsentwurfs 1973, der von demselben Geist geprägt ist wie seine Vorgänger. Darüber kann auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, daß die noch im alten Finanzplan vorgesehene globale Minderausgabe für 1973 nunmehr nicht mehr im Entwurf erscheint

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    und ordnungsgemäß veranschlagt ist, was ich ausdrücklich begrüße.
    Die Fixierung des Ausgaberahmens auf 120,4 Milliarden DM hat ihre eigentliche Ursache — Herr



    Leicht
    Kollege Haehser, auch da bin ich etwas anderer Meinung als Sie — in den Ereignissen des Wahlherbstes 1972. Anfang September hatte der Bundesfinanzminister in einem haushaltspolitischen Kraftakt das vorgelegte Ausgabenrezept entworfen, um die Gespenster der drohenden Finanzkrise zu verscheuchen. Schon damals also hatte dieser Haushalt seine Geburtswehen; und erst heute, nach sechs Monaten, ist er nun geboren. Ein halbes Jahr liegt zwischen dem ersten Rohentwurf und der heutigen Vorlage. Allein diese zeitliche Verzögerung macht schon das volle Ausmaß der haushaltspolitischen Schwierigkeiten auch denjenigen deutlich, die nicht die Nähkästchenplaudereien des Kollegen Ahlers gelesen oder die vielen widersprüchlichen Äußerungen aus dem Lager der Regierungsparteien zu den Steuererhöhungen zur Kenntnis genommen haben.
    Grund des Hinauszögerns der Haushaltsvorlage scheint mir gewesen zu sein, daß die Regierung zunächst Zeit gewinnen wollte, einmal deshalb, weil sie sich im offenkundigen Mißtrauen gegenüber dem eigenen Zahlenwerk des Etatgerüsts 1973 zunächst alle Möglichkeiten der haushaltstechnischen Kniffe, die sich am Ende des Haushaltsjahres bieten, und darüber hinaus wenigstens einen Teil des Jahres im Fahren des Haushalts erhalten wollte, und zum anderen deshalb, weil sie gewisse Korrekturen auf der Einnahmeseite infolge inflationsbedingter Steuermehreinnahmen erwarten durfte.
    Nur um den Anschein der Seriösität der von ihr Anfang September 1972 gefaßten Rahmenbeschlüsse zur Haushalts- und Finanzplanung zu wahren, hielt die Bundesregierung am Ausgabeplafonds von rund 120 Milliarden fest. Auf diese Weise erreichte sie es, nicht nur die Steigerungsrate der Bundesausgaben jenen von der EG-Kommission empfohlenen 10,5 % anzugleichen, sondern, nachdem 1,4 Milliarden noch im Jahre 1972 gezahlt waren, diesen Wert mit 9,7 % noch zu unterbieten, um damit gegenüber Landes- und Gemeindeparlamenten ein vorbildliches Finanzgebaren vorzutäuschen. An diesem Sachverhalt ändern auch die Absichtserklärungen der Bundesregierung nichts. Ihre Absicht, Herr Bundesfinanzminister, 2000 Stellen einzusparen — den Willen, dies zu tun, begrüße ich —, steht, wie ich meine, mit der Wirklichkeit nicht in Einklang. Denn erstens handelt es sich nicht um Einsparungen, sondern um vorübergehende Nichtbesetzungen,

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

    und zweitens kennen Sie so gut wie ich die am Haushalt, am Parlament, wenn Sie so wollen, vorbeigehende Praxis der Nachschiebelisten, die nur über den Haushaltsausschuß läuft.

    (Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört! — Abg. Stücklen: Wie gehabt!)

    Eine Nachschiebeliste von erheblichem finanziellen Gewicht haben wir erst vor wenigen Wochen im Haushaltsausschuß passieren lassen; weitere sind bekanntgeworden. Ich gehe nicht fehl in der Annahme, daß in den Schubladen der Ressorts, und zwar aller Ressorts, weitere Nachschiebelisten
    schlummern, um einen geeigneten Zeitpunkt für das
    Nehmen der parlamentarischen Hürde abzuwarten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wenn man es mit der Ankündigung, die Mittel an die institutionellen Zuwendungsempfänger zu kürzen, wirklich ernst meint, frage ich, warum man dann nicht gleich die entsprechenden Kürzungsansätze in den Haushalt eingesetzt hat. Allein das wäre glaubwürdig gewesen. So können wir uns jetzt hinsetzen — das trifft alle Kollegen im Haushaltsausschuß — und im Einzelfall prüfen, ob es möglich ist oder nicht. Nur die Arbeit wird, wenn Sie so wollen, auf das Parlament abgeschoben.
    Mit der geplanten Nettokreditaufnahme von 3,8 Milliarden DM verhält es sich im Grunde genauso. Wenn sich der Herr Bundesfinanzminister gestern in seiner Rede hier damit gebrüstet hat, die Schuldenaufnahme in diesem Jahr gegenüber dem Finanzplan 1972 bis 1975 um 2 Milliarden DM zu senken, dann wäre es nur redlich gewesen, auch zu sagen, daß gegenüber dem alten Finanzplan nun im Jahre 1973 mit inflationsbedingten Steuermehreinnahmen und Mehreinnahmen aus Steuererhöhungen zusammen 7,2 Milliarden DM mehr eingehen, als im Finanzplan 1972 bis 1975 geplant war.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    In all Ihrer Bescheidenheit, Herr Minister, unterschlagen Sie die Existenz der Schattenhaushalte, die das Volumen der Schuldenaufnahme in einem anderen Licht erscheinen lassen: die Stundung der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung, die Krankenhausfinanzierung, die Einräumung der Schuldbuchforderung — etwas Neues — an die Saar-Bergwerke, die Olympia-Finanzierung und auch die vom Bundeshaushalt irgendwann einmal abzudeckenden Verluste der Bundesbahn und Bundespost aus früheren Jahren, um nur die wichtigsten Posten zu nennen.
    Der ganze Trick, mit all diesen Schwierigkeiten fertig zu werden, besteht also darin, daß die Bundesregierung die Ausgangsbasis für die Ausgabenplanung erhöht, die Steigerungsrate so künstlich senkt, daß sie am Ausgabenplafond festhält, ihn nicht aktualisiert und der Preisentwicklung anpaßt, daß sie inflationsbedingte Steuermehreinnahmen und im übrigen Schuldenaufnahmen außerhalb des Bundeshaushalts außer Betracht läßt.
    Die Regierung hat ein weiteres Mal die Steuern erhöht. Nach der Erhöhung der Verbrauchsteuern, die in ihrer vollen Erhebung in diesem Jahr rund 4 Milliarden DM bringen, hat sie eine weitere Erhöhung der Steuern vorgenommen, die knapp 2 Milliarden DM einbringt. Das sind zusammen, ohne jene Milliarden inflationsbedingter Mehreinnahmen, fast 6 Milliarden DM Einnahmeverbesserungen. Zur Konsolidierung des Bundeshaushalts „unvermeidbar" sagt der große, „vermeidbar" sagt der kleine Koalitionspartner. Dies ist eine besonders delikate Art, sich im nachhinein gegenüber dem Wähler zu rechtfertigen. Vermeidbar oder nicht — das ist hier nicht so sehr die Frage —, entscheidend ist meiner Meinung nach, ob die neuen Steuererhöhungen



    Leicht
    sachlich dadurch gerechtfertigt sind, daß sie zu einer echten Leistungsverbesserung des Staates führen. Dem ist nicht so. Schon ein globaler Vergleich mit dem Vorjahr läßt erhebliche Zweifel daran aufkommen, daß hier im öffentlichen Bereich mit mehr Steuereinnahmen auch mehr Leistungen erbracht werden. Absolut steigt das Volumen des Haushalts mit runden 10 Milliarden DM wie im Vorjahr. Die Preissteigerungen und die Preiserhöhungserwartungen sind jedoch in diesem Jahr erheblich stärker, und zwar in allen Bereichen. Schrittmacher ist dabei vor allem die Kostenexplosion im Bereich der technischen Entwicklung, die nach und nach auch auf andere Bereiche übergreift. Am deutlichsten zeigt sich das bei den militärischen Beschaffungen, aber auch beim Vordringen der Elektronik in alle Verwaltungsbereiche, von der Polizei über die Medizin zur Finanz- und Steuerverwaltung. Hand in Hand mit der Beschaffung verteuert sich natürlich die Betreuung und Unterhaltung dieser Einrichtungen, weil die Anforderungen an qualifiziertem Personal wachsen. Ich fürchte, daß im Bereich der technischen Entwicklung gerade seitens der öffentlichen Hand und da insbesondere auf dem Gebiet der Datenverarbeitung des Guten zuviel oder oft nicht das Richtige getan wird. Wenn wir heute feststellen, daß in weiten Bereichen der Bundesverwaltung jedes Ministerium seine eigene Datenverarbeitung aufbaut, wenn wir feststellen, daß heute schon über 7000 Beschäftigte in diesem Bereich tätig sind, dann muß man sich allmählich fragen, ob da noch das Richtige dosiert gemacht wird.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Vielfach handelt es sich dort, wo die Bundesregierung mühsam versucht, eine Verbesserung der Finanzausstattung herauszustellen, nur um die zwangsläufigen finanziellen Auswirkungen früherer Gesetzesinitiativen, so z. B. im Bereich der inneren Sicherheit und beim Umweltschutz. In anderen Bereichen werden besondere finanzielle Anstrengungen angekündigt, die doch bloße zwangsläufige Folgen dynamisierter Gesetzesregelungen sind, wie etwa beim Wohnungsbau und beim Sparprämiengesetz. Weiter werden andere mit Priorität bedachte Aufgabenbereiche genannt, die im Grunde wegen der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre in arge Bedrängnis geraten sind und für die jetzt der Staat Sorge tragen muß. Ich denke vor allen Dingen an den Steinkohlebergbau, die Landwirtschaft, die Entwicklungshilfe und an vieles andere mehr.
    Symptomatisch für den Zusammenbruch der ganzen Reformpolitik ist doch auch, daß die Bildung, die einmal den Reformkatalog mit 35 % Steigerungsrate anführte, heute unter „ferner liefen" rangiert. Hier wurde vorhin für 1973 die Zahl von 10,7 % genannt. Noch im Finanzplan des vergangenen Jahres war die Steigerungsrate für 1973 im Bereich der Bildung mit 17 °/o vorgesehen, vorher waren es 20 % und einmal sogar 35 %. Da darf man doch noch fragen, wo denn da die Prioritäten sind und wo sich da das Geld, wenn es schon um Prioritäten geht, in echte Mehrleistungen des Staates umsetzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Doch damit nicht genug. Wir haben überdies allen Grund, die Vollständigkeit des vorgelegten Ausgabenkatalogs anzuzweifeln. Das wird immer so sein. Jeder Haushalt wird gewisse Risiken in sich bergen; aber man muß sich darüber klar sein, daß diese Risiken vorhanden sind und daß man dafür unter Umständen im Laufe des Jahres das nötige Geld zur Verfügung stellen muß. Ich erwähne den Devisenausgleich, den wir hier im Parlament immer mit Diskretion behandelt haben. Mitte des Jahres ist das neue Devisenausgleichskommen mit den USA fällig. Hier kommt mit Sicherheit ein gewaltiger Ausgabebrocken auf den Bundeshaushalt 1973 zu, für den zunächst keine Deckung da ist, es sei denn — und das soll eine Frage sein; ohne jetzt zu werten —, die Regierung beabsichtige, hierfür die Stabilitätsanleihe einzusetzen. Auch denke ich in diesem Zusammenhang an die vielen Wirtschaftsbereiche, die die Hauptleidtragenden der Währungspolitik geworden sind und die in Zukunft staatlicher Unterstützung bedürfen, so vor allein der Steinkohlebergbau, die Werften, die Aluminiumindustrie, die Landwirtschaft und viele andere, die man im Augenblick noch gar nicht alle benennen kann Mit großer Wahrscheinlichkeit wird also das Ausgabensoll von 120 Milliarden nur schwer zu halten sein.
    Nun eröffnen sich bei der Frage der Deckung des Ausgabenkolosses interessante Perspektiven. Die Steuerschätzung geht nämlich meiner Meinung nach von sehr optimistischen Voraussetzungen aus. Sie basiert auf einer nur mäßigen Preissteigerung von 5 bis 6 v. H. - daran glaubt niemand mehr im Augenblick — und einer verhältnismäßig gezügelten Gewinnentwicklung der Unternehmen. Erhebliche Steuermehreinnahmen sind also aller Wahrscheinlichkeit nach zu erwarten, vor allem bei der Lohnsteuer, bei der wegen des inflationären Trends immer mehr Arbeitnehmer in höhere Progressions-stufen hineinwachsen. Herr Strauß hat dazu die entsprechenden Ausführungen gemacht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die soziale Steuerung!)

    Die Einnahmenseite ist nicht voll ausgereift. Man könnte hier in der Tat bei etwas gutem Willen den Ansatzpunkt zu einer besonneneren Finanzpolitik sehen, wenn nicht der Kabinettsbeschluß vom 17. Februar wäre, der besagt — ich darf wörtlich zitieren mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:
    Im Jahre 1973 anfallende Steuermehreinnahmen werden, soweit sie nicht zum Ausgleich für neu auftretende unabweisbare Mehrbelastungen benötigt werden, auf ein Sonderkonto bei der Deutschen Bundesbank stillgelegt.
    Mit dieser salvatorischen Klausel soll also die Kluft zwischen der Haushaltswirklichkeit auf der einen Seite und der Haushaltsplanung überbrückt werden, einer Haushaltsplanung, die einmal aus wahltaktischen Überlegungen entworfen und aus falschem Prestigedenken dann beibehalten worden ist.
    Im Rückblick haben wir dann das bekannte Bild: immer mehr Mehrausgaben werden durch mehr Mehreinnahmen gerade noch mit Hilfe weiterer Steuererhöhungen abgedeckt. Das Gift der Inflation,



    Leicht
    wenn Sie so wollen, wird so listig und heimlich genommen. Die Geldentwertung wird immer stärker zum integrierten Bestandteil der Staatsfinanzen. Dabei wird zwangsläufig die Krisenanfälligkeit des Staates zunehmen.
    Unbestreitbar ist, daß sich die geplanten Steuererhöhungen ausschließlich zugunsten des Bundes auswirken.

    (Zuruf von der SPD: Das ist nicht korrekt, Kollege Leicht!)

    Auch das geschieht nicht ohne Absicht. Der Bund weiß sehr wohl, daß er ab 1974 nicht umhinkann, den Ländern einen größeren Anteil am Steuerkuchen zu geben, und zwar aus Gründen — das muß doch einmal festgehalten werden — der unterschiedlichen Ausgabenstruktur und Aufgabenstruktur der Länder- und Gemeindehaushalte, die ungleich schwerer von der Inflation betroffen werden als z. B. der Bundeshaushalt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mit dem hohen Anteil an Personalkosten, mit der Last, die Träger der öffentlichen Investitionen zu sein, ist es zwangsläufig verbunden, daß die Relation der Zuwächse der Haushalte bei den staatlichen Institutionen in Ländern und Gemeinden eben eher größer sein muß als beim Bund. Bei der Auseinandersetzung sollte man, meine ich, in Zukunft auf diese Dinge etwas mehr achten.
    Unter solchen Umständen nimmt es nicht wunder, wenn die Finanzwirtschaft der gesamten öffentlichen Hände immer mehr aus den Fugen zu geraten droht. Es ist bedauerlich, daß das bewegliche Element des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern auf diese Weise zu einer Art Steuererhöhungsautomatismus umfunktioniert wird. Ich meine, alle Seiten dieses Hauses haben ein Interesse daran, das zu vermeiden.
    Über die Absicht der Bundesregierung, im Jahre 1973 einen Teilbetrag der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten in Höhe von 2,5 Milliarden DM einzubehalten, ist in den letzten Wochen viel geschrieben und gesprochen worden. Sie alle kennen die scharfen Proteste, die diesmal einheitlich aus allen Lagern kommen. Herr Strauß hat dazu schon Einzelheiten vorgetragen. Diese Maßnahme — das ist unverkennbar; insofern gehört das erst recht hierhin dient ausschließlich der Ausfüllung von Lücken im Bundeshaushalt. Wenn Sie so wollen, ist es eine Zwangsschuldenaufnahme. Mit den erhöhten Beitragssätzen zu Anfang des Jahres — 17 auf 18 v. H. — wird Schindluder getrieben. Man hätte darauf verzichten können, weil man dafür keine Zinsen zahlt. Man nimmt noch nicht einmal die Zinserträge ein, die eventuell notwendig sein werden, um später, ab 1980, die Rentenversicherung zu finanzieren. Die Beitragserhöhungen dienen nicht, wie es fälschlicherweise immer behauptet wird, der Stärkung der Rentenversicherung, nicht der langfristigen Konsolidierung der Rentenversicherungsfinanzen, nicht den Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern einzig und allein zur Auffüllung der Haushaltslücken.

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Warum haben wir sie dann gemeinsam vor fünf Jahren beschlossen?)

    — Weil damals hinsichtlich der Berechnung eine andere Situation gegeben war,

    (Abg. Wehner: Weil ihr damals noch in der Regierung wart!)

    weil wir meinten, es sei notwendig, die Zinsen zu bekommen, um im Jahre 1980 mit diesen Zinsen für die Rentenversicherungsträger und eventuell für die Rentner mehr tun zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Genau das tun Sie nicht, das verhindern Sie mit diesem Beschluß.

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sie scheinen die Finanzplanung schlecht im Kopf zu haben!)

    — Dazu, Herr Schäfer, wird morgen mit Sicherheit noch viel gesagt werden;

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sie haben die Finanzplanung von 1969 schlecht im Kopf!)

    dann können Sie sich damit auseinandersetzen. (Abg. Wehner: Zahlen haben kurze Beine!)

    Die zinslose Stundung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung bis zum Jahre 1981 — das nehme ich sehr ernst, Herr Kollege Hermsdorf; Herr Schmidt ist nicht mehr da — kulminiert mit dem Auslaufen der geltenden Lastenausgleichsregelung. Die dann einsetzende Defizithaltung des Bundes kann mit Risiken verbunden sein — sie muß es nicht unbedingt sein, aber sie kann und wahrscheinlich wird sie es sein —, die heute kaum überschaubar sind. Zusammen mit der dann fälligen Zahlung der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung kommt ein Ausgabenstoß auf den Haushalt zu, der zu neuen, erheblichen Steuererhöhungen

    (Abg. Haase [Kassel] : Sehr richtig!)

    bei einer dann vielleicht schon sehr angespannten Lage im Bereich der Steuern zwingt.
    In Gesamtwürdigung all dieser Umstände kann von diesem Haushalt 1973, wie ich meine, kein Beitrag zur Wiedergewinnung der Stabilität erwartet werden. „Die Inflation beißt ihre Väter", hat Ludwig Poullain dieser Tage gesagt; und so ist es auch bei diesem Haushalt.

    (Zuruf des Abg. Wehner.)

    — Warum? Dürfen nur Sie zitieren, Herr Wehner?

    (Lachen bei der SPD. — Abg. Wehner: Nein!)

    Aber wenn Sie Wert darauf legen, zitiere ich Sie,

    (Abg. Wehner: Humor haben Sie keinen!) dann ist es vielleicht lustiger.


    (Abg. Wehner: Sie haben Magensäure, das weiß ich!)




    Leicht
    — Betrachten Sie Ihr Gesicht! Daran kann man ablesen, wer Magensäure hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Der hat auch Likör!)

    Dieser Haushalt ist eher Opfer der von der Ausgabenpolitik geschürten Inflation als ein gestaltender Faktor. Er ist ein Schritt weiter auf jene reine Verteilerdemokratie zu, wie sie heute manchen Reformern vorschwebt. Daß diese Entwicklung den verbalen Zielvorstellungen der Regierungskoalition diametral entgegensteht, wird erst nach und nach in das öffentliche Bewußtsein dringen. Mit dem Finanzplan 1972 bis 1976 werden alle Grundübel linksliberaler Haushalts- und Finanzpolitik fortgeschrieben. Die Schwierigkeiten werden nicht geringer; sie werden vielmehr größer. In der Stabilitätspolitik wird die Bundesregierung bescheidener, in der Steuerpolitik drakonischer, im Staatsverbrauch verschwenderischer und in ihren Leistungen immer mäßiger.

    (Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Und im Anhören immer geduldiger!)

    Wenn Sie gut zuhören, ist das sehr nett.
    Die Schwierigkeiten werden nicht zuletzt deshalb größer, weil die Regierung Ausgaben nach dem Stand von gestern und Einnahmen nach dem Stand von morgen veranschlagt. Es sind aber nicht die inflationsbedingten Risiken allein, die die künftige Entwicklung der Staatsfinanzen überschatten; es sind auch jene Entscheidungen, die schon heute der Abklärung bedürfen, sollen in Zukunft unnötige Reibungsverluste vermieden werden. In der vorigen Woche tagte der Finanzplanungsrat. Er ging auseinander, ohne ein nennenswertes Ergebnis zustande gebracht zu haben, sieht man von dem unwirksamen, weil einstweilen aufgeschobenen Beschluß zum Schuldendeckel der öffentlichen Hand und zur Streckung der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a des Grundgesetzes ab. Auch das Kommuniqué sagt wenig aus. Nicht einmal über die wichtigsten Orientierungsdaten konnte Einvernehmen erzielt werden. Genau das wollte ich gestern mit meinem Zwischenruf an den Herrn Bundesfinanzminister sagen. Ich habe das Stabilitätsgesetz vielleicht öfter gelesen und mindestens so gut erfaßt wie er selber, so daß ich diese Belehrung - er hat den Zwischenruf gar nicht richtig aufgenommen — mit Sicherheit nicht verdient hatte.
    Der Anteil der Investitionsausgaben an den Gesamtausgaben, also die Investitionsquote, fällt von Jahr zu Jahr kontinuierlich. Herr Strauß hat die Zahlen schon genannt. Sie fällt von 17,4 % im Jahre 1972 auf 15,2 % im Jahre 1976. Der, absolut gesehen, noch verbleibende Anstieg der Investitionsausgaben reicht bei weitem nicht aus, um dieselben Leistungen des Staates erbringen zu können, um also die Preissteigerungen aufzufangen. Weitere Steuererhöhungen sind da. Entgegen den Wahlversprechungen weisen jedoch die Ausgaben für die öffentlichen Investitionen im Bundeshaushalt sinkende Tendenz auf. Wenn man Reformen weitestgehend mit öffentlichen Investitionen gleichsetzt, wie das ja von verschiedenen Sprechern — angefangen vom Herrn Bundeskanzler über Herrn Möller bis hin zu anderen — getan worden ist, wenn man daran die Qualität des Lebens mißt, so kann die Politik, die sich in diesem Finanzplan dokumentiert, eher als eine Antireformpolitik denn als eine Reformpolitik qualifiziert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Das ist nicht mehr des kleinen Mannes Sonnenschein!)

    Das Absinken ist nun keineswegs Folge einer sparsamen Ausgabenpolitik; denn die Aufgabe, den bedrohlichen Preisauftrieb zu dämpfen, hat die Bundesregierung allein der staatlichen Einnahmepolitik zugedacht; den fiskalpolitischen Strategiewechsel erhellt das Stabilitätsprogramm vom 17. Februar dieses Jahres. Der Bund konnte sich nicht zur Ausgabendrosselung durchringen; dafür hat er die Last der Konjunkturstabilisierung einseitig dem Bürger in Form empfindlicher Steuererhöhungen aufgebürdet. Man braucht ja nicht erst die einschlägige Literatur zum Problem der konjunkturdämpfenden Wirkungen von Steuererhöhungen zu bemühen, um zu verstehen, worum es geht. Es ist schlankweg Unfug zu glauben, man könne mit der Steuerpolitik Stabilitätspolitik betreiben, wenn gleichzeitig bei den staatlichen Ausgaben aus dem Vollen geschöpft wird, die staatlichen Konsumausgaben überdurchschnittlich steigen und die investiven Ausgaben überdurchschnittlich absinken.

    (Abg. Haase [Kassel] : Sehr richtig!)

    Auf diese Weise erhalten Sie allenfalls mehr Umverteilung, aber mit Sicherheit nicht mehr Lebensqualität. Dieser Schatten liegt über dem Finanzplan. Die konsumtiven Staatsausgaben wachsen weiter. Die immer wieder angekündigte Umstrukturierung des Haushalts zugunsten der öffentlichen Investitionsaufgaben findet nicht statt. Die Ausgabenansätze für Bildung, Wissenschaft und Forschung, für Umweltschutz, Bundesstraßen und Autobahnen bleiben hinter den Ansätzen früherer Jahre zurück.
    Sie haben, Herr Bundesfinanzminister, den Haushalt 1973 als einen Haushalt der Vernunft bezeichnet. Dieses Prädikat können wir ihm nicht geben. Es ist eher ein Haushalt der Ohnmacht, der für wirkliche Reformen zuwenig — das ist vorhin schon gesagt worden — und für die Stabilität zuviel bringt.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Darf man denn nicht nüchterne Feststellungen treffen? Es ist ein Haushalt der Umverteilung als Folge einer euphorisch begonnenen, finanziell aber nicht abgesicherten Versprechungspolitik, der immer mehr im Strudel der Inflation unterzugehen droht. Die Konsequenzen sind weitere Steuererhöhungen. Sie sind für die nächsten Jahre, wie wir hier ja hören konnten, bereits vorprogrammiert.
    Es ist aber auch ein Haushalt der verspäteten Einbringung. Ich frage die Bundesregierung, insbesondere den Herrn Bundesfinanzminister — er kann da Abhilfe schaffen —, ob sie auch in Zukunft an der bisher geübten Praxis festhalten will, den Haushalt, wie in den letzten beiden Jahren geschehen — ich



    Leicht
    muß das insbesondere auf diese beiden Jahre beschränken —, so verspätet einzubringen. Dem Haushaltsausschuß muß, soll er seine kontrollierende Funktion gründlich wahrnehmen, genügend Zeit zur Beratung verbleiben. Schon jetzt ist die Frage zu stellen, ob ein 120-Milliarden-DM-Etat von den Kollegen des Haushaltsausschusses in vier Wochen so bewältigt werden kann, daß man in der Beratung mit ruhigem Gewissen sagen kann: Man kann ihn mitverantworten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)