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ID0700912000

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    Vokabeln: 6
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    4. Frau: 1
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    6. Funcke.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 Inhalt: Verzicht des Abg. Augstein (Hamburg) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 243 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Opitz (FDP) . . . . . .. . . 243 B Dr. Wulff (CDU/CSU) . . . . . . 244 D Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 246 A, 249 D Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 249 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 250 B, 252 C, 257 A, 263 B Brandt, Bundeskanzler . 251 B, 262 B Wehner (SPD) . . . . 253 C, 262 B Scheel. Bundesminister (AA) . . . 257 A Dr. Mikat (CDU/CSU) . . . . . . 262 A Dr. Ehmke, Bundesminister (BMP) . 264 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 264 C Dr. Friderichs, Bundesminister (BMW) 264 D Dr. Narjes (CDU/CSU) . . . . . 268 D Junghans (SPD) 273 D Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 277 B Frau Dr. Wex (CDU/CSU) . . . 280 B Arendt, Bundesminister (BMA) . . 283 C Frau Dr. Focke, Bundesminister (BMJFG) . . . . . . . . 286 B Katzer (CDU/CSU) 288 D Dr. Schellenberg (SPD) 293 D Frau Funcke (FDP) 296 D Frau Eilers (Bielefeld) (SPD) . . 300 D Genscher, Bundesminister (BMI) . 303 B, 323 D Dr. Dregger (CDU/CSU) 307 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 312 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 318 A Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . 321 A Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 324 D Dr. Martin (CDU/CSU) 327 C Frau Schuchardt (FDP) . . . . . 331 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 333 A Nächste Sitzung 336 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 337* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 243 9. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Ahrens ** 27. 1. Alber ** 27. 1. Amrehn ** 27. 1. Augstein (Hattingen) 26. 1. Behrendt * 26. 1. Blumenfeld ** 27. 1. Dr. Dollinger 10. 2. Dr. Enders ** 27. 1. Flämig * 26. 1. Gerlach (Emsiand) * 26. 1. Hösl ** 27. 1. Jung ** 27. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Kahn-Ackermann ** 27. 1. Dr. Kempfler ** 27. 1. Dr. h. c. Kiesinger 27. 1. Lampersbach 25. 1. Lemmrich ** 27. 1. Memmel * 26. 1. Dr. Miltner 2. 2. Dr. Müller (München) ** 27. 1. Pawelczyk ** 27. 1. Richter ** 27. 1. Roser ** 27. 1. Schmidt (Wattenscheid) 25. 1. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 1. Dr. Schulz (Berlin) ** 27. 1. Sieglerschmidt ** 27. 1. Dr. Slotta 2. 2. Springorum * 26. 1. Stücklen 26. 1. Dr. Todenhoefer 24. 2. Frau Dr. Walz ** 27. 1. Westphal 26. 1. Frau Will-Feld 24. 2. Wolfram * 26. 1.
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    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich grundsätzliche Bemerkungen zur Sozialpolitik mache, zu zwei mehr aktuellen Fragen, die Herr Kollege Katzer angeschnitten hat, Stellung nehmen.
    Thema flexible Altersgrenze — um das endlich einmal vom Tisch zu bringen!

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die von der CDU in letzter Stunde durchgesetzte Regelung des vollen Arbeitsverdienstes bei gleichzeitigem Rentenbezug und sogar noch höherem Arbeitsverdienst widerspricht nach unserer Auffassung dem humanitären Sinn der flexiblen Altersgrenze. Sie widerspricht weiter dem Solidarausgleich zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern, und sie gefährdet schließlich die langfristige finanzielle Solidität der Rentenversicherung.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Katzer: Deshalb haben Sie auch zugestimmt! — Abg. Katzer meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

    — Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfragen zulassen.
    Im übrigen will Herr Katzer vergessen machen, daß die CDU/CSU in diesem Hause überhaupt keine Gesetzesinitiative zur flexiblen Altersgrenze eingebracht hat,

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Schellenberg
    sondern erst im letzten Augenblick auf den Zug der Rentenreform hinsichtlich der flexiblen Altersgrenze aufgesprungen ist.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Götz: Alles schon mal gehört!)

    Nun eine Bemerkung zu den Kriegsopfern. Die CDU/CSU-Politik hat dazu geführt, daß die Kriegsopfer viele Jahre gezwungen waren, immer wieder zur Wahrung ihrer sozialen Interessen auf die Straße zu gehen. Die sozialliberale Koalition hat dagegen bei hinhaltendem Widerstand der CDU/CSU die Dynamisierung der Kriegsopferrenten verwirklicht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dadurch sind die Kriegsopferrenten in der letzten Legislaturperiode für die Beschädigten um 42 und für 'die Witwen um 53 erhöht worden, so stark wie niemals zuvor in einer Legislaturperiode.

    (Abg. Härzschel: Stimmt doch gar nicht!)

    Auch in dieser Legislaturperiode wird die sozialliberale Koalition im Einklang mit einer soliden Haushaltspolitik ihre Verpflichtung gegenüber den Opfern des Krieges erfüllen.

    (Abg. Härzschel: Erwähnt wurden sie nicht!)

    Nun zu den grundsätzlichen Ausführungen von Herrn Katzer. Herr Kollege Katzer, Ihre Darlegungen zeigen von Einzelheiten abgesehen, auf die ich eingehen werde —, daß die CDU keine Alternative zur Regierungserklärung

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    zu bieten hat.

    (Beifall bei der SPD. Abg. Breidbach: Drei Minuten zu spät!)

    Sie zeigen, daß die CDU/CSU immer noch über keine gesellschaftspolitische progressive

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    Gesamtkonzeption verfügt. Meine Damen und Herren, das ist doch auch in Ihren Kreisen Gegenstand lebhafter Diskussion

    (Abg. Müller [Remscheid] : Wer bestimmt denn, was „progressiv" ist, Herr Schellenberg?)

    Mag die CDU/CSU auch hier und da Reformwillen bekunden, politisch ist entscheidend, daß sie in ihrer überwiegenden Mehrheit nach wie vor gesellschaftspolitisch konservativ ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das wird sich auch dann nicht ändern, wenn die CDU, weil sie sich in der Opposition befindet, wie schon in der letzten Legislaturperiode in dieser oder jener Frage aus taktischen Gründen versuchen sollte, gesellschaftspolitisch der sozialliberalen Koalition zuvorzukommen oder sie in irgendeinem Detail zu übertrumpfen.

    (Abg. Breidbach: Wie war das mit dem Baby-Jahr?)

    Solche Einzelaktionen können die geschichtliche Tatsache nicht verdecken, daß die Konservativen gegenüber den Notwendigkeiten der industriellen Gesellschaft versagt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dafür hat die CDU/CSU von den Wählern die gebührende Quittung erhalten.

    (Zustimmung des Abg. Möllemann.)

    Die sozialliberale Koalition hat dagegen mit ihrer Politik der inneren Reformen eine zukunftsweisende Sozialpolitik eingeleitet. Diese progressive Sozialpolitik wird — und das ist eine wichtige Aussage der Regierungserklärung — kontinuierlich weiterentwickelt. Dabei wird die Qualität des Lebens immer mehr zum Leitbild unserer modernen Sozialpolitik. Das möchte ich für einige Bereiche der Gesellschaftspolitik verdeutlichen.
    Erstens. Qualität des Lebens — das bedeutet konkret mehr Freiheit, aber auch mehr Mitverantwortung im Arbeitsleben. Konservative Sozialpolitik hält grundsätzlch am Herr-im-Hause-Standpunkt in Betrieb und Unternehmen fest, was z. B. die Leitlinien der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU für diese 7. Legislaturperiode beweisen; die sollten Sie sich einmal gründlich ansehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir!)

    Die CDU ist weder auf ihrem Parteitag noch in ihrem Regierungsprogramm von diesen konservativen Leitlinien auch nur mit einem Wort abgerückt; das sind die Tatsachen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Moderne Sozialpolitik will dagegen die demokratische Mitbestimmung des mündigen Bürgers auch im Arbeitsleben.
    Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß die Regierungserklärung der Mitbestimmung einen hohen Rang zuerkennt und sie als eine der Hauptaufgaben unserer Gesellschaftspolitik bezeichnet. Wir Sozialdemokraten haben als einzige Fraktion bereits im Dezember 1968 einen Gesetzentwurf zur gleichgewichtigen Mitbestimmung in Großunternehmungen vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist auch heute noch die Grundlage unserer politischen Bemühungen.

    (Abg. Rollmann: Dann bringen Sie ihn doch ein! — Abg. Härzschel: Wo war der denn in den letzten drei Jahren?!)

    Aber in der gleichen Weise wie beim Betriebsverfassungsgesetz, der Mitbestimmung auf der betrieblichen Ebene, wird die sozialliberale Koalition auch für die Mitbestimmung in Großunternehmungen in fairer Partnerschaft eine gemeinsame Lösung erarbeiten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In der letzten Legislaturperiode haben Sie, Herr Katzer, für die Opposition prophezeit, die Koalition werde mit ihrer Erklärung über die Neuregelung der Betriebsverfassung einen Offenbarungseid leisten müssen. Ebenso wie die CDU/CSU damals falsch spekuliert hat, wird sie sich auch in dieser Wahlperiode mit ihrer negativen Prognose verkalkulieren.



    Dr. Schellenberg
    Herr Barzel hat insbesondere ein allgemeines Bekenntnis zur Mitbestimmung abgelegt. Mit allem Nachdruck ist jedoch darauf hinzuweisen, daß wir Scheinlösungen zur Mitbestimmung, wie sie die CDU CSU in der letzten Legislaturperiode beantragte, kategorisch ablehnen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und zwar deshalb, weil hierdurch die Vormachtstellung des Kapitals gegenüber den Arbeitnehmern zementiert wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen hält es die SPD-Fraktion für erforderlich, daß der Regierungsentwurf zur Einführung der Mitbestimmung in den Großunternehmungen so rechtzeitig vorgelegt wird, daß er noch vor Ablauf der Fristen des Mitbestimmungssicherungsgesetzes, nämlich Ende 1975, in Kraft treten kann.
    Zweitens. Qualität des Lebens bedeutet auch wirksamere und gerechtere Vermögensbildung für die Burger. Konservative Sozialpolitik handelte mit ihren ungerechten Steuervergünstigungen nach dem Motto: „Wer hat, dem wird gegeben". Sie war damit, wie die Auswirkungen des Ersten und Zweiten Vermögensbildungsgesetzes sowie der Sparprämiengesetze gezeigt haben, im wesentlichen eine Politik für die Privilegierten. Moderne Sozialpolitik will die Vermögensbildung der breiten Schichten unseres Volkes.
    In der letzten Legislaturperiode hat die sozialliberale Koalition durch das Dritte Vermögensbildungsgesetz die Sparförderung der Arbeitnehmer entscheidend verbessert. Das beweist eindrucksvoll die Tatsache, daß die Zahl der begünstigten Arbeitnehmer von 2 Millionen auf 14 Millionen Arbeitnehmer, die jetzt vermögenswirksam sparen, heraufgeschnellt ist. Damit wurde ein großer Durchbruch in der Sparförderung erreicht. Darauf wird die sozialliberale Koalition in ihrer Vermögenspolitik aufbauen.
    Jetzt geht es darum, die soziale Ungerechtigkeit, daß die Arbeitnehmer immer noch vom Zuwachs des von ihnen miterarbeiteten Produktivvermögens ausgeschlossen sind, zu beseitigen. Dieses große Ziel läßt sich nur schrittweise erreichen. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Beteiligung der breiten Schichten unseres Volkes am Zuwachs des Produktivvermögens vorlegen wird.
    Die Herren Barzel, Strauß und auch Herr Katzer haben in der Debatte wiederum ihre alte Vorlage über den Beteiligungslohn angepriesen. Damit will die CDU/CSU vergessen machen, daß der CDU/CSU-Entwurf die öffentlichen Haushalte allein im ersten Jahr mit über fünf Milliarden D-Mark Mehrausgaben belastet hätte und damit finanzpolitisch unsolide war.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Gegenüber den utopischen Vorschlägen der CDU/CSU wird die sozialliberale Koalition ihren Weg zur breiten Vermögensbildung realistisch und mit Augenmaß fortsetzen.
    Drittens. Qualität des Lebens bedeutet auch soziale Sicherung für alle Burger. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie wollen heute vergessen machen, daß konservative Sozialpolitik die soziale Sicherung jahrzehntelang durch enge Versicherungsgrenzen eingeengt hat. Moderne Sozialpolitik geht davon aus, daß soziale Sicherung zur Selbstbehauptung jedes einzelnen Bürgers und zur sozialen Grundausrüstung für die Wechselfälle des Lebens gehört.
    Dem Ziel einer Volksversicherung ist die sozialliberale Koalition ein großes Stück nähergekommen. Das gilt sowohl für den Bereich der Leistungen wie für den geschützten Personenkreis.
    Ich darf aber freimütig darauf hinweisen, daß das finanzielle Volumen der Rentenversicherung durch die erreichten Leistungsverbesserungen für die nächste Zeit ausgeschöpft ist. Die finanzielle Solidität im Interesse der Beitragszahler und der Rentner gebietet es deshalb, zunächst einmal die finanziellen Auswirkungen der beschlossenen Regelungen abzuwarten. Erst dann kann und soll über weitere Leistungsverbesserungen beraten werden.
    Durch Öffnung wurde die Rentenversicherung zu einem Angebot für alle Burger. Mit der Unfallversicherung für Schulkinder und Studenten, dem Beitrittsrecht aller Angestellten zur Krankenversicherung und der neugeschaffenen Krankenversicherung für Landwirte wurden weitere Bevölkerungskreise in die soziale Sicherung einbezogen.
    In dieser Legislaturperiode geht es darum, die soziale Sicherheit weiter zu vervollständigen. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung in der Regierungserklärung und der Bundesarbeitsminister in seinen Ausführungen ausdrücklich die Notwendigkeit einer Verbesserung der sozialen Sicherung der Frauen unterstrichen haben. Für uns ist dies ein Bestandteil der Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft.
    Die Koalition hat hierzu durch ihren Gesetzentwurf über Leistungsverbesserungen in der Krankenversicherung, und zwar sowohl hinsichtlich der Gewährung eines Rechtsanspruchs für Frauen auf Haushaltshilfe bei Krankenhaus- und Kuraufenthalt als auch hinsichtlich des Rechts erwerbstätiger Mütter auf Freistellung von der Arbeit zur Betreuung ihres Kindes, eine Initiative für die Mutter ergriffen. Die SPD-Fraktion wird gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner auch für die Verwirklichung dieser notwendigen Verbesserungen der sozialen Sicherung der Frau sorgen.
    Meine Fraktion begrüßt die zusätzlichen Erklärungen des Bundesarbeitsministers, wonach die Bundesregierung prüfen will, inwieweit die von Geburt an Behinderten in die soziale Sicherung einbezogen werden können.
    Viertens. Qualität des Lebens bedeutet auch mehr soziale Gerechtigkeit gegenüber den Familien. Konservative Sozialpolitik hat durch Steuerfreibeträge die Familien mit hohen Einkommen begünstigt und damit die Familien mit niedrigem Einkommen benachteiligt, und sie hat gegenüber der Kleinfamilie



    Dr. Schellenberg
    völlig versagt. Moderne Sozialpolitik will die Familienlasten gerecht verteilen. Sie ist eine Politik für a 11 e Familien.
    Nachdem in der letzten Legislaturperiode die Ausbildungsförderung und die Kindergeldleistungen — das vergißt die CDU/CSU immer! — verbessert wurden, geht es jetzt vor allem darum, den Familienlastenausgleich grundlegend neu zu gestalten. Die SPD-Fraktion begrüßt es im Interesse der Familien nachdrücklich, daß diese zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe in dieser Legislaturperiode — ich unterstreiche: in dieser Legislaturperiode — verwirklicht wird.
    Fünftens. Qualität des Lebens bedeutet auch, daß der Bürger durch vorausschauende Sozialpolitik gegen Gefahren geschützt ist. Konservative Sozialpolitik wurde im wesentlichen erst tätig, wenn der Schaden bereits eingetreten war. Moderne Sozialpolitik stößt dagegen zu den Ursachen persönlicher Notstände und gesellschaftlicher Mängel vor. Sie ist eine Politik, die nicht nur die Risiken abdeckt, sondern sie zu verhindern sucht. Dies ist vor allem zur Erhaltung der Gesundheit als einer entscheidenden Voraussetzung für die freie Entfaltung des Menschen erforderlich.
    In der letzten Legislaturperiode wurde durch die Einführung der Vorsorgeuntersuchungen hier eine Wende eingeleitet. Während — das vergessen Sie immer, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU — die konservative Sozialpolitik den Weg zum Arzt durch Kostenbeteiligung erschweren wollte,

    (Beifall bei der SPD)

    ist nunmehr der Durchbruch zur Gesundheitsvorsorge gelungen. Dieser Fortschritt muß ausgebaut werden. Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß der Gesundheitsschutz auf Grund der Regierungserklärung weiter verbessert wird.
    Auch der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, den die Konservativen jahrzehntelang schwer vernachlässigt haben, wird und muß vorangetrieben werden. Die Arbeitsplätze müssen sicherer und menschengerechter werden. Die SPD-Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung den Gesetzentwurf über Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte bald dem Bundestag vorlegen wird und daß sie die Maßnahmen zur Unfallverhütung und zum Arbeitsschutz weiter intensivieren wird. Wir haben mit großem Interesse davon Kenntnis genommen, daß der Arbeitsminister heute hier die Neuregelung des Jugendarbeitsschutzes ausdrücklich angekündigt hat.
    Sechstens. Qualität des Lebens — das bedeutet auch mehr Chancen für die Behinderten, sich in der Gesellschaft zu entfalten. Konservative Sozialpolitik hat die soziale Integration der Behinderten vernachlässigt. Moderne Sozialpolitik setzt sich zum Ziel, die Behinderten im Beruf einzugliedern und ihnen die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
    Die sozialliberale Koalition hat in der vergangenen Legislaturperiode mit ihrem Aktionsprogramm zur Rehabilitation erste richtungweisende Schritte eingeleitet. Die SPD-Fraktion begrüßt es außerordentlich, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung eine Gesamtreform des Behindertenrechts angekündigt hat. Ziel dieser Reform muß es sein, für alle Behinderten, auch für die Kinder, unabhängig von der Ursache ihrer Behinderung, eine umfassende Rehabilitation zu gewährleisten. Darüber hinaus muß arbeitsrechtlich sichergestellt werden, daß die Behinderten ihre wiedergewonnene Arbeitsfähigkeit auch wirklich nutzen können.
    Siebentes. Qualität des Lebens — das bedeutet für die ältere Generation ein Lebensabend in Würde. Konservative Sozialpolitik hat sich vor allem darauf beschränkt, mehr oder weniger zureichend die materielle Existenz im Alter zu sichern. Moderne Sozialpolitik wird dagegen die ältere Generation voll in die Gesellschaft zu integrieren haben.
    Wir haben in der letzten Legislaturperiode die wirtschaftliche Sicherung für unsere älteren Mitbürger in Qualität und Quantität entscheidend verbessert. Auch in den nächsten Jahren werden die Renten z. B. werden wir 1973 eine Rentenanpassung von 11,35 0/0 beschließen — erheblich verbessert. Das ermöglicht es jetzt, das Schwergewicht auf Bereiche zu legen, die über die materielle Sicherung hinaus für einen Lebensabend in Würde unerläßlich sind.
    Das bedeutet vor allem: Hilfe zur selbständigen Lebensführung durch soziale Dienstleistungen, hauspflegerische Betreuung unserer älteren hilfsbedürftigen Mitbürger, weitere Sicherung des sozialen Mietrechts, besonders im Interesse der älteren Generation, Erforschung und Behandlung altersbedingter Krankheiten und Ausbau der gesundheitlichen Vorsorge für ältere Menschen. Die SPD-Fraktion erwartet von der Bundesregierung, daß sie im Interesse unserer älteren Mitbürger unter anderem die Vorschriften über den Ausbau der Altenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz und den Ausbau eines Gesetzes zum Schutze der Bewohner in Altenheimen und Altenwohnheimen vorlegt und ihre Wohnungspolitik besonders in den Dienst der älteren Mitbürger stellt.
    Ich fasse zusammen. In der vor uns liegenden Legislaturperiode gilt es, gesellschaftspolitisch das Errungene zu sichern und weitere Reformen zu verwirklichen. Es geht darum, die Qualität des Lebens in allen Bereichen zur Grundlage der Sozialpolitik werden zu lassen: durch mehr Humanität, durch mehr Freiheit und Mitverantwortung im Arbeitsleben, durch gerechtere Lebenschancen, durch mehr Solidarität in unserer Gesellschaft. Damit verwirklicht die sozialliberale Koalition den weiteren Ausbau des sozialen Rechsstaats.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Liselotte Funcke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Welchen Rang die CDU der Familienpolitik einräumt, haben wir gerade erlebt. Denn als wir das von ihr selbst durch Frau Kollegin Wex gerade eingeführte Thema der Familienpolitik dis-



    Frau Funcke
    kutieren wollten, verlangte Herr Katzer das Wort zu einem anderen Thema. Offensichtlich ist dann wohl der CDU dieses Problem nicht so wichtig, wie sie vorgab.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sehen uns jetzt in der schwierigen Lage, nur noch schnell und verkürzt über die vielen Probleme aus dem Bereich der Familienpolitik, der Jugendpolitik und der Gesundheitspolitik diskutieren zu können. Ich werde mich auf die Fragen beschränken, die Frau Wex angesprochen hat.
    Frau Wex, als bekannt wurde, daß Sie heute nachmittag die Familienpolitik anschneiden würden, habe ich mich sehr gefreut. Ich habe gemeint, jetzt würden wir endlich einmal etwas Moderneres zu dem Problemkreis Familie und Stellung und Chancen der Frau in Familie, Beruf und Gesellschaft von der CDU hören. Wir kennen Sie noch aus der Zeit, als Sie vor einigen Jahren im Bundestag die Bildungspolitik vertraten und mitunter recht mutige und nach vorn gerichtete Worte von Ihnen zu hören waren. Aber demgegenüber war Ihr heutiges Referat doch recht enttäuschend. Das waren alles die altbekannten Vorstellungen von der traditionellen Auffassung, die wir von der CDU über Familie seit langem kennen. Da war der alte Gegensatz zwischen Familie und Gesellschaft, der so pointiert herausgestellt wird, als wüßten wir nicht, daß in unserer Zeit die Linien ineinanderlaufen, daß die Familie in sich ohne die Gesellschaft nicht existieren kann und daß auf der anderen Seite die Gesellschaft die Gliederung in Familien nicht entbehren kann, weil die Familie ein Stück ihrer selbst ist. Was soll da die fast feindliche Alternative, die bei Ihnen durchklang? Ihre nachdrückliche Forderung, daß die Gesellschaft nicht in die Familie und die Erziehung hineinreden möge, ist doch nur aus einer Antistellung zu verstehen, die immer wieder bei der CDU anklingt, wenn von der Familie hie und der Gesellschaft dort die Rede ist.

    (Abg. Dr. Martin: Das sagt doch kein Mensch! Wer hat das gesagt?)

    — Lesen Sie genau nach.

    (Abg. Dr. Götz: Das stimmt doch einfach nicht! Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    Das klingt sehr deutlich heraus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich frage mich, Frau Kollegin Wex, ob Sie in der Tat nichts Moderneres haben sagen können oder dürfen;

    (Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien — Lachen bei der CDU/CSU)

    denn an sich möchte ich annehmen, daß Sie in Ihren Auffassungen sehr viel differenzierter sind, als in Ihrem Referat zum Ausdruck kam. Aber Ihre Fraktion das kennen wir doch nun seit vielen Jahren - ist halt in diesen Dingen recht konservativ und einseitig. Darum hat doch bei der Neugestaltung des Familienrechtes die CDU nicht auf den Stichentscheid des Vaters verzichten wollen, obwohl er gegen das Grundgesetz war.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Darum setzte sie es gegen bessere Argumente durch, daß das Kindergeld bei der Unfallversicherung angesiedelt wurde, um den Staat aus diesem Bereich auszuschalten. Darum die Ablehnung des „Babyjahres" in der Rentenversicherung durch die CDU/ CSU, obwohl damit doch die Entscheidung der Mutter zur ausschließlichen Pflege des Kindes erleichtert werden sollte, darum die Ablehnung der Opposition, die Ausbildungsjahre einer Frau bei freiwilliger Versicherung anzuerkennen, während die Ausbildungszeiten des Mannes selbstverständlich anerkannt werden. Darum die Konstruktion der CDU zur flexiblen Altersgrenze, nach der der 63jährige Mann noch einen vollen Verdienst neben der Rente erhalten sollte, nicht aber die Frau, die mit 60 Jahren die Rente beantragt.

    (Abg. Härzschel: Gleichberechtigung!)

    Ja, eben! Bei der vorgezogenen Rente der Frau erkennen Sie den Vollverdienst nicht an, bei der vorgezogenen Altersgrenze des Mannes haben Sie ihn durchsetzen wollen.

    (Abg. Härzschel: Ab 63 doch auch!)

    Herr Barzel hat in seiner Rede der letzten Woche gesagt — und ich frage mich, was das denn eigentlich sollte —: „Wir wenden uns gegen ein staatlich verordnetes Leitbild der Rolle der Frau." Vielleicht können wir einmal hören, wen oder was er damit meinte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn gerade von Ihrer Seite vom Leitbild gesprochen wird, muß man doch feststellen, daß in der gesamten Politik, die Sie seit 20 Jahren vertreten haben, doch das Leitbild der ausschließlich auf das Haus fixierten Frau die Grundlage Ihrer Entscheidungen war.
    Darum bin ich froh, wenn Sie jetzt davon sprechen, daß der Frau die freie Entscheidung darüber eingeräumt sein soll, ob und inwieweit sie ihre Fähigkeiten in der Familie oder/und im beruflichen Leben einsetzen will. Aber alles, was Sie bisher vertreten und entschieden haben, verhinderte mehr, als daß es half, der Frau die Entscheidung zu eröffnen. Denn die Hindernisse, die Sie, Frau Kollegin, heute auch beklagen, sind ja doch das Ergebnis Ihrer Politik, einer Politik, die sich an einem sehr herkömmlichen Familienbild orientierte. So hat denn auch — von Wuermeling bis zu Frau Brauksiepe — die Aktivität des Familienministeriums sich weithin auf die Besorgung der Dinge der kinderreichen Familie konzentriert und begrenzt, und die traditionellen Familienverbände waren die Hauptanwälte der öffentlichen Meinung. Auch Ihr Hinweis, Frau Wex, auf die „intakte Familie" deutet darauf hin; denn Ihre Klage, daß die unvollständige Familie schlecht behandelt würde, ist doch offensichtlich die Folge dieser einseitigen Vorstellung von Familie und Familienpolitik

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Frau Funcke
    Auch die Frauenenquete von 1966 zeigt, wenn man sie sorgfältig liest, deutlich, daß das, was aus dem Sozialministerium und dem Innenministerium gekommen war, sehr viel progressiver war als der Beitrag, den das Familienministerium zu diesen Dingen geleistet hat. Und so war denn auch die praktische Auswertung durch das federführende Haus gleich null. Die einzigen Konsequenzen, die aus der Frauenenquete in gesetzgeberischer Hinsicht, gezogen worden sind, hat damals aus der Opposition heraus die FDP eingeführt und so weit wie möglich durchgesetzt: das war die Teilzeitbeschäftigung der Beamtin, das war die Steuerfreiheit der Fortbildungskosten für die Hausfrau, und das war das Bemühen, das sich erst in der sozialliberalen Koalition dann durchsetzen ließ, daß z. B. Unfälle bei einem Umweg zum Kindergarten auf dem Weg zur Arbeit für Familienangehörige von der betrieblichen Unfallversicherung gedeckt werden.
    Nun haben wir in diesen Tagen über „progressiv" und „konservativ" gesprochen. Meine Herren und Damen, ich will da nicht theoretisieren. Aber progressive Politik treiben heißt doch, daß man die Bewegungen in dieser Welt rechtzeitig erkennt und daraus die entscheidenden Schlüsse zieht und nicht einfach auf den Formen der Vergangenheit beharrt. Die Bewegungen dieser Welt machen vor der Familie nicht halt. Dennoch hat sich bei uns weithin noch die Vorstellung erhalten, ,die von den Männern sicherlich sehr gut gemeint ist: Politik, das ist Wirtschaft, das ist Außenpolitik, das sind Zölle, das ist Mitbestimmung und noch manches mehr; aber was meine Familie angeht, das besorge ich selbst, das ist mein privater Bereich. — Aus dieser Vorstellung heraus sind lange Zeit alle Fragen, die die Familie betreffen, so am Rande und dann eben etwas unter dem Blickwinkel des Ludwig-Richter-Genre-Bildes betrachtet worden, und es ging allenfalls um das Kindergeld.
    Ich meine, wir müssen aber einmal ein bißchen tiefer loten. Die Bewegungen dieser Welt haben vor der Familie nicht halt gemacht, und so gilt es, wenn man von Familienpolitik spricht, die Problematik einer veränderten Familienstruktur zu erkennen und ernst zu nehmen. Es gibt entscheidende Änderungen: zunächst haben wir nicht mehr die Großfamilie, sondern die Kleinfamilie. Das hat selbstverständlich Rückwirkungen in vielerlei Hinsicht. Die Kolleginnen dieses Hauses waren doch etwas betroffen, als einmal ein Staatssekretär in der Fragestunde sagte: Eine Familie, die nur aus Frau und Kind besteht, ist keine Familie. Heute müht sich die CDU plötzlich um die unvollständige Familie. Hier zeigt sich doch, daß eben nicht mehr das Bild der Drei-GenerationenFamilie mit Verwandten und bekannter Nachbarschaft Grundlage dessen ist, was wir mit Familie bezeichnen, sondern daß heute die isolierte Kleinfamilie mit der ganzen Abhängigkeit von der Umwelt die Wirklichkeit geworden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Das gilt es einmal zu erkennen.

    Das zweite ist die totale Anonymität und Isoliertheit dieser Kleinfamilie. Da ist die junge Familie, die durch den Beruf des Mannes oder der Frau an einen fremden Ort, als Unbekannte in ein Mietshaus zieht, ohne Verbindung zur Nachbarwelt, zur Verwandtschaft und Bekanntschaft und damit auch ohne deren Hilfeleistung in den Wechselfällen des Lebens. Das muß einmal in der ganzen Problematik gesehen werden.
    Frau Kollegin Wex, ich bin Ihnen dankbar für Ihre Frage: Was passiert denn, wenn das Kind krank wird? Früher war da die Großmutter oder eine Tante oder es gab ältere Geschwister oder die Nachbarsfrau. Das haben wir vielfach heute nicht mehr. Die Familie ist anfällig und von der Gesellschaft abhängig geworden. Darum bin ich so betroffen über die Gegensätze, die zwischen Familie und Gesellschaft konstatiert werden.
    Eine weitere, sehr entscheidende Änderung besteht darin, daß immer mehr Arbeit vom Haushalt in die gewerbliche Wirtschaft oder die sozialen Einrichtungen abgewandert ist. Dabei ist die Hausfrau auf der einen Seite von einer Fülle von Arbeit entlastet. Diese Arbeit ist aber nicht verlorengegangen, sondern nur aus dem Einzelhaushalt herausgenommen. Der Haushalt hat sie der Gesellschaft zugeschoben. Und da stellt sich doch die Frage: Kann sich die Frau dann der Berufstätigkeit außerhalb des Hauses völlig enziehen, wenn ein nicht unerheblicher Teil ihrer früheren Arbeit inzwischen auf die Berufswelt übergegangen ist, sei es das Krankenhaus, die Konservenfabrik, die Spinnerei und Weberei oder die Schule? Hier muß eine Gesellschaft, die den Einfluß der Frau auf diesen Gebieten nicht völlig verlieren will, die Notwendigkeit sehen und die Möglichkeit schaffen, daß diese Tätigkeiten auch draußen mit in die Verantwortung der Frauen übernommen werden können. Das heißt dann ganz einfach: die Berufstätigkeit der verheirateten Frau ist nicht ein Vergehen an ihrer Familie, wie manche Leute sagen, sondern ist der Beitrag, ja, der natürliche und notwendige Beitrag, den die moderne Frau in ihrer Weise nicht anders leistet, wie ihn ihre Urgroßmutter zu ihrer Zeit in einem großen, produktiven Hauswesen geleistet hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir müssen weiter sehen — das ist die andere Seite —, daß Kinder heute wachsende Anforderungen an die Eltern stellen. Wenn man früher ein bißchen vereinfacht sagen konnte: Wo sechs satt werden, wird auch ein siebentes satt, wissen wir heute, welche unendlichen Anforderungen ein Kind heute an seine Eltern stellt, an ihre ständige schützende Hand in einer gefährlichen Umwelt, durch Verbrecher, durch Straßenverkehr, durch die gesundheitlichen Gefährdungen, an ihre geistige Führung in der Kommunikation und schulischen Hilfe, da Kinder in der Kleinfamilie nahezu ausschließlich auf die Eltern angewiesen sind, während früher dafür die große Hausgemeinschaft zur Verfügung stand. Und dazu macht die psychologische und soziologische Forschung jeden Tag darauf aufmerksam, wie wichtig die unmittelbare Zuwendung dem Kleinkind gegenüber in den isolierten Verhältnissen für das gesunde Wachstum des Kindes ist.
    Dazu kommen die Schwierigkeiten in der heutigen Familie durch die Kinderfeindlichkeit der Umwelt.



    Frau Funcke
    Das bringt es mit sich, daß viele Eltern meinen, nicht mehr als zwei Kinder haben zu können, weil eben die Wohnungen nicht entsprechend groß sind, weil die Nachbarn sich ständig über den Lärm beschweren, weil das Betreten des Rasens verboten ist und Spielpätze und Kindergärten fehlen.
    Hier liegt e i n Grund für den Geburtenschwund, über den sich heute plötzlich sogar die Wirtschaft mit großen Bedenken beklagt. Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen Einschub. Der Rückgang der Geburten auf 75 % der Jahrgänge zuvor ist nicht vorrangig der Pille oder der „Bequemlichkeit" der heutigen Frau oder ihrer „Gewinnsucht" im Beruf zuzuschreiben, sondern ist ganz einfach die Spätfolge des letzten Krieges. Sie können das gleiche in Rußland, in Polen, auf dem Balkan und bei anderen Völkern erleben, die gleiche oder ähnlich schwere Verluste in dem Krieg gehabt haben. Denn wenn die Elterngeneration nur 75 °/o eines normalen Jahrgangs beträgt, dann ergibt sich zwangsläufig, daß 25 Jahre später die Kinderzahl zurückgeht. Ich sage das in Richtung unserer Bildungspolitiker, damit sie nicht etwa falsch disponieren: Sie wird sich in einigen Jahren wieder nach der anderen Seite entwickeln.