Rede:
ID0700919300

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Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 34
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 Inhalt: Verzicht des Abg. Augstein (Hamburg) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 243 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Opitz (FDP) . . . . . .. . . 243 B Dr. Wulff (CDU/CSU) . . . . . . 244 D Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 246 A, 249 D Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 249 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 250 B, 252 C, 257 A, 263 B Brandt, Bundeskanzler . 251 B, 262 B Wehner (SPD) . . . . 253 C, 262 B Scheel. Bundesminister (AA) . . . 257 A Dr. Mikat (CDU/CSU) . . . . . . 262 A Dr. Ehmke, Bundesminister (BMP) . 264 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 264 C Dr. Friderichs, Bundesminister (BMW) 264 D Dr. Narjes (CDU/CSU) . . . . . 268 D Junghans (SPD) 273 D Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 277 B Frau Dr. Wex (CDU/CSU) . . . 280 B Arendt, Bundesminister (BMA) . . 283 C Frau Dr. Focke, Bundesminister (BMJFG) . . . . . . . . 286 B Katzer (CDU/CSU) 288 D Dr. Schellenberg (SPD) 293 D Frau Funcke (FDP) 296 D Frau Eilers (Bielefeld) (SPD) . . 300 D Genscher, Bundesminister (BMI) . 303 B, 323 D Dr. Dregger (CDU/CSU) 307 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 312 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 318 A Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . 321 A Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 324 D Dr. Martin (CDU/CSU) 327 C Frau Schuchardt (FDP) . . . . . 331 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 333 A Nächste Sitzung 336 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 337* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 243 9. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Ahrens ** 27. 1. Alber ** 27. 1. Amrehn ** 27. 1. Augstein (Hattingen) 26. 1. Behrendt * 26. 1. Blumenfeld ** 27. 1. Dr. Dollinger 10. 2. Dr. Enders ** 27. 1. Flämig * 26. 1. Gerlach (Emsiand) * 26. 1. Hösl ** 27. 1. Jung ** 27. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Kahn-Ackermann ** 27. 1. Dr. Kempfler ** 27. 1. Dr. h. c. Kiesinger 27. 1. Lampersbach 25. 1. Lemmrich ** 27. 1. Memmel * 26. 1. Dr. Miltner 2. 2. Dr. Müller (München) ** 27. 1. Pawelczyk ** 27. 1. Richter ** 27. 1. Roser ** 27. 1. Schmidt (Wattenscheid) 25. 1. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 1. Dr. Schulz (Berlin) ** 27. 1. Sieglerschmidt ** 27. 1. Dr. Slotta 2. 2. Springorum * 26. 1. Stücklen 26. 1. Dr. Todenhoefer 24. 2. Frau Dr. Walz ** 27. 1. Westphal 26. 1. Frau Will-Feld 24. 2. Wolfram * 26. 1.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Burkhard Hirsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Quality of life, dieses Wort hat als „Qualität des Lebens" — für meine Ohren eher wörtlich als schön übersetzt — eine beachtliche Umlaufgeschwindigkeit erreicht. Es kommt darauf an, diese Formel zu konkretisieren. Im Bereich des Umweltschutzes kehren wir zum eigentlichen Wortsinn zurück, nämlich zu der schlichten Erkenntnis, daß die Menschenwürdigkeit unseres Lebens nicht allein von wirtschaftlichem Wachstum oder von Produktionszahlen der Unternehmen oder vom Bruttosozialprodukt abhängt, sondern vom Zustand und den Zielen unserer Gesellschaft und davon, ob es uns gelingt, unter den Bedingungen einer modernen Industriegesellschaft die biologischen Grundlagen unserer Existenz zu erhalten, und zwar nicht nur für einige wenige Auserwählte, denen materielle Mittel eine eigene Umweltgestaltung gestatten, sondern für jedermann.

    (Beifall bei der FDP.)

    Es ist eine liberale Aufgabe, dieses Ziel zu erreichen, ohne individuelle Freiheitsrechte mehr als nötig zu beschneiden. Es ist eine liberale Aufgabe, das im System der sozialen Marktwirtschaft zu erreichen. Es ist eine liberale Aufgabe, das zu tun, ohne im internationalen Bereich durch mangelnde Harmonisierung spürbare Wettbewerbsverzerrungen oder Handelshemmnisse aufzubaren.
    Es ist immer wieder dargelegt worden — es braucht daher hier im einzelnen nicht wiederholt zu werden —, daß die Bevölkerungszunahme, die Verstädterung, die Zersiedlung und der wachsende Wohlstand zu einer Übernutzung und Zerstörung der Naturgrundlagen geführt haben, daß die Immissionen unsere Existenz beeinträchtigen und daß die Chemikalien beginnen, nicht nur die Insekten zu vernichten, sondern uns selbst zu vergiften. Einig sind wir uns darin, daß diese Probleme nicht der Staat allein lösen kann, sondern daß ein gemeinsames Umweltbewußtsein im täglichen Leben geschaffen werden muß, von dem wir noch weit entfernt sind.
    Drei Grundpositionen: Wir sind mit der Bundesregierung der Meinung, daß ein Grundrecht auf menschenwürdige Umwelt geschaffen werden muß und in den Grundrechtskatalog einzuführen ist. Es kommt uns nicht etwa darauf an, mit einem solchen Grundrecht eine Fülle von Individualklagen zu provozieren und Hoffnungen zu erwecken, die nicht — oder zumindest nicht jetzt — erfüllt werden können. Aber es kommt darauf an, für staatliche Aktivitäten einen Verfassungsauftrag und ein soziales Grundrecht zu formulieren, das gesetzliche Regelungen für konkrete Leistungsansprüche vorbehält.
    Ich halte es auch für denkbar — das ist eine persönliche Bemerkung -, die Möglichkeit zu prüfen, Verbandsklagen zu schaffen, die sich in den Vereinigten Staaten und der Schweiz als Mittel der Umweltkontrolle bewährt haben. Ich bin der Überzeugung, daß wir nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an individuellem Rechtsschutz in diesem Bereich haben.

    (Beifall bei der FDP.)

    Gerade mit dem Institut der Verbandsklagen kann dem Bürger selbst die Möglichkeit gegeben werden, Aktivrechte auszuüben. Das Ziel ist nicht — um das zu wiederholen —, Querköpfen Gelegenheit zu geben, überflüssige Energien auszutoben, sondern das Ziel ist, zu sichern, daß die Betroffenen vorbeugend bei Planungsentscheidungen in angemessenem Rahmen beteiligt werden.
    Im bundesstaatlichen Bereich müssen wir bereit sein, dem Bund die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zu geben, über eine einheitliche Materie auch einheitlich zu entscheiden. Wir meinen in erster Linie die volle konkurrierende Gesetzgebung auf dem Gebiet des Wasserhaushaltsrechts, aber auch im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Das ist hier im einzelnen schon wiederholt angesprochen worden.
    Davon losgelöst ist das Problem zu betrachten, daß die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden natürlich den Aufgaben entsprechen muß, die ihnen auf diesen Gebieten im Interesse der Allgemeinheit auferlegt werden.
    Wir haben mit Erstaunen die etwas vielfältigen und nicht einheitlichen Bemerkungen der Opposition über den Zusammenhang zwischen den Verfassungsänderungen, die dazu notwendig sind, und den Arbeiten der Enquete-Kommission zur Kenntnis genommen. Ich will das in dieser Debatte nicht wiederholen; wir werden ja darauf zurückkommen, sobald die einzelnen Gesetze und Verfassungsänderungen hier auf dem Tisch liegen. Es wäre eine dankbare Gelegenheit, hinsichtlich dieser Frage auch etwas über die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern überhaupt zu sagen, und zwar gerade wenn man an den historischen Anknüpfungspunkt denkt, der hier verschiedentlich als Reichsgründungstag apostrophiert worden ist. Man hätte ja genausogut an die Kaiserkrönung zu Versailles denken können. Aber diese Formulierung entspricht nicht mehr ganz unserem heutigen Verständnis und zeigt nämlich, was sich und wieviel sich seit damals geändert hat.
    Die Funktionen der Länder im modernen Parteienstaat bewähren sich eben nicht im Besitz einzelner Rechte, sondern bewähren sich als Element der Gewaltenteilung. Heute wie damals geht es primär nicht um die Ausübung von Herrschaftsgewalt kraft eigenen Rechtes — wie man das so schön formulierte —, sondern es geht um die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei einer Dienstleistungsaufgabe in der dafür zweckmäßigsten Organisation. Das darf eben nicht an Zuständigkeitsregelungen scheitern.

    (Beifall bei der FDP.)




    Dr. Hirsch
    Die zweite Feststellung: Wir wollen das Verursacherprinzip durchführen, dessen systematische Grundlagen weitgehend entwickelt sind. Es wird sich erweisen, wieweit sich die grundlegende Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses bei der Beratung der Einzelprobleme bewahrheitet. Es muß klar sein, daß wir in der Verwirklichung des Verursacherprinzips die Bewährung unserer Überzeugung sehen, daß der Umweltschutz in einem marktwirtschaftlichen System zu verwirklichen ist. Wir wollen das, weil keine Zweifel darin bestehen kann, daß wirtschaftliche Interessen zurücktreten müssen, wenn sie mit den zwingenden Erfordernissen des Umweltschutzes nicht zu vereinbaren wären.
    Unser Appell geht daher auch an die Wirtschaft, die Qualitätsziele für Luft und Wasser, also die Reinheitserfordernisse, nicht deshalb in Frage zu stellen, weil sie bei der Anerkennung des Verursacherprinzips zu einem wesentlichen Kostenfaktor werden müssen. Wir werden genau diese Haltung der Wirtschaft bei der Beratung der Abwasserabgabe erproben.
    Die dritte Feststellung: Wir wollen die gesetzgeberische Arbeit, die durch die vorzeitige Auflösung des Bundestages verzögert wurde, beschleunigt fortsetzen. Dazu gehören u. a. die Novellen zum Wasserhaushaltsgesetz, das Bundesimmissionsschutzgesetz und die Schaffung der notwendigen Instrumentarien für Umweltstatistik, Umweltverträglichkeitsprüfung und Umweltforschung. Die Entwicklung langfristiger Planungen und Konzeptionen ist auf allen diesen Gebieten unausweichlich. Mit Tageserfolgen allein ist hier nichts zu erreichen.
    Damit stellt sich ein anderes Verfassungsproblem, das hier bisher nicht erwähnt worden ist, nämlich das Problem des Verhältnisses von Regierung und Parlament bei langfristigen staatlichen Aufgabenplanungen, ein Gewaltenteilungsproblem, das es bei Bismarck auch noch nicht gegeben hat. Ich darf Ihnen statt eigener Ausführungen dazu dringend empfehlen, die sehr lesenswerten Ausführungen der Enquete-Kommission über staatliche Aufgabenplanung im parlamentarischen Regierungssystem ausnahmsweise selbst zu lesen und nicht nur lesen zu lassen.
    Wir begrüßen die erklärte Absicht der Bundesregierung, mit Entschiedenheit ihre Aktivität auf dem Gebiet des Umweltschutzes fortzusetzen, und zwar im nationalen Bereich ebenso wie im übernationalen Bereich. Sie wird weiter dafür eintreten müssen, daß unsere Nachbarn erkennen, daß eine Wirtschafts- und Finanzunion auch eine Harmonisierung der Umweltnormen voraussetzt, und zwar nicht auf ihrem kleinsten Nenner. Wir werden die Bundesregierung bei allen diesen Aufgaben nach Kräften unterstützen.
    Nun noch ein paar Bemerkungen zur inneren Sicherheit. Herr Kollege Dregger hat ja den erwarteten Ruf nach law and order mit aller Ausführlichkeit erklingen lassen und dabei das ganze Gruselkabinett Ihres Wahlkampfes wieder vorgeführt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Law and order, eine verlockende Formel, nicht wahr. Recht und Ordnung, wer wollte das eigentlich nicht? Aber leider, Herr Kollege Dregger, kann diese Formel leicht dazu benutzt werden, zur schlichten Beharrung auf gegebenen Verhältnissen aufzurufen und damit einen Mangel an intensivem Nachdenken zu verbergen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nachdenken heißt hier zunächst einmal, die Ursachen zu prüfen, warum es zur Forderung nach Veränderungen in solcher Heftigkeit gekommen war und warum das nach dem Antritt der sozialliberalen Koalition auf den Straßen aufgehört und sich in den Bereich der Universitäten verlagert hat, in denen wir in der Tat — aber nicht durch eigenes Verschulden — nicht weitergekommen sind. Wir sind ja nicht der Meinung, wie es bei Ihnen vielleicht anklingt, wenn Sie das in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnen, daß die Hochschulreform durch den Innenminister zu machen und eine Angelegenheit der Polizei ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nachdenken heißt dann aber auch, zwischen der Kriminalität im klassischen Sinn und Erscheinungen des politischen Lebens zu differenzieren, die von friedlichen Straßendemonstrationen bis in der Tat zur kriminellen Gewaltanwendung durch politische Terroristen reichen.
    Darum ein ganz klares Wort: Gewalt ist und kann kein legales und kein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sein, und zwar weder gegen Menschen noch gegen Sachen, wenn man diese etwas ominöse Unterscheidung überhaupt machen will. Gewalt ist kriminelles Unrecht.
    Es kommt darauf an, alle rechtsstaatlichen Mittel einzusetzen, um die Anwendung der Gewalt zu bekämpfen, ohne politische Konflikte durch Maßnahmen staatlicher Herrschaftsgewalt unterdrücken zu wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es kommt aber auch darauf an, bei der Bekämpfung kriminellen Unrechts ausschließlich rechtsstaatliche Mittel im Konflikt zwischen der wirksamen Verbrechensbekämpfung einerseits und der Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger dieses Landes andererseits einzusetzen.
    Ein paar Bemerkungen zur klassischen Kriminalität. Ich will hier gar nicht mit Zahlen hantieren, aber es besteht gar kein Anlaß, die Entwicklung der Kriminalität in diesem Lande zu dramatisieren. Es gibt ein gewisses Ansteigen der Gesamtkriminalität, aber sie ist im Vergleich zu den Raten des Vorjahres niedriger, und zwar bei unverändert hoher Aufklärungsrate gerade bei den Kapitaldelikten.
    Die Bundesregierung hat auf diesem Gebiet alles getan, was erforderlich ist. Sie hat einen Kampf gegen die Kriminalität ohne Beispiel geführt. Ich erinnere an das „Sofortprogramm Verbrechensbekämpfung" und das „Schwerpunktprogramm Innere Sicherheit". Es ist dem Bundesinnenminister zum erstenmal gelungen, ein gemeinsames Programm des Innenministers des Bundes und der Innenmini-



    Dr. Hirsch
    ster der Länder vorzulegen — ein Programm, das zeigt, daß es möglich ist, einheitliche und der Entwicklun g angepaßte Grundsätze zu formulieren.
    Diese Bundesregierung hat umfassende personelle und technische Verbesserungen in den Bereichen ihrer Zuständigkeit bewirkt: im Bundeskriminalamt, im Bundesamt für Verfassungsschutz, beim Ausländerzentralregister und beim Bundesgrenzschutz.
    Es ist auch alles getan worden im Hinblick auf neue Formen der Kriminalität. Hierunter fällt die Luftpiraterie, die sich bekanntlich nicht nur in der Bundesrepublik abspielt und bei der wir in besonderem Maße auf vorbeugende und internationale Maßnahmen angewiesen sind. Hier stellt sich das Problem der Verquickung schlicht Krimineller mit politischen Überzeugungstätern, deren moralische Wertung vom eigenen politischen Standpunkt nicht immer unabhängig ist.
    Der Bundesinnenminister und die Innenminister der Länder sind sich darin einig, daß es keinen — jedenfalls keinen absoluten — Schutz gegen Terroristen gibt, die das eigene Leben nicht achten. Daraus ergibt sich die besondere Verpflichtung zur Vorbeugung, zur stärkeren Kontrolle und Überwachung der Angehörigen jener Länder, die sich nicht davor scheuen, ihren Krieg in unser Land hereintragen zu lassen. Es liegt auch nicht in deren eigenem wohlverstandenem Interesse, Konflikte zu vermeiden, die unsere auswärtigen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ihnen in hohem Maße belasten müßten. Wir billigen daher das Verbot solcher Organisationen, die ihre Tätigkeit vor deutschen Behörden verschleiern und in Wirklichkeit die Anwendung von Gewalt begünstigen oder gar vorbereiten.
    Das eigentliche Problem der inneren Sicherheit liegt in der Differenzierung zwischen kriminellem politischem Terror und erlaubten politischen Aktionen auch von Randgruppen, also in der Bestimmung der Grenze zwischen politischem Radikalismus und demokratischem Reformwillen. Nicht alle, Herr Kollege Dregger, die auf der Straße demonstrieren, sind potentielle Baader-Meinhofs.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Das hat kein Mensch gesagt!)

    Es ist auch nicht unser Weg, politische Extremisten mit Mitteln zu bekämpfen, die nicht rechtsstaatlich wären und damit die moralische Qualität unseres Staates zu verändern, sondern im Gegenteil, es ist unser Weg, durch die Bewahrung rechtsstaatlicher Formen der Verbrechensbekämpfung den Bürger immun zu machen gegen die Verketzerung unseres Staates als eine blinde Herrschafts- und Manipulationsmaschine, die er nicht ist. Das ist übrigens auch der Grund dafür, daß wir die Regelung des Artikels 10 des Grundgesetzes, also die rechtsstaatliche Struktur des Abhörgesetzes, überprüfen wollen.
    Ich meine, daß es zu einer neuen Einstellung gegenüber den Formen der politischen Willensbildung kommen muß. Die Bevölkerung dieses Landes ist in hohem Maße politisiert. Wir glauben, daß die subjektive politische Kompetenz des Bürgers, also seine
    Mündigkeit und sein Wunsch, auf politische Entscheidungen unmittelbar Einfluß zu nehmen, so zugenommen hat, daß der Bürger sich nicht mehr damit begnügen will — wie es Ihnen vielleicht vorschwebt —, alle vier Jahre zur Wahl zu gehen, die Zeitung zu lesen und Briefe an seine Abgeordneten zu schreiben, sondern er will selbst politische Entscheidungen artikulieren und sicher sein, daß sie öffentlich zur Kenntnis genommen werden. Das ist für mich keine Krise der Autorität, sondern eine Ausweitung des öffentlichen Engagements, die zu begrüßen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich rede weder von der Betätigung radikaler Ideologen noch von den Nachahmungstätern, die sich unter dem Eindruck des öffentlichen Aufsehens einreden möchten, daß auch ihre Ziele die Mittel heiligen könnten. Aber es ist keine Frage, daß die vielfältigen Formen gewaltloser Bürgerinitiativen und gewaltloser Demonstrationen demokratisch, legitim und legal sind und daß der schlichte Ruf nach law and order nicht mißbraucht werden sollte, das politische Engagement dieser kritischen Bürger zu politischem Radikalismus zu verfälschen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Wer versucht denn so etwas?!)

    Sie würden mit diesem Mißverständnis unabsehbare Folgen gerade für die demokratische Solidarität und die staatliche Autorität heraufbeschwören, die Sie zu erhalten vorgeben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Innere Sicherheit, Herr Kollege Dregger, ist nicht nur das Problem von Polizei und Justiz, und darf es nicht sein. Innere Sicherheit heißt, die Interessenkonflikte unserer Gesellschaft zu erkennen und mit friedlichen Mitteln zu lösen. Law and order heißt in unserer Übersetzung: demokratische Rechte und liberale Ordnung. Das ist unser Ziel, und darum werden wir uns bemühen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter Dr. Hirsch hat seine erste Rede gehalten. Ich habe mich vorhin offensichtlich mißverständlich ausgedrückt. Ich gratuliere ihm — das Hohe Haus ebenfalls — und nachträglich auch noch Herrn Dregger herzlich.

(Beifall.)

Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar für die Ausführungen, die Kollege Vogel am Beginn gemacht hat, als er sagte: Wir wollen bei Verfassungsänderungen vorher wissen, wohin die Reise geht. Das ist im Grunde die Bestätigung der Praxis der letzten Legislaturperiode. Wir hoffen, daß wir auf diesem Wege, in der geübten Weise weiterkommen und doch noch auf Ihre Zustimmung zu den notwendigen Grundgesetzänderungen rechnen können.



    Bundesminister Genscher
    Herr Kollege Vogel, Sie haben nähere Ausführungen zur Umweltpolitik vermißt. Der Verweis auf das Umweltprogramm, das konkret ist, Ihre Zustimmung gefunden hat, Prioritäten setzt, die Gesetze nennt die ich hier noch einmal erwähnt habe, erspart uns eine ausführliche Darlegung dieser Punkte.
    Sie werden zur Neugliederung ebenso wie zur Dienstrechtsreform nach Vorliegen der Gutachten die Vorstellungen der Bundesregierung erfahren.
    Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dregger hat in seinen Ausführungen ein Wort gesprochen, das der Zurückweisung bedarf. Er hat mich ermahnt, mich in den kommenden Jahren, wie er sagt, nicht auf die technische Seite der Verbrechensbekämpfung zu beschränken, sondern vor allem die politischen Führungsaufgaben wahrzunehmen, die meines Amtes seien. Und dann hat er in diesem Zusammenhang erklärt:
    Sie sind aufgerufen, gegen modische Torheiten auch in Ihrer eigenen Partei und der Koalition anzugehen und gegen die Unterhöhlung des rechtsstaatlichen Bewußtseins in der Auseinandersetzung immer wieder neu Front zu machen.
    Herr Dregger, ich nehme Ihnen nicht übel, wenn Sie zu vielen Fragen andere Vorstellungen haben als Angehörige meiner Partei oder der SPD. Ich weise aber zurück, daß Sie diese Auffassungen im Zusammenhang mit Fragen der Verbrechensbekämpfung erwähnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Das ist eine unerträgliche Diffamierung!

    Diese Koalition braucht in Fragen des Rechtsstaats wahrhaftig keine Belehrung. Wenn Sie meinen, daß der Bundesinnenminister sozusagen nur mit Hilfe der Opposition seine Vorstellungen habe durchsetzen können, dann will ich Ihnen eins sagen, Herr Dregger: Wenn Sie sich den Zustand des Bundeskriminalamtes früher und nicht erst zu dem Zeitpunkt angesehen hätten, als Herr Kollege Barzel Sie im Sommer dieses Jahres schon als meinen Nachfolger vorgestellt hat,

    (Lachen bei den Regierungsparteien)

    hätten Sie festgestellt, wie es dort aussah. Ich sage Ihnen, frühere Innenminister wären froh gewesen, einmal im Kabinett eine solche Unterstützung für die Bereitstellung von Finanzmitteln für den Ausbau der Sicherheitsorgane unseres Staates zu haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)

    — Im Bundestag natürlich auch, Herr Kollege Schäfer, das kommt noch dazu.
    Herr Kollege Dregger, Sie haben Ihr Kolossalgemälde der Fragen der inneren Sicherheit und der Fragen, die uns alle bewegen, nämlich der Fragen unseres Staates und des Verhältnisses zum Staat, gezeichnet. Ich meine nur, wer zu diesem Thema spricht, hätte die Pflicht und Verantwortung gehabt, ein Wort zu der Tatsache zu sagen, daß die extremen Parteien bei der letzten Bundestagswahl die vernichtendste Niederlage in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erlitten haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hätten Sie dieses Problem untersucht, hätten Sie vielleicht auch festgestellt, daß das nicht von ungefähr kommt.
    Meine Damen und Herren, es wäre auch notwendig gewesen, nicht nur ein Wort dazu zu sagen, wie man die Gegner dieses Staates bekämpfen soll, sondern auch zu der vordringlichen Frage, wie man verhindert, daß Menschen überhaupt Gegner dieses Staates und dieser Gesellschaft werden,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    ein Wort zu der Frage, wie wir z. B. die Jugend für diesen Staat gewinnen können.
    Eine Ursache für die Beschränkung der Wirkungsmöglichkeiten, und zwar ohne Verbot der Extremparteien, liegt doch nicht zuletzt darin, daß Parteien — möglicherweise nicht alle — die Bereitschaft gezeigt haben, sich für die Diskussion aller Probleme zu öffnen, die unsere Gesellschaft bewegen. Ich meine, wenn wir in der letzten Legislaturperiode durch eine gemeinsame Verfassungsänderung, nämlich die Herabsetzung des Wahlalters, durch Appelle an die Jugend, nun in die Parteien zu kommen, erreicht haben, daß sie kommt, haben wir doch von vornherein gewußt, daß das nicht immer bequem sein wird, daß wir uns mit den Fragen auseinandersetzen müssen, die uns dort gestellt werden.
    Deshalb scheint mir hier die Feststellung wichtig, daß die Integration der jungen Generation ebenso wie die Integration der Kräfte an den Flügeln unseres Parteiensystems eine der wichtigsten Aufgaben aller demokratischen Parteien ist. Jeder Politiker in diesem Hause sollte sich deshalb zu schade sein, innere Schwierigkeiten zu schelten, die anderen Parteien bei der Erfüllung dieser staatspolitisch wichtigen Aufgabe entstehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)