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ID0700919500

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    Vokabeln: 7
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    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Meinecke: 1
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    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 Inhalt: Verzicht des Abg. Augstein (Hamburg) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 243 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Opitz (FDP) . . . . . .. . . 243 B Dr. Wulff (CDU/CSU) . . . . . . 244 D Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 246 A, 249 D Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 249 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 250 B, 252 C, 257 A, 263 B Brandt, Bundeskanzler . 251 B, 262 B Wehner (SPD) . . . . 253 C, 262 B Scheel. Bundesminister (AA) . . . 257 A Dr. Mikat (CDU/CSU) . . . . . . 262 A Dr. Ehmke, Bundesminister (BMP) . 264 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 264 C Dr. Friderichs, Bundesminister (BMW) 264 D Dr. Narjes (CDU/CSU) . . . . . 268 D Junghans (SPD) 273 D Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 277 B Frau Dr. Wex (CDU/CSU) . . . 280 B Arendt, Bundesminister (BMA) . . 283 C Frau Dr. Focke, Bundesminister (BMJFG) . . . . . . . . 286 B Katzer (CDU/CSU) 288 D Dr. Schellenberg (SPD) 293 D Frau Funcke (FDP) 296 D Frau Eilers (Bielefeld) (SPD) . . 300 D Genscher, Bundesminister (BMI) . 303 B, 323 D Dr. Dregger (CDU/CSU) 307 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 312 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 318 A Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . 321 A Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 324 D Dr. Martin (CDU/CSU) 327 C Frau Schuchardt (FDP) . . . . . 331 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 333 A Nächste Sitzung 336 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 337* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 243 9. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Ahrens ** 27. 1. Alber ** 27. 1. Amrehn ** 27. 1. Augstein (Hattingen) 26. 1. Behrendt * 26. 1. Blumenfeld ** 27. 1. Dr. Dollinger 10. 2. Dr. Enders ** 27. 1. Flämig * 26. 1. Gerlach (Emsiand) * 26. 1. Hösl ** 27. 1. Jung ** 27. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Kahn-Ackermann ** 27. 1. Dr. Kempfler ** 27. 1. Dr. h. c. Kiesinger 27. 1. Lampersbach 25. 1. Lemmrich ** 27. 1. Memmel * 26. 1. Dr. Miltner 2. 2. Dr. Müller (München) ** 27. 1. Pawelczyk ** 27. 1. Richter ** 27. 1. Roser ** 27. 1. Schmidt (Wattenscheid) 25. 1. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 1. Dr. Schulz (Berlin) ** 27. 1. Sieglerschmidt ** 27. 1. Dr. Slotta 2. 2. Springorum * 26. 1. Stücklen 26. 1. Dr. Todenhoefer 24. 2. Frau Dr. Walz ** 27. 1. Westphal 26. 1. Frau Will-Feld 24. 2. Wolfram * 26. 1.
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    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar für die Ausführungen, die Kollege Vogel am Beginn gemacht hat, als er sagte: Wir wollen bei Verfassungsänderungen vorher wissen, wohin die Reise geht. Das ist im Grunde die Bestätigung der Praxis der letzten Legislaturperiode. Wir hoffen, daß wir auf diesem Wege, in der geübten Weise weiterkommen und doch noch auf Ihre Zustimmung zu den notwendigen Grundgesetzänderungen rechnen können.



    Bundesminister Genscher
    Herr Kollege Vogel, Sie haben nähere Ausführungen zur Umweltpolitik vermißt. Der Verweis auf das Umweltprogramm, das konkret ist, Ihre Zustimmung gefunden hat, Prioritäten setzt, die Gesetze nennt die ich hier noch einmal erwähnt habe, erspart uns eine ausführliche Darlegung dieser Punkte.
    Sie werden zur Neugliederung ebenso wie zur Dienstrechtsreform nach Vorliegen der Gutachten die Vorstellungen der Bundesregierung erfahren.
    Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dregger hat in seinen Ausführungen ein Wort gesprochen, das der Zurückweisung bedarf. Er hat mich ermahnt, mich in den kommenden Jahren, wie er sagt, nicht auf die technische Seite der Verbrechensbekämpfung zu beschränken, sondern vor allem die politischen Führungsaufgaben wahrzunehmen, die meines Amtes seien. Und dann hat er in diesem Zusammenhang erklärt:
    Sie sind aufgerufen, gegen modische Torheiten auch in Ihrer eigenen Partei und der Koalition anzugehen und gegen die Unterhöhlung des rechtsstaatlichen Bewußtseins in der Auseinandersetzung immer wieder neu Front zu machen.
    Herr Dregger, ich nehme Ihnen nicht übel, wenn Sie zu vielen Fragen andere Vorstellungen haben als Angehörige meiner Partei oder der SPD. Ich weise aber zurück, daß Sie diese Auffassungen im Zusammenhang mit Fragen der Verbrechensbekämpfung erwähnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Das ist eine unerträgliche Diffamierung!

    Diese Koalition braucht in Fragen des Rechtsstaats wahrhaftig keine Belehrung. Wenn Sie meinen, daß der Bundesinnenminister sozusagen nur mit Hilfe der Opposition seine Vorstellungen habe durchsetzen können, dann will ich Ihnen eins sagen, Herr Dregger: Wenn Sie sich den Zustand des Bundeskriminalamtes früher und nicht erst zu dem Zeitpunkt angesehen hätten, als Herr Kollege Barzel Sie im Sommer dieses Jahres schon als meinen Nachfolger vorgestellt hat,

    (Lachen bei den Regierungsparteien)

    hätten Sie festgestellt, wie es dort aussah. Ich sage Ihnen, frühere Innenminister wären froh gewesen, einmal im Kabinett eine solche Unterstützung für die Bereitstellung von Finanzmitteln für den Ausbau der Sicherheitsorgane unseres Staates zu haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)

    — Im Bundestag natürlich auch, Herr Kollege Schäfer, das kommt noch dazu.
    Herr Kollege Dregger, Sie haben Ihr Kolossalgemälde der Fragen der inneren Sicherheit und der Fragen, die uns alle bewegen, nämlich der Fragen unseres Staates und des Verhältnisses zum Staat, gezeichnet. Ich meine nur, wer zu diesem Thema spricht, hätte die Pflicht und Verantwortung gehabt, ein Wort zu der Tatsache zu sagen, daß die extremen Parteien bei der letzten Bundestagswahl die vernichtendste Niederlage in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erlitten haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hätten Sie dieses Problem untersucht, hätten Sie vielleicht auch festgestellt, daß das nicht von ungefähr kommt.
    Meine Damen und Herren, es wäre auch notwendig gewesen, nicht nur ein Wort dazu zu sagen, wie man die Gegner dieses Staates bekämpfen soll, sondern auch zu der vordringlichen Frage, wie man verhindert, daß Menschen überhaupt Gegner dieses Staates und dieser Gesellschaft werden,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    ein Wort zu der Frage, wie wir z. B. die Jugend für diesen Staat gewinnen können.
    Eine Ursache für die Beschränkung der Wirkungsmöglichkeiten, und zwar ohne Verbot der Extremparteien, liegt doch nicht zuletzt darin, daß Parteien — möglicherweise nicht alle — die Bereitschaft gezeigt haben, sich für die Diskussion aller Probleme zu öffnen, die unsere Gesellschaft bewegen. Ich meine, wenn wir in der letzten Legislaturperiode durch eine gemeinsame Verfassungsänderung, nämlich die Herabsetzung des Wahlalters, durch Appelle an die Jugend, nun in die Parteien zu kommen, erreicht haben, daß sie kommt, haben wir doch von vornherein gewußt, daß das nicht immer bequem sein wird, daß wir uns mit den Fragen auseinandersetzen müssen, die uns dort gestellt werden.
    Deshalb scheint mir hier die Feststellung wichtig, daß die Integration der jungen Generation ebenso wie die Integration der Kräfte an den Flügeln unseres Parteiensystems eine der wichtigsten Aufgaben aller demokratischen Parteien ist. Jeder Politiker in diesem Hause sollte sich deshalb zu schade sein, innere Schwierigkeiten zu schelten, die anderen Parteien bei der Erfüllung dieser staatspolitisch wichtigen Aufgabe entstehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat dei Abgeordnete Dr. Meinecke (Hamburg).

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    Rede von Dr. Rolf Meinecke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu der Situation an unseren deutschen Hochschulen hat doch der Bundeskanzler sehr deutlich gesagt, daß „die Stätten der Lehre und Forschung nicht in politische Kampfstätten umfunktioniert werden dürfen". Ich verstehe nicht ganz, inwiefern die Sprecher der CDU/CSU diese Aussage für unzureichend hielten.
    In dieser schwierigen Auseinandersetzung um diE Lage an unseren Universitäten und um die Bewältigung der weltweiten Unruhe in fast allen Industrienationen an den Hochschulen waren wir vor drei Jahren in diesem Haus schon einmal sehr viel wei ter, als der Ausdruck damals hier gefallen ist „Land. graf, werde hart" und wir damals begriffen haben daß es mit dem „Landgraf, werde hart" nicht getan ist und daß wir die Kausalitäten und die Motivatio



    Dr. Meinecke (Hamburg)

    nen für die schreckliche Entwicklung aufspüren müssen, die wir alle gemeinsam bedauern, die aber weder mit Ordnungsrecht noch mit harter Gesetzesanwendung noch mit dem Aufmarsch von Polizeibataillonen zu meistern sind; damit eben nicht.
    Ich möchte ganz kurz noch einmal auf die Diskussion über die Versuche zurückkommen, die Be-. griffe „Leistung" und „Leistungsgesellschaft" zu deuten und zu definieren im Zusammenhang mit den Grundsatzfragen der Politik für Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung. Ich hoffe, Sie nur ganz kurz damit zu strapazieren.
    Die Opposition hat ja dem Bundeskanzler immer dann Beifall gezollt, wenn er an die Leistungsbereitschaft unserer Bevölkerung appellierte. Aber wenn es darum ging, die Bedingungen darzustellen, die diesen Anspruch der Gesellschaft erst rechtfertigen, dann schwieg sie, ja, dann ist ihr unheimlich geworden, und sie bezichtigt uns der nebulösen Ideologie.
    Wenn wir von Mitbestimmung, Mitwirkung und Demokratisierung sprechen, dann erkennt Herr Strauß die Wurzeln des Übels darin, daß man das Gestaltungsprinzip des Staates, nämlich Demokratie, mit gleichem Stimmrecht automatisch auf die Gesellschaft zu übertragen versucht. Aber Demokratie ist doch kein Zustand, gekennzeichnet durch die Abwesenheit von Radikalismus, sondern ein Prozeß, der alle Betroffenen und Beteiligten jeweils an den Entscheidungen partizipieren läßt.
    Das gilt doch auch für eine der wichtigsten Einrichtungen unserer Gesellschaft, nämlich für die Hochschulen. Wir sollten hier nicht so tun, als wäre Mitentscheidung eine so einfache Sache, wie sich das aus der Honoratiorenperspektive des Herrn Strauß darstellt. Vielmehr muß der verantwortlich Mitentscheidende die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben. Das ist auch ein Teil der Leistung, die jeder zu erbringen hat. Von hier aus sollten vielleicht CDU und CSU noch einmal über den Leistungsbegriff und das Verhältnis zur Demokratie nachdenken. Dann würden sie hoffentlich zu anderen Ergebnissen kommen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wenn wir durch Strukturreformen Chancengerechtigkeit herstellen wollen, dann reden Sie, Herr Strauß, vom bildungspolitischen Nulltarif.
    Das Gruseln jedoch lerne ich, wenn ich an den Satz des Herrn Barzel von vergangener Woche denke, der da lautet: „Wir halten nichts davon, den Faulen und den Fleißigen über einen Leisten zu schlagen, und gar nichts halten wir von einer bürokratischen Zuteilung von Lebenschancen." Und da haben Sie, meine Damen und Herren, noch sehr lebhaft Beifall gespendet. Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?
    Es ging doch in der Bildungspolitik bisher nicht um eine bürokratische Zuteilung von Lebenschancen, sondern um die Beseitigung von bürokratisch verordneter Chancenungleichheit, von Chancenungerechtigkeit.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hierin sind sich doch alle Beteiligten, alle Gutachter und alle Beobachter unseres bisherigen Bildungssystems einig; das reicht vom Deutschen Bildungsrat bis zu den Gutachtern der OECD.
    Wir möchten vor der einseitigen und ausschließlichen Betonung des Leistungsbegriffs warnen und halten unseren Anspruch nur dann für vertretbar, wenn Leistung zum gleichwertigen Ton in einem Dreiklang wird, der Demokratisierung und Humanität mitklingen läßt. So deutet es auch das Godesberger Programm bereits vor dreizehn Jahren mit einer Passage, die so eingeleitet wird: „Alle Vorrechte im Zugang zu Bildungseinrichtungen müssen beseitigt werden; nur Begabung und Leistung sollen jedem den Aufstieg ermöglichen." Wenn man böse wäre, könnte man sagen: Die Sozialdemokraten waren es ja, die damals den Begriff der Leistungsgesellschaft geprägt haben. Ja, damals haben wir diesen Begriff aus der bitteren Notwendigkeit prägen müssen, die Strukturen einer Privilegiengesellschaft zu verändern, und dies vorrangig im Bildungssystem! Denn dieses System ist nun einmal der Schnittpunkt unserer Bemühungen, Leistungsfähigkeit auf der einen Seite und Demokratisierung auf der anderen Seite als Kategorien des Handelns und des Verhaltens zu vermitteln. Deshalb geht es auch nicht darum, eine humane Leistungsgesellschaft quasi als staatlich bestimmtes Ordnungsprinzip zu schaffen, sondern darum, eine leistungsbereite Humanität zu vermitteln.

    (Beifall bei der SPD.)

    Vor einigen Wochen gab es in einer großen deutschen Zeitung — ich glaube, es war die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" — einen sehr interessanten Artikel: „Die zerredete Leistung". Der Artikel versucht darzustellen, daß wir uns hier heute in der öffentlichen Diskussion anscheinend in einer Kollektivneurose befinden, und beginnt zu zeigen, wie Leistungsverfall an einigen Stellen unserer Gesellschaft, in Betrieben usw., zunehmend weiter beobachtet wird, und wagt Vorschläge zu machen, wie man dem entgegentreten könne. Aber dieser sehr differenzierte Artikel — meine Damen und Herren, das mag für uns alle interessant sein — endet mit der Passage:
    Im Hinblick auf die Leistung muß unsere Gesellschaft sich selber davor bewahren, ihr Prinzip als alleinigen Maßstab zu verankern. Sie gerät dadurch in Gefahr, die Leistungsunfähigen zu opfern und sich selbst als inhuman zu diskreditieren.
    Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bezüglich dieser Thematik befinden. Darum warnen wir natürlich auf der anderen Seite auch vor der einseitigen Abwertung des Leistungsbegriffs durch dogmatische Pauschalurteile neomarxistischer Prägung, die nichts dazu beitragen, die Frage zu beantworten, auf welche Leistungsmaße verzichtet werden kann und welche Forderungen vorausgesetzt werden müssen, um unseren sozialen Rechtsstaat zu erhalten und weiterzuentwickeln.
    Jedoch bleibt die Formel des Herrn Kollegen Weizsäcker — Herr Minister Eppler hat es gestern



    Dr. Meinecke (Hamburg)

    hier schon gesagt —: „Es ist die Freiheit selbst, die
    das Bekenntnis zur Leistung erfordert" völlig unklar und in diesem Zusammenhang genauso nutzlos.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Opposition hat der Regierung nun vorgeworfen, die in der Regierungserklärung vom Oktober 1969 angekündigte Priorität für Bildung und Wissenschaft nicht realisiert zu haben. Dem muß hier widersprochen werden. Zweifellos hat die damalige Regierungserklärung wesentlich dazu beigetragen, in diesem Land ein Signal zu setzen und zu erreichen, daß Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam für dieses gesamte politische Gebiet im Jahre 1969 27 Milliarden DM und 1972 bereits über 43 Milliarden DM aufgewendet haben, daß der Bund seine Ausgaben von 4 auf 8,4 Milliarden DM steigern konnte und damit der Anteil der Ausgaben am Gesamtbruttosozialprodukt von 4,1 im Jahre 1972 auf 5,2 % gestiegen ist. Wenn Sie sich, meine Damen und Herren, noch einmal die Graphik Nr. 3 im Bildungsbericht 1970 ansehen, die eine vergleichende Darstellung der Aufwendungen mehrerer größerer Industrienationen für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Erziehung enthält, dann stellen Sie fest, daß wir in den letzten vier bis fünf Jahren einen wesentlichen Rückstand aufgeholt haben. Wenn es uns gelingen sollte, gewisse Beschlüsse des Finanzplanungsrats vielleicht noch korrektiv zu verändern,

    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

    werden wir 1975 bei 6 % angelangt sein. Das alles kann man doch nicht einfach damit widerlegen, daß man sagt: Hier sind ,die Prioritäten falsch gesetzt worden.

    (Abg. Dr. Barzel: Es gibt ja noch keine!)

    — Natürlich gibt es solche! Die Probleme einer langfristigen Finanzplanung für 15 Jahre kennen Sie, Herr Kollege Barzel. Aber die Festlegung der Summen für 1975 ist in Arbeit. Jetzt müssen Alternativen entwickelt werden, ,die man nach den verschiedenen Vorstellungen des Finanzplanungsrats finanzieren kann. Das hat ,die Konsequenz, daß hier oder dort etwas beschränkt werden muß und an anderen Stellen etwas rascher vorangeschritten werden kann.
    Die Opposition hat sich — dafür bin ich Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Barzel — zu einem Katalog bildungspolitischer Prioritäten bekannt, dessen Elemente Sie aufgezählt haben. Wir betreten damit wohl endlich den Boden einer gewissen Übereinstimmung; denn dieser Katalog nennt fast wörtlich die in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung beschlossenen vordringlichen Maßnahmen — man kann das vergleichen —, auf die sich Bund und Länder gemeinsam geeinigt haben.

    (Abg. Pfeifer: Auf unseren Antrag!)

    Gewiß, Herr Pfeifer. Aber dieser Katalog konnte doch nur deshalb so 'definiert werden, weil der durch die Bundesregierung 1970 eingebrachte Bildungsbericht hierfür die Vorarbeiten geleistet hat, und das ein Jahr nach der Regierungserklärung.

    (Abg. Pfeifer: Damals war die Bundesregierung noch gegen Prioritäten!)

    Wir beurteilen die Zusammenarbeit von Bund und Ländern — hören Sie zu, Herr Kollege Pfeifer — durchaus positiv. Wir halten sie für ausbaufähig, und wir bekräftigen unsererseits den Willen der Regierung, die Kompetenzen ganz zu nutzen.
    Wenig nützlich sind allerdings in diesem Zusammenhang Kommentare, die bereits abgesicherte Zuständigkeiten, zum Beispiel für die berufliche Bildung, gerade dann und in dem Augenblick in Frage stellen, wenn diese Aufgaben in Angriff genommen werden sollen. So müssen wir auch heute die Opposition fragen: Was wollen Sie eigentlich, und wie beurteilen Sie die Versäumnisse von 15 Jahren, die Sie zumindest wesentlich mitzuverantworten haben?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Filbinger beispielsweise bekennt, es habe in der Vergangenheit unstrittig Fehler gegeben: in der Bildungsdiskussion der frühen 60er Jahre, die sich vornehmlich um eine Erhöhung der Abiturientenzahlen und um „eine Restauration von Bildungsideen des 19. Jahrhunderts gedreht habe" — ich bitte, das einmal ganz genau anzuhören —, und es sei die Welt der Arbeit, der Geschäfte und der Berufe beinahe vergessen worden. So weit, so gut und sehr einsichtig. Aber dann sagt er etwas, was meiner Auffassung nach diametral den Bemühungen des Bildungsrats und auch der Bund-Länder-Planungskommission entgegen- und zuwiderläuft, nämlich: „Die Landesregierung sehe es nunmehr als untunlich an, jährlich einen immer größeren Anteil junger Menschen aus dem berufsbildenden in das allgemeinbildende Schulwesen zu verlagern; es komme vielmehr darauf an, das berufsbildende Schulwesen, das verbessert werden müsse, zu einer wirklichen Konkurrenz für das allgemeinbildende Schulwesen umzugestalten."
    Nun sagen Sie doch einmal: Was wollen Sie? Wollen Sie das berufliche Schulwesen auslagern, oder wollen Sie, wie es Reformbestimmungen und Reformbestrebungen verlangen, integrieren — wenn Sie mir das Reizwort heute abend ausnahmsweise einmal verzeihen mögen —?
    Herr Kollege Barzel spricht etwas salbungsvoll davon, daß wir es den jungen Menschen schuldig sind, die Chancen auf Mitarbeit und Mitverantwortung zu verbessern, und verbindet damit die Forderung, das Alter der Geschäftsfähigkeit herabzusetzen. Wie verträgt es sich aber damit, dann den soeben mündig Gewordenen das Recht wieder streitig zu machen, in ihren Einrichtungen des Bildungswesens selbst als mündige und mitbestimmende Bürger aufzutreten? In dem Papier über die „Bildungspolitik auf klaren Wegen" enthält das Kapitel über die Hochschulen nicht ein einziges Wort darüber, wie Sie Fragen der Mitwirkung und Mitbestimmung im Hochschulbereich regeln wollen, nicht ein Wort. Mitbestimmung und Mitwirkung finden bei Ihnen nicht statt!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind deshalb der Meinung, daß man, bevor man einseitig auch von uns zu verurteilende Radikalisierungstendenzen an den Hochschulen hier anklagt, einmal die Alternative überlegen sollte, ob man



    Dr. Meinecke (Hamburg)

    durch sachlich gerechtfertigte Mitwirkungsbestimmungen, die auch erst erlernt werden müssen, der Unruhe nicht auf eine vernünftige Weise in einiger Zeit vielleicht Herr wird.
    Wir begrüßen auch dankbar die Aussagen des Herrn Bundeskanzlers über die Bemühungen, Zulassungsbeschränkungen abzubauen. Wir wissen, daß ein neuer Anlauf zu einem Hochschulrahmengesetz es ermöglichen muß, Studienreformen rasch zu verwirklichen. Wir entnehmen der Reihenfolge der Gedankengänge in den Äußerungen des Kanzlers allerdings, daß Studienreform und inhaltliche Bestimmung der Studiengänge vor den Bemühungen stehen, die Studienzeiten zu verkürzen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Einführung des Studienjahres ist, wie wir vielen öffentlichen Reaktionen entnommen haben, nicht ganz unumstritten. Ich wäre der Bundesregierung für eine ausführliche Darstellung der Pro- und KontraArgumente sehr dankbar. Denn nur bei überzeugender Begründung läßt sich der Verdacht abweisen, daß die Bundesregierung Folgekosten auf dem Gebiet des Ausbaus und des Neubaus in Form von Personalkosten auf die Länder abwälzen will. Hier bedarf es einer sehr gründlichen alternativen Diskussion.
    Außerdem würden wir es begrüßen, wenn im Zusammenhang mit der Einführung des Studienjahres geprüft würde, ob sich hieraus nicht vielleicht doch Konsequenzen für das Ausbildungsförderungsgesetz ergeben. Denn der Kreis derjenigen, die zusätzliche Einnahmequellen benötigen und hierfür dann keine Möglichkeit mehr sehen, ist nicht ganz klein.
    Bezüglich der Verkürzung der Studienzeiten appellieren wir an die Studenten und Studierenden in unserem Land, einzusehen und zu erkennen, daß diejenigen, die in einem überfüllten Zug bereits Platz genommen haben, durch ein zeitlich angemessenes Aussteigen die Voraussetzung auch dafür schaffen, daß Neue hinzusteigen können.
    Übrigens sollten die von der Bundesregierung bereits vor Jahren eingeleiteten Maßnahmen zur sachlichen Kapazitätsberechnung fortgesetzt werden. Ich bin überzeugt, daß an vielen Hochschulen mehr Studienbewerber einen Platz bekommen können, als man bisher anzunehmen bereit war.
    Meine Damen und Herren, betrachten wir die knapp formulierten Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zu den Fragen von Bildung und Ausbildung, der Wissenschaft und der Forschung, so sehen wir sie als das Bekenntnis, die bereits in der Regierungserklärung des Jahres 1969 angekündigten Reformen und Maßnahmen fortzusetzen und zu verwirklichen. Niemand hat jemals vermuten können, daß sich eine um Jahrzehnte verzögerte Reform — eine auch durch Sie mit um Jahrzehnte verzögerte Reform — in wenigen Jahren verwirklichen läßt. Gehen wir an die Arbeit und versuchen wir, zumindest am Anfang von einer gewissen gemeinsamen Ausgangsbasis auszugehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)