Rede:
ID0700911600

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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 Inhalt: Verzicht des Abg. Augstein (Hamburg) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 243 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Opitz (FDP) . . . . . .. . . 243 B Dr. Wulff (CDU/CSU) . . . . . . 244 D Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 246 A, 249 D Dr. Freiherr von Weizsäcker (CDU/CSU) . . . . . . . . . 249 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 250 B, 252 C, 257 A, 263 B Brandt, Bundeskanzler . 251 B, 262 B Wehner (SPD) . . . . 253 C, 262 B Scheel. Bundesminister (AA) . . . 257 A Dr. Mikat (CDU/CSU) . . . . . . 262 A Dr. Ehmke, Bundesminister (BMP) . 264 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 264 C Dr. Friderichs, Bundesminister (BMW) 264 D Dr. Narjes (CDU/CSU) . . . . . 268 D Junghans (SPD) 273 D Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 277 B Frau Dr. Wex (CDU/CSU) . . . 280 B Arendt, Bundesminister (BMA) . . 283 C Frau Dr. Focke, Bundesminister (BMJFG) . . . . . . . . 286 B Katzer (CDU/CSU) 288 D Dr. Schellenberg (SPD) 293 D Frau Funcke (FDP) 296 D Frau Eilers (Bielefeld) (SPD) . . 300 D Genscher, Bundesminister (BMI) . 303 B, 323 D Dr. Dregger (CDU/CSU) 307 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 312 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 318 A Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . 321 A Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 324 D Dr. Martin (CDU/CSU) 327 C Frau Schuchardt (FDP) . . . . . 331 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 333 A Nächste Sitzung 336 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 337* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1973 243 9. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. Ahrens ** 27. 1. Alber ** 27. 1. Amrehn ** 27. 1. Augstein (Hattingen) 26. 1. Behrendt * 26. 1. Blumenfeld ** 27. 1. Dr. Dollinger 10. 2. Dr. Enders ** 27. 1. Flämig * 26. 1. Gerlach (Emsiand) * 26. 1. Hösl ** 27. 1. Jung ** 27. 1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Kahn-Ackermann ** 27. 1. Dr. Kempfler ** 27. 1. Dr. h. c. Kiesinger 27. 1. Lampersbach 25. 1. Lemmrich ** 27. 1. Memmel * 26. 1. Dr. Miltner 2. 2. Dr. Müller (München) ** 27. 1. Pawelczyk ** 27. 1. Richter ** 27. 1. Roser ** 27. 1. Schmidt (Wattenscheid) 25. 1. Schmidt (Würgendorf) ** 27. 1. Dr. Schulz (Berlin) ** 27. 1. Sieglerschmidt ** 27. 1. Dr. Slotta 2. 2. Springorum * 26. 1. Stücklen 26. 1. Dr. Todenhoefer 24. 2. Frau Dr. Walz ** 27. 1. Westphal 26. 1. Frau Will-Feld 24. 2. Wolfram * 26. 1.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Katharina Focke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich weiß, daß es eine Diskussion, die ich partnerschaftlich fortzusetzen gedenke, über die Kriterien für die Vergabe von Mitteln zur Förderung von Jugendverbänden gibt; aber das, was ich hier auf Grund des Dikussionsbeitrages von Herrn Barzel vom vergangenen Donnerstag, heute vor einer Woche, zitiert habe, hat mit diesem Teilproblem gar nichts zu tun.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dies ist genauso wie die Auseinandersetzung gestern mit dem Zitat von Herrn von Weizsäcker in bezug auf die bürokratisch abgepackten Zuteilungen von Lebenschancen

    (Abg. Dr. Freiherr von Weizsäcker: Lebensqualität!)

    — ich habe das Zitat nicht vor mir liegen, die Auseinandersetzung, die zwischen Ihnen und Herrn Eppler stattgefunden hat, ein Sich-Verwahren gegen das, was wir im Grund als die notwendige öffentliche Hilfe betrachten, damit der einzelne bessere und gerechtere Lebenschancen hat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich habe dazu hier nur einige Stichworte aufzählen können und einige der Voraussetzungen anzudeuten versucht, die für eine bessere Qualität des Lebens öffentlich geleistet werden müssen, wobei es keineswegs darum geht, daß diese Dinge nur vom Staat allein, nur von uns in diesem Parlament oder in der Regierung geregelt werden können.
    Vieles davon, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, scheint mir zugleich Voraussetzung dafür
    zu sein, daß Menschen überhaupt Leistungen erbringen können,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    ob es nun, wie ich bei manchen von Ihnen vermute, in einer mehr ökonomischen Interpretation von Leistung diskutiert wird oder mehr in der von Selbstentfaltung. Am einleuchtendsten dürfte das bei dem gesamten Problem der Gesundheitssicherung sein; aber viele Stichworte weisen in dieselbe Richtung.
    Ich hoffe deshalb, daß ich Sie von der Fragwürdigkeit des absoluten Verteilungsprinzips Leistung für gerechte soziale Chancen etwas habe überzeugen können. Natürlich würde es mich außerdem freuen, wenn die Stichworte, die ich Ihnen aufgezählt habe, Ihnen nahegebracht haben, welche wichtigen Aufgaben innerhalb der gesamten Reformpolitik dieser Bundesregierung das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zur gerechteren Verteilung von sozialen Chancen leistet; darüber ein andermal noch mehr.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Bundesminister, unbeschadet der derzeit recht lebhaften politischen Kontroverse wünscht Ihnen das ganze Haus eine baldige Wiederherstellung Ihrer Gesundheit.

(Allgemeiner Beifall.) Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans Katzer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Focke, ich komme in meinen Bemerkungen nachher noch zur Frage des Leistungsprinzips zurück. Ich bin etwas erstaunt. Der Herr Bundeskanzler hat diesem Leistungsprinzip in einem außergewöhnlichen Maße in der Regierungserklärung Rechnung getragen. Es ist, glaube ich, an drei Stellen davon die Rede, und zwar in einem Augenblick, in dem die Christlich-Demokratische Union von der humanen Leistungsgesellschaft gesprochen hat und damit zum Ausdruck bringt, daß Leistung ein wesentlicher, aber natürlich nicht der alleinige Bemessungsgrad sein kann und daß wir sehr wissen, daß der Mensch gewertet wird, auch der und gerade der, der ohne eigene Schuld nicht leistungsfähig ist. Da sollten Sie nicht solche Polemik hier an den Anfang der Diskussion stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dennoch begrüße ich es, daß dieser Punkt herausgestellt worden ist; denn das soll — das ist vielleicht ein Verdienst des Bundeskanzlers und seiner Regierungserklärung — dazu führen — die gestrige Debatte hat das deutlich gezeigt —, daß wir vielleicht etwas tiefer über die Grundlagen unserer Politik und die Anlage unsere Politik miteinander diskutieren.
    Lassen Sie mich dazu einige Bemerkungen machen. Herr Bundeskanzler, Sie gehen diesmal in dieser Regierungserklärung etwas sparsamer mit dem anspruchsvollen Wort „Reform" um. Ich möchte meinen, es ist erlaubt, darin mehr als einen Zufall zu sehen. Ihre Mitarbeiter an der Regierungserklärung



    Katzer
    scheinen offenbar die Erfahrung gemacht zu haben, was es heißt, der Wortwahl nicht die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
    Was also hat der sparsamere Gebrauch des Wortes „Reform" zu bedeuten? Nun, sicher nicht, daß es bei uns nach dreijähriger Regierungszeit und sechsjähriger Regierungsverantwortung — Herr Bundeskanzler, am Ende dieser Legislaturperiode werden Sie zehn Jahre in der Regierungsverantwortung stehen; das sollte niemand hier im Raum, aber auch niemand draußen im Lande übersehen, denn manchmal wird so getan, als hätte das alles erst vor ein paar Tagen angefangen — nichts zu reformieren gäbe. Im Gegenteil, Erneuerungen tun heute so not wie zu jeder Zeit, und viele der angekündigten Vorhaben sind alte Bekannte, die wir schon aus der Regierungserklärung von 1969 kennen. Mir scheint eher, daß sich hier die Erkenntnis niedergeschlagen hat, die auch andere machen müssen, daß es mit dem Willen zur Reform allein noch nicht getan ist. Für diese Lesart spricht, daß der Bundeskanzler, der sich 1969 noch als Kanzler der inneren Reformen feiern ließ, heute so erstaunliche Sätze wie diesen verwendet:
    Reformgerede, hinter dem sich nur Gehaltsforderungen tarnen, taugt wenig.
    Man muß in der Tat, von diesem Satz ausgehend, etwas tiefer in die Grundsätze hineingehen, wie ich glaube; denn das alles kann man so verbal nur unterstreichen. Wir haben uns, wie Sie sich erinnern werden, in vielen Debatten in diesem Hause gegen die Inflationierung des Wortes „Reform" gewehrt und haben gesagt, dadurch leide die Reformidee insgesamt Schaden. Wir hätten es auch noch mehr begrüßt, Herr Bundeskanzler, wenn Sie endlich durch eine klare Aussage mit dem falschen Anspruch Schluß gemacht hätten, als ob einzig Ihre Partei den Reformwillen und die Reformfähigkeit besitze. Wenn Sie das getan hätten und so in den Wettstreit um die Zielrichtung der Reformen eingetreten wären, wäre dieser Regierungserklärung und der Aussprache mehr gedient gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Statt dessen bezeichnen Sie Ihre Politik schlicht und einfach als „neue Mitte". Kollege Strauß hat dazu gestern einige Bemerkungen gemacht. Ich kann nur sagen, damit werden — und sollen es doch offenbar — alle anderen Parteien und Strömungen als links oder rechts von dieser Mitte qualifiziert. Herr Bundeskanzler, soll das etwa heißen, daß es nach Ihrer Ansicht außer den Anhängern dieser Koalition nur noch ideologisch Verblendete, reaktionäre Einfallslose und Interessenabhängige gäbe? Eine solche Klassifizierung ist falsch; wir wehren uns ganz entschieden gegen diesen Versuch, sie auch nur aufkommen zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Schäfer [Tübingen]:: Sie haben aber ein schlechtes Gewissen!)

    — Herr Kollege Schäfer, dies ist auch undemokratisch, wenn es so gemeint wäre.

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Ausgesprochen haben Sie es!)

    Wir werden es ja hören, denn Demokratie lebt von der Voraussetzung — darin haben wir heute morgen Anschauungsunterricht bekommen —, daß keine Partei die Wahrheit gepachtet hat. Nur so ist ein fruchtbarer politischer Dialog miteinander möglich. Wenn ich das recht sehe, ist das ja wohl im Kern der Vorzug der Demokratie gegenüber der Diktatur. Ich weise daher diese Auffassung, falls sie so gemeint sein sollte, für meine Freunde mit Nachdruck zurück, und ich weise sie mit Nachdruck für mehr als 16,8 Millionen Wähler zurück, die ihr Mandat in unsere Hände hier im Deutschen Bundestag gelegt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe bei der SPD.)

    Ich weise diese Auffassung nicht zuletzt auch, wenn Ihnen das sympathischer ist, als Vorsitzender der Sozialausschüsse der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft zurück. Wir haben eine andere Vision von der Gesellschaft als Sie, deshalb arbeiten wir in der Christlich-Demokratischen Union. Auch wenn wir auf katholischer Soziallehre und evangelischer Sozialethik fußen, so wissen wir doch, daß auch wir selbstverständlich nicht allein im Besitz der Wahrheiten sind. Wir halten deshalb nichts davon, politisch Andersdenkende zu verteufeln oder als interessenabhängig zu disqualifizieren. Umgekehrt geht das aber auch nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir begrüßen in der Regierungserklärung das Wort — das Bekenntnis fast — des Kanzlers zu der „realen Freiheit". Hier, Frau Focke, beginnt doch eigentlich die geistige Auseinandersetzung zwischen dem, was Sie gesagt haben, und dem, was der Kollege Barzel gesagt hat. Die Skepsis beginnt doch bei der Frage, ob die Regierung tatsächlich auf dem Weg zu den Zielen ist, die sie uns nennt.

    (Abg. Dr. Barzel: Das ist die Frage!)

    Denn ebenso wie für die vergangene Legislaturperiode besteht unseres Erachtens auch jetzt ein deutlicher Widerspruch zwischen proklamiertem Ziel und Leistung. So müssen wir doch jetzt schon einen Abstand zwischen dem Anspruch dieser Regierung und der Realität feststellen. Es stellt sich die Frage: was meint diese Regierung in Wirklichkeit, in concreto, mit Worten wie Gerechtigkeit, Freiheit und Leistung? Das Ist der Sinn einer Aussprache über die Regierungserklärung, dem nachzuspüren zu versuchen. Ich will mich mit drei Bemerkungen zu drei Punkten darum bemühen.
    Erstens. Ein unvollständiges Abbild gesellschaftlicher Realitäten zeichnet meines Erachtens die Regierungserklärung bei der Behandlung des immer weiter fortschreitenden Verfalls unseres Geldwertes. Denn es fehlt hier völlig der Hinweis auf den absolut unsozialen Aspekt der inflationären Entwicklung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist doch klar, daß für jemand, für den die Wiedergewinnung der Preisstabilität nicht auch sozialpolitisch motiviert ist, diese Frage in der Rangskala leicht um einige Stufen nach unten rutscht. Es müßte



    Katzer
    sich doch allmählich herumgesprochen haben, daß gerade die Gruppen, die sich nicht aus eigenes Kraft, Frau Focke, das ihnen zukommende Stück aus dem Kuchen des Bruttosozialprodukts herausschneiden können, die Hauptleidtragenden einer inflationären Entwicklung sind. Darauf weisen wir doch ständig hin.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    So verstanden, ist Stabilitätspolitik auch Sozialpolitik, fortdauernde Geldentwertung umgekehrt ein Verstoß gegen die soziale Gerechtigkeit. Gerade die Entwicklung der Renteneinkommen in den Jahren 1969 bis 1972 hat dies ja gezeigt. Ohne die von der Union initiierte und dann später durchgesetzte Anhebung der Renten wären die Rentner im sozialen Gefüge unserer Gesellschaft deutlich abgestiegen. Sie waren dagegen. Wir haben es auf den Tisch gelegt und dann auch durchgebracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auch darauf haben wir in der Vergangenheit hingewiesen, und ich will es heute wiederholen: zunehmend tritt nun auch der unsoziale Aspekt der inflationären Entwicklung bei den Arbeitnehmereinkommen zutage. Preissteigerungen von 6,5 % sind doch schon lange kein Kavaliersdelikt mehr. In welche Sackgasse gerade die Arbeitnehmer durch die inflationäre Entwicklung geführt worden sind, wird insbesondere durch die Ergebnisse der letzten Lohnrunde immer deutlicher. Selbst Abschlüsse von über 8 % verhindern heute kaum mehr, daß die Arbeitnehmer nach Abzug von Preissteigerungen, Steuern und Sozialabgaben - einschließlich Steuererhöhungen — mit weniger Kaufkraft als im letzten Jahr nach Hause gingen.

    (Zuruf von der SPD: Und die Unternehmer?)

    Der Herr Kollege Junghans war es heute morgen in der wirtschaftspolitischen Debatte, der meinte, man müsse sich in der Union klarwerden zwischen den Kollegen Strauß und dem Kollegen Narjes, wie das eigentlich auszusehen habe. Der Kollege Konrad Ahlers, seit kurzem prominentes Mitglied der Fraktion hier im Hause, schreibt in der letzten Nummer der „Wirtschaftswoche" zu diesem Thema — ich zitiere wörtlich —:
    Ich meine, daß die Gewerkschaften im Recht sind, wenn sie sich dagegen wehren, ,daß die Arbeitnehmer nun auch noch einen Konjunkturzuschlag zahlen sollen, dessen stabilitätspolitische Wirkungen besonders dann fraglich sind, wenn er eine Fortsetzung der maßvollen Tarifpolitik durchkreuzt.
    In diesem Zusammenhang darf ich auch gleich ein paar Worte zu dem heute von Herrn Bundesminister Friderichs besonders apostrophierten Stabilitätsprogramm der Bundesregierung sagen. Hier darf ich wiederum Herrn Ahlers zitieren. Es ist ein hochinteressanter Artikel, den ich Ihrer Lektüre sehr empfehle. Es stehen auch interne Dinge der SPD-Fraktion darin, die wir alle mit großem Interesse zur Kenntnis genommen haben.

    (Zuruf von der SPD. Sie sollten sich einmal um sich selber kümmern!)

    — Ich habe gestern so viele liebevolle Hinweise von FDP und SPD bekommen, was die CDU alles tun sollte, daß Sie jetzt meine Worte doch einmal dankbar entgegennehmen könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Freuen Sie sich doch, daß Sie einen so freien Geist wie Herrn Ahlers haben, der uns in schöner Offenheit das alles darstellt! Das tut der Diskussion in unserem Land sehr gut und wird Ihnen, den reformerischen Kräften in Ihrer Partei, auf die Dauer ganz sicher sogar nutzen; davon bin ich persönlich überzeugt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Ahlers hat die auch vom Herrn Kollegen Wehner ,der Regierungserklärung vorgeworfene Enthaltsamkeit in Sachen der 15 Punkte angesprochen. Herr Ahlers griff das auf und sagte:
    Die fünfzehn Punkte des aufgrund der Luxemburger Beschlüsse am 2. November zusammengestellten Stabilitätsprogramms, deren Erwähnung Herbert Wehner vermißt hatte, sind nur zum Teil verwirklicht und auch sonst kaum geeignet, die anhaltende Preisentwicklung zu stoppen, zumal dann nicht, wenn die Bundesregierung selber sich zu Preis- und Steuererhöhungen gezwungen sieht und bei der Regierungsbildung nicht einmal den guten Vorsatz, Stellen einzusparen, einhalten konnte.
    Das aus dem Mund von Herrn Ahlers ist in der Tat interessant. Man kann nicht von Stabilitätspolitik reden und jedem die Verantwortung zuschieben, nur bei sich selbst, obwohl man die Möglichkeit in der Hand hat, nicht damit anzufangen, sondern im Gegenteil mit einer Aufblähung des Beamtenapparates diese Regierungsbildung zu beginnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wo finden wir denn einen sozialen Ausgleich für die Arbeitnehmer? Wo ist denn das Korrektiv, das den Arbeitnehmern, die die Last der Stabilisierung mittragen sollen, garantiert, daß sie an den Chancen einer günstigeren wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt werden?
    Ich wundere mich, daß noch nicht der Zwischenruf gekommen ist — meistens kommt er spätestens im ersten Drittel der Rede —: Wo sind denn Ihre Alternativen? Sie fragen jetzt gar nicht mehr; Sie haben sie gesehen und niedergestimmt. So ist es.
    Meine Damen und Herren, ich würde Sie bitten, zu prüfen — das zu sagen wird ja wohl erlaubt sein —, ob es denn nicht richtig ist, in diesem Augenblick den Arbeitnehmern eine Beteiligung am Zuwachs des Produktivvermögens der Wirtschaft anzubieten. Dies wäre doch ein Weg. Er wäre stabilitätspolitisch vertretbar ich sehe den Kollegen Rosenthal im Augenblick nicht —, verteilungspolitisch notwendig und erwünscht, und zwar, meine Damen und Herren, nicht irgendwann, sondern gerade jetzt, in dieser konjunkturellen Lage, würde eine solche vermögenspolitische Initiative hervorragend in die politische Landschaft passen. Wir vermissen sie leider schmerzlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Katzer
    Der Sachverständigenrat hat darauf ebenfalls besonders hingewiesen. Ich glaube, ohne mehr Stabilität und mehr Verteilungsgerechtigkeit sind soziale Spannungen bereits vorprogrammiert. Man denke an die Urabstimmung. Gerade im Hinblick auf einen Konjunkturzuschlag — der Finanzminister ist im Augenblick nicht da — ist das Anwachsen sozialer Spannungen doch schon heute nicht zu übersehen.
    Damit sind wir bei einem zweiten wichtigen Punkt, an dem sich in concreto erweisen wird, was es mit mehr realer Freiheit auf sich hat. Ich meine eben die Ausgestaltung der Beteiligung unseres Volkes am Zuwachs des Produktivvermögens. Daß es sich hier um eine für die Existenz der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung entscheidende Frage handelt, ist inzwischen wohl im Hohen Hause unbestritten. In der Regierungserklärung wird die Ausarbeitung eines Vorschlages angekündigt, ohne daß im einzelnen gesagt wird, wohin die Reise geht. Angesichts der Dauer und Intensität der öffentlichen Diskussion dieser Frage ist die Aussage der Regierungserklärung dürftig. Das, verehrter Herr Arbeitsminister, was Sie dazu gesagt haben, ist gegenüber dem, was von der FDP, vom Herrn Kollegen Mischnick in der Konkretisierung gerade zur Vermögensbildung gesagt wurde, geradezu eine Verschleierung, eine geringere Aussage als das, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat.
    Mir scheint, die Auffassungen im Koalitionslager haben eine sehr große Bandbreite. Sie reichen von Stimmen, die sich für eine Vervielfältigung der Eigentümerpositionen im Sinne liberaler Traditionen aussprechen, wie Herr Kollege Mischnick das sehr deutlich und präzise getan hat, bis hin zu jener offenbar wachsenden Zahl von politischen Kräften, die eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen überhaupt nicht wünschen, weil sie in ihr nur ein Hindernis für die Abschaffung des Privateigentums sehen.
    Wenn wir die Geschichte der Bundesrepublik sehen, wenn wir einmal nachschauen und fragen: Wie kommt es denn, daß die Eigentumsverteilung gerade im produktiven Bereich so unbefriedigend ist?, dann ist das im Grunde das unheilvolle parallele Wirken diametraler Kräfte: Die Unternehmer wollten nicht zahlen, und die Gewerkschaften hatten streckenweise eine andere Vorstellung als das individuelle Einkommen und persönliche Eigentumsbildung beim Arbeitnehmer. Deshalb wurde seit dem Jahre 1951, als Karl Arnold auf dem Parteitag der Union den Investivlohn gefordert hat, nichts getan. Wer nichts getan und unseren Gesetzentwurf zum Beteiligungslohn drei Jahre in der Schublade hat liegenlassen, der kann sich heute hier nicht hinstellen und die einseitige Vermögensverteilung lauthals kritisieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, unser Beteiligungslohngesetzentwurf steht als Diskussionsgrundlage zur Verfügung. Das gleiche gilt für unsere zusätzlichen Überlegungen innerhalb der Union; denn
    natürlich ist auch bei uns seit 1970 über dieses Problem weiter nachgedacht worden. Für uns ist essentiell — das geht über das hinaus, was der Arbeitsminister in diesem Augenblick zur Regierungserklärung sagen konnte; wir als Opposition wollen Ihnen unsere Position hilfreich sagen, das wird vielleicht für Sie nützlich sein —:
    Erstens. Wir gehen davon aus, daß die Arbeitnehmer persönlich Miteigentümer werden und über ihr Eigentumsrecht persönlich verfügen können. Das ist die erste grundsätzliche Aussage.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das zweite ist, daß die vom Wettbewerb geprägte Marktwirtschaft nicht beeinträchtigt wird. Die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand darf nicht zu mehr zentraler Lenkung des Wirtschaftsablaufs führen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man kann auch darüber reden, man kann über alles sprechen. Diejenigen aber, die für mehr zentrale Lenkung des Wirtschaftsablaufs sind, sollten uns das offen sagen. Dann können wir uns mit ihnen darüber auseinandersetzen. Aber sie sollen ihr Ziel nicht unter dem Deckmantel „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" verbergen; das nenne ich Etikettenschwindel.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Drittens darf durch die Vermögensbildung die Konzentrationstendenz in der Wirtschaft nicht gefördert werden. Wir sollten im Gegenteil versuchen, auch in diesem Zusammenhang etwas für die Klein-und Mittelbetriebe und damit für einen gesunden Wettbewerb zu tun. Graf Lambsdorff hat heute morgen in der wirtschaftspolitischen Debatte dazu einige Bemerkungen gemacht, die in unserer Fraktion einen lebhaften Gedankenaustausch sicherlich sehr erleichtern werden.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zum dritten Beispiel kommen. Von Freiheit und der Mündigkeit des Bürgers zu sprechen, ist eine Sache; danach zu handeln, ist eine andere. Nehmen wir als drittes Beispiel die flexible Altersgrenze. Da hat die Union — übrigens mit Zustimmung der Koalition in namentlicher Abstimmung — vor der Wahl eine flexible Altersgrenze durchgesetzt, die exakt nach dem Prinzip der Freiheit, die die Mündigkeit des Bürgers zur Voraussetzung hat, konzipiert ist. Jeder Bürger erhält danach in Form von Rentenzuschlägen einen Ausgleich für eine kürzere Rentenlaufdauer. Auf ein Beschäftigungsverbot hei Rentenbezug konnten wir deshalb verzichten. Mit dieser liberalen Regelung hat das Änderungsgesetz, das Sie jetzt eingebracht haben, nichts zu tun. Denn derjenige, der nicht mit 63 Jahren die Rente nimmt, wäre danach der Dumme. Hier wird ganz deutlich, was von dem Bekenntnis der Regierungserklärung zur Freiheit des Bürgers in concreto zu halten ist. Meine Damen und Herren, Sie engen in Wahrheit den Freiheitsspielraum des einzelnen ein, indem derjenige, der mit 63 Jahren nicht in Rente geht, ein Dummkopf wäre. Wir aber geben ihm den Freiheits-



    Katzer
    spielraum, selber zu entscheiden, ob er aufhören oder weiterarbeiten will.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    — Wir haben da einen Dissens zwischen den Parteien; ich kenne das ja, ich weiß, das ist eine echt andere Auffassung. Aber ich sage: es ist ein Widerspruch, einerseits von der Mündigkeit des Bürgers zu sprechen, andererseits aber zu sagen: „So mündig ist er nicht, als daß wir ihn nicht davor bewahren müßten, selber zu entscheiden, ob er krank oder nicht krank genug ist, ob er weiter arbeiten will oder nicht weiter arbeiten will."

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist nicht der mündige Bürger, den wir im Auge haben.
    Meine Damen und Herren — Herr Kollege Schellenberg, Sie werden sicher noch etwas dazu sagen —, ich halte diese Konzeption für falsch. Das habe ich hier mehrfach gesagt. Ich will es jetzt in der Diskussion über die Regierungserklärung nicht vertiefen. Aber vielleicht darf ich Sie doch bitten, einmal die Stellungnahmen der Gerontologen nachzulesen. Frau Professor Ursula Lehr hat kürzlich in einer großen Tageszeitung diese unsere Haltung ausdrücklich bestätigt. Denn es sind ja gerade die Folgen des abrupten Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand, die in der Öffentlichkeit unter dem Schlagwort „Pensionstod" diskutiert werden. Sie konnten heute morgen in der Zeitung lesen, daß ein Richter, der ich weiß nicht wieviel Jahre Richter gewesen war, den Freitod gesucht hat, weil er, in die Pensionierung gehen müssend, einfach nichts mehr mit seinem Leben anzufangen wußte. Es war der Sinn der flexiblen Altersgrenze, die Starre aufzulösen und den Übergang nach den individuellen Bedürfnissen und Wünschen des einzelnen Bürgers flexibler zu gestalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließlich eine Bemerkung zur Frage der Mitbestimmung machen. Die Regierungserklärung befaßt sich mit dieser Frage nur sehr kurz. Der Herr Arbeitsminister hat alles getan, um diese vage Aussage noch vager zu halten, was ich angesichts der Situation verstehen kann. Die Aussage: „Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern" hört sich — wir haben das schon ein paarmal gesagt — gut an. Aber wenn man einmal ein bißchen darauf klopft, stellt man fest: sie ist derart sybillinisch, daß man darunter fast alles verstehen kann. Auf jeden Fall kann man alle zur Zeit diskutierten Modelle darunter subsumieren.

    (Zuruf von der SPD: Mit Ausnahme eines!)

    — Mit Ausnahme? Auch noch nicht einmal dies; denn das ist ja in Bewegung; Sie werden dazu nachher von mir eine Bemerkung hören. — Bedeutet dies eine Feststellung in Richtung auf paritätische Mitbestimmung? Der DGB behauptet dies. Oder umfaßt sie auch ein Drei-Faktoren-Modell? Das haben andere Kreise unter dieser Passage der Regierungserklärung verstanden, wie man heute in allen Wirtschaftszeitungen lesen kann. Bedeutet dieser Satz eine Absage an das Riemer-Modell oder an Maihofer! Oder ist es eine Bestätigung von Riemer oder von Maihofer? Sie haben ja jetzt über diesen Punkt viel zu denken. Ich freue mich schon, daß Herr Arendt da Hilfe bekommt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit hängt selbstverständlich auch die Frage zusammen, wie Sie die leitenden Angestellten sehen. Werden sie als eigenständige Kräfte gesehen, oder will man sie den Arbeitnehmern zuzählen? Das alles geht aus der Regierungserklärung nicht hervor — und aus den Ausführungen des Arbeitsministers schon gar nicht.
    Meine Damen und Herren, all dies sage ich bei diesem großen Thema ohne jeden Unterton und schon gar nicht mit einem hämischen Unterton. Ich weiß es auch als ein Zeichen der Ehrlichkeit — freilich nicht der Geschlossenheit — zu schätzen, daß die fundamentalen Unterschiede in den Auffassungen von SPD und FDP in diesen Punkten offen zugegeben werden. Meine Damen und Herren, Sie wissen, die Union ist mit dieser Frage auf großen Parteitagen in mehreren ganztägigen Diskussionen befaßt gewesen, in Berlin, in Düsseldorf, und auch jetzt steht dieses Thema wieder an, wie wir gesagt haben. Sie sollten das ebensowenig hämisch begleiten wie ich; ich habe mir ja auch eine hämische Bemerkung über die Zerstrittenheit der Koalition in dieser eminent wichtigen gesellschaftspolitischen Frage, die von uns zu lösen ist, verkniffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Uns geht es - hier stimme ich dem Arbeitsminister zu — um mehr Selbstbestimmung für die Arbeitnehmer. Auch die Probleme am Arbeitsplatz selbst müssen gesehen und gelöst werden.
    Meine Damen und Herren, wir können vielen Punkten im Bereich der Gesellschaftspolitik zustimmen. Ich denke hier z. B. an das, was zum Sofortprogramm der beruflichen Bildung gesagt worden ist. Es hieße Eulen nach Athen tragen, hier mehr darüber zu sagen. Es ist auch überflüssig, hier irgendwelche Urheberansprüche anzumelden, denn jedermann im Hause weiß, daß wir die Grundlagen für ein solches Programm schon lange gelegt haben. Ich freue mich natürlich darüber, daß eine bessere Koordinierung zwischen betrieblicher Ausbildung und Berufsschule erstrebt wird. Ob die Zusammenfassung in einem Ministerium der richtige Weg ist, wird die Zukunft erweisen. Ich hatte als Arbeitsminister immer sorgfältig darauf geachtet, daß es im Ressort des Arbeitsministers bleibt, weil ich mit dafür sorgen wollte, daß die Praxisnähe erhalten bleibt. Ich wollte verhindern, daß das Ganze zu einer bloßen Verschulung wird, obwohl der schulischen Seite natürlich auch verstärkte Bedeutung zukommt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Zur ergänzenden Ausbildung in überbetrieblichen Ausbildungsstätten haben wir in der letzten Legislaturperiode ein Aktionsprogramm vorgelegt. Die



    Katzer
    berufliche Bildung der jungen Menschen, die in einem Ausbildungsverhältnis stehen, ist erstmals von Ihnen aufgegriffen worden. Ich freue mich darüber, denn auf diesen Punkt haben wir in unserem Regierungsprogrammbeschluß auf dem Parteitag in Wiesbaden ausdrücklich Bezug genommen.
    Auch in den Aussagen zur Rehabilitation sehen wir eine begrüßenswerte Fortentwicklung unserer eigenen Politik. Freilich haben wir es bedauert, Herr Bundeskanzler, daß in dieser Erklärung zum erstenmal seit 1949 weder an die Kriegsopfer noch an die Heimkehrer gedacht worden ist.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die finanziellen Probleme nicht leicht oder sogar schwer zu lösen sind. Sie haben ja aber auch in anderen Bereichen gerade die menschlichen Probleme herausgestellt. Ich glaube, wir sollten denjenigen, die die schmerzhaftesten Opfer in der leidvollen Geschichte unseres Volkes gebracht haben und nunmehr in ein Alter kommen, in dem sie mit ihren Opfern leicht vergessen werden, besonders in dieser Stunde und in dieser Situation ein Wort zurufen und ihnen zeigen, daß wir an sie denken und zu ihnen stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, entgegen manchen Ankündigungen ist die Regierungserklärung auch im innenpolitischen Bereich nicht das „stromlinienförmige Glitzerding" geworden — um einen von der Zeitung „Die Zeit" geprägten Ausdruck zu verwenden. Es handelt sich wieder um einen Katalog von Einzelmaßnahmen in guter alter Ressorttradition, und der einzige gemeinsame Nenner, auf den das alles gebracht werden soll, ist das Wort vom „gewandelten Bürgertypus". Wir sollten diesem gewandelten Bürgertypus etwas mehr auf den Zahn fühlen und uns nicht mit Ihren negativen Abgrenzungen begnügen, Herr Bundeskanzler. Negative Definitionen sind freilich, so glaube ich — entschuldigen Sie, wenn ich das mit allem Respekt, aber auch mit aller Deutlichkeit hier sage , ein besonderes Kennzeichen der Sprache der Sozialdemokraten. Wer kennt nicht die vielen sozialdemokratischen Formeln, die lauten: Wir wollen weder ..., wir wollen noch ...? Was Sie aber eigentlich wollen, sagen Sie nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    So forschen wir denn an anderen Stellen der Regierungserklärung weiter, und da stoßen wir nicht nur auf das Recht, frei atmen zu können — so steht es da geschrieben —, sondern auch auf das Recht auf Geborgenheit. Wo solches gesagt wird, ist eine Politik der Zipfelmütze nicht mehr weit, einer Zipfelmütze, unter der radikale Tendenzen einfach verschwinden. Sie haben auf sie nur im Bereich der Hochschulen Bezug genommen; alle anderen haben Sie — die Sie vor drei Jahren davon sprachen: Wir brauchen Reformen! — weggeschrieben. Wir stellen heute fest: diese Reformen sind nicht da. Statt dies zu beklagen, spielen Sie das Spiel, als stünde eine heile Welt vor uns. Die großen Konflikte dieser Gesellschaft werden überhaupt nicht erwähnt; sie
    werden unter den Teppich gekehrt; davon wird überhaupt nicht gesprochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, Klassenkampf, neue Personifizierung aller Mängel dieser Gesellschaft, alle undemokratischen und totalitären Bewegungen, wie sie uns ja heute begegnen, sie sind doch da, die können wir nicht verschweigen, sondern mit denen müssen wir uns in diesem Deutschen Bundestag geistig auseinandersetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb bedauere ich diesen Eindruck. Vielleicht — ich weiß es nicht — ist dieser Eindruck durch die Mitarbeit einiger sehr bemerkenswerter und geschätzter Journalisten entstanden. Aber ich glaube, die politische Regierungserklärung muß sich diesen Tendenzen, diesen Tatsachen stellen, sich mit ihnen auseinandersetzen.
    Wenn es darum geht, diese unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung, die wir — und darauf sind wir ein ganz klein wenig stolz — aus den Trümmern des Jahres 1945 haben mit aufbauen dürfen, diesen freiheitlichen, sozialen Rechtsstaat zu verteidigen, ihn weiterzuentwickeln und weiterzugestalten, läßt sich die Christlich Demokratische und Christlich Soziale Union von niemandem in diesem Hohen Hause übertreffen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)