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ID0702602200

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    Deutscher Bundestag 26. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. April 1973 Inhalt: Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . 1219 A Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1973 (Haushaltsgesetz 1973) (Drucksache 7/250) in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1972 bis 1976 (Drucksache 7/370), mit Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973 (Druckache 7/419) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol (Drucksache 7/422) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Zweites Bundesbesoldungserhöhungsgesetz) (Drucksachen 7/411, 7/442) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes über die Sechzehnte Rentenanpassung und zur Regelung der weiteren Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache 7/427) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Fünftes Anpassungsgesetz — KOV) (Abg. Geisenhofer Dr. Althammer, Ziegler, Dr. Schulze-Vorberg, Dr. Riedl [München], Dr. Waigel, Maucher, Burger, Dr. Götz, Müller [Remscheid], Dr. Blüm und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache 7/315) — Erste Beratung —Strauß (CDU/CSU) . . . . . . . 1220 D Haehser (SPD) . . . . . . . . 1232 D Kirst (FDP) . . . . . . . . 1241 A Leicht (CDU/CSU) 1246 B Dr. von Bülow (SPD) 1252 B Gallus (FDP) . . . . . . . . 1254 B Hermsdorf, Parl. Staatssekretär (BMF) 1255 D Schmidt, Bundesminister (BMF) . . 1260 B Dr. Kreile (CDU/CSU) . . 1261 A Porzner, Parl. Staatssekretär (BMF) 1264 A Offergeld (SPD) 1265 C Dr. Vohrer (FDP) 1267 D Nächste Sitzung 1269 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 1271* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. April 1973 1219 26. Sitzung Bonn, den 4. April 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 7. 4. Adams * 7. 4. Dr. Aigner * 7. 4. Dr. Artzinger * 7. 4. Dr. Bangemann * 7. 4. Dr. Becher (Pullach) 6. 4. Behrendt * 7. 4. Blumenfeld 7. 4. Buchstaller 6. 4. Dr. Burgbacher * 4. 4. Buschfort 6. 4. Dr. Corterier * 7. 4. Frau Däubler-Gmelin 6. 4. Dr. Dregger ** 16. 4. Fellermaier * 8. 4. Flämig * 7. 4. Frehsee " 7. 4. Dr. Früh * L1. Früh 7. 4. Gerlach (Emsland) * 7. 4. Gewandt 7. 4. Härzschel * 7. 4. Hofmann 6. 4. Dr. Jaeger 6. 4. Dr. Jahn (Braunschweig) * 7. 4. Kahn-Ackermann ** 7. 4. Kater 30. 4. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Kirst 6. 4. Dr. Klepsch * 7. 4. Lange * 7. 4. Lautenschlager * 6. 4. Frau Dr. Lepsius 7. 4. Löffler 6. 4. Lücker * 7. 4. Dr. Martin 7. 4. Memmel * 7. 4. Mikat 6. 4. Müller (Mülheim) * 6. 4. Mursch (Soltau-Harburg) * 6. 4. Dr. Oldenstädt 6. 4. Frau Dr. Orth * 7. 4. Picard 7. 4. Richter ** 7. 4. Dr. Riedl (München) 18. 4. Ronneburger 4. 4. Frau Schleicher 6. 4. Schmidt (München) * 7. 4. Schmidt (Wattenscheid) 7. 4. Frau Schuchardt 8. 4. Dr. Schulz (Berlin) " 7. 4. Schwabe * 7. 4. Dr. Schwencke ** 7. 4. Dr. Schwörer * 7. 4. Seefeld * 8. 4. Spillecke 6. 4. Springorum * 7. 4. Dr. Starke (Franken) * 7. 4. Walkhoff * 7. 4. Frau Dr. Wex 6. 4. Frau Dr. Wolf ** 6. 4. Wrede 7. 4.
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    Rede von Karl Haehser


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Dr. Jenninger, ich würde Ihnen dann zustimmen, wenn die Bundesregierung diesem Hause und der Öffentlichkeit nur ihr Papier über die mittelfristige Finanzplanung vorgelegt hätte. Sie legt aber dazu den Haushaltsplanentwurf 1973 vor, und sie legt das große rote Heft über die Finanzen 1973 vor.

    (Abg. Dr. Jenninger: Es geht um die mittelfristige Finanzplanung!)

    Wenn Sie sich die Mühe machen, da hineinzusehen, finden Sie all die Auskünfte — ich gebe zu, das ist eine Geduldsarbeit —, die Sie jetzt per Zwischenruf von mir verlangen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Es dreht sich um die mittelfristige Finanzplanung!)

    Lassen Sie mich bitte fortfahren. Ich möchte Sie im übrigen — und das paßt vielleicht als zusätzliche Antwort zu dem, was Kollege Jenninger gefragt hat
    — vor einer übertriebenen Gläubigkeit in solche Zahlenwerke warnen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    — Sie als christlich-demokratische Oppositionspartei sollten wissen, daß es Dinge gibt, an die man eher glauben soll als an ein Zahlenwerk.

    (Abg. Wehner: Schauen Sie sich einmal deren Gesichter an!)

    Die mittelfristige Finanzplanung ist ein Orientierungsinstrument, ist auch eine Absichtserklärung. Aber — ich wiederhole dies ausdrücklich, da Sie es nicht zu wissen scheinen — sie bedarf ständiger Überarbeitung und ständiger Fortschreibung, wie es das Gesetz auch vorschreibt. Der damalige Bundeskanzler Kiesinger, dem durch sozialdemokratische Initiativen das Instrument der mittelfristigen Finanzplanung erstmals in die Hand gegeben worden war, hat das offenbar auch richtig gesehen. Denn er hat in seiner ersten Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 gesagt, daß es zu dem düsteren Bild der Finanzlage des Bundes gekommen sei, weil eine mittelfristige Vorausschau gefehlt habe. Wörtlich sagte Herr Kiesinger damals:
    Wie kam es zu dieser Entwicklung?
    — „Düsteres Bild" der Bundesfinanzen.
    . . . Es fehlte an der mittelfristigen Vorausschau. Hätten wir schon rechtzeitig die schlichten Finanzprognosen, wie wir sie heute aufstellen, erarbeitet, so wäre diese Entwicklung vermieden worden.
    So hat Herr Kiesinger gesagt.

    (Abg. Wehner: Damals hat er recht gehabt!)

    — Er hat recht gehabt. Er hat heute sogar noch recht, Herr Kollege Wehner.

    (Abg. Wehner: Abstrakt!)

    Sie können alle davon ausgehen, daß es zu einer Finanzlage des Bundes, die ein „düsteres Bild" zeigt, nicht mehr kommen wird.

    (Abg. Dr. Althammer: Dank der Opposition!)

    Das wissen die Partner der sozialliberalen Koalition im Bundestag und die Bundesregierung zu verhindern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wie wir verhindern wollen, daß uns die Konjunktur aus dem Ruder läuft,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    zeigt deutlich der stabilitätspolitische Teil der Rede des Bundesministers der Finanzen. Auf diesen Beitrag möchte ich als Sprecher meiner Fraktion angesichts der Bedeutung für die Etatgestaltung und auch auf Grund der Rede des Herrn Strauß noch einmal ausdrücklich eingehen. Wir werden das Verhalten der Opposition zu dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Stabilisierungsprogramm sehr sorgfältig beobachten.

    (Abg. von Bockelberg: Wie heißt das Ding?)

    Ich befürchte, wir stoßen schon sehr bald auf Widersprüche,

    (Abg. von Bockelberg: Ja, schon der Name!)

    die sich in verschiedenen Reden und Initiativen der Opposition zeigen. Sie legt einerseits Gesetzentwürfe vor, die Hunderte von Millionen neuer Ausgaben verlangen,

    (Abg. Lemmrich: Das ist eine so alte Platte! Sie können mal eine neue auflegen!)

    und andererseits fordert sie die Reduzierung der Staatsausgaben als stabilitätspolitische Notwendigkeit. Dort stecken die Widersprüche,

    (Beifall bei den Regierungsparteien Abg. Wehner: So ist es!)




    Haehser
    die Sie, Herr Lemmrich, durch so unfundierte Zwischenrufe doch nicht aus der Welt schaffen können.

    (Abg. Wehner: Das ist die Kehrseite der CDU/CSU!)

    - Ja.

    (Abg. Wehner: Der Januskopf der Opposition, wissen Sie!)

    Einerseits verweigert die CDU/CSU die Zustimmung zu Einnahmeverbesserungen insgesamt, andererseits fordert sie vom Bund höhere Steueranteile für Länder und Gemeinden. Vielleicht werden Sie sich beim nächsten Teil noch mehr aufregen. Ihre Aufregung ist in aller Regel gleichzusetzen mit Ihrem eigenen schlechten Gewissen, das Sie haben.

    (Abg. Lemmrich: Solches Moralisieren führt leicht zur Heuchelei! — Weitere Zurufe.)

    — Ihres Gewissens, vielleicht. Sie hätten vielleicht keines, Herr Kollege Wehner?

    (Abg. Wehner: Ich bin da vorsichtig! — Heiterkeit bei der SPD.)

    — Als Gesamtfraktion mag das gelten, aber der einzelne wird natürlich eines haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Das war gut!)

    Während die CDU/CSU ihre Forderungen nach mehr Staatsausgaben dem Bundestag und anderen Stellen sehr präzise vorlegt, sagt sie an keiner Stelle, wo sie die geforderten Einsparungen des Bundes veranschlagen möchte.
    Vielleicht ist es an dieser Stelle schon angebracht, deutlich zu sagen, daß der Bundeshaushalt nicht nur als Instrument der Konjunktursteuerung gesehen werden kann. Er ist und bleibt das Instrument, mit dem Leistungen für den Staatsbürger und für die Gemeinschaft bewältigt werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sollen solche Leistungen, meine Damen und meine Herren von der Opposition reduziert werden etwa im sozialen Bereich oder auf dem Gebiet der Verkehrsinvestitionen

    (Abg. Lemmrich: Da tun Sie es doch!)

    oder auf dem Sektor der Ausgaben des Bundes für sein Personal?

    (Abg. Dr. Althammer: Wo hätten Sie es denn gern?)

    Sagen Sie endlich deutlich — damit wir es wissen —, wo Sie die Einsparungen, die Sie immer wieder fordern, veranschlagt sehen möchten.

    (Abg. Lemmrich: Das lehnen Sie ja doch ab!)

    Solange Sie uns die Antwort auf diese Fragen schuldig bleiben, muß ich Ihre Forderungen nach Einsparungen im Bundeshaushalt als bloßes Propagandagerede abstempeln.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Denken Sie bitte daran, daß im Bereich des großen Investitionshaushalts des Bundesministers für Verkehr Leistungen festliegen für den Straßenbau, für den Wasserstraßenbau, für die Deutsche Bundesbahn! Wollen Sie das reduzieren?

    (Abg. Lemmrich: Sie haben es doch reduziert! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das machen Sie doch schon!)

    Oder denken Sie daran, daß die Aufgaben im Bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung durch Gesetze, die wir alle beschlossen haben, zu fast 99 °/o blockiert sind? Wollen Sie sozialpolitisch bedeutsame Gesetze zurücknehmen? Wir sagen Ihnen jetzt schon: das machen wir nicht mit! Dann würden Sie in diesem Bundestag allein dastehen.

    (Beifall bei. den Regierungsparteien. — Abg. von Bockelberg: Wer hat denn die Rentenreform zurückgenommen? Wer hat das Rentenverschlechterungsgesetz beschlossen?)

    Ich will aber gern noch einmal auf den Bundeshaushalt als Instrument zur Steuerung der Konjunktur zurückkommen. Wissen Sie eigentlich, daß die direkten Investitionen des Bundes im Jahre 1972 nur 5,7 Milliarden DM ausgemacht haben, und wissen Sie, daß auf den Unternehmensbereich bzw. den privaten Sektor 184 Milliarden DM an Investitionen entfallen? Selbst wenn ich die Finanzhilfe des Bundes an Einrichtungen hinzurechne, die selbständig Investitionen betreiben, bleibt der Anteil des Bundes und der soeben angedeuteten Einrichtungen weit hinter den Investitionen der Privaten zurück. Sie wissen, daß nicht nur der Bund als öffentliche Hand investiert, sondern auch die Länder und die Gemeinden. Sparsamkeit des Bundes ist in der derzeitigen konjunkturellen Situation sicher erforderlich, und diesem Gebot kommt der Bund auch nach. Aber die Sparsamkeit des Bundes reicht allein nicht aus; das soll festgehalten werden.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Die konjunkturelle Lage ist für uns heute in der ersten Lesung des Jahresetats 1973 übrigens sehr viel klarer als ein Jahr zuvor zu beurteilen. Die zu ziehenden Konsequenzen sind sehr viel eindeutiger erkennbar als vor Jahresfrist. Wie schon der Jahreswirtschaftsbericht 1973 so stellt auch der jüngste Monatsbericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers zur wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik Deutschland fest, daß die Antriebskräfte des konjunkturellen Aufschwungs in der Bundesrepublik immer deutlicher hervortreten. Der Anstieg der Auslandsaufträge eilte zunächst in den Herbstmonaten 1972 der Binnennachfrage voraus. Am Jahreswechsel ließ dann die ansteigende inländische Nachfrage bei der Investitionsgüterindustrie eine beträchtliche Verstärkung der Investitionsabsichten der Unternehmer erkennen. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien verfolgen deshalb eine konjunkturpolitische Strategie, die eine Überforderung der realen Wachstumsmöglichkeiten im Aufschwung rechtzeitig zu verhindern versucht, um den Preisauftrieb zu begrenzen.
    Herr Strauß, Sie können das drehen und wenden, wie Sie wollen. Der Herr Bundesfinanzminister hat doch wohl gestern in seiner Rede eine eindrucksvolle aktuelle Darstellung über die Preisentwick-



    Haehser
    lung bei uns im Vergleich zu dem uns umgebenden und mit uns wirtschaftlich verbundenen Ausland gegeben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.Abg. von Bockelberg: Schweden hat er nicht genannt!)

    Diese Darstellung zeigt ganz eindeutig, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Preisauftriebsrate am Ende des Geleitzuges sind, wie es der Herr Bundesfinanzminister gestern gesagt hat.
    Die mit den internationalen Währungsunruhen verbundenen Gefahren für eine stabilitätsgerechte Konjunktur- und Kreditpolitik innerhalb der Bundesrepublik Deutschland konnten durch die jüngsten währungspolitischen Vereinbarungen erheblich eingegrenzt werden. Insofern haben sich die Aussichten für die Verwirklichung des Stabilisierungsprogramms der Bundesregierung nach zwischenzeitlichen Gefährdungen wieder gebessert.

    (Abg. von Bockelberg: Da sprechen wir uns nach einem Jahr wieder!)

    Der maßvolle Aufwertungseffekt für die Deutsche Mark wird dazu beitragen, die Überhitzungsgefahren zu mindern, die aus der Stärke der Auslandsnachfrage resultieren, und wird dazu beitragen, den starken Preisauftrieb bei den Einfuhren abzuschwächen. Die Aufhebung der unbegrenzten Interventionspflicht gegenüber dem US-Dollar, verbunden mit den gegenseitigen Bindungen der Währungen von zunächst sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft innerhalb einer engen Bandbreite, schafft günstigere Voraussetzungen für den stabilitätspolitischen Kurs in der Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank.
    Das Bündel von stabilitätspolitischen Absichten der Bundesregierung, die diese im Februar zusammen mit dem Haushaltsplan 1973 beschlossen hatte, wurde mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1973 bekanntgegeben und ist hier im Deutschen Bundestag bereits ausführlich debattiert worden. Ich beschränke mich deshalb auf eine kurze Zusammenfassung des finanzpolitischen Beitrages, der sowohl die Ausgaben- als auch die Einnahmeseite betrifft.
    Erstens. Die Bundesausgaben 1973 werden auf rund 120 Milliarden DM begrenzt. Sie halten sich damit — wie gestern von Bundesminister Schmidt bereits ausgeführt — an den Rahmenbeschluß, den die sozialliberale Bundesregierung am 6. September 1972, also schon vor den Bundestagswahlen, gefaßt hatte und den sie auch während des Wahlkampfes aufrechterhalten und verteidigt hatte. Damals hat die Opposition die Realisierungsmöglichkeiten dieses Ausgabenrahmens angezweifelt. Wie sich jetzt herausstellt, ist dies zu Unrecht geschehen.

    (Abg. von Bockelberg: Ja, weil manipuliert worden ist!)

    Sie haben damals von zweistelligen Finanzierungsdefiziten und von einer angeblich erforderlichen Ausgabenvermehrung in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM gesprochen bzw. sich das von Herrn Schiller aufschwatzen lassen. Das sind doch die Tatbestände.
    Die Wirklichkeit sieht jedoch so aus, wie wir es schon vor der Bundestagswahl gesagt haben. Die Haushaltspolitik des Bundes steht auf einem soliden Fundament. Bei früheren CDU-Regierungen war solches gradliniges Verhalten vor der Wahl und nach der Wahl längst nicht immer selbstverständlich.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Herr Kollege Wagner, da waren Sie noch in Europa und nicht in Bonn. — Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an das unrühmliche Haushaltssicherungsgesetz,

    (Beifall bei den Regierungsparteien Abg. Dr. Jenninger: Und Sie hauen die Rentner in die Pfanne!)

    das die Versprechungen wieder einkassierte, die seinerzeit von der Regierung Erhard vor der Wahl dem Bürger gemacht worden waren.

    (Abg. Lemmrich: Sie finanzieren es über die Inflation! — Abg. Gerster [Mainz] : Bleiben Sie doch mal in der Gegenwart!)

    — Da ist es wieder, das kollektive schlechte Gewissen, von dem ich vorhin gesprochen habe.
    Im Gegensatz dazu scheut sich die sozialliberale Koalition nicht, —

    (Abg. Gerster [Mainz] : Die Rentenreform zu demontieren!)

    — Ich kenne Sie nicht, sonst würde ich Sie mit dem Namen ansprechen; wenn Sie Sachbeiträge liefern, werde ich Sie sicher noch kennenlernen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Im Gegensatz dazu scheut sich die sozialliberale Koalition nicht, auch vor der Wahl unpopuläre Maßnahmen zur Erörterung zu stellen. Sie führt den Wähler nicht hinters Licht, und das hat der Wähler der Koalition gedankt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wagner [Trier] : Auf die Rentenreform geht er nicht ein!)

    Zweitens. Die Zuwachsrate des Bundeshaushalts 1973 wird gegenüber den Ist-Ausgaben um 9,7 v. H. anwachsen und damit noch unter der erwarteten Zunahme des Bruttosozialprodukts, die zur Zeit mit 10,5 % angenommen wird, liegen. Zum Teil liegen die Steigerungsraten der Länder über denen des Bundes, zum Teil auf gleicher Höhe, in keinem Fall unter der des Bundes.
    Drittens. Durch eine verschärfte vorläufige Haushaltsführung — die Sie übrigens landauf, landab angreifen und gegen die Sie polemisieren — werden bis zur Verabschiedung des Bundeshaushalts 1973, die wir uns für einen Zeitpunkt vor der Sommerpause vorgenommen haben — und an diesem Vorhaben wollen wir ja auch alle zusammen nicht rütteln lassen —, die Ausgaben wesentlich beschränkt. Das gleiche gilt für das Eingehen von Verpflichtungsermächtigungen.
    Außerdem hat die Bundesregierung die Absicht — für deren Verwirklichung ich ihr viel Glück wünsche, wie ich gern hinzufüge , im Etatjahr 1973 2000 Stellen einzusparen, und sie hat die Absicht, die



    Haehser
    Subventionierung der Zuwendungsempfänger um 5 v. H. zu vermindern. Wenn ich der Bundesregierung dazu Glück wünsche, daß diese Vorhaben funktionieren, dann biete ich natürlich zugleich die Mitarbeit bei der Realisierung an.

    (Abg. Dr. Jenninger: Da machen wir gern mit! — Abg. Schröder [Lüneburg] : Überzeugt scheinen Sie davon aber nicht zu sein!)

    Viertens. Außerdem ist im Finanzplanungsrat jetzt — nämlich am 29. März — zwischen Bund und Ländern die Durchführung der Rahmenpläne bei den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a unseres Grundgesetzes konkretisiert worden. Die Ausgaben sollen in der Weise gestreckt werden, daß sie im Vollzug des Haushaltsplanes 1973 um 10% gekürzt werden und daß auch in der mittelfristigen Finanzplanung in gleicher Weise verfahren wird.
    Fünftens. Von der Finanzierungsseite her leistet der Bundeshaushalt seinen Stabilitätsbeitrag,

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Abg. Lemmrich: Beständiges Wiederholen!)

    indem er die Nettokreditaufnahme im Regierungsentwurf — wie schon 1972 — begrenzt, und zwar auf 3,8 Milliarden DM.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Lemmrich.)

    — Sie haben zwar eine schöne Stimme, Herr Lemmrich, aber etwas Vernünftiges hört man von Ihnen auch selten.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich sehe, einige Ihrer Kollegen stimmen mir bei meinen Ausführungen mit freudigen Gesichtern zu!

    (Erneute Heiterkeit bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

    Im bisherigen Finanzplan war für 1973 eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 5,8 Milliarden DM vorgesehen. Die Opposition redet immer nur davon, daß Ausgabeabsichten im jetzigen Finanzplan gegenüber früheren Finanzplänen zurückgestellt worden seien. Sie verschweigt geflissentlich, daß auch eine Kürzung der Kreditaufnahme beabsichtigt ist.
    Die Bundesregierung hält im übrigen ihre im internationalen Vergleich niedrige Verschuldensquote, gemessen am Bruttosozialprodukt, und sie hält den niedrigen Anteil des Schuldendienstes, gemessen am Gesamthaushalt, aufrecht. Auch das verschweigt die Opposition, weil das in ihr Gerede vom Finanzchaos nicht hineinpassen würde.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Sechstens. Der Finanzplanungsrat hat am 29. März dieses Jahres den Vorschlag der Bundesregierung aufgegriffen, wonach durch eine Rechtsverordnung nach § 19 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes die Nettokreditaufnahme aller Gebietskörperschaften, also nicht nur die des Bundes, auf die Summe des Vorjahres begrenzt werden soll.
    Siebentens. Außerdem werden Steuermehreinnahmen, wie sie sich gegebenenfalls gegenüber der aus dem Frühjahr 1973 stammenden Steuerschätzung ergeben könnten, bei der Bundesbank stillgelegt, soweit sie nicht vernünftigerweise zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme oder zum Ausgleich nicht abweisbarer Mehrausgaben verwendet werden.
    Meine Damen und meine Herren, gerade im Zusammenhang mit dem, was ich eingangs über die Möglichkeiten gesagt habe, die dem Bundeshaushalt zur Konjunktursteuerung gegeben sind, gewinnt dieses von mir aufgezeigte Maßnahmenbündel seine ganze Bedeutung. Ich wiederhole mit anderen Worten, was ich bereits sagte: Mit einer sich über mehrere Jahre hinziehenden Streckung oder Verminderung des öffentlichen Leistungsangebots wäre die Qualität des Lebens nicht zu verbessern, sondern könnten nicht mehr reparable Schäden für die zukünftige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung entstehen. Mein Fraktionskollege Dr. Klaus Dieter Arndt, mit dem ich gestern eine Diskussion hatte,

    (Oho-Rufe von der CDU/CSU)

    nannte es so, daß wir es beim Bundeshaushalt noch immer mit eine Stabilitätsfalle zu tun hätten, die uns daran hindere, mit dringenden öffentlichen Investitionen zügiger voranzumarschieren.
    Meine Bundestags-Fraktion begrüßt es deshalb ausdrücklich, daß die Bundesregierung den Beitrag der Finanzpolitik zum Stabilisierungsprogramm nicht auf die Ausgabenseite beschränkt, sondern in erheblichem Umfange auch auf die Einnahmeseite ausgeweitet hat. Die steuerpolitischen Maßnahmen, einschließlich der Stabilitätsanleihe, sind — im Gegensatz zu allem vorangegangenen Gerede — sozial und verteilungspolitisch in sich ausgewogen.

    (Abg. Gerster [Mainz] : Das glauben Sie doch selbst nicht!)

    Sie reden so, als ob die deutschen Mitbürger von morgens bis abends nichts anderes täten als Auto zu fahren. In Wirklichkeit müssen sie zwischen ihren Fahrten auch ganz hart arbeiten. Und wenn ich von ausgewogenen Mehrbelastungen spreche, dann darf ich Sie bitten, das, was ich nachher zu sagen habe, korrekt zu beurteilen.

    (Abg. von Bockelberg: Was ist mit der Kilometer-Pauschale?!)

    Mein Kollege Offergeld wird zu diesen ganzen Fragen der Einnahmepolitik noch etwas sagen. Ich beschränke mich daher auf die Aufzählung der Bausteine:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bruchsteine!)

    — Das war allenfalls witzig, aber ziemlich dumm.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Seiters: Gehen Sie doch einmal auf Zwischenrufe ein! — Zuruf des Abg. Wehner.)

    — Ja, ich sehe es kommen; das gilt auch für die nachfolgenden Redner, die ich ausdrücklich warnen will.

    (Abg. Gerster [Mainz] : Lesen die auch alle ab?!)




    Haehser
    — Es scheint mir fast, daß ich es etwas besser kann als der Kollege Strauß.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    a) Durch die Erhebung einer Stabilitätsabgabe auf die Einkommensteuer von Verheirateten von einem Jahreseinkommen von 200 000 DM an wird ein Aufkommen von 2,4 Milliarden DM erwartet, das bei der Bundesbank stillgelegt wird.
    b) Die Stabilitätsanleihe, deren gesetzliche Ermächtigung im Haushaltsgesetz 1973 enthalten ist, wird 4 Milliarden DM privater Kaufkraft abschöpfen, die ebenfalls bei der Bundesbank stillgelegt werden.

    (Abg. von Bockelberg: Warum sprechen Sie nicht von der Körperschaftsteuer!?)

    Hier ist wohl die Einfügung angebracht, daß die
    Stabilitätsanleihe gut am Markt angekommen ist.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    c) Aus der Erhöhung der Mineralölsteuer sowie der Verkürzung von Zahlungsfristen bei dieser Steuer und auch bei der Branntweinabgabe kommen 1973 1,4 Milliarden DM auf, die zur Verringerung der Nettokreditaufnahme des Bundes eingesetzt werden.
    d) Die Bundesregierung ist zum Abbau der steuerlichen Subventionen entschlossen und senkt zunächst die Investitionszulagen für Forschung und Entwicklung sowie die mit regionalpolitischer Zielsetzung. Die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Sonderausgaben wird vom nächsten Jahre an beseitigt. Die Abschreibung für Gebäude nach § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes wird aufgehoben.
    Ich zähle diese Maßnahmen nicht nur auf, sondern ich stelle hier fest, daß wir hinter diesen Maßnahmen stehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Mit diesen Maßnahmen wird die Finanzierung notwendiger Ausgaben des Bundes im Jahre 1973 den konjunkturpolitischen Erfordernissen kurzfristig angepaßt und gleichzeitig einer Übersteigerung der privaten Nachfrage entgegengewirkt.

    (Zuruf des Abg. von Bockelberg.)

    Mittelfristig kann durch die Maßnahmen die Finanzierung der wachsenden öffentlichen Ausgaben sichergestellt werden.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das Defizit der Bundesbahn!)

    Lassen Sie mich, meine Damen und meine Herren, dem Gesagten noch hinzufügen, daß das gesetzte Stabilitätsziel bei von uns allen gewünschter Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung nur dann verwirklicht werden kann, wenn die Bundesregierung nicht alleine steht. Sie bedarf sowohl der Unterstützung aller am Wirtschaftsprozeß beteiligten Gruppen als auch der verstärkten Bereitschaft unserer europäischen Partner zu stabilitätspolitischem Bemühen. Der Bund ist ebenso angewiesen auf die Mitwirkung der Länder und Gemeinden, denen trotz gesamtwirtschaftlicher Verpflichtung nach der Verfassung unverändert grundsätzlich die Autonomie ihrer Haushaltswirtschaft garantiert ist.
    Ich begrüße in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß wenigstens vorhin ein paar Repräsentanten des Bundesrates anwesend waren. Ich kann mir nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß die Äußerungen, wie sie aus dem Bundesrat kommen, mich sehr bewegen. Die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages erwartet von den Herren des Bundesrates, daß sie nach besten Kräften der Politik der Bundesregierung, die dem Wohle aller Mitbürger und nicht etwa nur den Wählern der sozialliberalen Koalition dienen soll, unterstützen und ihr nicht entgegenwirken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich sage hier ganz deutlich, eine zufällige Mehrheit von 22 zu 21 Sitzen im Bundesrat

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!)

    kann das Votum von über 20 Millionen Wählern, das hinter der sozialliberalen Koalition steht, nicht aus den Angeln heben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben ja keine Ahnung! Informieren Sie sich einmal über die Zusammensetzung, die Zahlen stimmen doch gar nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wer das versucht, wird Schiffbruch erleiden und wird der Einrichtung und dem Ansehen des Bundesrates Schaden zufügen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, am Schluß —

    (Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Gott sei Dank!)

    — Für Sie habe ich nicht gesprochen. Sie haben nur einen Bruchteil verstanden.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Meine Damen und meine Herren, am Schluß möchte ich namens meiner Fraktion dem Herrn Bundesminister der Finanzen danken für die Vorlage des Etatentwurfs 1973.

    (Abg. Dr. Klepsch: Und beglückwünschen?)

    Ich möchte auch den Mitarbeitern danken, die in mühevoller Arbeit an diesem Zahlenwerk mitgewirkt haben.

    (Abg. Gerster [Mainz] : Das könnten Sie doch wenigstens frei sprechen! — Gegenruf des Abg. Wehner: Sie sind ein Flegel, weiter gar nichts!)

    Ich sage Ihnen die Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und nicht zuletzt ihrer Mitglieder des Haushaltsausschusses zu, damit aus diesem Entwurf ein Haushaltsplan wird, der zum Wohle der Bürger in diesem Lande realisiert werden kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)






Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Victor Kirst


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Absicht, diese erste Lesung des Bundeshaushalts 1973 einmal zu grundsätzlichen Ausführungen über unsere Haushaltspolitik, über die Situation der Haushaltspolitik in diesem Lande und in diesem Hause zu benutzen — ich habe das neulich schon einmal angekündigt —, ist durch die Rede des Kollegen Strauß, wie ich sagen möchte, nur notwendiger geworden und durch die Ausführungen des Kollegen Haehser erleichtert worden, weil er vieles oder fast alles an positiver Betrachtung der beiden Vorlagen, über die wir hier ja wohl zunächst debattieren, verständlicherweise vorweggenommen hat. Ich werde mich also bis auf wenige abschließende Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Strauß heute einmal mit grundsätzlichen Überlegungen zur Situation der Haushaltspolitik befassen.
    Nur so viel noch vorweg: Der Kollege Strauß hat bemängelt, wenn ich das richtig verstanden habe, daß die sechs Tagesordnungspunkte, die auf der Tagesordnung dieser Woche stehen, in einer verbundenen Debatte behandelt werden. Er hat das nicht nur bemängelt, er hat das bedauert. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen, einmal die, daß er möglicherweise hier sechsmal diese Platte ablaufen lassen wollte,

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien)

    vielleicht nicht unbedingt immer in eigener Person. Es kann natürlich auch sein, daß es da Probleme des innerfraktionellen Ausgleichs gibt, die einen solchen Wunsch nahelegen.

    (Erneute Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Ich meine, ein Mann, der, wenn er hier oben steht, so viel wirtschaftliches Verständnis vorgibt, sollte auch etwas von der Arbeitsökonomie halten. Ich glaube, die Verbindung dieser Debatten ist doch als arbeitsökonomisch im Sinne unseres Hauses anzusehen.
    Ich würde gern anknüpfen — ohne das hier wiederholen zu wollen — an das, was ich gesagt habe, als ich zum erstenmal vor gut drei Jahren hier in einer ersten Lesung eines Haushaltsplanes sprach. Das, was ich damals über die Grenzen der Möglichkeiten einer antizyklischen Haushaltspolitik gesagt habe, hat sich durch die Erfahrungen der letzten drei Jahre mehr als bestätigt. Dabei müssen wir die Grenzen in doppelter Hinsicht sehen, nämlich die Grenzen der Wirkungen und die Grenzen der Möglichkeiten. Beides berührt sich zum Teil, beides überschneidet sich zum Teil.
    Lassen Sie mich diese begrenzten Möglichkeiten einmal an einem Gedankenspiel, an einer Modellrechnung — oder wie immer Sie es nennen wollen — verdeutlichen. Ich möchte dabei an ein sehr richtiges Wort anknüpfen, das der Kollege Strauß bei der Debatte über die Regierungserklärung gesagt hat, von dem nur in seiner heutigen Rede absolut nichts zu spüren war. Herr Strauß hat damals gesagt, als er sich, sozusagen prohibitiv, gegen beabsichtigte Steuererhöhungen wandte, das sei ja nun sicher keine Konjunkturpolitik, denn das sei konjunkturpolitisch nicht wirksam, es sei denn, man lege sie still, denn — und das ist der entscheidend wichtige Satz — Nachfrage sei Nachfrage, von wem immer sie ausgeübt werde, ob von privater Seite, ob von der Wirtschaft oder vom Staat. Ich glaube, das ist eine entscheidende Feststellung, die wir immer an die Spitze unserer Überlegungen über die Möglichkeiten und Grenzen einer antizyklischen Haushaltspolitik stellen müssen.
    Wenn wir uns nur gedanklich — ich bitte, das nicht falsch zu verstehen — einmal vorstellten, wir würden in der gegenwärtigen Situation die Steuern um 10 Milliarden DM erhöhen, dann hätten wir ein Haushaltsvolumen von 130 Milliarden DM zur Verfügung. Damit könnten wir sicher viele gute Sachen machen. Die private Nachfrage würde um 10 Milliarden DM geringer sein. Per Saldo würde die Gesamtnachfrage durch diese Transaktion überhaupt nicht beeinträchtigt.
    Umgekehrt: wenn wir uns einmal die Vorstellung leisten, wir würden die Steuern um 10 Milliarden DM senken, dann hätten wir ein Haushaltsvolumen von nur 110 Milliarden DM. Das würde nach Lage der Dinge überhaupt nicht ausreichen. Die private Nachfrage hätte 10 Milliarden DM mehr. Aber auch hier derselbe Effekt einer unveränderten Gesamtquantität der Nachfrage, und auf die kommt es konjunktur- und preispolitisch an. Diese beiden Operationen würden unter diesem Gesichtspunkt jeweils plus minus Null ausgehen.
    Ich sage das, um hier noch einmal den gewiß schwierigen Versuch zu unternehmen, aus den Debatten des Hauses über die Haushaltspolitik den „Zuwachsratenfetischismus", wie ich es vor kurzem hier bezeichnet habe, herauszubringen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Zumindest sollten wir uns von der rein quantitativen Betrachtung lösen, die haushaltspolitisch nur in die Wüste führen kann. Nicht die quantitative Betrachtung ist entscheidend, sondern die qualitative. Da liegt der entscheidende Punkt.
    Ich darf das hier wiederum an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn die Regierung im Rahmen des zitierten Prgramms z. B. den Satz für die Investitionszulagen von 10 % auf 7,5 % zu senken vorschlägt, dann schlägt dies, weil hier der bekannte Multiplikatoreffekt zum Ausdruck kommt, viel mehr durch, als wenn ich Hunderte von Millionen für normale Staatsausgaben nicht ausgebe. Ich glaube, das ist der Fehler in der Betrachtungsweise, dem wir vielleicht alle in den vergangenen Jahren erlegen sind, nämlich daß wir die Dinge immer wieder nur rein quantitativ und nicht qualitativ gesehen haben. Wir sollten, wenn wir Konjunkturpolitik über Haushaltspolitik machen, versuchen, so viele solcher qualitativ interessanten, mit Multiplikatorwirkung verbundenen Posten wie möglich zu ermitteln; denn die reine Umverteilung zwischen privater und öffentlicher Nachfrage ist eben prak-



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    tisch — ich berufe mich hier wieder auf den Kollegen Strauß — konjunkturpolitisch neutral. Ich meine, daß die ganze Auseinandersetzung, von der wir heute in der Rede des Kollegen Strauß wieder einen mehr oder weniger erfreulichen Höhepunkt erlebt haben, ins rechte Licht gesetzt werden kann,

    (Zuruf des Abg. Stücklen)

    wenn wir uns, Herr Kollege Stücklen, einmal ganz nüchtern und sachlich über diese Grundlagen unterhalten und nicht alles hinter einer Nebelwand — ich hätte beinahe ein hartes Wort gebraucht — verbergen.
    Lassen Sie mich das noch an einem anderen Beispiel verdeutlichen, damit es plastisch wird. Für das Land, die Konjunktur und die Preisentwicklung ist es praktisch gleich, ob — wahrscheinlich sind es zum großen Teil sogar noch dieselben Werke — eine Summe X für den Bau von Panzern für die Bundeswehr oder von Lastwagen für die Wirtschaft ausgegeben wird. Das muß man einmal sehr deutlich sehen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, daß selbst eine weit über dem nominellen Wachstum des Bruttosozialprodukts liegende Zuwachsrate des Haushalts auch dann noch konjunkturpolitisch vertretbar ist, wenn innerhalb dieser Gesamterhöhung eine ganze Reihe entscheidender Punkte mit Multiplikatorwirkung negativ behandelt, d. h. gekürzt oder gestrichen werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haehser: Sehr gut!)

    Die falschen Vorstellungen über die Möglichkeit der konjunkturellen Einflußnahme durch Haushaltspolitik stammen zudem doch wohl aus einer Zeit, wo wir es mit der genau umgekehrten Situation zu tun hatten, nämlich mit der Rezession. Es wäre eine historische Fleißaufgabe, sich die damaligen Konjunkturhaushalte, von denen es vielleicht einen zuviel gegeben hat — ich will das jetzt nicht untersuchen —, noch einmal anzusehen, wo in der Tat mit der Summe X durch die Multiplikatorwirkung das Mehrfache von X erreicht werden konnte.
    Dieses falsche Verständnis der Möglichkeiten der antizyklischen Haushaltspolitik, diese falsche rein quantitative Betrachtung und diese falschen Schlüsse aus einer umgekehrten Situation, als sie jetzt besteht, haben doch zu dem geführt, was ich als einen Zustand bezeichnen möchte, in dem sich die Konjunkturpolitik, so wichtig und nötig und richtig sie ist, immer mehr zur Geisel der Haushaltspolitik entwickelt hat oder umgekehrt die Haushaltspolitik in Gefahr geraten ist, eine bloße Funktion der Konjunkturpolitik zu werden. Die eigentliche Fragestellung, um die es bei einer Haushaltsdebatte gehen sollte, wird dabei völlig verwischt, ich meine die Frage nach der Größenordnung — unabhängig von der konjunkturpolitischen Situation — des öffentlichen Bedarfs und der Form seiner Deckung. Das ist, wenn ich es so formulieren darf, die klassische Fragestellung der Haushaltspolitik, über die zu debattieren wir jederzeit bereit sind.
    Die heutige Betrachtungsweise, die auch in den Ausführungen des Kollegen Strauß wieder ihren Ausdruck gefunden hat, ist eben einfach das Ergebnis der jahrelangen Verketzerung der Aufgabe und der Funktion der öffentlichen Haushalte als Inflationsquelle.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Das hat begonnen, als Sie im Herbst 1969, ohne es zunächst richtig begreifen zu können, auf die Bänke der Opposition gerieten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Warum machen Sie dann überhaupt noch Stabilitätspolitik?)

    — Herr Kollege Jenninger, darüber werden wir auch noch reden.
    Der Herr Kollege Barzel bemüht bei jeder passenden und manchmal wohl auch unpassenden Gelegenheit das Wort von der Solidarität der Demokraten in diesem Hause. Ich meine, wir stoßen hier an einen Punkt, wo es auch um Solidarität gehen müßte, nämlich um die Solidarität der für die Erfüllung der Aufgaben des Staatswesens „Bundesrepublik" Verantwortlichen — und das sind wir alle, nicht nur die Regierung und die Koalitionsparteien.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mit anderen Worten: Solidarität der Demokraten in diesem Hause bedeutet eben auch einmal den Verzicht auf Solidarisierung mit jenen, die vielleicht aus berechtigter Interessenlage heraus, aber doch meist in unqualifizierter Art Funktion und Aufgaben nicht nur der Regierung und der Mehrheit in diesem Hause, sondern des gesamten Parlaments, der gesamten Bundesrepublik mit ihrer Verketzerung der Aufgaben der öffentlichen Hände in Frage stellen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das gilt auch für den Bereich der Finanzierung eines Teils der öffentlichen Aufgaben über Kredite. Ich will hier gar nicht all das wiederholen, was ich in den vielen Auseinandersetzungen über den Haushaltsplan 1972 zur Frage der öffentlichen Kredite gesagt habe. Die Bundesregierung hat für das Jahr 1973 einen Anspruch in Höhe von 3,8 Milliarden DM an den Kapitalmarkt angemeldet; das sind nicht mehr als 3 % der gesamten Haushaltssumme. Bei einem Haushaltsvolumen von 120 Milliarden DM ist, wie ich glaube, ein Schuldendienst von etwa 4 Milliarden DM eine sehr solide Basis. Auch in diesen Zahlen kommt zum Ausdruck, wie richtig es ist, daß wir von den Koalitionsparteien ebenso wie die Regierung immer wieder betonen, daß wir solide Finanzen haben. Wir wissen ja auch, wie die Entwicklung in den Jahren 1970, 1971 und 1972 gewesen ist. 1970 betrug die Nettokreditaufnahme 1 Milliarde DM bei einem Haushaltsvolumen von 90 Millionen DM. 1971 belief sie sich bei einem Haushaltsvolumen von 100 Milliarden DM auch nur auf 1 Milliarde DM. Dazu wurden noch Steuereinnahmen in der gleichen Größenordnung bei der Bundesbank freiwillig stillgelegt. 1972 betrug die Nettokreditaufnahme allerdings 3 Milliarden DM, dies aber nur auf Grund der beiden berechtigten und vernünftigen Transaktionen, auf die Herr Kollege Haehser eben schon hingewiesen hat.



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    Diese Begrenzung des Anspruchs an den Kapitalmarkt — wir Freien Demokraten gehen allerdings davon aus, daß sie nicht nur auf dem Papier stehen sollte; eine weitere Begrenzung dankt uns niemand, sondern andere nehmen sich ihren noch größeren Teil vom Kuchen —

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    ist nur konjunkturpolitisch und nicht finanzpolitisch zu erklären. Finanzpolitisch könnten wir, um es einmal sehr drastisch zu sagen, viel mehr hinlangen. Das muß man hier, glaube ich, berücksichtigen.
    Ich möchte die Gelegenheit benutzen, an dieser Stelle etwas zu dem gewiß heiklen Punkt der Mineralölsteuererhöhung zu sagen. Herr Kollege Strauß hat ein ganzes Bataillon FDP-Stimmen zu möglichen Steuererhöhungen zitiert.

    (Abg. Strauß: Man möchte nicht glauben, daß es so viele gibt!)

    — Wenn es darauf ankommt, gibt es immer noch genug, Herr Strauß. Ich möchte ganz deutlich folgendes sagen. Die Aussage von uns — einige von uns sind hier ja zitiert worden —, daß für den Haushalt 1973 Steuererhöhungen nicht nötig sind, war immer nur rein finanzpolitisch gemeint. Diese Aussage war so richtig, ist so richtig und bleibt so richtig.

    (Abg. Strauß: Jetzt wissen wir es!)

    Meine Damen und Herren, ich wage aber eine Prophezeiung. Welcher Finanzminister auch immer mit einem Kreditanspruch in Höhe von nicht nur 3,8 Milliarden DM, sondern 5 Milliarden DM gekommen wäre — die gleichen Kritiker, die heute die Erhöhung der Mineralölsteuer kritisieren, wären wegen dieser Maßnahme wie die Geier über ihn hergefallen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Denjenigen Verbandsfunktionären, die heute leidenschaftliche Reden gegen diese Steuererhöhung halten, würde ich empfehlen, doch einmal ihre eigenen Reden zur konjunkturpolitischen Situation in den letzten drei Jahren nachzulesen. Dann würden sie vielleicht feststellen, daß sie selber nicht unerheblich zu einem Klima beigetragen haben, in dem eine andere Möglichkeit als diese, die wir sehr bedauern, nicht übriggeblieben ist. Das muß einmal im Interesse der intellektuellen Redlichkeit auch in dieser Frage gesagt werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Unabhängig davon, meine Damen und Herren, bleiben unserer Aussagen, die wir hier zu Möglichkeiten der öffentlichen Verschuldung gemacht haben, richtig. Ich könnte mir vorstellen: Je mehr es gelingt, die Haushaltspolitik wieder selbständig zu machen, um so mehr ist es auch möglich, diese Aussagen dann zu verwirklichen. Denn es stellt sich natürlich die Frage: Wann kann man in diesem Land etwas finanzpolitisch Richtiges eigentlich noch verwirklichen? Haben wir die Hochkonjunktur wie heute, dann geht das angeblich nicht, weil wir dadurch — ich bestreite, daß es so ist — die Inflation anheizen. Haben wir eine Rezession, dann wird vermutlich nicht das Kapital am Kapitalmarkt sein, das der Bund dann ganz gern aufnehmen möchte.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Die Situation ist also immer so, daß irgend etwas im Wege steht.
    Die Sachverständigen haben in ihrem Bericht gemeint — das ist in diesem Zusammenhang ganz interessant; ich habe darüber bei der abschließenden Beratung des Haushalts 1972 im Dezember, glaube ich, schon gesprochen —, einen Hauptteil der Verantwortung für die 1972 eingetretenen, bei der Erstellung des Berichts so gut wie absehbaren Preissteigerungen der Zunahme der öffentlichen Kredite zuschreiben zu müssen. Nun ist natürlich interessant, folgendes Ergebnis festzustellen: Die öffentlichen Hände Bund und Länder haben im Jahre 1972 weit weniger öffentliche Kredite aufgenommen, als die Sachverständigen damals bei ihren Berechnungen angenommen haben. Aber der Preisanstieg war exakt so hoch, wie sie ihn angenommen haben. Da kann doch irgend etwas in der Folge von Ursache und Wirkung nicht stimmen. Hier müßte doch wirklich einmal sehr gründlich untersucht werden, wie diese Zusammenhänge sind.
    Ich will es einmal sehr vorsichtig ausdrücken: Vielleicht schleppen wir hier irgend etwas von Autoritätsfurcht oder Autoritätsduselei noch mit uns herum, daß wir an das alles, was aus zwei bestimmten Quellen kommt — die eine habe ich genannt, die andere will ich höflicherweise nicht nennen —, als nahezu von Gott gegebene Autorität empfinden, darüber zu diskutieren aufhören und es einfach hinnehmen. Ich glaube da machen wir es uns als Parlament doch etwas zu leicht. Wir sollten auch selber über diese Dinge nachdenken und nicht alles für bare Münze nehmen, was uns dazu von solchen Stellen sachverständiger oder unabhängiger Art gesagt wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das wäre der Sinn dieser Ausführungen zum Haushalt 1973: hier einen Beitrag völlig jenseits der Parteifronten und insofern grundsätzlich zu leisten, der dazu dient, daß wir uns jedenfalls in begrenztem Maße auf die Notwendigkeit einer souveränen Haushaltspolitik besinnen. Das würde uns das makabre Spiel ersparen, das .wir sicher auch in dieser Debatte wieder spielen müssen. Wenn ich nämlich einmal unterstelle, daß das, was ich sage, falsch, und das, was die CDU sagt, richtig wäre, dann müßten wir zu Recht sagen: Von den öffentlichen Haushalten entfallen ja überhaupt nur gut 40 % auf den Bund; das andere sind Mittel der Länder und Gemeinden. Es beginnt das Spiel, das man so kennzeichnen kann: Haust du unseren Schmidt, dann hauen wir deinen Stoltenberg; und haut ihr unseren Kühn, dann hauen wir euren Kohl. Das wäre vielleicht anderen ganz angenehm. Man kann auch Goppel sagen, um die Symmetrie des Prestiges in der Union herzustellen. Das könnten wir uns damit ersparen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    1244 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 4. April 1973
    Kirst
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auch noch ein paar Worte zur Analyse, wenn Sie so wollen, des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern und — damit im Zusammenhang stehend — natürlich Gemeinden, Minister Schmidt hat völlig recht mit dem, was er gestern in dieser Deutlichkeit gesagt hat: Die heute sichtbare Finanzmasse — so ungefähr war es formuliert — erlaubt zusätzliche Abgaben insbesondere im Bereich der Mehrwertsteuer an die Länder nicht. Das ist eine ganz nüchterne Feststellung, und das entspricht eigentlich dem, was der Kollege Strauß immer fordert, daß die Regierung rechtzeitig die Wahrheit sagt. Man könnte noch ergänzen: Außer einer möglichen Steuererhöhung für die Länder könnten, wenn wir viel Glück hätten, natürlich besonders hohe Steuereingänge, die wir heute noch nicht abzuschätzen wagen, dies teilweise abdecken. Aber beides ist unbefriedigend. Es wäre sowohl unbefriedigend, daß wir diesen Zuwachs dann nicht für Prioritäten im Bundeshaushalt verwenden könnten, und es ist und bleibt unbefriedigend, daß sich der Bund — und, so wie Sie sich bisher benommen haben, eben nur die im Bund Verantwortung tragenden Kräfte — als Steuereintreiber der Länder betätigen muß. Das ist die Crux, mit der wir es hier zu tun haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Das steht doch im Grundgesetz!)

    Ich erinnere an die Neuregelung 1972 mit den 5 % und den Ergänzungszuweisungen. Was haben wir dafür gemacht? Wir haben die Branntweinsteuer und die Tabaksteuer erhöht.
    Ich stelle an die Regierung diesmal allerdings die Frage: Ist es nicht doch gesetzestechnisch möglich, diese Dinge, wenn es so kommt, einmal so miteinander zu verzahnen, daß es der CDU-Opposition nicht möglich ist, als feiner Mann der Änderung des Beteiligungsschlüssels zuzustimmen, sich aber bei den dann erforderlichen Steuererhöhungen zu drücken?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin dafür, das einmal so zu verzahnen, daß man hier wirklich einmal Farbe bekennen muß.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Daran ließen Sie schon mal eine Koalition platzen!)

    — Ach, das waren damals ganz andere Voraussetzungen, Herr Kollege Müller-Hermann.

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Die Mühe ist vergeblich, Herr Kirst!)

    — Gut, dann werden Sie eben nicht den Anspruch erheben können, etwas für die Verbesserung der Finanzverhältnisse der Länder getan zu haben. Das ist Ihr Problem.
    Diese Zusammenhänge sollten uns eigentlich einen Moment auch einmal Veranlassung geben, die Finanzverfassung und das Verhältnis von Bund und Ländern etwas grundsätzlich zu sehen. Die Finanzminister der Länder spielen in dieser Situation eine, man kann nun sagen: glückliche, man kann auch sagen: makabre Rolle. Das ist nun einmal eine etwas seltsame Art von Finanzministern, die denen, von denen sie gewählt werden, überhaupt nur für die Ausgaben und nicht für die Einnahmen verantwortlich sind. So ist es doch. Das muß man dabei doch einmal sehen. Es kompliziert diese Dinge politisch natürlich um so mehr, wenn sich nicht die Finanzminister, sondern im allgemeinen die Ministerpräsidenten dann noch bemüßigt fühlen, nachdem der arme Teufel seine Schuldigkeit getan und für die Länder die Steuern erhöht hat, ihm in allen. möglichen politischen Fragen, wo Länderinteressen überhaupt nicht zur Debatte stehen, Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen weist nicht nur die Situation der Länderfinanzminister, sondern überhaupt die der Länderregierungen und der Länderparlamente diese etwas schwierige Konstruktion auf, wobei ich als Hamburger natürlich genau weiß, daß das in den Stadtstaaten jedenfalls etwas anders ist, weil hier immerhin ein gewisses Maß an Finanzhoheit der Gemeinde mit Gewerbesteuersätzen und Grundsteuerhebesätzen gegeben ist.
    Aber die Frage ist doch zu stellen, als Denkanstoß — und ich meine, wir sollten eine solche erste Lesung auch einmal dazu benutzen, uns gegenseitig etwas zum Denken aufzugeben, und uns nicht immer nur gegenseitig schlecht machen —: Kann auf die Dauer auf die Identität zwischen denen, die für die Einnahmen, und denen, die für die Ausgaben verantwortlich sind, in einem solchen Ausmaß verzichtet werden? Und eine weitere Frage: Wer garantiert denn dem Bund, daß in den Ländern die Mittel vernünftig, d. h. nach Prioritäten, ausgegeben werden?

    (Abg. Stücklen: Wir haben ja auch Länderparlamente!)

    — Sicher, aber ich sagte eben, Herr Kollege Stücklen, die Länderparlamente — dem werden Sie nicht widersprechen können — sind bis auf die Stadtstaaten mit den Ausnahmen, die ich eben zitierte, in der eigenartigen Situation, daß sie gegenüber ihren Bürgern, von denen sie gewählt werden, zwar für die Ausgaben verantwortlich sind, aber nicht für die Einnahmen. Denn ich kenne keine Steuereinnahme, über deren Höhe die Länderparlamente entscheiden. Das ist das Problem, auf das wir hier immer wieder stoßen; dessen müssen wir uns bewußt sein.
    Nun konnte natürlich der Vorwurf der gescheiterten Reformpolitik im Rahmen einer solchen Haushaltsdebatte — schon außerhalb des Hauses, aber auch hier heute — vom Kollegen Strauß nicht ausbleiben. Ich habe seit Herbst 1970 — wie ich meine, mit einigem Erfolg für die Sprachregelung innerhalb der Regierung und der Koalition — vor der fatalen Gleichung zwischen Geldausgeben und Reform gewarnt. Denn darüber müssen wir uns im klaren sein: Nicht alles, was Geld kostet, verdient den Namen „Reform" ; aber auch nicht alles, was Reform ist, kostet entscheidend Geld.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, wer die Aktivitäten von
    Koalition und Regierung gerade in den letzten Tagen



    Kirst
    und Wochen sieht, der kann bei Gott nicht behaupten, daß die Reformpolitik irgendwie gestrandet ist. Im Gegenteil, sie läuft auf Hochtouren, und das werden Sie in der Arbeit in den Bundestagsausschüssen in den nächsten Wochen und Monaten noch feststellen.
    Ich will hier keinen Wiederholungskurs für Sitzengebliebene oder Dazugekommene veranstalten. Aber wir Freien Demokraten haben hier immer sehr deutlich gezeigt, wie wir die finanzwirksamen Reformen finanzieren wollen, nämlich in vier Stufen, von denen die nächste immer nur angesetzt werden soll, wenn die vorhergehenden nicht ausreichen: 1. Zuwachs auf Prioritäten. Das geschieht in diesem Haushalt, wenn ich an den Bereich Bildung und Forschung denke, bevorzugt. 2. Umschichtung. Auch das geschieht, mit der Einschränkung von Steuervergünstigungen. Ich habe vorhin auch auf die besondere Rolle der Investitionszulagen hingewiesen. 3. Mehr Kredite. Das ist aus den Gründen, die ich vorhin angesprochen habe, nur in begrenztem Maße möglich. Und nur wenn das alles nicht reicht: 4. Steuererhöhungen. Wer behauptet, die Reformpolitik dieser sozialliberalen Regierung sei gescheitert oder stagniere, der ist entweder blind und taub oder böswillig oder beides zusammen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch einige wenige Gedanken des Kollegen Strauß aufnehmen. Zunächst mußte ich den Eindruck gewinnen, daß er die heutige Debatte, die Erste Lesung des Haushalts 1973 — ich darf das einmal der Ordnung halber sagen —, in eklatanter Weise mit der Lesung des Jahreswirtschaftsberichts 1973 verwechselt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich muß die Frage stellen: Wo ist denn das Stabilitätsprogramm der Opposition? Es ist noch immer ein Vexierbild. Das wollen wir einmal nach dreieinhalb Jahren solcher Debatten ganz eindeutig feststellen.

    (Abg. Dr. Ritz: Viel schlimmer ist, daß die Regierung keines hat! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Regierung behauptet ja nicht, daß sie in der von uns gemeinsam errichteten und — davon gehe ich aus — gemeinsam bejahten freiheitlichen marktwirtschaftlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung den Zauberstab zur Stabilität in der Hand habe, unabhängig von den außenwirtschaftlichen Zusammenhängen. Die Regierung sagt nicht mehr, als daß sie ihren in den bescheidenen Grenzen möglichen stabilitätspolitischen Beitrag über Haushaltsund Steuermaßnahmen leistet. Sie verleugnet aber nicht, wie Sie es aus taktischen Gründen tun, daß die entscheidenden Voraussetzungen für mehr Stabilität sich überhaupt jeder Entscheidung, jeder Einflußnahme der Regierung in unserem Wirtschaftssystem entziehen. Ich möchte doch dem Kollegen Strauß empfehlen, diese markigen Reden, die er hier immer hält — wir haben weiß Gott genug davon gehört —, doch einmal vor Gewerkschaften und Unternehmern zu halten;

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) denn da werden die Weichen für die Konjunktur- und Preisentwicklung gestellt.


    (Abg. Stücklen: Das ist doch Ihre Aufgabe!)

    Diese bösen Worte von der „Inflationsregierung" waren ja die Parolen, mit denen Sie 1969 die Konfrontation begonnen haben. „Inflation" und „Ausverkauf", das waren die Parolen, die zur Verhärtung der politischen Situation in diesem Lande geführt haben. Damit haben Sie gearbeitet, noch ehe die Regierung ihren Amtseid geleistet hatte. Sie haben gar nicht erst abgewartet, wie das läuft. Sie haben das von vornherein unterstellt.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Diese böse Behauptung von der Inflationsregierung ist auf andere Art und Weise die Dolchstoßlegende der 60er und 70er Jahre. Das muß man einmal sehr deutlich sagen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Franke [Osnabrück]:: Wir haben leider recht behalten! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Haben wir denn keine Inflation?— Sie ist doch eingetreten!)

    — Wenn Sie nur einmal in der Lage wären, ruhig zuzuhören und nicht immer wie ein Apparat, ohne das Vorhergehende gehört zu haben, bestimmte Parolen in Ihre Fragen und Zwischenrufe hineinzubauen! Aber offenbar sind Sie es nicht; denn ich habe ja auf die wahre Verteilung der Zuständigkeit für Geld und Konjunktur, Konjunktur und Preise in diesem Lande hingewiesen. Das müssen Sie endlich einmal begreifen, sonst können wir nicht miteinander diskutieren.
    Das Stillhalteabkommen: Ich dachte, das wäre nun wirklich einmal zu den Akten gelegt. Das war doch ein Abkommen mit doppeltem Boden. Herr Barzel ist hierhergekommen und hat gesagt: Wir bieten Ihnen an, keine ausgabewirksamen Beschlüsse zu fassen. Das hat er mit der einen Hand getan.

    (Abg. Dr. Jenninger: Sie haben das doch zurückgewiesen!)

    Aber mit der anderen Hand hat Ihre Fraktion massenhaft — ich drücke das heute einmal vornehm aus — einen ausgabewirksamen Antrag nach dem anderen produziert. Sie wollten also ein Spiel mit doppeltem Boden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Keine Geschichtsklitterung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Sie waren damals, glaube ich, noch nicht da.
    Sie wollten hier den feinen stabilitätspolitischen Apostel spielen, aber draußen im Lande natürlich bei jeder Gruppe, auf die es ankommt, sagen: Aber ja, die CDU/CSU beantragt mehr Kindergeld, mehr das, mehr das und mehr das. So kann man natürlich keine Stabilitätspolitik machen.

    (Abg. Franke [Osnabrück] : Aber, Herr Kirst, keine Stabilitätspolitik auf Kosten der sozial Schwachen!)




    Kirst
    Ich muß sagen: Die Form, die Art und Weise, wie nicht nur Herr Strauß, sondern Sie alle der Regierung und der Koalition mit falschen Beschuldigungen bezüglich der gewiß nicht zu verniedlichenden Situation — kein Mensch hat das getan; weder der Bundeskanzler noch der Finanzminister noch irgendein Sprecher unserer Fraktion oder der sozialdemokratischen Fraktion hat die Geldwertentwicklung verniedlicht — eine Verantwortung — ich kann schon einfach nicht mehr sagen: aus Unwissenheit, sondern muß sagen: wider besseres Wissen — anlasten wollen, die ihr nicht zukommt, hätte Ihnen im zivilen Bereich längst gerichtliche Schritte eingebracht. So argumentieren Sie jetzt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Sie sind ein Witzbold! Das ist doch nicht zu glauben!)

    — Ich weiß natürlich, daß wir uns nicht im zivilrechtlichen Bereich befinden.
    Nun, dann wird gesagt, wir würden die Inflation als Garantie für Vollbeschäftigung sehen. So ist das nicht. Nur umgekehrt — da sind wir uns allerdings einig —: Wir sehen eine Rezession nicht als das geeignete Mittel an, dieser Probleme Herr zu werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Davon redet keiner!)

    Wenn man diese Reden hört, muß man sich doch nur immer wieder fragen, in welcher Welt die Leute, die solche Reden halten, eigentlich leben.
    Noch eine allerletzte Bemerkung. Das Thema Schattenhaushalte, Herr Leicht, wird ja sicherlich auch noch vertieft.

    (Abg. Leicht: Fürchten Sie sich?)

    Im Zusammenhang mit der Zuwachsrate — unabhängig von der grundsätzlichen Frage des Zuwachsratenfetischismus — ist das Thema zumindest für dieses Jahr ja verbraucht. Denn ich würde sagen: die entscheidenden Positionen der sogenannten Schattenhaushalte waren auch 1972, zum Teil schon 1971 vorhanden. Wenn wir Ihren Ratschlägen 1972 gefolgt wären, hätten wir eine ganz andere Ausgangsbasis für Vergleichsrechnungen. Was soll das also noch?
    Lassen Sie mich zum Schluß der ersten Runde der ersten Lesung folgendes sagen. Ein noch so lautes Getöse des Starsprechers der Opposition kann die Wahrheit nicht verschleiern. Diese Wahrheit ist, daß heute auf der Grundlage solider Finanzen ein solider Haushalt als Ausdruck einer in jedem Bereich soliden Politik der sozialliberalen Regierung vorliegt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)