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ID0700911800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 Inhalt: Verzicht des Abg. Augstein (Hamburg) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 243 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Opitz (FDP) . . . . . .. . . 243 B Dr. Wulff (CDU/CSU) . . . . . . 244 D Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 246 A, 249 D Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 249 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 250 B, 252 C, 257 A, 263 B Brandt, Bundeskanzler . 251 B, 262 B Wehner (SPD) . . . . 253 C, 262 B Scheel. Bundesminister (AA) . . . 257 A Dr. Mikat (CDU/CSU) . . . . . . 262 A Dr. Ehmke, Bundesminister (BMP) . 264 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 264 C Dr. Friderichs, Bundesminister (BMW) 264 D Dr. Narjes (CDU/CSU) . . . . . 268 D Junghans (SPD) 273 D Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 277 B Frau Dr. Wex (CDU/CSU) . . . 280 B Arendt, Bundesminister (BMA) . . 283 C Frau Dr. Focke, Bundesminister (BMJFG) . . . . . . . . 286 B Katzer (CDU/CSU) 288 D Dr. Schellenberg (SPD) 293 D Frau Funcke (FDP) 296 D Frau Eilers (Bielefeld) (SPD) . . 300 D Genscher, Bundesminister (BMI) . 303 B, 323 D Dr. Dregger (CDU/CSU) 307 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 312 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 318 A Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . 321 A Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 324 D Dr. Martin (CDU/CSU) 327 C Frau Schuchardt (FDP) . . . . . 331 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 333 A Nächste Sitzung 336 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 337* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 243 9. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Ahrens ** 27. 1. Alber ** 27. 1. Amrehn ** 27. 1. Augstein (Hattingen) 26. 1. Behrendt * 26. 1. Blumenfeld ** 27. 1. Dr. Dollinger 10. 2. Dr. Enders ** 27. 1. Flämig * 26. 1. Gerlach (Emsiand) * 26. 1. Hösl ** 27. 1. Jung ** 27. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Kahn-Ackermann ** 27. 1. Dr. Kempfler ** 27. 1. Dr. h. c. Kiesinger 27. 1. Lampersbach 25. 1. Lemmrich ** 27. 1. Memmel * 26. 1. Dr. Miltner 2. 2. Dr. Müller (München) ** 27. 1. Pawelczyk ** 27. 1. Richter ** 27. 1. Roser ** 27. 1. Schmidt (Wattenscheid) 25. 1. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 1. Dr. Schulz (Berlin) ** 27. 1. Sieglerschmidt ** 27. 1. Dr. Slotta 2. 2. Springorum * 26. 1. Stücklen 26. 1. Dr. Todenhoefer 24. 2. Frau Dr. Walz ** 27. 1. Westphal 26. 1. Frau Will-Feld 24. 2. Wolfram * 26. 1.
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    Rede von Hans Katzer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Focke, ich komme in meinen Bemerkungen nachher noch zur Frage des Leistungsprinzips zurück. Ich bin etwas erstaunt. Der Herr Bundeskanzler hat diesem Leistungsprinzip in einem außergewöhnlichen Maße in der Regierungserklärung Rechnung getragen. Es ist, glaube ich, an drei Stellen davon die Rede, und zwar in einem Augenblick, in dem die Christlich-Demokratische Union von der humanen Leistungsgesellschaft gesprochen hat und damit zum Ausdruck bringt, daß Leistung ein wesentlicher, aber natürlich nicht der alleinige Bemessungsgrad sein kann und daß wir sehr wissen, daß der Mensch gewertet wird, auch der und gerade der, der ohne eigene Schuld nicht leistungsfähig ist. Da sollten Sie nicht solche Polemik hier an den Anfang der Diskussion stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dennoch begrüße ich es, daß dieser Punkt herausgestellt worden ist; denn das soll — das ist vielleicht ein Verdienst des Bundeskanzlers und seiner Regierungserklärung — dazu führen — die gestrige Debatte hat das deutlich gezeigt —, daß wir vielleicht etwas tiefer über die Grundlagen unserer Politik und die Anlage unsere Politik miteinander diskutieren.
    Lassen Sie mich dazu einige Bemerkungen machen. Herr Bundeskanzler, Sie gehen diesmal in dieser Regierungserklärung etwas sparsamer mit dem anspruchsvollen Wort „Reform" um. Ich möchte meinen, es ist erlaubt, darin mehr als einen Zufall zu sehen. Ihre Mitarbeiter an der Regierungserklärung



    Katzer
    scheinen offenbar die Erfahrung gemacht zu haben, was es heißt, der Wortwahl nicht die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
    Was also hat der sparsamere Gebrauch des Wortes „Reform" zu bedeuten? Nun, sicher nicht, daß es bei uns nach dreijähriger Regierungszeit und sechsjähriger Regierungsverantwortung — Herr Bundeskanzler, am Ende dieser Legislaturperiode werden Sie zehn Jahre in der Regierungsverantwortung stehen; das sollte niemand hier im Raum, aber auch niemand draußen im Lande übersehen, denn manchmal wird so getan, als hätte das alles erst vor ein paar Tagen angefangen — nichts zu reformieren gäbe. Im Gegenteil, Erneuerungen tun heute so not wie zu jeder Zeit, und viele der angekündigten Vorhaben sind alte Bekannte, die wir schon aus der Regierungserklärung von 1969 kennen. Mir scheint eher, daß sich hier die Erkenntnis niedergeschlagen hat, die auch andere machen müssen, daß es mit dem Willen zur Reform allein noch nicht getan ist. Für diese Lesart spricht, daß der Bundeskanzler, der sich 1969 noch als Kanzler der inneren Reformen feiern ließ, heute so erstaunliche Sätze wie diesen verwendet:
    Reformgerede, hinter dem sich nur Gehaltsforderungen tarnen, taugt wenig.
    Man muß in der Tat, von diesem Satz ausgehend, etwas tiefer in die Grundsätze hineingehen, wie ich glaube; denn das alles kann man so verbal nur unterstreichen. Wir haben uns, wie Sie sich erinnern werden, in vielen Debatten in diesem Hause gegen die Inflationierung des Wortes „Reform" gewehrt und haben gesagt, dadurch leide die Reformidee insgesamt Schaden. Wir hätten es auch noch mehr begrüßt, Herr Bundeskanzler, wenn Sie endlich durch eine klare Aussage mit dem falschen Anspruch Schluß gemacht hätten, als ob einzig Ihre Partei den Reformwillen und die Reformfähigkeit besitze. Wenn Sie das getan hätten und so in den Wettstreit um die Zielrichtung der Reformen eingetreten wären, wäre dieser Regierungserklärung und der Aussprache mehr gedient gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Statt dessen bezeichnen Sie Ihre Politik schlicht und einfach als „neue Mitte". Kollege Strauß hat dazu gestern einige Bemerkungen gemacht. Ich kann nur sagen, damit werden — und sollen es doch offenbar — alle anderen Parteien und Strömungen als links oder rechts von dieser Mitte qualifiziert. Herr Bundeskanzler, soll das etwa heißen, daß es nach Ihrer Ansicht außer den Anhängern dieser Koalition nur noch ideologisch Verblendete, reaktionäre Einfallslose und Interessenabhängige gäbe? Eine solche Klassifizierung ist falsch; wir wehren uns ganz entschieden gegen diesen Versuch, sie auch nur aufkommen zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Schäfer [Tübingen]:: Sie haben aber ein schlechtes Gewissen!)

    — Herr Kollege Schäfer, dies ist auch undemokratisch, wenn es so gemeint wäre.

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Ausgesprochen haben Sie es!)

    Wir werden es ja hören, denn Demokratie lebt von der Voraussetzung — darin haben wir heute morgen Anschauungsunterricht bekommen —, daß keine Partei die Wahrheit gepachtet hat. Nur so ist ein fruchtbarer politischer Dialog miteinander möglich. Wenn ich das recht sehe, ist das ja wohl im Kern der Vorzug der Demokratie gegenüber der Diktatur. Ich weise daher diese Auffassung, falls sie so gemeint sein sollte, für meine Freunde mit Nachdruck zurück, und ich weise sie mit Nachdruck für mehr als 16,8 Millionen Wähler zurück, die ihr Mandat in unsere Hände hier im Deutschen Bundestag gelegt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe bei der SPD.)

    Ich weise diese Auffassung nicht zuletzt auch, wenn Ihnen das sympathischer ist, als Vorsitzender der Sozialausschüsse der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft zurück. Wir haben eine andere Vision von der Gesellschaft als Sie, deshalb arbeiten wir in der Christlich-Demokratischen Union. Auch wenn wir auf katholischer Soziallehre und evangelischer Sozialethik fußen, so wissen wir doch, daß auch wir selbstverständlich nicht allein im Besitz der Wahrheiten sind. Wir halten deshalb nichts davon, politisch Andersdenkende zu verteufeln oder als interessenabhängig zu disqualifizieren. Umgekehrt geht das aber auch nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir begrüßen in der Regierungserklärung das Wort — das Bekenntnis fast — des Kanzlers zu der „realen Freiheit". Hier, Frau Focke, beginnt doch eigentlich die geistige Auseinandersetzung zwischen dem, was Sie gesagt haben, und dem, was der Kollege Barzel gesagt hat. Die Skepsis beginnt doch bei der Frage, ob die Regierung tatsächlich auf dem Weg zu den Zielen ist, die sie uns nennt.

    (Abg. Dr. Barzel: Das ist die Frage!)

    Denn ebenso wie für die vergangene Legislaturperiode besteht unseres Erachtens auch jetzt ein deutlicher Widerspruch zwischen proklamiertem Ziel und Leistung. So müssen wir doch jetzt schon einen Abstand zwischen dem Anspruch dieser Regierung und der Realität feststellen. Es stellt sich die Frage: was meint diese Regierung in Wirklichkeit, in concreto, mit Worten wie Gerechtigkeit, Freiheit und Leistung? Das Ist der Sinn einer Aussprache über die Regierungserklärung, dem nachzuspüren zu versuchen. Ich will mich mit drei Bemerkungen zu drei Punkten darum bemühen.
    Erstens. Ein unvollständiges Abbild gesellschaftlicher Realitäten zeichnet meines Erachtens die Regierungserklärung bei der Behandlung des immer weiter fortschreitenden Verfalls unseres Geldwertes. Denn es fehlt hier völlig der Hinweis auf den absolut unsozialen Aspekt der inflationären Entwicklung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist doch klar, daß für jemand, für den die Wiedergewinnung der Preisstabilität nicht auch sozialpolitisch motiviert ist, diese Frage in der Rangskala leicht um einige Stufen nach unten rutscht. Es müßte



    Katzer
    sich doch allmählich herumgesprochen haben, daß gerade die Gruppen, die sich nicht aus eigenes Kraft, Frau Focke, das ihnen zukommende Stück aus dem Kuchen des Bruttosozialprodukts herausschneiden können, die Hauptleidtragenden einer inflationären Entwicklung sind. Darauf weisen wir doch ständig hin.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    So verstanden, ist Stabilitätspolitik auch Sozialpolitik, fortdauernde Geldentwertung umgekehrt ein Verstoß gegen die soziale Gerechtigkeit. Gerade die Entwicklung der Renteneinkommen in den Jahren 1969 bis 1972 hat dies ja gezeigt. Ohne die von der Union initiierte und dann später durchgesetzte Anhebung der Renten wären die Rentner im sozialen Gefüge unserer Gesellschaft deutlich abgestiegen. Sie waren dagegen. Wir haben es auf den Tisch gelegt und dann auch durchgebracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auch darauf haben wir in der Vergangenheit hingewiesen, und ich will es heute wiederholen: zunehmend tritt nun auch der unsoziale Aspekt der inflationären Entwicklung bei den Arbeitnehmereinkommen zutage. Preissteigerungen von 6,5 % sind doch schon lange kein Kavaliersdelikt mehr. In welche Sackgasse gerade die Arbeitnehmer durch die inflationäre Entwicklung geführt worden sind, wird insbesondere durch die Ergebnisse der letzten Lohnrunde immer deutlicher. Selbst Abschlüsse von über 8 % verhindern heute kaum mehr, daß die Arbeitnehmer nach Abzug von Preissteigerungen, Steuern und Sozialabgaben - einschließlich Steuererhöhungen — mit weniger Kaufkraft als im letzten Jahr nach Hause gingen.

    (Zuruf von der SPD: Und die Unternehmer?)

    Der Herr Kollege Junghans war es heute morgen in der wirtschaftspolitischen Debatte, der meinte, man müsse sich in der Union klarwerden zwischen den Kollegen Strauß und dem Kollegen Narjes, wie das eigentlich auszusehen habe. Der Kollege Konrad Ahlers, seit kurzem prominentes Mitglied der Fraktion hier im Hause, schreibt in der letzten Nummer der „Wirtschaftswoche" zu diesem Thema — ich zitiere wörtlich —:
    Ich meine, daß die Gewerkschaften im Recht sind, wenn sie sich dagegen wehren, ,daß die Arbeitnehmer nun auch noch einen Konjunkturzuschlag zahlen sollen, dessen stabilitätspolitische Wirkungen besonders dann fraglich sind, wenn er eine Fortsetzung der maßvollen Tarifpolitik durchkreuzt.
    In diesem Zusammenhang darf ich auch gleich ein paar Worte zu dem heute von Herrn Bundesminister Friderichs besonders apostrophierten Stabilitätsprogramm der Bundesregierung sagen. Hier darf ich wiederum Herrn Ahlers zitieren. Es ist ein hochinteressanter Artikel, den ich Ihrer Lektüre sehr empfehle. Es stehen auch interne Dinge der SPD-Fraktion darin, die wir alle mit großem Interesse zur Kenntnis genommen haben.

    (Zuruf von der SPD. Sie sollten sich einmal um sich selber kümmern!)

    — Ich habe gestern so viele liebevolle Hinweise von FDP und SPD bekommen, was die CDU alles tun sollte, daß Sie jetzt meine Worte doch einmal dankbar entgegennehmen könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Freuen Sie sich doch, daß Sie einen so freien Geist wie Herrn Ahlers haben, der uns in schöner Offenheit das alles darstellt! Das tut der Diskussion in unserem Land sehr gut und wird Ihnen, den reformerischen Kräften in Ihrer Partei, auf die Dauer ganz sicher sogar nutzen; davon bin ich persönlich überzeugt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Ahlers hat die auch vom Herrn Kollegen Wehner ,der Regierungserklärung vorgeworfene Enthaltsamkeit in Sachen der 15 Punkte angesprochen. Herr Ahlers griff das auf und sagte:
    Die fünfzehn Punkte des aufgrund der Luxemburger Beschlüsse am 2. November zusammengestellten Stabilitätsprogramms, deren Erwähnung Herbert Wehner vermißt hatte, sind nur zum Teil verwirklicht und auch sonst kaum geeignet, die anhaltende Preisentwicklung zu stoppen, zumal dann nicht, wenn die Bundesregierung selber sich zu Preis- und Steuererhöhungen gezwungen sieht und bei der Regierungsbildung nicht einmal den guten Vorsatz, Stellen einzusparen, einhalten konnte.
    Das aus dem Mund von Herrn Ahlers ist in der Tat interessant. Man kann nicht von Stabilitätspolitik reden und jedem die Verantwortung zuschieben, nur bei sich selbst, obwohl man die Möglichkeit in der Hand hat, nicht damit anzufangen, sondern im Gegenteil mit einer Aufblähung des Beamtenapparates diese Regierungsbildung zu beginnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wo finden wir denn einen sozialen Ausgleich für die Arbeitnehmer? Wo ist denn das Korrektiv, das den Arbeitnehmern, die die Last der Stabilisierung mittragen sollen, garantiert, daß sie an den Chancen einer günstigeren wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt werden?
    Ich wundere mich, daß noch nicht der Zwischenruf gekommen ist — meistens kommt er spätestens im ersten Drittel der Rede —: Wo sind denn Ihre Alternativen? Sie fragen jetzt gar nicht mehr; Sie haben sie gesehen und niedergestimmt. So ist es.
    Meine Damen und Herren, ich würde Sie bitten, zu prüfen — das zu sagen wird ja wohl erlaubt sein —, ob es denn nicht richtig ist, in diesem Augenblick den Arbeitnehmern eine Beteiligung am Zuwachs des Produktivvermögens der Wirtschaft anzubieten. Dies wäre doch ein Weg. Er wäre stabilitätspolitisch vertretbar ich sehe den Kollegen Rosenthal im Augenblick nicht —, verteilungspolitisch notwendig und erwünscht, und zwar, meine Damen und Herren, nicht irgendwann, sondern gerade jetzt, in dieser konjunkturellen Lage, würde eine solche vermögenspolitische Initiative hervorragend in die politische Landschaft passen. Wir vermissen sie leider schmerzlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Katzer
    Der Sachverständigenrat hat darauf ebenfalls besonders hingewiesen. Ich glaube, ohne mehr Stabilität und mehr Verteilungsgerechtigkeit sind soziale Spannungen bereits vorprogrammiert. Man denke an die Urabstimmung. Gerade im Hinblick auf einen Konjunkturzuschlag — der Finanzminister ist im Augenblick nicht da — ist das Anwachsen sozialer Spannungen doch schon heute nicht zu übersehen.
    Damit sind wir bei einem zweiten wichtigen Punkt, an dem sich in concreto erweisen wird, was es mit mehr realer Freiheit auf sich hat. Ich meine eben die Ausgestaltung der Beteiligung unseres Volkes am Zuwachs des Produktivvermögens. Daß es sich hier um eine für die Existenz der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung entscheidende Frage handelt, ist inzwischen wohl im Hohen Hause unbestritten. In der Regierungserklärung wird die Ausarbeitung eines Vorschlages angekündigt, ohne daß im einzelnen gesagt wird, wohin die Reise geht. Angesichts der Dauer und Intensität der öffentlichen Diskussion dieser Frage ist die Aussage der Regierungserklärung dürftig. Das, verehrter Herr Arbeitsminister, was Sie dazu gesagt haben, ist gegenüber dem, was von der FDP, vom Herrn Kollegen Mischnick in der Konkretisierung gerade zur Vermögensbildung gesagt wurde, geradezu eine Verschleierung, eine geringere Aussage als das, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat.
    Mir scheint, die Auffassungen im Koalitionslager haben eine sehr große Bandbreite. Sie reichen von Stimmen, die sich für eine Vervielfältigung der Eigentümerpositionen im Sinne liberaler Traditionen aussprechen, wie Herr Kollege Mischnick das sehr deutlich und präzise getan hat, bis hin zu jener offenbar wachsenden Zahl von politischen Kräften, die eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen überhaupt nicht wünschen, weil sie in ihr nur ein Hindernis für die Abschaffung des Privateigentums sehen.
    Wenn wir die Geschichte der Bundesrepublik sehen, wenn wir einmal nachschauen und fragen: Wie kommt es denn, daß die Eigentumsverteilung gerade im produktiven Bereich so unbefriedigend ist?, dann ist das im Grunde das unheilvolle parallele Wirken diametraler Kräfte: Die Unternehmer wollten nicht zahlen, und die Gewerkschaften hatten streckenweise eine andere Vorstellung als das individuelle Einkommen und persönliche Eigentumsbildung beim Arbeitnehmer. Deshalb wurde seit dem Jahre 1951, als Karl Arnold auf dem Parteitag der Union den Investivlohn gefordert hat, nichts getan. Wer nichts getan und unseren Gesetzentwurf zum Beteiligungslohn drei Jahre in der Schublade hat liegenlassen, der kann sich heute hier nicht hinstellen und die einseitige Vermögensverteilung lauthals kritisieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, unser Beteiligungslohngesetzentwurf steht als Diskussionsgrundlage zur Verfügung. Das gleiche gilt für unsere zusätzlichen Überlegungen innerhalb der Union; denn
    natürlich ist auch bei uns seit 1970 über dieses Problem weiter nachgedacht worden. Für uns ist essentiell — das geht über das hinaus, was der Arbeitsminister in diesem Augenblick zur Regierungserklärung sagen konnte; wir als Opposition wollen Ihnen unsere Position hilfreich sagen, das wird vielleicht für Sie nützlich sein —:
    Erstens. Wir gehen davon aus, daß die Arbeitnehmer persönlich Miteigentümer werden und über ihr Eigentumsrecht persönlich verfügen können. Das ist die erste grundsätzliche Aussage.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das zweite ist, daß die vom Wettbewerb geprägte Marktwirtschaft nicht beeinträchtigt wird. Die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand darf nicht zu mehr zentraler Lenkung des Wirtschaftsablaufs führen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man kann auch darüber reden, man kann über alles sprechen. Diejenigen aber, die für mehr zentrale Lenkung des Wirtschaftsablaufs sind, sollten uns das offen sagen. Dann können wir uns mit ihnen darüber auseinandersetzen. Aber sie sollen ihr Ziel nicht unter dem Deckmantel „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" verbergen; das nenne ich Etikettenschwindel.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Drittens darf durch die Vermögensbildung die Konzentrationstendenz in der Wirtschaft nicht gefördert werden. Wir sollten im Gegenteil versuchen, auch in diesem Zusammenhang etwas für die Klein-und Mittelbetriebe und damit für einen gesunden Wettbewerb zu tun. Graf Lambsdorff hat heute morgen in der wirtschaftspolitischen Debatte dazu einige Bemerkungen gemacht, die in unserer Fraktion einen lebhaften Gedankenaustausch sicherlich sehr erleichtern werden.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zum dritten Beispiel kommen. Von Freiheit und der Mündigkeit des Bürgers zu sprechen, ist eine Sache; danach zu handeln, ist eine andere. Nehmen wir als drittes Beispiel die flexible Altersgrenze. Da hat die Union — übrigens mit Zustimmung der Koalition in namentlicher Abstimmung — vor der Wahl eine flexible Altersgrenze durchgesetzt, die exakt nach dem Prinzip der Freiheit, die die Mündigkeit des Bürgers zur Voraussetzung hat, konzipiert ist. Jeder Bürger erhält danach in Form von Rentenzuschlägen einen Ausgleich für eine kürzere Rentenlaufdauer. Auf ein Beschäftigungsverbot hei Rentenbezug konnten wir deshalb verzichten. Mit dieser liberalen Regelung hat das Änderungsgesetz, das Sie jetzt eingebracht haben, nichts zu tun. Denn derjenige, der nicht mit 63 Jahren die Rente nimmt, wäre danach der Dumme. Hier wird ganz deutlich, was von dem Bekenntnis der Regierungserklärung zur Freiheit des Bürgers in concreto zu halten ist. Meine Damen und Herren, Sie engen in Wahrheit den Freiheitsspielraum des einzelnen ein, indem derjenige, der mit 63 Jahren nicht in Rente geht, ein Dummkopf wäre. Wir aber geben ihm den Freiheits-



    Katzer
    spielraum, selber zu entscheiden, ob er aufhören oder weiterarbeiten will.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    — Wir haben da einen Dissens zwischen den Parteien; ich kenne das ja, ich weiß, das ist eine echt andere Auffassung. Aber ich sage: es ist ein Widerspruch, einerseits von der Mündigkeit des Bürgers zu sprechen, andererseits aber zu sagen: „So mündig ist er nicht, als daß wir ihn nicht davor bewahren müßten, selber zu entscheiden, ob er krank oder nicht krank genug ist, ob er weiter arbeiten will oder nicht weiter arbeiten will."

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist nicht der mündige Bürger, den wir im Auge haben.
    Meine Damen und Herren — Herr Kollege Schellenberg, Sie werden sicher noch etwas dazu sagen —, ich halte diese Konzeption für falsch. Das habe ich hier mehrfach gesagt. Ich will es jetzt in der Diskussion über die Regierungserklärung nicht vertiefen. Aber vielleicht darf ich Sie doch bitten, einmal die Stellungnahmen der Gerontologen nachzulesen. Frau Professor Ursula Lehr hat kürzlich in einer großen Tageszeitung diese unsere Haltung ausdrücklich bestätigt. Denn es sind ja gerade die Folgen des abrupten Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand, die in der Öffentlichkeit unter dem Schlagwort „Pensionstod" diskutiert werden. Sie konnten heute morgen in der Zeitung lesen, daß ein Richter, der ich weiß nicht wieviel Jahre Richter gewesen war, den Freitod gesucht hat, weil er, in die Pensionierung gehen müssend, einfach nichts mehr mit seinem Leben anzufangen wußte. Es war der Sinn der flexiblen Altersgrenze, die Starre aufzulösen und den Übergang nach den individuellen Bedürfnissen und Wünschen des einzelnen Bürgers flexibler zu gestalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließlich eine Bemerkung zur Frage der Mitbestimmung machen. Die Regierungserklärung befaßt sich mit dieser Frage nur sehr kurz. Der Herr Arbeitsminister hat alles getan, um diese vage Aussage noch vager zu halten, was ich angesichts der Situation verstehen kann. Die Aussage: „Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern" hört sich — wir haben das schon ein paarmal gesagt — gut an. Aber wenn man einmal ein bißchen darauf klopft, stellt man fest: sie ist derart sybillinisch, daß man darunter fast alles verstehen kann. Auf jeden Fall kann man alle zur Zeit diskutierten Modelle darunter subsumieren.

    (Zuruf von der SPD: Mit Ausnahme eines!)

    — Mit Ausnahme? Auch noch nicht einmal dies; denn das ist ja in Bewegung; Sie werden dazu nachher von mir eine Bemerkung hören. — Bedeutet dies eine Feststellung in Richtung auf paritätische Mitbestimmung? Der DGB behauptet dies. Oder umfaßt sie auch ein Drei-Faktoren-Modell? Das haben andere Kreise unter dieser Passage der Regierungserklärung verstanden, wie man heute in allen Wirtschaftszeitungen lesen kann. Bedeutet dieser Satz eine Absage an das Riemer-Modell oder an Maihofer! Oder ist es eine Bestätigung von Riemer oder von Maihofer? Sie haben ja jetzt über diesen Punkt viel zu denken. Ich freue mich schon, daß Herr Arendt da Hilfe bekommt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit hängt selbstverständlich auch die Frage zusammen, wie Sie die leitenden Angestellten sehen. Werden sie als eigenständige Kräfte gesehen, oder will man sie den Arbeitnehmern zuzählen? Das alles geht aus der Regierungserklärung nicht hervor — und aus den Ausführungen des Arbeitsministers schon gar nicht.
    Meine Damen und Herren, all dies sage ich bei diesem großen Thema ohne jeden Unterton und schon gar nicht mit einem hämischen Unterton. Ich weiß es auch als ein Zeichen der Ehrlichkeit — freilich nicht der Geschlossenheit — zu schätzen, daß die fundamentalen Unterschiede in den Auffassungen von SPD und FDP in diesen Punkten offen zugegeben werden. Meine Damen und Herren, Sie wissen, die Union ist mit dieser Frage auf großen Parteitagen in mehreren ganztägigen Diskussionen befaßt gewesen, in Berlin, in Düsseldorf, und auch jetzt steht dieses Thema wieder an, wie wir gesagt haben. Sie sollten das ebensowenig hämisch begleiten wie ich; ich habe mir ja auch eine hämische Bemerkung über die Zerstrittenheit der Koalition in dieser eminent wichtigen gesellschaftspolitischen Frage, die von uns zu lösen ist, verkniffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Uns geht es - hier stimme ich dem Arbeitsminister zu — um mehr Selbstbestimmung für die Arbeitnehmer. Auch die Probleme am Arbeitsplatz selbst müssen gesehen und gelöst werden.
    Meine Damen und Herren, wir können vielen Punkten im Bereich der Gesellschaftspolitik zustimmen. Ich denke hier z. B. an das, was zum Sofortprogramm der beruflichen Bildung gesagt worden ist. Es hieße Eulen nach Athen tragen, hier mehr darüber zu sagen. Es ist auch überflüssig, hier irgendwelche Urheberansprüche anzumelden, denn jedermann im Hause weiß, daß wir die Grundlagen für ein solches Programm schon lange gelegt haben. Ich freue mich natürlich darüber, daß eine bessere Koordinierung zwischen betrieblicher Ausbildung und Berufsschule erstrebt wird. Ob die Zusammenfassung in einem Ministerium der richtige Weg ist, wird die Zukunft erweisen. Ich hatte als Arbeitsminister immer sorgfältig darauf geachtet, daß es im Ressort des Arbeitsministers bleibt, weil ich mit dafür sorgen wollte, daß die Praxisnähe erhalten bleibt. Ich wollte verhindern, daß das Ganze zu einer bloßen Verschulung wird, obwohl der schulischen Seite natürlich auch verstärkte Bedeutung zukommt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Zur ergänzenden Ausbildung in überbetrieblichen Ausbildungsstätten haben wir in der letzten Legislaturperiode ein Aktionsprogramm vorgelegt. Die



    Katzer
    berufliche Bildung der jungen Menschen, die in einem Ausbildungsverhältnis stehen, ist erstmals von Ihnen aufgegriffen worden. Ich freue mich darüber, denn auf diesen Punkt haben wir in unserem Regierungsprogrammbeschluß auf dem Parteitag in Wiesbaden ausdrücklich Bezug genommen.
    Auch in den Aussagen zur Rehabilitation sehen wir eine begrüßenswerte Fortentwicklung unserer eigenen Politik. Freilich haben wir es bedauert, Herr Bundeskanzler, daß in dieser Erklärung zum erstenmal seit 1949 weder an die Kriegsopfer noch an die Heimkehrer gedacht worden ist.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die finanziellen Probleme nicht leicht oder sogar schwer zu lösen sind. Sie haben ja aber auch in anderen Bereichen gerade die menschlichen Probleme herausgestellt. Ich glaube, wir sollten denjenigen, die die schmerzhaftesten Opfer in der leidvollen Geschichte unseres Volkes gebracht haben und nunmehr in ein Alter kommen, in dem sie mit ihren Opfern leicht vergessen werden, besonders in dieser Stunde und in dieser Situation ein Wort zurufen und ihnen zeigen, daß wir an sie denken und zu ihnen stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, entgegen manchen Ankündigungen ist die Regierungserklärung auch im innenpolitischen Bereich nicht das „stromlinienförmige Glitzerding" geworden — um einen von der Zeitung „Die Zeit" geprägten Ausdruck zu verwenden. Es handelt sich wieder um einen Katalog von Einzelmaßnahmen in guter alter Ressorttradition, und der einzige gemeinsame Nenner, auf den das alles gebracht werden soll, ist das Wort vom „gewandelten Bürgertypus". Wir sollten diesem gewandelten Bürgertypus etwas mehr auf den Zahn fühlen und uns nicht mit Ihren negativen Abgrenzungen begnügen, Herr Bundeskanzler. Negative Definitionen sind freilich, so glaube ich — entschuldigen Sie, wenn ich das mit allem Respekt, aber auch mit aller Deutlichkeit hier sage , ein besonderes Kennzeichen der Sprache der Sozialdemokraten. Wer kennt nicht die vielen sozialdemokratischen Formeln, die lauten: Wir wollen weder ..., wir wollen noch ...? Was Sie aber eigentlich wollen, sagen Sie nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    So forschen wir denn an anderen Stellen der Regierungserklärung weiter, und da stoßen wir nicht nur auf das Recht, frei atmen zu können — so steht es da geschrieben —, sondern auch auf das Recht auf Geborgenheit. Wo solches gesagt wird, ist eine Politik der Zipfelmütze nicht mehr weit, einer Zipfelmütze, unter der radikale Tendenzen einfach verschwinden. Sie haben auf sie nur im Bereich der Hochschulen Bezug genommen; alle anderen haben Sie — die Sie vor drei Jahren davon sprachen: Wir brauchen Reformen! — weggeschrieben. Wir stellen heute fest: diese Reformen sind nicht da. Statt dies zu beklagen, spielen Sie das Spiel, als stünde eine heile Welt vor uns. Die großen Konflikte dieser Gesellschaft werden überhaupt nicht erwähnt; sie
    werden unter den Teppich gekehrt; davon wird überhaupt nicht gesprochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, Klassenkampf, neue Personifizierung aller Mängel dieser Gesellschaft, alle undemokratischen und totalitären Bewegungen, wie sie uns ja heute begegnen, sie sind doch da, die können wir nicht verschweigen, sondern mit denen müssen wir uns in diesem Deutschen Bundestag geistig auseinandersetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb bedauere ich diesen Eindruck. Vielleicht — ich weiß es nicht — ist dieser Eindruck durch die Mitarbeit einiger sehr bemerkenswerter und geschätzter Journalisten entstanden. Aber ich glaube, die politische Regierungserklärung muß sich diesen Tendenzen, diesen Tatsachen stellen, sich mit ihnen auseinandersetzen.
    Wenn es darum geht, diese unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung, die wir — und darauf sind wir ein ganz klein wenig stolz — aus den Trümmern des Jahres 1945 haben mit aufbauen dürfen, diesen freiheitlichen, sozialen Rechtsstaat zu verteidigen, ihn weiterzuentwickeln und weiterzugestalten, läßt sich die Christlich Demokratische und Christlich Soziale Union von niemandem in diesem Hohen Hause übertreffen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich grundsätzliche Bemerkungen zur Sozialpolitik mache, zu zwei mehr aktuellen Fragen, die Herr Kollege Katzer angeschnitten hat, Stellung nehmen.
    Thema flexible Altersgrenze — um das endlich einmal vom Tisch zu bringen!

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die von der CDU in letzter Stunde durchgesetzte Regelung des vollen Arbeitsverdienstes bei gleichzeitigem Rentenbezug und sogar noch höherem Arbeitsverdienst widerspricht nach unserer Auffassung dem humanitären Sinn der flexiblen Altersgrenze. Sie widerspricht weiter dem Solidarausgleich zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern, und sie gefährdet schließlich die langfristige finanzielle Solidität der Rentenversicherung.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Katzer: Deshalb haben Sie auch zugestimmt! — Abg. Katzer meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

    — Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfragen zulassen.
    Im übrigen will Herr Katzer vergessen machen, daß die CDU/CSU in diesem Hause überhaupt keine Gesetzesinitiative zur flexiblen Altersgrenze eingebracht hat,

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Schellenberg
    sondern erst im letzten Augenblick auf den Zug der Rentenreform hinsichtlich der flexiblen Altersgrenze aufgesprungen ist.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Götz: Alles schon mal gehört!)

    Nun eine Bemerkung zu den Kriegsopfern. Die CDU/CSU-Politik hat dazu geführt, daß die Kriegsopfer viele Jahre gezwungen waren, immer wieder zur Wahrung ihrer sozialen Interessen auf die Straße zu gehen. Die sozialliberale Koalition hat dagegen bei hinhaltendem Widerstand der CDU/CSU die Dynamisierung der Kriegsopferrenten verwirklicht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dadurch sind die Kriegsopferrenten in der letzten Legislaturperiode für die Beschädigten um 42 und für 'die Witwen um 53 erhöht worden, so stark wie niemals zuvor in einer Legislaturperiode.

    (Abg. Härzschel: Stimmt doch gar nicht!)

    Auch in dieser Legislaturperiode wird die sozialliberale Koalition im Einklang mit einer soliden Haushaltspolitik ihre Verpflichtung gegenüber den Opfern des Krieges erfüllen.

    (Abg. Härzschel: Erwähnt wurden sie nicht!)

    Nun zu den grundsätzlichen Ausführungen von Herrn Katzer. Herr Kollege Katzer, Ihre Darlegungen zeigen von Einzelheiten abgesehen, auf die ich eingehen werde —, daß die CDU keine Alternative zur Regierungserklärung

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    zu bieten hat.

    (Beifall bei der SPD. Abg. Breidbach: Drei Minuten zu spät!)

    Sie zeigen, daß die CDU/CSU immer noch über keine gesellschaftspolitische progressive

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    Gesamtkonzeption verfügt. Meine Damen und Herren, das ist doch auch in Ihren Kreisen Gegenstand lebhafter Diskussion

    (Abg. Müller [Remscheid] : Wer bestimmt denn, was „progressiv" ist, Herr Schellenberg?)

    Mag die CDU/CSU auch hier und da Reformwillen bekunden, politisch ist entscheidend, daß sie in ihrer überwiegenden Mehrheit nach wie vor gesellschaftspolitisch konservativ ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das wird sich auch dann nicht ändern, wenn die CDU, weil sie sich in der Opposition befindet, wie schon in der letzten Legislaturperiode in dieser oder jener Frage aus taktischen Gründen versuchen sollte, gesellschaftspolitisch der sozialliberalen Koalition zuvorzukommen oder sie in irgendeinem Detail zu übertrumpfen.

    (Abg. Breidbach: Wie war das mit dem Baby-Jahr?)

    Solche Einzelaktionen können die geschichtliche Tatsache nicht verdecken, daß die Konservativen gegenüber den Notwendigkeiten der industriellen Gesellschaft versagt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dafür hat die CDU/CSU von den Wählern die gebührende Quittung erhalten.

    (Zustimmung des Abg. Möllemann.)

    Die sozialliberale Koalition hat dagegen mit ihrer Politik der inneren Reformen eine zukunftsweisende Sozialpolitik eingeleitet. Diese progressive Sozialpolitik wird — und das ist eine wichtige Aussage der Regierungserklärung — kontinuierlich weiterentwickelt. Dabei wird die Qualität des Lebens immer mehr zum Leitbild unserer modernen Sozialpolitik. Das möchte ich für einige Bereiche der Gesellschaftspolitik verdeutlichen.
    Erstens. Qualität des Lebens — das bedeutet konkret mehr Freiheit, aber auch mehr Mitverantwortung im Arbeitsleben. Konservative Sozialpolitik hält grundsätzlch am Herr-im-Hause-Standpunkt in Betrieb und Unternehmen fest, was z. B. die Leitlinien der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU für diese 7. Legislaturperiode beweisen; die sollten Sie sich einmal gründlich ansehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir!)

    Die CDU ist weder auf ihrem Parteitag noch in ihrem Regierungsprogramm von diesen konservativen Leitlinien auch nur mit einem Wort abgerückt; das sind die Tatsachen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Moderne Sozialpolitik will dagegen die demokratische Mitbestimmung des mündigen Bürgers auch im Arbeitsleben.
    Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß die Regierungserklärung der Mitbestimmung einen hohen Rang zuerkennt und sie als eine der Hauptaufgaben unserer Gesellschaftspolitik bezeichnet. Wir Sozialdemokraten haben als einzige Fraktion bereits im Dezember 1968 einen Gesetzentwurf zur gleichgewichtigen Mitbestimmung in Großunternehmungen vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist auch heute noch die Grundlage unserer politischen Bemühungen.

    (Abg. Rollmann: Dann bringen Sie ihn doch ein! — Abg. Härzschel: Wo war der denn in den letzten drei Jahren?!)

    Aber in der gleichen Weise wie beim Betriebsverfassungsgesetz, der Mitbestimmung auf der betrieblichen Ebene, wird die sozialliberale Koalition auch für die Mitbestimmung in Großunternehmungen in fairer Partnerschaft eine gemeinsame Lösung erarbeiten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In der letzten Legislaturperiode haben Sie, Herr Katzer, für die Opposition prophezeit, die Koalition werde mit ihrer Erklärung über die Neuregelung der Betriebsverfassung einen Offenbarungseid leisten müssen. Ebenso wie die CDU/CSU damals falsch spekuliert hat, wird sie sich auch in dieser Wahlperiode mit ihrer negativen Prognose verkalkulieren.



    Dr. Schellenberg
    Herr Barzel hat insbesondere ein allgemeines Bekenntnis zur Mitbestimmung abgelegt. Mit allem Nachdruck ist jedoch darauf hinzuweisen, daß wir Scheinlösungen zur Mitbestimmung, wie sie die CDU CSU in der letzten Legislaturperiode beantragte, kategorisch ablehnen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und zwar deshalb, weil hierdurch die Vormachtstellung des Kapitals gegenüber den Arbeitnehmern zementiert wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen hält es die SPD-Fraktion für erforderlich, daß der Regierungsentwurf zur Einführung der Mitbestimmung in den Großunternehmungen so rechtzeitig vorgelegt wird, daß er noch vor Ablauf der Fristen des Mitbestimmungssicherungsgesetzes, nämlich Ende 1975, in Kraft treten kann.
    Zweitens. Qualität des Lebens bedeutet auch wirksamere und gerechtere Vermögensbildung für die Burger. Konservative Sozialpolitik handelte mit ihren ungerechten Steuervergünstigungen nach dem Motto: „Wer hat, dem wird gegeben". Sie war damit, wie die Auswirkungen des Ersten und Zweiten Vermögensbildungsgesetzes sowie der Sparprämiengesetze gezeigt haben, im wesentlichen eine Politik für die Privilegierten. Moderne Sozialpolitik will die Vermögensbildung der breiten Schichten unseres Volkes.
    In der letzten Legislaturperiode hat die sozialliberale Koalition durch das Dritte Vermögensbildungsgesetz die Sparförderung der Arbeitnehmer entscheidend verbessert. Das beweist eindrucksvoll die Tatsache, daß die Zahl der begünstigten Arbeitnehmer von 2 Millionen auf 14 Millionen Arbeitnehmer, die jetzt vermögenswirksam sparen, heraufgeschnellt ist. Damit wurde ein großer Durchbruch in der Sparförderung erreicht. Darauf wird die sozialliberale Koalition in ihrer Vermögenspolitik aufbauen.
    Jetzt geht es darum, die soziale Ungerechtigkeit, daß die Arbeitnehmer immer noch vom Zuwachs des von ihnen miterarbeiteten Produktivvermögens ausgeschlossen sind, zu beseitigen. Dieses große Ziel läßt sich nur schrittweise erreichen. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Beteiligung der breiten Schichten unseres Volkes am Zuwachs des Produktivvermögens vorlegen wird.
    Die Herren Barzel, Strauß und auch Herr Katzer haben in der Debatte wiederum ihre alte Vorlage über den Beteiligungslohn angepriesen. Damit will die CDU/CSU vergessen machen, daß der CDU/CSU-Entwurf die öffentlichen Haushalte allein im ersten Jahr mit über fünf Milliarden D-Mark Mehrausgaben belastet hätte und damit finanzpolitisch unsolide war.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Gegenüber den utopischen Vorschlägen der CDU/CSU wird die sozialliberale Koalition ihren Weg zur breiten Vermögensbildung realistisch und mit Augenmaß fortsetzen.
    Drittens. Qualität des Lebens bedeutet auch soziale Sicherung für alle Burger. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie wollen heute vergessen machen, daß konservative Sozialpolitik die soziale Sicherung jahrzehntelang durch enge Versicherungsgrenzen eingeengt hat. Moderne Sozialpolitik geht davon aus, daß soziale Sicherung zur Selbstbehauptung jedes einzelnen Bürgers und zur sozialen Grundausrüstung für die Wechselfälle des Lebens gehört.
    Dem Ziel einer Volksversicherung ist die sozialliberale Koalition ein großes Stück nähergekommen. Das gilt sowohl für den Bereich der Leistungen wie für den geschützten Personenkreis.
    Ich darf aber freimütig darauf hinweisen, daß das finanzielle Volumen der Rentenversicherung durch die erreichten Leistungsverbesserungen für die nächste Zeit ausgeschöpft ist. Die finanzielle Solidität im Interesse der Beitragszahler und der Rentner gebietet es deshalb, zunächst einmal die finanziellen Auswirkungen der beschlossenen Regelungen abzuwarten. Erst dann kann und soll über weitere Leistungsverbesserungen beraten werden.
    Durch Öffnung wurde die Rentenversicherung zu einem Angebot für alle Burger. Mit der Unfallversicherung für Schulkinder und Studenten, dem Beitrittsrecht aller Angestellten zur Krankenversicherung und der neugeschaffenen Krankenversicherung für Landwirte wurden weitere Bevölkerungskreise in die soziale Sicherung einbezogen.
    In dieser Legislaturperiode geht es darum, die soziale Sicherheit weiter zu vervollständigen. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung in der Regierungserklärung und der Bundesarbeitsminister in seinen Ausführungen ausdrücklich die Notwendigkeit einer Verbesserung der sozialen Sicherung der Frauen unterstrichen haben. Für uns ist dies ein Bestandteil der Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft.
    Die Koalition hat hierzu durch ihren Gesetzentwurf über Leistungsverbesserungen in der Krankenversicherung, und zwar sowohl hinsichtlich der Gewährung eines Rechtsanspruchs für Frauen auf Haushaltshilfe bei Krankenhaus- und Kuraufenthalt als auch hinsichtlich des Rechts erwerbstätiger Mütter auf Freistellung von der Arbeit zur Betreuung ihres Kindes, eine Initiative für die Mutter ergriffen. Die SPD-Fraktion wird gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner auch für die Verwirklichung dieser notwendigen Verbesserungen der sozialen Sicherung der Frau sorgen.
    Meine Fraktion begrüßt die zusätzlichen Erklärungen des Bundesarbeitsministers, wonach die Bundesregierung prüfen will, inwieweit die von Geburt an Behinderten in die soziale Sicherung einbezogen werden können.
    Viertens. Qualität des Lebens bedeutet auch mehr soziale Gerechtigkeit gegenüber den Familien. Konservative Sozialpolitik hat durch Steuerfreibeträge die Familien mit hohen Einkommen begünstigt und damit die Familien mit niedrigem Einkommen benachteiligt, und sie hat gegenüber der Kleinfamilie



    Dr. Schellenberg
    völlig versagt. Moderne Sozialpolitik will die Familienlasten gerecht verteilen. Sie ist eine Politik für a 11 e Familien.
    Nachdem in der letzten Legislaturperiode die Ausbildungsförderung und die Kindergeldleistungen — das vergißt die CDU/CSU immer! — verbessert wurden, geht es jetzt vor allem darum, den Familienlastenausgleich grundlegend neu zu gestalten. Die SPD-Fraktion begrüßt es im Interesse der Familien nachdrücklich, daß diese zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe in dieser Legislaturperiode — ich unterstreiche: in dieser Legislaturperiode — verwirklicht wird.
    Fünftens. Qualität des Lebens bedeutet auch, daß der Bürger durch vorausschauende Sozialpolitik gegen Gefahren geschützt ist. Konservative Sozialpolitik wurde im wesentlichen erst tätig, wenn der Schaden bereits eingetreten war. Moderne Sozialpolitik stößt dagegen zu den Ursachen persönlicher Notstände und gesellschaftlicher Mängel vor. Sie ist eine Politik, die nicht nur die Risiken abdeckt, sondern sie zu verhindern sucht. Dies ist vor allem zur Erhaltung der Gesundheit als einer entscheidenden Voraussetzung für die freie Entfaltung des Menschen erforderlich.
    In der letzten Legislaturperiode wurde durch die Einführung der Vorsorgeuntersuchungen hier eine Wende eingeleitet. Während — das vergessen Sie immer, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU — die konservative Sozialpolitik den Weg zum Arzt durch Kostenbeteiligung erschweren wollte,

    (Beifall bei der SPD)

    ist nunmehr der Durchbruch zur Gesundheitsvorsorge gelungen. Dieser Fortschritt muß ausgebaut werden. Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß der Gesundheitsschutz auf Grund der Regierungserklärung weiter verbessert wird.
    Auch der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, den die Konservativen jahrzehntelang schwer vernachlässigt haben, wird und muß vorangetrieben werden. Die Arbeitsplätze müssen sicherer und menschengerechter werden. Die SPD-Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung den Gesetzentwurf über Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte bald dem Bundestag vorlegen wird und daß sie die Maßnahmen zur Unfallverhütung und zum Arbeitsschutz weiter intensivieren wird. Wir haben mit großem Interesse davon Kenntnis genommen, daß der Arbeitsminister heute hier die Neuregelung des Jugendarbeitsschutzes ausdrücklich angekündigt hat.
    Sechstens. Qualität des Lebens — das bedeutet auch mehr Chancen für die Behinderten, sich in der Gesellschaft zu entfalten. Konservative Sozialpolitik hat die soziale Integration der Behinderten vernachlässigt. Moderne Sozialpolitik setzt sich zum Ziel, die Behinderten im Beruf einzugliedern und ihnen die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
    Die sozialliberale Koalition hat in der vergangenen Legislaturperiode mit ihrem Aktionsprogramm zur Rehabilitation erste richtungweisende Schritte eingeleitet. Die SPD-Fraktion begrüßt es außerordentlich, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung eine Gesamtreform des Behindertenrechts angekündigt hat. Ziel dieser Reform muß es sein, für alle Behinderten, auch für die Kinder, unabhängig von der Ursache ihrer Behinderung, eine umfassende Rehabilitation zu gewährleisten. Darüber hinaus muß arbeitsrechtlich sichergestellt werden, daß die Behinderten ihre wiedergewonnene Arbeitsfähigkeit auch wirklich nutzen können.
    Siebentes. Qualität des Lebens — das bedeutet für die ältere Generation ein Lebensabend in Würde. Konservative Sozialpolitik hat sich vor allem darauf beschränkt, mehr oder weniger zureichend die materielle Existenz im Alter zu sichern. Moderne Sozialpolitik wird dagegen die ältere Generation voll in die Gesellschaft zu integrieren haben.
    Wir haben in der letzten Legislaturperiode die wirtschaftliche Sicherung für unsere älteren Mitbürger in Qualität und Quantität entscheidend verbessert. Auch in den nächsten Jahren werden die Renten z. B. werden wir 1973 eine Rentenanpassung von 11,35 0/0 beschließen — erheblich verbessert. Das ermöglicht es jetzt, das Schwergewicht auf Bereiche zu legen, die über die materielle Sicherung hinaus für einen Lebensabend in Würde unerläßlich sind.
    Das bedeutet vor allem: Hilfe zur selbständigen Lebensführung durch soziale Dienstleistungen, hauspflegerische Betreuung unserer älteren hilfsbedürftigen Mitbürger, weitere Sicherung des sozialen Mietrechts, besonders im Interesse der älteren Generation, Erforschung und Behandlung altersbedingter Krankheiten und Ausbau der gesundheitlichen Vorsorge für ältere Menschen. Die SPD-Fraktion erwartet von der Bundesregierung, daß sie im Interesse unserer älteren Mitbürger unter anderem die Vorschriften über den Ausbau der Altenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz und den Ausbau eines Gesetzes zum Schutze der Bewohner in Altenheimen und Altenwohnheimen vorlegt und ihre Wohnungspolitik besonders in den Dienst der älteren Mitbürger stellt.
    Ich fasse zusammen. In der vor uns liegenden Legislaturperiode gilt es, gesellschaftspolitisch das Errungene zu sichern und weitere Reformen zu verwirklichen. Es geht darum, die Qualität des Lebens in allen Bereichen zur Grundlage der Sozialpolitik werden zu lassen: durch mehr Humanität, durch mehr Freiheit und Mitverantwortung im Arbeitsleben, durch gerechtere Lebenschancen, durch mehr Solidarität in unserer Gesellschaft. Damit verwirklicht die sozialliberale Koalition den weiteren Ausbau des sozialen Rechsstaats.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)